Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule....

12
1 Lehre des Hinayana

Transcript of Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule....

Page 1: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

1

Lehre des Hinayana

Page 2: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

2

Die Lehre des Hinayana Der Buddhismus kennt zahlreiche Schulen, die sich zum Teil deutlich voneinander unter-scheiden. Um die Vielfalt überschaubar zu halten, ist es sinnvoll, zunächst drei große Rich-tungen gesondert zu betrachten, die sich zwar selbst wieder in vielfältiger Weise aufspalten, die jedoch jeweils so viel gemeinsam haben, dass ein eigener Name gerechtfertigt erscheint. Es sind dies: * Hinajana (Kleines Fahrzeug) * Mahayana (Großes Fahrzeug) * Vajrayana (Diamantenes Fahrzeug) Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich die ursprünglichen Gedanken Buddhas wohl noch am besten er-halten. Zu den Überzeugungen gehören die folgenden Lehren: * Der zyklischen Ablauf des Weltgeschehens * Das Entstehen in Abhängigkeit * Das Nicht-Selbst * Die Vier Edlen Wahrheiten Als Weg zur Erkenntnis und damit zur Erlösung wird die Meditation empfohlen. In diesem Zusammenhang nimmt der Heilige, der Arhat eine bevorzugte Stellung ein. 1 Der zyklische Ablauf des Weltgeschehens Die jüdisch-christliche Religion kennt einen linearen Verlauf des Weltgeschehens. Es gibt einen Anfang durch die Schöpfung und ein Ende durch ein Weltgericht. Sowohl der Hinduismus als auch der Buddhismus gehen von einem immerwährenden, zykli-schen Kreislauf von Werden, Sein und Vergehen aus, dem alles unterliegt, was existiert. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. So entsteht z.B. eine Weltperiode, entwickelt sich und verschwindet wieder, um nach einer Weile wieder erneut ins Dasein zu treten. Die Zeiträume werden dabei als unvorstellbar lang gedacht. So vergleicht man die Dauer einer Weltperiode mit der Zeit, die vergeht, bis ein hoher Berg, den man im Abstand von 100 Jahren einmal mit einem Seitentuch abwischt, dadurch vollständig abgetragen wird. Auch die Vorgänge der Alltagswelt und insbesondere auch das menschliche Dasein folgen dem ständigen Zyklus von Werden, Sein und Vergehen. Der Tod eines Lebewesens bedeutet nicht dessen endgültiges Ende. Vielmehr entsteht zu einer späteren Zeit ein neues Lebewesen, das als Weiterführung des ursprünglichen vorgestellt wird. Dieser immerwährender Zyklus von Geboren-werden, Sterben und Erneut-ins-Leben-treten heißt Samsara. Da das Leben grundsätzlich als leidvoll erfahren wird, besteht die Erlösung aus der Befreiung aus dem Samsara. Man hört auf zu existieren, man verlöscht. Man geht dann ins Nirwana ein. Nirwana ist nicht ein bestimmter Ort wie z.B. ein Paradies. Nirwana ist der besondere Zu-stand des Nicht-mehr-geboren-werden-müssens. Erlösung bedeutet damit, in den Zustand der Leidlosigkeit einzutreten. Die Befreiung und der Ausbruch aus diesem unheilvollen Kreislauf aus dem Samsara und damit das Eingehen ins Nirwana gelingen durch Erleuchtung. Man erkennt dann die Zufällig-keit und Bedeutungslosigkeit all dessen, was zur realen Lebenswelt gehört. Das führt zum Loslassen von allen Bindungen, Begierden und Wunschvorstellungen.

Page 3: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

3

Das Nirwana als Zustand der Leidlosigkeit entzieht sich jeder Vorstellung. Es ist somit nicht verwunderlich, dass man sich später bemüht hat, den Begriff des Nirwana inhaltlich zu füllen und damit nachvollziehbar zu machen. Das Nirwana wurde dann sogar zu einer Art Himmel, in dem man sich angenehm aufhalten kann. Der Unterschied zu einem Paradies verschwimmt. 2 Das Entstehen in Abhängigkeit Für die abendländische Philosophie besteht die Welt aus Objekten und Gegenständen. Der Buddhismus geht davon aus, dass Objekte und Gegenstände keine eigene Identität haben. Es gibt nur Prozesse. 2.1 Die Welt der Objekte und Gegenstände Der Alltagsverstand stellt sich wie selbstverständlich vor, dass die Welt aus der Menge der Objekte und Gegenstände besteht. Es gibt Sterne, Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen. Die Sprache verdeutlicht diesen Sachverhalt, indem sie diese Objekte und Gegenstände benennt. Die europäische Philosophie hat im Wesentlichen diese realistische Einstellung übernommen. Auch die jüdisch-christliche Religion geht von dieser Vorstellung aus. Es ist Gott, der alles Gegenständliche schafft. Der Mythos von der Schöpfung berichtet davon. Der Altar in Grabow zeigt das in besonders liebevoller Weise.

Erschaffung der Sterne Erschaffung der Tiere Erschaffung des Menschen Es scheint zunächst unzweifelhaft, dass die Dinge in ihrer Gegenständlichkeit existieren. Es gibt Sterne, es gibt Tiere und es gibt Menschen. 2.2 Der Prozesscharakter Der Buddhismus hat eine gänzlich andere Vorstellung entwickelt. Um diese, dem abendländi-schen Denken zunächst fremde Vorstellung verständlich zu machen, soll in vier Schritten vorgegangen werden. Es handelt sich um die folgenden:

Page 4: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

4

* Die Vergänglichkeit allen Seins * Der Prozesscharakter allen Seins * Entstehen und Vergehen * Das Karma 2.2.1 Die Vergänglichkeit allen Seins Alle Gegenstände und Objekte, die in der Welt existieren, sind einer unausweichlichen Ver-änderung unterworfen. Nichts besteht ewig. Auch das, was zunächst dauerhaft aussieht, ist davon nicht ausgenommen. In diesem Fall ist es nur der Zeitmaßstab, der Beständigkeit vor-täuscht. Auch ein Berg, der zunächst unveränderlich und statisch aussieht, wird im Laufe der Zeit abgetragen und verschwindet. Sterne, Tiere und Menschen unterliegen demselben Ge-setz. Es gilt: πάντα ῥεῖ, ( panta rhei), alles ist im Fluss. Von Heraklits Werk sind Fragmente erhalten, von denen drei Zitate die Lehre vom Fluss aller Dinge begründen: Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und wieder anderes Wasser zu. Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. 2.2.2 Der Prozesscharakter allen Seins Da alles fließt, gibt es auch keine feststehenden Objekte und Gegenstände. Nach dieser Vorstellung gibt es z.B. keinen Gegenstand Apfel. Es gibt nur einen Prozess, der in mehreren, kontinuierlichen Schritten von der Blüte über die Frucht zum Zerfall führt. So gibt es auch keinen Menschen als solchen. Es gibt nur die Entwicklung von der befruchteten Eizelle über das Baby und das Kleinkind weiter zum Erwachsenen und schließlich zum Tod und zur Auflösung. Es ist die Sprache, die durch ihre feststehenden Begriffe die Existenz von Objekten und Ge-genständen vortäuscht. Da es das Wort „Apfel“ gibt, bildet man sich ein, es müsste auch ei-nen realen Gegenstand Apfel geben. 2.2.3 Entstehen und Vergehen Alles, was entsteht, setzt sich aus einer Vielzahl von einzelnen Gegebenheiten zusammen. Diese Grundgegebenheiten, die sich in einem Prozess zusammenfinden, werden im Buddhis-mus Dharmas genannt. Man kann sie sich als eine Art Kräfte vorstellen. Im Deutschen wird Dharma mit Daseinsfaktoren übersetzt. Der Prozess des Apfelseins beginnt, indem sich verschiedene Dharmas wie z.B. Sonnenstrah-len, Bestäubung durch die Bienen, Saft des Baumes usw. zusammenfinden. Während des Wachsen und Reifens entfernen sich manche Dharmas aus dem Prozess, andere treten hinzu. So verschwinden z.B. die weißen Blütenblätter. An ihre Stelle tritt die rote Farbe. Am Ende des Prozesses lösen sich alle Dharmas auf. Sie bilden dann die Ausgangspunkte und die Be-standteile andersartiger, neuer Prozesse. 2.3 Die Dharmas als Grundbestandteile eines Prozesses Zunächst muss man festhalten, dass es keine alleinige Ursache für die Entwicklung eines Pro-zesses gibt. Es sind immer zahlreiche, unterschiedliche Dharmas, die zusammenwirken müs-sen. Man darf sich also keine einfache Kausalkette vorstellen, in der ein Sachverhalt die Ur-sache für einen anderen darstellt. Es gibt nur ein Kausalgeflecht, in dem verschiedene Sach-verhalte sich wechselseitig beeinflussen. Alles hängt mit allem zusammen.

Page 5: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

5

Ein buddhistisches Bild zeigt die Dharmas als Sterne. Ihre Wirkung auf andere Dharmas wird durch die weißen Verbindungslinien darge-stellt.

Man sieht, dass es in dieser Vorstellungwelt keine Objekte und Gegenstände gibt. Es gibt nur die sich zu einem Prozess zusammenfindenden Dharmas. Dass eigenständige Objekte und Gegenstände existieren könnten, ist nur eine Täuschung. Man kann sich die Entwicklung eines Prozesses mit Hilfe eines Bildes verdeutlichen. Die Dharmas sind wie die Blätter, die durch den Wind zu unterschiedlichen Konfigurationen zu-sammengeblasen werden. Ein derartiger Prozess führt einige Blätter zusammen und lässt ein zusammenhängendes Gebilde entstehen, das sich jedoch gleich wieder auflöst. Die Blätter finden sich anschließend mit anderen Blättern zusammen und bilden eine neue, sich wiede-rum ständig ändernde und verwandelnde Form. Eine sich gerade ergebende, momentane Zusammenstellung der Dharmas erscheint dem Un-wissenden in irriger Weise als Gegenstand. 2.4 Das Karma Die Dharmas finden sich nicht zufällig zu neuen Konfigurationen zusammen. Es gibt auch keinen Gott, der den Ablauf reguliert oder zumindest hier eingreifen kann. Vielmehr gibt es ein unerbittlich feststehendes Gesetz, das das Entstehen, Werden und Vergehen unabänderlich festlegt. In diesem Zusammenhang ist das Karma von Bedeutung. Das Karma entspricht am ehesten dem Wind, der die Blätter zu immer neuen Gebilden zusammenfügt. Allerdings ist das Karma nichts Substanzielles wie der Wind. Es ist ein immaterielles Prinzip. Das Karma ist die Kraft, die als Ordnung den gesamten Kosmos durchwaltet. Durch gute bzw. schlechte Absichten oder Handlungen wird dieses Karma positiv oder negativ beein-flusst. Es bestimmt auf diese Weise die die Zusammensetzung der Dharmas zu einem neuen, zukünftigen Individuum. Die Lehre vom Karma hat für den Buddhismus drei wichtige Konsequenzen: * Das gegenwärtige Leben wird in seiner Ausgestaltung vom Karma bestimmt, das in den vorherigen Existenzen aufgesammelt worden ist. Ob man sich zurzeit in einer guten oder we-niger guten Situation befindet, hat man sich sozusagen selbst zuzuschreiben. Man hat nur die Konsequenzen zu tragen, die sich daraus ergeben, wie man in seinen früheren Existenzen ge-lebt hat. * Hieraus ergibt sich, dass die ethischen Regeln und Vorschriften keine Gebote sind, die von einem strengen Gott oder einem strengen Über-Ich verhängt werden. Sie sind vielmehr Hilfen und Hinweise, die dazu beitragen sollen, sein Karma zu verbessern und so zu einem ange-nehmeren Leben in der nächsten Verwirklichung zu kommen. * Es gibt für den Buddhismus kein Theodizee-Problem. In den monotheistischen Religionen muss man mit der Schwierigkeit fertig werden, warum es trotz eines allmächtigen und allgü-tigen Gottes zu Leid und Unglück kommen kann. Der Buddhismus erklärt das Leid als selbst-verursachte Konsequenz der eigenen Lebensführung im vorherigen Dasein.

Page 6: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

6

3 Das Nicht-Selbst Für die Objekte und Gegenstände der Welt gibt es keine Identität. Das gilt auch für den Men-schen. Auch er ist nur ein Prozess von sich nach dem Gesetz des Karma zusammenfügenden Dharmas. Man kann sich vorstellen, dass sich zu seiner Geburt ganz unterschiedliche Dhar-mas zusammenfinden, die z.B. vorher an Pflanzen, Tieren oder anderen Menschen beteiligt waren. Im Tod lösen sich die Dharmas wieder auf und beteiligen sich an der Entstehen ganz anderer Wesen. Das, was einmal Teil eines Menschen war, wir dann Teil eines Baumes, einer Katze oder eines anderen Menschen. Die Lehre vom Nicht-Selbst hat zwei wichtige Konsequenzen: *Es gibt für den Menschen nichts, was seine Person ausmacht. Es gibt nichts Dauerhaftes oder Beständiges. Insbesondere gibt es keine Seele. * Es gibt auch keine Wiedergeburt im herkömmlichen Sinn. Ein bestimmter Mensch kommt nicht selbst in veränderter Form zu einer späteren Zeit wieder auf die Welt. Buddha betont immer wieder die Bedeutung des Nicht-Ich. Beim Tod verliert der Mensch jegliche Individualität. Es gibt ihn ganz einfach nicht mehr. Es bei der späteren Geburt ent-steht ein ganz neues, eigenes Wesen, das mit dem ursprünglichen Menschen nichts gemein-sam hat. Nur das Karma stellt eine gewisse Verbindung her. Auf Grund des Verhaltens des vorherigen Menschen reguliert das Karma die Zusammensetzung der Dharmas zu einem neu-en Lebewesen. Mit dieser Lehre grenzt sich der Buddhismus ganz deutlich und bewusst vom Hinduismus ab, für den die Seele des Menschen, sein Atman, von großer Bedeutung ist. Der Atman macht sozusagen den Kern des Selbst aus. Hier sammelt sich gutes und schlechtes Karma in einer Art Speicherbewusstsein. Im Hinduismus gibt es daher auch eine wirkliche Wiedergeburt. Hier ist es die Seele, die von einer Verkörperung in die nächste Verkörperung übergeht. Die buddhistische Lehre vom Nicht-Selbst und von der Festlegung einer neuen, zukünftigen Daseinsform durch das Karma ist für das abendländische Denken schwer nachzuvollziehen. Sie erscheint widersprüchlich und nicht haltbar. Wenn es keine Individualität und damit auch keine Seele gibt, bleibt unverständlich, wer der Träger des Karma sein soll. Es wird nicht ge-sagt, was Karma eigentlich ist, und auf welche Weise es sich manifestiert. 4 Die Vier Edlen Wahrheiten Die Grundüberzeugungen des Buddhismus werden in den Vier Edlen Wahrheiten deutlich. Es sind dies die folgenden: * Das Leben im Daseinskreislauf ist letztlich leidvoll. * Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. * Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. * Zum Erlöschen des Leidens führt der Edle Achtfache Pfad. Buddha sagt:

Dies, ihr Mönche, sind die vier edlen Wahrheiten. Welche vier? Das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung des Leidens und der zur Aufhebung des Leidens führende Weg. Was ist nun das Leiden?

Page 7: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

7

Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint zu sein ist Leiden, von Liebem getrennt zu sein ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt und er-strebt, auch das ist Leiden, kurz die fünf Gruppen des Ergreifens sind Leiden. Das heißt das Leiden. Was ist die Entstehung des Leidens? Es ist der Durst, der zur Wiedergeburt führt, der von Wohlgefallen und Begierde begleitet da und dort Gefallen findet. Das heißt die Entstehung des Leidens. Was ist die Aufhebung des Leidens? Es ist die restlose Ablehnung und Aufhebung dieses Durstes, der zur Wiedergeburt führt, der von Wohlgefallen und Begierde begleitet da und dort Gefallen findet, sein Aufgeben und seine Unterdrückung. Das heißt die Aufhebung des Leidens. Und was ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg? Es ist der edle Achtgliedrige Pfad, nämlich rechte Ansicht, rechtes Denken, rechtes Reden, rech-tes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Wachsamkeit und rechte Sammlung. Das heißt der zur Aufhebung des Leidens führende Weg. Das, ihr Mönche, sind die vier edlen Wahr-heiten. 4.1 Das Leiden Das Leiden ist im Buddhismus nicht nur eine momentane Erfahrung, die wieder vergeht. Lei-den ist eine grundsätzliche Bestimmung der menschlichen Existenz, die unausweichlich dem Leben anhaftet und es bestimmt. Es ist der Zustand der ständigen Vergänglichkeit, der das Leiden ausmacht. Es gibt nichts Beständiges. Nicht einmal das Ich, die eigene Person ist von Dauer. Die Unbeständigkeit des Lebens hat Krankheit, Altern und Tod zur Folge. Auch das Glück ist kurzfristig und unbeständig. Das Streben danach muss letztendlich unbefriedigt bleiben. Buddha sagt: „Alles Leben ist Leiden“ Damit wird die Möglichkeit, Lebenszufriedenheit trotz des unbestreitbaren Leids in der Welt zu erlangen, als unmöglich abgelehnt. 4.2 Die Ursachen des Leidens Das Leiden hat letztendlich seine Ursache in der Tatsache, dass es nichts Beständiges gibt, alles vergeht und es in der Erscheinungswelt nirgends einen festen Halt gibt. Das Leiden ist eine direkte Folge des Entstehens in Abhängigkeit und der Lehre vom Nicht-Ich. Solange man diese Wahrheiten nicht erkennt, wird man sich an das Leben klammern und im Leben vergeblich nach Erfüllung und Zufriedenheit suchen. Aus diesem vergeblichen Bemü-hen folgt Enttäuschung, Hass und Neid. Es sind diese Eigenschaften, die den Menschen an den leidvollen, fortwährenden Kreislauf des Samsara ketten. 4.3 Die Aufhebung des Leidens Aus dem leidvollen, fortwährenden Kreislauf des Samsara kann man sich lösen, indem man die Vorstellung von einer objektiv existierenden Welt als illusionär durchschaut und die Er-kenntnis vom Nicht-Ich verinnerlicht. Das gelingt, wenn man das Begehren überwindet und sich von aggressiven Empfindungen befreit. Man erreicht dann die Befreiung aus der leidvol-len Welt, indem man ins Nirwana, in die absolute Leidlosigkeit eingeht. Es ist charakteristisch für den Hinayana-Buddhismus, dass man die Erlösung aus eigener Kraft erreichen kann. Es ist weder die Offenbarung eines gnädigen Gottes noch das Studium heiliger Schriften oder die Unterweisung eines Lehrers erforderlich.

Page 8: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

8

4.4 Der Edle Achtfache Pfad Im Edlen Achtfachen Pfad gibt Buddha einen Weg an, der zur Aufhebung des Leidens und damit zum Eingang ins Nirwana führt. Es handelt sich grundsätzlich um die Unterstützung eines Erkenntnisvorganges, der die Wahrheit der drei ersten Edlen Wahrheiten einsichtig ma-chen soll. Es geht also nicht um das mystische Eins-Werden mit etwas Transzendentem, wie es sich spätere buddhistische Schulen vorstellen. Man kann davon ausgehen, dass etwas Transzen-dentes bei Buddha selbst nicht vorkommt. Diese Vorstellungen haben sich erst später im Ma-hayana entwickelt. Der Edle Achtfache Pfad gibt die folgenden Hinweis, die sich in drei Gruppen zusammenfas-sen lassen: Weisheit und Einsicht * Rechte Erkenntnis * Rechte Absicht und rechter Entschluss Sittliches Verhalten * Rechte Rede * Rechtes Handeln * Rechte Lebensweise Meditation * Rechtes Bemühen * Rechte Achtsamkeit * Rechtes Sich-Versenken Für jeden dieser Pfade gibt es ausführliche Kommentare, die im Einzelnen beschreiben, was ein jeder der Pfade empfiehlt. Siehe hierzu auch: http://www.satinanda.de/thema-01/achtfachepfad.html 5 Einsicht und Meditation Die Erlösung wird möglich, wenn man sich nach den Vier Edlen Wahrheiten richtet. Hierbei geht es ganz besonders um die Einsicht und um die Erkenntnis vom zyklischen Ablauf des Weltgeschehens, vom Entstehen in Abhängigkeit und vom Nicht-Selbst. Diese Einsicht gewinnt man nicht ausschließlich durch rationales Nachdenken. Vielmehr um-fasst diese Einsicht die ganze Persönlichkeit und bedeutet ein allumfassendes Gewahrwer-den, das nicht nur den Verstand sondern den ganzen Menschen betrifft. Ein Weg, der mithilft, zu dieser Einsicht zu gelangen, ist die Meditation. Im Laufe der Zeit haben sich zum Teil recht unterschiedliche Meditationsformen mit zum Teil unterschiedlichen Zielen ausgebildet. Auf Buddha selbst geht die wohl älteste Meditati-onsform des Vipassana zurück. Vipassana führt über ruhige Konzentration und Achtsamkeit zur Einsicht. 5.1 Ruhige Konzentration Der erste Schritt besteht aus der ruhigen Konzentration. Ziel ist es, die auf das eigene Wohl-ergehen gerichteten Sorgen und das rastlose Beschäftigsein mit den Misslichkeiten des All-tags auszublenden. Tiefer, innerer Frieden, der das ganze Bewusstsein erfüllt, stellt sich ein.

Page 9: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

9

Man erreicht diesen Zustand, indem man eine bestimmte Körperhaltung einnimmt und dabei seine Aufmerksamkeit auf den Atem richtet und hierbei auf das Heben und Senken der Bauchdecke beobachtet. 5.2 Achtsamkeit Achtsamkeit ist der zweite Schritt im Vipassana. Wenn Ruhe und innerer Frieden tief und ausdauernd genug geworden sind, ist der Geist in der Lage, die Fülle des gegenwärtigen Augenblicks wahrzunehmen, ohne etwas zu beurteilen und gedanklich zu bewerten. Nichts wird weggeschoben oder festgehalten. Man ist selbst nur da und lässt die Dinge sein, wie sie sind. Man ist einfach nur ein achtsamer, in sich ruhender Beobachter. 5.3 Einsicht Ruhige Konzentration und Achtsamkeit sind kein Selbstzweck. Sie sind die notwenigen Vo-raussetzungen für die Einsicht, auf die es allein ankommt. So wie ein durch aufgewühlten Schlamm getrübtes Wasser wieder klar wird, sobald es ruhig gestellt ist und der Schlamm sich setzt, so wird der Geist durch ruhige Konzentration und sorgsame Achtsamkeit gereinigt, so dass sich ihm die Unbeständigkeit allen Seins und die Unwirklichkeit des eigenen Ichs bewusst wird. Diese Einsicht führt schließlich zur Erlösung und damit zur Befreiung aus dem leidvollen Samsara. 6 Der Arhat Ein Arhat im Hinayana ist ein Heiliger, der sich bereits von Gier, Hass und Verblendung be-freit hat und damit nach seinem Tod in das Nirwana eingehen wird. Das Erreichen dieses Zu-standes als Arhat ist das höchste Ziel, das man als Mensch erreichen kann und macht damit den Lebenssinn aus. Der einzige Weg, der zum Zustand eines Arhat führt, besteht in der Meditation des Vipassa-na. Diese Meditation ist allerdings nur für Mönche und Nonnen möglich. Das bedeutet, dass nur eine ganz kleine, ausgewählte Gruppe der Menschen in der Lage ist, ein Arhat zu werden und damit ins Nirwana einzugehen. Alle Nicht-Mönche, die normalen Menschen sozusagen, haben nur die Möglichkeit, durch eine gute Lebensführung ihr Karma zu verbessern, um damit im nächsten Leben dafür zu sorgen, dass das neue Individuum in besseren Umständen erscheint und damit dem erstrebten Zustand eines Arhat wieder etwas näher gekommen ist. Im späteren Buddhismus wird diese Einschränkung aufgehoben. Jetzt besteht für jeden Men-schen bereits in seinem jetzigen Leben die Möglichkeit, dem Samsara zu entfliehen und ins Nirwana einzugehen. Aus diesem Grund wurde später der frühe Buddhismus als Hinayana, als Kleines Fahrzeug bezeichnet, weil es nur für ganz wenige Auserwählte den Raum zur Er-lösung bereitstellt. Mahayana, das Große Fahrzeug dagegen bietet allen Lebenden die Gele-genheit und den Raum, ins Nirwana einzugehen. 7 Die Weiterentwicklung des Hinayana-Buddhismus zum Mahayana-Buddhismus Der Hinayana-Buddhismus vertritt Vorstellungen, die für den Alltagsverstand sehr schwer nachvollziehbar sind und daher hohe intellektuelle, spirituelle und praktische Anforderungen stellen. Dazu kommt, dass er den Bedürfnissen des durchschnittlichen Menschen nicht ge-

Page 10: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

10

recht wird. So ist es nicht verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit grundlegende Verände-rungen ergeben haben. Es hat sich der Mahayana-Buddhismus entwickelt. Es sind im Wesentlichen vier Gesichtspunkte, durch die sich das Mahayana vom Hinayana unterscheidet und die das Mahayana charakterisieren: * Die Leerheit Im Hinayana gibt es nicht Bleibendes oder Beständiges. Alles unterliegt ohne Ausnahme dem Samsara. Das Mahayana nimmt dem gegenüber etwas Absolutes und Ewiges an, das unge-schaffen und unveränderlich allem Sein zugrunde liegt. Es wird Shunyata, Leerheit genannt. Damit ändert sich auch die Meditationsform grundlegend. Sie führt jetzt zum Bewusstwerden, dass alles an einem Absoluten und Ewigen teilhat. Hierzu gehört auch das individuelle Ich. * Die Buddha-Natur aller Menschen Jeder Mensch besitzt im Mahayana einen Wesenskern, der mit dem Absoluten identisch ist. Dieser Wesenskern macht die Buddha-Natur aus. Erlösung besteht in der Wahrnehmung und Erkenntnis der eigenen Buddha-Natur. Im Hinayana haben nur die Mönche die Möglichkeit, sich mit Hilfe der Meditation aus dem leidvollen Samsara zu befreien. Da im Mahayana jedoch jeder Mensch an der Buddha-Natur teilhat, steht jetzt auch jedem Menschen der Weg zur Erlösung offen. Jeder kann ein Buddha werden. * Das Mitleid und eine erweiterte Ethik Das Hinayana sieht den Lebenssinn in der individuellen Erlösung. Das Mahayana überwindet diese eher egoistische Einstellung, indem das Mitleid mit den Mitmenschen in den Vorder-grund tritt. Nicht mehr die Erlösung des eigene Ichs, sondern vielmehr das Bedürfnis, anderen Menschen zur Erlösung zu verhelfen, wird erstrebenswert. * Buddhas und Bodhisattvas Der Mensch Buddha wird im Mahayana zu einem transzendenten Wesen, das auch nach der Erlösung nicht ausgelöscht ist sondern in neue Form weiter existiert. Man erhält damit eine Bezugsperson, an die man sich in Not und Leid wenden kann, um Hilfe zu erbitten. Buddha wird damit zu einer Gott-ähnlichen Figur. Dazu kommen als neue Gestalten die Bodhisattvas hinzu. Es handelt sich um Wesen, die kurz vor der Erleuchtung und damit vor der Erlösung stehen, auf die Erlösung jedoch bewusst ver-zichten, um aus Mitleid den noch unerlösten Menschen beizustehen. 8 Kritische Zusammenfassung Man kann zur Überzeugung kommen, dass der Hinayana-Buddhismus mit der Betonung der Leidhaftigkeit der Welt eine pessimistische Weltanschauung ist. Erlösung gibt es nur, indem man die Einsicht in die Vier Edlen Wahrheiten gewinnt und damit aus dem Kreislauf des Samsara ausscheidet. 8.1 Das Leid Da das Leid ein grundlegender Bestandteil der Welt ist, besteht auch keine Möglichkeit, et-was gegen diese Leid zu tun. Aktive Gegenwartsgestaltung ist sinnlos und führt nur zu einer fortgesetzten Bindung an die Welt. Damit wird die Möglichkeit, Lebenszufriedenheit trotz des unbestreitbaren Leids in der Welt zu erlangen, als unmöglich abgelehnt. Der humanistische Grundgedanke, den Sinn des Lebens zu erreichen, indem man die im Menschen angelegten Eigenschaften und Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung bringt und damit Glück erlebt,

Page 11: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

11

ist nach buddhistischer Auffassung der falsche Weg. Man verstrickt sich dadurch nur immer tiefer in die Illusion, die daran hindert, das wahre Wesen der Welt zu erkennen. In dieser Situation bleibt als einziges Lebensziel, sich selbst um die eigene Erlösung zu be-mühen. Hieraus folgt eine Haltung, die einen egoistischen Charakterzug aufweist. 8.2 Die Meditation Buddhistische Meditation genießt in der gegenwärtigen, westlichen Welt hohe Aufmerksam-keit. Man empfindet sie als einen grundlegenden und überzeugenden Weg, der zur Spirituali-tät führt. Hierbei spielt sicher auch die Attraktivität eine Rolle, die alles Neue und bisher Un-gewohnte ausstrahlt. Gerade aus diesem Grund ist es angezeigt, sorgfältig zu prüfen, in wie weit sich die Zusagen, die die die buddhistische Meditationsform des Vipassana macht, tatsächlich einhalten lassen. Man wird dann zu einer kritischen Beurteilung kommen müssen. 8.2.1 Der erste Schritt – Die ruhige Konzentration Zunächst soll der erste Schritt untersucht werden, der durch die Körperhaltung die Atemtech-nik befähigen soll, die Sorgen und Probleme des Alltags hinter sich zu lassen und zu ruhiger Konzentration zu kommen. Nun kann man sich jemanden vorstellen, der durch ernsthafte und tiefgreifende Schwierigkei-ten in der Familie oder in seinem Beruf bedrückt wird, oder der unter einer schweren Krank-heit leidet. Ist es denkbar, dass diese Person durch entsprechende Körperhaltung und Atem-technik in der Lage ist, seine Probleme zu lösen und zu ruhiger Konzentration zu gelangen? Es kann sein, dass sich für die Dauer der Meditation tatsächlich die Sorgen für eine Weile verdrängen lassen. Man kann jedoch davonausgehen, dass sie mit unverminderter Stärke wie-der erscheinen, sobald die Ablenkung durch die Meditation vorüber ist. Wäre es viel nicht besser, mit weltzugewandter Entschlossenheit zu versuchen, die Probleme zu bewältigen anstatt sie zu verdrängen und sich dazu zu bringen, sie nicht wahrzunehmen? 5.4.2 Der zweite Schritt – Die Achtsamkeit Man kann sich fragen, ob Achtsamkeit erstrebenswert ist. Ist es tatsächlich wünschenswert, die Geschehnisse der Welt ohne Anteilnahme und ohne Betroffenheit nur von außen zu be-trachten? Möchte man auf Freude, aber auch auf Leid verzichten? Möchte man sich wirklich durch nichts anrühren zu lassen und mit Teilnahmslosigkeit alles an sich abprallen lassen? Ist man unter diesem Umständen nicht schon psychisch tot? Entgleitet nicht auf diese Weise al-les, was das Leben in seiner Füllte bieten kann? Wird man am Ende des Lebens sagen kön-nen, dass das Leben lebenswert war, wenn man nie gelacht oder geweint hat, wenn man sich für nichts engagiert oder eingesetzt hat und wenn alles gleichgültig war? 5.4.3 Der dritte Schritt – Die Einsicht Es wird zu oft übersehen, dass ruhige Konzentration und bedachtsame Achtsamkeit nicht um ihrer selbst betrieben werden sollen. Sie sind nur die Voraussetzungen für die Einsicht in die Unbeständigkeit alles Seins und in die Unwirklichkeit des eigenen Ichs. Die Meditation hat einzig und allein den Zweck, zu dieser Einsicht hinzuführen. Nun kann man mit gutem Grund daran zweifeln, dass die Meditation zu der gewünschten Ein-sicht führt. Um herauszufinden, was es ist, woraus die Welt besteht und welche Bedeutung der Mensch in dieser Welt hat, ist vielmehr weltzugewandtes, empirisches Denken erforder-lich. Wie kann man etwas über die Welt und den Menschen herausfinden wollen, wenn man sich nur in sich selbst versenkt und den Blick nur nach innen und nicht nach außen richtet? Eine kritische Prüfung der Ansprüche des buddhistischen Vipassana muss zu dem Ergebnis kommen, dass diese Ansprüche sich nicht einlösen lassen.

Page 12: Prof. Dr. B. Schmidt - Lehre des Hinayana · 2013-09-30 · Das Hinajana ist die älteste Schule. Sie wird deswegen auch als Theravada (Schule der Alten) bezeichnet. Hier haben sich

12

An dieser Stelle wurde nur die Meditationsform des Vipassana untersucht. Man muss jedoch darauf hinweisen, dass die weiteren Meditationsformen, die später z.B. vom Mahayana oder vom Zen entwickelt wurden und die auf anderen metaphysischen Grundlagen aufbauen, eben-falls nur schwer nachzuvollziehen sind.