Prof. Dr. Marc Desens Überblick über die neue Gesetzeslage bei … · 2019. 3. 20. · Prof. Dr....
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Prof. Dr. Marc DesensÜberblick über die neue Gesetzeslage bei
Sanierungsgewinnen (§§ 3a, 3c IV EStG, § 7b GewStG) und beim Verlustabzug von
Körperschaften (§§ 8c, 8d KStG)4. Leipziger Insolvenzsteuertag (4. LIST)
5. März 2019
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Steuerrecht und öffentliches WirtschaftsrechtUniversität LeipzigBurgstr. 2104109 LeipzigEmail: [email protected]
Agenda
I. Neue Gesetzeslage bei Sanierungsgewinnen (§§ 3a, 3c IV EStG, § 7b GewStG)1. Überblick über die gesetzliche Neuregelung2. Zeitlicher Anwendungsbereich
II. Neue Gesetzeslage für den Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c, § 8d KStG)1. Überblick über die aktuelle Rechtslage2. Hintergründe der gesetzlichen Neuregelung (BVerfG, EuGH)3. Verfassungsmäßigkeit? – Zur (erneuten) Vorlage des FG Hamburg
I. Neue Gesetzeslage bei Sanierungsgewinnen (§§ 3a, 3c IV EStG, § 7b GewStG)1. Überblick über die gesetzliche Neuregelung
Steuerfreistellung des Sanierungsertrages§ 3a I 1, II, V EStG
Verbrauch von allen Verlusten und sonstigen Steuerminderungspositionen bis zur Höhe
des „geminderten“ Sanierungsertrages§ 3a III 1-2, 4-5 EStG
§ u. U. auch bei nahestehenden Personen § 3a III 3 EStG
§ auch bei Organträgern§ 15 Nr. 1a KStG
Abzugsverbot für im Zusammenhang stehenden Sanierungsaufwand
§ 3c IV EStG
Pflicht zur gewinnmindernden Ausübung steuerlicher Wahlrechte
§ 3a I 2, 3 EStG
Entsprechend für die Gewerbeertrag§ 7b GewStG mit eigener
Missbrauchsbekämpfungsvorschrift
§ Lösung Zielkonflikt: Steuer- und Insolvenzrecht§ Vermeidung erneuter finanzieller Schwierigkeiten§ Planungssicherheit§ Wirtschaftliche Interessen der Gläubiger§ Einklang mit EU-Restrukturierungsrichtlinie-E
BT-Drs. 18/12128, S. 31
§ Reduzierung des Vorteils auf das „erforderliche Mindestmaß“
§ Vermeidung einer „sachlich nicht gerechtfertigten Doppelbegünstigung“
§ Interpersoneller Verlustverbrauch: Missbrauchsbekämpfungsvorschrift
BT-Drs. 18/12128, S. 31, 32
Zurverfügungstellung des „größtmöglichen Verlustausgleichsvolumens“
BT-Drs. 18/12128, S. 31
I. Neue Gesetzeslage bei Sanierungsgewinnen (§§ 3a, 3c IV EStG, § 7b GewStG)2. Zeitlicher Anwendungsbereich
Zeitpunkt des (ganzen oder teilweisen) Schuldenerlasses (= endgültiger Vollzug)
vor dem 9.2.2017 ab dem 9.2.2017
Grundsatz:Anwendung des BMF-
Sanierungserlasses BMF v. 27.4.2017, BStBl. I
2017, 741; 29.3.2018, BStBl. I 2018, 588
Ausnahme (Antrag)Billigkeitsmaßnahme
nach BMF-Sanierungserlass
§ 52 IVa 2 EStG
Grundsatz:(rückwirkende)
Anwendung von §§ 3a, 3c IV EStG,
§ 7b GewStG§ 52 IVa 1 EStG
Problem (1): keine Bindung der
Gemeinden an BMF-Schreiben
Bei Vertrauensschutz durch verbindliche
Auskunft (§ 89 AO) oderZusage (§§ 204 ff. AO), die nicht aufgehoben oder widerrufen wird
(+) bei Vollzug „im Wesentlichen“
(+) bei anderweitigem Vertrauensschutz im Einzelfall
Problem (2): kein Rechtsschutz
BFH, I R 52/14; BStBl. II 2018, 232; X R 38/15; BStBl. II
2018, 236; X B 13/18, DStR2018, 1283; VIII B 124/17,
ZinsO 2018, 1511
Ausnahme (Antrag):(rückwirkende)
Anwendung von §§ 3a, 3c IV EStG,
§ 7b GewStG§ 52 IVa 3 EStG
Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel
mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher
Auswirkungenvom 11.12.2018
BGBl. I 2018, 2338, BStBl. I 2018, 1377
II. Neue Gesetzeslage für den Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c, § 8d KStG)1. Überblick über die aktuelle Rechtslage
Grundsatz: kein Untergang von Verlustvorträgen
Untergang bei schädlichem BeteiligungserwerbÜbertragung von mehr als 50 % der Anteile
§ 8c I 1-3 KStG, Geltung ab VZ 2008
Ausnahme KonzernklauselUnmittelbar oder mittelbar 100 %-Identität
zwischen Veräußerer und Erwerber§ 8c I 4 KStG, Geltung ab VZ 2010
Fortführungsgebundener Verlustvortrag (1) Schädlicher Beteiligungserwerb iSd § 8c KStG(2) Antrag(3) Seit Beginn des dritten VZ vor dem VZ mit
schädlichen Beteiligungserwerb:(a) Unterhalten desselben Geschäftsbetriebs
Gesamtbetrachtung an qualitativen Merkmalen (Dienstleistungen, Produkte, Kunden- und Lieferantenkreis, bedienende Märkte, Qualifikation der Arbeitnehmer)
(b) Keine Einstellung, keine Ruhendstellung, keine Änderung der Zweckbestimmung des Geschäftsbetriebs
(c) Kein zusätzlicher Geschäftsbetrieb(d) Keine Beteiligung an Mitunternehmerschaft(e) Keine Stellung als Organträger(f) Keine Übertragung von WG unter GW
Nichterfüllung von (a) bis (f) führt auch zukünftigzum Untergang des dann noch vorhandenen fortführungsgebundenen Verlustvortrags.
§ 8c KStG
Ausnahme Stille-Reserven-KlauselStille Reserven ≥ nicht genutzter Verlust
§ 8c I 5-8 KStG, Geltung ab VZ 2010
Ausnahme Sanierungsklausel§ 8c Ia KStG, Geltung ab VZ 2008
§ 8d KStG, Geltung ab VZ 2016
M.E. Zweck bei Gesamtbetrachtung: typisierende Missbrauchsbekämpfung („Mantelkauf“) mit
„inverser“ Regelungstechnik
II. Neue Gesetzeslage für den Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c, § 8d KStG)2. Hintergründe der gesetzlichen Neuregelung
EuGH
Urteil v. 28.6.2018, C-
203/16 P, ZIP 2018, 1345 – Andres (faillite
Heitkamp Bauholding)
Sanierungsklausel (§ 8c Ia KStG) keine unzulässige Beihilfe iSd Art. 108 AEUV
§ Selektivität im Steuerrecht: Abweichung vom Referenzsystem, die sich nicht aus
der Natur oder dem Aufbau des Systems rechtfertigen lässt (Rn. 87)
§ Bestimmung des Referenzsystems: nach Wirkung der Regelung und nicht nach
ihrer bloßen Regelungstechnik (Rn. 91-93).
§ Referenzsystem: Verlustnutzung von Körperschaften ist grundsätzlich möglich.
Sanierungsklausel führt zu diesem Grundsatz (Rn. 101 – 105).
Vorgeschichte§ EU-Kommission v. 26.1.2011, 2011/527/EU: unzulässige Beihilfe (+) § BeitrRLUmsG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592: Suspendierung von § 8c Ia KStG§ Unzulässige Klage der Bundesregierung gegen Beschluss der Kommission wegen
Verfristung (EuG v. 18.12.2012, T-205/11, DStR 2013, 132)
§ EuG v. 4.2.2016 , T 287/11, juris - Heitkamp Bauholding: unzulässige Beihilfe (+)
Entwurf der BundesregierungBT-Drs. 19/4455
Anwendung des § 8c Ia KStG ab 2008
Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses
BT-Drs. 19/5595Anwendung des § 8c Ia KStG ab 2008
Gesetzgebung
II. Neue Gesetzeslage für den Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c, § 8d KStG)2. Hintergründe der gesetzlichen Neuregelung
BVerfG
Beschluss vom 29.3.2017, 2 BvL 6/11,
BVerfGE 145, 106
Verstoß gegen Art. 3 I GG: schädlicher Beteiligungserwerb bei Erwerb von 25 %
§ GG-Unvereinbarkeit von § 8c (I) 1 KStG in den Fassungen von 2008 bis 2015, soweit 25 % für einen schädlichen Beteiligungserwerb ausreicht
§ Pflicht (bis zum 31.12.2018) zur rückwirkenden Neuregelung ab 2008 für Anteilserwerbe zwischen 25 und 50 %
§ Rechtfertigungsbedürftige Schlechterstellung von Kapitalgesellschaften, von denen 25-50 % der Anteile veräußert werden (Rn. 115 - 117)
§ Vermeidung von Steuergestaltungen („Mantelkauf“) ist grundsätzlich ein tauglicher Rechtfertigungsgrund (Rn. 126)Aber: Grenzen zulässiger Typisierung mit 25 %-Grenze überschritten, weil keintypischer Fall als Leitbild gewählt wurde§ 25 %-Grenze indiziert keinen Missbrauch (Rn. 127 - 128)§ 25 %-Grenze begründet keine Änderung der wirtschaftlichen Identität der
Kapitalgesellschaft (Rn. 129 - 143)§ Punktuelle Berücksichtigung einer Unternehmeridentität bei
Kapitalgesellschaften kein tauglicher Rechtfertigungsgrund (Rn. 144 - 149)
Entwurf der BundesregierungBT-Drs. 19/4455
Aufhebung der 25 %-Grenze nur in den Fassungen von 2008 nur bis 2015
Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses
BT-Drs. 19/5595Aufhebung der 25 %-Grenze ab 2008
Gesetzgebung
II. Neue Gesetzeslage für den Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c, § 8d KStG)3. Verfassungsmäßigkeit? – Zur (erneuten) Vorlage des FG Hamburg
FG Hamburg
Vorlagebeschluss
vom 29.8.2017,
2 K 245/17,
EFG 2017, 1906
BVerfG Az. 2 BvL 19/17
Verstoß gegen Art. 3 I GG:
Schädlicher Beteiligungserwerb allein durch Erwerb von 50 %
(zumindest nur anteiliger Untergang der Verluste möglich)
Rechtslage: 2008 und 2009 (Neu: Sanierungsklausel anwendbar)
Vermeidung von Steuergestaltungen („Mantelkauf“) ist grundsätzlich ein tauglicher
Rechtfertigungsgrund (Rn. 87).
Aber: Grenzen zulässiger Typisierung mit 50 %-Grenze überschritten, weil keintypischer Fall als Leitbild gewählt wurde?
§ 50 %-Grenze indiziert keinen Missbrauch, weil dieser erst neue gewinnträchtige
Aktivität des Investors voraussetzt (Rn. 87-89).
§ 50 %-Grenze begründet kein alleiniges Merkmal für die Änderung der
wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft (Rn. 90-98).
A.A. FG Sachsen v. 16.3.2001, 2 K 1869/10, EFG 2011, 1457 (Rev. BFH I R 31/11); Frotscher in
Frotscher/Drüen, § 8c KStG Rn. 11d: „nicht schlechthin sachwidrig“.
Verfassungsrechtliche Frage: Wie weit reicht die gesetzgeberische
Typisierungsbefugnis bei Missbrauchsbekämpfungsnormen?
M.E. Rechtslage ab 2010 (und erst Recht ab 2016):
Rechtfertigung als typisierende Missbrauchsbekämpfung („Mantelkauf“)
mit „inverser“ Regelungstechnik (Ausnahmen in § 8c I 4-8, Ia KStG und schließlich § 8d KStG) (+)