Prof. Dr. Peter Wasserscheid Innovative Material- und ... · um ein Konzept, das in der Presse...

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Erlanger Universitätsreden Nr. 86/2015

Prof. Dr. Peter Wasserscheid

Innovative Material- und Prozesstechno-logien für die bayrische Energiewende

Prof. Dr. Peter Wasserscheid

Lehrstuhl für Chemische Reaktionstechnik

Innovative Material- und Prozesstechnologien

für die bayrische Energiewende

Festvortrag zum Dies academicus aus Anlass des 269. Jahrestages der

Gründung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

am 5. November 2012 in Erlangen

Prof. Dr. Peter Wasserscheid:

Innovative Material- und Prozesstechnologien für die bayerische

Energiewende

Sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte

Festversammlung,

es ist mir eine besondere Freude, Ihnen in den nächsten 20 Minuten über die Rolle von

Material- und Prozesstechnologien für die bayerische Energiewende zu berichten. Das ist ein

kompliziertes Thema und ich werde nicht versuchen, es in allen Untiefen auszuleuchten. Das

didaktische Ziel dieses Vortrags wäre erreicht, wenn Sie mit einigen Informationen und Ideen

nach Hause gehen würden und dabei erkennen könnten, dass die FAU, unsere Universität,

für dieses Thema sehr gut aufgestellt ist.

Ich will zunächst kurz auf die besonderen Herausforderungen der bayerischen

Energiewende eingehen, dann auf die Prozess- und Materialforschung dieser Universität.

Beides werde ich an einem Beispiel zusammenführen, an dem Sie sehen können, wie wir

auf dem Gebiet der Energieforschung arbeiten. Ich werde zeigen, wie Naturwissenschaft-

nahe und Anwendungstechnologie-orientierte Forschung Hand in Hand arbeiten müssen, um

die technologischen Herausforderungen der Energiewende zu meistern. Eine

Zusammenfassung und ein Ausblick werden den Vortrag abschließen.

Was ist das Besondere an der bayerischen Energiewende? Sie alle wissen, dass sich die

deutsche Bevölkerung nach den Vorkommnissen in Fukushima am 11. März 2011 in großer

Mehrheit dazu entschlossen hat, die friedliche Nutzung der Kernenergie aufzugeben.

Gleichzeitig sollen aber die sehr ambitionierten deutschen Klimaschutzziele aufrechterhalten

werden. Wir wollen also unseren CO2-Ausstoß in der Stromerzeugung weiter drastisch

reduzieren und gleichzeitig auf Kernkraftwerke verzichten. Das ist besonders für Bayern eine

Herausforderung, denn Bayern erzeugte 2010 51,5 % seines Stroms aus Kernkraft, im Jahr

2003 waren es noch 63,9 Prozent. Rund ein Drittel des deutschen Atomstroms stammte

2010 aus bayerischen Atomkraftwerken.

Was ist nun der beste Weg, um den Ausstieg aus der Kernenergie technisch zu realisieren?

Es ist ohne Frage der Ausbau der erneuerbaren Energien. Dabei gibt es allerdings das

Problem, dass die wichtigsten erneuerbaren Energiequellen, nämlich Wind und Sonne,

unstet sind. Auch in Bayern scheint nachts die Sonne nicht, d. h. wir können nachts keinen

Sonnenstrom erzeugen. Und auch in Bayern weht der Wind nicht immer, Bayern ist ein

Schwachwind-Land. Abbildung 1 zeigt neben den ambitionierten Ausbauzielen der

Bundesregierung für erneuerbare Energie, dass ein auf Kernkraft oder Kohleverbrennung

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basierendes Kraftwerk deutlich mehr Volllaststunden pro Jahr erreicht als die unstete

Energiegewinnung aus regenerativen Quellen. Die Anzahl an Volllaststunden ergibt sich,

wenn man die im Jahr tatsächlich erzeugte Energiemenge eines Kraftwerks durch seine

maximale Leistung (Volllast) teilt.

Abbildung 1: Links: Geplanter Zuwachs an erneuerbarer Energie an der Stromerzeugung bis 2050 – Rechts: Vergleich unterschiedlicher Stromerzeugungstechnologien hinsichtlich ihrer Volllaststunden pro Jahr.

Es reicht also nicht, ein Megawatt(MW) Leistung eines Kernkraftwerks, das wir abschalten

wollen, durch ein Megawatt Leistung einer Windkraftanlage zu ersetzen. Um auf die gleiche

Energiemenge im Jahr zu kommen, müssen wir 3,7 Megawatt - also das 3,7-fache - an

Leistung von Wind- und sogar das 8,4-fache an Leistung von Solarkraftanlagen bauen.

Aufgrund der unsteten regenerativen Energieerzeugung, muss man also erheblich mehr

Leistung an regenerativen Kraftwerken installieren, als mit konventionellen

Grundlastkraftwerken, um die gleiche Energiemenge bereitstellen zu können.

Kommen wir nun zur aktuellen Situation in Bayern: Wir haben heute in Bayern – so die

neuesten Zahlen – bereits Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 8.300 MW und

Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 500 MW installiert. Hinzu kommt ein

Minimumbeitrag von nicht-regenerativen Energieerzeugern von 1.000 MW – dieser Betrag

lässt sich ohne komplette Stilllegung der Kraftwerke nicht weiter drosseln. Dem steht ein

mittlerer Elektrizitätsbedarf in Bayern von 9.000 MW gegenüber. Konkret heißt das: Wenn

heute in Bayern die Sonne scheint und der Wind weht, dann decken die bayerischen

Photovoltaik- und Windkraftanlagen zusammen mit den Erzeugern, die sich nicht abschalten

lassen, unsere komplette Elektrizitätsversorgung bereits ab. Wir brauchen dann keinen

zusätzlichen Strom aus der Wüste oder von sonstwo her. Das heißt aber auch gleichzeitig:

Wenn wir heute in Bayern die Photovoltaik-Kapazität um ein weiteres Megawatt erhöhen,

dann benötigen wir diese zusätzliche Leistung gar nicht mehr wenn die Sonne scheint. Wenn

die Sonne aber nicht scheint, kann auch diese Solaranlage keinen Strom produzieren. Im

Zusammenhang mit unserem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) kommt es daher aktuell 3

zu Verwerfungen. Zum Beispiel zum Phänomen negativer Strompreise, das dann auftritt,

wenn mehr Strom in das Netz eingespeist wird als eigentlich gebraucht wird. Nach dem

Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) haben nämlich die regenerativen Einspeiser Vorrang

und sie haben auch eine Garantieabnahme zu einem Garantiepreis. Um das Problem an

einigen konkreten Effekten aufzuzeigen möchte ich beispielsweise erwähnen, dass wir

derzeit zu bestimmten Zeiten unsere österreichischen Nachbarn dafür bezahlen, deutschen

Ökostrom abzunehmen. Es kommt auch zu Vergütungen für nicht-produzierte regenerative

Energie. Das heißt, man bezahlt Betreiber von Windkraftanlagen dafür, dass sie ihre

Windräder aus dem Wind drehen, weil zu bestimmten Zeiten bereits so viel Windstrom im

Netz ist, dass bei weiterem Einleiten Netzprobleme auftauchen könnten. Sie alle haben aus

der Presse erfahren, dass es aktuell aufgrund der stark steigenden EEG-Umlage zu massiv

steigenden Strompreisen kommt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Preisdifferenz

zwischen dem zugesicherten Garantiepreis und dem Marktpreis, der heute typischerweise

wenn die Sonne scheint und der Wind weht sehr niedrig ist. Dass steigende Strompreise

auch soziale Auswirkungen haben und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie

beeinträchtigen können zeigt die ganze Dringlichkeit der Thematik.

Die Problematik unsteter Energieerzeugung ließe sich einfach lösen, wenn es effiziente

Speicher für große Energiemengen gäbe. Auch der Netzausbau wird häufig diskutiert, aber

das Netz ist kein Speicher. Das Netz sorgt nur für die bessere Verteilung der erzeugten

Elektrizitätsmenge. Das ist sicher auch notwendig, aber alle Fachleute sind sich einig, dass

die bis 2050 angekündigten Szenarien auch das Speichern von Energie in ganz großem

Maßstab erfordern. Unsere Gesellschaft wird daher ein Bedürfnis nach intelligenten

Energiespeichertechnologien entwickeln. Wenn aber neue Bedürfnisse entstehen, die

neuartige Technologien erfordern, kommen sehr häufig auch neue Materialien ins Spiel.

Ich möchte jetzt den Bogen vom wissenschaftlich-technischen Problem hin zur Material- und

Prozessforschung an unserer Universität schlagen. Diese ist im Exzellenzcluster

„Engineering of Advanced Materials“ prominent gebündelt. Die Grundidee des

Exzellenzclusters ist es, Bedürfnisse aufzugreifen – Bedürfnisse nach Rohstoffen, nach

Mobilität, Kommunikation, aber vor allem eben auch nach einer stabilen, bezahlbaren und

nachhaltigen Energieversorgung – und Produkte zu entwickeln, die diese Bedürfnisse

befriedigen (Abbildung 2). Nur, wie müssen die dafür notwendigen neuen Materialien

aussehen?

Um das entscheiden zu können braucht man zunächst grundlegende Erkenntnisse über die

Struktur von Materialien, also über die Anordnung von Atomen auf Oberflächen zum

Beispiel. Außerdem muss man verstehen, wie bestimmte Strukturen zu

Materialeigenschaften beitragen und welche Prozesse die gesuchten Strukturen erzeugen

können. Es existiert dabei auf mehreren Ebenen ein intensives Wechselspiel zwischen der

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Material- und der Prozessforschung: Denn neue Materialien erlauben intelligentere

Prozesse. Intelligente Prozesse können aber bessere Materialien erzeugen. Wer dieses

Wechselspiel gut versteht, der kann nicht nur neue Materialien mit einzigartigen

Eigenschaften erfinden, sondern diese auch in großen Mengen und in sehr hoher Qualität

herstellen. Theoretische Methoden zur Vorausberechnung von Materialeigenschaften und

zur Optimierung der Prozesse spielen dabei genauso eine wichtige Rolle wie sehr

aufwändige Analyse- und Charakterisierungsmethoden.

Abbildung 2: Konzepte und Anwendungsbereiche der modernen Material- und Prozessforschung.

Das Grundprinzip des Clusters ist es, dieses Wechselspiel von Material- und

Prozessforschung auf verschiedenen Größenskalen in Form von wissenschaftlichen

Wertschöpfungsketten zu entwickeln. Wir beginnen also bei Grundlagenerkenntnissen rund

um die molekularen Bausteine, die dem Material seine Funktion geben sollen. Diese werden

in einem weiteren Schritt in Überstrukturen angeordnet und schließlich mit

ingenieurtechnischen Ansätzen für die Verwendung in Bauteilen und Demonstratoren

optimiert. Sie können in Abbildung 3 erkennen, dass dafür sehr viele verschiedene

Disziplinen und - in unserer Universitätsstruktur - auch verschiedene Departments

eingebunden werden müssen: Chemie, Physik, Verfahrenstechnik, Werkstoffwissenschaften,

Maschinenbau und Elektrotechnik. Zudem hat der Exzellenzcluster Querschnittsthemen

definiert, die in alle Anwendungsfelder hinein wirken, wie Partikeltechnologie,

Materialcharakterisierung und Materialsimulation.

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Abbildung 3: Wissenschaftliche Struktur des Exzellenzclusters „Engineering of Advanced Materials (EAM)“ und beteiligte Departments der FAU (CBI: Chemie- und Bioingenieurwesen; WW: Werkstoffwissenschaften; EEI: Elektrotechnik-Elektronik-Informationstechnik; MB: Maschinenbau).

Der Präsident hat in seiner Rede schon erwähnt, dass es unter Führung des

Clusterkoordinators, Herrn Prof. Peukert, gelungen ist, die Gutachter der Exzellenzinitiative

mit dem Fortsetzungsantrag des Clusters ein zweites Mal zu überzeugen. Insgesamt 73

Millionen Euro stehen dem Cluster damit in seiner zehnjährigen Förderphase zur Verfügung.

Das ist ein großer Erfolg, aber auch eine große Verantwortung. Dieser Verantwortung

versuchen wir im Exzellenzcluster auch dadurch gerecht zu werden, dass wir weitere Mittel

im Wettbewerb gegen andere Universitäten einwerben. An dieser Stelle möchte ich mich

ganz herzlich bei den beiden anwesenden Staatsministern bedanken, die ja vor kurzem bei

der Einweihung der neuen Cluster-Gebäude tätig waren. Ohne die Unterstützung der

Staatsregierung und die Möglichkeit, solche Gebäude zu bauen, wären unsere

Forschungsmöglichkeiten im Bereich des Exzellenzclusters weit weniger gut als sie heute

sind. Ich will aber auch den Studenten zurufen: Es gibt im Exzellenzcluster zwölf neue

Professuren und natürlich beteiligen sich die neuen Kolleginnen und Kollegen nicht nur an

der Forschung, sondern auch genauso engagiert an der Lehre. Sie bieten zahlreiche neue

Spezialvorlesungen an, bringen sich aber auch in die Grundlehre ein und halten Tutorien ab.

All dies verbessert die Lehre in den Cluster-nahen Fächern ganz erheblich.

Wenn man soviel Geld ausgibt, wird man richtigerweise immer wieder gefragt: „Ist denn auch

der versprochene Erfolg da?“ Die eindrucksvolle Publikationsstatistik des Exzellenzclusters

von 767 Publikationen und 23 Patenten hat Herr Präsident Grüske schon erwähnt. Wir sind

besonders stolz, dass 17% dieser Publikationen in den führenden Journalen der involvierten

Fachgebiete, aber auch in Nature und Science publiziert werden konnten. Mittlerweile ist ein

erheblicher Anteil der Cluster-Publikationen interdisziplinär, 2011 waren es 36%. Das heißt:

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Im Exzellenzcluster forschen und publizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus

verschiedenen Fachrichtungen in einer Art und Weise gemeinsam wie Sie es ohne den

Cluster nicht getan hätten. Natürlich gibt es auch Rankings als unabhängige Bestätigung von

Erfolg: Im neuen Förderatlas der DFG belegen die Chemie und die Verfahrenstechnik der

FAU jeweils Rang 2 in Deutschland und ich darf vielleicht anmerken, dass der Rang 1 nicht

aus Bayern stammt. Nach einem unabhängigen ranking der EPFL Lausanne zur Qualität der

weltweiten Forschung in den Materialwissenschaften wird der FAU bescheinigt, in

Deutschland führend zu sein. Und weil wir uns immer fragen, ob „FAU“ irgendwann mal so

berühmt werden könnte wie „MIT“, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das MIT in

diesem Ranking hinter der FAU liegt.

Wenn wir die Wirkung des Exzellenzclusters insgesamt bewerten wollen, sind aber rankings

und Fördermittel nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil betrifft die Frage, wie eine

Exzellenzeinrichtung in ihre Universität hinein wirkt. Hier haben die Mitglieder des

Exzellenzclusters den festen Wunsch und Willen mit der Universität gemeinsam große Dinge

zu erreichen. Abbildung 4 zeigt eindrucksvoll, dass dies tatsächlich bereits gelingt. Im

November 2007 wurde der Exzellenzcluster EAM eingerichtet, und darauf folgend konnten

eine Fülle von Initiativen, Programmen und Zentren im Wettbewerb eingeworben werden.

Hinzu kommen Erfolge bei der Einrichtung neuer Sonderforschungsbereichen (SFB) und

Transregios (TR). In allen Begutachtungsverfahren wurde das exzellente Erlanger Umfeld

explizit gewürdigt. In den eingeworbenen Zentren, wie beispielsweise dem Bayerischen

Wasserstoffzentrum (BHC), wirken auch viele Mitglieder der Universität mit die nicht

Mitglieder im Exzellenzcluster sind. Wir wünschen uns, dass dieser Exzellenzcluster gerade

in seiner zweiten Förderphase kein „closed shop“ ist, sondern dass er für möglichst viele

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FAU großen Wert entfalten kann.

Abbildung 4: Strukturbildende Wirkung des Exzellenzclusters in den letzten 5 Jahren.

Jetzt kommen wir zur Frage, wie dieser Exzellenzcluster die bayerische Energiewende

beflügeln könnte. Ich möchte das an einem Beispiel kurz ausführen. Es handelt sich dabei

um ein Konzept, das in der Presse unter dem Stichwort „Carbazol“ gehandelt wird. 7

Wissenschaftlich exakter spricht man von „Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC)“-

Systemen, es handelt sich also um organische Wasserstoffträger. Die grundlegende Idee

dieses Konzepts (Abbildung 5) besteht darin, dass die erwartete, zukünftige Überproduktion

an regenerativer elektrischer Energie mit Hilfe der Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt

wird. Dieser Wasserstoff wird in einer katalytischen Hydrierreaktion auf eine flüssige

organische Substanz geladen, die von ihrer Natur her dem heutigen Diesel entspricht. Der

beladene Wasserstoffträger kann in der existierenden Infrastruktur wie Diesel gelagert,

transportiert und verteilt werden. Am Ort und zur Zeit des Energiebedarfs kann er an einem

katalytischen Kontakt bei Temperaturen von über 200 Grad wieder entladen werden. Der

Wasserstoff wird dabei wieder freigesetzt und kann für die Stromerzeugung beispielsweise in

einer Brennstoffzellen genutzt werden. Der entladene Wasserstoffträger kann - ähnlich wie

bei einer Pfandflasche - erneut mit Wasserstoff beladen werden.

Abbildung 5: Chemische Energiespeicherung in LOHC-Systemen unter Nutzung der bereits bestehenden Infrastruktur für flüssige Kraftstoffe.

Der entscheidende Punkt dieses neuen Konzepts zur chemischen Energiespeicherung ist,

dass Wasserstoff, eine Substanz, die eine sehr niedrige Dichte hat und sonst bei sehr

hohem Druck oder sehr niedrigen Temperaturen gelagert werden müsste, in einer heute

existierenden Infrastruktur handhabbar wird.

An dieser Stelle möchte ich ganz kurz auf die besonderen technischen Herausforderungen

dieser Wasserstoffspeichersysteme einzugehen. Wenn wir Wasserstoff aus dem beladenen

Wasserstoffträger freisetzen, dann bildet 1 ml der dieselartigen Flüssigkeit über 600 ml

gasförmigen Wasserstoff. In einem heute üblichen katalytischen Festbettreaktor würden

große Gasblasen entstehen, die die Benetzung des Katalysators mit Flüssigkeit und den

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Wärmeeintrag in den Reaktor behindern würden. Dadurch kann der Reaktor - der ja eine Art

Gaserzeugungsmaschine darstellt - nicht effizient betrieben werde.

Hier kommt jetzt unser Exzellenzcluster ins Spiel. Die Arbeitsgruppen Singer und Körner im

Department Werkstoffwissenschaften verfügen über eine Technologie, das sogenannte

„Selective Electron Beam Melting (SEBM)“, mit deren Hilfe man maßgeschneiderte

Metallstrukturen fertigen kann. Diese additiv gefertigten Metallstrukturen besitzen eine gute

Wärmeleitfähigkeit und lassen sich mit Aluminiumoxid beschichten. Auf die hochporöse

Aluminiumoxid-Schicht werden die katalytisch-aktiven Edelmetallspezies aufgebracht, an

denen die eigentliche Freisetzung des Wasserstoffs erfolgt. Das Resultat ist ein neuartiger

Reaktor bei dem der Wärmeeintrag über die Trägerstruktur des Katalysators erfolgt und der

durch seine offene Struktur dem gebildeten Wasserstoffgas viel Raum gibt, um kontrolliert

aus dem Reaktor zu entweichen. Mit diesem Konzept konnten wir letztlich die Effizienz der

Wasserstofffreisetzung aus den beladenen Wasserstoffträgern um den Faktor 3 steigern.

Man erkennt an diesem Beispiel, dass komplexe wissenschaftliche Fragestellungen die

intensive Zusammenarbeit einer Vielzahl von Wissenschaftlern erfordern. Auf molekularer

Ebene sind aus meiner Sicht die Gruppen Steinrück und Libuda weltweit führend darin, die

Wechselwirkung der Wasserstoff-tragenden Stoffe an katalytischen Oberflächen

spektroskopisch zu untersuchen. Der Bogen spannt sich über die Katalysatorpräparation und

Reaktionstechnik an unserem Lehrstuhl, über die Strömungsmechanik bei Kollegen Delgado

bis zur Fertigungstechnologie für die strukturierten zellularen Metallträger in den

Arbeitsgruppen Körner und Singer (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6: Zusammenarbeit im Exzellencluster EAM am Beispiel der Entwicklung strukturierter Reaktoren für die Wasserstofffreisetzung aus Wasserstoff-tragenden organischen Flüssigkeiten.

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Obwohl wir im Exzellenzcluster auf diese Weise verzahnt zusammenarbeiten, kann doch

jeder Bereich in seiner Community hochrangig publizieren. Es ist in der Tat sehr wichtig,

dass jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler in einer solchen Zusammenarbeit

noch in seiner Community als Forscherpersönlichkeit erkennbar bleibt. Nur dann bringt die

Zusammenarbeit für alle den gewünschten Ertrag und ist nachhaltig.

Im Exzellenzcluster ist es unser Ziel, neue Materialien und Prozesse bis hin zum Status von

Demonstratoren zu entwickeln. Vom Demonstrator bis zum Prototypen und letztlich zum

Produkt ist es dann noch ein weiterer Weg, für den man weitere Ingenieurskompetenz

braucht. Im Falle der Forschung an flüssigen Wasserstoffspeicherverbindungen sind es vor

allem die Kollegen Arlt und Schlücker, die gemeinsam mit uns die notwendigen Apparate

entwickeln, deren Effizienz optimieren, die Kosten minimieren und letztlich auch die

Genehmigungsfähigkeit der gesamten Anlage sicherstellen. Abbildung 7 zeigt beispielsweise

den Prototyp eines Dehydrierreaktors mit einer Leistung von 2,5 kW an einer

nachgeschalteten Brennstoffzelle. Diese Leistung entspricht fünfundzwanzig 100-Watt-

Birnen, also ungefähr dem, was man für ein Einfamilienhaus benötigt. Der dafür erforderliche

Reaktor hat etwa die Länge eines Arms.

Abbildung 7: Dehydrierreaktor wie er für die Energieversorgung eines Einfamilienhauses geeignet wäre.

Welche Anwendungsszenarien ergeben sich aus heutiger Sicht für „unsere“ neue

Technologie zur chemischen Energiespeicherung? Einige der aktuell verfolgten Konzepte

sollen an dieser Stelle schlaglichtartig beleuchtet werden (Abbildung 8): Da ist zunächst das

energiehandelnde Haus, das billigen Überschussstrom einkauft, speichert und bei

Energiemangel im Netz wieder zurück speist. Das Haus deckt zudem seinen Wärmebedarf

mit den Wandlungsverlusten des Speichers, es ergibt sich also eine Speicher-Wärme-

Kopplung. Dieses Projekt verfolgen wir mit Nachdruck im Rahmen des bayerischen

Wasserstoffzentrums. Eine weitere sehr interessante Anwendung ist der Energietransport

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von Regionen mit besonders guten Voraussetzungen für die „Ernte“ regenerativer Energie in

die Industriezentren Europas. Beispiele sind der Transport von Geothermiestrom aus Island

oder Solarstrom aus Griechenland. Das Konzept sieht vor, die dort erzeugte elektrische

Energie in Form von beladenen LOHC-Materialien im Tankschiff zum Beispiel nach Erlangen

zu bringen. Dann das Thema Energieautarkie: Da arbeiten wir in einem großen Projekt an

einer Yacht die Sonnenenergie in Form von LOHC speichern soll, um damit energieautark

über den Atlantik zu fahren. Dieses Projekt schlägt die Brücke zum Thema „zero emission“-

Mobilität. Wir könnten zum Beispiel auch ein Automobil mit 90 Litern des beladenen

Wasserstoffträgers über 600 Kilometer bewegen und dabei nur Wasserdampf freisetzen.

Diese Aussage ergibt sich aufgrund einer energetischen Bilanz. Man muss allerdings

zugeben, dass die Leistungsdichte des Freisetzers heute noch nicht ganz den

Anforderungen der Automobilindustrie entspricht (Abbildung 8).

Abbildung 8: Anwendungsszenarien für flüssige Wasserstoffspeichersysteme.

Zum Abschluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass es auch Kritik an unserem Ansatz

zur chemischen Energiespeicherung gibt. Kritische Stimmen muss es auch geben, sie sind

für jeden Prozess der Erkenntnis sehr wichtig! Die erste kritische Frage ist wissenschaftlich-

technischer Natur: Ist das, was ich Ihnen gerade vorgestellt habe, tatsächlich der beste, also

der richtige Weg? Gibt es denn nicht einfachere und billigere Alternativen? Meine Antwort

wäre hier, dass wir die Energiewende unter Nutzung der bereits vorhandenen Infrastruktur

schaffen müssen. 2022 ist so nah, dass wir mit dem Stromnetz, dem Gasnetz und der

vorhandenen, hervorragend ausgebauten Infrastruktur zur Verteilung für flüssige

Energieträger auskommen müssen. Für flüssige Energiespeicher spricht deren

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hervorragende Akzeptanz bei der Bevölkerung. Niemand fragt sich wenn er auf der A9 an

Ingolstadt vorbeifährt, wie viel Energie in den riesigen Tanks der Raffinerie gespeichert ist

und ob das gefährlich ist. Die Bevölkerung nutzt flüssige Energieträger seit langer Zeit in

vielen Bereichen. Auf diese positiven Erfahrungen wollen wir aufbauen und diese in die

nachhaltige und regenerative Welt übertragen.

Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass die teure Erzeugung und Speicherung

regenerativer Energie im internationalen Vergleich dem Wirtschaftsstandort Deutschland

schaden könnte. Ich kenne in der Tat amerikanische Kollegen, die nicht verstehen, was wir

Deutschen mit der Energiewende wollen. Die Kollegen übersetzen „Energiewende“ auch gar

nicht und sprechen von „The German Energiewende“. Das zeigt ihnen, dass wir in

Deutschland einen sehr speziellen Weg gehen wollen. Dieser ist mutig und innovativ. Er

kann uns zu Produkten führen, die wir in zehn oder zwanzig Jahren in die ganze Welt mit viel

Erfolg exportieren werden. Aber im Moment sind wir mit diesem Weg unter den

Industrienationen in der absoluten Minderheit. Letztlich müssen wir uns mit diesem Weg im

globalen Wettbewerb durchsetzen.

Und schließlich der letzte und vielleicht wichtigste Kritikpunkt: Wird die massenhafte Nutzung

regenerativer Energien zu großen gesellschaftlichen Problemen in Deutschland führen?

Wenn eine Gesellschaft ein großes Unternehmen wagt – und das Unternehmen

„Energiewende“ ist in der Tat eine große Herausforderung von beachtlicher Komplexität –

dann müssen alle Teile der Gesellschaft mitgenommen werden. Wir brauchen technische

Lösungen, die ökonomisch, gesellschaftlich und juristisch umsetzbar sind und nachhaltig

sinnvoll sind. Dazu müssen die Lösungsvorschläge nicht nur gut ausgedacht sein, sondern

auch umfassend in allen involvierten Bereichen erforscht werden!

Dies ist nach meiner festen Überzeugung eine perfekte Aufgabe für eine Volluniversität wie

die FAU. Sie vereint die notwendigen naturwissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten,

die erforderliche Gesellschaftsforschung, juristischen und ökonomischen Kompetenzen bis

hin zu medizinischen Aspekten. Die FAU kann sich daher den wissenschaftlichen

Herausforderungen der Energiewende erfolgreich stellen. Wenn es gelingt, das Potential

unserer Volluniversität auf dieses wichtige Thema zu fokussieren, dann könnte man in zehn

Jahren hier stehen und sagen: „Die FAU hat einen großen Beitrag zur deutschen

Energiewende geleistet.“ Ich glaube, wir haben hervorragende Voraussetzungen dafür, auch

wegen des besonderen industriellen Umfelds hier in der Metropolregion mit vielen

Unternehmen, die im Bereich der Energieerzeugung und -verteilung stark engagiert sind. Ich

würde mir also wünschen, dass wir sagen könnten: „Energiewende made by FAU“!

Herzlichen Dank!

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