Prof. Dr. med. Sigmund Silber Kardiologie – Koronare...

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    Kardiologie Koronare Herzkrankheit

    Selbstversuche und Zuflle brachten den Fortschritt Von S. Silber

    Prof. Dr. med. Sigmund SilberMMW-Schriftleiter KardiologieKardiologische Pra-xis und Praxisklinik, Mnchen, Akade-mische Lehrpraxis der Universitt Mnchen

    Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist heute weltweit die hufigste Todes-ursache. Die Patienten sterben meist an malignen Arrhythmien und/oder an terminaler Herzinsuffizienz entwe-der im Akutstadium des Herzinfarkts oder im spteren Verlauf. Whrend die Diagnostik und Therapie der steno-sierenden KHK in den letzten 25 Jah-ren bedeutende Fortschritte gemacht hat, steht die Diagnostik und Therapie der nicht stenosierenden KHK erst in den Anfngen.

    Stenosierende KHK Die hhergradige Einengung eines epi-kardialen Koronargefes fhrt einer-seits zu Symptomen wie Angina pecto-ris bzw. Belastungsdyspnoe und ande-rerseits zu einer Belastungsischmie. Bei typischer Angina pectoris, insbe-sondere mit relevanten ischmischen Myokardarealen, steht die anatomi-sche Erfassung von Lokalisation und Ausdehnung der Koronarstenosen im Vordergrund. Die Domne in der Dia-gnostik der stenosierenden KHK ist unverndert die Herzkatheterunter-

    suchung, die Domne ihrer Therapie die Stentimplantation bzw. Bypass-operation.

    Erste Herzkatheteruntersuchung Werner Forssmann fhrte seinen legen-dren Selbstversuch im Sommer 1929 im Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Eberswalde durch. Heimlich fhrte er einen Ureterkatheter durch seine linke Kubitalvene bis in seinen rechten Vor-hof ein. Da der Katheter zu kurz war, konnte er ihn nicht weiter in seine rechte Herzkammer vorbringen, was ihm vielleicht das Leben gerettet hat. Die Originalpublikation erschien in der Klinischen Wochenschrift mit dem Ti-tel Die Sondierung des rechten Her-zens im November 1929. Sein dama-liger Chef, Prof. Sauerbruch, kndigte ihm daraufhin fristlos mit dem legen-dren Ausspruch Wir sind hier nicht im Zirkus. 1956 erhielt Forssmann fr seine Pioniertat den Nobelpreis.

    Erste selektive Koronarangiografie In den 1950er-Jahren war die selektive Darstellung der Koronararterien ver-

    phnt, weil sie als zu gefhrlich be-trachtet wurde. F. Mason Sones Jr. (Cleveland Clinic) geriet whrend ei-ner Aortografie am 30. Oktober 1958 versehentlich mit seinem Katheter in das Ostium der rechten Koronararterie. Es kam zu einer vorbergehenden Asystolie, die durch wiederholtes Hus-ten berbrckt werden konnte. Statt dieses Ereignis zu verschweigen, verf-fentlichte Sones sein Missgeschick und ging dadurch in die Geschichte der Herzkatheteruntersuchung ein.

    Erste koronare BypassoperationDie Geschichte der direkten operativen Myokardrevaskularisation (Bypassope-ration) ist mit dem argentinischen Herzchirurgen Ren Favaloro und dem US-Amerikaner Michael E. DeBakey verbunden. Die Technik der aortoko-ronaren Bypassoperation wurde erst-mals 1968 von Favaloro verffentlicht. Allerdings behauptete DeBakey spter, dass er bereits 1964, also noch vor Fa-valoro (1967), die erste koronare By-passoperation durchgefhrt hatte.

    Erste Ballondehnung (PTCA)Der aus Dresden stammende Angiolo-ge Andreas R. Grntzig war schon lan-ge von der Idee besessen, die damals fr periphere Arterien entwickelte Dotter-Technik auch an Koronarar-terien anzuwenden. Am 16. September 1977 fhrte er die erste Ballondehnung einer Stenose der proximalen Vorder-wandgefes durch (Abb. 1). Von nun an war die Kardiologie grundlegend und irreversibel verndert: Die Kardio-logen waren pltzlich nicht nur Dia-gnostiker, sondern auch revaskularisie-rende Therapeuten. Bereits 1979 er-folgte der nchste revolutionre Schritt

    Abb. 1 Koronarangiografie der ersten Ballondilatation am Menschen. A: Hochgradige Koronarstenose des proximalen Vorderwandgefes vor der Behandlung des damals 38-jhrigen Patienten (1977). B: Ergebnis der Kontrollangiografie bei dem inzwischen 61-jhrigen Patienten mit anhaltend gutem PTCA-Ergebnis (2000).

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    durch P. Rentrop, nmlich die sofor-tige mechanische Wiedererffnung eines verschlossenen Koronargefes beim akuten Herzinfarkt. Heute ist die-se primre PCI beim Herzinfarkt mit ST-Hebung Standard.

    Erste koronare StentimplantationDie alleinige Ballondilatation einer Ko-ronarstenose war akut mit der Gefahr einer potenziell lebensbedrohlichen Dissektion verbunden. Zudem fhrte die Ballondehnung oft zu einer Gef-schrumpfung mit resultierender Reste-nose. Zum Anlegen eines Dissekats bzw. zur Verhinderung einer chro-nischen Gefschrumpfung wurde das bestehende Konzept einer Stentim-plantation auch auf die Koronararte-rien bertragen. Whrend einer Live-bertragung wurde 1986 die erste Stentimplantation durchgefhrt (Ul-rich Sigwart, Lausanne).

    Drug eluting Stents Die intrakoronare Brachytherapie war in den spten 1990er-Jahren die Stan-dardtherapie der In-Stent-Restenose. Die Idee, dass es besser wre, die Fremdkrperreaktion zu vermeiden, als sie zu bestrahlen, fhrte zum Kon-zept der antiproliferativen medika-mentefreisetzenden Koronarstents (Drug eluting Stents, DES). Die Vor-stellung der ersten randomisierten DES-Studie im September 2001 mit ei-ner Restenoserate von 0% fhrte zur nchsten Revolution in der inter-ventionellen Kardiologie (PCI). Der zu-nehmende Einsatz der DES hat zu wei-

    ter steigenden PCI-Zahlen gefhrt, parallel entwickelte sich die Zahl der koronaren Bypassoperationen in Deutschland rcklufig.

    Nachteil der DES ist die Notwendig-keit einer verlngerten doppelten Plttchenhemmung mit ASS und Clo-pidogrel. Dies verhindert den Einsatz von DES u.a. bei Patienten mit bald ge-planten Operationen oder mangelnder Compliance und macht den Einsatz von DES bei Patienten mit strikter Markumarindikation riskant.

    Nicht stenosierende KHKJeder zweite Herzinfarkt wird durch Ruptur einer in der Gefwand sitzen-den Plaque ausgelst, die zuvor noch nicht zu einer erfassbaren Koronarste-nose gefhrt hat. Die nicht stenosie-rende KHK ist fr die Patienten defini-tionsgem asymptomatisch, auch bleibt der Ischmienachweis bei nicht vorhandener epikardialer Stenose meist negativ. Somit kann die nicht stenosierende KHK weder durch Anam-nese noch durch Belastungstests er-kannt werden. Es ist bekannt, dass die nicht stenosierende KHK genauso hu-fig wie die stenosierende KHK zum akuten Herzinfarkt fhren kann.

    Die beste nicht invasive Diagnostik einer nicht stenosierenden KHK erfolgt ber die Bestimmung der kalzifizierten koronaren Plaquelast mittels Compu-tertomografie des Herzens (Abb. 2). Die prognostische Aussagekraft des ko-ronaren Kalkscores ist hher als die der klassischen PROCAM-, Framingham- oder ESC-Scores und wird in den Leit-linien empfohlen.

    Fazit fr die Praxis Die Koronarchirurgie hat wesentliche Fortschritte gemacht und ihre Ergeb-nisse unter anderem durch eine mg-lichst vollstndige arterielle Revaskula-risierung und durch zunehmenden Verzicht auf eine Herz-Lungen-Ma-schine verbessert. Stentimplantationen und Bypassoperationen sollten vor-zugsweise in Zentren durchgefhrt werden, in denen tgliche Herzkonfe-renzen zwischen den Kardiologen und Herzchirurgen stattfinden, um fr

    jeden Patienten durch optimale Zu-sammenarbeit dieser beiden Diszip- linen die jeweils beste Therapie zu finden.

    Bei der nicht stenosierenden KHK kann zwar durch die Bestimmung des koronaren Kalkscores nicht die vulne-rable Plaque identifiziert werden, wohl aber der vulnerable Patient. Obwohl Screeninguntersuchungen fr das Ko-lon- und Mammakarzinom sowie Hautkrebs von den gesetzlichen Kran-kenkassen bernommen werden, stellt die Erkennung von koronaren Hochri-sikopatienten mittels Computertomo-grafie noch eine IGeL-Leistung dar. Hausrzte sollten im Bereich der Pri-mrprvention die Indikation und Aussagekraft des Kalkscores kennen und die Patienten ber diese leitlinien-orientierte Untersuchung informieren.

    Koronare Hochrisikopatienten mit nicht stenosierender KHK sind im Rah-men der Primrprvention den Pa-tienten einer Sekundrprvention gleich zu stellen.

    Korrespondenz: Prof. Dr. med. Sigmund Silber Kardiologische Praxis und Praxisklinik, Akademische Lehrpraxis der Universitt Mnchen Am Isarkanal 36, D-81379 Mnchen E-Mail: [email protected]

    25 Years of Progress in Cardiology Coronary Heart Disease: Advances through Self-experimentation and Serendipity Cardiac catheterisation Coronary angiography Coronary bypass sur-gery Balloon angioplasty Coronary stent Drug eluting stents

    Keywords

    Der zunehmende Einsatz der Koro- narstents erschwert evtl. spter not-wendige Bypassoperationen. Aus die- sem Grund sind Bestrebungen im Gange, sich selbst auflsende DES zu entwickeln. Bei der nicht ste-nosierenden KHK ist es wichtig, im Einzelfall den oder die vulnerablen Plaques zu erkennen und evtl. durch Implantation spezieller Stents zu be-handeln, bevor sie rupturieren. Hierzu gibt es verschiedene Anstze, die noch evaluiert werden mssen.

    Ausblick

    Abb. 2 Nachweis einer nicht stenosieren-den KHK im CT: Die weien Flecke sind kalzifizierte Plaques in der Koronarwand.

    Foto

    : Silb

    er25 Jahre Fortschritte in der Kardiologie (II)

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