Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa · Bund muss Sachkompetenz, da für ihn bloss...

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Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften [email protected] Universität des Saarlandes, WS 2014/15 Vorlesung „Staatsrecht I“ Nr. 8: Verwaltung

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Prof. Dr. Dagmar RichterINP PAN Warszawa

Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften [email protected]

Universität des Saarlandes, WS 2014/15

Vorlesung „Staatsrecht I“

Nr. 8: Verwaltung

Grundsatz der Länderexekutive:

Exekutive = Staatsgewalt, welche insbes. die Gesetze kraft hoheitlicher Befugnisse ausführt; alle staatliche Tätigkeit, die weder Legislative noch Jurisdiktion unterfällt. Exekutive umfasst Regierungstätigkeit/ Staatsleitung (Gubernative) und Verwaltung (Administration).

Bsp. Verwaltungstätigkeit: Erlass eines Verwaltungsakts (z.B. Baugenehmigung) gegenüber Privatperson.

(1) Bundesländer führen die Landesgesetze aus.Selbstverständlichkeit! Einzelheiten ergeben sich aus Landesrecht.

(2) Art. 83 GG → Bundesländer führen grundsätzlich auch die Bundes-gesetze aus, soweit der Bund nicht ausdrücklich nach Art. 84 ff. GG ermächtigt ist, das Verwaltungsverfahren zu regeln oder Strukturen der Bundesverwaltung zu errichten .

(Anders z.B. USA: Bundesverwaltung zur Ausführung der Bundesgesetze).

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Gesetzesakzessorische Verwaltung:

→ Verwaltung vollzieht Gesetze durch Ausführungs- bzw. Anwendungsakte.

Nicht gesetzesakzessorische Verwaltung:

→ gestaltende oder fördernde Verwaltung außerhalb der Pflichtaufgaben (z.B. Kulturförderung).

„Gesetzesfreie Verwaltung“ gibt es streng genommen nicht, da immer Grundrechtsbindung besteht (Art. 1 III GG).

Privatrechtliches Handeln der Verwaltung:

→ Verwaltung handelt in privater Rechtsform; unterliegt dabei besonderen Bindungen hinsichtlich „Ob“ und „Wie“, u.a.:

� Hoheitliche Kernbereiche dürfen nicht privatisiert werden;

� Verwaltung kann sich bestimmten Bindungen (Grundrechte, Kompetenz-ordnung) nicht durch Privatisierung entziehen („Verwaltungsprivatrecht“).

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Vollzug der Landesgesetze → nach Landesrecht in den Grenzen des Art. 28 GG; keinerlei Beteiligung des Bundes.

Vollzug der Bundesgesetze → i.d.R. durch Länder (Landesbehörden, Verfahrensrecht der Länder), ausnahmsweise durch den Bund (Bundesbehörden, Verfahrensrecht des Bundes) gem. Art. 83 ff. GG.

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LANDES-VERWALTUNG

KOMMUNAL-VERWALTUNG

Art. 83 ff. GG als System:

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Vollzug der Bundesgesetze

durch die Länder

Landeseigen-verwaltung

Art. 83 f. GG (Regel)

Bundesauftrags-verwaltungArt. 85 GG

(Ausnahme)

durch den Bund

Bundeseigen-verwaltung

Art. 86 i.V.m. 87 ff. GG

(Große Ausnahme)

Verhältnis zwischen Gesetzgebungskompetenz und Verwaltungskompetenz des Bundes:

� Gesetzgebungskompetenz ist äußerste Grenze jeglicher Verwaltungskom-petenz des Bundes!

� Insgesamt gilt für das Verhältnis Gesetzgebungskompetenz –Verwaltungskompetenz:

„Es entspricht einem Grundsatz des deutschen Verfassungsrechts, daß die

Bundeskompetenzen zur Gesetzgebung weiter reichen als die zur Verwal-

tung …“

(BVerfGE 12, 205, 229 – Deutschland-Fernsehen).

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Landeseigenverwaltung (Art. 83, 84 GG):

Regel: Führen Länder Bundesgesetze „als eigene Angelegenheit“ aus (Art. 83 GG), besitzen sie gem. Art. 84 I 1 GG Gesetzgebungskompetenz (!) in Bezug auf das

� Organisationsrecht und

� Verwaltungsverfahrensrecht.

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Landeseigenverwaltung (Art. 83, 84 GG):

Sondermechanismus Nr. 1 (seit Föderalismusreform neuer Art. 84 I 2 GG)

Abgehen von der Regel: Besitzt Bund Gesetzgebungskompetenz (Art. 71 ff. GG), darf er entgegen der Regel (Art. 84 I 1 GG) auch Regelungen zur Gesetzesausführung (Organisation und Verwaltungsverfahren) treffen – ohne Zustimmung des Bundesrats!

Gegenmaßnahmen: Länder dürfen davon abweichende Regelungen erlassen (Art. 84 I 2-4 GG → selber Abweichungsmechanismus wie bei Art. 72 III GG).

Resultat des neu gefassten Art. 84 I GG: Viel weniger Zustimmungsgesetze und weniger Vermittlungsverfahren!

Sondermechanismus Nr. 2 (Art. 84 I 5-6 GG)

Bei „besonderem Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung“ kann Bund (nur) das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit regeln – aber nur mit Zustim-mung des Bundesrats.

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Regelungsverbote:

� Verbot des Zugriffs auf Gemeindeebene: Bund darf Gemeinden bzw. Gemeinde-verbänden keine Aufgaben übertragen (Art. 84 I 7 GG). Das dürfen nur die Länder!

� Verbot der Mischverwaltung/ Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahr-nehmung: Verantwortlichkeit für Handeln mit Außenwirkung (Privatpersonen gegenüber) liegt entweder beim Bund oder beim Land

→ Klarheit der Kompetenzordnung: Bürger müssen wissen, gegen wen sie klagen können und wen sie abwählen müssen; kein „Hin- und Herschieben“ der Verant-wortung!

Rechtliche Herleitung: Art. 83 GG i.V.m. Demokratieprinzip.

Dazu: BVerfGE 119, 331 ff. (ARGE/ Hartz IV)

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BVerfGE 119, 331 (365) – ARGE/Hartz IV:

„Die Kompetenzaufteilung nach Art. 83 GG ist eine wichtige Ausformung des bundesstaat-lichen Prinzips des Grundgesetzes und dient dazu, die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen (…). Die Verwal-tungszuständigkeiten von Bund und Ländern sind grundsätzlich getrennt und können selbst mit Zustimmung der Beteiligten nur in den vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen zusam-mengeführt werden. Zugewiesene Zuständigkeiten sind mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen. Ausnahmen hiervon sind nur in seltenen Fällen und unter engen Voraussetzungen zulässig. …

… Das Grundgesetz schließt, von begrenzten Ausnahmen abgesehen, auch eine sogenannte Mischverwaltung aus. …

Die Regelungen der Art. 83 ff. GG … …. lassen freilich auch erkennen, dass die Verwaltungs-bereiche von Bund und Ländern in der Verfassung nicht starr voneinander geschieden sind.

Aus Sicht des Bürgers bedeutet rechtsstaatliche Verwaltungsorganisation ebenfalls zualler-erst Klarheit der Kompetenzordnung; ... … Eine hinreichend klare Zuordnung von Verwal-tungszuständigkeiten ist vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich, …

Daran fehlt es aber, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine klare Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen. Der Bürger muss wissen können, wen er wofür – auch durch Vergabe oder Entzug seiner Wählerstimme – verantwortlich machen kann. …

Von dem Gebot, die Aufgaben eigenverantwortlich wahrzunehmen, darf nur wegen eines besonderen sachlichen Grundes abgewichen werden.“

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Spezielle Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes (Art. 84 II-V GG):

� Erlass von Verwaltungsvorschriften – aber nur mit Zustimmung des Bundesrates (Art. 84 II GG). Beispiel: Richtlinien zur Auslegung oder Ermessensausübung.

� Bundesaufsicht = bloße Rechtsaufsicht, keine Fachaufsicht (Art. 84 III GG): Bund kann nur Rechtmäßigkeit, aber nicht Zweckmäßigkeit des Vollzugs der Bundes-gesetze beeinflussen. Instrumente: Beauftragte ins Land entsenden und (als „Minus“ erlaubt): Berichte und

Informationen einfordern.

� Verleihung der Befugnis an BReg, obersten Landesbehörden „für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen“, durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundes-rates (Art. 84 V GG). „Besondere Fälle“ müssen sich vom Normalfall des Vollzugs unterscheiden!

Beispiel: Unzulässig wäre z.B. Erfordernis der Zustimmung der BReg für jede Verleihung der

deutschen Staatsangehörigkeit.

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Instrumente des Bundes bei rechtswidrigem Vollzug durch Länder (Art. 84 IV GG):

1. Mängelrüge der Bundesregierung;

2. Beschluss des Bundesrates, ob Rechtsverletzung vorliegt;

3. Anrufung des BVerfG „gegen den Beschluss des Bundesrates“.

4. Land vollzieht trotz Verurteilung durch BVerfG nicht: Bund kann Bundeszwang (Art. 37 GG) anwenden.

Kosten der Landeseigenverwaltung:

� Kosten trägt grds. das Land (Art. 104a I GG).

� Begründet das Bundesgesetz Leistungsansprüche zugunsten Dritter mit Zahlungs-pflicht zulasten der Länder → ZusNmmung des Bundesrates erforderlich (Art. 104a III GG).

� Zustimmungsbedürftigkeit gem. Art. 104a III GG kann vermieden werden, indem Bund die Kosten von Geldleistungen selbst übernimmt (Art. 104a II GG).

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Bundesauftragsverwaltung durch Länder (Art. 85 GG):

→ Form der Landesverwaltung (!), die aber unter starkem Einfluss des Bundes steht. Zwei Möglichkeiten der Begründung von Auftragsverwaltung:

1) Enumerative Aufzählung im GG

� Art. 87 b II (Verteidigung und Zivilschutz); Art. 87 c (Erzeugung und Nutzung der Kern-energie); Art. 87 d II (Luftverkehrsverwaltung); Art. 89 II (Verwaltung der Bundeswasser-straßen); Art. 90 II (Verwaltung der Bundesfernstraßen); Art. 108 III 1 (Verwaltung betr. Einkommen-, Körperschaft- u. Umsatzsteuer).

Charakteristisch: Einerseits Einflussnahme des Bundes, andererseits Ortsnähe des Landes vorteilhaft.

Zumeist „kann“ der Bund die Auftragsverwaltung wählen (fakultative Auftragsver-waltung). Wählt er sie nicht, gelten Art. 83 f. GG. Obligatorische Auftragsverwal-tung: Art. 90 II, 104a III 2, 108 III 1 GG.

2) Art. 104 a III 2 GG

→ Bund kann Katalog der Auftragsverwaltung erweitern, sofern er mehr als die Hälfte der Ausgaben trägt, die Bundesgesetz verursacht!

Beispiel: BAföG → Bund trägt Kosten (§ 56 BAföG) → AuQragsverwaltung!

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Bund-Länder Verhältnis bei Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG):

� Bund übt Rechts- und Fachaufsicht aus (Art. 85 IV GG).

� Bund hat Direktions- und Weisungsrecht gegenüber obersten Landesbehörden (Art. 85 III GG). Voraussetzungen:

� Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis als solche muss verfassungsgemäß sein (Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Art. 85 III GG), aber:

� Entscheidung zur Inanspruchnahme ist keine Ausnahme und unterliegt keiner Rechtfertigung;

� Bund darf nicht nur Schlussentscheidung anweisen, sondern auch „informal“ handeln, z.B. Art der Sachverhaltsermittlung vorgeben.

� Weisung muss klar erteilt werden und als solche erkennbar sein (Gebot der Weisungsklarheit).

� Diverse Einflussmöglichkeiten des Bundes auf Organisation und Verfahren (Art. 85 I, II GG).

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Bedeutung und Verhältnis dieser Befugnisse

→ Wahrnehmungskompetenz liegt ausschließlich beim Land: Handeln nach außen (Bürgern gegenüber) erfolgt immer im Namen des Landes, kein Selbsteintrittsrecht des Bundes.

→ Sachkompetenz (Sachbeurteilung und -entscheidung) liegt grds. beim Land, steht aber unter Vorbehalt der Inanspruchnahme durch Bund.

Bund muss Sachkompetenz, da für ihn bloss „Reservezuständigkeit“, eigens auf sich überleiten (aktivieren), indem er Weisungsrecht erkennbar in An-spruch nimmt.

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Bund-Länder Verhältnis bei Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG):

Grenzen der Einwirkung auf das Land

� Verbot der Übertragung von Aufgaben an Gemeinden oder Gemeindeverbände (Art. 85 I 2 GG).

� Grundsatz der Bundestreue (Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten)

→ Rücksichtnahme auf das Land bez. Modalitäten der Ausübung des Weisungs-rechts, d.h. Bund muss Land Gelegenheit zur Stellungnahme geben und bevor-stehende Weisung ankündigen.

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Bund-Länder-Streitigkeiten betreffend Kernenergie:BVerfGE 81, 310 ff. (Kalkar); 84, 25 ff. (Schacht Konrad); 100, 249 ff. (Atomleitlinien); 104, 249 ff. (Biblis).

I. Rechtsgrundlage für Weisung1. Art. 85 III GG2. AuQragsverwaltung → folgt aus Art. 87c i.V.m. Art. 74 Nr. 11a GG.3. Ingebrauchnahme der fakultaNven AuQragsverwaltung durch Bundesgesetzgeber → § 24 AtomG.

II. Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Weisungsrechts1. Formelle RM

a. Zuständigkeit des Bundesministers (Art. 85 III 1 GG).b. Verfahren → gesteigerte Anforderungen aus Grundsatz der Bundestreue (Gelegenheit zur

Stellungnahme, Androhung der Weisung).

2. Materielle RMa. Erteilung der Weisung nur an Landesminister (Art. 85 III 1 GG).b. Inanspruchnahme (Aktivierung) der Sachkompetenz des Bundes durch Weisung.c. Kein Übergriff in die Wahrnehmungskompetenz des Landes.d. Beachtung des Gebots der Weisungsklarheit.

III. Abwehrbefugnis des Landes?1. Rechtswidrigkeit des Inhalts der Weisung? → begründet kein Verweigerungsrecht des Landes; Land

muss gegen Bund klagen.

2. Verteidigung der Grundrechte des Landesvolk? → Grundrechte sind Abwehrrechte Einzelner gegen den Staat, kein Instrument für den Staat zur Verschiebung der Kompetenzordnung! 17

Bundeseigene Verwaltung

→ Art. 86 GG: Bund regelt ausnahmsweise BehördenorganisaNon und Verwaltungs-verfahren selbst.

Aber: Art. 86 GG setzt Bestehen einer Verwaltungskompetenz des Bundes voraus. Diese sind im GG enumerativ geregelt (Art. 87 ff. GG).

Art. 87 GG regelt

� in Absatz 1 → welche Gegenstände zur bundeseigenen Verwaltung gehören (Verwaltung durch Bundesbehörden). Weitere Gegenstände in Art. 87b, d, e GG etc.

� in Absatz 2 → welche Gegenstände durch mittelbare Bundesverwaltung ausge-führt werden (Zwischenschaltung von rechtsfähigen Körperschaften des öffent-lichen Rechts).

� in Absatz 3 (ebenso: Abs. 1 Satz 2) → wie die unmiTelbare und miTelbare Bundesverwaltung ausgedehnt werden kann (fakultative Bundesverwaltung).

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Unmittelbare Bundesverwaltung:

� „mit eigenem Verwaltungsunterbau“ (= Ausnahme). Enumerative Auflistung in Art. 87 I – 89 II GG.

Beispiele: Auswärtiger Dienst und Bundesfinanzverwaltung (Art. 87 I GG), Bundeswehr-

verwaltung (Art. 87b I GG).

� Durch selbständige Bundesoberbehörden (Art. 87 III GG) = Behörden unterhalb Ministerium mit Zuständigkeit für ganzes Bundesgebiet.

� Gewisse Verselbständigung, z.B. „Stempelrecht“ (aber keine Autonomie); � kein eigener Verwaltungsunterbau, � keine Rechtsfähigkeit;� Errichtung ohne Zustimmung des Bundesrats. Voraussetzungen:

� Bund hat Gesetzgebungskompetenz (Art. 87 III GG);

� Materie lässt sich durch Oberbehörde (ohne Mittel- und Unterbehörden) verwalten. Außenstellen sprechen grds. dagegen!

� Nicht erforderlich ist besonderer Bedarf für Bundesverwaltung!!

Beispiele (zahlreich!): Statistisches Bundesamt, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, Bundeskartellamt, Bundesamt für Strahlenschutz, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle, Bundesnach-richtendienst, u.s.w. (Siehe http://linkliste.beck.de/node/18503). 19

Mittelbare Bundesverwaltung:

→ durch „bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts“ (= verselbständigte juristische Personen, die unter Rechtsaufsicht des Bundes stehen).

„Unmittelbar“→ KdöR oder Anstalt agiert unmittelbar für den Bund (ist selbst Träger von Rechten und Pflichten);

„Mittelbar“ → Bundesverwaltung wird miTelbar über rechtlich selbständige juristi-sche Personen geleistet, nicht über Ministerium.

Beispiele: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte = KdöR (Art. 87 II GG)

Neuerrichtung gem. Art. 87 III GG (Voraussetzung wie bei selbständigen Bundesober-behörden).

Frage: Gibt es „Typenzwang“? → dürfen nur Formen des Art. 87 III GG genutzt werden oder erlaubt Art. 87 III GG auch ‚schwächere‘ Formen, z.B. nichtrechtsfähige Anstalten, schlichte Bundesstellen (so die Staatspraxis; str.).

Problem: Ministerien begründen „dislozierte Außenstellen“ mit regionaler Zuständigkeit → fakNsche Schaffung von Bundesverwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau (außerhalb der erlaubten Fälle)!

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Leitsätze:

→ Staat/Bund darf sich verfassungsrechtlicher Bindungen nicht entziehen, indem er in privatrechtlicher Rechtsform handelt (keine „Flucht ins Privatrecht“).

→ Verwaltung des Bundes in privatrechtlicher Form setzt voraus, dass Verwaltungs-kompetenz des Bundes besteht – zumindest wenn öffentliche Aufgabe erfüllt wird (str. für Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb).

Grundgesetzlich vorgesehene Privatisierungen:

→ betr. Telekommunikation, Post, Bahn: Art. 87f II GG, Art. 143a, 143b GG.

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Fallpraxis:BVerfGE 12, 205 ff. (Deutschland-Fernsehen [„Adenauer-Fernsehen“])

1960 gründete die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den BK Adenauer, und andere Gesellschafter die „Deutschland-Fernsehen-GmbH“. Diese sollte Fernseh-sendungen über Deutschland für das In- und Ausland machen.

� Kann die Gründung einer privaten GmbH Kompetenzen der Bundesländer verlet-zen?

� Worauf könnte erforderlichenfalls eine Kompetenz des Bundes gestützt werden?

� Ist Art. 83 GG anwendbar? Gegen welche Norm des GG wurde gfalls. verstoßen?

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Delegation von Rechtsetzungsbefugnis an die Exekutive ist nur in engen Grenzen erlaubt. Art. 80 I GG (entsprechende Vorschriften im Landes-verfassungsrecht) verlangt:

(1) Ermächtigung an die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen nur „durch Gesetz“ (Parlamentsgesetz).

(2) Besondere Anforderungen an die Ermächtigungsnorm

→ ErmächNgendes Gesetz muss „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der Ermächtigung hinreichend klar vorgeben, d.h. Gesetzgeber muss künftige Rechtsverordnungen in den Grundzügen „vorprogrammieren“.

(3) Besondere Anforderungen an die Verordnung

� Ermächtigungsgrundlage (Gesetz) ist in der Verordnung anzugeben (Zitiergebot).

� Regelungen der VO müssen sich im Rahmen der Vorgaben des Ermächtigungsgesetzes halten.

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BVerfGE 101, 1 ff. – Hennenhaltungsverordnung:

(36) Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muß das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entspre-chend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden. … Nach § 2 Nr. 2 TierSchG darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden, daß ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. …

(37) … Die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 HHVO getroffene Regelung, wonach für jede Henne eine uneingeschränkt benutzbare Käfigbodenfläche von mindestens 450 qcm vorhanden sein muß, entspricht diesen Vorgaben in der gesetzlichen Ermächtigung nicht. Gleiches gilt für die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 1. Halbsatz HHVO, wonach die uneingeschränkt nutzbare Länge des Futtertrogs für jede Henne mindestens 10 cm betragen muß. …

(38) Schon ein Vergleich der durchschnittlichen Körpermaße einer ausgewachsenen Legehenne (47,6 x 14,5 x 38 cm) mit der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 HHVO vorgesehenen Käfigbodenfläche von 450 qcm zeigt, daß in mit vier, fünf oder auch sechs Hennen besetzten Käfigen, wie sie in Deutschland derzeit in der Legehennenhaltung üblich sind, ein ungestörtes gleichzeitiges Ruhen der Hennen, … nicht möglich ist. ... Es ist auch nichts dafür ersichtlich, daß es etwa dem artgemäßen Ruhebedürfnis einer Henne entsprechen könnte, gemeinsam mit anderen Artgenossinnen auf- oder übereinander zu schlafen. …“

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BVerfGE 101, 1 ff. – Hennenhaltungsverordnung:

(41) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ist in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben. Das erfordert, daß nicht nur das ermächtigende Gesetz als solches, sondern die ermächtigende Einzelvorschrift aus diesem Gesetz in der Verordnung genannt wird. Will der Verordnunggeber nach seinem erkennbar geäußerten Willen von mehreren Ermächtigungsgrundlagen Gebrauch machen, so muß er diese vollständig in der Verordnung angeben.

(42) … Das Zitiergebot erfordert vor allem, daß die einzelne Vorschrift des Gesetzes genannt wird, in welcher die Ermächtigung enthalten ist. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, daß die Adressaten einer Verordnung deren Rechtsgrundlagen erkennen und ihre Einhaltung durch den Verordnunggeber nachprüfen können (…). …

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Öffentlicher Dienst i.e.S.:→ Personen, die zum Staat in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhält-nis stehen (z.B. Beamte, Richter, Berufssoldaten).

→ Besondere verfassungsrechtliche Anforderungen aus Art. 33 GG.

Öffentlicher Dienst i.w.S.:

→ BeschäQigte im öffentlichen Dienst auf Basis eines privatrechtlichen Arbeitsver-trages.

→ Normales Arbeitsrecht (insbes. §§ 611 ff. BGB).

→ Es gilt aber Art. 33 II GG (Leistungsprinzip, Prinzip der „Bestenauslese“): „Öffentliches Amt“ hängt von der Aufgabe, nicht von der Rechtsform der Anstellung ab.

Kein öffentlicher Dienst:→ Spezielle Gesetze für Minister, Abgeordnete, Parlamentarische Staatssekretäre, Notare.

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Inhalte des Art. 33 GG:→ Sinn und Zweck: Sicherung einer gesetzestreuen, nicht korrupten Verwaltung und unabhängigen Justiz als Basis der Funktionsfähigkeit des Staates.

� Leistungsprinzip oder Grundsatz der „Bestenauslese“ (Art. 33 II, III GG)

→ Zugang zum öffentlichen Dienst allein nach den Kriterien „Eignung“, „Befähi-gung“, „fachliche Leistung“; Ausschluss sachfremder Kriterien („Ämterpatronage“) oder verbotener Kriterien (Art. 33 III GG).

→ Einklagbar (s.a. Art. 93 I Nr. 4a GG).

� Funktionsvorbehalt (Art. 33 IV GG)

→ Ausübung „hoheitlicher Befugnisse“ ist „in der Regel“ Angehörigen des öff. Dienstes vorbehalten (Wahrnehmungsmonopol).

→ „Hoheitliche Befugnisse“ = Eingriffsverwaltung, Leistungsverwaltung – sofern besondere Grundrechtsrelevanz; nicht: Fiskalverwaltung.

Str.: Üben Lehrer und Lehrerinnen hoheitliche Befugnisse aus?

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Inhalte des Art. 33 GG (Fortsetzung):

� Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums

� Fürsorgepflicht des Dienstherrn;

� Amtsangemessene Alimentation;

� Treuepflicht der Bediensteten (Staats- und Gesetzestreue bzw. Verfassungstreue)

→ Sonderstatusverhältnis, aus dem Streikverbot folgen soll.

A.A. EGMR in Nr. 34503/97 – Demir und Baykara (2008) und Nr. 68959/01 – Enerji Yapi-Yol Sen (2009): Streikrecht darf auch für Beamte nicht pauschal ausgeschlossen werden (Art. 11 EMRK)!

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Art. 11 EMRK

→ enthält auch KoaliNonsrecht.

EGMR, Nr. 68959/01 – Enerji Yapi-Yol Sen (2009)

→ Streikrecht darf auch für Beamte nicht pauschal ausgeschlossen werden (Art. 11 EMRK)!

« 32. La Cour reconnait que le droit de grève n’a pas de caractère absolu. Il peut

être soumis à certaines conditions et faire l’objet de certaines restrictions. Ainsi, le

principe de la liberté syndicale peut être compatible avec l’interdiction du droit de

grève des fonctionnaires exerçant des fonctions d’autorité au nom de l’Etat.

Toutefois, si l’interdiction du droit de grève peut concerner certaines catégories de

fonctionnaires (voir, …), elle ne peut pas s’étendre aux fonctionnaires en général,

comme en l’espèce, ou aux travailleurs publics des entreprises commerciales ou

industrielles de l’Etat. Ainsi, les restrictions légales au droit de grève devraient

définir aussi clairement et étroitement que possible les catégories de

fonctionnaires concernées.«

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Art. 137 GG:

→ erlaubt dem Gesetzgeber, die Wählbarkeit von Angehörigen des öffent-lichen Dienstes (i.w.S.) zu beschränken.

→ dient der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung (Verhinderung von Interessenkonflikten bei BT-Abgeordneten, die gleichzeitig der Exekutive oder Judikative angehören und sich selbst kontrollieren könnten.

→ Wahlrecht darf nur beschränkt, nicht ausgeschlossen werden (Inkompati-bilität, nicht Ineligibilität).

→ Lösung: bloßes Ruhen des öff.-rechtl. Dienstverhältnisses während des Bestehens des Abgeordnetenmandats (§ 5 AbgG).

→ Problem: Überrepräsentanz der Angehörigen des öffentlichen Dienstes im BT: 190 von 631 (ca. 30%).

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Art. 35 I GG:

→ Verpflichtung aller Behörden des Bundes und der Länder (!), einander Amts- und Rechtshilfe zu leisten.

Amtshilfe: Behörde unterstützt andere Behörde oder Gericht.

Rechtshilfe: Gericht unterstützt Behörde oder anderes Gericht.

Sinn und Zweck: Gewaltenteilung und Kompetenzordnung dürfen nicht die Handlungsfähigkeit des Staates lähmen.

Spezialfall: Einsatz von Polizei und Bundeswehr in Krisensituationen (Art. 35 II, III GG). Siehe Lerneinheit „Bundeswehr“.

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Art. 35 I GG:

Umfang und Grenzen:

� Nur Unterstützung im Einzelfall → kein Unterlaufen der vorgegebenen Kompe-tenzordnung!

� Ersuchte Behörde darf Unterstützung nur im Rahmen ihrer Kompetenzen leisten.

� Art. 35 I GG ist nur Rahmenbestimmung über die Verpflichtung → Einzelheiten der Rechts- und Amtshilfe spezialgesetzlich geregelt (z.B. VwVfG).

� In grundrechtsrelevanten Bereichen ist ausführendes Parlamentsgesetz erfor-derlich (Rechtsstaatsprinzip, hier: Vorbehalt des Gesetzes).

z.B. kein Austausch personenbezogener Daten ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung – Art. 35 I GG genügt nicht!

� Ersuchte Behörde darf Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht infrage stellen. Verantwortung liegt bei ersuchender Behörde (i.E. str.).

� Amtshilfe darf nicht aufgedrängt werden.

� Art. 35 I GG verleiht nur der ersuchenden Behörde ein subjektives (einklagbares) Recht, nicht aber Privatleuten! Zuständig: Verwaltungsgerichte.

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Rechtsstaatsprinzip

→ MangelhaQe Beachtung der Gesetzesbindung (Art. 20 III GG) muss Konsequenzen

haben: Staat haftet grundsätzlich für Rechtsverletzungen seiner Organe/ Bedienste-

ten, soweit diese hoheitlich (nicht privatrechtlich) handeln.

→ Siehe auch Art. 340 AEUV: Amtshaftung der EU!

Historische Entwicklung in zwei Schritten:

1) § 839 I 1 BGB sieht persönliche Verschuldenshaftung des Beamten für Amts-

pflichtverletzung vor:

„Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber

obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden

zu ersetzen.“

2) Art. 34 S. 1 GG leitet Haftung auf den Staat über:

„Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm

einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit

grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“

Anspruchsgrundlage heute: Art. 34 GG i.V.m. § 839 I BGB.

Achtung: Haftung für Richtersprüche nur bei strafbarem Verhalten wie z.B. Rechts-

beugung (sog. Richterspruchprivileg, § 839 II BGB)! 33

� Welche Vor- und Nachteile hat die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder (Art. 83 GG)?

� Passt der öffentliche Dienst, insbes. das Berufsbeamtentum, noch in unsere Zeit?

� Warum ist das Verordnungsrecht ein gefährliches Instrument?

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