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Praktische Philosophie der Neuzeit

7. John Locke

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John Locke geb. 1632 (wie Spinoza, Pufendorf), Schulbesuch in Westminster1652 Oxford, Christ Church, bes. Chemie und Medizin. Frühe unveröffentlichte politische Schriften (beeinflusst von Hobbes) seit ca. 1655 Beschäftigung mit Descartes1666 Bekanntschaft mit Lord Ashley (später Begründer der Whig-Partei) dessen Arzt und Berater er wird.Seit 1667 wendet sich Locke unter dem Einfluß Shaftesburys gegen Hobbes1667 Essay über Toleranz1669-79 Frankreich (wegen Asthma)1679 Habeas Corpus Akte von Shaftesbury durchgesetzt1681 Shaftesbury wegen Umsturz im Tower (stirbt 1682 in Holland)1683 Flucht nach Holland (wegen Verdacht der Verschwörung, sein Freund Algernon Sidney 1681 hingerichtet)1688 Glorious Revolution

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1689 Bill of Rights, Lockes Brief zur Toleranz1690 Two Treatises of Government (der zweite schon 1682 verfaßt)1690 (u. 94) An Essay Concerning Human Understanding1692 Ökonomische Schriften1693 Some Thoughts Concerning Education1695 The Reasonableness of Christianity1704 Tod

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Allgemein:1. Lockes praktische Philosophie ist nicht so radikal „neuzeitlich“ wie die von Hobbes und Spinoza. Sie hat deutliche aristotelische und scholastische Einflüsse, beruht nicht auf der mechanistischen Naturphilosophie und der „restlosen“ Rechtsübertragung im Staatsvertrag.2. Aber Locke ist der erste moderne Erkenntnis-Kritiker, er begrenzt die Reichweite der Vernunft vor allem in der Naturerkenntnis. In ihr gibt es "nur" Wahrscheinlichkeits"wissen" (keine apodiktische Erkenntnis), die durch sinnliche Erfahrung mit Hilfe bestimmter "arteigener" Verstandesoperationen (reflections) erworben wird. 3. Apodiktische Erkenntnis ist dagegen die Selbst- und Gotteserkenntnis sowie die Erkenntnis der Grundlagen der Moral.4. Locke deutet die Unvollkommenheit und zugleich Vervollkommnungs-fähigkeit des menschlichen Intellekts theologisch als göttlichen Auftrag zur Vollendung des Schöpfungswerkes: an sich selber, der Gesellschaft und der Natur (Kultivierung).

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Locke teilt das philosophische Wissen am Ende der „Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (II, 437 f.) in drei Arten ein:  1. theoretisches (Wissen von der Art und Reichweite des Erkennens und den Grundbegriffen seiner Gegenstände, einschließlich einiger Beweise über sie) 2. praktisches (Wissen oder Für-wahr-halten der Grundsätze richtigen Handelns und die Kompetenz, sich danach zu verhalten)

3. semiotisches (Wissen von den Zeichen und Regeln der Fixierung und Mitteilung der Gedanken, Sprachkritik und formale Logik).

Die praktische Philosophie als zweiter Teil ist zumindest in den Grundlagen der demonstrativen Erkenntnis fähig: sie kann aus der Existenz und Güte des Schöpfers und des Verhältnisses zu seiner Schöpfung Folgerungen ziehen und die herrschenden moralischen Regeln daran messen. Von der Ausführung dieses Programms finden sich aber nur Spuren im 2. Kapitel des ersten Buches der „Untersuchung“ (Moral) und am Anfang der 2. Abhandlung über die Regierung („government“ eher: Staat).

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Lockes Gottesbeweis

1. Ich bin mir durch Bewusstsein meines Denkens und meiner Empfindungengewiss, als endliches, nicht selbst hervorgebrachtes Wesen zu existieren

2. Ich habe eine intuitive Gewissheit, dass aus Nichts kein Sein hervorgegangen sein kann - also muss von Ewigkeit her etwas bestanden haben.

3. Alles Entstandene muss sein Sein und seine Kraft von diesem Ewigen haben.

4. Dem ewigen Wesen muss Empfindung, Denken und Wissen zukommen, denn diese Eigenschaften können nicht aus der empfindungslosen Materie entstehen. Ein nicht empfindendes Wesen kann kein empfindendes erzeugen.

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Kriterien vernünftiger moralischer Gebote nach Locke:

(1)Können ihre Prinzipien als Gebote eines allweisen und allgütigen Gottes verstanden werden?

(2) Können sie das Glück der Menschen befördern und Unglück abhalten? (3) Können sie das friedliche Zusammenleben der Menschen regeln bzw. erleichtern?

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Locke, Naturzustand:  "Nichts ist einleuchtender, als dass Geschöpfe von gleicher Gattung und gleichem Rang, die ohne Unterschied zum Genuß derselben Vorteile der Natur und zum Gebrauch derselben Fähigkeiten geboren sind, ohne Unterordnung und Unterwerfung einander gleichgestellt leben sollen" (§ 6). "Denn alle Menschen sind das Werk eines einzigen, allmächtigen und unendlich weisen Schöpfers, die Diener eines einzigen souveränen Herrn, auf dessen Befehl und in dessen Auftrag sie in die Welt gesandt wurden. Sie sind sein Eigentum, da sie sein Werk sind, und er hat sie geschaffen, so lange zu bestehen, wie es ihm, nicht aber wie es ihnen untereinander gefällt. Und da sie alle mit den gleichen Fähigkeiten versehen wurden und alle zur Gemeinschaft der Natur gehören, so kann unter uns auch keine Rangordnung angenommen werden, die uns dazu ermächtigt, einander zu vernichten, als wären wir einzig zum Nutzen des anderen geschaffen... (Keiner) sollte das Leben eines anderen, oder was zur Erhaltung des Lebens dient: Freiheit, Gesundheit, Glieder oder Güter wegnehmen oder verringern - es sei denn daß an einem Verbrecher Gerechtigkeit geübt werden soll" (§ 6).

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Aber die Kenntnis der Existenz anderer Menschen ist nur wahrscheinlich:

"Deshalb mag es zwar höchst wahrscheinlich sein, daß z.Zt. Millionen Menschen existieren; ich habe jedoch, während ich hier allein sitze und dies niederschreibe, nicht die Gewißheit davon, die wir im strengen Sinne Wissen nennen. Allerdings schließt die starke Wahrscheinlichkeit für mich jeden Zweifel aus; ja es scheint mir vernünftig allerlei Dinge zu tun, in der Zuversicht, daß gegenwärtig auf der Welt Menschen leben, und zwar auch Menschen mit denen ich bekannt bin und zu tun habe. Immerhin bleibt dies nur Wahrscheinlichkeit aber kein Wissen" (Untersuchung II, 318).

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Prinzipien des Staatsrechts nach Locke (Second Treatise on Government)

1. Die Menschen sind von Gott als Gattung geschaffen und bleiben seinem Willen unterworfen.2. Sie sind in ihren ursprünglichen Rechten gleich, niemandem, auch dem König nicht, rechtlich unterworfen. Sie haben ein rechtliches Eigentum (property) an ihrem Leben, Körper, Bewegungsfreiheit und rechtlich angeeignetem Besitz (possession).3. Der Wille Gottes verlangt die Erhaltung der Gattung. Daraus folgt Selbstmordverbot und Pflicht, an der Gattungserhaltung mitzuwirken.4. Die Aneignung von Besitz durch „Mischung“ ihrer Tätigkeit mit der Natur darf daher im Naturzustand niemanden Lebensnotwendiges entziehen (Monopolverbot, Verbrauchsgebot, Verbesserung des unkultivierten Bodens). 5. Es ist jedem erlaubt, sein Leben gegen unmittelbare Gewalt mit allen Mitteln zu verteidigen. Der Schutz Dritter gegen Gewalt berechtigt zu einer natürlichen Strafgewalt, beschränkt auf Abschreckung und Wiedergutmachung.

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6. Der Naturzustand relativ unabhängiger Familien ist unter günstigen Bedingungen stabil (gegen Hobbes), aber bedroht durch die „Privatjustiz“.7. Bevölkerungswachstum, entstehende Knappheit und der Übergang zur Geldwirtschaft setzt die naturrechtlichen Grenzen (4.) außer kraft und entfesselt die Leidenschaften der Habsucht, Herrschsucht, Ehrsucht.8. Historisch entsteht die Herrschaft über größere Gruppen durch den Übergang vom Sippenältesten zum Heerführer und zum richtenden König. Gegen unbegrenzte Königsherrschaft verlangen die Naturrechte aller aber die Begrenzung der Herrschaft durch Vertrag bzw. Beauftragung (compact, trust).9. Zweck der Beauftragung bzw. Staatszweck ist der Schutz der natürlichen Rechte der Individuen (life, liberty, integrity, possession). 10. Dazu müssen die Kompetenzen der Gesetzgebung (Parlament), der Regierung (Exekutive) und der Außenvertretung (Föderative – Verhandeln und Kriegführen) getrennt werden. Staatliche Strafe muss sich an den naturrechtlichen Strafzwecken (5.) orientieren.

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11. Das Recht, sich selber zu verteidigen, bleibt aber erhalten, wenn man durch Gewalt unmittelbar bedroht ist und unparteiischer (nicht korrupter) staatlicher Rechtszwang nicht in Anspruch genommen werden kann.12. Dieses Recht steht auch dem Volk zu, wenn der König oder seine Regierung die Rechte missachten und den Vertragszweck (trust) verletzen. Dann gibt es ein Recht zum Widerstand, das nach Ausschöpfen aller legalen Mittel zur Anrufung des himmlischen Richters und zur Herbeiführung eines „Gottesurteils“ (Widerstandskampf) führen kann.

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Aber die Kenntnis der Existenz anderer Menschen ist nur wahrscheinlich:

"Deshalb mag es zwar höchst wahrscheinlich sein, daß z.Zt. Millionen Menschen existieren; ich habe jedoch, während ich hier allein sitze und dies niederschreibe, nicht die Gewißheit davon, die wir im strengen Sinne Wissen nennen. Allerdings schließt die starke Wahrscheinlichkeit für mich jeden Zweifel aus; ja es scheint mir vernünftig allerlei Dinge zu tun, in der Zuversicht, daß gegenwärtig auf der Welt Menschen leben, und zwar auch Menschen mit denen ich bekannt bin und zu tun habe. Immerhin bleibt dies nur Wahrscheinlichkeit aber kein Wissen" (Untersuchung II, 318).

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Lockes Theorie des Privateigentums

1. Ursprünglich (im Naturzustand) gehört jeder Gott und (danach) sich selber, keiner ist rechtlich einem anderen unterworfen.

2. Die Gegenstände der Natur gehören niemandem (als Privateigentum) bzw. allen (für jeden zu gebrauchen).

3. Jeder soll (und will) sich selbst und die Menschengattung erhalten.

4. Dazu braucht er äußere Hilfsmittel.

5. Wenn er das ihm Eigene, die Kräfte seines Körpers und Geistes („Arbeit“), mit den äußeren Gegenständen „mischt“, d.h. deren natürliche Lage bzw. Zustand ändert, gewinnt er Eigentum an diesen. Dazu gehört auch, andere mit deren Zustimmung nach eigenen Ideen und mit erworbenen Mitteln arbeiten zu lassen (Arbeit des Knechtes mit dem Pferd des Eigentümers).

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6. Die Zustimmung aller kann unterstellt werden, wenn diese dadurch nicht geschädigt werden.

7. Das setzt im Naturzustand voraus, die angeeigneten Gegenstände auch zu verbrauchen und genügend davon für andere übrig zu lassen. Gegenstände, die nicht unmittelbar verbraucht werden (Äcker, Nutzpflanzen etc.), müssen durch die Bearbeitung im Wert für alle gesteigert werden.

8. Diese Grenzen des naturrechtlichen Privateigentums werden durch die Einführung der Geldwirtschaft, die mit stillschweigender Zustimmung aller erfolgt, aufgehoben: Man kann Vorräte unverderblicher Wertträger anhäufen.

9. Die dadurch entstehende ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht muss aber durch staatliche Gesetze zum Schutz der Rechte jedes Bürgers beschränkt werden.

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Zwei Traditionslinien:

1. Privateigentum ist vorstaatliches Recht, der Staat muss das Eigentum an Sachen und Arbeitsleistungen schützen (Federalist Papers, Liberalismus des 19. und 20. Jahrhunderts).

2. Das Eigentum an Produkten kommt dem Arbeiter zu, der sie hergestellt hat. Der Verkauf dieser Produkte durch den Eigentümer der Produktionsmittel ist Enteignung und Ausbeutung der Arbeiter. Privateigentum an Produktionsmitten muss verstaatlicht werden. (Sozialismus, Marxismus).

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Welche Rezeption wird von Lockes Texten gestützt?

Zu 1.: Naturrecht, das der Staat zu stützen hat, ist nicht nur das erworbene Eigentum an Gütern (possession, estates), sondern das Rechtseigentum an Leib, Leben, Handlungsfreiheit und Gütern. Dieses hat der Staat zu schützen und die dafür notwendigen öffentlichen Leistungen durch Abgaben zu finanzieren.

Zu 2.: Nach Locke zählt zu der „Arbeit“, durch die äußere Güter angeeignet werden können, auch die Ideen bzw. die „unternehmerische Initiative“. Außerdem akzeptiert er die Geldwirtschaft (auch die Kreditwirtschaft) und damit die Möglichkeit des Erwerbes von Produktionsmitteln und des Abschlusses von Arbeits- (bzw. Lohn-) -verträgen.

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Nach der Auffassung moderner Interpreten lässt Lockes Staatsphilosophie staatliche Eingriffe in das Privateigentum durch Besteuerung oder Enteignung zu, wenn damit das Leben, die Gesundheit oder die Freiheitsrechte der Bürger geschützt werden müssen. Locke selber hat aber keine ausdrückliche Priorität der ursprünglichen Rechte (life, liberty, integrity resp. health, possession) angegeben. Steuerabgaben können zu mehr Stimmrecht berechtigen, aber auch der Arme (meanest man) muss vom Staat geschützt werden.

Sklaverei bei Locke.Locke rechtfertigt in der 2. Abhandlung die Sklaverei aufgrund gerechter Verteidigung. Er lässt sie auch in seinem Verfassungsentwurf für Virginia zu. Er soll auch finanziell am amerikanischen Sklavenhandel beteiligt gewesen sein und davon profitiert haben.Liegt darin eine theoretische Inkonsistenz oder passt es zu seiner Theorie?

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Zwei Rechtfertigungen der Sklaverei in der aristotelischen Tradition:1.Sklaverei wegen natürlicher Ungleichheit zwischen Menschen und Halbmenschen; 2.Sklaverei wegen Tausch Leben gegen Dienst nach einem Verteidigungsakt.

Locke lässt nur die 2. („Kriegssklaverei“) gelten. Begründung: Da jeder im Naturzustand (auch zwischen Staaten) gewaltsame Angriffe durch unbegrenzte Verteidigungsgewalt beantworten darf, kann er andere zu Recht töten, oder ihnen einen Tausch Leben gegen Sklavendienst anbieten. Der Sklave behält nur noch das Recht, den Tod einem unerträglichen Leben vorzuziehen, indem er durch Auflehnung seine Tötung herbeiführt. Er ist kein Bürger, dessen Rechte der Staat sichert.

Probleme im Text: 1. Locke versteht Sklaverei nicht als Unterwerfungsvertrag (gegen Hobbes/Grotius: weder ein Individuum noch ein Volk ist dazu berechtigt), sondern als fortdauernder Kriegszustand. Aber wie ist das innerhalb eines staatlichen Rechtszustandes möglich?

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2. Wie passt es zur natürlichen Freiheit des Menschen, zur Pflicht zur Erhaltung menschlichen Lebens überhaupt und zum natürlichen Strafrecht, das nur Abschreckung und Wiedergutmachung zulässt?

Probleme mit der realen Plantagensklaverei: Ist der Krieg afrikanischer Stammesfürsten oder der europäisch/amerikanischen Handelsgesellschaften ein Verteidigungskrieg? Sind sie von den späteren Sklaven „überfallen“ worden?

Fazit: Die Rechtfertigung der Sklaverei passt nicht in Lockes Staatsphilosophie. Nicht einmal zu dieser Rechtfertigung passt die Billigung des Sklavenhandels und der amerikanischen Sklaverei.

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Lockes Argumente gegen Filmer:

1. Es gibt keine göttliche Herrschaftsübertragung an Adam. Gott schafft „den Menschen“ nach seinem Bilde, der Auftrag „Macht Euch die Erde untertan“ ergeht an die Menschen (Adam, Eva und alle Nachkommen). So sind alle von Filmer benutzten Bibelstellen zu verstehen.

2. Die väterliche Macht ist nicht unbegrenzt. Beide Eltern haben die Pflicht, Kinder zur Selbsterhaltung und Selbständigkeit zu erziehen. Wenn Sie mündig geworden sind, erlischt das elterliche Recht (außer Erbrechten und Pflicht der Kinder zu tätiger Dankbarkeit). Wenn die monarchische Autorität väterlich wäre, wäre sie ebenso begrenzt und auf Mündigkeit der Bürger ausgerichtet.

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3. Die väterliche Gewalt und die politische Gewalt sind aber grundverschieden (vgl. Aristoteles). Die politische Gewalt hat es mit Gesetzen zur Erhaltung des Rechtseigentums der Menschen und des Gemeinwohls zu tun. Sie umfasst die Gewalten der Gesetzgebung, der Vollstreckung (einschließlich der Todesstrafe, die der Vater nicht verhängen darf) und der Verteidigung des Staates nach außen (2. Abh. § 4).

4. Ein direkte väterliche Abstammungslinie der derzeitigen Könige von Adam ist nicht nachzuweisen – genauso stammen alle Menschen von Adam ab.

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Gesamtwürdigung Lockes. 1. Lockes beabsichtigte Letztbegründung von Moral und Staatsphilosophie ist zweifelhaft. Die Theorie der natürlichen Gleichheit aller Menschen ist schon immanent problematisch (Problem der Erkenntnis fremden Bewußtseins), der Gottesbeweis seit Kant und der Evolutionstheorie nicht mehr zwingend.2. Locke hat aber eine bedeutende Theorie zur Grundlegung der Menschenrechte, des Rechtsstaates (rechtsstaatliche Verfahren, noch nicht durchgehende „Gesetzesförmigkeit der Verwaltung“), der Gewaltenteilung, des Primats der Legislative und des Widerstandsrechts entwickelt. 3. Seine Philosophie ist eine adäquate „Verarbeitung“ der Erfahrungen mit dem Absolutismus. Als Rechtfertigung der konstitutionellen Monarchie mit Primat der Legislative und Grundrechtsschutz bestimmt sie die weitere Entwicklung der praktischen Philosophie der Neuzeit.4. Einzelne Theoriestücke Lockes bleiben unklar (Rangfolge der Grundrechte, politische Macht des Privateigentums) oder widersprüchlich (Rechtfertigung der Sklaverei).