Prävention psychischer Erkrankungen nach belastenden ... · Journal of Community Psychology 38...

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Prävention psychischer Erkrankungen nach belastenden Ereignissen Dirk Richter

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Prävention psychischer Erkrankungen

nach belastenden Ereignissen

Dirk Richter

Was erwartet Sie in den nächsten

Minuten?

- Daten und Fakten zur Entstehung psychischer

Störungen

- Daten und Fakten zu akuten und chronischen

Belastungen im Gesundheitswesen (Schwerpunkt

Aggression)

- Präventionsstrategien

- Tertiär: Behandlung

- Sekundär: Nachsorge

- Primär: Aggressionsmanagement und

Resilienzförderung

Mögliche Folgen nach belastenden

Ereignissen

- Psychosoziale Probleme

- Burnout

- Unruhe/Schlaflosigkeit

- Schuldgefühle

- verschlechterte Arbeitsbeziehung zu

PatientInnen

- Aufgabe des Arbeitsplatzes/des Berufs

- Psychische Störungen

- depressive Störungen

- Angststörungen (z.B. Panikattacken)

- Suchtmittelmissbrauch/-abhängigkeit

- posttraumatische Belastungsreaktionen/-

störungen (PTBS)

soziale Stressoren Vulnerabilität Resilienz

belastende

Einzelereignisse

chronische

Belastungen

bio

psycho

sozial

Genetik/

neuronale Entwicklung

Persönlichkeit

Coping

Netzwerk/

Organisation

Umwelt Individuum

Vulnerabilitäts-Resilienz-Modell

• ob ein Individuum belastet ist/erkrankt, hängt von der psychischen

und sozialen Resilienz ab

• tatsächlich erkrankt nur eine Minderheit der Personen im

Gesundheitswesen Selektionsprozesse

Stressoren und nachfolgende

psychische Erkrankungen

Krankheit A

Stressor x

Stressor Y

Stressor Z

Krankheit A

Krankheit B

Krankheit C

Stressor

X

• verschiedene Stressoren können ein Krankheitsbild auslösen

• ein Stressor kann verschiedenen Krankheiten auslösen

Potenziell traumatisierende Ereignisse

für Mitarbeitende im Gesundheitswesen

- Großschadenslagen (terroristische Akte,

Schulmassaker, Naturkatastrophen etc.)

- Patientensuizide (v.a. in der Psychiatrie)

- Patientenübergriffe (von verbalen Drohungen bis

Geiselnahmen)

- sekundäre Traumatisierungen durch Pflege und

Behandlung traumatisierter PatientInnen

- Ereignisse und Krankheitsentwicklungen, welche

zur Hilflosigkeit bei Mitarbeitenden führen

(Rettungskräfte, Notfall- und Intensivpflegende

etc.)

Häufigkeit der Psychotraumata im

Gesundheitswesen

- nach potenziell traumatisierenden Ereignissen

erleben zwischen 10 und 20 Prozent der

betroffenen Mitarbeitenden ein Psychotrauma

- die PTBS-Prävalenz unterscheidet sich nicht

wesentlich zwischen Rettungskräften und

Mitarbeitenden von psychiatrischen oder

somatischen Kliniken

Robertson N, Perry A: Institutionally based health care workers‘ exposure to

traumatogenic events: Systematic review of PTSD presentation. Journal of

Traumatic Stress 23 (2010), 417-420

Stimmung nach einem Patientenübergriff

Freitext-Antworten (Interviews 2005; NRW)

- Ein komisches Gefühl in der Magengegend hielt

noch Tage an

- Die Gefühle kamen erst später zuhause

- Ich weinte und zitterte

- Habe mich vor meinen eigenen Gefühlen

erschrocken

- Fühlte mich wie betäubt: die Gefühle kamen erst

später

- Erst nach ca. 24 Std. wurde mir klar, was passiert

war

- Schlimme Angstattacken nach Dienstschluss

- Menstruation kam 2 Wochen früher, Wut

- Wut auf die Klinikleitung und Ärzte

PTBS nach einem Übergriff zu verschiedenen

Messzeitpunkten (PCL-C; DSM-IV; %)

17.4 17.1

8.6

11.4

3.4

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

Phase 1, T1,

alle

Phase 1, T1,

FU

Phase 1, T

2, FU

Phase 1, T

3, FU

Phase 2

Richter D: Patientenübergriffe – Psychische Folgen für Mitarbeiter. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2007

- Beschimpfung (z.B. „verpiss Dich“, „Arschloch“)

- Bedrohung (inkl. Todesdrohungen) (z.B. „wenn ich

Dich draussen treffe, bring ich Dich um“)

- persönliche Drohungen (z.B. „ich weiss, wo Deine

Tochter zur Schule geht“)

- Anschreien, permanente Aktivitäten (z.B. Flöten)

- sexualisierte/rüde Sprache (z.B. „Fotze“, „fick

Deine Mutter“)

- persönliche Merkmale/Schwächen (z.B. „wie siehst

Du denn aus?“)

- Infragestellung professioneller Kompetenz (z.B.

„Du hast keine Ahnung von Psychiatrie“)

- Verweigerungsverhalten

Formen verbaler Aggression

(Fokusgruppen in diversen Settings in NRW

2010/11)

Häufigkeit verbaler Aggression in den letzten 6

Monaten; NRW 2011; N=1053

täglich wöchentlich

und häufiger

monatlich

und häufiger

nie

Psychiatrie Erwachsene 17.6 41.6 56.9 8.3

Psychiatrie Kinder/Jugend 29.1 45.7 65.4 3.9

Psychiatrie Forensik 15.8 50.0 50.0 5,3

Somatik 2.2 29.0 43.5 2.9

Wohnheim Psychiatrie 18.5 22.2 59.3 7.4

Sonstiges 9.7 17.1 34.1 12.2

Gesamt 16.6 39.3 55.1 7.1

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

gar kein Anteil größter Anteil

Subjektive Belastung körperliche vs. verbale

Aggression (N=1053); Mittelwerte

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

gar kein Anteil größter Anteil

Wenn Sie Ihre gesamte Arbeitsbelastung (Stress, Schichtdienst,

schwieriges Klientel etc.) bedenken, wie groß würden Sie den Anteil

körperlicher Aggressionen an der Belastung einschätzen?

Wenn Sie Ihre gesamte Arbeitsbelastung (Stress, Schichtdienst,

schwieriges Klientel etc.) bedenken, wie groß würden Sie den Anteil

verbaler Aggressionen an der Belastung einschätzen?

3,0

4,2

Präventionsstrategien

- Primärprävention

- Vermeidung bzw. Verminderung

traumatisierender Ereignisse (z.B. gut

eingeführtes Aggressionsmanagement mit

Schwerpunkt Deeskalation)

- Resilienzförderung (Vorbereitung von

Mitarbeitenden auf potenziell belastende

Ereignisse)

- Sekundärprävention

- Nachsorge nach belastenden Ereignissen und

bei chronischen Belastungen

- Tertiärprävention

- rasche Einleitung einer Behandlung/Therapie

Tertiärprävention nach belastenden

Ereignissen

- Hauptziel: rasche Aufnahme einer

psychotherapeutischen und ggf.

pharmakologischen Behandlung

- Kontakt zu (traumatologisch ausgebildeten)

Psychotherapeuten herstellen

- Kostenübernahme sicherstellen

- Aufrechterhaltung des Kontakts durch die

Einrichtung; Vorbesprechung der

Wiederaufnahme der Beschäftigung

Wann sollte therapeutische Hilfe in

Anspruch genommen werden?

- wenn die belastende Symptomatik (z.B.

Panikattacken, chronische Schlafstörungen,

niedergeschlagene Stimmung) länger als vier

Wochen anhält, ist therapeutische Hilfe angezeigt

- wenn die Betroffenen das Gefühl haben, die

Situation nicht mehr allein ertragen/bewältigen zu

können erhöhtes Suizidrisiko

- wenn die Betroffenen selbst einen erhöhten

Suchtmittelkonsum feststellen oder von anderen

Personen darauf aufmerksam gemacht werden

Richter D: Patientenübergriffe – Psychische Folgen für Mitarbeiter. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2007

Sekundärprävention

Ziele in der Nachsorge

- Sicherstellung sozialer Unterstützung

- ‚gefühlte‘ Unterstützung in der Einrichtung

- Anbindung an vorhandene soziale Netzwerke

(Familie, Freunde etc.)

- wenn nötig: Überleitung und Begleitung zu

fachärztlicher bzw. psychotherapeutischer

Behandlung

Soziale Unterstützung muss positiv

erlebt werden

- Meta-Analyse mit 37 Studien bei Rettungskräften,

Feuerwehrleuten und PolizistInnen nach

traumatisierenden Ereignissen

- Einflussparameter: soziale Unterstützung;

Ergebnisparameter: psychische Gesundheit

- erhaltene soziale Unterstützung Effektstärke

0.22

- erlebte soziale Unterstützung Effektstärke 0.31

die Betroffenen benötigen das Gefühl der Sorge,

nicht nur die ‚nackte‘ Unterstützung!

Prati G, Pietrantoni L: The relation of perceived and received social support and mental health

among first responders: A meta-analytic review. Journal of Community Psychology 38 (2010), 403-

417

Anforderungen an eine Nachsorge-

strategie nach belastenden Ereignissen

- unmittelbare Reaktion auf die Folgen des

Übergriffs im Arbeitsbereich (z.B.

Station/Wohngruppe)

- Unterstützung durch direkte Kolleginnen und

Kollegen

- organisatorische Reaktion durch die Einrichtung

auf mittlere Sicht

- Unterstützung durch Nachsorgeteam

Richter D: Patientenübergriffe – Psychische Folgen für Mitarbeiter. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2007

Nachsorge nach traumatisierenden

Ereignissen

- Nachsorgeteams sind aus verschiedenen

Arbeitsbereichen als Standardintervention

bekannt, v.a. aus dem Gesundheitswesen und aus

militärischen Einheiten

- Nachsorgeteams stellen die soziale Unterstützung

für die Betroffenen sicher

- bewährt haben sich Teams aus gleichgestellten

Kolleginnen und Kollegen (Peer Support)

Richter D: Patientenübergriffe – Psychische Folgen für Mitarbeiter. Bonn: Psychiatrie-Verlag 2007

Vorankündigung Eskalation Krise Erholung Depression (?)

normales

Verhalten

Phasenverlauf einer Gewaltsituation ( nach Breakwell 1995)

Frühwarn-

zeichen

(non-)verbale

Deeskalation

Abwehr

körperlicher

Angriffe

Präventionsansätze Stress-

management

Pharmakotherapie

Verhaltenstherapie

Pflege- und

Behandlungsstandards

Nachsorge:

Aufbau und Schulung

von Teams

Ablaufstandards

Technik: z.B.

Signalanlagen

Primärprävention: Umfassendes

Aggressionsmanagement im Gesundheitswesen

Primärprävention: Resilienzförderung

- in verschiedenen professionellen Bereichen wird

versucht, Mitarbeitende auf die drohenden

gesundheitlichen Gefahren (körperlich und

psychisch) vorzubereiten

- Militär

- Einsatzkräfte bei der Polizei

- Gesundheitswesen

Was heißt Resilienz?

- die Eigenschaft der Widerständigkeit gegen

drohende Gesundheitsgefahren ist als Thema in

den 1970er Jahren in der Entwicklungspsychologie

aufgetaucht

- Resilienz bezieht sich auf zwei Bereiche

- Erhaltung der Gesundheit trotz erheblicher

Risiken

- Wiedererlangung der Gesundheit

- Resilienz hat zwei Dimensionen

- persönlich

- sozial

Interventionen zur Resilienzförderung I

- Resilienzförderung ist Selbstmanagement

- Vorbereitung auf drohende Gefahren

- was mache ich, wenn ich bedroht werde?

- wo suche ich mir Hilfe, wenn Patienten mich

‚fertig‘ machen wollen?

- auf wen kann ich mich im Falle einer Krise

verlassen?

- wie muss unsere Einrichtung aufgestellt sein,

damit die Probleme einzelner MA adäquat

erkannt und unterstützt werden

- Kommunikationstraining

- Schlagfertigkeit entwickeln

- Deeskalation

Interventionen zur Resilienzförderung II

- Vermeidung kognitiver Denkfallen:

- „Probleme sind etwas für Loser.“

- „Kein Wunder, dass das immer mir passiert.“

- „Ich bin ein Versager.“

- Identifikation von eigenen Ressourcen

- was hat mir bei früheren Krisen geholfen?

- kann ich im Vorhinein mir ein soziales Netz

aufbauen, das mich unterstützen kann?

- Sinnfindung (z.B. philosophisch/spirituell)

- Stressmanagement und Entspannungstechniken

Adversity

Auslöser

Belief

Bedeutung

Consequences

Folgen

ABC-Technik nach A. Ellis; Neenan M: Developing Resilience: A Cognitive-Behavioural Approach.

Hove: Routledge 2009

Herzlichen Dank

Prof. Dr. Dirk Richter

Berner Fachhochschule

Fachbereich Gesundheit

E-Mail: [email protected]