PROGRAMM DER FREIHEITLICHEN PARTEI ÖSTERREICHS · 2018-06-18 · ÖSTERREICH POLITISCH ERNEUERN....

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Österreich politisch erneuern. PROGRAMM DER FREIHEITLICHEN PARTEI ÖSTERREICHS Beschlossen am Parteitag 1.2. Juni 1985 in Salzburg

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Österreich politisch erneuern. 

 

PROGRAMM DER  FREIHEITLICHEN PARTEI ÖSTERREICHS 

 

Beschlossen am Parteitag 1.‐2. Juni 1985 in Salzburg 

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ÖSTERREICHPOLITISCHERNEUERN.

OFFENE GESELLSCHAFT FREIE BÜRGER

PROGRAMMDER FREIHEITLICHENPARTEI ÖSTERREICHS

Beschlossen am Programmparteitag1. und 2. Juni 1985 in Salzburg

TEIL I: GRUNDLEGUNG1. Kapitel

Freiheit

I Freiheit gilt uns als höchster Wert. Wirwol­len ein Leben in Freiheit, gegründet aufSelbstbestimmung, Unabhängigkeit und Ei­genverantwortung. Freiheitliche Politik er­strebt eine Lebensordnung mit möglichst v.ielSelbstbestimmung für jeden Menschen undfür alle Völker. Unser Freiheitsdenken wur­zelt in einer idealistischen Weltanschauung.2 Der Freiheit des einzelnen Menschen undseiner Würde den höchsten Rang in der Ge­sellschaftsordnung einzuräumen, ist unser li­beraler Auftrag.Der Freiheit der Völker und ihrer Selbstach­tung den höchsten Rang in der Weltordnungeinzuräumen, ist unser hationaler Auftrag.Die freie Entfaltung der Natur vor der totalenUnterwerfung für technisch-wirtschaftlicheZwecke des Menschen zu schützen, ist unsereökologische Aufgabe.3 Wir wollen die Freiheit vor körperlicher,geistiger oder wirtschaftlicher Unt~rdrü~­

kung schützen. Wir wollen ebenso dle Frei­heit vor dem Abgleiten in eine bindungsloseGesellschaft und in Anarchie bewahren.4 Die Achtung vor den Freiheitsrechten allerMenschen erfordert die Sicherung der Frei­heit im Rahmen einer Ordnung. PolitischeOrdnungen haben der Entfaltung der Freiheitzu dienen. Da Freiheit auch Verantwortungbedingt, erstreben liberale Ordnungen einGleichgewicht von Rechten und Pflichten.5 Die Gesellschaft der Freien kann auf Dau­er nur bestehen, wenn lebenswichtige Ge­meinschaftsaufgaben erfüllt werden. Frei­heitliche Politik bejaht die Verantwortungfreier Menschen, notwendige Verpflichtun­gen im Dienst von Volk, Heimat und Staat zuübernehmen.6 Ziel eines freiheitlich geordneten Gemein­schaftslebens ist die bestmögliche Entwick­lung aller schöpferischen Kräfte. In diesemSinne wollen wir alle Bürger zum sinnvollenGebrauch ihrer Freiheit ermutigen.

2. Kapitel

l\Iellschenwürde

7 Der Menschenwürde gehört unsere volleAchtung. Wir wollen eine tolerante Gesell­schaft, die jedem Menschen die Entfaltungseiner Persönlichkeitswerte sichert. Humani­tät und Toleranz sollen der Maßstab für dasZusammenleben der Menschen sein.

8 Der Mensch als Individuum ist einzigartig,keinem anderen gleich, doch jedem anderengrundsätzlich gleichberechtigt. Wir respek­tieren den Menschen, wie er von Natur ausvorgegeben ist, entwicklungsfähig und be­gabt für eine von ihm selbst zu bestimmendeEntfaltung. Freiheitliche Politik will demMenschen helfen, sich positiv zu entwickelnund sein Dasein menschenwürdig zu gestal­ten.9 Zwangsbeglückung oder totalitäre Umfor­mung zu einem neuen Menschen nach vorbe­stimmter Norm lehnen wir ab. Wir bejaheneine offene, pluralistische Gesellschaft miteinem Nebeneinander verschiedener An­schauungen und Lebensweisen.Vielfalt bereichert das Leben der Menschen,Gleichmacherei hingegen läßt es verarmen.Die Anerkennung dieser Verschiedenartig­keit rechtfertigt jedoch keine unterschiedli­che Bewertung der Würde des einzelnen Men­schen.10 Die Freiheit des Einzelnen findet ihreGrenzen in der Freiheit anderer. Denn jederMensch ist zugleIch Teil einer Gemeinschaft,die ihn mitträgt und ihm dafür Pflichten auf­erlegt.11 Wir erachten Mann und Frau als gleichwer­tig, gleichrangig und dementsprechendgleich in ihrer Verantwortlichkeit. Daherstreben wir ein partnerschaftliches Zusam­menwirken der beiden Geschlechter in allenLebensbereichen an. Auf die unterschiedli­chen Wesenszüge beider Geschlechter ist Be­dacht zu nehmen. Jede Art von Benachteili­gung eines Teiles muß jedoch verhindert wer­den.12 Als wichtigste Gemeinschaft betrachtenwir die Familie, welche organisch zwischendem Einzelnen und der Gesellschaft steht. J e­de Familie, nicht nur die vollständige, benö­tigt den Schutz der Gesellschaft. Wir achtenden Anspruch der Familie, ihre Verhältnissenach innen und außen individuell zu gestal­ten, und billigen ihr grundsätzlich eine Artvon Autonomie zu. Diese Autonomie setztaber die Achtung der persönlichen Rechteder einzelnen Familienmitglieder voraus. Wirwollen eine Familienpolitik, die das Bestehengesunder Familien sichern hilft.

3. Kapitel

Volk UIId Heiulat

13 Wir bekennen uns zur demokratischen Re­publik Österreich als unserem Vaterland, indem die Werte des Volkstums und der Hei­matliebe hochgehalten werden sollen.

Volkstum und Heimat sind für uns unver­zichtbare Werte. Wir wollen eine nationalePolitik, die den Völkern und Volksgruppendie Wahrung ihrer Lebensrechte und die Ent­faltung ihrer Eigenart mit Hilfe liberaler Poli­tik auf friedliche Weise ermöglicht.

14 Familie und Volk sind organisch gewach­sene Gegebenheiten, die in der Politik Be­rücksichtigung finden müssen. Das Volk alsnatürliche Gemeinschaft, durch Abstam­mung und geschichtliche Entwicklung ver­bunden, hat gemeinsame Sprache und Kulturentwickelt und weist gemeinsame Wesenszü­ge auf.Wir halten das Bestehen ethnischer Gemein­schaften für notwendig, auch und gerade ineiner Zeit übernationaler und überregionalerZusammenschlüsse. Diese nationale Stand­ortbestimmung schließt die Forderung mitein, daß das Neben- und Miteinander der eth­nischen Gemeinschaften unabhängig vonstaatlichen Grenzen von gegenseitiger Ach­tung und Toleranz getragen sein muß.15 Das Bewußtsein der besonderen Wesens­art des eigenen Volkes ist nach unserem na­tionalen Verständnis untrennbar mit der Be­reitschaft verknüpft, das Besondere auch injedem anderen Volk zu achten.Nationale Überheblichkeit lehnen wir ab. Wirverurteilen jeden Mißbrauch nationaler Ge­fühle für totalitäre oder imperialistische Zie­le. Die tragischen Folgen des Mißbrauchs na­tionaler Ideen insbesondere in diesem Jahr­hundert sind abschreckende Beispiele undmüssen uns und allen Völkern in der Welt zurLehre dienen.16 Die bei weitem überwiegende Mehrheitder Österreicher gehört der deutschen Volks­und Kulturgemeinschaft an. Diese Tatsachebleibt bestehen, obwohl sie als Folge einesverhängnisvollen Kapitels deutscher Ge­schichte in Österreich vielfach verdrängtwird. Wir wollen, daß Österreich, eingebettetin den deutschen Volks- und Kulturraum,auch in Zukunft dessen Enhvicklung eigen­ständig mitgestaltet.17 Wir sind überzeugt, daß das Bekenntniszum eigenen Volkstum eine Grundvorausset­zung für die Bewahrung und Weiterentwick­lung der kulturellen Werte und des histo­risch-kulturellen Selbstverständnisses jederethnischen Gemeinschaft ist.Wir treten dafür ein, daß allen Österreichernohne jedwede Diskriminierung verbürgt seinsoll, sich offen zu ihrer ethnischen Zugehörig­keit zu bekennen.18 Als Nationale würdigen wir die Existenzund das Wirken der ethnischen Minderheitenin Österreich als eine wertvolle kulturelle Be­reicherung unserer gemeinsamen Heimat.

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Wir sind weiterhin für einen großzügigenMinderheitenschutz auf der Grundlage desgeltenden Volksgruppenrechts.

t. Kapitel

Europa

19 Die Zukunft Europas liegt in einem engenMiteinander aller seiner Länder und Völker.Ungeachtet aller Schwierigkeiten des Eini­gungsprozesses, bleibt ein geeintes und star­kes Europa das Ziel, zu dem es keine vernünf­tige Alternative in Freiheit gibt. Auch der "Ei­serne Vorhang" soll eines Tages im Rahmeneiner friedlichen Lösung des Ost-West-Kon­l1iktes einem Brückenschlag zwischen West­und Osteuropa Platz machen.20 Wir vertreten eine Europapolitik, die reali­stisches Augenmaß für die nächsten mögli­chen Schritte mit dem Mut zur Vision verbin­det. Den letzten Schritt zur Vollendung desvon uns angestrebten Einigungswerkes er­blicken wir in der Schaffung einer europäi­schen Konfoderation. In dieser soll jedesVolk auf der Grundlage von Selbstbestim­mung seine Eigenart bewahren können.n Wir wollen den europäischen Zusammen­schluß als Grundlage für polltische und wirt­schaftliche Existenzsicherung, darüber hin­aus aber auch als Vorbedingung für einen ei­genständigen und· wirksamen Beitrag Euro­pas zur Sicherung des Friedens in der Welt.Der Weltfriede wird nicht allein vom Ost­West-Gegensatz, sondern auch vom Nord­Süd-Konflikt bedroht. Europa muß sich da­her auch seiner Verantwortung für eine aufgegenseitigem Verständnis beruhende Part­nerschaft zu den Ländern der dritten Welt be­wußt werden.

Auch das neutrale Österreich hat An­spruch auf eine gesamteuropäische Zukunft.Seine geographische Lage, seine Geschichte,seine Zugehörigkeit zur pluralistisch-demo­kratischen Staatenwelt und sein Engagementals Mittler zwischen Ost und West weisen un­serem Land in Europa eine mitgestaltendeHolle zu.Wir betrachten es als unsere Aufgabe, in Zu­sammenarbeit mit den anderen liberalenKräften unseres Kontinents darüber zu wa­chen, daß mit dem integrationspolitischenFortschritt auch die Weiterentwicklung vonDemokratie und Bürgerrechten einhergeht.Mehr Gemeinsamkeit in Europa darf niemalsweniger Freiheit für seine Bürger bedeuten.

Für den Schutz ethnischer Minderheitenund zur Lösung von Minderheitenfragen wol­len wir ein europäisches Volksgruppenrechtauf der Grundlage des Selbstbestimmungs­rechtes und des Heimatrechtes. Bis zu dessenVerwirklichung betrachten wir es als die hi­storische Aufgabe Österreichs, den Bestandder deutschen und der ladinischen Volks­gruppe in Südtirol mit allen verfügbarenf,'iedlichen Mitteln zu sichern. Das Selbstbe­stimmungsrecht der Südtiroler ist unver­zichtbar und von Österreich als durch inter­nationale Verträge anerkannte Schutzmachtzu vertreten, wenn eine legitime Mehrheit derdeutschen und ladinischen Südtiroler diesfordert.

5. Kapitel

Kultur

24 Das Kulturleben bedarf der vollen innerenund äußeren Freiheit. Die kulturelle Betäti­gung, sei sie schöpferisch oder nachvollzie­hend, hilft dem Menschen, sein Dasein zu be­reichern, zu einer inneren Erfüllung zu gelan-

gen und seinen Lebenssinn zu finden. Dar­über hinaus bildet Kultur durch Austauschvon Wissen, Erfahrung und Wertvorstellun­gen die Brücke zwischen dem Einzelnen undder Gesellschaft, zwischen Gruppen undüber die Generationen hinweg.

25 Freiheitliche Kulturpolitik begnügt sichnicht mit der Weitergabe überlieferter Werte,sondern will eine ständige kulturelle Höher­entwicklung. Wir erachten Geistesfreiheit,Religionsfreiheit, Freiheit der Kunst sowieFreiheit des Lehrens und Lernens für unab­dingbare Voraussetzungen des kulturellenLebens. Wir verteidigen daher das Recht desEinzelnen und einzelner Gruppen auf kultu­relle Entfaltung gegen jedes Diktat der orga­nisierten Gesellschaft.

26 Freiheitliche Politik hat aus liberaler Sichtzum Ziel, das schöpferische Potential in derGesellschaft zu wecken und alle kulturellenund geistigen Ausdrucksformen zu fördern,die den Werten einer humanen, freiheitlich­demokratischen Gesellschaft zuträglich sind.

27 Freiheitliche Kulturpolitik bejaht aus na­tionaler Sicht die kulturelle Selbstfindungund Selbstdarstellung ethnischer Gruppenund aller Völker.

Im Sinne der Zugehörigkeit Österreichs zumdeutschen Kulturraum liegt uns die Pflegeder deutschen Kultur und Sprache besondersam Herzen. Wir erachten es als Aufgabe, be­wußt einen österreichischen Beitrag zur Ent­wicklung der deutschen Kultur zu leisten.Unbeschadet dessen würdigen wir aus natio­naler Sicht die kulturelle Identität aller ethni­schen Minderheiten und wollen diesen ihrenkulturellen Bestand und dessen Entfaltunggroßzügig sichern helfen.

28 Kulturpolitik muß die kulturellen Äuße­rungen aller gesellschaftlichen Gruppenernst nehmen und ihnen gleiche Aufmerk­samkeit schenken. Sie darf sich daher nicht inder Förderung der sogenannten Hochkulturund in der Erhaltung von Kunstdenkmälernerschöpfen. Sie soll vielmehr ein Klima dergeistigen Offenheit schaffen, in dem alle kul­turellen Tätigkeiten, von der Pflege derVolkskultur und des Brauchtums bis zu denFormen des experimentellen Kulturschaf­fens, ermutigt und gefördert werden.

Wissen und Bildung dienen der kulturel­len Weiterentwicklung der Gesellschaft imganzen wie auch des Einzelnen, sind aber vorallem auch eine Voraussetzung für die Betei­ligung des Bürgers an politischen Entschei­dungsprozessen.

Dies begründet für uns das allgemeine undgleiche Recht auf Bildung für alle. Freiheitli­che Bildungspolitik will auf die unterschied­lichen Begabungen eingehen, Chancenge­re'chtigkeit herstellen und darauf aufbauendes allen Menschen jedweder sozialer Her­kunft ermöglichen, in einem differenziertenBildungssystem ihrer Begabung gemäß zurbestmöglichen Entfaltung zu gelangen.

Sie will den Menschen durch ganzheitlicheEntwicklung aller seiner Fähigkeiten in dieLage versetzen, kulturelle, wirtschaftlicheund politische Zusammenhänge kritisch zuerfassen und sie durch verantwortliches Han­deln mitzugestalten.

30 Die Wissenschaft als das organisierte Stre­ben der Menschen nach Erkenntnis muß inForschung wie Lehre frei und dem Leistungs­prinzip verpfl.~chtetbleiben. Darüber hinaussoll sie dem Uberleben einer humanen undoffenen Gesellschaft in einer bedrohten Weltund der Erhaltung der natürlichen Lebens­grundlagen dienen. Wissenschaft und Kulturmüssen weltoffen sein.

6. Kapitel

Soziale Gesellschaft31 Wir wollen eine Gesellschaft ohne Unter­drückung, die allen Menschen den Rahmenrur die Entfaltung der in ihnen liegendenMöglichkeiten gibt und den Schwachen vordem Mächtigen schützt. So wie die Menschenverschiedenartig sind, ist die Gesellschaftvielschichtig. Liberale Gesellschaftspolitiksieht im Entstehen verschiedener Schichtenund Gruppierungen einen ganz natürlichenVorgang.

32 Wir fordern Gerechtigkeit in der Gesell­schaft. Dabei denken wir nicht nur an dieGleichheit vor dem Gesetz, sondern ebensoan die Angleichung der Lebenschancen.Chancengerechtigkeit, wie wir sie erstreben,schließt aber eine unterschiedliche Entwick­lung der Menschen keineswegs aus; besitztder Mensch doch die Freiheit, selbst zu be­stimmen, ob er weiterstreben oder verharrenwill. Unterschiede, die auf einer Leistung,einer zielgerichteten Anstrengung oder aufrichtigen Entscheidungen beruhen, dürfennicht nachträglich eingeebnet werden.Gleichmacherei ist der Feind der Freiheit.33 Wir wollen mehr Freiheit und wenigerStaat, meinen damit aber nicht den Rückzugdes Staates aus seiner sozialen Verantwor­tung, etwa der Privatisierung der Armut.Doch entbinden staatliche Einrichtungenden Einzelnen nicht von seiner Verantwor­tung für sich selbst und von seiner sozialenVerpflichtung gegenüber den Mitmenschen.34 In der Gesellschaft, rur die wir eintreten,verbindet sich Freiheit mit Rücksichtnahmeund Gemeinschaftssinn.Die Sozialeinrichtungen müssen gewährlei­sten, daß für jedermann, der in Not geratenist, unter Berücksichtigung familiärer Ver·pflichtungen eine bestimmte Mindestversor­gung nicht unterschritten wird. Andererseitsmuß der Mißbrauch sozialer Einrichtungenverhindert werden. Der Leitgedanke freiheit­licher Sozialpolitik ist in erster Linie Hilfe zurSelbsthilfe. Wir lehnen daher eine Sozialpoli­tik ab, die dauernde Abhängigkeit schafft.35 Wir lehnen jeden Versuch ab, dem Einzel­nen oder der Gesellschaft als ganzer eine be­stimmte Entwicklungslinie aufzuzwingen.Unsere Gesellschaftspolitik orientiert sich andem Ziel einer Höherentwicklung des Einzel­nen ebenso wie der Gesellschaft: kulturell,ethisch, wirtschaftlich und ökologisch.In dem Maße wie eine Gesellschaft den Ein­zelnen dazu ermuntert, ist auch sie selbst ins­gesamt unterwegs zu einer höheren Entwick­lungsstufe.

7. Kapitel

Leistung3d Das Leistungsprinzip soll die treibendeKraft der gesellschaftlichen Entwicklungbleiben. Wir sehen im persönlichen Lei­stungswillen eines Menschen die bewußteHinwendung zu einem aktiv gestalteten Le­ben. Wir meinen die Leistung in allen Lebens­bereichen, geistig wie körperlich, kulturellwie sozial, technisch wie wirtschaftlich. DieEinengung auf einen rein materiellen Lei­stungsbegriff lehnen wir ab.37 Ohne Leistungsbereitschaft ist weder einebefriedigende Existenzsicherung für denEinzelnen, noch der Aufbau einer insgesamtlebensfähigen Gesellschaft möglich. Lei­stung geht jedoch über die bloße Daseinsvor­sorge hinaus und wird zu einer Ausdrucks­form schöpferischer Entfaltung in Freiheit.Wir wollen ein gesellschaftspolitisches Kli­ma, in dem der Leistungswille des Einzelnen

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ebenso gedeihen kann wie die allgemeine Be­reitschaft zu Gemeinschaftsleistungen. DasAktiv-Element in der Gesellschaft brauchtHandlungsspielraum.38 Leistungsfreude soll aber nicht durch un­nötigen Leistungsdruck erstickt werden. Ausliberaler Sicht dürfen Lebensweisen, in de­nen Leistungsziele nur eine untergeordneteRolle spielen, nicht diskriminiert werden.Das Verhältnis zum Leistungsgedanken be­stimmt auch nicht den moralischen Wert ver­schiedener Lebensauffassungen.39. Der Leistungswille wird vielfach begleitetvon der Bereitschaft, Risken einzugehen,Opfer in Kauf zu nehmen und in Neulandvor­zustoßen. Diese Wagnisbereitschaft vieler,imKleinen wie im Großen, liegt im Interesseeiner Entwicklung der Gesellschaft und solldaher ermutigt werden.Deshalb muß sich jede Form von Anerken­nung und auch die Gestaltung der Einkom­mensverhältnisse in erster Linie nach demLeistungsprinzip richten.Leistung muß sich lohnen. Die Menschendürfen nicht um die Früchte ihrer individuel­len Leistungen gebracht werden. Daher leh­nen wir Ideologien ab, bei denen Umvertei­lung auf Gleichmacherei abzielt.40 In unserer pluralistischen Gesellschaft fin­det ein ständiger Leistungswettbewerb statt.Wir bejahen diesen Wettbewerb, verlangenaber daftlr Regeln, die sittenwidriges Verhal­ten und den Mißbrauch von Macht hintanhal­ten.Leistungen, die dem Gesamtwohl dienen, ge­bührt besondere Anerkennung.Die Bildung von offenen Eliten aufGrund tat­sächlich erbrachter bedeutender Leistungensichert die Lebensfahigkeit großer menschli­cher Gemeinschaften. Eliten müssen sich je­doch immer wieder aufs neue bewähren. Pri­vilegien lehnen wir ab.

8. Kapitel

Eigentum Illld Marl~t,"~irt·

sellaft

41 Die Anerkennung von Privateigentum isteine Grundbedingung für jede freie Gesell­schaft. Wir wollen möglichst viel Eigentumaller Art, insbesondere auch an Produktions­mitteln, in privater Hand und breit gestreut.Eine dem Gedanken des Eigentums ver­pflichtete Politik darf sich nicht nur auf denSchutz bestehenden Besitzes beschränken,sondern muß daftlr sorgen, daß jeder Einzel­ne durch Leistung auch tatsächlich zu Eigen­tum gelangen kann. Denn Vermögensbil­dung untermauert die persönliche Unabhän­gigkeit und stärkt die Freiheit jedes Einzel­nen.

42 Die Verstaatlichung von Eigentum alsPrinzip lehnen wir ab. Verstaatlichung .sollauf jene, wenigen Bereiche beschränkt wer­den, in denen aus sachlicher Zweckmäßig­keit im Interesse des Gesamtwohles ein Ver­zicht auJ Privateigentum geboten erscheint.Wirtschaftsaufgaben, die von verstaatlichtenoder gemeinwirtschaftlichen Unternehmenoder von Behörden übernommen wurden,sind laufend auf eine mögliche Reprivatisie­rung hin zu überprüfen. Das gilt ftlr alle Ebe­nen der Gebietskörperschaften und andereröffentlicher Einrichtungen.

43 ,Die Bildung von Eigentum soll grundsätz­lich auf Leistung beruhen. Ausbeutung leh­nen wir ab. Eigentumsrechte,dürfen nicht oh­ne Rücksichtnahme auf die Gesellschaft aus­geübt werden.

Vor allem Eigentum an Boden und Land­schaft, an Produktionsmitteln sowie Kapital­besitz ganz ellgemein unterliegen sozialenund ökologischen Verpflichtungen.Liberale Eigentumspolitik erstrebt ein mög­lichst hohes Maß an privatem Verfügungs­recht im Rahmen sozialer und ökologischerSchützbedürfnisse.

44 Leistungsgesellschaft und Privateigentumerfordern eine Wirtschaftsordnung, in derenMittelpunkt der Freie Markt steht.

Wir wollen eine liberale Marktwirtschaft mitmöglichst viel Handlungsfreiheit für eigen­verantwortliche Unternehmungen im Rah­men sozialer und ökologischer Vorgaben.

45 Die Wirtschaftspolitik des Staates hatgrundsätzlich das Funktionieren dieserMarktwirtschaft, unter Berücksichtigung desGesamtwohles, zu gewährleisten.

Jede Form einer zentral gelenkten Staatswirt­schaft ist mit einer freiheitlichen Gesell­schaftsordnung unvereinbar. Diese Überzeu­gung gründet nicht zuletzt aufder Erfahrung,daß planwirtschaftliche Systeme weder denökologischen noch den sozialen Anforderun­gen gerecht wurden, obwohl sie gleichzeitigdie wirtschaftliche Handlungsfreiheit ver­nichteten und ökonomisch schwach blieben.

46 Die natürliche Entsprechung der Markt­wirtschaft auf internationaler Ebene ist derFreihandel. Er muß auf weltweiter Partner­schaft beruhen und darf nicht durch Protek­tionismus zerstört werden. Er findet aber sei­ne Grenzen dort, wo unzumutbare Abhängig­keiten geschaffen werden oder Krisenvorsor­ge geboten ist.

47 Wichtigste Aufgabe freiheitlicher Markt­ordnungspolitik ist die Aufrechterhaltungeines fairen Wettbewerbs.

Freiheitliche Wirtschaftspolitik will ein har­monisches Gleichgewicht zwischen allenMarktkräften und vor allem zwischen Kapitalund Arbeit bewirken. Jedermann soll durchseinen Leistungsbeitrag zum Teilhaber amgemeinsam geschaffenen Wohlstand werden.

9. Kapitel

Staat und Reellt

48 Wir bekennen uns zur Staatsform der frei­heitlichen, demokratischen Republik, zumPrinzip der Rechtsstaatlichkeit, zum Mehr­parteiensystem und zum freien Wettbewerballer politischen Kräfte.Demokratie bedeutet ftlr uns jene Herrschaftdes Volkes, die grundsätzlich durch Mehr­heitsentscheidungen seiner in allgemeinenfreien Wahlen nach dem Verhältniswahlrechtgewählten Vertreter ausgeübt wird.In Ergänzung dazu fordern wir den Ausbauund die Verfeinerung von Instrumenten derdirekten Demokratie, denn wir glauben anden mündigen Bürger.49 Der Staat ist nicht Selbstzweck, sondernhat der Freiheit, der Sicherheit und dem Wohlseiner Bürger zu dienen.Der Staat darf die Grundrechte und bürgerli­chen Freiheiten des Einzelnen nur dort be­grenzen, wo durch maßlose Wahrnehmungpersönlicher Interessen der Freiheitsraumanderer Bürger oder die Prinzipien einer so­zialen ·Gesellschaft verletzt würden.50 Um die äußere Sicherheit zugewährlei­sten, muß sich jeder Staat an einer weltweitenFriedenspolitik beteiligen. Österreich soll aufder Grundlage seiner Neutralität daran mit­wirken.Diese umfassende Sicherheitspolitik bedingtauch ein Bekenntnis zur umfassenden Lan-

desverteidigung, die im militärischen Aufga­benbereich durch ein Milizheer wahrzuneh­men ist.

51 Im Bereich der inneren Sicherheit bestehtdie wesentliche Aufgabe des Staates aus libe­raler Sicht im Schutz des Einzelnen vor Un­recht und Gewalt und in der Gewährleistungder Rechtsordnung. Die erforderlichen staat­lichen Schutzmaßnahmen dürfen jedochnicht zu einern freiheitsfeindlichen Überwa­chungssystem entarten. Dazut tritt als \....eite­re zentrale Aufgabe des Staates die Gewähr­leistung geordneter Rahmenbedingungen fürdas wirtschaftliche Handeln und die sozialeSicherheit dcr Bürger im Sinne einer Grund­\'crsorgung.

:;'2 Der Ausgleich der Interessen des Einzel­nen mit jenen der Gemeinschaft erfordert einsorgfaltiges Abwägen von staatlichen Ein­griffen und Nicht-Einmischung.

Wir treten für eine zeitgemäße \Veiterent­wicklung des Prinzips der Gewaltentrennungim Sinne einer Stärkung der Volksvertretunggegenüber der Regierungsgewalt ein.

Unverzichtbares Wesensmerkmal des frei­heitlichen Rechtsstaates bleibt die Unabhän­gigkeit der Rechtssprechung und der Rich­ter.

53 Wir bejahen den Föderalismus als ein Ge­staltungsprinzip, beginnend bei den Gemein­den über die Bundesländer und Staaten bishin zur Errichtung eines Vereinten Europa.Wir bekennen uns zum föderalistischen Auf­bau Österreichs.

54 Wir anerkennen die Rolle der Verbändeund Interessenvertretungen in einer liberalenGesellschaft. Um einer unkontrollierten"Diktatur der Apparate" und dem darin be­gründeten Ohnmachtsgefühl des Einzelnenzu begegnen, bedarf es einer liberalen Ver­bändeordnung, die die demokratischenRechte der Mitglieder innerhalb der Verbän­de stärkt.

55 Man kann vom einzelnen Bürger nur dannerwarten, daß er sich an den ethischen Wertender Gemeinschaft orientiert, wenn er selbstdarauf vertrauen kann, daß die Verantwortli­chen im Staat, insbesondere die politischenAmtsträger, ihr Handeln nach diesen Grund­sätzen ausrichten, Pflichtbewußtsein undSauberkeit der Verantwortlichen sind we­sentlich für das Vertrauen der Bürger in ihrenStaat.

10. Kapitel

UITIwelt

56 Wir bekennen uns zur ökologischenSchicksalsgemeinschaft alles Lebendigenauf unserer Erde, Wichtigstes ökologischesZiel freiheitlicher Politik ist die Erhaltungeines für alles Leben günstigen Gleichge­wichtes in der natürlichen Biosphäre.

Diese dünne Schichte aus Luft, Wasser undErde als Lebensraum für alles pflanzliche, tie­rische und menschliche Leben muß als einempfindliches, auf natürlichen Kreisläufenund Wechselwirkungen aufgebautes Systemverstanden werden.

57 Die totale Inanspruchnahme der Naturdurch den Menschen im Zuge der EntwiC'k­lung von Wissenschaft, Technik und Wirt­schaft gefcihrdet weltweit dieses Ökosystem.Indem sich der Mensch scheinbar zum Be­herrscher der Natur aufschwang, wurde erandererseits zu ihrem Zerstörer. Ihm drohtdie Gefahr, durch allmähliche Zerstörung dereigenen Lebensgrundlagen seine Selbstver-

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nichtung herbeizuführen. Überall zu beob­achtende Umweltschäden großen Ausmaßesmüssen als Warnung dafür begriffen werden,daß es höchste Zeit für uns alle ist, das Ökosy­stem Erde nicht als Untertan sondern alsPartner behandeln zu lernen.58 Da es sich hierbei um eine globale Aufgabehandelt, muß in den Menschen aller Völkerein neues Umweltbewußtsein geweckt undaufgebaut werden.Wir bejahen dafür jede internationale Zusam­menarbeit, die aufpartnerschaftliche Art undWeise erfolgen muß. Die Industriestaaten sol­len den Ländern der dritten Welt helfen, ihreWirtschaftsentwicklung ohne neue Umwelt­zerstörung großen Ausmaßes voranzutrei­ben.Umweltschutz allein als bloße Abwehr be­reits eingetretener Schäden ist zu wenig. Wir\vollen eine umfassende Umweltpolitik, diegestaltend in alle zivilisatorischen Entwick­lungen eingreift, um vorausblickend die Er­haltung der natürlichen Lebensgrundlagenlangfristig und weltweit zu sichern.

59 Im Vordergrund steht der Kampf gegendie Vergiftung der Luft, des Wassers und derBöden.Gleichzeitig muß der fortschreitenden Ver­nichtung der Tier- und Pflanzenwelt, insbe-

sondere der Wälder, Einhalt geboten werden.Die Erhaltung der biologischen Artenvielfaltist für die Zukunft der Welt und das Überle­ben der Menschheit von größter Bedeutung.6Q Der Raubbau an nur begrenzt vorkom­menden Rohstoffen und Energieträgern so­wie deren Verschwendung ist einzustellen.Es muß eine Kreislaufwirtschaft aufgebautwerden, in welcher die Mehrfachverwendungund Wiederaufbereitung knapper Stoffe eineSelbstverständlichkeit darstellen. Der Öko­logie muß solange eine Vorrangstellung ein­geräumt werden, bis das 9leichgewicht mitder bisher bevorzugten Okonomie wieder­hergestellt ist.Für den Energieverbrauch gilt das Gebot derSparsamkeit. Langfristig ist der Übergangauf die überwiegende Nutzung von entwedererneuerbaren oder unerschöpflichen Ener­giequellen systematisch vorzubereiten.61 Alle Bemühungen der Umweltpolitik wer­den letztlich vergeblich bleiben, wenn dasWachstum der Weltbevölkerung nicht ge­bremst wird. Wir bejahen eine Stabilisierungder Bevölkerungszahlendurch humane Ge­burtenregelung und Verzicht auf machtpoli­tisehe Expansionsvorstellungen.62 Die zunehmende Verstädterung, das Aus­ufern von wirtschaftlichen Ballungszentrenund die Verkehrslavline schädigen die Ge-

sundheit der davon betroffenen Bevölkerungan Leib und Seele. Daher sind in diesen Re­gionen unmittelbarer Umweltschutz, Lärm­schutz und Landschaftsschutz besonderswichtige Aufgaben zur Erhaltung der Volks­gesundheit.Die Bürger sollen an Entscheidungen, die dieUmwelt wesentlich beeinflussen, von Anfangan beteiligt werden.Umweltschutz ist nicht kostenlos. Er kannauch Opfer fordern bis hin zum Verzicht aufüberkommene Lebensgewohnheiten und aufgewisse materielle Vorteile. Indem wir - so­ziale Rücksichten immer vorausgesetzt - sol­che Opfer nicht ausschließen, sind wir über­zeugt, daß nur unsere auf Leistung beruhen­de Wirtschaftspolitik imstande ist, das ökolo­gische Problem zu lösen.

63 Der Weg zur Überwindung der eingetrete­nen Schäden an den ökologischen Systemenund zu einem langfristig stabilen ökono­misch-ökologischen Gesamtsystem führtnicht über den grundsätzlichen Verzicht aufdie Technik, sondern nur über die Entwick­lung eines neuen, vom Vorrang des Men­schen und der ökologischen Systeme gepräg­ten Technikverständnisses. FreiheitlichePolitik sieht in der Technik grundsätzlich einwertvolles Mittel zur Verbesserung derLebenschancen der Menschen.

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TEIL 11: LEBENSBEREICHE1. Kapitel

Staat und RechtEinleitung64 Die historische Erfahrung lehrt, daß dieFreiheit immer gefcihrdet war, wenn dieStaatsbürger glaubten, sie verstünde sich be­reits von selbst. Gleichgültigkeit breiter Be­völkerungsschichten gegenüber politischenProblemen, einseitiges Streben nach Kon­sum, Angst vor Veränderungen, Risikoscheu,kritiklose Hinnahme von Propaganda unddas Gefühl der Ohnmacht sind die Wegberei­ter der Unfreiheit. Darin erblicken wir einegefährliche Entwicklung.65 Die Freiheit ist heute auch dort bedroht,wo mit dem Verlangen nach genormterGleichförmigkeit ein Parteien-, Verwaltungs­oder Verbändestaat mit kollektivistischenGesellschaftsformen angestrebt wird.Die Lehre, daß jeder Einzelne in vollem Maßean der Freiheit des ..über Gut und Böse erha­benen Staates" teilhabe und schon deshalbeine der individuellen Freiheit überlegeneFreiheit genieße, bedeutet nichts anderes alsdie kollektive Preisgabe der persönlichenFreiheit und wird von uns abgelehnt.66 Nicht nur die bürgerlichen Grundrechtesind das Angriffszieljener Kräfte, die die kol­lektive Freiheit predigen und die individuelleFreiheit zerstören wollen, sondern dieser An­griff richtet sich direkt gegen die Grundfrei­heit des Geistes.Auch die freiheitliche Demokratie ist keinperfektes politisches System, jedoch eröffnetsie von allen Systemen der Freiheit, Men­schenwürde und sozialen Gerechtigkeit diegrößten Chancen auf Verwirklichung.61 Wir setzen uns ftir die Erneuerung demo­kratischer Einrichtungen ein. Jedes Systemkann verbessert werden, Erstarrung ist eineGefahr für die Zukunft.Die freiheitliche Demokratie ist der ständi­gen Herausforderung an jede Ordnung, sichzu erneuern, am besten gewachsen. Es sinddie Institutionen, die sich ändern sollen,nicht die Werte, die durch sie verkörpert wer­den.

Grund- und Freiheitsrechte68 Die verfassungsmäßigen Grund- und Frei­heitsrechte sind Rechte des Einzelnen gegen­über dem Staat und seiner Institutionen. So­lange die Aufgaben des Staates weiter wach­sen und sich verändern, haben wir zuneh­mende Spannungen zwischen dem Freiheits­anspruch des Einzelnen und der Staatsgewaltsowie anderen Organisationen und Verbän­den zu gewärtigen. Es ist daher notwendig,ständ'ig zu überprüfen, ob die verfassungs­mäßig garantierten Grund- und Freiheits­rechte jeweils noch ausreichen, um diesenFreiheitsanspruch zu gewährleisten.Wir fordern somit die Neufassung und ständi­ge Anpassung der Grund- und Freiheitsrech­te, um mit neuen Bedrohungen der Freiheitfertig zu'werden.69 Die neuen technischen Möglichkeiten derDatenerfassung, Datenspeicherung und Da­tenverarbeitung bergen in hohem Maße auchGefahren ftir das Recht des Einzelnen auf sei-

ne Privatspähre in sich. Dem Schutz der Pri­vatsphäre des Einzelnen vor Ausspähungund Mißbrauch von Daten durch den Staatund seine Institutionen oder Private gilt un­ser besonderes Augenmerk.Wir glauben, daß die Möglichkeiten ftir einenwirksamen Datenschutz noch lange nichtausgeschöpft sind, und fordern daher dieständige Weiterentwicklung der Daten­schutzgesetzgebung.

Wahlrecht10 Als Freiheitliche glauben wir an den mün­digen Bürger. Seiner Teilnahme an der politi­schen Willensbildung wollen wir noch mehrGewicht verleihen.Wo immer der Bürger als Wähler seine Stim­me abgibt, hat er Anspruch darauf, daß seinWille unverfälscht zum Tragen kommt. Seinpersönlicher Einfluß aufdie zu fällende Wahl­entscheidung darf nicht durch "korrigieren­de" Eingriffe geschmälert oder gar aufgeho­ben werden. Solche Formen der Wählerbe­vormundung sind in der Gestalt mehrheits­begünstigender Ermittlungsverfahren be­gründet; ihre Legalität ändert nichts an derAnmaßung gegenüber dem Bürger.

11 Nur die Verhältniswahl verbürgt eine un­verfcilschte Wiedergabe des Wählerwillens,sie allein gewährleistet das ftir einen fairenpolitischen Konkurrenzkampf notwendigeMaß an Gerechtigkeit. Sie ist somit auch'diebeste Voraussetzung ftir demokratische Mei­nungsvielfalt. Wir fordern daher die genaue­ste Einhaltung des in unserer Bundesverfas­sung verankerten Grundsatzes der Verhält­niswahl für alle in Österreich durch Gesetzvorgeschriebenen Wahlen. In Wahlordnun­gen enthaltene Elemente, die den Wählerwil­len verfciischen bzw. minderheitsfeindlichsind, sind zu beseitigen, wo immer solche der­zeit noch vorhanden sind.Für sämtliche Wahlen in Gebietskörperschaf­ten und öffentlich-rechtlichen Körperschaf­ten sind amtliche Stimmzettel einzuführen.Sinngemäß gilt dies auch ftir Betriebsrats­wahlen. Um dem Wähler eine stärkere Ein­flußnahme auf die Auswahl der Volksvertre­ter zu eröffnen, ist das Listenwahlrecht miteinem verbesserten System von Vorzugs­stimmen zu verbinden.

Kontrolle12 Die beständige Herausforderung der frei­heitlichen Demokratie, sich zu erneuern, giltim besonderen mit Blick aufdie Verfassungs­ordnung. Immer wieder sind deren Einrich­tungen und Regeln daraufhin zu überprüfen,ob sie jenen Werten und Grundsätzen, denensie Gestalt geben sollen, auch tatsächlichnoch genügen.Die österreichische Demokratie braucht einstärkeres Parlament, vor allem im Interesseeiner wirksameren Kontrolle der Exekutive.

13 Wir fordern daher eine Verfassungsreformin Bund und Ländern, durch welche die par­lamentarischen Kontrollrechte ausgebautund vermehrt der Opposition zugänglich ge-

macht werden. Auch sind ihr die wesentli­chen Informationsquellen zu erschließen.Die Kontrolle wird in der politischen Wirk­lichkeit ja nicht so sehr vom Parlament alsganzem oder von der die Regierung unter­stützenden Mehrheit seiner Abgeordneten,sondern in allererster Linie von der Opposi­tion ausgeübt - und damit von einer parla­mentarischen Minderheit.14 Diesem in unserer Bundesverfassung bis­her vernachlässigten Umstand soll durcheine deutliche Aufwertung der kontrollieren­den Rolle der Opposition Rechnung getragenwerden.Das ist der Weg, der nach unserer Überzeu­gung beschritten werden muß, um den heuteweitgehend ausgehöhlten Begriff der Gewal­tentrennung mit neuem Leben zu erftillen.So wie auf Bundesebene sollen auch auf Lan­desebene parlamentarische Minderheiten so­wohl dem Rechnungshof wie den Landes­kontrolleinrichtungen Prüfungsaufträge er­teilen können. Auch Landeskontrolleinrich­tungen sollen von der jeweiligen Regierungunabhängig sein.

Repräsentative und direkteDemokratie75 Wir bekennen uns zur repräsentativen De­mokratie. Wir wollen jedoch ihre Erweite­rung um Elemente der direkten Demokratie.In einer Verstärkung der unmittelbaren Bür­germitbestimmung erblicken wir eine wert­volle Bereicherung unseres parlamentari­schen Systems. Zur Weiterentwicklung derdirekten Demokratie in Österreich schlagenwir daher folgende Ergänzung unserer Bun­desverfassung vor:16 Ein Voksbegehren, das der Nationalrat ab­gelehnt hat, soll künftig unter bestimmtenVoraussetzungen, als deren wichtigste einezahlenmäßig besonders starke Unterstüt­zung durch die Stimmberechtigten zu geltenhätte, einer Volksabstimmung zuzuführensein.Damit wollen wir die Möglichkeit eröffnen,daß ein an die Gesetzgebung gerichtetes An­liegen, das nachgewiesenermaßen vom politi­schen Engagement einer besonders großenZahl von Bürgern getragen wird, der Gesamt­heit der stimmberechtigten Bürger zur end­gültigen Entscheidung vorgelegt werdenkann.Diese Anreicherung der repräsentativen De­mokratie mit Elementen der direkten Demo­kratie wollen wir nicht nur ftir die Bundes­ebene, sondern auch ftir Ländern und Ge­meinden.

Föderalismus71 Wir bekennen uns zum föderalistischenPrinzip. Die Eigenverantwortlichkeit derLänder stärkt die Bürgerbeteiligung, kommtdurch Berücksichtigung der unterschiedli­chen Gegebenheiten in den einzelnen Län­dern den Interessen der Menschen entgegenund erleichtert durch die Überschaubarkeitder Verhältnisse eine volksnahe Verwaltung.Der Föderalismus, den wir wollen, be­schränkt sich nicht auf das Verhältnis zwi­schen Bund und Ländern, er schließt auchdie Eigenverantwortlichkeit und Autonomieder Gemeinden mit ein.78 In der Zuständigkeitsverteilung zwischenBund, Ländern und Gemeinden hat der

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Grundsatz zu gelten, daß Aufgaben, die ambesten die kleinere Einheit zu erfüllen ver­mag, dieser auch vorbehalten bleiben.Infolge der wissenschaftlich-technischenund wirtschaftlichen Entwicklung ist es not­wendig geworden, daß völlig neue Materien(z. B. Umweltschutz, Energie) vom Gesetzge­ber geregelt werdenDie derzeitige Kompetenzaufteilung zwi­schen Bund und Ländern entspricht nichtmehr dieser neuen Problemstellung. Daherfordern wir, diese Kompetenzverteilung vonGrund auf neu zu überdenken.

Verwaltung79 In der Demokratie sind die Einrichtungendes Staates für die Bürger da. Das Leistungs­angebot des öffentlichen Dienstes ist daherverstärkt auf die Bedürfnisse des Bürgersauszurichten. Im Interesse einer bürgerna­hen Verwaltung wollen wir eine Stärkung derVolksanwaltschaft. Ein immer komplexerwerdendes Gesellschaftssystem führt zueiner bedeutsamen Erweiterung der staatli­chen Aufgaben und damit zu einer Personal­und Kostenexplosion im Bereich der öffentli­chen Einrichtungen.Im Gegenzug· sollten daher offensichtlichunzweckmäßig gewordene Verwaltungsbe­reiche eingeschränkt oder ganz aufgegebenwerden. Aufgaben, die von privatwirtschaftli­cher Seite zweckmäßiger durchgeführt wer­den können, sollten aus der öffentlichen Ver­waltung ausgegliedert werden.80 In verstärktem Ausmaß sollen dort, wodies sachgerecht ist, Kosten-Nutzen-Rech­nungen angewendet werden, wie das in derWirtschaft üblich ist. Dadurch können dieFolgen von Gesetzen und Verwaltungsent­scheidungen deutlicher gemacht werden.Trotz solcher Berechnungen muß die Verant­wortlichkeit der zuständigen Entscheidungs­instanz gewahrt bleiben.81 Wir halten grundsätzlich am Berufsbeam­tentum fest. Dieses hat unbestechlicher Sach­walter des ganzen Volkes auf der Grundlageeiner korrekten Erfüllung der Gesetze zusein. Die Pragmatisierung der Berufsbeam­ten soll beibehalten werden, doch sind außer­halb der Hoheitsverwaltung wegen der Ge­fahr erstarrender Personalstrukturen derPragmatisierung Grenzen zu setzen.

Innere SicherheitSelbstbestimmung ist nur dort möglich,

wo der Mensch auf die Ordnung und Sicher­heit jener Verhältnisse vertrauen kann, die erseinen Entscheidungen zugrunde legen muß.Dies auch mit Blick auf die innere Sicher-heit Staates.Em hohes Niveau aller der inneren

dienenden Vorkehrungen ist da­her auch ein liberales Anliegen. Ausbildung,Ausrüstung und Organisation der Exekutivesollen gewährleisten, daß die Beamten ihreAufgaben wirksam erfüllen können: im Inter­esse der Bürger und zur Wahrung des Rechts­staatesIm Rahmen der Verbrechensbekämpfungsoll auf die Vorbeugung stets besonderes Ge­wicht gelegt \verden.

Zwischen Freiheit und Sicherheit bestehtnicht nur eine Wechselbeziehung, sondernauch ein Spannungsverhältnis.Wir wollen soviel Freiheit wie möglich undsoviel Sicherheit wie nötig - nicht umge­kehrt! Siche'rheit ist kein Selbstzweck, sie hatder Freiheit zu dienen.Die moralische Stärke eines Staates beruhtaufdem Vertrauen, das ihm seine Bürger ent­gegenbringen. Ein starker Staat ist in Wahr­heit daher nur der freiheitlich-demokratischeRechtsstaat. Er bietet die beste Gewähr füreine Gesellschaft, in der die Freiheit der Bür-

ger gegenüber der kriminellen Bedrohungdurch Einzelne oder durch Gruppen ge­schützt wird, ohne dafür die Grund- und Frei­heitsrechte preisgeben zu müssen.

Parteien und Verbände84 In unserem demokratischen Systemkommt den politisdlen Parteien eine tragen­de Rolle für die Umsetzung des Bürgerwil­lens zu.Daneben sind auch Bürgerinitiativen undähnliche Formierungen wichtige Möglichkei­ten, dem Bürgerwillen Ausdruck zu verlei­hen. Die politischen Parteien dürfen sich je­doch nicht Bereiche anmaßen, die mit ihreneigentlichen Aufgaben nichts zu tun haben.Auch muß die Entscheidung, einer Partei an­zugehören, freiwillig sein und ohne Druck er­folgen.85 Das "richtige Parteibuch" darf nicht überdie Erlangung materieller Vorteile entschei­den. Insbesondere das berufliche Fortkom­men eines Menschen hat nicht von der Zuge­hörigkeit zu einer Partei, sondern von seinenindividuellen Fähigkeiten und seiner Lei­stung abzuhängen.Wir fordern daher die Ausschaltung der Zu­gehörigkeit zu einer politischen Partei alsAuswahlkriterium bei der Postenbesetzung,BefOrderung, Wohnungsvergabe, Auftrags­vergabe und dergleichen.

86 Eine demokratische Gesellschaft kann oh­ne Verbände und Interessenvertretungennicht funktionieren. Die Menschen sinddurch ihre berufliche und gesellschaftlIcheRolle auch geprägt von Gruppeninteressenund fühlen sich in dieser Hinsicht dann nichtnur als Individuen, sondern als Glieder einerspeziellen Gruppe mit bestimmten gemeinsa­men Sonderinteressen.Es besteht die Gefahr, daß Verbände und Or­ganisationen, derenj Aufgabe die Durchset­zung von Gruppeninteressen ist, zumSelbstzweck oder durch Entfremdung ihreseigentlichen Zwecks zum Werkzeug rein par­teipolitischer Interessen werden und be­strebt sind, die Vertretenen ihrerseits mög­lichst gleichzuschalten.

87 Dieser Gefahr der "Diktatur des Appara­tes" oder seines Mißbrauches muß durch denAusbau' der Demokratie innerhalb dieser Or­ganisation entgegengetreten werden.Wegen der bestehenden ZwangsmitGlied­schaft bei Kammern fordern wir, daß alleGruppen innerhalb des Verbandes ihre Vor­stellungen artikulieren können. Dazu gehörtauch ein Wahlrecht für alle diese Verbände,das sich strikt an den Grundsätzen des Ver­hältniswahlrechtes orientiert.Das Prinzip der Zwangsmitgliedschaft beiden Kammern ist durch das Prinzip der frei­willigen Mitgliedschaft zu ersetzen. Mit­gliedsbeiträge an Kammern und Verbändesollen durch Direktbeiträge und nicht im We­ge von Abgaben oder abgabenähnlichen Lei­stungen entrichtet werden.Bei der Frage der Mitgliedschaft hat für dieKammern der Freien Berufe, in denen dieKammerzugehörigkeit die wesentlicheGrundlage für die freie Berufsausübung ihrerMitglieder darstellt, eine 9ndere Betrach­tungsweise zu gelten.

Politiker88 Wie an der Bedeutung politischer Parteienfür die parlamentarische Demokratie nichtgezweifelt werden kann, muß auch die Füh­rungsaufgabe der gewählten Volksvertreterfür die Lenkung des Staates anerkannt wer­den.Da die Schwierigkeiten sachgerechter Ur­teilsbildung und Entscheidung ständig zu­nehmen, wird es zur Bewältigung der Zu-

kunftsprobleme vermehrt pflichtbewußter.sachkundiger und beruflich weitgehend un­abhängiger Persönlichkeiten in der Politikbedürfen, die für Korruption unempfanglichsind und deren Existenz nicht von politi­schen Pfründen abhängt. Wir bekennen unszur Eigenverantwortlichkeit des Abgeordne­ten und daher zum freien Mandat.89 Eine leistungsbezogene Entlohnung derPolitiker bildet die Voraussetzung dafür, einenegative Auslese zu verhindern. Die Bezah­lung der politischen Arbeit darf jedoch nichtzu einer Privilegierung der Politiker entarten.Insoweit ungerechtfertigte Privilegien im Be­reich der Gebietskörperschaften und derKörperschaften öffentlichen Rechts vorhan­den sind, sind sie abzubauen. Auch 1m Be­reich der öffentlichen Wirtschaft sind die dortentstandenen Privilegien zu beseitigen.90 Eine ernste Gefahr für die Gesellschaftstellt die zunehmende Politik- und Parteien­verdrossenheit, die auf einen jahrelangen po­litischen Sittenverfall zurückzuführen ist,dar. Dies könnte unser demokratisches Sy­stem insgesamt in Frage stellen. Deshalb hal­ten wir es für notwendig, die Vermengungvon Politik und Geschäft energisch zu be­kämpfen. Es muß wieder bewußt und glaub­haft gemacht werden, daß Politik Dienst amVolke ist.

Rechtspolitik91 Die Rechtsordnung hat die Aufgabe, dasZusammenleben der Menschen zu regeln. Dasich die wirtschaftlichen, sozialen und kultu­rellen Verhältnisse ständig ändern, verlan­gen wir, daß die Rechtsordnung immer wie­der den neuen Gegebenheiten angepaßt wird.Dabei ist darauf zu achten, daß gesetzlicheBestimmungen der gesellschaftlichen Ent­wicklung weder zu weit nachhinken noch zuweit vorauseilen, da es sonst zu rechtsfreienRäumen, zu Räumen toten Rechts,ja sogar zuFormen der Rechtsverweigerung kommenkann. Die Gesetze müssen verständlich undleicht anwendbar sein.92 Das Zivilrecht, welches vor allem dieRechtsverhältnisseund die Rechtsgestaltungzwischen Personen regelt, hat den Menschenmit seinem Anspruch auf den größtmögli­chen Freiraum in den Mittelpunkt zu stellen.Unter Beachtung des Grundsatzes der Ver­tragsfreiheit nimmt freiheitliche Rechtspoli­tik darauf Bedacht, daß wirtschaftliche, fi­nanzielle oder sonstige Macht nicht zumNachteil des schwächeren Bürgers eingesetztwerden kann.93 Die Strafrechtspflege hat vor allem die In­teressen der öffentlichen Sicherheit und dieder Opfer von Straftaten zu berücksichtigen.Die Strafe soll in erster Linie der Resozialisie­rung und damit auch der Verhinderung wei­terer Delikte dienen.Die Todesstrafe lehnen wir ab.

94 Der Strafvollzug soll vom Geist der Huma­nität getragen sein. Insbesondere bei erstma­ligenund jugendlichen Tätern halten wir dasfür eine wichtige Vorbereitung auf den späte­ren Wiedereintritt in die Gesellschaft. ImRahmen der Resozialisierungsbemühungenkommt einer sinnvollen Beschäftigung derStrafgefangenen ein hoher Stellenwert zu.Häufig sind die Schwierigkeiten bei der Wie­dereingliederung in die Gesellschaft Ursachefür neue Straftaten. Wir wollen, daß durch ge­eignete Maßnahmen den entlassenen Häftlin­gen geholfen wird, wieder Fuß zu fassen undeine Existenz zu finden, ohne rückfallig zuwerden.Bei Tätern, bei denen alle Resozialisierungs­versuche erfolglos bleiben oder die beson­ders gefährlich sind, hat der Schutz der Ge­sellschaft Vorrang.95 Die Unabhängigkeit der Rechtssprechung

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Außellpolitil~ und Landesverteidigung

und der Richter ist ein unverzichtbarer Be­standteil eines freiheitlichen Rechtsstaates.Die Justiz hat dafür zu sorgen, daß der Bürgermöglichst rasch zu seinem Recht kommt. Diein einem liberalen Rechtsstaat unabdingbareUnschuldsvermutung verlangt, daß nacheiner straffen Durchführung der Verfahrenmöglichst rasch über Schuld oder Unschuldentschieden wird.96 Ein erleichterter Zugang zum Recht bedarfgesetzlicher, gerichtsorganisatorischer, per­soneller und sachlicher Voraussetzungen.

2. Kapitel

Einleitung98 Wir stellen die Freiheit auch im Bereichder internationalen Beziehungen als Leitwertan die Spitze. Eine solche grundsätzlicheWertprämisse ist eine wesentliche Vorausset­zung für die Kontinuität, Berechenbarkeitund Vertrauenswürdigkeit einer wirksamenAußenpolitik. Das bewahrt gerade aucheinen Kleinstaat wie Österreich vor der Ver­suchung, in Opportunismus abzugleiten.Österreich ist international ein mehr beweg­ter als bewegender Faktor. Dennoch wollenwir, daß Österreichs außenpolitischer Spiel­raum im Interesse der Freiheit genutzt wird.Denn wir erwarten von der Verwirklichungmenschlicher Freiheit die bestmögliche Lö­sung innerstaatlicher ebenso wie internatio­naler Probleme.99 Für den innerstaatlichen Bereich liegt dieSchlüsselfunktion der Freiheit klar auf derHand. Darüber hinaus besteht ein grundle­gender Zusammenhang zwischen innerstaat­licher Freiheit und internationaler Friedens­ordnung.Unzweifelhaft waren und sind totalitäre, dik­tatorische Herrschaftsverhältnisse herausra­gende Gefahrenherde für den Frieden, wäh­rend Kriege zwischen demokratischen Staa­ten mit freier Gesellschaft weniger wahr­scheinlich sind. Deshalb meinen wir, daß eineVölkerfamilie, deren Staaten im Inneren dasPrinzip der Freiheit verwirklicht hätten, da­mit nicht nur innerstaatlich zu positiven Le­bensverhältnissen führen, sondern geradezudie Erhaltung des internationalen Friedensgarantieren könnte. Deshalb ist Freiheit auchfür das Zusammenleben auf internationalerEbene der entscheidende politische Ansatz.100 Erhaltung und Ausbau der politischenFreiheit in einem pluralistisch-demokrati­schen System sowie das Leben in einer offe­nen, freien Gesellschaft, die Verwirklichungder gesellschaftlichen und politischenGrund- und Freiheitsrechte haben zwar auf'dem Papier für weite Teile der Welt Geltung,aber in der Praxis hat nur ein kleiner Teil derMenschheit daran Anteil. Es kann leider kei­ne Rede davon sein, daß sich diese Freiheitenausdehnen, im Gegenteil: sie sind bedroht.

Österreich und seine Neutralität101 Das neutrale Österreich ist ein freier Be­standteil der pluralistischen Welt und für sei­ne Sicherheit selbst verantwortlich. Die FPÖsteht auf dem Bodeh des Neutralitätsgeset­zes, das Österreich zur militärischen Neutra­lität verpflichtet. Wir wollen, daß Österreichkeinem Militärbündnis angehört. Darausfolgt, daß Österreich konsequent allein fürseine Sicherheit sorgen muß.102 Grundlage jeder Außenpolitik ist die poli­tische Eigenständigkeit. Osterreichs klassi­sche außenpolitische Ziele im Interesse unse-

Wir fordern daher, die Verfahrensrechte dar­aufhin zu überprüfen, inwieweit sie noch denheutigen Erfordernissen entsprechen. DieGerichtsstruktur ist auf funktionstüchtigeund überschaubare Einheiten zu bringen.97 Ein freiheitlich geordnetes Rechtswesenbraucht den freiberuflichen Berater und An­walt des Bürgers in rechtlichen, wirtschaftli­chen und sozialen Belangen.Im Interesse einer freien Gesellschaft sind diefreien Berufe so zu schützen, daß sie ihre Auf­gaben in vollem Umfang erfüllen können.

res Staates sind die Sicherung von territoria­ler Integrität, Eigenstaatlichkeit, also die Er­haltung der äußeren Freiheit, die Mehrungdes internationalen Ansehens sowie dieWahrnehmung wirtschaftlicher und kulturel­ler Interessen.103 Das traditionelle Modell des voll souverä­nen Staates entspricht der politischen Reali­tät vor allem eines Kleinstaates - nur nochsehr beschränkt. Österreich ist aufs engsteverflochten und abhängig als Bestandteil Eu­ropas, eines Kontinentes, der selbst wiedervielfachen Abhängigkeiten unterworfen ist.Die Souveränität im traditionellen Sinn ist al­so nur mehr sehr theoretisch als Bezugspunktder Außenpolitik anzusehen. Österreich mußden Schwerpunkt seiner Souveränität in derautonomen Gestaltung seiner politischenOrdnung sehen, daß also das Zusammenle­ben, die· politische und gesellschaftliche Le­bensgestaltung nach den eigenen Wertvor­stellungen möglich bleibt.

Europapolitik zwischen Ost undWest104 Es ist schon fast in Vergessenheit geraten,daß so wichtige Grundwerte wie Demokratie,politische und gesellschaftliche Freiheit so­wie die Menschenrechte ihre Wurzeln in Eu­ropa haben und nur in Westeuropa, in Nord­amerika und einigen anderen Ländern derWelt verwirklicht sind. Ohne Europa verlörendiese Werteihre historische Basis und ein we­sentliches Gebiet ihrer Verwirklichung. Da­her treten wir nicht nur aus wirtschaftlichenInteressen für ein geeintes Europa ein, son­dern auch, weil ein solches Europa eine we­sentliche Kraft für die Erhaltung der Freiheitin der Welt darstellt.

105 Freiheitliche Europapolitik kann nicht ak­zeptieren, daß der Begriff Europa aufden We­sten eingeschränkt wird. Europa hört nichtan der Nahtstelle zwischen Ost und West auf.Vor allem betrachten wir die starre Blockbil­dung in Europa als eine ständige Friedensbe­drohung. Die Überwindung dieser Blockbil­dung ist eine wichtige Voraussetzung für einfreies und selbständiges Europa.Ebensowenig wollen wir uns damit abfinden,die Idee der Freiheit auf Westeuropa zu be­schränken.

106 Aus liberaler Sicht hoffen wir, daß dann,wenn Freiheit, Selbstbestimmung, Freizügig­keit, menschlicher, kultureller, wissenschaft­licher und wirtschaftlicher Austausch zurSelbstverständlichkeit geworden sind, dieTrennungslinie quer durch Europajhre Wirk­samkeit verliert, selbst wenn die militäri­schen Blöcke weiterbestehen.Dazu kann Österreichs Außenpolitik Wesent­liches beitragen. Daher unterstützt Öster­reich alle Initiativen, die der Vertrauensbil­dung zwischen den europäischen Staaten,

einer größeren Freizügigkeit und einem ver­besserten Informationszugang für die Bürgeraller europäischen Staaten dienen.Als herausragenden Ansatz begrüßen wireine Politik, wie sie mit der Konferenz vonHelsinki eingeleitet wurde, von der wir wol­len, daß sie nicht mehr abreißen soll.107 Auch in sicherheitspolitischer Hinsichttreten wir für eine Selbstbesinnung Europasauf seine eigenen Lebensinteressen ein. Trotzbestehender externer Bündnisverpflichtun­gen gegenüber beiden Supermächten darfEuropa seine eigenständige Interessenlagenicht vergessen. Wir anerkennen keinen An­spruch, der ein Opfern Europas in einer mili­tärischen Ost-West-Konfrontation rechtfer·tigt.108 Europa muß unter Wahrung seiner Sicher·heitsinteressen aus der Sackgasse der höch­sten Konzentration gegeneinander gerichte­ter konventioneller und atomarer militäri·scher Kriegsmittel herausfinden.Hinsichtlich der atomaren Waffen treten wirfür einen schrittweisen Abbau auf europäi­schem Boden ein. Aufkonventioneller Ebenebefürworten wir eine möglichst starke Eigen­kapazität und Eigenverantwortung Europas.Auch wenn es derzeit utopisch anmutet: Zielbleibt die Überwindung der politischen Tei­lung Europas und die Auflösung der militäri­schen Blöcke.

Europäische Integration109 Wir wenden uns gegen die Tendenz derEG, sich mit Europa gleichzusetzen, wiewohldie Entwicklung mit weiteren Beitritten an­derer Länder in zunehmendem Maße dorthinzu gehen scheint. Hierin kann eine Gefahr fürLänder wie Österreich liegen, die zwar durchdie politischen Maßnahmen der EG mitbe­troffen sind, aber an deren Entscheidungennicht mitwirken können.Im Streben nach einer größtmöglichen Teil­nahme unseres Landes an der europäischenIntegration halten wir auch eine Mitglied­schaft Österreichs in der EG - selbstverständ­lich unter dem Neutralitätsvorbehalt - fürmöglich und notwendig.110 Österreich soll um möglichst enge undfreundschaftliche Beziehungen zu seinenNachbarn bemüht sein. Dies gilt für unsereNachbarn mit einem demokratisch-pluralisti­schen Gesellschaftssystem ebenso wie für dieNachbarn des Ostblockes. Die Vertiefung un­serer Beziehungen zu letzteren soll nicht nurauf den Ausbau der Handels- und Wirt­schaftsbeziehungen abgestellt sein, sondernauth zu einer grundsätzlichen Freizügigkeitim Reise- und Informationsverkehr führen.

Südtirol111 Die gutnachbarlichen und weiterhin aus­baufcihigen Beziehungen Österreichs zu Ita­lien stehen für uns unter jenem besonderenGesichtspunkt, der sich aus der Schutz­machtfunktion unseres Landes für die deut­sche und ladinische Volksgruppe in Südtirolergibt.

112 Die Schutzmachtfunktion Österreichs ge­genüber Italien wurde in der Vergangenheitnicht immer wirksam genug wahrgenom­men. Als Mindestvoraussetzung dafür, daßSüdtirol seinen vorwiegend deutschen Cha­rakter bewahrt, drängen wir auf die volle Ver­wirklichung. des Autonomiestatutes, wobeisich die Verantwortung Österreichs darinnicht erschöpft. Die Paketlösung betrachtenwir lediglich als Interpretation des PariserVertrages und als Zwischenlösung.Wir wollen die Verstärkung der kulturellen,menschlichen und wirtschaftlichen Bezie·hungen zwischen Nord-, Ost- und Südtirolund den übrigen österreichischen Bundes-

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ländern, um die geistige Einheit des Landeszu wahren.

Auslandskulturpolitik113 Das moderne Österreich soll seinen politi­schen Standort in der internationalen Staa­tengemeinschaft vorrangig für kulturelle In­itiativen nützen. Dabei ist ein Dialog aufzu­nehmen, der weit über bloße Selbstdarstel~

lung hinausgeht. Um der Beschränkung dereigenen Mittel entgegenzuwirken, ist mit denKulturinstituten der BundesrepublikDeutschland, der Deutschen Demokrati­schen Republik und der Schweiz eine fallwei­se Zusammenarbeit zu suchen. Dadurch sollder spezifisch österreichische Beitrag zurdeutschen und europäischen Kultur auch inJenen Drittst~aten bekanntgemacht werden,in welchen Osterreich mangels eigener Ver­tretung andernfalls nicht präsent wäre.114 Diese Forderung nach Zusammenarbeitgilt auch für das Gebiet der Sprachkurse undder Betreuung germanistischer Institute anausländischen .. Universitäten. Dabei darfnicht übersehen werden, daß die Vertrautheitmit deutscher Sprache und Kultur vielfachpositive Auswirkungen auf Handel undFremdenverkehr mit Österreich nach sichzieht.Schließlich ist die Verwendung von Deutschds Amtssprache in internationalen Organisa­tionen sowie als ,lebendige Wissenschafts­sprache durch geeignete Maßnahmen zu för­:lern. Die Zugehörigkeit Österreichs zum.ieutschen Volks- und Kulturraum verpflich­:et uns auch zur Sorge um den Bestand deut­,>cher Minderheiten in anderen Staaten, ins­oesondere den deutschen Minderheiten inJen Nachfolgestaten der österreichisch-un­e;arischen Monarchie.

Internationale Zusammenarbeit115 Wir anerkennen die Bedeutung der inter­nationalen Rechtsordnung zur Sicherung derf"reiheit. Besonders für den Kleinstaat bedeu­ten die internationale Rechtsordnung und dieRechtssicherheit eine Voraussetzung für sei­ne Freiheit und den Frieden. Aber in weltwei­tem Maßstab nehmen anarchische Zuständem und die Wirksamkeit des Völkerrechtes ab.)stereich stehen zur Durchführung eigenerZiele so gut wie keine Machtmittel zur Verfü­;ung. Deshalb bleibt als stärkster Verbünde­er nur eine wirksame internationale Rechts­)rdnung.)sterreich muß größtes Interesse an einer ef­'ektiven internationalen Rechtsordnung ha­)en und soll bei der Ausarbeitung internatio­taler Rechtsnormen vorbildlich mitarbeiten.;'ür die international~.Rechtsentwicklungist.'lch die aktive Rolle Osterreichs in den inter­1ationalen Organisationen von größter Wich­19keit.

Österreich soll eine aktive Außenpolitikletreiben und an der internationalen Koope­ation in größtmöglichem Ausmaß teilneh­nen. Dabei wollen wir die spezifischen Funk­ionen eines neutralen Staates voll zur Wir­wng bringen: bei der Schaffung und Durch­>etzung des internationalen Rechtes, durchi\nbieten guter Dienste, Vermittlungstätig­{eiten, Stellung von UN-Kontingenten desBundesheeres und ähnliche Maßnahmen.

17 Österreich kann dabei dem Niedergangler internationalen Wertmaßstäbe entgegen­Nirken. Es geht darum, immer wieder auf dieE:inhaltung grundlegender VertragswerkeNie jener der Vereinten Nationen oder desE:uroparates zu drängen.VIag dies oft auch vergeblich sein, wie die Zu­lahme an Gewaltakten in der Welt zeigt, sonuß dennoch der weiteren Aushöhlung derlölkerrechtlichen Normen Einhalt gebotenNerden.

Weltweite Zusammenarbeit in denVereinten Nationen118 Die Vereinten Nationen sind wahrschein­lich der letzte Ansatz einer weltweiten Ord­nungsvorstellung, die auf europäischenGrundwerten aufbaut. Wenngleich sich dieHoffnungen der Gründerzeit nur zum Teil er­füllt haben und die ideellen und rechtlichenGrundlagen der Vereinten Nationen nur be­schränkt wirksam geworden sind, so wollenwir dennoch nicht auf sie verzichten. Ihre Be­deutung für die Erhaltung des Friedens, dieAufrechterhaltung eines Mindestmaßes anpolitischen Kontakten auch zwischen ver­feindeten Staaten und die oft unbedankt ge­bliebene Tätigkeit ihrer Nebenorganisatio­nen geben Zeugnis von der Wirksamkeit die­ser internationalen Organisationen.119 Aus diesen freiheitsbewußten euro­päischen Perspektiven muß Österreich ander Wirksamkeit der Vereinten Nationen in­teressiert sein und zu ihrem Erfolg den größt­möglichen Beitrag leisten. Insbesondere füh­len wir uns verpflichtet, an den friedenserhal­tenden Maßnahmen der Vereinten Nationenteilzunehmen und dafür etwa Einheiten desösterreichischen Bundesheeres oder andereHilfskontingente zu entsenden.120 Innerhalb und außerhalb 'der Vereinten~ationen betrachten wir es als AufgabeOsterreichs, der Vorherrschaft der Super­mächte mit einer Strategie der kleinerenStaaten entgegenzuwirken. Österreich als im­merwährend neutraler Staat ist für eine akti­ve Rolle in den Vereinten Nationen im Inter­esse internationaler Zusammenarbeit be­stens geeignet und nach freiheitlicher Auffas­sung dazu moralisch verpflichtet.

Entwicklungshilfe121 Über die menschliche Verpflichtung zurKatastrophenhilfe hinausgehend betrachtenwir Freiheitlichen den Nord-Süd-Konflikt alsein weltpolitisches Problem, das nur durcheine enge Zusammenarbeit zwischen Indu­strie- und E.l;1twicklungsländern gelöst wer­den kann. 'Osterreich ist auf Grund seinerNeutralität, aber auch wegen des Fehlenseiner kolonialen Vergangenheit prädesti­niert, in strittigen entwicklungspolitischenFragen zwischen den industrialisierten undden entwicklungsfähigen Ländern der drit­ten Welt zu vermitteln. Die Glaubwürdigkeitdes österreichischen Engagements wird aberauch an der konkret geleisteten Entwick­1.1;mgshilfe gemessen. Wir fordern daher, daßOsterreich seine Absicht, 0,7 Prozent desBruttosozialproduktes für Entwicklungshilfeaufzuwenden, ehestmöglich erfüllt. Öster­reich soll vor allem Bildungshilfe und techni­sche Hilfe leisten.

122 Als Nationale ist für uns das Recht der Völ­ker auf politische und kulturelle Selbstbe­stimmung von grundlegender Bedeutung.Entwicklungshilfe darf daher nicht zu einerZwangsbeglückung ausarten, sondern hatdie sozialen und kulturellen Gegebenheitendes betreffenden Landes zu berücksichtigen.Entwicklung soll nicht die kulturellen Eigen­arten zerstören.

123 Als Liberale sind wir uns dessen bewußt,daß wirtschaftliches Nachhinken - von dennegativen Folgen des Kolonialismus und denUngleichheiten im Welthandel abgesehen ­in manchen Entwicklungsländern die Folgevon Fehlplanung auf Grund planwirtschaftli­cher Ideologien und politischen Versagenseinheimischer Machthaber ist. Die Entwick­lungsländer müssen auf die Mobilisierungder eigenen wirtschaftlichen und techni­schen Kräfte, auf wirksame Geburtenrege­lung, auf den Kampf gegen Korruption undauf Effizienz der Verwaltung mehr Gewicht

legen. Liberale Ideen sind die wichtigste Hil­fe zur Selbsthilfe.

V~rteidi~ungspoUtik als Teil derSlCherheItspolitik124 I?ie..Sicherheit unseres Staates beruht aufdreI Saulen: der aktiven Außenpolitik der in­neren Stabilität und der Umfassend~nLan­desverteidigung.W~.r Fr~iheitlichenwarnen vor dem Mißver­standms, daß Neutralität sich gewisserma­ßen von selbst erhalte, getragen bloß vomWohlwollen der Nichtneutralen. Wir wenden~r:s ge~e.n.?~eThese, daß eine gute Außenpo­lI~~k .mIlItansche Landesverteidigung über­flUSSIg machen könne. Wir glauben vielmehrd~ß eine erfolgreiche Außenpolitik aufDaue;mcht ohne den Rückhalt ineiner überzeugen­den Landesverteidigung möglich ist.125 Die Zielsetzung der Gewaltfreiheit gilt füruns Freiheitliche grundsätzlich auch in deninternationalen Beziehungen. Solange je­doch keine wirksame internationale Frie­densordnung besteht,kann auf die militäri­schen Anstrengungen als Bestandteil der Si­cherheitspolitik nicht verzichtet werden. Da­bei geht es nicht allein um die völkerrechtli­che Verpflichtung zur bewaffneten Neutrali­tät, sondern um unser Recht auf Verteidi­gung unserer territorialen uild politischenSouveränität.126 Eine Verteidigungspolitik im Sinne derFreiheit sieht ihr Ziel daher zuallererst in derSi<;herung eines Lebens nach eigenen Wert­vorstellungen. Die erfolgreiche Durchfüh­rung der durch Bundesverfassung und Lan­desverteidigungsplan umfassend konzipier­ten Landesverteidigung, deren tragende Säu­len Milizsystem und Raumverteidigung sind,bedarf der Zustimmung und der Mitwirkungaller wesentlichen gesellschaftlichen Kräfte.

Umfassende Landesverteidigung127 Ein Krieg oder auch nur dessen unmittel­bar drohende Möglichkeit sowie sich zuspit­zende Krisen im Nahbereich stellen eine Ex­trembelastung für die staatliche Gemein­schaft dar. Dieser umfassenden Bedrohungvon Staat und Gesellschaft ist die Umfassen­de Landesverteidigung entgegenzusetzen, inderen Rahmen der Widerstand aller gesell­schaftlichen Kräfte zu organisieren ist.128 Die Möglichkeit einer raschen Einstellungaufkrisenhafte Entwicklungen muß gegebensein. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daßdas gesamte öffentliche Leben außerhalbeiner unmittelbaren Bedrohung von den An­forderungen dieser Ausnahmesituation be­herrscht wird.129 Die geringen Erfolge bei den bisherigenVersuchen zur Rüstungsbegrenzung, das Ge­fühl der existentiellen Gefährdung durch dieHochrüstung der Supermächte, insbesonde­re durch die Kernwaffen, sowie die Vielzahl~~r bewaff.r:eten Konflikte haben dazu ge­fuhrt, daß dle Sehnsucht nach Frieden vor al­lem von der Jugend deutlich ausgedrücktwird. Wir befürworten eine echte Entspan­nung s~,,:,~~~ine ausgewog~neVerminderungdes milltanschen PotentIals insbesondereder aufEuropa bezogenen Paktsysteme. EineFriedensbewegung, die jedoch die Ideeneine.~ waffenlos~~Friede~s durch einseitigeAbrustung reallsieren WIll, setzt nicht nurFreihe~t und Demokratie aufs Spiel, sondernden Fneden selbst. Wir Freiheitlichen lehnengerade unter dem Eindruck der spannungs­vollen internationalen Beziehungen einenAbbau der Verteidigungsbereitschaft ab.

Geistige Landesverteidigung130 Besonderes Augenmerk ist aufdie Integra­tion der Umfassenden Landesverteidigung in

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I{u1tur - Bildung - Sport - Medien

alle anderen gesellschaftlichen Bereiche so­wie deren Verankerung in der Bevölkerungzu richten. Die Geistige Landesverteidigungist daher mit der Zielsetzung zu verstärken,die Bürger für die wehrhafte Demokratie zugewinnen; dies gilt insbesondere für den Be­reich der politischen Bildung an den Schulen.131 Der Anspruch der Gesellschaft aufdie Mit­wirkung des einzelnen Bürgers an der ge­meinschaftlichen Sicherung von Frieden undFreiheit hat auch für uns Freiheitliche Vor­rang vor Einzelinteressen, die mit diesen Ziel­setzungen nicht in Einklang zu bringen sind.Das Recht auf Wehrdienstvervveigerung hatausschließlich dazu zu dienen, Bürger, die ­etwa aus religiösen Gründen - die Anwen­dung von Waffengewalt auch zur Verteidi­gung ablehnen, vor schwerer Gewissensnotzu bewahren. Auch die Zivildienstleistendendürfen sich nicht der Notwendigkeit entzie­hen, im Falle einer kriegerischen Bedrohungihren Solidaritätsbeitrag in den nichtmilitäri­schen Bereichen der Umfassenden Landes­verteidigung zu leisten und sich einer diesbe­züglichen Ausbildung zu unterziehen.

Militärische Landesverteidigung132 Wichtigste sicherheitspolitische .Zielset­zung ist es, Q-.ewalt und kriegerische Entwick­lungen von Osterreich abzuhalten. Das erfor­dert, ein für diese Aufgabe ausreichendesVerteidigungspotential aufzubauen.Dem Ausbau der Landwehrorganisation istaus wehrpolitischen und wehrpsychologi­schen Gründen der Vorrang einzuräumen.133 Wir Freiheitlichen werden besonders dar­auf achten, daß die Forderung nach einer aufdie spezifisch österreichischen Verhältnisseabgestimmten Landesverteidigung nicht alsRechtfertigung für eine "billige" Landesver­teidigung mißverstanden wird. Ein nicht aus­reichend bewaffnetes Bundesheer, insbeson­dere eine unterbewaffnete Landwehr, stelltnicht nur die Erfüllung der Abhaltefunktionin Frage, sondern ist aus moralischen Grün­den vor allem gegenüber den Soldaten nichtvertretbar.Da die Abwehrvon Panzern und Luftfahrzeu­gen nach dem derzeitigen Stand der Technikohne Lenkwaffen kürzerer Reichweite kaumerfolgreich durchführbar ist, ist die Ausstat­tung des Bundesheeres mit thesen Abwehr­systemen erforderlich.

134 Maßgebend für die Ausgaben am Rü­stungssektor ist vor allem deren Beitrag zurAbhaltewirkung, das heißt zur Steigerungder Kampfkraft des Bundesheeres. Die nachmilitärischen Gesichtspunkten festzulegen­de Ausrüstung des Bundesheeres soll, soweitwirtschaftlich vertretbar, aus heimischer Pro­duktion stammen, damit der hohe Einsatz anFinanzmitteln vorrangig der eigenen Wirt­schaft und dem österreichischen Arbeits­markt zugute kommt.

135 Deswegen ist die Herstellung jener Rü­stungsgüter, die das Bundesheer benötigt, imInland zu fördern. Um eine wirtschaftlich ver­trethare Produktion zu erreichen, kann aufeinen Export von Rüstungsgütern unter Ein­haltung der gegebener. rechtlichen Schran­ken nicht verzichtet werden. Aus humanitä­ren Ef\vägungen sind jedoch Waffengeschäf­te möglichst auf Staaten einzuschränken, dievergleichbare gesellschaftspolitische Werteverteidigen wie Österreich. Es ist für dieGlaubwürdigkeit einer Friedenspolitik wich­tig, den Rüstungsexport unter diesen Aspek­ten zu kontrollieren.

WirtschaftlicheLandesverteidigung136 Ausreichende wirtschaftliche Vorsorgensind eine weitere Voraussetzung. um kriti-

sehe Phasen der internationalen Entwick­lung zu meistern. Die AufgabensteIlung derWirtschaftlichen Landesverteidigung gehtüber die Anlaßfälle der Umfassenden Lan­desverteidigung hinaus; sie hat auch bloßwirtsc ha ftlic h bedingte Versorgungsstörun­gen (Mängelkrisen) zu meistern.Diese Vorsorgemaßnahmen sollen das Funk­tionieren der Wirtschaft auch unter erschwer­ten Bedingungen ermöglichen, in erster Liniedie Versorgung der Bevölkerung, die Auf­rechterhaltung der Produktion und die Dek­kung des Bedarfes der Landesverteidigung.

137 Ausreichende Krisenvorräte an Rohstof­fen aller Art. vermindern die Auslandsabhän­gigkeit sowie die Erpreßbarkeit durch Aus­nützung dieser Abhängigkeit und liefern soerst die Voraussetzung zur Wahrung derHandlungsfreiheit der staatlichen Organe.Diese ist auch eine wesentliche Bedingungfür neutralitätskonformes Verhalten.Wir Freiheitlichen fordern, daß angesichtsdes Rückstandes an solchen Vorsorgemaß­nahmen rasch damit zu beginnen ist, mög­lichst kurzfristig die Mindestversorgung derBevölkerung mit Nahrungsmitteln und denGütern des täglichen Lebensbedarfes sicher­zustellen.

Zivile Landesverteidigung138 Wie für die anderen Bereiche der Umfas­senden Landesverteidigung besitzt Öster-

3. Kapitel

Einleitung140 Kultur ist für uns der Ausdruck desMenschlichen in Werk und Lebensordnung.Das kulturelle Handeln des Menschen um­faßt daher nicht nur den engeren Bereich derkünstlerischen Ausdrucksformen, sondernalle Bereiche des menschlichen Lebens.Liberale Kulturpolitik läßt sich deshalb nichtauf Einzelbereiche wie Schulpolitik oderKunstforderung einengen. Sie zielt vielmehrdarauf ab, das schöpferische Potential derGesellschaft zu aktivieren und alle kulturel­len und geistigen Ausdrucksformen zu for­dern, die dem Ziel der freien geistigen Entfal­tung des Einzelnen in einer humanen und de­mokratischen Gesellschaft dienlich sind.

141 Wir vertreten daher eine Kulturpolitik, diesich nicht auf die Erhaltung bestimmter kul­tureller Ausdrucksformen beschränkt. Wirwollen eine kulturelle Vielfalt, in der alle ge­sellschaftlichen Gruppen, ungeachtet ihrerethnischen, religiösen oder weltanschauli­chen Herkunft, ihre kulturellen Bedürfnisseungehindert äußern und damit einen Beitragzum kulturellen Gesamtbild leisten können.Wir verstehen kulturellen Pluralismusjedochnicht als Nebeneinander von einander be­kämpfenden, sondern als Miteinander voneinander befruchtenden gesellschaftlichenGruppen. Kulturelles Handeln muß daher,soferne es Anspruch auf öffentliche Anerken­nung und Förderung, also nicht bloß aufTole­ranz seitens der Gesellschaft erhebt, grund­sätzlich auf ein Ringen um gemeinsameGrundwerte und ein gemeinsames Kultur­verständnis gerichtet sein.142 Kulturpolitik kann und soll weder einenbestimmten Kunstbegriff verteidigen nochdas individuelle künstlerische Handeln be­stimmten moralischen Anschauungen unter­werfen. Sie hat aber sehr wohl darüber zu ent­scheiden, ob bestimmte kulturelle Äußerun­gen in dem ihnen zugedachten Rahmen dem

reich auch auf diesem Sektor im Landesver­teidigungsplan eine brauchbare und allge­mein anerkannte konzeptive Grundlage, umden Schutz der Zivilbevölkerung, die Funk­tionsfähigkeit der Behörden, den Sc'hutz derKulturgüter sowie die Aufrechterhaltung desöffentlichen Lebens im Mindestausmaß auchunter den Bedingungen einer Krise odereines Krieges sicherzustellen. Diederzeit be­stehenden Vorsorgen für diesen Zweck ent­sprechen jedoch bei weitem nicht den Erfor­dernissen. So sind derzeit die im Ernstfallle­bensrettenden Schutzraumplätze nur füreinen geringen Teil der Bevölkerung vorhan­den.139 Wir Freiheitlichen fordern, daß zunächstmit Konzentration auf die Ballungsräume ­die Zivilschutzvorsorge beschleunigt betrie­ben wird. Neben der Schaffung ausreichen­der gesetzlicher Grundlagen wäre ein Schutz­raumbauprogramm, abgestimmt auf die frei­en Kapazitäten der Bauwirtschaft, vorzuse­hen, um den Rückstand zu verringern. Breit­gestreuter Information und Schulung überZivilschutz kommt große Bedeutung zu.Durch Aufklärung, Zuschüsse und steuerli­che Maßnahmen ist die Eigenvorsorge in al­len Sparten des Zivilschutzes zu fordern. MitVorrang wäre die Verwirklichung des inte­grierten Sanitätsdienstes voranzutreiben, daeinzig er den Anforderungen der Sanitätsver­sorgung von Zivilbevölkerung und Armee ineinem Kriegsfall entspricht.

Selbstverständnis der beteiligten Menschen,der Erweiterung ihres Kulturverständnissesund dem Ziel einer humanen, demokrati­schen und pluralistischen Gesellschaft fOr­derlich sind. Ob die Förderung bestimmterkultureller Vorgänge und Einrichtungen imöffentlichen Interesse liegt, kann nicht vomFörderungsgegenstand her bestimmt wer­den: Gegenstand der Kulturpolitik sind nichtnur künstlerische Arbeiten und Projekte fürsich gesehen, sondern vielmehr die dadurchausgelösten geistigen Auseinandersetzun­gen. Der Kulturpolitiker darfdaher nicht dar­über befinden, ob das Ergebnis künstleri­scher Tätigkeit wertvoll und moralisch rich­tig sei, sondern nur darüber, ob dadurch Men­schen im Sinne der vorhin genannten, allge­meinen kulturpolitischen Zielvorstellungenbereichert werden.

Freiheit der Kunst143 Dem liberalen Denken liegt jedwede Zen­sur künstlerischen Schaffens fern. Wir über­lassen es auch der freien Entscheidung desmündigen Bürgers, mit welchen kulturellenBeiträgen und Ausdrucksformen er sich aus­einandersetzen wilLEs kann aber nicht Aufgabe der öffentlichenHand sein, kulturelle Kommunikationsfor­men zu fOrdern, die bestehende Vorurteilenoch verhärten oder fehlendes Verständnisfür die kulturellen Bedürfnisse anderer nochvergrößernanstatt abzubauen.Der künstlerischen Freiheit sind grundsätz­lich keine Grenzen gesetzt, außer wo die er­forderliche Kritik und Mündigkeit nicht vor­ausgesetzt werden kann: also etwa bei Erfor­dernissen des Jugendschutzes.144 Freiheitliche Kulturpolitik ergreift wedereinseitig Partei für die Hochkultur noch fürdie Volkskultur, weder für experimentellesKulturschaffen noch für reine Traditionspfle­ge. Sie begreift Kulturpolitik als Mittel, dieBürger zu einem vertieften und kritischen

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Verständnis des Traditionellen ebenso anzu­regen wie zum Bemühen um das Verständnisneuer und fremder kultureller Formen undInhalte.

Kulturforderung145 Die Frage der Förderungswürdigkeit kannweder durch Normenkataloge noch durchExpertenmeinungen festgelegt werden. Sieist vielmehr durch eine ständige demokrati­sche Diskussion immer wieder neu zu beant­worten, wobei sowohl die Kunstschaffendenselbst als auch das anteilnehmende Publi­kum möglichst unmittelbar in die Entschei­dungsabläufe eingebunden werden sollen.Dies erfordert eine stärkere Dezentralisie­rung der Entscheidungen im Bereich der Kul­turförderung. Neben der Vergabe von Förde­rungsmitteln durch die öffentliche Hand soil­te in Hinkunft eine verstärkte Tätigkeit priva­ter, durch entsprechende steuerliche Begün­stigungen unterstützter Kulturförderungs­vereine treten, die im besonderen auf die lo­kalen Interessen und Bedürfnisse der BürgerRücksicht nehmen könnten.Ein weiterer Schwerpunkt freiheitlicher In­itiativen im Kulturbereich liegt in einer Ak­zentverschiebung der Förderungsform: an­'stelle des bisher bevorzugt eingesetzten Mit­tels öffentlicher Ankäufe sollte die Schaffungund Bereitstellung von Arbeitsmöglichkei­ten für Kunstschaffende in den Vordergrundtreten. Steuerliche Anreize sollen das privateMäzenatentum und den privaten Kunstan­kauf fordern.

Volkskultur und Hochkultur146 Die geistige Leistung der Kulturschaffen­den bedarf des ausreichenden gesetzlichenSchutzes der Urheberrechte. Die Gesetzge­bung hat in diesem Bereichjedoch darauf Be­dacht zu nehmen, daß der Schutz geistigenEigentums nicht zum Hemmschuh für kultu­relle Aktivitäten wird, insbesondere wenndiese uneigennützig erbracht werden.Wir nehmen die kulturellen Äußerungen allergesellschaftlicher Gruppen ernst. Die Pflegeder Volkskultur hat daher gleichberechtigtneben die der Hochkultur zu treten. Einewichtige Rolle spielen in diesem Zusammen­hang Heimatmuseen und andere dezentraleKulturstätten. Ihnen kommt eine wesentli­che Aufgabe für die Erhaltung des kulturel­len. Selbstbewußtseins des Volkes zu. Geradeaus dieser Einsicht in die Abhängigkeit loka­ler Kulturräume von Veränderungen der Ar­beitswelt, der Siedlungsformen, der Indu­strialisierung und der Produktionsmethodenerwächst das Verständnis für die Notwendig­keit der kritischen Beurteilung derartigerVeränderungen.1-17 Die Geschwindigkeit, mit der sich in unse­rer schnellebigen Zeit der Wandel, nicht sel­ten aber auch die Zerstörung von Kulturräu­men vollzieht, erfordert es, dem Schutz kul­tureller Lebensräume ein besonderes Augen­merk zu schenken. Wir fordern daher den ver­stärkten Schutz gefcihrdeter und in ihrer Ein­maligkeit erhaltungswürdiger Landschaften,die Errichtung von Nationalparks, die Ver­hinderung einer weiteren Zersiedlung derLandschaft und klare gesetzliche Grundla­gen für den Ortsbild- und Ensembleschutz.

Sprache148 Zu den gefcihrdeten Kulturgütern zähltauch die Sprache, die nur allzuleicht verflachtund verarmt. Sprache ist jedoch das Kultur­mittel schlechthin. Ihre präzise Erlernungund Beherrschung stellt daher eine Grund­forderung jeglicher Bildungsarbeit dar.Es ist darüber hinaus ein vorrangiges Zielfreiheitlicher Kulturpolitik, den Ausdrucks­reichtum der Sprache in allen gesellschaftli-

chen Schichten unseres Volkes zu fOrdern.Wir fühlen uns verpflichtet, zur Bewahrungeinheitlicqer Sprachregeln im gesamtendeutschen Sprachraum beizutragen. Regio­nale sprachliche Eigenheiten und Dialektestellen für uns ebenfalls wertvolle und unver­zichtbare Kulturgüter dar. Ihre Pflege, die wirbejahen und begrüßen, darfjedoch insbeson­dere im schulischen Bereich die Sorge um dieBeherrschung der deutschen Hochsprachenicht beeinträchtigen.

ReligionH9 Der Liberalismus hat sich in seiner histori­schen Entwicklung stets gegen weltanschau­liche und religiöse Intoleranz gewandt, insbe­sondere dann, wenn sie von religiösen Insti­tutionen selbst ausgeübt wurde. Wir anerken­nen jedoch, daß auch die Religionsgemein­schaften heute der geistigen Eigenständig­keit des Menschen einen höheren Stellenwertzuerkennen als früher.Die liberale Position schließt das Eintretenfür die Glaubensfreiheit und die Freiheit desreligiösen Bekenntnisses ein.Wir anerkennen auch das Recht der Reli­gionsgemeinschaften, zu gesellschaftspoliti­schen Fragen Stellung zu nehmen, gestehenaber umgekehrt auch allen gesellschaftlichenGruppierungen das Recht zur kritischen Aus­einandersetzung mit den Religionsgemein­schaften zu. Eine gemeinsame Sorge bewegtfreisinnige und religiöse Menschen gegen­über dem Wirken militanter Sekten. Diesemißbrauchen die religiös suchende Jugend,indem sie sie in materielle und psychischeAbhängigkeit bringen. Hier bedarf es derSchutzmaßnahmen. Wir halten am Grund­satz der Trennung von Kirche und Staat festund treten für dessen konsequente Verwirkli­chung ein.

Sport150 Zu den bedeutenden Formen kulturellerTätigkeiten gehören auch Spiel und Sport.Sie dienen nicht nur dem individuellen Ver­gnügen, sondern leisten auch einen wesentli­chen Beitrag zur Volksgesundheit,.zur Festi­gung des leib-seelischen Gleichgewichtesund zur Weckung von Kreativität. Sport hatauch eine große volkswirtschaftliche Bedeu­tung.Die Sportförderung hat jedoch darauf Rück­sicht zu nehmen, in welchem Ausmaß sportli­che Betätigungen diese Zwecke auch tat­sächlich erfüllen. Dem Breitensport gebührtVorrang vor dem Spitzensport.

151 Es ist unbestritten, daß Leistungen vonSpitzensportlern auch den weniger ambitio­nierten Bürger zu sportlicher Betätigung an­regen können. Die Sportförderung sollte inverstärktem Maße solche Sportler, Vereineund Verbände fordern, die sich im besonde­ren einer allgemeinen körperlichen Ertüchti­gung widmen und nicht nur auf Höchstlei­stungen in einzelnen Disziplinen abzielen.Die Förderung von parteipolitisch orientier­ten Dachverbänden ist durch eine aus­schließlich von sachlichen Kriterien be­stimmte Neuordnung des Förderungswesenszu ersetzen.

Bildungspolitik152 Kultur umfaßt nicht nur das aktuelle kul­turelle Geschehen in der Gesellschaft, son­dern Bestände und Veränderungen, die überdie Generationen hinweggreifen. Die Aus­wahl und Vermittlung jener Bildungsgüter,die in schulischer und häuslicher Erziehungan die nächste Generation vermittelt werden,prägen in erheblichem Maße d.e kulturelleund gesellschaftliche Zukunft unseres Vol­kes. Bildungspolitik ist daher nach unseremVerständnis angewandte Kulturpolitik.

153 Freiheitliche Bildungspolitik orientiertsich am Leitbild des freien, sachlich und vor­urteilsfrei denkenden, selbständig handeln­den und der Gemeinschaft verpflichtetenMenschen. Ziel aller Bildungsmaßnahmen istdemnach vor allem:- im einzelnen Menschen das Bewußtsein rur

den Wert der menschlichen Freiheit und dieBereitschaft zu ihrer Bewahrung zu wek­ken,

- ihm durch ein breites und die Zusammen­hänge begreifendes Wissen die Grundlagefür sachliche Entscheidungen zu liefern,

- ihm ein vorurteilsfreies Geschichtsbild zuvermitteln und in ihm das Gefühl der Ver­antwortung rur seinen angestammten Le­bensbereich und für die gesamte Umweltzu wecken,

- durch ausgewogene Schulung seiner kör­perlichen, geistigen und seelischen Anla­gen eine ausgeglichene Persönlichkeit her·anzubilden,

- seine Wachsamkeit gegenüber jeder Verlet­zung der Freiheit und der Rechte seinerMitmenschen zu stärken und ihn zum akti­ven Eintreten für diese Rechte zu begei­stern,

- durch fundierte berufsbezogene und le­bensnahe Ausbildung die Voraussetzungrur die persönliche Entfaltung des Einzel­nen und den Fortbestand der kulturellenund wirtschaftlichen Stabilität des Landeszu schaffen und

- die Bereitschaft des Einzelnen zu lebenslan­ger und eigenverantwortlicher Weiterbil­dung zu wecken.

Recht auf Bildung154 Freiheitliche Bildungspolitik lehnt dieAusrichtung des Menschen auf autoritäreund dogmatische Inhalte und Zielsetzungenab. Sie bejaht die Führung insbesondere desheranwachsenden Menschen durch sachlichbegründete, verständnisvolle und verantwor­tungsbewußte Autorität und die Beeinflus­sung durch Überzeugung, respektiert aberletztlich die freie Entscheidung und Eigen­verantwortung des Einzelnen und lehnt jedeBevormundung ab.155 Ein, an liberalen Grundsätzen orientiertesBildungssystem muß durch Begabungsfin­dung und Begabungsförderung Entwick­lungsmöglichkeiten für jeden nach seiner be­sonderen Veranlagung schaffen. Wir tretenfür Chancengerechtigkeit ein und fordern einBildungssystem, das auch für individuelleEntfaltungsmöglichkeiten offen ist.

Schulpolitische Grundsätze156 Das öffentliche Schulwesen soll aus frei­heitlicher Sicht weder strukturverhärtendnoch gesellschaftsverändernd wirken, son­dern es soll Menschen heranbilden, die überihre Zukunft frei und vernünftig zu entschei­den vermögen.Der Staat hat sich somit darauf zu beschrän­ken, die organisatorischen, personellen undfinanziellen Voraussetzungen dafür zu schaf­fen, daß das allgemeine und gleiche Recht aufBildung verwirklicht werden kann und daßdie genannten Bildungsziele erreicht werden.Der Initiative von Eltern, Schülern und Leh­rern ist bei der Gestaltung des konkretenSchulbetriebes in ausreichendem MaßeSpielraum und Förderung zu geben, insbe­sondere hat sich die staatliche Kontrolle imBildungssystem auf die Einhaltung dergrundsätzlichen Bildungsziele und der ge­setzlichen Rahmenbestimmungen zu be­schränken und darf die pädagogische Kreati­vität und Eigeninitiative weder unterbindennoch einengen. Grundsätzlich treten wir fürden Vorrang der öffentlichen Schulen ein.Aus gutem Grund haben im vorigen J ahrhun·dert die Liberalen gegen den erbitterten Wi-

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derstand der Klerikalen die öffentliche Schu­le erkämpft.157 Wir betrachten jedoch Privatschulen alseine sinnvolle Ergänzung des allgemeinenSchulwesens, die auch dem Elternrecht ent­gegenkommt. Jeder weltanschaulichenGhettobildung im Schulbereich und jederEntwicklung eines Klassenschulwesens mußaber durch einen gesetzlichen Rahmen be­gegnet werden.Wir begrüßen jedoch die Befruchtung der bi!­dungspolitischen Diskussion durch die Ein­richtung von Schulen, die neue pädagogischeModelle praktizieren.158 Den Ausgaben auf dem Bildungssektor istwegen ihrer unmittelbaren Bedeutung fürden kulturellen Bestand des Volkes und ihrerlangfristigen Wirksamkeit auf die Leistungs­fahigkeit unserer Wirtschaft ein hoher Stel­lenwert im Rahmen der staatlichen Budget­politik einzuräumen. Im besonderen istdurch eine ausreichende Bereitstellung vonLehrpersonal und durch Schaffung von klei­nen Lerngruppen und Klassen eine mög­lichst intensive und den individuellen Be­dürfnissen der Lernenden angepaßte Betreu­ung zu gewährleisten.159 Durch Bildungsforschung, Bildungspla­nung und Bildungsberatung soll möglichstein Gleichgewicht zwischen Ausbildungsan­gebot und beruflichen Umsetzungsmöglich­keiten hergestellt werden. Die Planung vonBildungseinrichtungen hat sich dabei in er­ster Linie an den Bedürfnissen der Bildungs­suchenden zu orientieren - dabei das Eltern­recht zu beachten - und nicht nur an der un­mittelbaren ökonomischen Verwertbarkeitder angebotenen Ausbildungsgänge. Diessetzt allerdings voraus, daß aus der Absolvie­rung bestimmter Bildungsgänge kein Rechtaufangemessene Beschäftigung in einem be­stimmten Berufszweig abgeleitet werdenkann.

Familie und Schule16\l Wir geben der Erziehung des Kindes in derFamilie den Vorrang vor der Erziehung durchstaatliche Institutionen. Gleichzeitig billigenwir jedoch jedem Kind das Recht auf einenKindergartenplatz zu .und erachten ausrei­chende soziale Kontakte als eine wichtige Er­gänzung der familiären Erziehung. Besonde­re Sorgfalt sollte in der vorschulischen Erzie­hung der Pflege des sprachlichen Ausdruckszugewandt werden, um fUr den späteren Bil­dungsgang gleiche Startchancen fUr alle Kin­der zu erreichen.Untersuchungen zur Feststellung des Ent­wicklungsstandes sind so rechtzeitig anzuset­zen. daß eine entsprechende Förderung vonKindern mit Entwicklungsrückständen nochim Vorschulalter möglich ist. Wirstehen da­her der Vorschule fUr schulpflichtige, abernoch nicht schulreife Kinder positiv gegen­über, da sie eine wertvolle Hilfe darstellt, Ent­wicklungsrückstände schulpfichtiger Kinderauszugleichen. Eine Verpflichtung zum Vor­schulbesuch lehnen wir jedoch ab, da der Be­treuung im Einzelfall und der Beratung derEltern der Vorzug zu geben ist.161 Die Grundschule soll das Kind nicht nurwissensmäßig aufden weiteren Bildungswegvorbereiten, sondern auch die musischen Fä­higkeiten wecken und die körperliche Er­tüchtigung berücksichtigen. Besondere Auf­merksamkeit gebührt der Vermittlung vonLerntechriiken und Lernhaltungen.Die Weckung des Selbstbewußtseins und derLeistungsbereitschaft ist in der Weise anzu­streben, daß das heranreifende Kind vor Un­terforderung ebenso bewahrt wird wie vorübertriebenem Ehrgeiz. In besonderem Maßesind in der Grundschule auch das soziale Ler­nen, die Erziehung zu Kameradschaft und

Hilfsbereitschaft sowie das Verantwortungs­gefUhl gegenüber der Gemeinschaft zu for­dern.162 Die hier angefUhrten Erziehungsleitliniengelten grundsätzlich in gleichem Maß auchfUr das lernschwache und behinderte Kind.dessen Bildungsfcihigkeit keineswegs mitseiner intellektuellen Lernfahigkeit gleichge­setzt werden darf. Eine weitgehende Integra­tion von behinderten Kindern in die allgemei­nenBildungseinrichtungen erscheint wegen

.der sozialen Lernerfahrung fUr behindertewie gesunde Kinder gleichermaßen wün­schenswert und soll daher weder durch bauli­che noch durch bürokratische Barrieren ein­geengt werden.Eine Betreuung durch eigene Sonderschulenwird in vielen Fällen nicht zu' umgehen sein,doch sollte das Bildungsziel dieser Schulenstets auf eine Integration des behindertenKindes in das allgemeine Schulsystem ausge­richtet sein. Auch den Kindern, deren Betreu­ung durch eine Sonderschule unumgänglicherscheint, sollte ausreichender Kontakt mitgesunden Kindern ermöglicht werden.

Mittlere und höhere Schulstufe163 In der Stufe der Zehn- bis Vierzehnjähri­gen erfordert die Vielfalt der Lernziele einSchulsystem, das der unterschiedlichen Be­gabung, der unterschiedlichen aktuellen Lei­stungsfahigkeit und der unterschiedlichenLernmotivation der Schüler möglichst gutgerecht wird. Da die aktuelle Leistungsfahig­keit der Schüler gerade in dieser Altersstufenicht stabil ist, ist zwischen den schulorgani­satorischen Einrichtungen dieser Stufegrößtmögliche Durchlässigkeit zu gewährlei­sten.Dies darf jedoch nicht zu einer Gleichschal­tung des Bildungsangebotes fUhren. Viel­mehr hat die Hauptschule im Sinne einerschul- und schülergerechten Differenzierunginnerhalb einer Klasse durch Grundanforde­rungen im Lehrplan ein für alle Kinder ver­pflichtendes Lehrangebot zu bieten unddurch Zusatzanforderungen, die der Lei­stungsfähigkeit des Schülers entsprechen,je­ne zu fordern, die Interesse zeigen und aufeinen Ubertritt in eine mittlere und höhereSchule vorbereitet werden sollen.164 Der AHS (achtjährige Langform- undOberstufenformen) ist von Beginn an ein Bil­dungsziel mit höheren Anforderungen zu­grunde zu legen. In der Oberstufe sollte dieTypenvielfalt teilweise durch ein breiteresund frei wählbares Lernangebot innerhalbder einzelnen Schulen ersetzt werden, um instärkerem Ausmaß als bisher den individuel­len Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnenSchülers Rechnung zu tragen.Die Aufnahme lebenspraktischer Unter­richtsinhalte in den Allgemeinbildenden Hö­heren Schulen ist ebenso zu fördern wieKombinationen von handwerklicher Ausbil­dung und erweiterter Allgemeinbildung.Den vielschichtigen Interessen und wirt­schaftlichen Bedürfnissen ist durch einenweiteren Ausbau der berufsbildenden mittle­ren und höheren Schulen einschließlich dervielfaltigen Sonderformen Rechnung zu tra­gen. Auf ein ausgewogenes Ineinandergrei­fen von Allgemeinbildung und fachlicher Bil­dung in Theorie und Praxis ist in den Lehr­plänen besonders zu achten. Ein verstärkterAusbau der Aufbaulehrgänge und Kollegs istzu begrüßen.

Berufsbildung165 Wir sehen die berufliche Bildung nicht nurals theoretischen Unterbau einer praktischenAusbildung an, sondern betrachten sie unterdem Gesichtspunkt der umfassenden Bil­dung. Neben der notwendigen fachlichen Bil-

dung sind daher auch in den beruflichen Bil­dungsgängen die Vermittlung eines umfas­senden Allgemeinwissens, die Motivation zureigenständigen Weiterbildung. eine solidepolitische Bildung und das soziale Lernen ge­bührend zu berücksichtigen.Um einen hinreichenden Praxisbezug sicher­zustellen, ist das Prinzip der dualen Ausbil­dung der Lehrlinge beizubehalten, jedochdurch eine vermehrte Kontaktnahme zwi­schen den Ausbildungsträgern, das heißt zwi­schen den Berufsschulen und den Lehrbe­rechtigten in den Betrieben, zu ergänzen.165 Jeder Beruferfordert in unserer raschlebi­gen Zeit die Bereitschaft zu ständiger Weiter­bildung. Diese Bereitschaft sollte daher in al·len Berufsschichten durch Anregung geför­dert und durch wirtschaftliche Anreize be­günstigt werden. Darüber hinaus sind die be­stehenden Einrichtungen der Erwachsenen­bildung so zu fördern, daß sie den Anforde­rungen einer modernen berufsbegleitendenBildung gerecht werden können. Auch diepädagogische Forschung sollte vermehrt fürdie Erarbeitung von Lernzielen in diesem Be­reich herangezogen werden.

Lehrerbildung167 Der Ausbildung der Lehrer kommt eineSchlüsselrolle für das gesamte Bildungsge­schehen zu. Der pädagogischen und psycho­logischen Ausbildung der Lehrer ist insbe­sondere in jenen Bereichen verstärkte Auf­merksamkeit zuzuwenden, in denen derzeitdie fachspezifische Ausbildung bei weitemüb~rwiegt.

Die Bestellung von Lehrern und Leitern hatnach objektiven Gesichtspunkten zu erfol­gen.168 Den Lehrern ist ausreichend Freiraum beider Gestaltung der Unterrichtsorganisationzuzubilligen. Die Schulen sollten als offeneBildungseinrichtung auch außerhalb des fe­sten Unterrichts ftir die freie lehrende undlernende Betätigung offenstehen (zum Bei­spiel Ausbau der Schulbibliotheken zu öf­fentlichen Informationszentren).Lehrer, Schüler und Eltern müssen im Inter­esse eines optimalen Bildungsklimas eng zu­sammenarbeiten. Daftir sind im Sinne einerpartnerschaftlichen Zusammenarbeit gutemenschliche Beziehungen wichtiger als for­maldemokratische Einrichtungen.

Hochschulen und Universitäten169 Die Universitäten haben die Aufgabe. wis­senschaftliche Erkenntnisse vorurteilsfrei zuerarbeiten und weiterzuvermitteln. Sie müs­sen organisatorisch in die Lage versetzt wer­den, ihre Doppelfunktion von Forschung undLehre angesichts wachsender Hörerzahlengleichermaßen gerecht zu werden.Dabei ist neben einer hochwertigen Bildungund Ausbildung aller Hochschulabsolventendie Findung und gezielte Förderung von Spit­zenbegabungen zu gewährleisten.170 Die akademischen Lehrer müssen vomVerwaltungsballast durch Schaffung einermodernen Verwaltungsstruktur entlastetwerden. Für eine ausreichende hochschuldi­(faktische Ausbildung und Weiterbildung derLehrenden ist ebenso Sorge zu tragen wie ftirderen Verpflichtung zu ständiger Weiterbil­dung.171 Lehrende, Lernende und andere Mitarbei­tertragen gemeinsam die Autonomie der Uni­versitäten und Hochschulen. Dazu ist einsachorientiertes, demokratisches Entschei­dungssystem erforderlich, das die Mitspra­che aller betroffenen Gruppen in den wesent­lichen Fragen sichert, sich aber nicht selbstdurch Bürokratisierung der Entscheidungs­abläufe lahmlegt. Die Zusammensetzung

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und Kompetenz der Entscheidungsgremienmuß den sachlichen AufgabensteIlungenent­sprechen (funktionsorientierte Mitbestim­mung).172 Zur Förderung der Forschung ist eine engeVerbindung zwischen Universitä.ten undaußerhalb der Universitä.t bestehenden For­schungsstätten, aber auch zur Wirtschaft undzu den sonstigen Anwendungsbereichen not­wendig. Der Austausch von Informationenund von Personal zwischen universitärenund außeruniversitären Stätten der For­schung und der Praxis ist zu erleichtern.Die österreichischen Universitäten sollensich an hohen internationalen Leistungsstan­dards ausrichten. Die wissenschaftliche Ver­flechtung zwischen In- und Ausland mußauch im personellen Bereich gefOrdert wer­den.

Erwachsenenbildung und ZweiterBildungsweg173 Da der individuelle Entwicklungsverlaufnicht immer den normierten Bahnen folgt,können lebenslange Bildungs- und Entwick­lungschancen nur durch die Einrichtung derErwachsenenbildung und eines Zweiten Bil­dungsweges gewährleistet werden.Wir begrüßen daher alle Maßnahmen, die esdem Einzelnen ermöglichen, ohne größereberufliche Risken eine begrenzte Zeit seinerpersönlichen Weiterbildung zu widmen.Diesbezügliche Maßnahmen, etwa Bildungs­urlaub, müssen jedoch nicht nur die Interes­sen der Bewerber, sondern auch allfcilligeProbleme der Arbeitgeber berücksichtigen.

174 Über Angebote zum Nachholen versäum­ter BildungsmQglichkeiten hinaus hat jedochdie Erwachsenenbildung vor allem die Auf­gabe, der Fortentwicklung des Bildungsstan­des der Gesellschaft schlechthin zu dienen.Um eine möglichst breite Palette beruflicherAnwendungsmöglichkeiten zu gewährlei­sten, sind die bestehenden Ausbildungsgän­ge um die Vermittlung entsprechenderSchlüsselfertigkeiten anzureichern. Darüberhinaus müssen die Einrichtungen der Bil­dungsberatung auf die mit bestimmten Aus­bildungsgängen verbundenen Beschäfti­gungsrisken hinweisen. Aufgabe einer vor­ausschauenden Bildungsplanung ist es vorallem auch, frühzeitig Ausbildungsmöglich­keiten für zukunftsträchtige Neuentwicklun­gen zu schaffen. Dies gilt insbesondere rur je­ne Bereiche, in denen die ökologische Ge­samtentwicklung zu einer möglichst raschenAnwendung neuer energie- und rohstoffscho­nender Produktionsweisen und Technikenzwingt.

:\'Iassenmedien175 Die Massenmedien erfüllen in der Phasedes Übergangs zur Informationsgesellschafteine steigende öffentliche Funktion.Presse- und Medienfreiheit, Infor~nations­

freiheit und Meinungsfreiheit sichern dieVielfalt und den Wettbewerb der Meinungenin der freien und offenen Gesellschaft undstellen somit aus liberaler Sicht eine unab­dingbare Voraussetzung rur die verantwortli­che Willensbildung des aufgeklärten undmündigen Bürgers in der Demokratie dar.Die große Verantwortung, die sich daraus fürdie Medien ergibt, stellt an das Berufsethosder Journalisten besonders hohe Ansprüche.Der Schutz des Bürgers vor einer falschen,ihn persönlich treffenden, verleumderischenBerichterstattung soll verbessert werden.

Zeitungen176 Es muß eine Vielfalt von unabhängigenZeitungen erhalten bleiben. Die Konzentra­tion der größten Zeitungen des Landes in

einer Hand läge nicht im Interesse des freienWettbewerbs und der Meinungsvielfalt. DieVielfalt und Unabhängigkeit- kann nur er­reicht werden, wenn die Zeitungen rentabelarbeiten können und in einem fairen Wettbe­werb stehen. Da dies ein florierendes Anzei­gengeschäft voraussetzt, liegt hier ein starkesMotiv für Konzentrationsbestrebungen vor.Bei zunehmender Konzentration bundeswei­ter oder regionaler Marktanteile muß eine Be­einträchtigung des freien Wettbewerbs durchwettbewerbssichernde Maßnahmen verhin­dert werden (zum Beispiel durch gezielterePressefOrderung oder Sonderbestimmungengegen unlauteren Wettbewerb zwischenPresseerzeugnissen).

177 Der österreichische Presserat soll in dieLage versetzt werden, auf Grund nachvoll­ziehbarer Beurteilungskriterien tatsächlichobjektiv vorzugehen. In schweren Fällen un­ausgewogener Berichterstattung soll derPresserat das Recht erhalten, die Veröffentli­chung seiner Rügen in denjeweiligen Medienin angemessener Frist durchzusetzen.In Zusammenhang mit den Grundsätzen derpublizistischen Arbeit ist in Hinkunft insbe­sondere auf eine strikte Trennung von Be­richten und Kommentaren hinzuarbeiten.

Elektronische Medien178 Die FPÖ tritt grundsätzlich rur die Erhal­tung des bestehenden öffentlich-rechtlichenRundfunks ein. Seine Leistungs- und Kon­kurrenzfcihigkeit muß bewahrt werden. Fürden lokalen Bereich soll die Erlaubnis zur Er­richtung und zum Betrieb von Hörfunkstatio­nen nur begrenzt und mit Verpflichtung zurObjektivität erteilt werden können.Die· Einführung der Breitbandkommunika­tion darf nicht zur weiteren Konzentrationvon Medienmacht führen und damit die Frei­heit des Bürgers, aus einem vielfaltigen An­gebot Informationen auszuwählen, schmä­lern.

179 Die Aufgaben und die Organisation desKabelfernsehens sind bundesgesetzlieh zuregeln. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen,daß der Programmauftrag (insbesondere derGrundsatz der Objektivität) des ORF und diesich aus dem Rundfunkgesetz ergebendenPflichten sinngemäß auch für Kabelnut­zungsgesellschaften zu gelten haben. Die Ein­haltung dieser Auflagen ist zu kontrollieren.Die Errichtung und der Betrieb der Kabelnet­ze einerseits und ihre Nutzung andererseitssind unterschiedlichen. Trägern zuzuordnen.Die Kabelnutzungsgesellschaft soll vor allem

·folgende Aufgaben erfüllen:Die Verteilung der ORF-Programme und je­ner Programme, die der ORF übernimmt; ge­gebenenfalls jene Programme, die über Satel­litenfernsehen verbreitet werden.Eine weitere Aufgabe des Kabelfernsehenskann darin bestehen, lokale Programme zuverteilen (und gegebenenfalls auch zu produ­zieren), um insbesondere das lokale Informa­tionsbedürfnis zu befriedigen.Wo lokale Programme durch das Kabel-TVverbreitet werden, kann aus dem lokalen Ein­zugsbereich das Werbeaufkommen ge-

4. Kapitel

FaDlilieEinleitung184 Die Familie steht organisch zwischen demEinzelnen und der Gesellschaft und ist alswichtigste soziale Gemeinschaft Grundlagedes Staates, sie ist durch keine andere Ein­richtung ersetzbar.

schöpft werden. Auch hier haben sinngemäßdie ORF-Besehränkungen zu gelten.180 Satellitenrundfunk eignet sich zur Aus­strahlung der staatlichen und internationalenProgramme, eignet sich auch rur die fernseh­mäßige Betreuungjener Gebiete, die mit her­kömmlichen Sendern nur mit unvertretbarhohem Aufwand entsprechend versorgt wer­den könnten. Satellitenrundfunk soll in· öf­fentlich-rechtlicher Verantwortung betrie­ben werden.Wir begrüßen die durch den Satellitenrund­funk gegebene Möglichkeit des kulturellenAustausches über die Grenzen hinweg. Dieneuen Medien dürfen aber nicht zu einemVerteilungssystem der ungehemmten Ver­breitung ausländischer Billigstproduktionendegenerieren. Möglichem Mißbrauch solldurch internationale Vereinbarungen begeg­net werden.181 Eine Fehlentwicklung der Massenkommu­nikation stellt die Lawine an publizistisch­minderwertigen Erzeugnissen dar, die sich andie niederen Instinkte der Menschen wendenund daraus Kapital schlagen. Das ist eine Artgeistiger Umweltvergiftung, die durch eineenorme Erziehungsarbeit aufgefangen wer­den muß. Einen besonderen Verstärkereffektkann man dabei durch die Einführung derHeimelektronik (Bildplatte, Videokassette)beobachten. In dem Zusammenhang müssenvor allem im Hinblick auf die sogenanntenBrutal-Videos die gesetzlichen Bestimmun­gen verschärft werden.182 Um die Freiheit der Information und Kom­munikation im internationalen Rahmen zugewährleisten, aber auch die Überlagerungeinzelstaatlicher Rundfunkstrukture.n durchFremdkommerzialisierung zu verhindern,soll eine europäische Rundfunkordnung er­arbeitet werden. Dieses Übereinkommen sollauch Aussagen über die Häufigkeit und Dau­er von Werbung sowie Ausschaltung des Ein­flusses von Werbeträgern auf die Programm­gestaltungbeinhalten.

Kultur und Demokratie183 Kultur-, bildungs- und informationspoliti­sche Maßnahmen formen in Summe auch diepolitische Kultur eines Landes. Die Erhal­tung des freiheitlich-demokratischen Cha­rakters der politischen Kultur in Österreichliegt uns Freiheitlichen um so mehr am Her­zen, als eine durch Gesetzt verordnete Libera­lität ein Widerspruch in sich wäre: eine frei­heitliche Demokratie verdient diesen Namennur, wenn sie in einem starken Freiheitsbe­wußtsein ihrer Bürger wurzelt.Freiheitliche Demokratie beruht nicht nurauf Gesetzen und verfassungsmäßig garan­tierten Rechten, sondern auch im wechselsei­tigen Vertrauen auf das vernünftige undethisch verantwortliche Handeln des ande­ren, auch und gerade dort, wo dieses nichtdurch Gesetze zu erzwingen ist.Nicht der durch Gesetz zu ethischem Verhal­ten gezwungene, sondern der aus freier Ver­antwortung sittlich handelnde Mensch ist dasLeitbild freiheitlicher Kultur- und Bildungs­politik.

In der Familie erfahrt und erlebt der Menschdie grundlegende Bedeutung von Liebe undWertschätzung, Rücksichtnahme und Hilfe­leistung, Freiheit und Verantwortung als not­wendige Grundvoraussetzung für zwischen­menschliche Beziehungen, die über materiel-

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le Nützlichkeitserwägungen hinausgehen.Weil die Familie den Menschen in unmittel­barer Erfahrung die Wichtigkeit eines aufideellen Werten beruhenden Zusammenle­bens lehrt, formt sie ihn auch für die größerenGemeinschaften.

185 Die Familie gleicht durch ihre Privat~ undIntimsphäre die Spannungen gegenüber dengroßen Organisationen der Massengesell­scharten aus. Der Staat hat die Familienauto­nomie zu respektieren. Die Einflußnahmedes Staates hat sich auf die Schaffung undGewährleistung rechtlicher Rahmenbedin­gungen sowie auf stützende und förderndeMaßnahmen zu beschränken.Ziel freiheitlicher Familienpolitik ist dieSchaffung der sozialen, kulturellen und wirt­schaftlichen Voraussetzungen, die ein freiesund selbstverantwortlich gestaltetes Zusam­menleben der Menschen in der kleinsten Ge­meinschaft ermöglicht.

Frau und l\fann188 Wir bekennen uns zur Gleichberechtigungvon Frau und Mann und zur partnerschaftli­ehen Beziehung der Geschlechter zueinan­der.Unser Ziel ist es daher, noch bestehendeNachteile für die Frau in der Politik und Ge­sellschaft abzubauen und gleiche Möglich­keiten hinsichtlich der Ausbildung, des Be­rufseintritts und der Aufstiegschancen zuschaffen. Aus freiheitlicher Sicht hat ver­gleichbare Leistung auch die gleiche mate­rielle Anerkennung und Bewertung nach sichzu ziehen.

187 Die Gleichberechtigung erfordert aberauch die entsprechende AUfgabenteilung imBereich der Familie. Partner sollen gemein­sam entscheiden, wie sie die Aufgaben in Fa­milie und Beruf untereinander verteilen. WirFreiheitlichen wollen anwendbare Alternati­ven zu dem traditionellen Rollenverständnisermöglichen,Haushaltsführung und Kindererziehung dür­fen nicht als untergeordnet betrachtet wer­den und sind daher gegenüber außerhäusli­chen Tätigkeiten als gleichwertige Leistun­gen anzuerkennen. Aus diesem Grund sindsozial- und steuerpolitische Maßnahmen sozu setzen, daß der Entschluß eines Partners,sich allein dem Hatlshalt und der Kinderer­ziehung zu widmen, für die Familie zu kei­nem Existenzproblem wird.

188 Trotz ihrer Aufgabenteilung tragen Elternpartnerschaftlieh gemeinsam und in glei­chem Maße die Verantwortung für ihre Kin­der. Letztlich kann Parnterschaft jedochnicht durch Gesetze verordnet werden, son­dern bedarf einer persönlichen Einstellungund Haltung. Wir sehen es daher auch als einewesentliche Erziehungsaufgabe in der Fami­lie sowie in der Schule an, auf dieses partner­schaftliehe Verhalten hinzuwirken.

Lebensgemeinschaft Familie189 Die Familie ist die erste und - in ihrer Er­ziehungsfunktion - am stärksten prägendeund somit für Gesellschaft und Staat wichtig­ste Lebensgemeinschaft. Sie hat die Aufgabe,die Persönlichkeit des jungen Menschen zuentwickeln und zu fordern, ihn zu partner­schaftlichem Verhalten zu erziehen und aufdas Zusammenleben in der Gemeinschaftvorzubereiten.190 Wir Freiheitlichen bejahen die Ehe und dieFamilie und geben ihnen den Vorzug vor al­len anderen möglichen individuellen Formendes Zusammenlebens. Wir wenden uns abergegen eine Diskriminierung anderer, frei ge­wählter Formen des Zusammenlebens im all­gemeinen Rahmen unserer gesetzlichen Ord­nung.

191 Die Zahl jener Menschen, die allein rur einoder mehrere Kinder sorgen, ist groß. Für unsFreiheitlic~e ist es eine Selbstverständlich­keit, sie als Familie anzuerkennen.Es ist uns daher ein besonderes Anliegen, Al­leinerzieher vor Benachteiligungen zu schüt­zen und ihnen bei ihren besonderen Proble­men zu helfen.

Kind192 Eine Gesellschaft ohne Kinder wäre inhu­man, leer und zum Absterben verurteilt. Kin­der haben Anspruch aufLiebe, Geborgenheitund Willkommensein. Gewalt als Mittel derErziehung ist abzulehnen. Kinder haben einRecht auf bestmögliche Betreuung, Erzie­hung und Bildung.Auch die Erziehung der Kinder soll sich ander Idee der Partnerschaft orientieren. Diesezeigt sich in der Mitwirkung der Kinder, Auf­geschlossenheit der Eltern, gegenseitiger Hil­fe und gemeinsamer Problemlösungen.193 Die Autonomie der Familie in der Erzie­hung ist zu respektieren. Dort, wo Familienbei der Erziehung versagen, hat der Staat ein­zugreifen. Dadurch sollen für alle Kindermöglichst gleiche Chancen für ihre weitereEntwicklung und Bildung gewährleistet wer­den. Auch das Verhältnis Elternhaus - Schu­le soll ein partnerschaftliches sein.194 Wir erachten die Einrichtung der Kinder­gärten als eine wichtige Möglichkeit der Er­gänzung zur familiären Erziehung, vor allemhinsichtlich sozialer Kontakte.Ein angemessenes Angebot an Kindergärtenund Kinderheimen ist zu gewährleisten. DieErziehung im Elternhaus kann und darf je­doch dadurch nicht ersetzt werden. Bei feh­lendem Elternhaus soll der Pflege und der Er­ziehung in der weiteren Familie oder in Pfle­gefamilien der Vorrang eingeräumt werden.Kinderheime sind nach Möglichkeit im Sinneder Kinderdörfer umzugestalten.Beonderer Zuwendung der Gesellschaft be­darf das behinderte Kind. Die Eltern behin­derter Kinder sind bei Erziehung und Pflegedurch fOrdernde Maßnahmen und fachge­rechte Beratung zu unterstützen.

Familienplanung195 Es ist das Recht der Eltern, die Zahl ihrerKinder selbst zu bestimmen. Dazu bedarf eseines ausreichenden und guten Beratungsan~

gebotes ftir Familienplanung, Schwanger­schaftsprobleme sowie Erziehungs- und Part­nerschaftsfragen.Vor allem hat die Aufklärung im Elternhausund in der Schule nicht nur körperliche Vor­gänge, sondern vermehrt auch seelische undethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.Die natürliche Einstellung zum Geschlechts­leben schließt auch Verantwortung der Part­ner mit ein. Es ist die Aufgabe der Familien­politiker, die soziale Notlage schwangererFrauen zu beheben, um Schwangerschaftsab­brüche aus wirtschaftlichen Gründen oderauf Grund sozialer Konfliktsituationen mög­lichst zu vermeiden.Der Respekt vor dem menschlichen Lebengebietet es auch, den Schwangerschaftsab­bruch nicht zum medizinischen Routinefallwerden zu lassen, sondern im Hinblick aufdie Konfliktsituation der Frau zu betrachten.Aus dieser Sicht müssen sich einerseits dieEltern ihrer hohen moralischen Verantwor­tung be'~vußt sein, andprerseits muß man derFrau, als der am stärksten betroffenen, dieletztendliche Entscheidung zubilligen.196 Die Entwicklung der Medizin hat Möglich­keiten geschaffen, menschliche Ei- und Sa­menzellen außerhalb eines Körpers künstlichzusammenzuführen und zum Einnisten ineine Gebärmutter zu verbringen (Retortenba­by).

Auf Grund dieser neuen und in Fortentwick­lung befindlichen Gegebenheiten könnenkünftig auch Familien entstehen, bei denenMutter- und Vaterschaft nicht mehr mit denherkömmlichen Begriffen einwandfrei zuge­ordnet werden können. Die geltende Rechts­lage ist nicht imstande, befriedigende Lösun­gen rur die neu entstehenden Rechtsproble­me zu bieten.Wir fordern daher, diese Entwicklung recht­lich zu erfassen und ftir die BetroffenenRechtssicherheit zu s'chaffen, wobei die Inter­essen des Kindes im Vordergrund zu stehenhaben.

Gewalt in der Familie197 Gewalt in der Familie darf nicht mit demHinweis darauf, sie gehöre zur Privat- und In­timsphäre, tabuisiert werden, sondern mußentsprechend geahndet werden.Das Kind bedarf, um sich zur selbständigenPersönlichkeit entfalten zu können, nebeneiner behutsamen und gewaltfreien Führungauch entsprechender Freiräume. Das ist keinWiderspruch zur Notwendigkeit, auch Diszi­plin und die Anerkennung der natürlichenAutorität zu erlernen.198 Es sind daher wirksame Vorkehrungen zutreffen, die geeignet sind, Amvendungen vonGewalt gegenüber Partner und Kindern ein­zudämmen. Vor allem ist es notwendig,durch einen entsprechenden Wandel im ge­sellschaftlichen Bewußtsein die Empfind­samkeit der Mitmenschen für diese Fragenanzuregen und auf ein angemessenes Verhal­ten der Behörden hinzuwirken.Dies wird jedoch nur durch eine umfassendeAufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit mög­lich sein, wobei bestehende Einrichtungen,wie die der Familien- und Rechtsberatung,auszuweiten und wirkungsvoller zu gestaltensind.

Steuerrechtliche Stellung derFamilie199 Die derzeit~ge steuerliche Behandlung derFamilie in Osterreich widerspricht demGrundsatz, daß das Steuersystem eine sozialgerechte Verteilung der Steuerlast bewirkensoll. Im Gegensatz zu den meisten anderenStaaten wird die Sorgepflicht für die Familieim österreichischen Steuertarif nicht ausrei­chend berücksichtigt. Die Familienforde­rung hauptsächlich p.urch Beihilfen aus demFamilienlastenausgleichsfonds hat deshalbzu ~iner sozialen Benachteiligung der Familiein Osterreich geführt.

200 Die Argumentation, wonach die einkom­mensschwächsten Familien nur durch Bei­hilfe, nicht aber durch eine familienfreundli­che Gestaltung des Steuertarifes gefordertwerden können, stimmt zwar für diesen Be­reich, trägt jedoch der Situation der Familienmittlerer Einkommensschichten in keinerWeise Rechnung. Sie negiert auch den imösterreichischen Rechtssystem bestehendenGrundsatz, wonach jeder nach seiner persön­lichen Leistungsfahigkeit zum Unterhalt sei­ner Kinder beizutragen verpflichtet ist.201 Nach freiheitlicher Auffassung sollen da­her bestehende Sorgepflichten für Kinder so­wie für den nicht berufstätigen Ehepartnerim Steuertarif als Freibetrag berücksichtigtwerden. Im Zuge der Einführung eines sol­chermaßen familienfreundlichen Steuerta­rifs könnten dann die Sozialtransferzahlun­gen in die Bemessungsgrundlage für die Ein­kommensteuer einbezogen werden und aufdiese Weise eine unangemessene Bevorzu­gung von Beziehern hoher Einkommen aus­geglichen werden.202 Wir treten also ftir ein gemischtes Systemdes Familienlastenausgleichs durch steuerta-

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rifliche Berücksichtigung und direkte Beihil­fen aus einem Fonds ein. Ziel ist die Abgel­tung eines wesentlichen Teiles der entspre­chenden Kinderkosten.Die bestehenden Heirats- und Geburtenbei­hilfen sind in der jetzigen Form nicht immerzielftihrend und daher wahlweise durch zin­senbegünstigte Familiendarlehen zu ergän­zen.Die Höhe der Darlehensgewährung und derZinsenzuschüsse hat sich nach den Einkom­mensverhältnissen zu richten.

Senioren203 Die in der Gegenwart veränderte Lebens­situation des alten Menschen erfordert neueWege zur Bewältigung seiner Probleme. Die­se liegen nicht nur in der materiellen Siche­rung der Existenz, sondern vor allem auch imseelischen, geistigen und gesundheitlichenBereich.Die älteren Menschen mit ihren wertvollenLebenserfahrungen, oft beachtlicher Lei­stungsbereitschaft und dem Wunsch nacheinem aktiven, erfüllenden Alter in Würdedürfen nicht aus dem gesellschaftlichen Le­ben gedrängt werden. Auch hier sind eigeneInitiativen und gemeinschaftliche Selbsthil­femaßnahmen förderungswürdig.Der Weg ins Altersheim soll nicht die Regel,sondern die Ausnahme bilden.

204 Freiheitliche Seniorenpolitik zielt auf so­ziale Mitspracherechte und Mitgestaltungs­möglichkeiten der älteren Menschen ab.Die Förd~rung ihrer Aktivitäten soll sich aufdie ganze Vielfalt der Lebensbereiche er­strecken.Alter ist keine Krankheit, doch haben bei al­ternden Mitbürgern Krankheiten, Behinde­rung oder Pflegebedürftigkeit eine größereBedeutung. Darauf ist im besonderen inKrankenhäusern, Altenheimen und Pflege­anstalten Bedacht zu nehmen. Dies betrifftvor allem eine bessere Ausbildung von Ärz­ten und Pflegepersonal nach den Erkenntnis­sen von Geriatrie beziehungsweise Geronto­logie und hinsichtlich der Psychologie des Al­ters. Ärztliche Soforthilfe ist sicherzustellen.

JugendDer Jugend gilt unser besonderes Augen­

merk. An ihr liegt es, daß auch in der Zukunftunser Volks- und Kulturleben erhalten bleibtsowie die gesellschaftlichen, sozialen undwirtschaftlichen Errungenschaften ausge­baut werden.Die Bewältigung dieser Aufgaben erforderteine gut ausgebildete und leistungsbewußteJugend. Die Jugend bedarf unseres gelebtenVorbildes und eines besonderen Schutzes.Freiheitliche Jugendpolitik will durch ausge­wogene Schulung der körperlichen, geistigenund seelischen Anlagen der Jugendlichenund durch persönliches Vorleben der Er­wachsenen ausgeglichene Persönlichkeitenheranbilden, die wachsam auf jede Verlet­zung der Freiheit reagieren und aktiv für de­ren Erhaltung eintreten.Es ist Aufgabe verantwortungsbewußter Po­litik, die Jugendlichen vor Alkohol-, Nikotin­und Drogenmißbrauch zu beschützen. Eben­so kommt es uns zu, die Jugend vor jenen De­pressionen, die Arbeitslosig.keit, Chancenlo­sigkeit sowie existentielle Angste und Nötemit sich bringen, zu bewahren. Jugendar­beitslosigkeit ist mit allen zu Gebote stehen­den Mitteln zu bekämpfen.Das Ziel freiheitlicher Jugendpolitik ist deraufgeklärte, unabhängige und mündigeStaatsbürger, ausgestattet mit all jenenKenntnissen und Fähigkeiten, die notwendigsind, um in unserer vielgestaltigen Gesell­schaft als freier Mensch bestehen zu können.

Familienfreundliche Gesellschaft206 Der Aufbau eines familienfreundlichenKlimas in unserer Gesellschaft soll durcheine Fülle konkreter Maßnahmen gefOrdertwerden, die über rein wirtschaftliche undrechtliche hinausgehen. Auf familienfeindli­che Entwicklung muß rascher reagiert wer­den.Familiengerechte Wohnungen sind ein we­sentlicher Bestandteil freiheitlicher Woh­nungspolitik.Die zukünftigen Veränderungen in der Ar­beitswelt sollen auch die schwierige Lage be-

5. Kapitel

WohnenEinleitung207 Wohnen ist ein Wesensmerkmal der jewei­ligen Kultur der Menschen und gibt die Mög­lichkeit, Lebensgefühl und Gemeinschafts­empfinden widerzuspiegeln. Aus freiheitli­cher Sicht hat Wohnen daher zu entsprechen:- der Forderung nach Individualität,- der Wertschätzung der Familie,- der Möglichkeit der freiwilligen Einord-nung in größere, aber noch überschaubareEinheiten.Aus der Überzeugung, daß dem Einzelnen diefreie Wahl seiner Lebensform zusteht, erach­ten wir die freien Gestaltungsmöglichkeitenauch im Wohnbereich als gesellschaftspoliti­sches Anliegen. Wohnen und Heimatgefühlstehen in einer engen Wechselbeziehung. Daspositive Erlebnis der engeren Heimat bildetdie Brücke zu einem umfassenderen Heimat­empfinden.208 Das Begreifen und Gestalten der "primä­ren Umwelt" ist ein wesentlicher Faktor fürdie persönliche Ordnung einer sozialen Um­welt. Als "Bewohner von Umraum" wird derMensch zum Gestalter seiner unmittelbarenBegegnungsräume mit seinen Mitmenschen.Je weiter er dieses mitmenschliche Erlebnisvon innen nach außen in seinem Umraumumsetzen kann, um so mehr kann Wohnenauch Ausdruck einer Kulturepoche werden.Wohnkultur soll mehr als nur das Besitzeneiner Unterkunft als Schutz gegen Witte­rungsunbilden sein. Sie ist dann gewährlei­stet, wenn wesentliche Bedürfnisse des Men­schen in seinem Wohnbereich erftillbar sind:Erholung und Selbstbesinnung, Entspan­nung und Unterhaltung, Gemeinschaftser­lebnis und Intimität oder auch häuslicher Ar­beitsplatz und Stätte freien Schaffens.

Eigentum - Miete - SozialerWohnbau209 Vorrang hat die Bildung von privatem Ei­gentum an Wohnraum. Dabei kommen Einfa­milienhäuser und die verschiedenen Formendes verdichteten Flachbaus (Reihenhäuser,Terrassenwohnungen und dgl.) den Bedürf­nissen der Menschen am stärksten entgegen,stoßen freilich an die Grenzen der persönli­chen Finanzierbarkeit und des Landschafts­schutzes (Stadtplanung).Es sind daher verstärkt Wohnbauformen zuentwickeln und zu fordern, die dem erforder­lichen Komprorniß zwischen persönlichenBedürfnissen und sozialen' Randbedingun­gen Rechnung tragen.210 Unser Bekenntnis zu privatem Wohnungs­eigentum bedingt aber auch die Forderungnach einer leistungsgerechten Mietzinsbil­dung. Auch im Wohnbereich kar.n auf einenfunktionierenden Markt nicht verzichtet wer­den. Die dogmatische Behauptung, wonach

rufstätiger Mütter verbessern helfen. Zu die­sem Zweck sind die Möglichkeiten in Rich­tung Teilzeitbeschäftigung und flexibler Ar­beitszeit für Mann und Frau auszuweiten.

Eine solche breite Palette familienfördernderMaßnahmen kann jene positive Einstellungzum Leben mit Familie und Kindern in derGesellschaft fordern, die ein sinnvolles Zu­sammenleben aller Generationen ermöglicht.Unser politisches Handeln enthält erst dortseinen wirklichen Sinn, wo es sich nicht mehrallein au f unsere eigene Generation, sondernauf die Zukunft unserer Kinder bezieht.

die Wohnung keine Ware sei, wurde durch dieRealität längst widerlegt. Wir wollen einenWohnungsmarkt im Rahmen sozialer Vor­gaben.211 Wohnbau und Wohnformen sind ein sozia­ler Auftrag. Da die Wohnform einen wesentli­chen Einfluß auf das Verhalten in der Ge­meinschaft hat, muß ein sozial verantwortli­cher Staat auch den einkommensschwäche­ren Schichten den Zugang zu Wohnformenermöglichen, die dem grundsätzlichen An­spruch auf Lebensqualität entsprechen. Die­ser soziale Auftrag darf nicht durch generelleUmverteilung erfüllt werden, sondern inForm eines subsidiär wirkenden Sozial­systems.

Finanzierungsmöglichkeiten212 Für die Bauwirtschaft stellen sich aufGrund geänderter Anforderungen neue Auf­gaben, die ihr trotz ihres stagnierenden Antei­les an der Gesamtwirtschaft netle Märkte er­öffnen:- An Stelle des quantitativen Wohnbaues ver­mehrt der qualitativ hochwertige Wohnbau.- Notwendige Investitionen im Zusammen­hang mit dem Umweltschutz.- Der Ausbau der Energie- und Infrastruktur.- Ausgestaltung des Verkehrsnetzes.- Stadterneuerung.- Sinnvolle Revitalisierung nur im Zusam-menhang mit funktionierender Infrastruktur.- Bauten rur den Zivilschutz.- Komfort- und Fremdenverkehrsbedürfnis-se.213 Angesichts dieses geänderten Baubedarfswird es klar, daß die öffentliche Hand zur Be­reitstellung der Finanzierungsmittel weitüberfordert wäre, wenn man auf sie allein zu­rückgreifen müßte. Es bedarfdaher einer we­sentlich stärkeren Mobilisierung von privaterInitiative und privaten Kapitaleinsatzes.Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang:- Die Diskriminierung der Kapitalgesell­schaften durch die gegebene Doppelbesteue­rung muß beseitigt werden.

Sonderaktionen, wie zum Beispiel Sonder­wohnbauprogramme, Sonderkreditaktionenoder gezielte Anleihen mit Sonderkonditio­nen, müssen verstärkt unterstützt und wei­tergeführt werden.- Im Interesse einer Weiterentwicklung desBausparens fordern wir einen verstärktenEinsatz des sich hier bietenden Instrumenta­riums (Valorisierung der Bemessungsgrund­lage, neue Bausparvarianten mit verlängerterAnsparzeit, eine Erhöhung der Prämie oderauch eine Zinsstützung bei Zwischenkredi­ten).- Die gesamte Wohnbauförderung muß vonder Objektförderung auf die Subjektförde­rung umgestellt werden. Dabei sind steuerli­che Begleitmaßnahmen, wie vermehrte Ab-

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schreibungsmöglichkeiten und Maßnahmenim Bereich der Sonderausgaben notwendig,wobei aus liberaler Sicht unterSubjektfOrde­rung die direkte Förderung eines Wohnwer­bers zu verstehen ist, also ohne Einschaltungvon geforderten Bauträgerorganisationen,wie zum Beispiel Genossenschaften.

214 Mit dem Übergang von der Objektforde­rung auf die Subjektforderung würde sichauch die Aufgabe der Wohnbaugenossen­schaften dahingehend el].tscheidend verän­dern, daß sie nicht mehr fUr die Weitergabeund Verrechnung von Förderungsmitteln zu­ständig sind, sondern sich auf die Aufgabeneiner rationellen Abwicklung gemeinsamerBauvorhaben konzentrieren müssen. Dieserationelle Abwicklung schließt auch dieKombination von sozialem Wohnbau und freifinanzierten Projekten mit ein.Die derzeit übliche Definition von Subjekt­fOrderung allein als nachträgliche Unterstüt­zung an solche Besitzer von Sozialwohnun~gen, denen die alleinige Aufbringung der Fi­nanzierungskosten nicht zugemutet werdenkann, ist zu einseitig gesehen. Allein diesereinseitig verstandenen Subjektförderung fol­gend, entsteht die Gefahr einer zunehmendenUmschichtung von Wohnbauforderungsmit­teln in Mittel einer rein sozialen Unterstüt­Zurlg. Das entspräche nicht der von uns gefor­derten Subjektforderung.

Gesundes Wohnen215 Gesundes Wohnen erfordert die Anwen­dung medizinischer, psychologischer, sozio­logischer und naturwissenschaftlicher Er­kenntnisse über die Auswirkungen von Bau­stoffen und Bauformen auf den Menschen.Besonders wichtig ist auch die Beachtungdes Lärmschutzes. Um den Anforderungendes körperlichen und seelischen Wohlbefin­dens zu entsprechen, wird es notwendig sein,daß dem Bewohner seiner zukünftigen Um­welt - seines Umraumes - vermehrte Mitge­staltungs- und Mitwirkungsrechte zugestan­den werden.Gesundes Bauen bedeutet auch Besinnungauf das me!:1schliche Maß (zum Beispiel Bau­höhe), die Uberschaubarkeit und die Absagean Gigantomanie und Anonymität.

216 Im Wohnbau dürfen nur solche Materia­lien eingesetzt werden, bei denen gesundheit­liche Schäden (auch Langzeitwirkungen) aufGrund eingehender Untersuchungen undausreichender Erfahrungen auszuschließensind. Neue Baustoffe und Bauweisen könnendurchaus einen wichtigen Fortschritt darstel­len, sollen aber erst nach ausreichender bau­biologischer Prüfung und Erfahrung fUr einebreitere Verwendung freigegeben werden.Wirtschaftliche Verbesserungen dürfen nichtaufKosten einer möglichen gesundheitlichenSchädigung überhastet eingesetzt werden(Vorsichtsgrundsatz).

Wohnen und Energie217 In der jüngeren Vergangenheit haben diemodernen Bauweisen zu einem überhöhtenEnergiebedarf fUr die Raumheizung geftihrt.Durch geeignete technische Maßnahmenmuß der spezifische EnergiebedarffUr Raum­heizung deutlich gesenkt werden (Energie­sparen): Dadurch dürfen jedoch nicht ge­sundheitliche Beeinträchtigungen oder emp­findliche Komfortverluste herbeigefUhrtwerden.Bei den Energieträgern sollen jene bevorzugteingesetzt werden, die im Niedertemperatur­bereich optimal verwendet werden können(Biomasse, Sonnenenergie, Wärmepumpen,Fernwärme und dgl.). Hochwertige leistungs­gebundene Energieträger (Strom, Gas) sollenbevorzugt den städtischen Ballungszentrenvorbehalten werden. Die Architektur soll sich

verstärkt den neuen Möglichkeiten der akti­ven und passiven Nutzung der Sonnenener­gie zuwenden.In Wohngebieten hat die Bevölkerung An­spruch auf angemessenen Schutz vor Immis­sionen, die durch falsche Heizungen, über­mäßiges Verkehrsaufkommen, umweltbela­stende Industrien oder öffentliche Einrich­tungen entstehen.

Sanierung alten Baubestandes218.Wir befürworten die Revitalisierung vongewachsenen, aber überalterten Strukturenanstatt der Entwicklung von "Reißbrettstadt­teilen". Die Erhaltung einer heute nicht mehrherstellbaren wertvollen& Bausubstanz istnicht nur ein kulturelles Anliegen, sondernauch ein Anliegen, das infrastrukturelle Be­deutung hat. Es gilt, über das kulturelle An­liegen hinaus, traditionelle Siedlungsgebietemit wieder funktionierenden Infrastrukturenherzustellen, was gleichbedeutend mit einerAbsage an künstliche Prestigeobjekte ist.Durch sinnvolle ZusammenfUhrung vonNeubauzonen und revitalisierten Stadtteilenbeziehungsweise Ortsteilen soll ein harmoni­sches Ortsbild geschaffen werden. DieSanie­rung überalterter Ortsbilder und Stadtviertelerfordert die Schaffung einheitlicher gesetzli­cher Grundlagen mit dem Ziel eines mög­lichst geringen Verwaltungsaufwandes.

219 Mietrechts- und Eigentumsbeschränkun­gen hatten in den letzten Jahrzehnten vor al­lem in den städtischen Ballungszentren denEinsatz privaten Kapitals fUr eine lebenswer­te Stadtgestaltung verhindert. Dieser Um­stand und die Unwirtlichkeit dieser Städtehat zu einer Art Stadtflucht geführt, die einestärkere Bewegung in Richtung Zweitwohn­sitz am Lande bewirkt hat. Diese Fehlent­wicklung gilt es zu korrigieren.Die zukünftige Entwicklung sollte zu einemausgewogenen Verhältnis fUhren, das denMenschen ermöglicht, in lebenswerten Bal­lungszentren zu wohnen und den ländlichenRaum mit seinem Erholungswert zu nutzen,ohne ihn unnötig zu zersiedeln.

220 Auch bei einer Verbesserung des Woh­nungsstandards in der Stadt wird es vielfachden Wunsch nach einem Zweitwohnsitz imländlichen Raum geben. Diesem Bedürfnisist auch im Sinne der von uns bejahten per-

6. Kapitel

ArbeitsweltEinleitung223 Die Arbeitswelt verändert sich. Das be­trifft sowohl die äußeren Erscheinungsfor­men des Arbeitens wie auch die Einstellungder Menschen zur Arbeit an sich.Freiheitliche Politik will die im Gange be­findliche Entwicklung so gestalten, daß dieArbeitswelt der Zukunft liberaler wird alsderzeit gegeben.

Nach unserer Auffassung ist Arbeit nicht nurein Produktionsfaktor in der Wirtschaft. Ar­beiten ist mehr als bloß die bezahlte Teilnah­me am Erwer,psleben in unserer hochgradigarbeitsteilig organisierten Wirtschaft. Arbeitist auch mehr als die Tätigkeit fUr Zwecke dereigenen wirtschafWchen Selbstversorgung.Arbeit als eine Außerung menschlicherSchaffenskraft ist Teil unseres ganzen Le­bens. In der Freude an der eigenen ArlYeitliegt einer der Schlüssel fUr ein zufriedenesLeben.

sönlichen Gestaltung der Wohnformen Rech­nung zu tragen.Wir erachten es als eine Aufgabe der Raum­ordnung, die Schaffung von Zweitwohnsit­zen ohne Beeinträchtigung gewachsenerländlicher Siedlungsstrukturen zu regeln.Insbesondere bieten sich dafUr geographi­sche Räume an, die von Landflucht wirt­schaftlichem Niedergang und Entsiectelungbedroht sind. Diesen Räumen soll durch ge­zielte Siedlungspolitik geholfen werden.

Wohnen und Straße221 Die starke Ausweitung und Belastung desStraßennetzes als Folge der Massenmotori­sierung hat einen ernsten Konflikt zwischenVerkehrsbedürfnissen einerseits und Wohn­qualität andererseits entstehen lassen. DieBeeinträchtigung des Wohnens durch Ver­kehrslärm und Schadstoffe aus Abgasen undAbrieb betrifft städtische Wohnviertel eben­so wie ländliche Wohngebiete an Durchzugs­straßen, insbesondere in Tälern mit gebün­delten Verkehrssträngen. Dieser Konfliktmuß gelöst werden.Wir verlangen systematische Maßnahmen zurWiedererlangung und Bewahrung der Wohn­qualität in stark verkehrsbelasteten Berei­chen. Wo überall möglich, sollen Wohnviertelvom motorisierten Verkehr freigehalten oderdieser zumindest zeitlich beschränkt unddurch Geschwindigkeitsbegrenzungen beru­higt werden.222 Der Lärmschutz entlang der Durchzugs­straßen ist weitestgehend auszubauen. Dabeisollen aber nicht bloß technisch zweckmäßi­ge, sondern auch architektonisch schöne undmöglichst mit Grünanlagen ausgestattete Lö­sungen gewählt werden. Aus der verkehrs­technischen Einrichtung Straßennetz sollnach und nach so etwas wie eine humaneStraßenlandschaft gestaltet werden.Daneben sind alle technIschen Möglichkei­ten zu nützen, um durch Verbesserungen derStraßenbeläge und der Verkehrsmittel selbstdie Entstehung von Lärm und Schadstoffenzu verringern. Auch die Gestaltungsmöglich­keiten der Verkehrsordnung in Verbindungzum Beispiel mit Ampeln, elektronischenLeithilfen und gleichmäßiger Steuerung desVerkehrsflu~ses sind in den Dienst desKampfes gegen Verkehrsbelästigungen zustellen. Wohnqualität hat Vorrang gegenüberungebremster Verkehrsentwicklung.

224 Arbeit ist nicht gleich Arbeit. Sie kann kör­perlich oder geistig geleistet werden, kannschwer oder leicht sein, kann unter angeneh­men oder unangenehmen und sogar gefährli·chen Bedingungen stattfinden. Selbst äußer­lich gleiche Arbeit kann auf Grund innererGegebenheiten unterschiedlich als Last oderals Freude empfunden werden. Arbeit istauch ein wichtiges Element sozialer Bezie­hungen.Wir wollen die Entwicklung in Richtung wei­terer Vermenschlichung der Arbeit vorantrei­ben. Die Arbeit soll im Rahmen des durch dieDaseinserfordernisse bedingt Möglichenmehr und mehr zu einer aus freien Stückenausgeübten Tätigkeit schaffensfreudigerMenschen werden.

Erwerbstätigkeit225 Soweit das Arbeiten rein wirtschaftlichenZwecken dient, findet es hauptsächlich imRahmen der arbeitsteilig organisierten Wirt-

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schaft gegen Bezahlung statt. Das gilt für denselbständig wie unselbständig Tätigen. Ar­beitgeber wie Arbeitnehmer sind dem Marktunterworfen, natürlich unter Reachtung dersozialen Rahmenbedingungen.Doch gibt es wieder zunehmend auf Wirt­schaftserfolg abzielende Arbeit auch außer­halb der arbeitsteiligen Geldwirtschaft. Dazuzählen Selbstversorgung in Landwirtschaft,Gewerbe und Haushalt ebenso wie Eigenar­beit aller Art (00 it yourself) und Nachbar­schaftshilfe.

226 Weil der Ersatz menschlicher Arbeitskraftin der arbeitsteiligen Wirtschaft durch weite­re Technisierung (Roboter, Computer, aktiveInformationsverbundsysteme) fortschreitet,wird der Bereich der Eigenarbeit im weite­sten Sinne wachsen. In ihm werden sich wirt­schaftliche und nichtwirtschaftliche Motivefür das Arbeiten vermengen.Wir Freiheitlichen sehen diese Entwicklungpositiv, denn sie bringt mehr Freiheitsele­mente in das Arbeitsleben. Die Fortentwick­lung des Wirtschafts- und Arbeitsrechtes sollauf diese Entwicklung Bedacht nehmen. Zustarre Arbeitsschemata behindern sie undsind daher flexibler zu gestalten.227 Die derzeit herrschende Auffassung,. alleim Wirtschaftsleben Tätigen seien nur entwe­der der Gruppe der Arbeitgeber oder der derArbeitnehmer zuzuordnen, wird der Realitätnicht mehr gerecht.Mehr und mehr Menschen sind zu unter­schiedlichen Zeiten ihrer Arbeitsperiodewechselnd Arbeitnehmer oder Arbeitgeber,Selbstversorger oder Eigenarbeiter oder frei­willige Helfer in einer Person. Es wird füreinen Teil der Tätigkeiten Geldeinkommengegeben, für einen anderen Naturalien oderGegenleistungen, ein Teil wird ehrenamtlichsein. Auch der "Arbeitsplatz" wird in vielenFällen nicht mehr streng ortsgebunden sein,neue Formen der Heimarbeit (zum BeispielTerminals) erscheinen möglich.Wir wollen, daß die Wirtschafts- und Sozial­politik diesen Auffacherungen in der Arbeits­welt Rechnung trägt, ohne daß dadurch dernotwendige Schutz· sozial Schwacher ver­nachlässigt wird.

228 Ergänzend Z\.l den herkömmlichen FreienBerufen werden auch neue Freie Berufe ent­stehen. Die Sicherung der bestehenden unddie Bildung neuer Freier Berufe erachten wirals eine wichtige gesellschaftspolitische Auf­gabe.

Arbeitszeit

Wir gehen davon aus, daß alle heute er­kennbaren Entwicklungen zu einer Verkür­zung jener Zeiten führen wird, die die Men­schen im arbeitsteiligen Arbeitsprozeß ver­bringen. Die mögliche Arbeitszeitverkürzungbetrachten wir ganzheitlich als Lebensar­beitszeit mit den inbegriffenen Perioden derJ ahres- und Wochenarbeitszeiten.Vorrang hat nach freiheitlicher Auffassungeine behutsame Verkürzung der Lebensar­beitszeit. Damit meinen wir aber nicht einEinstellen allerTätigkeiten nach Beendi.gungdes Erv;erbslebens. Auch gleitender Uber­gang in den Ruhestand ist sinnvoll.Im weiteren halten wir eine Verkürzung derJahresarbeitszeit für erstrebenswerter als dieder Wochenarbeitszeit. Aus Gründen der Ge­sundheit und persönlicher Lebensgestaltungsollen längere, auch mehrfach geteilte Urlau­be im Jahr ermöglicht werden. Die Entwick­lung für besondere Urlaube zwischen mehr­jährigen Arbeitsperioden sollte als Möglich­keit offen bleiben.230 Hinsichtlich der Wochenarbeitszeit, die imZuge der Entwicklung auch verkürzt werdenwird, lehnen wir die Festlegung auf eine be-

stimmte allgemein verbindliche Stundenan­zahl ab. Ausgehend von der Erkenntnis, daßArbeit nicht gleich Arbeit ist, sehen wir keineNotwendigkeit, allen Menschen eine gleich­lange Arbeitszeit vorzuschreiben.Weitere mögliche Verkürzungen der Wochen­arbeitszeit, aber auch Überschreitungen imRahmen einer flexiblen Zeitverrechnung sol­len· vertraglichen Vereinbarungen zwischenden Sozialpartnern branchenweise und inden Betrieben überlassen bleiben. Ebensodie zeitliche Teilung von Arbeitsplätzen (Jobsharing) sowie Teilzeitbeschäftigung.231 Wir treten für frei vereinbarte Arbeitszeit­verkürzungen unter Berücksichtigung derwirtschaftlichen Möglichkeiten bei mög­lichst großer Flexibilität ohne gesetzlichenZwang, aber verbunden mit sozial schützen­den Rahmenbedingungen ein.

Entlohnung232 Insoweit Arbeit im arbeitsteiligen Wirt­schaftsprozeß geleistet wird, unterliegt ihreEntlohnung grundsätzlich den Regeln desMarktes. Die Entlohnung soll möglichst ge­recht der erb~'achtenLeistung entsprechen.Da wir von einem sozial gestalteten und vorMachtmißbräuchen geschützten Marktge­schehen ausgehen, bejahen wir Schutzbe­stimmungen und Mindesttarife.Die Tarifautonomie der verschiedenen Kol­lektivvertragspartner bleibt grundsätzlichunbestritten. Bei zunehmender Machtfülleder Beteiligten muß sie ihre Grenzen an über­geordneten Interessen der Volkswirtschaftfinden. Freiheitliche Politik erstrebt jenesKräftegleichgewicht, das der sozialen Ge­rechtigkeit wie dem Gesamtwohl in der kon­kreten Situation bestmöglich entspricht.233 Die Fiskalpolitik hat ihre Verantwortungfür eine durch sie drohende Überteuerungder Arbeitskosten zu erkennen. Die bereitshohen Lohnnebenkosten als etne Folge derHeranziehung des Lohnes als Bemessungs~

grundlage für verschiedenste Abgaben müs­sen zurückgeschraubt werden.Grundsätzlich ist für gleiche Arbeit gleicherLohn zu bezahlen. Die diesbezüglich immernoch bestehende Diskriminierung der Frau­en muß abgebaut werden. Überholte Schutz­bestimmungen sollen neu überdacht werden.234 Wir befürworten aufGrund des Leistungs­prinzips auch Entlohnungssysteme mit er­folgsabhängigen Lohnteilen, wobei auchneue Modelle unvoreingenommen erprobtwerden sollen. Ertragsbeteiligungs- und Ver­mögensbeteiligungssysteme sollen die Mög­lichkeiten der Beteiligung von Arbeitneh­mern an Betrieben erweitern. Für derartigeBeteiligungen hat die Wirtschaftspolitik dienoch unzureichenden steuer- unq. gesell­schaftsrechtlicheI). Voraussetzungen zu ver­bessern. Insbesondere darf der Status als Ar­beitnehmer nicht infolge einer Kapitalbeteili­gung in Frage gestellt werden.

235 Die sozialen Rechte der Arbeitnehmer sindteils an die im Leben schon erbrachten Ar­beitsjahre, teils an die Jahre der Betriebszu­gehörigkeit gebunden. Ein Überwiegen derzweiten Kategorie kann zur Behinderungeines volkswirtschaftlich an sich erwünsch­ten Arbeitsplatzv,rechsels führen. Unter die·sem Gesichtspunkt soll die Bindung der so­zialen Rechte neu durchdacht werden (Ur­laub, Abfertigung, Kündigung usw.). Dabeisollte erleichterte Mobilität angestrebt wer­den, ohne den Gedanken einer positiven Be­wertung der Betriebstreue aufzugeben.

l\titbestimmung

235 Überall, wo Herrschaft VO,1 Menschenüber Menschen, wie auch in den Organisa­tionsgebilden der Arbeitswelt. unvermeid-

lich ist, bedarf es der Mitbestimmung alseines Korrektivs zur Fremdbestimmung. Mit­bestimmung bezweckt aus freiheitlicherSicht den Spannungsausgleich zwischendem Streben nach persönlicher Freiheit undden sachlichen Erfordernissen oft kompli.ziert organisierter Gruppen, die gemeinsambestimmten Aufgaben zu dienen haben.Mitbestimmung bezweckt Vermenschli·chung der Arbeitswelt in einer partnerschaft­lichen Gesinnung.Mitbestimmung zieht Mitverantwortungnach sich und muß daher in einem aufgaben­gerechten Stufenbau differenziert entwickeltwerden.237 Die innerbetriebliche Mitbestimmung be­ginnt am Arbeitsplatz und führt über die Ar­beitsgruppe bis zu gewählten Belegschafts­vertretern in den Aufsichtsorganen größererUnternehmungen. Die Grenzen dmser Mitbe­stimmung im Betrieb liegen dort, wo durchweitere Ausdehnung die den Eigentümernund ihren Organen letztlich zukommendeausschlaggebende Entscheidungsbefugnisde facto entzogen würde.Wir Freiheitlichen wollen, daß bei der Weiter­entwicklung betrieblicher Mitbestimmungs­modelle auch die Gruppe der leitenden Ange­stellten Berücksichtigung findet.Zu den Mitbestimmungsmodellen gehörenauch die Produktionsgenossenschaften. Wirerachten sie als wertvoll, wenn sie aus freienStücken entstehen und aus eigener Kraft amMarkt erfolgreich bestehen können.

238 Die überbetriebliche Mitbestimmung sollallen am Wirtschaftsleben teilnehmenden Be­rufsgruppen eine Mitwirkung bei allen wirt·schafts- und sozialpolitischen Aufgaben ein­räumen.Obwohl die überbetriebliche Mitbestim­mung in Österreich hoch entwickelt ist, be­darf es noch der Berücksichtigung vor allemder Vertretungen der Freien Berufe.Die Mitbestimmung der Interessenvertretun­gen soll die staatliche Wirtschaftspolitik un­terstützen, darf sie jedoch nicht entmachten.

Gastarbeiter

239 Unterschiedliche Entwicklungen von An­gebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarktwerden immer wieder die Wanderbewegungvon Arbeitskräften auslösen. Gastarbeiterstellen bei Vollbeschäftigung kein Problemfür den Arbeitsmarkt dar, wohl aber ein sozia­les und ein Problem der gesellschaftlichenInfrastruktur. Diese Gesichtspunkte müssenauch von der Wirtschaftspolitik beachtet wer­den.

240 Gastarbeiter haben ein Recht auf ver­gleichbare soziale und humanitäre Behand­lung, können jedoch nicht die politischenRechte der Staatsbürger beanspruchen.Als Freiheitliche halten wir Maßnahmen aufschulischem und kulturellem Gebiet für not­wendig, die diesen Menschen die Veranke­rung in ihrem angestammten Volkstum undKulturkreis sichern. Diese sollen auch diespätere Rückkehr in das jev/eilige Heimat­land erleichtern.Eine unter dem dann irreführenden TitelGastarbeiterfrage betriebene umfangreicheEinwanderungspolitik lehnen wir ab. Abge­sehen von Einzelfallen und kleineren Grup­pen hat die Einbürgerungspolitik von der Er­kenntnis auszugehen, daß unser dichtbesie­deHes Österreich grundsätzlich kein Einwan­derungsland ist.

Z4l Weil eben Menschen kommen und nichtnur Arbeitskräfte, ist die Beurteilung dieserProbleme allein von der wirtschaftlichenNützlichkeit her unzulänglich. Die bei uns le­benden Gastarbeiter dürfen nicht ausgebeu­tet oder als zweitklassig behandelt werden.

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Die wirtschaftlichenUberlegungen wieder­um haben den Vorrang der Vollbeschäfti­gung rur einheimische Arbeitswillige zu be­achten. Bei allgemeiner Unterbeschäftigungist die Zahl der Gastarbeiter unter Vermei­dung menschlicher Härte systematisch zuverringern.

Recht auf Arbeit242 Wir betrachten das Recht aufArbeit als so­ziales Grundrecht und wollen es in der Ver­fassung verankert wissen. Es bedeutet einenAuftrag an den Staat, im Rahmen seiner Mög­lichkeiten eine auf Vollbeschäftigung gerich­tete Wirtschaftspolitik zu betreiben. Es darfauch im Falle langdauernder Arbeitslosigkeitrur Arbeitswillige, die über kein anderes Ein­kommen verfUgen, nicht nur Notstandshilfegeben. Für solche hartnäckigen Fälle sind Ar­beitsbeschaffungsprogramme einzurichten,die zumutbare Arbeiten anbieten, die anzu­nehmen sind, solange ein Arbeitsplatz nacheigener Wahl nicht gefunden werden kann.Bevorzugt werden sollen Arbeitsinhalte ausdem Bereich des Umweltschutzes und derLandschaftspflege.243 Vorübergehende Arbeitslosigkeit wird esallein schon auf Grund ständiger Markt-

7. Kapitel

Marktwirtschaft

Einleitung245 Die Marktwirtschaft ist das einzige Wirt­schaftssystem, welches sich mit dem libera­len Verständnis von Mensch und Gesell­schaft vereinbaren läßt. Ohne wirtschaftlicheFreiheit gibt es auch keine politische Freiheit.Außerdem gehen wir von der vielfach bewie­senen Erkenntnis aus, daß kein anderes Wirt­schaftssystem besser zur Beseitigung der Ar­mut, zum Aufbau eines allgemeinen Wohl­standes, zur Schaffung von Arbeitsplätzenund zur flexiblen Anpassung an neue Zeitver­hältnisse geeignet ist, als eine funktionieren­de Marktwirtschaft.246 Wir halten die Marktwirtschaft aber nichtfUr eine naturgesetzliche Einrichtung, dieman einfach sich selbst überlassen kann, son­dern rur ein soziales System mit bestimmtenRegeln, das von der Wirtschaftspolitik be­wußt gestaltet und geschützt werden muß.Das liberale Konzept des Marktes wird häufigals das Prinzip des reinen Laisser-faire miß­verstanden. Wir dagegen bekräftigen unsereÜberzeugung, daß ungezügelte Wirtschafts­freiheit dort unannehmbar wird, wo sie zurAusbeutung fUhrt, die Situation der sozialSchwachen mißachtet oder die Interessendes Gesamtwohles verletzt.247 Hauptaufgabe liberaler Wirtschaftspolitikist die Schaffung und Atifrechterhaltungeines wirksamen und dabei fairen Wettbe­w~rbs vieler, der auf echter Leistung unterEinhaltung sozialer und ökologischer Vorga­ben beruht.Der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ent­puppt sich immer wieder als der größte Feindjedes freien Marktes und muß daher ständigbekämpft werden. Monopole und monopol­ähnliche Einrichtungen sollen nach Möglich­keit vermieden werden. Wo solche - aus wel­chen Gründen auch immer - entstehen, müs­sen sie strengen Regeln unterworfen werden,deren Einhaltung zu kontrollieren ist.248 Unter Beachtung des Gesamtwohles hatfreiheitliche Wirtschaftspolitik eine dreifacheAufgabe zu bewältigen:

schwankungen auch in Zeiten angenäherterVollbeschäftigung immer geben. Zu ihrerÜberbrückung hat sich das bisherige Systemder Arbeitslosenversicherung im großen undganzen bewährt, jedoch muß es vor miß­bräuchlicher Inanspruchnahme besser ge­schützt werden.

244 Ein besonderes Problem stellt Jugendar­beitslosigkeit dar. Sie kann in größerem Um­fang gesellschaftspolitisch nicht hingenom­men werden. Um Jugendarbeitslosigkeit zubeseitigen, soll folgendermaßen vorgegangenwerden:- Vorrang haben Maßnahmen zur Eingliede­

rung der Jugendlichen in den normalen Ar­beitsprozeß.

- Eigene Jugendarbeits1:Jeschaffungspro-gramme als befristete Überbrückungsmaß­nahmen.

- Ermutigung und Starthilfe fUr den Aufbauselbständiger wirtschaftlicher Existenzen.

In allen Belangen der Arbeitswelt haben Ei­geninitiative und Freiwilligkeit Vorrang.Lenkende Maßnahmen sind nur notfalls undzur Sicherung eines Mindesteinkommensvorzunehmen. Wir wollen eine Arbeitswelt, inder nicht .(\rbeitsleid, sondern Arbeitsfreudevorherrscht.

- Aufrechterhaltung eines möglichst großenHandlungsspielraumes fUr die eigenverant­wortlich am Markt tätigen Unternehmengleich welcher Rechtsform.

- Gezielte staatliche Einflußnahme zumSchutz der wirtschaftlich Schwächeren, oh­ne dabei das Leistungsprinzip zu entwer­ten.

- Wahrnehmung jener volkswirtschaftlichenInteressen, fUr die private Initiativen feh­len, zu schwach oder sachlich ungeeignetsind.

In diesem Sinne sind lenkende Eingriffe desStaates nicht grundsätzlich abzulehnen, je­doch injedem Fall sorgfaltig aufihre Notwen­digkeit zu überprüfen und einzugrenzen. Dar­über hinaus soll der Staat selbst keine Wirt­schaftstätigkeit übernehmen.249 Wirtschaftswachstum ist ein Ziel, jedochkein Selbstzweck. Wegen der ökologischenGrenzen zielen wir auf ein qualitatives Wirt­schaftswachstum ab. Dieses soll den Nutz­wert der produzierten Güter und Dienstlei­stungen bei gleichzeitiger Verringerung desbenötigten Rohstoff- und Energieeinsatzesmehren.Wir erstreben la~gfristig eine Kreislaufwirt­schaft, die unser Okosystem verträgt.

Privatwirtschaft und Selbst­verwaltung

250 Wir gehen grundsätzlich von einer privat­wirtschaftlichen Wirtschaftsstruktur aus. Di­rekt oder indirekt verstaatlichte Unterneh­men sind, soweit dies ihre spezifische Aufga­bensteIlung ermöglicht, gleichfalls nach pri­vatwirtschaftlichen Maßstäben zu fUhren.Die staatliche Wirtschaftspolitik hat öffentli­che und private Unterneh'llen gleich zu be­handeln, um Wettbewerbsverzerrungen zuverhindern. Wirtschaftsaufgaben, die vonverstaatlichten oder gemeinwirtschaftlichenUnternehmen oder von Behörden übernom­men wurden, sind laufend auf eine möglicheReprivatisierung hin zu überprüfen. Das giltfUr alle El?enen der Gebietskörperschaftenund anderer öffentlicher Einrichtungen.

Die Orgahe öffentlicher Unternehmen sindrur Fehlinvestitionen und Verschwendungvom Eigentümervertreter zivil- und straf­rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.Bei "Reprivatisierung" ist darauf zu achten,daß nicht ausländisches Kapital unsere Wirt­schaft zu kontrollieren beginnt.Das Wirtschaftsleben leidet unter einer allge­mein zunehmenden Verbürokratisierung.Daher müssen alle staatlichen Maßnahmen,insbesondere fiskalische, aber auch die ge­samte Gesetzgebung einer Änderung in Rich­tung Entbürokratisierung unterzogen wer­den.251 Die Selbstverwaltungskörperschaften al­ler Berufsgruppen (Sozialpartner) sollen dieallgemeine Wirtschaftspolitik im Geiste derPartnerschaft unterstützen. Wir anerkennendie Rolle der Sozialpartnerschaft fUr einenfriedlichen Interessenausgleich. Anderer­seits bekämpfen wir alle Tendenzen, die Ein­richtungen der Sozialpartner zu Entschei­dungsträgern an Stelle der demokratisch-le­gitimierten Organe unserer Staatsverfassungzu machen.Wir bestehen auch auf einer strikt demokra­tisch-proportionalen Struktur aller Kam­mern. Die Aufrechterhaltung der Zwangsmit­gliedschaft zu diesen Kammern läßt sichüberhaupt nur rechtfertigen, wenn die Inter­essenvertretung parteipolitisch neutral vor­genommen wird. Grundsätzlich sind wir derAuffassung, daß Freiwilligkeit vorzuziehenwäre.252 Die moderne Wirtschaftsentwicklung ver­langt ständige Anpassung und Neuerung. Wirerachten es als eine der wirtschaftspoliti­schen Aufgaben, Innovation umfassend zufordern. Diesem Zweck hat das öffentlicheFörderungswesen vorrangig zu dienen. Di­rekte wie indirekte Förderungsmaßnahmenmüssen durchschaubar, übersichtlich undinsgesamt begrenzt sein. Förderungen müs­sen zur Rentabilität fUhren. Bloße Verlustab­deckungen und wettbewerbsverzerrendeFörderungsmaßnahmen sind generell abzu­lehnen.

Strukturpolitik und Mittelstand253 Österreichs Wirtschaft ist ganz überwie­gend durch Klein- und Mittelbetriebe struk­turiert. Diese mittelständische Wirtschafts­struktur zeichnet sich durch hohe Leistungs­bereitschaft und AnpassUngsfahigkeit anMarktveränderungen aus. Wir wollen eineMittelstandspolitik, die diese Eigenschaftenpflegt und würdigt. Zum Mittelstand zählenwir aber keineswegs nur Selbständige, son­dern gleichermaßen auch jene unselbständigErwerbstätigen, die ähnliche Leistungen undLebensweisen praktizieren. Wir bejahen diegesellschaftliche Herausbildung eines brei­ten und lebenskräftigen Mittelstandes.254 Regionale Strukturpolitik hat mittels ge­eigneter Infrastrukturmaßnahmen auf eineausgewogene Wirtschaftsentwicklung im ge­samten Bundesgebiet hinzuwirken. Überbor­denden Ballungstendenzen muß gegenge­steuert werden.In zurückbleibenden Regionen sind alle kon­kret auf Lebensfahigkeit aus eigener Krafthindeutenden autonomen Aktivitäten gezieltzu fOrdern. Dies hat Vorrang vor fremden Be­triebsansiedlungen.Nachteile der Verkehrslage und Kommuni­kation sind auszugleichen. Die allgemeineVerkehrspolitik darf nicht zur weiteren Ent­leerung schwacher Regionen fUhren, sondernsoll zu deren Aufschwung bei~ragen.

255 Die volkswirtschaftliche Wertschöpfungberuht immer noch auf einem unverhältnis­mäßig hohen Anteil an Grundstoff- und Halb­fertigprodukten. Durch gemeinsame An­strengungen von Wirtschaft und Politik soll

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der Anteil an Wertschöpfung aus Arbeit, gei­stiger Leistung sowie Know-how systema­tisch gesteigert werden, zu Lasten rohstoffin­tensiver Produkte und Verfa~n.

Diese Entwicklung muß sich jedoch an dentatsächlichen Marktchancen ausrichten. Of­fene Märkte im In- und Ausland können hel­fen, Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erken­nen und zu vermeiden.256 Eine Weiterentwicklung des Wettbewerbs­rechtes soll' die drohende Vermachtung derMärkte bekämpfen. Wir fordern den Ausbaudes Kartellrechtes, welches weiter auf demMIßbrauchsprinzip fußen soll, zu einem Kon­trollrecht ftir Marktrnacht.Wenn Unternehmungen, gleich welcherRechtsform, eine kritische Schwelle desMarktanteiles auf der Käufer- oder Verkäu­ferseite überschreiten, sollen sie Regeln undKontrollen zwecks Sicherung eines funktio­nierenden Leistungswettbewerbes unterwor­fen werden, und zwar desto mehr, je beherr­schender ihre Marktstellung ist. Diese Forde­rung gilt auch ftirGroßgenossenschaften.

Gesunde Betriebe257 Gesunde Betriebe müssen Gewinne ma­chen und in der Lage sein, Eigenkapital zubilden. Die Verächtlichmachung von Gewinnund Kapital weisen wir als unhaltbar zurück.Sorge bereitet der zu beobachtende ständigeRückgang des Eigen- und Risikokapitals. Da­her sind alle zielftihrenden Maßnahmen, be­sonders im Steuerrecht, zu ergreifen, um dieAusstattung der Betriebe mit haftendem Ka­pital, dessen Ertrag gewinnabhängig ist, wie­der zu verbessern.Darüber hinaus müssen wirtschaftliche Rah­menbedingungen geschaffen werden, die dasAnlegen privater Ersparnisse auch in Risiko­kapital verschiedenster Beteiligungsformenan Unternehmungen, weil dem Risiko ange­messen rentabel, wieder sinnvoll machen.Die Fehlentwicklung, daß sicheres Konten­oder Wertpapiervermögen rentabler ist alsunsicheres Beteiligungsvermögen, muß ge­stoppt werden.258 Einzig rentabel wirtschaftende Unterneh­mungen können Arbeitsplätze erhalten oderneue schaffen. Wir treten für eine Sicherungder Arbeitsplätze durch Sicherung der Be­triebe ein. Dabei kann es sich freilich nichtum eine Festschreibung bestehender Ar­beitsplätze handeln, sondern um ein insge­samt hinreichendes Angebot an lohnendenArbeitsplätzen durch eine Vielzahl blühen­der und neuer Unternehmen.259 Unser Handels- und Gesellschaftsrecht be­ruht grundsätzlich auf dem auch mit seinemPrivatvermögen voll haftenden Kaufmann.Wir glauben, daß dies den Bedingungen dermodernen Wirtschaft nicht mehr überall an­gemessen ist.Daher verlangen wir eine Rechtsreform, wel­che die Trennung des dann nichthaftendenPrivatvermögens vom haftenden Wirt­schaftsvermögen (Kapital) eines Kaufman­nes (Gesellschafters) einführt. Als erstenSchritt in diese Richtung fordern wir dierechtliche Schaffung des "Einzelkaufmannesmit beschränkter Haftung", und zwar zusätz­lich zur bestehenden Rechtsform. Einer der­artigen Reform kommt große Bedeutung ftirdie Gründung junger, dynamischer Unter­nehmungen zu.

Land- und Forstwirtschaft280 Grundlage aller Wirtschaft ist die Land­und Forstwirtschaft. Sie erzeugt nicht nur dieunentbehrlichen Nahrungsmittel, sondernliefert auch wichtige Rohstoffe und Energie­träger, was in Zukunft an Bedeutung gewin­nen wird. Für eine ökologisch richtige Bewäl­tigungdieser ökonomischen Aufgaben ist der

Bauer unentbehrlich. Wir bekennen uns zueinem freien, leistungsiahigen Bauerntumund zum bäuerlichen Familienbetrieb. Ge­werbsmäßige Agrarfabriken und bodenunge­bundene Produktion dürfen nicht Leitlinieund Ziel freiheitlicher Agrarpolitik sein.

261 Infolge jahrzehntelangen Strukturwan­dels ist die Landwirtschaft kapitalintensiv ge­worden. Sie muß daher mit betriebswirt­schaftlichen Methocten betrieben werden.Dennoch soll sie nicht industriellen Syste­men angeglichen oder gar unterworfen wer­den. Organisches Wachstum, kleinräumigesnatürliches Gleichgewicht und Harmonie mitder Landschaft gebieten zwar eine moderne,aber im Wesen bäuerliche Betriebsform.Wir wollen eine ganzheitliche Agrarpolitik,die nicht rein ökonomisch orientiert seinkann, sondern Aufgaben der Volksgesund­heit (Ernährung), des· Landschaftsschutzesund des Kulturraumes miteinbezieht (Schutzder fruchtbaren Böden).

262 In weiten Teilen des Agrarbereiches sindsinnvolle Marktordnungen grundsätzlichnotwendig. Die Agrarmarktordnungen ha­ben jedoch ihre notwendige Schutzfunktionüberdehnt, indem sie die Bauern einerseitsvon sich abhängig gemacht und andererseitsdas sinnvolle Wirken von Angebot und Nach­frage weitgehend außer Kraft gesetzt haben.Freiheitliche Landwirtschaftspolitik will da­gegen den unternehmerischen Spielraum derGrund- und Waldbesitzer langfristig erwei­tern. Die Abhängigkeiten von Genossen­schaften müssen verringert werden. Die bäu­erlichen Selbsthilfeeinrichtungen sollen wie­der voll in den Dienst der Bauern gestellt wer­den. Zwischen Genossenschaften und Privat­wirtschaft ist ein fairer Wettbewerb zu si­chern. Genossenschaftsmitglieder haben An­spruch auf einen Gewinnanteil.Die Marktordnungen sollen schrittweise zueiner besseren Angleichung von Produktionund Absatzmöglichkeiten hingeftihrt wer­den. Angesichts der Sättigung traditionellerAgrarmärkte ist auf die Schaffung und Aus­weitung sinnvoller Alternativproduktionengroßer Wert zu legen. Langfristiges Ziel sindPreisverhältnisse, die kostendeckend sindund ein· entsprechendes Einkommen (Ge­winn) sichern.

263 Die zu erwartenden Neuerungen in derPflanzen- und Tierzüchtung werden Auswir­kungen auf die Zahl der landwirtschaftlichErwerbstätigen haben. Um so wichtiger istes, in der Agrarpolitik ganz bewußt auch dieNebenerwerbsbauern voll zu berücksichti­gen. Freiheitliche Ziele sind:

Erhaltung einer leistungsfcihigen, bäuerlichstrukturierten Landwirtschaft mit Paritäts­einkommen ftir rationell geftihrte Voller­werbsbetriebe (Einkommensziel).

Ausreichende Versorgung der österreichi­schen Bevölkerung mit gesunden Nahrungs­mitteln und Rohstoffen zu angemessenenPreisen (Versorgungsziel).

Aufbringung des agrarischen Energiebe­darfes und Beiträge zur allgemeinen Energie­versorgung (Energieziel).

Erhaltung der Kultur- und Erholungsland­schaft sowie der Besiedelungsdichte insbe­sondere in Grenz- und Bergregionen (Land­schafts- und Umweltziele).

264 Österreich zählt zu den waldreichstenLändern Europas. Dem Wald kommt nichtnur eine Nutz- und Rohstoffunktion zu, son­dern auch eine Schutz-, Wohlfahrts- und Er­holungsfunktion. Forstwirtschaftspolitik hatallen diesen Funktionen RechnuI?J5 zu tragen.Die den Waldbesitzern durch die Offnung desWaldes ftir die Allgemeinheit entstehendenBelastungen sind steuerlich zu berücksichti­gen.

Handel, Gewerbe und Industrie265 Die Entstehung großräumiger Märkte be­wirkte und begünstigte Großformen der Or­ganisation in Marketing und Vertrieb. Ohnederen Nützlichkeit zu übersehen, muß diefortgesetzte Vernichtung kleiner, selbständi­ger Existenzen im Handel und Gewerbe An­laß zur Sorge sein. Dies umso mehr, als dieNahversorgung und kundennahe Dienstlei­stungen unter dieser Entwicklung bereitssichtbar leiden.Wir fordern existenzschützende Maßnahmenzur Aufrechterhaltung der Nahversorgung.InSbesondere sollen die wirtschaftspoliti­schen Rahmenbedingungen den Kleinen inHandel und Gewerbe helfen, ihre größte Stär­ke, nämlich die Anpassungsiähigkeit und dieBedienung von Marktnischen wirklich zumTragen zu bringen.Dazu gehören auch flexible Ladenöffnungs­zeiten, durch eine allgemein verbindliche Wo­chenöffnungszeit begrenzt, die nach den re­gional- und branchenspezifischen Erforder­nissen geregelt werden·soll.Großgenossenschaften sind in eine dem Ak~

tienrecht nachgebildete Form umzuwandeln,wenn sie sich nicht auf das Mitgliederge­schäft beschränken.266 Für eine gesunde Wirtschaftsstruktur be­darf es eines leistun'gsfcihigen Gewerbes. We­gen seiner Personalintensität leidet das Ge­werbe am meisten unter der fiskalischen Ver­teuerung der Arbeitskraft durch lohnsum­menabhängige Abgaben (Lohnnebenko­sten). Hier liegt auch die Hauptursache rur diezunehmende Tendenz zur Schattenwirt­schaft (Pfusch). Daher fordern wir eine kon­sequente Politik zum Abbau der Lohnneberi­kosten.Die Liberalisierung des Gewerberechts istdergestalt fortzuruhren, daß die nachgewie­sene Bereihigung zum Maßstab rur die Gewer­beberechtigung wird. In der Berufsausbil­dung halten wir am dualen System des Lehr­lingswesens mit Berufsschulbildung fest.267 Wir brauchen eine starke zukunftsorien­tierte Industrie mit hoher Wertschöpfung,Der wachsende Anteil des Dienstleistungs­sektors an der Zahl der Erwerbstätigen ·darfnicht die volkswirtschaftliche Bedeutung derIndustrie verkennen lassen.Weniger Industriebeschäftigte sollen nicht zueinem Absinken des Beitrages der Industriezum Sozialprodukt ruhren.Wir bejahen die Automatisierung im Rahrr.ensozialer Vorgangsweisen. Der Fortbestandder Industrie ist ohne den Einsatz modernsterTechnik nicht denkbar. Die weitere indu­strielle Entwicklung soll bewußt umwelt­freundlich gestaltet werden. Weiters ist aufdie Verträglichkeit mit dem Tourismus zuachten. Die Verantwortlichkeit der Unter­nehmensftihrungen ist zu stärken, die Ab­hängigkeit der Industrie von parteipoliti­scher Einflußnahme muß zurückgedrängtwerden.

Freie Berufe268 Freie Berufe sind nach Art der von ihnenerbrachten Leistungen und der Form ihrerOrganisation rur eine liberale Marktwirt­schaft unentbehrlich. Die Freien Berufeselbst können sich nur in diesem Wirtschafts­system entfalten.Wesen und Funktion der Freien Berufe, aberauch der Schutz der Auftraggeber erfordertklare gesetzliche Regelungen zum Schutzund zur Erhaltung der Aufgabengebiete derFreien Berufe und ihrer Standesorganisatio­nen.269 Die Freien Berufe sind in besonderem Ma­ße geeignet, beratende und kontrollierendeAufgaben als Ergänzung, vor allem aber auchals Ersatz rur behördliche Apparate auszu-

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führen. Freiberufler sind auf Grund ihrerAusbildung, ihrer besonderen disziplinärenVerantwortlichkeit und der vorhandenen Be­triebsstruktur geeignet, vielfciltige Formender Beratung und Kontrolle öffentlicher Pro­jekte wirksamer und kostengünstiger aus­zuüben als behördliche Organisationen.

Fremdenverkehr - Tourismus270 Die Freiheit des Reisens und damit desTourismus ist als einer der Garanten ftir dasfriedliche Zusammenleben der Völker anzu­sehen.Die große Beliebtheit Österreichs bei euro­päischen und auch bei überseeischen Touri­sten bringt ftir die heimische Fremdenver­kehrswirtschaft große Chancen und Aufga­ben.Der Fremdenverkehr, der zu den zukunfts­orientierten Wachstumsbereichen zählt, istunter möglichster Schonung der landschaftli­chen Gegebenheiten und unter Einbeziehungder Interessen der Bevölkerung - wobei eszur Wahrung ihrer spezifischen Eigenartenkommen soll- als wichtiger Leistungsfaktorder Gesamtwirtschaft zu erhalten.Es muß einerseits die Herausbildung von Re­gionen mit fremdenverkehrswirtschaftlicherMonokultur vermieden, andererseits aufeinedem Tourismus zuträgliche, gewerblich-in­dustrielle Durchstrukturierung geachtet wer­den.271 Für die österreichische Fremdenverkehrs­wirtschaft muß die kleingewerbliche Wirt­schaftsstruktur erhalten bleiben. Von untenher wachsende Kooperationsmodelle solltenjedoch gefördert werden, um dadurch eineStärkung der Konkurrenzfcihigkeit zu erzie­len.Zusammenarbeit - finanziert durch Interes­sentenbeiträge (freiwilliger und gesetzlicherArt) - bildet auch die Voraussetzung ftir einenwirksamen Einsatz aller modemen elektroni­schen Kommunikationsmittel, wie BTX, Vi­deo, die bewußt genutzt und systematisch dergesamten Fremdenverkehrswirtschaftdienstbar gemacht werden sollen.Die weltweite Gästewerbung ftir Österreichsoll möglichst gemeinschaftlich erfolgen, wo­bei unterschiedlichen Gegebenheiten in fö­deralistischem Sinne Rechnung zu tragen ist.Die Errichtung eines "Österreich-Hauses", indem möglichst viele österreichische Aus­landsvertretungen einschließlich der Öster­reichischen Fremdenverkehrswerbung zu­sammengefaßt werden sollen, ist in denHauptstädten unserer wichtigsten Partner­länder anzustreben.

272 Die entwicklungsbedingte starke Ver­schuldung der Fremdenverkehrswirtschaftverlangt nach Umschuldungsaktionen sowiesteuerlicher und sonstiger Förderung derKraft zur Selbstfinanzierung. Neue Formender Beteiligungs- und Kreditfinanzierung so­wie Risikokapital sollen der Fremdenver­kehrswirtschaft weitere Anreize ftir sinnvolleInvestitionen geben.Zur leichteren Kreditfinanzierung sollte dierechtliche Einrichtung des Grundschuld­briefes geschaffen werde:-i.Bei der Gestaltung der Verbrauchssteuernmuß unbedingt die Erhaltung der Wettbe­werbsfcihigkeit gegenüber den Nachbarlän­dern hergestellt werden.

Verkehrswesen273 Im Nebeneinander von öffentlichem Mas­sen- und Individualverkehr halten wir grund­sätzlich am Recht auf freie Transportmittel­wahl fest. Nach marktwirtschaftlichem Ver­ständnis folgt daraus, daß die tatsächlich auf­laufenden. Kosten in den Preisen gedecktwerden müssen. Daher gilt ftir Schiene wiefür Straße als Richtschnur, daß die jeweiligen

Benutzer auch die tatsächlich betreffendenInfrastrukturkosten in möglichst genauerZurechnung zu tragen haben. Das soll auchftir die indirekte Finanzierung über Steuerngelten.Weiters müssen in die spezifischen Verkehrs­kosten auch die Belastungen der Umweltdurch die Verkehrsart direkt oder indirekteinkalkuliert werden.Grundsätzlich sind umweltfreundliche Ver­kehrssysteme zu fördern,jedoch unter gleich­zeitiger Beachtung der Wirtschaftlichkeit. Indiesem Rahmen wird dem Fahrrad als lokalesPersonenverkehrsmittel steigende Bedeu­tung zukommen müssen.274 Die Bahnen sind zu modernisieren, zu ra­tionalisieren und auf jene Streckenftihrun­gen zu konzentrieren, die K'bstendeckung er­hoffen lassen. Da schienengebundene Mas­senverkehrsmittel nur bei entsprechenderAuslastung Kostendeckung erwarten lassen,sind geringere Verkehrsaufkommen in derFläche anderen Verkehrsmitteln zu überlas­sen.Die kostspielige Selbstkonkurrenzierungverschiedener öffentlicher Verkehrsträgerhat zu unterbleiben.Im Personenverkehr sollte durch eine Viel­zahl zweckmäßiger Einrichtungen vor allemftir den täglichen Berufsverkehr das freiwilli­ge Umsteigen von individuellen zu öffentli­chen Verkehrsmitteln anziehend gemachtwerden. Das gilt in erster Linie rur Ballungs­räume.275 Im Güterverkehr soll der kombinierte Ver­kehr als Möglichkeit der Beförderung einesTransportgutes durch verschiedene Ver­kehrsträger ausgebaut werden (Container,Huckepack).Überschwerer Lastverkehr auf Straßen istaus Umweltgründen einzuschränken.Österreich muß darauf dringen, daß derdurch unser Land rollende Transitverkehrseine Kosten direkt oder indirekt selbst trägtund zur Mitfinanzierung der Infrastrukturherangezogen wird.Wo immer Rohrleitungen und andere unterir­dische Transportstränge möglich sind, ist ih­nen der Vorrang vor oberirdischen Trans­porteinrichtungen einzuräumen (Tunnels,Pipelines, Stromwege).276 Der Ersatz materieller Transportbewegun­gen (Post) durch Verdichtung aller Arten vonelektronischen Kommunikationseinrichtun­gen wird von uns begrüßt.Der Flugverkehr und seine Einrichtungensollen schrittweise strengen Lärmschutzbe­stimmungen unterworfen werden, wobei aufdie wünschenswerte Einbindung Österreichsin die internationale Luftfahrt ebenso wie auftouristische und ökologische Belange Rück­sicht zu nehmen ist.

Währung, Geld, Banken277 Die Unabhängigkeit der Notenbank vonder Regierung erachten wir als unabdingbareVoraussetzung ftir die Erftillung ihrer Aufga­ben. Deren bedeutendste sind:- Sicherung der Kaufkraft der Währung nach

innen und außen.- Aufrechterhaltung jener Geldmengenver­

sorgung, die für eine ruhig wachsende Wirt­schaft notwendig ist.

- Unterstützung der staatlichen Wirtschafts­politik mit dreifachem Ziel: Vollbeschäfti­gung, Währungsstabilität und geordneteStaatsfinanzen.

278 Wir wissenum die internationale Verflech-'tung des Geldwesens und die unvermeidlicheAbhängigkeit einer kleinen Volkswirtschaft.Jedoch soll die österreichische Geldpolitikim Rahmen des Möglichen ftir Freizügigkeitim Devisenverkehr und Kapitaltransfer ein­treten. Kapitalimport dient unserer Wirt­schaftskraft, weshalb er erleichtert werden

soll, bei selbstverständlicher Unterordnungunter die österreichische Rechtsordnung.Das Bankgeheimnis ist aufrechtzuerhalten.Das Zinsniveau ist auf jenen niedrigstmögli­ehen Stand einzupendeln, der unter Beach­tung der übrigen währungspolitischen undwirtschaftspolitischen Ziele und Möglichkei­ten vertretbar ist. Dogmatische Hochzinspoli­tik lehnen wir ab.

279 Der Grad der Verstaatlichung im österrei­chischen Bankenwesen ist bereits viel zuhoch, wir verlangen eine weitgehende Repri­vatisierung. In der Kreditwesengesetzge­bung ist neben dem erforderlichen Gläubi­gerschutz auf die Aufrechterhaltung einesechten Wettbewerbs zu achten.Die Beteiligungen von Banken an anderen,insbesondere an industriellen Unternehmun­gen sind so zu begrenzen und zu organisieren,daß der Handlungsspielraum der Kreditwirt­schaft durch außerhalb liegende Interessennicht eingeschnürt wird.Das Eindringen von Banken in bankfremdeWirtschaftsbereiche durch Gründung vonTochterunternehmen ist aus wettbewerbspo­litischen Gründen abzulehnen, und es sindSchritte zur Rückgängigmachung dieser Ent­wicklung einzuleiten.Der Kapitalmarkt soll liberal gestaltet und be­lebt werden. Ein wichtiger Schritt dazu wäredie Belebung des österreichischen Aktien­marktes als taugliches Finanzierungsinstru­ment durch Abbau seiner derzeitigen steuer­lichen Diskriminierung. Außerdem soll dieAktie ftir breiteste Schichten der Bevölke­rung als zusätzliche Sparform interessant ge­macht werden.

Außenhandel und Weltwirtschaft280 Die Zeiten abgeschlossener, sich selbst ge­nügender Volkswirtschaften sind vorbei. Wirgehen von der Einsicht aus, daß alle Länder­darunter Österreich sogar überdurchschnitt­lich stark - in eine weltwirtschaftliche Ar­beitsteilung hineinverflochten sind. Für unsist die natürliche Entsprechung der Markt­wirtschaft aufinternationaler Ebene der Frei­handel.

281 Wir lehnen Protektionismus grundsätzlichab, weil er den Freihandel zerstört und müh­sam in Jahren aufgebaute Arbeitsteilungenzunichte macht, wodurch Krisen ausgelöstwerden, die weltweit zu schweren Erschütte­rungen der Wirtschaft führen können.Eine Beschränkung des Freihandels darf nurdOlt Platz greifen, wo ein Mindestmaß an Un­abhängigkeit, die Sicherung der Ernährungs­grundlage und vorausschauende Krisenvor­sorge (Wirtschaftssicherung) aus politischenGründen nötig sind.Darüber hinaus sind Handelshemmnisse jed­weder Art, die Beschränkung der wirtschaft­lichen Freizügigkeit sowie Reisebeschrän­kungen nach Maßgabe des politisch Mögli­chen zu vermeiden.

282 Wir bejahen die weltweite internationaleZusammenarbeit im Geist von Partnerschaftund auf Gegenseitigkeit. Das Instrumentari­um an internationalen Vertragswerken undOrganisationen ist unter aktiver MitwirkungÖsterreichs verstärkt in den Dienst weitererweltwirtschaftlicher Integration nach markt­wirtschaftlichen Prinzipien zu stellen.283 Wir sehen die Rolle der multinationalenUnternehmungen ftir die Weiterentwicklungder Weltwirtschaft, aber wir verlangen dieSchaffung eines international wirksamen Sy­stems von Kontrollen, mit deren Hilfe derMißbrauch wirtschaftlicher Macht durchweltweit operierende Organisationen einge­dämmt werden kann.Die beachtlichen Bemühungen der österrei­chischen Handelspolitik, die Weltmärkte ftir

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Staatshaushalt und Steuern

die österreichische Exportwirtschaft immerbesser zu erschließen, sind fortzusetzen.Die österreichische Wirtschaft ist verstärktauf Export, weltweite Kooperation und inter-

8. Kapitel

Einleitung284 Nach freiheitlicher Auffassung bildet eineverantwortungsbewußte Ausgabenpolitikdie moralische Grundlage für einen geordne­ten Staatshaushalt und eine dementspre­chende Gestaltung der Einnahmen. Durcheine strenge AusgabenpfÜfung soll der Fi­nanzierungsspielraum der öffentlichen Haus­halte fUr alle jene Bereiche gesichert werden,denen in Hinkunft eine besondere Beachtunggeschenkt werden muß, wie Umweltschutz,Forschung, Innovation und Strukturpolitik.285 Aufgabe freiheitlicher Budgetpolitik ist es:- Die für eine sparsame Gebarung erforderli-

chen Mittel zur Erfüllung der Staatsaufga­ben und Aufgaben der öffentlichen Gebiets­körperschaften bereitzustellen,mit den Möglichkeiten des Budgets im anti­zyklischen Prozeß konjunkturpolitisch not­wendige Impulse im Sinne einer Krisenver­meidung und Krisenbewältigung zu setzensowie darüber hinaus

- strukturpolitische Maßnahmen in volks-wirtschaftlichem Interesse zu finanzieren.

286 Zur Verwirklichung dieser Zielsetzungenmüssen neben der ständigen Ausgabenüber­prüfung konsequent neue Wege der Budget­gestaltung gegangen werden, daher ist auchein modernes Budgetrecht erforderlich.Dazu bieten sich Budgettechniken an, welchenicht an der herkömmlichen Fortschreibungder bestehenden Ausgabenstruktur anknüp­fen, sondern jede Budgetposition Jahr fürJahr aufs neue in Frage stellen (Nullbasisbud­getierung).Auch gesetzlich festgelegte Verpflichtungenmüssen in bestimmten Zeitabständen einerÜberprüfung unterworfen werden. Damitverbunden ist die Forderung, daß vor Be­schlußfassung von ausgabenwirksamen Ge­setzen eine genaue Kenntnis von Kosten undNutzen der angestrebten Maßnahmen sowieüber die Folgekosten besteht. Auch die kon­sequente Berücksichtigung der Anregungendes Rechnungshofes gehört zu einer verant­\vortungsvollen Ausgabenpolitik.

BudgetplanungNeben der Erstellung der jährlichen Vor­

anschläge ist es erforderlich, zu einer mittel­fristigen Budgetplanung zu gelangen.Weitreichende Entwicklungen auf Gebietenwie Umweltsanierung, Energiepolitik unddergleichen mehr, erfordern es darüber hin­aus, auch langfristige Prognosen der Budget­entwicklung anzustellen und geeignete Pla­nungsinstrumente zu überlegen. Eine solchevorausschauende Budgetplanung erleichtertauch die gebotene Planung von Investitionenfür weit in die Zukunft reichende Innovatio­nen.288 Eine Neugestaltung des Haushaltsrechtessoll zu erhöhter Wirksamkeit und Transpa­renz der Budgetpolitik fUhren. In diesem Zu­sammenhang soll das staatliche Rechnungs­wesen moderner und wirtschaftlicher gestal­tet werden. Dazu gehört auch die deutlichereZurechnung von Kosten und Nutzen in kom­plexen Finanzgebarungen. Zusätzliche In­strumente wie die Möglichkeit, unverbrauch­te Budgetmittel auf die nächste Periode vor-

nationale Wettbewerbsfahigkeit auszurich­ten. Auf diese Zielsetzung hat die gesamteWirtschaftspolitik ebenso wie die Sozialpoli­tik und die Finanzpolitik Bedacht zu nehmen.

zutragen, oder der Ausbau des Prämiensy­stems für Rationalisierungsvorschläge in derVerwaltung, könnten wesentlich zur Sparge­sinnung im öffentlichen Bereich beitragen.

Allgemeine Grundsätze derBesteuerung289 Das österreichische Steuerrecht wird inweiten Bereichen den geänderten wirtschaft­lichen Erfordernissen der modernen· Indu­strie- und Dienstleistungsgesellschaft nichtmehr gerecht.Hohe Steuersätze sowie ein für den Bürgerkaum mehr durchschaubares System vonAusnahmebestimmungen und Privilegienhaben zu einer Behinderung wirtschaftlicherAktivitäten, zu einem spürbaren Steuer­widerstand und in einzelnen Bereichen zurBildung einer Schattenwirtschaft geführt.290 Ein liberales Steuersystem, das den Lei­stungswillen, die persönliche Initiative unddie Risikobereitschaft fordert, ist die Voraus­setzung für eine funktionierende Marktwirt­schaft und eine breite Eigentumsbildung. Esstärkt darüber hinaus die Stellung Öster­reichs im internationalen Wettbewerb.Österreich besitzt eine gut ausgebildete, flei­ßige Bevölkerung. Es muß im internationalenVergleich für Unternehmungen wirtschaft­lich interessant sein, in Österreich für denWeltmarkt zu produzieren und dadurch auchdie Wirtschaftskraft Österreichs zu stärken.291 Freiheitliche Steuerpolitik orientiert sichan folgenden wesentlichen Grundsätzen:

- Das Steuersystem muß den fUr die Bestrei­tung der Staatsausgaben erforderlichen Fi­nanzaufwand erbringen, ohne jedoch lei­stungshemmend zu wirken.

- Das Steuersystem muß so einfach wie mög­lich, für den Steuerzahler durchschaubarund ohne großen Verwaltungsaufwandvollziehbar sein.

- Das Steuersystem soll eine sozial gerechteVerteilung der Steuerlast bewirken undeine breit gestreute Eigentums- und Vermö­gensbildung ermöglichen.

292 Wir streben eine grundlegende Änderungdes Finanzausgleiches zwischen den Gebiets­körperschaften an. Neben dem Bund sollenim Sinne eines gelebten Föderalismus undeiner verwirklichten Gemeindeautonomiedie Länder und Gemeinden ihre Steuerein­nahmen im wesentlichen eigenverantwort­lich festsetzen.Die Berufskörperschaften sollen im Sinneeiner klaren Abgrenzung der Verantwortungdie Selbsteinhebung ihrer Beiträge vorneh­men. Ein erster Schritt in diese Richtung istdie deutliche, individuelle Ausweisung derkonkreten Beitragsbelastung, die jeweils ein­gefordert wird.

Schwerpunkte einer liberalenSteuerreform293 Die liberale Steuerreform muß die schritt­weise Durchsetzung folgender Schwerpunkt­forderungen zum Ziel haben:Die leistungshemmende Struktur des Ein­kommens- bzw. Lohnsteuertarifes soll durchMilderung der Progressionskurve, insbeson-

dere im mittleren Bereich, beseitigt werdenwobei der steuerpsychologisch verfehlt wir~kende Grenzsteuersatz (derzeit 62 Prozent),der zunehmend in mittleren Einkommens­schichten zu wirken beginnt, nur wirklicheSpitzeneinkommen treffen darf.Eine Durchforstung der Ausnahmebestim­mungen und Begünstigungen könnte eine er­hebliche Reduzierung der Steuersätze er­möglichen, den Leistungswillen der Bürgerstärken und eine wesentliche Triebfeder derInflation ausschalten.294 Durch gezielte steuerliche Maßnahmensollen wesentliche gesellschaftspolitischeAnliegen gefordert werden. Dazu gehören vorallem die Verbesserungen der Eigentums­und Vermögensbildung (z. B. durch Absetz­barkeit der Zinsen für Wohnraumbeschaf­fung) sowie verstärkte Begünstigungen derEigenvorsorge, insbesondere für das Alterund die Gesundheit.Aufwendungen im Interesse des Umwelt­schutzes oder zur persönlichen Ausbildungund Weiterbildung sollen durch steuerlicheAnreize gefördert werden.Bestehende Sorgepflichten für Kinder undfür den nicht berufstätigen Ehepartner sollenim Steuertarif als Freibeträge Berücksichti­gung finden, also tatsächlich zur Senkung derSteuerbemessungsgrundlage vor Anwen­dung des Steuertarifs führen.

Allgemeine Veranlagung295 Langfristig soll eine allgemeine Veranla­gung aller Steuerpflichtigen angestrebt wer­den. Eine derartige Maßnahme, die in einerReihe von westlichen Staaten seit langem ge­handhabt wird, würde dazu beitragen, daß al­le Arbeitnehmer die im Steuerrecht vorgese­henen Begünstigungen besser als bisher inAnspruch nehmen können. Dieser Schrittwäre daher auch vom Standpunkt der Steuer­gerechtigkeit her zu begrüßen. Die moderneDatenverarbeitung erlaubt die technischeVerwirklichung dieses Zieles.Bei der allgemeinen Veranlagung wird vomArbeitgeber während des Jahres lediglich einPauschalbetrag an Lohnsteuer abgeführt. Al·le bei der Steuerbemessung zu berücksichti­genden Ausgaben (Sonderausgaben, außer­gewöhnliche Belastungen, Werbungskosten)sind vom Dienstnehmer nach Jahresende di­rekt beim Finanzamt geltend zu machen. Diezeitaufwendigen Vorsprachen der Lohnsteu­erpflichtigen beim Finanzamt und die um­ständliche Manipulation mit den Lohnsteuer­karten könnten unterbleiben, was zu Erleich­terungen für den Staatsbürger und zu einerVerwaltungsentlastung für die österreichi­sche Wirtschaft führen würde.

296 Die begünstigte steuerliche Behandlungfür Abfertigungen, Urlaubs- und Weihnachts­geider soll im Prinzip beibehalten werden.Den Unternehmen soll es ermöglicht werden,eine hundertprozentige Rücklage rur künfti­ge Abfertigungsverpflichtungen und Pen­sionszusagen zu bilden.

Entnahmebesteuerung undneutrale Betriebssteuer297 Im Rahmen einer Entnahmebesteuerungsoll die Bemessungsgrundlage des steuer­pflichtigen Unternehmereinkommens vombilanzmäßig ausgewiesenen Gewinn auf diegetrennte Besteuerung einerseits des im Be·trieb stehen gelassenen Gewinnes und ande·rerseits der Privatentnahmen bzw. Ausschüt­tungen umgestellt werden. Jene Beträge desUnternehmereinkommens, die der privatenVerwendung zugeftihrt werden, werden dertarifmäßigen Besteuerung unterzogen. Da­mit bleiben jene Gewinne von der progressi­ven Besteuerung verschont, die im Betriebbelassen werden. Sie dürfen höchstens einer

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angemessenen proportionalen Besteuerungunterworfen werden.Die Entnahmebesteuerung fdrdert die Eigen­kapitalbildung und beseitigt die bisherigeDiskriminierung der Eigenfinanzierung ge­genüber der Fremdfinanzierung. Darüberhinaus regt sie die Investitionstätigkeit an.

298 Als Voraussetzung rur die Belebung desösterreichischen Kapitalmarktes soll diebeim derzeitigen Steuersystem gegebeneDoppelbesteuerung der Erträge von Kapital­gesellschaften beseitigt werden. Um die Bil­dung von Risikokapital anzuregen, ist der Er­werb von Aktien und Beteiligungen an Unter­nehmen steuerlich zu begünstigen. Bestehen­de Bagatellsteuern in diesem Bereich sollenabgeschafft werden.

299 Die wirtschaftsfeindliche Gewerbesteuerund deren Form der arbeitsplatzfeindlichenLohnsummensteuer sollen schrittweise ab­gebaut werden.

9. Kapitel

SozialwesenEinleitung3()1 Soziale Absicherung ist eine wesentlicheAufgabe freiheitlicher Gesellschaftspolitik.Obwohl der Staat aus seiner Verantwortungrur die soziale Wohlfahrt nicht entlassen wer­den kann, würde seine Entwicklung zum bü­rokratischen Versorgungsstaat unserenÜberzeugungen zutiefst widersprechen: libe­rale Sozialpolitik zielt deshalb auf soziale Si­cherheit unter Wahrung und Stärkung derpersönlichen Freiheit ab.302 Wir bejahen die von der Gemeinschaft ge­tragene Sicherung der Bürger vor den sozia­len Risken bei Unfallen und Krankheiten, beiBehinderung, Berufsunfahigkeit oder Ar­beitslosigkeit sowie im Alter. Gleichzeitigwollen wir aber die Spielräume rur persönli­che Eigenverantwortung und damit rur dieEigenvorsorge erweitern. Daher ist das Prin­zip der Grundversorgung durch die Förde­rung der eigenverantwortlichen Vorsorge zuergänzen.303 Unsere Sozialeinrichtungen sollen die Sor­ge vor dem Risiko verringern, das die Freiheitdes Einzelnen mit sich bringt; sie dürfen je­doch nicht den Mut zum Risiko ersticken unddadurch die persönliche Freiheit einschrän­ken. Die Sicherstellung eines bestimmtenMindesteinkommens zum Schutz vor unver­schuldeter Not behält ihren sozial verpflich­tenden Sinn, wenn die Leistungs- und Risiko­bereitschaft nicht durch unterschiedsloses,entmündigendes Versorgungsdenken ge­lähmt wird.304 Der gesellschaftliche Wandel und die ge­samtwirtschaftliche Entwicklung erforderneine Sozialpolitik, die nicht losgelöst von derWirtschaftspolitik betrieben werden kann.Diese muß die materiellen Voraussetzungenrur eine erfolgreiche Sozialpolitik schaffen.Andernfalls werden Sozialleistungen - underst recht deren weiterer Ausbau - in Fragegestellt.305 Um das System der sozialen Sicherungnicht zu überfordern, müssen die Beiträgeund das Leistungsangebot im Hinblick aufdie Gesamtkosten in bezug aufWirtschaftsla­ge und Staatsfinanzen in ausgewogenem Ver­hältnis zueinander stehen und im Gleichge­wicht gehalten werden. Die ständig steigendeBelastung der Einkommen durch Pflichtbei­träge muß eingebremst werden.

Die durch eine derartige Maßnahme betroffe­nen Gemeinden sollen im Rahmen einer er­weiterten Steuerhoheit die Möglichkeit ein­geräumt erhalten, unter eigener Verantwor­tung den Ausfall zu kompensieren.300 Wir sind aus pragmatischen Gründen rurein ausgewogenes Verhältnis von direkterund indirekter Besteuerung. Die Liste jenerWaren, die derzeit dem höchsten Mehrwert­steuersatz unterworfen sind, ist laufend aufihre Angemessenheit zu überprüfen undnach Möglichkeit zu reduzieren.Ohne die Vorteile einer Verbrauchsbesteue­rung - etwa im Hinblick auf den Verbrauchvon Rohstoffen und Energie - zu übersehen,kann nicht außer acht gelassen werden, daßeine weitgehende Abkoppelung von denSteuersystemen der österreichischen Han­deIspartner aus Wettbewerbsgründen nichtwünschenswert erscheint und daß auch aussteuerpsychologischen Gründen auf beste­hende Gewohnheiten Rücksicht zu nehmenist.

Organisationder Sozialversicherung306 Aus freiheitlicher Sicht bedarf die Organi­sation der Sozialversicherung grundlegenderÄnderungen.Organisationsmängel liegen in einer unzeit­gemäßen berufsspezifischen Aufsplitterungder Versicherungsträger oder in der unnöti­gen Überschneidung von Zuständigkeiten(etwa bei Rehabilitationsmaßnahmen). Wirlehnen die gegenwärtige verwaltungs- undkostenaufwendige Zergliederung in mehr alszwei Dutzend Sozialversicherungsträger ab,verlangen einen einheitlichen österreichi­schen Sozialversicherungsträger und wollengleichzeitig die Nähe zu den Versichertendurch eine föderalistische Organisations­struktur auf Bezirksebene fdrdern.

307 Im Interesse von Leistungsverbesserung,Durchschaubarkeit, Kostendisziplin undKontrolle streben wir langfristig eine Verein­fachung und womöglich Vereinheitlichungdes Sozialversicherungsrechtes an. Das der­zeit in manchen Bereichen gegebene Mißver­hältnis zwischen Überversorgung einerseitsund unvollständigem Leistungsangebot(Pflegebedürftigkeit) andererseits ist auszu­gleichen.308 Wir bekennen uns grundsätzlich zum Um­lageprinzip in der Sozialversicherung. Die Si­cherstellung von über die garantierte Grund­versorgung hinausreichenden Ansprüchenbleibt in einer freiheitlichen Gesellschafts­ordnung der Privatinitiative und damit derLeistungswilligkeit und -fahigkeit des Ein­zelnen überlassen. Die freiwillige Ejgenvor­sorge ist jedoch durch steuerliche Begünsti­gungen zu fdrdern.

Krankenversicherung undUnfallversicherung309 Im Bereich der Krankenversicherung ver­langen wir Kostendisziplin aller Beteiligten.Hier halten wir die Einführung einer ange­messenen und sozial zumutbaren Selbstbe­teiligung bei Bagatell-Leistungen rur eine we­sentliche Voraussetzung zur allgemeinen An­hebung des Kostenbewußtseins.Das herkömmliche System der vierteljährli­chen Krankenscheine soll durch leistungs­orientierte Verrechnungsformen abgelöstwerden. Darur eignen sich Einzelscheine

oder eine Art von Krankenkassenschecks, diekünftig nur mehr rur jeweils eine Behandlungzu gelten haben.Bei Zahnbehandlungen, Zahnersatz und Kie­ferregulierung ist ein ausreichendes Lei­stungsangebot zu gewährleisten, wobei auchhier ein sozial zumutbarer Selbstbehalt vor­zusehen ist.310 Die Unfallversicherung muß längerfristigüber den Anlaßfall des Arbeitsunfalles hin­aus erweitert werden (Übergang vom Kausa­litäts- zum Finalitätsprinzip).Höhere Beitragsleistungen werden dabeiebenso wie die Festlegung eines Selbstbehal­tes - soweit es sich nicht um Arbeitsunfallehandelt - unumgänglich sein.

Pensionsversicherung311 Wir halten die schrittweise Angleichungdes Pensionsanfallsalters bei Frauen undMännern auf das 60. Lebensjahr ftir zeitge­mäß, sofern entsprechende generelle Rege­lungen mit der gesamtwirtschaftlichen Ent­wicklung vereinbar sind. Darüber hinaus sol­len jedoch Möglichkeiten geschaffen werden,den Pensionseintritt ab dem 55. Lebensjahrfrei wählen zu können und gleitende Über­gänge z. B. bei nur teilweiser Weiterarbeit si­cherzustellen. Im letzteren Fall gebührt abVollendung des 65. Lebensjahres eine erhöh­te Alterspension.Die Bemessung der Pensionen sollte in Zu­kunft nach dem versicherung~mathematisch

ausgerichteten Durchrechnungsprinzip aufder Basis der Lebensarbeitszeit erfolgen.Müttern sind die Zeiten der Kindererziehungbei der Ermittlung eines Pensionsanspruchesangemessen anzurechnen.312 Die Ruhensbestimmungen sind der jewei­ligen Beschäftigungssituation und den wirt­schaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Un­ter ökonomisch günstigen Verhältnissen leh­nen wir Ruhensbestimmungen beim Zusam­mentreffen von Pension und Erwerbstätig­keit grundsätzlich ab. Wenn es aber eine an­gespannte Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsla­ge erfordert, ist die befristete Einführung sol­cher Regelungen unumgänglich. Wir Frei­heitlichen werden stets ftir eine Lockerungder Ruhensbestimmungen eintreten, wenn esdie arbeitsmarktpolitische Situation erlaubt.Gerade bei der Pensionsversicherung ist derFörderung der auf individuelle Bedürfnisseabgestimmten Eigenvorsorge sowie der Be­triebspensionen besonderes Augenmerk zuschenken.

Sozialhilfe313 Von all jenen Mitbürgern, die nicht odernur teilweise dem Schutz der Sozialversiche­rung unterliegen bzw. die mit den gebotenenLeistungen kein Auslangen finden, kann pri­mär private Eigenvorsorge erwartet werden.Es gehört jedoch trotzdem zu den Pflichtender Gemeinschaft, dort zu helfen, wo Selbst­hilfe nicht möglich ist oder wo unverschuldetin Not Geratene keinerlei Unterstützung vonanderer Seite erhalten.Die vorrangige Zielrichtung der Sozialhilfeliegt kurzfristig im Beistand ftir den Unter­stützten; längerfristig soll er in die Lage ver­setzt werden, sein Schicksal möglichst selbstwieder in die Hand zu nehmen.Schon unter dem Gesichtspunkt der Gerech­tigkeit ist aber auch hier zu verhindern, daßöffentliche Mittel mißbräuchlich in An­spruch genommen werden.

Nachbarschaftshilfe314 Obwohl die soziale Grundversorgungdurch staatliche und kommunale Fürsorge si­cherzustellen ist, sollten auch Wege gesuchtwerden, die dem ständigen Anstieg der So­zialaufwendungen entgegenwirken.

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Rohstoffe und Energie

Immer mehr Betreuungs- und' Pflegeaufga­hen. die früher kostenlos innerhalb der Fami­lieerfüllt wurden, sind im Zuge des sozialenWandels auf die Gemeinschaft übergegan­gen. Dabei können Geldleistungen allein vie­lEm Benachteiligten nicht die menschlicheHilfe ersetzen, die zur echten Verbesserungschwieriger Lebenssituationen, wie etwaVereinsamung, führt.:115 Wir sehen in der freiwilligen Nachbar­schaftshilfe eine große Zukunftschance, dieden Hilfsbedürftigen ebenso wie den Helfernmenschlichen Gewinn zu bringen vermagund überdies den Staatseinfluß zurück­drängt sowie die Ausgaben entlastet. Wir sinddavon überzeugt, daß viele Menschen - sei esunbezahlt oder gegen kleinere Vergütungen­gerne bereit wären, Hilfe in der Nachbar­schaft zu leisten. Die Schaffung und Erhal­tung von menschlichen Kontakten ist z. B. be­sonders für behinderte oder ältere Personenvon größter Bedeutung. Vielen alten Mitbür­gern könnte durch Nachbarschaftshilfe dieoft ungewünschte Übersiedlung in Altershei­me ganz oder wenigstens aufZeit erspart wer­den.

316 Im einzelnen wäre an die private Organisa­tion von Einkaufs-, Zustell- und Besuchs­diensten, an die Einrichtung von Telephon­ketten und regelmäßigen Anrufen bei behin­derten, kranken und alten Mitmenschen undallgemein an Initiativen zur Hebung des so­zialen Verantwortungsgefühls zu denken.Kleine soziale Netze sind eine vielverspre­chende Zukunftsform der zwischenmensch­lichen Beziehungen und eine zusätzlicheKomponente im System der sozialen Sicher­heit.

Behinderte317 Die Behinderten zählen zu den schutzbe­dürftigsten Gruppen unserer Gesellschaft.Das Hauptziel freiheitlicher Behindertenpoli­Hk liegt in der Integration der Betroffenen indie Gemeinschaft durch aktive Teilnahme amgesellschaftlichen Leben. Dabei gilt es vor al­lem, das Mitleid in Verständnis zu wandelnund gegenseitige Partnerschaften zwischenbehinderten und nicht behinderten Men­schen herzustellen.318 Die Öffentlichkeit muß über Ursachenund Auswirkungen von Behinderungen un­voreingenommen informiert werden. Die Be­reitschaft, Behinderte vorurteilsfrei alsgleichwertig anzuerkennen und sie am Ar­beitsplatz zu akzeptieren, sollte ein Ziel die­ses Informationsprozesses sein.Neben einer besseren Schwangerenbetreu­ung und -beratung muß vor allem die ärztli­che Aus- und Weiterbildung im Hinblick aufdie Früherkennung von Behinderungen aus­gebaut werden. Die Vermehrung von ent­wicklungsdiagnostischen Zentren zur Früh­diagnose und Frühbehandlung von Behinde­rungen ist anzustreben.319 Bei öffentlichen Gebäuden und aufWegenist auf behindertenfreundliche Gestaltung zuachten. Geeignete Wohnungen sind beiWohnbau einzuplanen; durch Behinderun­gen erforderliche Umbauten sollen finanziellgefdrdert werden. Die Erschließung neuerBerufstätigkeiten für Behinderte kann dieFörderung von Behindertenarbeitsplätzenwirkungsvoll ergänzen. Wir setzen uns fUr dieSchaffung eines bundeseinheitlichen Behin­dertenausweises sowie fUr eine Vereinheitli­chung des Behindertenrechtes ein.

Gesundheitspolitik320 Über das persönliche Interesse an Gesund­heit hinausgehend ist die Volksgesundheitein gemeinsames. Gut, dessen Sicherung zuden öffentlichen Aufgaben zählt und einen

Bestandteil der sozialen Sicherheit darstellt.Im Bereich der Gesundenvorsorge soll nichtin den Bemühungen nachgelassen werden,zu verstärkter Inanspruchnahme der Gesun­denuntersuchung zu kommen. Wir Freiheitli­chen werden uns nach Kräften dafür einset­zen, daß diese bereits erwähnte Vorsorgenicht aus rein finanziellen Gründen aufgege­ben wird. Der für die Krankenversicherungvorgeschlagene sozial gestaffelte Selbstbe­halt könnte dem entgegenwirken. Die Wah­rung der persönlichen Geheimsphäre bleibtdie ..Voraussetzung einer erfolgreichen Ge­sundheitsprophylaxe.

321 Ärzte und Lehrer sind in Belangen der Ge­sundheit-serziehung zu schulen. Die Vermitt­lung eines "Gesundheitswissens" an allenSchulen hat dabei besonderes Augenmerkauf die krankheitsfdrQernden Folgen von Al­kohol- und Nikotinmißbrauch sowie auf denRauschgiftkonsum zu legen. Bezieht sich dieärztliche Aufgabe dabei mehr aufdie entspre­chenden Krankheitserscheinungen, so er­streckt sich die erzieherische Tätigkeit aufdas Vorfeld der familiären und sozialen Um­gebung und rlamit in Ursachenbereiche.

322 Für die Krankenbehandlung ist es uner­läßlich, den Allgemeinpraktiker, insbesonde­re den Hausarzt oder Landarzt, zu erhalten.Für alle in Ausbildung stehenden Ärzte wärebei gleichbleibender Gesamtausbildungs­dauer die Absolvierung eines Ausbildungs­halbjahres bei einem praktischen Arzt vorzu­sehen.

Hinsichtlich der Situation aufdem ärztlichenArbeitsmarkt versprechen wir uns Verbesse­rungen durch die Einführung von Gruppen­praxen (neue Rechtsfigur der "Praxisgemein­schaft") bzw. durch die Anstellung von Jung­ärzten durch frei praktizierende Kollegen.

Spitalswesen323 Besonderes Augenmerk muß in Zukunftauf rationelle BetriebsfUhrung im Spitalswe­sen gerichtet werden. Im Spitalswesen tretenwir ebenfalls fUr leistungsorientierte Finan­zierungsformen ein. Als Grundlage der Versi­cherungsleistungen für Aufenthalte in Spitä­lern fordern wir die Erstellung von objekti­vierten Normkosten; darunter ist ein einheit­liches Kostenschema für gleichartige Lei­stungen zu verstehen. Die Krankenversiche­rungsträger haben die durchschnittlich ent­standenen tatsächlichen Kosten der Spitals­aufenthalte zu ersetzen.

324 Eine bessere ärztliche Betreuung wäre vonder EinfUhrung von Departments zu erwar­ten. Es sollen wieder verstärkt kleinere Spitä­ler eingefUhrt werden. Das Paracelsus-Kli­nik-Modell erscheint uns als das Modell füreine sinnvolle Ergänzung.

10. Kapitel

Einleitung327 Ein grundlegendes Ziel freiheitlicher Roh­stoff- und Energiepolitik ergibt sich aus derErkenntnis, daß die Erde als geschlossenesökologisches System zu betrachten ist, sowieaus unserem politischen Bekenntnis zurschicksalshaften Verbundenheit aller Men­schen und Völker der Erde. Wir lehnen dahereine Rohstoff- und Energiepolitik ab, die aufder Übervorteilung der dritten' Welt beruhtund eine Verschleuderung von .1q,ohstoffenund Energie zuläßt, die nur auf Grund ver-

Was Menschlichkeit und Zuwendung zumPatienten betrifft, so ist die Pflegesituation inGroßabteilungen in der Regel ungünstig.Darüber· hinaus fUhrt der systembedingteZwang zur möglichst vollständigen Ausnut­zung der Bettenkapazität zu einem ständigenMangel an Akutbetten. Eine Humanisierungder Krankenpflege ist durch radikale Verklei­nerung der Abteilungen zu erreichen; demzweiten Problem soll durch die Schaffung ge­trennter Abteilungen für "akut" bzw. "chro­nisch" Kranke begegnet werden. Kranke äl­tere Mitmenschen sind in speziell geriatri­schen Abteilungen zu pflegen.Die Inanspruchnahme von Spitalspflege soll­te dort, wo dies möglich erscheint, durch denAusbau sinnvoller anderer Maßnahmen ver­mindert werden: Die Hauskrankenpflege istmit Hilfe mobiler Krankenbetreuer zur Entla­stung der Spitäler auszubauen.In den 'Altenwohnheimen sind gesondertePflegeabteilungen einzurichten beziehungs­weise vorzusehen.

Psychiatrie-Reform325 Ein aus liberaler Sicht besonders berück­sichtigungswürdiges Gebiet der Medizinstellt die Behandlung und Verwahrung psy­chisch Kranker dar. Es ist dabei hervorzuhe­ben, daß psychische Krankheiten wohl eineEinschränkung der Persönlichkeit darstellenkönnen, jedoch nicht eine Aufuebung der mitder Würde der menschlichen Person verbun­denen Rechte mit sich bringen. Zwangsein­weisung ist daher nur im Ausnahmefall, mitäußerster Vorsicht und unter exakter Beach­tung der gesetzlichen Vorschriften, anzuwen­den. Auch bei langdauernder Hospitalisie­rung ist laufend zu überprüfen, ob die Vor­aussetzungen fUr eine Anhaltung gegebensind.326 Grundsätzlich hat die psychiatrische Be­treuung darauf abzuzielen, eine Eingliede­rung psychisch Erkrankter in die Gesell­schaft zu ermöglichen, wo immer dies verant­wortbar erscheint. Zu diesem Zweck ist dieEinrichtung von Übergangsheimen, Nacht­kliniken und dergleichen sowie die gezielteBetreuung von Familien, in denen psychischKranke leben, weiter voranzutreiben.Eine Herausforderung für das liberale Prin­zip des Schutzes der Rechte der Persönlich­keit stellen auch die Eingriffsmöglichkeitendar, die die Entwicklung der modemen Psy­chopharmaka sowie die Psychochirurgie =nitsich gebracht haben. Auch hier gilt derGrundsatz, daß derartige Eingriffe der Zu­stimmung der betroffenen Person bedürfenbzw. daß diese, soferne eine einsichtige Ent­scheidung nicht erwartet werden kann, nurdann durchgefUhrt werden dürfen, wennschweres seelisches oder körperliches Leidnicht anders verhindert werden kann.

zerrter internationaler Wettbewerbsbedin­gungen wirtschaftlich möglich ist.

328 Die politische Notwendigkeit, sich mit denVorgängen der Energie- und Rohstoffgewin­nung und -verwendung zunehmend regulativzu befassen, ergibt sich vor allem aus der Tat­sache, daß der Mensch in seiner kulturellenEntwicklung die Verwendung von Rohstof­fen und Energie immer stärker eindimensio­nal gesehen hat, nämlich im Hinblick aufAn­wendungsmöglichkeiten. Er hat dabei diezweite Dimension, nämlich die Frage ihrer

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Herkunft und ihrer Erneuerungsmöglichkei­ten, weitgehend aus dem Blick verloren. Wirmüssen heute wieder lernen, daß menschli­che Kultur im Umgang mit den Schätzen derNatur - auch und vor allem im industriellenund technischen Bereich - nur im Erkennenund in der Nutzbarmachung natürlicherÜberkapazitäten bestehen kann, nicht aberim Raubbau und in der Verschwendung na­türlichen Produktionskapitals.329 Oberstes Ziel freiheitlicher Rohstoffpoli­tik ist es daher, die Verwendung nicht erneu­erbarer Rohstoffe möglichst kurzfristig undmöglichst weitgehend zu reduzieren. Dies be­deutet zunächst in Teilbereichen den Ver­zicht auf weiteres Wachstum, wo dieses aufdem Einsatz nicht langfristig verfUgbarerRohstoff- und Energiequellen für nicht le­benswichtige Produktionszweige beruht.Dies bedeutet aber weiters, daß die wissen­schaftliche Forschung in noch stärkerem Ma­ße als bisher zur Entwicklung von Substitu­tionstechniken (Ersatzstoffe) herangezogenwerden muß, durch die das Schwergewichtder wirtschaftlichen Produktions- undWachstumsprozesse vom einseitigen Ver­brauch natürlicher Vorräte zum Gebrauch imRahmen wiederholbarer Kreisläufe zurück­gefUhrt werden kann.330 Ein bedeutsamer Gesichtspunkt bestehtdari~ldaß die beträchtliche Importabhängig­keit Osterreichs auf dem Sektor der Rohstof­fe auch eine Gefahr fUr die Unabhängigkeit­besonders im Krisenfall- darstellt. Dies darfnicht als Forderung nach einem RückzugÖsterreichs aus internationalen Wirtschafts­beziehungen mißdeutet werden; es ist jedochVorsorge zu treffen, daß im Falle internatio­naler Krisen eine möglichst reibungsloseUmstrukturierung auf im Inland verfUgbareQuellen und Vorräte erfolgen kann undOsterreich nicht auf Grund selbstgeschaffe­ner Abhängigkeiten erpreßbar wird.Die österreichische Lagerstättenerkundungist intensiv fortzusetzen. Inländische Vor­kommen sind im Sinne einer Reservehaltungschonend abzubauen.

Krisenvorsorge331 Im Interesse der Krisenvorsorge ist eineausreichende Bevorratung für bestimmteRohstoffe und seltene Metalle vorzusehenund durchzufUhren, die in Österreich nichtgewonnen werden können und auch nichtsubstituierbar sind. Gleiches gilt hinsichtlichFutter-, Dünge- und Betriebsmittel fUr dielandwirtschaftliche Pflanzen- und Tierpro­duktion.332 Zur Krisenvorsorge ist weiters eine mög­lichst breite Streuung der Bezugsquellen an­zustreben. Bestehende und neu angestrebteBezugsvereinbarungen sind durch langfristi­ge Verträge abzusichern. Rohstoff- und Ener­giebeschaffung im Hinblick auf Krisenvor­sorge stellen auch im Rahmen der österreichi­schen Außenpolitik eine ständig gegebeneAufgabe dar.

333 Weitere Probleme grundsätzlicher Naturergeben sich im Zusammenhang mit demTransport von Rohstoffen und Energieträ­gern. Die internationale Verflechtung des Gü­teraustauschs hat zur Folge, daß ein nicht un­beträchtlicher Anteil an Energie aufgewen­det werden muß, um Rohstoffe und Energie­träger weltweit zu transportieren.Es entspricht unserer Forderung nach einemschonenden Umgang mit den vorhandenenVorräten, jeden unnötigen Transportver­schleiß zu vermeiden. Dies bedeutet in ersterLinie, daß Dumping von Transportkosten ausprotektionistischen Überlegungen wirksamunterbunden werden muß.Folgekosten, die durch die Gefahrdung öko­logischer Systeme durch den Transport der-

artiger Güter entstehen, sind in die Wirt­schaftlichkeitsberechnungen voll einzube­ziehen.

Schonwirtschaft3M Bei der Nutzung erneuerbarer Rohstoff­und Energiequellen ist darauf zu achten, daßderen langfristige Nutzung wesentlich vonder Schonung ihrer reproduktiven Kapazitätabhängt. Dies betrifft in besonderer Weise dieNutzung der Biomasse, d. h. jener pflanzli­chen und tierischen Produkte, die in vielfälti­ger Weise bereits heute als Rohstoffe Verwen­dung finden,jedoch darüber hinaus als ErsatzfUr nicht erneuerbare Stoffe in Betracht gezo­gen werden müssen.335 Der Erforschung und Berücksichtigungje­ner ökologischen Zusammenhänge, die fUrdie Erhaltung und den langfristigen Bestandder jährlichen Produktion an Biomasse ver­antwortlich sind, ist daher besondere Bedeu­tung zuzumessen. Im besonderen ist der Fort­schritt agrarischer Produktionsmethodennicht primär am punktuellen Ertrag, sondernan der langfristigen Erhaltung bzw. Steige­rung der Bodenfruchtbarkeit zu messen.

Energiepolitik336 Die heute in den Industrieländern verfUg­bare Wirtschaftskraft beruhtaufeinem gigan­tischen Energieeinsatz, der mehr als das Hun­dertfache dessen ausmacht, was den Men­schen in früheren Zeiten zu Gebote stand.Dieser Energieeinsatz wurde nur möglich,weil Technik und Wirtschaft die Nutzung derfossilen Energierohstoffe, KoWe, Erdöl undErdgas erschlossen. Im Zuge der wachsen­den Verschwendung dieser fossilen Energie­träger kam,es zu Raubbau, als dessen Folgedie Erschöpfung insbesondere der Ölvor­kommen in die Nähe gerückt ist.Gleichzeitig zeigt sich, daß abgesehen vomRaubbau auch die Verwendung dieser Ener­giemengen mit ihren Begleiterscheinungeneine große Umweltbelastung und teilweiseauch Umweltzerstörung bewirkt. Wir müssendaher von der Erkenntnis ausgehen, daß so­wohl von der Erschöpfung bestimmter Ener­gierohstoffe her wie aus allgemeinen Um­weltschutzgründen eine grundsätzlich neueEnergiepolitik vonnöten ist.337 Erzeugung und Verwendung von Energiehaben so sparsam wie nur möglich und unterweitgehender Schonung der Umwelt zu erfol­gen. Die Energierohstoffe sind solchen Um­wandlungsprozessen und Verwendungsar­ten zuzufUhren, die die jeweils günstigstenWirkungsgrade an Ausnutzung erbringen. Inallen Bereichen von Produktion und Ver­brauch muß der Energieeinsatz unter Ver­wendung modernster Technik (elektronischeSteuerung und dergleichen) optimiert wer­den.Wichtig fUr sinnvolles Energiesparen sindVorkehrungen, die einen Energiebedarf vonvornherein nicht oder nur begrenzt entstehenlassen. Dazu zäWen die Wärmedämmung vonGebäuden, technische Veränderungen in denProduktionsweisen, Vermeidung unnötigerTransportleistungen und energiebewußteLebensweise. Alle in diese Richtung zielen­den Entwicklungen sind wirtschafts- und so­zialpolitisch, aber auch durch Informationund Erziehung zu fOrdern.

Energieträger338 Von der Erschöpfung der Vorkommensind vor. allem die fossilen EnergieträgerErdöl, Erdgas und Kohle betroffen. Da dieVorkommen an ÖI- welches immer noch fastdie Hälfte unserer Energieversorgung stellt ­in weniger als zwei Menschenaltern weitge­hend erschöpft sein werden, verlangen wirnachdrücklich den "Rückzug aus dem Öl".

339 Das gleiche gilt, wenn auch zeitlich abge­schwächt, fUrdas Erdgas. BeiÖI wie Gas mußauch berücksichtigt werden, daß beide Roh­stoffe nicht nur für en~rgetischeZwecke, son­dern in großem Ausmaß auch fUr chemischeZwecke teilweise unersetzbar sind. Dahermuß das Bewußtsein dafUr geweckt werden,daß die hemmungslose Verfeuerung von Ölund Gas eine unvernünftige Verwendungdieser Rohstoffe darstellt.340 Auch die Kohle ist ein wertvoller RohstofffUr chemische Produktionen und sollte daherebenfalls nicht bioß als Brennstoff gesehenwerden. Andererseits bilden die bekanntenReserven an Kohle ein Mehrfaches der Vor­kommen von Öl und Gas zusammengenom­men. Deshalb betrachten wir die Kohle alseine tragfahig~ Brücke fUr einen längerenZeitraum des Uberganges von der herkömm­lichen Energiewirtschaft auf eine künftigneue.

341 Erdgas ist der umweltfreu,ndlichste fossileEnergieträger und sollte daher der Verwen­dung in stark belasteten Ballungsräumenvorbehalten bleiben. Bei Verbrennung vonÖl und mehr noch bei Kohle entstehen vieleumweltbelastende Schadstoffe. Daher for­dern wir die Heranziehung aller verfUgbarentechnischen Mittel zur Entgiftung der Rauch­und Abgase sowie zur Verbesserung der Ver­brennungsprozesse. Die Kosten fUr dieseUmweltschutzmaßnahmen sind grundsätz­lich in den Energiepreisen unterzubringen.Hinsichtlich der Kohle begrüßen wir alletechnischen Entwicklungen, die auf umwelt­schonende Und wirtschaftliche Methoden zurKohlevergasung und KohleverflüssigunghinfUhren.

Atomenergie342 Wir lehnen die großtechnische energie­wirtschaftliche Nutzung der Atomkraft aufder Basis der Kernspaltung beim gegenwärti­gen Stand der Technik ab. Überdies befUrch­ten wir, daß ein Ausweichen auf die Atom­energie die rasche Entwicklung alternativerTechniken zur. Energiegewinnung unnötigverzögert.Wir bejahen aber die Atomforschung,weilnicht von der Hand zu weisen ist, daß neueund vielleicht ungefahrliche Formen derKernenergienutzung gefunden werden kön­nen. Wir befUrworten auch die kleintechni­sche Nutzung der Atomenergie und damit zu­sammenhängender Produkte fUr medizini­sche, industrielle und Forschungszwecke.Auch hier erscheinen uns jedoch die Fragender Entsorgung noch nicht gelöst, so daß wei­tere Forschung dringend angezeigt ist.

Emeuerbare Energiequellen343 Angesichts der Erschöpfung der fossilerEnergieträger gewinnen die erneuerbarerEnergiequellen erhöhte Bedeutung: WasserWind und Biomasse. Sie sind in KreisläuferverfUgbar und können daher bei pfleglichelBehandlung wiederkehrend genützt werdenFür Österreich hat die Nutzung der Wasserkraft mit gegenwärtig rund 70 Prozent AnteLan der Elektrizitätserzeugung herausragendEBedeutung. Wir treten auch im Sinne der Unabhängigkeit Österreichs fUr den weiterer,begrenzten Ausbau der Wasserkraft untersorgfältiger Bedachtnahme auf Landschaftund Ökosysteme ein. Besonderes Augenmerk sollte in Zukunft aufkleine und mittlerEWasserkraftwerke gelegt werden.Neben der Wasserkraft stellt die Windkrafteine besonders umweltfreundliche Energie­quelle dar. Die meteorologischen Verhältnis­se in Österreich lassen freilich nur eine be­grenzte Nutzung des Windes zu. Trotzdemsoll aufeine weite Verbreitung der kleintech-

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nischen Nutzung der Windkraft hingearbeitetwerden.344 Große Möglichkeiten bietet die Biomasse,die sich im Erntezyklus,erneuert, sofern nichtRaubbau betrieben wird, den wir selbstver­ständlich ablehnen. Vom Brennholz überStroh bis zum Anbau besonderer Energie­pflanzen spannt sich ein großer Boden; Damitund in Verbindung mit Abfallen aus derLandwirtschaft eröffnen sich beachtlicheMöglichkeiten für die Erzeugung von Biogasund Biosprit.Wir fordern intensive Entwicklungsarbeitenauf allen diesen Bereichen der Energiegewin­nung aus Biomasse mit dem Ziel, zunächstdie Landwirtschaft im Sinne einer Selbstver­sorgung energieautark zu machen und danngewichtige Beiträge zur allgemeinen, Ener­gieversorgung zu leisten. Das kommt sowohlder volkswirtschaftlichen Energieversor­gung wie auch der Ertragslage der Landwirt­schaft zugute.

Sonnenenergie345 Die unerschöpfliche Energiequelle derSonnenstrahlung kann auf vielfältige Weisedirekt oder indirekt genutzt werden. Aufdie­sem Gebiet ist eine stürmische technologi­sche Entwicklung im..Gange, die wir begrü­ßen und an der sich Osterreich nach bestenKräften beteiligen soll.Für unsere Breitengrade steht die Gewin­nung von Niedertemperaturwärme im Vor­dergrund. Hierbei. kommt der Wärmepum­pentechnik (Nutzung der Umgebungswär­me) eine wichtJge Rolle zu. Mittelfristig giltes, die Stromgewinnung aus Solarzellen,langfristig die Erzeugung von Wasserstoff alsSekundärenergieträger zu fördern.346 Eine wichtige Zielrichtung muß die breiteAnwendung der Erkenntnisse der Solararchi­tektur zur passiven Nutzung der Sonnenener­gie im Bauwesen sein. Flankiert durch Wär­meschutz, Speichersysteme und Wärmepum­pen bietet sich hier ein Weg zu enormer Ener­gieeinsparung und gleichzeitig optimalemUmweltschutz ohne Komfortverluste an.Wir erachten es als eine der großen energiepo­litischen Zukunftsaufgaben, die umfassendetechnische Nutzung der Sonnenenergie be­sonders rasch voranzutreiben.

Abwärme - Fernwärme ­Erdwärme

Neben der Umgebungswärme bietet sichdie Abwärme aus industriellen Prozessenoder kalorischer Stromerzeugung als günsti­ge Quelle rur die Deckung von Wärmebedarfan. Alle diesbezüglichen Aktivitäten gehörengefordert. Für besonders wichtig halten wirdie Koppelung vop Strom- und Wärmeerzeu­gung sowohl in Klein- wie in Großanlagen.Reine Fernheizanlagen ohne Koppelung hal­ten wir unter energiewirtschaftlichen Ge­sichtspunkten für wenig vorteilhaft. Bei rich­tiger Größenordnung können solch~Anlagenallerdings zur Verbesserung der Luftqualitätin Ballungsräumen beitragen.Fernwärmeversorgung ist eine Aufgabe derRaumordnung, darf dem Konsumenten abernicht losgelöst von marktwirtschaftlichen Er­wägungen aufgezwungen werden.348 Die Nutzung der Erdwärme (Geothermie)bietet in Österreich zahlreiche, aber nochkaum genutzte Möglichkeiten. Wir fordernverstärkte Bemühungen zur praktischenUmsetzung bereits theoretisch erkannterVorkommen in lokale und regionale Fern­wärmeversorgung.

Elektrizitätswirtschaft349 Angesichts der gut ausgebauten Strom­e'rzeugung muß die Elektrizitätswirtschaft inÖsterreich dazu verhalten werden, in Zu-

kunft mehr Bedacht auf Erfordernisse desUmwelt- und Landschaftsschutzes zu neh­men.Der Ausbau der Wasserkraft ist behutsamfortzusetzen. Im Bereich kalorischer Strom­erzeugung sollen nur mehr kleine und mittle­re Anlagen mit maximaler Rauchgasreini­gung errichtet werden.Das Netz der Stromwege soll aus Gründendes Landschaftsschutzes in einem längerfri­stigen Programm so weit wie möglich aufun­terirdische Verkabelung umgestellt werden.350 Organisation und Führungsstruktur der

11. Kapitel

UInweltpolitil{Einleitung351 Wir Freiheitlichen setzen uns für eineNeuorientierung der Umweltpolitik ein. DieBehebung vorhandener Umweltschäden istzwar von großer Bedeutung, zunehmendwichtiger wird aber die Ausrichtung der Um­weltpolitik am Prinzip der ökologischen Vor­sorge. Seine besondere ökologische Bedeu­tung erhält das Vorsorgeprinzip aus der Tat­sache, daß viele Umweltschäden durch nach­trägliche Maßnahmen nicht mehr korrigiertwerden können. Seine ökonomische Bedeu­tung liegt darin, daß konsequente Umwelt­vorsorgepolitik langfristig auch wirtschaft­lich sinnvoll ist.352 Nach unserer Auffassung bilden ebensowie soziale auch ökologische Grundwerte dieRahmenbedingungen f'ür die Entfaltung derMarktwirtschaft. Diese muß überall dortdurch ordnende Eingriffe gesteuert werden,wo sie zu negativen ökologischen Folgenführt. So machen es zum Beispiel die be­schränkte Verfügbarkeit aller Rohstoffe alsauch das nach wie vor wachsende Volumenvon Abfällen und die mutwillig auf Ver­schleiß produzierten Güter notwendig, dieWiederverwertung gebrauchter Güter somassiv zu fOrdern, daß vordergründige Ko­stenvorteile des Ersteinsatzes von Rohstoffenwegfallen.

353 Umweltpolitik muß für bestimmte Zeit­räume ihre Ziele klar und überprüfbar vorge­ben. Zur Erreichung dieser Ziele müssen un­voreingenommen alle umweltpolitischen In­strumente hinsichtlich Wirksamkeit undDurchführbarkeit geprüft werden. Die Fest­legung auf eine einzige Maßnahmenkatego­rie, wie z. B. Auflagen, Umweltsteuern usw.verhindert häufig die beste Lösung.Da zur Durchsetzung von politischen Zielenimmer auch das Verständnis und die Koope­rationsbereitschaft der Bürger notwendig ist,ist Umweltbewußtsein Voraussetzung einerdurchsetzungsfahigen Umweltpolitik. DerMensch, der den Weg in eine ökologischorientierte Zukunft gestalten soll, benötigtnicht nur Sachkenntnis und Überblick, son­dern auch in besonderem Maße EinfUhlungs­vermögen.Erziehung und Schule haben hier eine wichti­ge Aufgabe.

Veru·rsacherprinzip.354 Fürden Umweltschutz ist eine Grundkom­petenz des Bundes zu schaffen und derenWahrnehmung dem Ministerium für Gesund­heit und Umweltschutz zuzuordnen. Um­weltverträglichkeitsprufung und Technolo­giefolgenabschätzung müssen Grundlage fUrumweltpolitische Entscheidungen werden.Wir treten fUrdas Verursacherprinzip ein, wo­nach die Kosten ökologischer Maßnahmen

E-Wirtschaft sind zwecks Kosteneinsparungzu straffen, ohne dabei die f6deralistischeGrundstruktur aufzugeben;

Der Elektrizitätswirtschaft muß durch Ge­setz auch die Aufgabe zugeordnet werden, dieStromverbraucher über sparsame Verwen­dung aufzuklären. Eine Ankurbelung desStromverbrauches durch Werbung, ohneRücksiCht auf den energiewirtschaftliehsinnvollen Einsatz von Strom, lehnen wir ab.Wir befUrworten grundsätzlich ein Tarifsy­stem, das die sparsame Verwendung vonEnergie begünstigt.

grundsätzlich vom Verursacher zu tragensind. Zur Feststellung des Verursachers istbeispielsweise auch·eine epidemiologischeBeiweisfUhrung ausreichend. Die Gemein­schaft als Ganzes kann dort haftbar gemachtwerden, wo, wie im Falle weit zUIÜckreichen­der Schäden, ein Verursacher nicht zur Sa­nierung herangezogen werden kann.Überwälzung von Kosten auf die Gerneschaft hat auch dann ihre Berechtigurwenn sich sonst die Entwicklung und Einftirung neuer,. umweltfreundlicher Produktund Verfahrensweisen aus Gründen fehlerder privatwirtschaftlicher Rentabilität verzögerten.Ziel sollte es sein, daß die Kosten fUr Umweltschutz in den Preisen für Güter und Dienstleistungen ihre Deckung finden, so daß sie letz­ten Endes vom Verbraucher zu tragen sind.

355 Als vom Einfluß großerlnteressenverbän.de freie Partei wollen wir allen sogenannten"Sachzwängen" im Bereich der Umweltpoli­tik kritisch entgegentreten.Aus unserer liberalen Tradition heraus haltenwir eine Stärkung der Rechtsposition des ein­zelnen Bürgers sowie von Bürgerinitiativenebenso fUr erforderllch wie die Stärkung derPosition der Umweltschutzverbände im plu­ralistischen Interessensgefüge. Wir befür­worten den Ausbau der Parteistellung desEinzelnen, die Möglichkeit der begrenztenParteistellung von Bürgerinitiativen in be­stimmten Umweltverfahren sowie die Ein­fUhrung von Verbandsklagen fUr anerkannteUmweltschutzverbände.Mit der Bauwirtschaft und allen berührtenGruppierungen sind transparente Umwelt­verträglichkeitspIÜfungen vorzunehmen.356 Alle Bemühungen zur Erzielung interna­tionaler Umweltschutzvereinbarungen müs­sen tatkräftig unterstützt werden. Bei Ab·schluß von Handelsverträgen sind umwelter­haltende Kriterien zu berücksichtigen. EineKonvention über ein weltweites "Umweltgü­tesiegel" ist anzustreben.

Ernährung und Bodenschutz357 Durch einseitige Landbewirtschaftung,falsche Fruchtfolge (Monokulturen), über­triebenen und unsachgemäßen Einsatz vonChemie und konsequente Spezialisierungentstehen oft ökologisch unerwünschte Fol­gewirkungen. Ähnliches gilt fUr die her­kömmliche Form der Flurbereinigung, die zueinem Artenschwund fUhrt. Hier müßten ver­stärkt Grundsätze ökologisch richtiger Land­schaftsändening zum Tragen kommen.Neben Mineraldüngern und chemischenPflanzenschutzmitteln fUhren auch übertrie­bene Entwässerungsmaßnahmen, wildeMülldeponien und der Schadstoffeintrag ausder Luft (Emissionen aus Industrie und Ver-

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kehr) zu einer zunehmenden Belastung unse­rer Böden.358 Ein modernes Düngemittelgesetz ist erfor­derlich. Wir wollen einen maßvollen undfachgerechten Einsatz von Mineraldüngernsowie die zurückhaltende Verwendung vonchemischen Pflanzenschutzmitteln unter Be­rücksichtigung des integrierten Pflanzen­schutzes (Einbindung biologischer Grund­sätze). Die landwirtschaftliche Betriebsbera­tung ist stärker als bisher auf die ökologi­schen Aspekte der Landbewirtschaftung aus­zurichten.Auch die Agrarforschung hat in ihren Kon­zepten darauf Bedacht zu nehmen, wobei dasSchwergewicht der Forschung stärker alsbisher auf Qualität als auf Quantität zu legenist. In den Landwirtschaftsschulen sollte"Ökologie" Pflichtfach werden.Auf Grund der zunehmenden Umweltbela­stungen unserer Böden soll ein umfassendesBodenschutzkonzept erarbeitet werden.Die Energieversorgung auf der Grundlagevon Biomasse ist für die Landwirtschaft vor­anzutreiben.

359 Wir treten für die Förderung alternativerLandwirtschaftsformen mit einem entspre­chenden Anteil an ökologischen Ausgleichs­flächen und für Mischkulturformen unterAufrechterhaltung natürlicher Stoffkreis­läufe ein.Wir befürworten die Bevorzugung regionalangepaßter Nutztierrassen und Pflanzensor­ten sowie die Schaffung von kleinräumig ge­gliederten Kulturlandschaften.

Geschützter Wald360 Wälder dienen als Lebensraum vielerPflanzen- und Tierarten, Trinkwasserspei­cherung, Lawinen- und Erosionsschutz, kli­matische Ausgleichsfaktoren, bedeutendeWirtschafts- und Erholungsgebiete. Die aufwirtschaftlichen Höchstertrag ausgerichte­ten forstlichen Maßnahmen, wie zum Bei­spiel standortwidrige Monokulturen, großflä­chige Kahlschläge, der Einsatz übergroßerMaschinen und Forstchemikalien, das dichteNetz von oft rücksichtslos angelegten Forst­straßen und Skipisten, das Uberhegen desSchalenwildes und die Einwirkung des sau­ren Regens,. haben schwere ökologischeSchäden in Osterreichs Wäldern bewirkt.

361 Es sind daher alle nur möglichen Maßnah­men zu ergreifen, die zu einer Rettung unse­rer Wälder beitragen können. Nicht standort­gerechte Forstbestände müssen durchMischwälder ersetzt werden.Eine weitere chemische Belastung des Wal­des ist hintanzuhalten, forstliche und frem­denverkehrsmäßige Erschließungsmaßnah­men müssen der Umweltverträglichkeitsprü­fung unterzogen werden.Großräumig zusammenhängende Waldge­biete sollen als Lebensraum für gefahrdeteund wieder einzubürgernde Tier- und Pflan­zenarten erhalten bzw. geschaffen werden.Neben der Schaffung von Ruhezonen für dasWild einerseits wird auch eine Reduzierungüberhöhter Wilddichtell andererseits not­wendig sein,Zur Bekämpfung des sauren Regens ist einekonsequente Luftreinhaltepolitik unerläß­lieh.

Grenzen des Wachstums362 Eine Fortsetzung der unbegrenzten Ener­gieverbrauchszuwächse sprengt alle natürli­chen Grenzen und führt zur Zerstörung desökologischen Systems. Darum ist die energie­politische Entwicklung von existentieller Be­deutung.363 Das freiheitliche Menschenbild mit der Be­tonung der Eigenverantwortung findet seine

besondere Herausforderung in der Änderungder Lebensgewohnheiten, weil dadurch jederEinzelne dazu beitragen kann, drohende Eng­pässe 1m uereich der Versorgung mit Roh­stoffen zu vermeiden, die Belastung unsererLebensgrundlagen zu vermindern und damitdie Verantwortung für den Umweltschutznicht auf den Staat allein abzuschieben.Im Sinne einer ökologischen Kreislaufwirt­schaft sind, Strategien zur Abfallverringerungund Abfallbeseitigung durch Wiedergewin­nung von Rohstoffen und Energie die wich­tigsten Maßnahmen zur Lösung des Abfall­problems. Auch die Erzeugung langlebigerProdukte ist eine wichtige Strategie zur spar­samen Verwendung von Rohstoffen.

Raumordnung und Verkehr3&4 Die an der Konzentration des Wirtschaf­tens orientierte Politik der Vergangenheit hatzu einer übermäßigen Trennung der ver­schiedenen Lebensbereiche (Wohnen, Ar­beit, Bildung, Erholung, Einkaufen usw.) ge­führt. Ermöglicht wurde dies durch den mo­dernen Verkehr, der regelrecht ausgewuchertist. Die Verschlechterung der Lebensqualitätin den Städten führt zur Stadtflucht, zuZweitwohnungen, zur fortschreitenden Zer­siedehmg und zu überflüssigem Verkehr.Im ländlichen Bereich ist der ZersiedelungderLandschaft, der Versiegelung der Bödendurch Beton und Asphalt und der Verstädte­rung der Dörfer Einhalt zu gebieten. Die Neu­gestaltung der Raumordnungsgesetze unddes Systems der Wohnbauförderung mußumweltfeindliches Bauen in Zukunft verhin­dern. Bundes- und Landesstraßenplanungsind stärker mit dem Naturschutz abzustim­men. Vor weiteren Erschließungsmaßnah­men durch neue Verkehrswege ist der Aus­bau vorhandener Verkehrswege zu fördern.365 Im Bereich des innerstädtischen und über­regionalen Verkehrs fordern wir den Vorrangder Schiene vor der Straße. Insbesondere derSchwerverkehr muß in größtmöglichem Aus­maß von der Straße auf die Schiene verlegtwerden. Nebenbahnen sonen dann erhaltenbleiben, wenn Mindesterfordernisse an Wirt­schaftlichkeit erfUllt werden können. DerKraftfahrzeugverkehr ist durch verkehrsfreieund verkehrsberuhigte Zonen einzuschrän­ken, der Fahrradverkehr muß durch ein dich­teres und wesentlich verbessertes Radwege­netz gefordert werden. MenschengerechteStadt- und Verkehrsplanung darf den Fuß­gänger als Verkehrsteilnehmer nicht längerins Abseits stellen.

300 Die Entwicklung alternative!' Verkehrssy­steme (Motoren und Brennstoffe) ist zu for­dern. Die EinfUhrung von bleifreiem Benzinund Autokatalysatoren ist durch Bemühun­gen auf internationaler Ebene zu beschleuni­gen.Die möglichen Vorteile einer allgemeinen Be­grenzung der erlaubten Geschwindigkeitensollen studiert und in längeren Erprobungenauf ihre Zweckmäßigkeit hin untersucht wer­den.

Natur- und Landschaftsschutz367 Natur- und Landschaftsschutz erfordertnicht nur Maßnahmen im örtlichen Bereichund im Bereich der Staaten, sondern mußebenso wie Umweltschutz Teil einer weltwei­ten Überlebensstrategie sein. Wir sehen in dergeopolitischen Lage Osterreichs die besonde­re Chance, in gesamteuropäischen Fragendes Arten-, Biotop- und Landschaftsschutzesebenso wie im Bereich von Emissionsbegren­zungen die internationale Zusammenarbeitvoranzutreiben.368 Die wenigen noch ursprünglich erhaltenenLandschaftsteile und die ökologisch hoch-

wertigen Kulturlandschaften und Lebens­räurne müssen erfaßt und in ihrer bedeuten­den Funktion erhalten werden. Aus diesemGrund treten wir mit Nachdruck fUr die Er­haltung eines Np.tzes von gewachsenen Land­schaftsteilen und die Verwirklichung von Na­tionalparks ein. Wir befUiworten die Erhal­tung der letzten naturnahen Wasserläufe undFeuchtgebiete sowie die Revitalisierung zer­störter oder entfremdeter Flächen.369 Die Zukunft des Tourismus hängt weitmehr von der Bewahrung der natürlichenLandschaft als von ihrer Erschließung ab,Weitere Erschließungsmaßnahmen billigenwir nur unter der Voraussetzung ausreichen­der ökologischer Beurteilungsgrundlagen.Wesentliche Teile der in Österreich für Erho­lungszwecke nutzbaren Landschaft stellenbesonders empfindliche Ökosysteme dar.Für bestehende Fremdenverkehrseinrich­tungen soll der Grundsatz "gleichmäßigereAuslastung - mehr Qualität - weniger Expan­sion" gelten. Bei der Vergabe von Förde­rungsmitteln soll der sanfte Tourismus (Fuß-,Rad-, Wasserwandern und Bergsteigen) vo;dem motorisierten und technisierten Frem­denverkehr gefördert werden.Den Trägern der Bauwirtschaft kommt einevorrangige Lösungskompetenz im Bereichdes umfassenden Umweltschutzes zu. Nahe·zu jede ökologische Maßnahme bedarf einerBauleistung. Die Sanierungvorhandener um­weltbelastender Anlagen ist kurzfristig durchbautechnische Maßnahmen vorzunehmen.

Tier- und Pflanzenschutz370 Der Verminderung des Artenreichtumsdurch die Zerstörung der Lebensräume mußdurch Erhaltung und Wiederherstellung vonUrlandschaften und durch Wiederansiede­lung hierzulande ausgerotteter Tiere undPflanzen entgegengewirkt werden. In be­stimmten bevorzugten Zonen muß derSchutz gefcihrdeter Tiere und Pflanzen in ih­rer natürlichen Umwelt den Vorrang vor wirt­schaftlichen Entwicklungsplänen erhalten.

371 Im städtischen Bereich bedürfen Bäumeund Grünzonen besonderer Schutzbestim­mungen. Im ländlichen Bereich müssen beiFlurbereinigungen und BaurnaßnahmenKleingehölze und Hecken erhalten oder neuangelegt werden.Ein zeitgemäßes Tierschutzgesetz muß Fra­gen der Tierquälerei, der Tierversuche undder Massentierhaltung nach humanitären Ge­sichtspunkten einer bundeseinheitlichen Re­gelung unterwerfen.Im internationalen Bereich muß sich Öster­reich an der Durchführung des Verbotes de~

Handels mit gefcihrdeten Tier- und Pflanzen­arten und daraus abgeleiteten Erzeugnissenbeteiligen.

'Vasser372 Da der Wasserkreislauf in der Natur nichterweitert werden kann, muß eine weitereSteigerung des Wasserverbrauches verhin­dert werden. Die Industrie sollte so weit wiemöglich dazu angehalten werden, ihr Nutz­wasser im eigenen Kreislauf aufzubereiten.Vorbe-qgender Grundwasserschutz und lau­fende Uberwachung des Grundwassers so­wie anderer Trinkwasserquellen ist von le­benswichtiger Bedeutung.Eine besondere Bedrohung des Grundwas­sers bildet der wachsende Anfall von gefcihrli­ehern Sondermüll. Wir fordern daher die ra­sche Errichtung von Organisationsformenzur Beseitigung von Sondermüll, die einer­seits die berechtigten Interessen der Gebiets­körperschaften berücksichtigen und ande­rerseits eine wirksame und sichere Entsor­gung unter Einbeziehung privatwirtschaftli­cher Einrichtungen gewährleisten. Wir for-

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dern weiters die Förderung und Entwicklungvon Produktionsweisen, die den Anfall vongefährlichem Sondermüll verringern odervermeiden.373 Die Verwendung von Trinkwasser für dasSpülen voOn Toiletten und das Waschen vonAutos könnte im städtischen Bereich durchden Bau von getrennten Trink- und Nutzwas­serleitungen vermieden werden; Auch solltedas Regenwasser einer sin'nvollen Nutzungzugeführt werden. Fiskalische Maßnahmensollten ebenso dazu beitragen, den Wasser­verbrauch zu senken.Der Wasserbau muß nach naturnahen Prinzi­pien durchgeführt werden. Einer weiterenVersiegelung der Bodenoberfläche muß Ein·halt geboten werd.en.374 Die Situation der Weltmeere ist insbeson­dere durch Verschrnutzung, Überfischungund das Aussterben ganzer Gattungen ge­kennzeichnet. Dadurch wird ihre Funktionals Sauerstoffproduzent, KJimaregulatorundErnährungsbasis' für die Weltbevölkerung inempfindlicher Werse ~ingeschränkt.Österreich hat an der Erhaltung dieses ge­meinsamen Gutes der Menschheit auf inter­nationaler Ebene beizutragen.375 Arktis und Antarktis sind die letzten Ge­biete der Eide, die noch nicht voll territorialeinzelnen Staatsgebieten zugeordn.et sind.Diese Gebiete sollen keinem Staat zugeord­net werden dürfen und sollten der gesamtenMenschheit zur Verfügung stehen.Vor allem die ökologische Situation unsererErde erfordert es, daß diese Gebiete im natür­lichen Zustand bleiben. Eine allfällige Nut­zung von Bodenschätzen hat unter strengsterBeachtung ökologischer Grundsätze zu erfol­gen.

Luft376 Zur Verminderung des Schadstoffaussto­ßes von Industrien, Kraftwerken, Kraftfahr­zeugen, Flugzeugen, Müllverbrennungsanla­gen sowie privaten und öffentlichen Heizan­lagen sind eine Reihe von gesetzlichen Maß­nahmen notwendig. Luftverunreinigungenmüssen beim Verursacher bekämpft werden.Die Schadstoffrückhaltung sollte an allenStellen der Produktionskette erfolgen, wodies technisch realisierbar erscheint. Markt­nachteile, die durch die Kosten ökologischoriehtierter Produktion entstehen, sinddurch geeignete Maßnahmen (Förderungen,Steuererleichterungen usw.) auszugleichen,jedoch sollen die anfallenden Umweltschutz­kosten grundsätzlich ihre Deckung durchechte Preisbildung finden. Hinsichtlich derProbleme mit Sondermüll gilt für die Luft­reinhaltung grundsätzlich das gleiche wie fürden Wasserschutz.

Die Anwendung umweltfreundlicherTechniken in der Industrie ist steuerlich zubegünstigen. Wenn Betriebe im öffentlichenEigentum stehen, sollten sie vom Staat als Ei­gentümer dazu angehalten werden, Schad~

stoffgrenzen nicht nur einzuhalten, sondernnach Möglichkeit auch zu unterschreiten.Schadstoffgrenzwerte sind nach dem neue­sten Stand wissenschaftlicher Erkenntnissefestzulegen. Vor allem im Bereich der Luft­reinhaltungspolitik sind internationale Maß­nahmen verstärkt notwendig. Die Verwen­dung von Fluorkohlenwasserstoffen alsTreibgas in Sprühdosen ist wegen der ökolo­gischen Folgen auf die Ozonschicht in der At­mosphäre weltweit zu untersagen.

Lärm378 Die Folgen des Lärms reichen von psychi­schen Störungen über vegetativ bedingte Er­krankungen bis zu Organschädigungen. DieLärmgrenzwerte sind daher den gesundheit-

lichen Anforderungen entsprechend fest­bzw. herabzusetzen. Wirtschaftliche Überle~gungen dUrfen dabei den gesundheitlichenErfordernissen nicht vorangesteUtwerden.379 Passive Lärmschutzmaßnahmen, wie zumBeispiel Schallschutzfenster-Programme,sind dort zu treffen, wo Lärm nicht vermie­den werden kann.Besonderer Schutz ist den Arbeitern in. Be­trieben zu gewähren, die unvermeidbaremLärm ausgesetzt sind.Große Teile des Verkehrslärms könntendurch geeignete Städte- und Raumplanungvermieden werden. Die stärkere Beschrän­kung des Schwerlast-Transitverkehrs aufderStraße ist nicht nur zur Vermeidung andererUmweltbelastungen, sondern auch vomStandpunkt des Lärmschutzes zu fordern.Die gesetzlichen Grundlagen für den Lärm­schutz bei Schienenfahrzeugen sind auszu­bauen.Auch dem von Luftfahrzeugen verursachtenLärm ist mit Maßnahmen, die aufSystemver­besserung abzielen, und passiven Lärm­schutzkonzepten zu begegnen.

Umweltschutz undfreiheitliches Denken380 Angesichts der bereits eingetretenen

12. Kapitel

Neue Ho..eizonteEinleitung382 Die Entwicklung von Wissenschaft undTechnik hat in diesem Jahrhundert einen sohohen Stand erreicht, wie er noch vor etwazwei Generationen kaum ertraumt werdenkonnte. Dennoch kommt diese Entwicklungnicht zum Stillstand, sondern beschleunigtsich sogar noch. Sie bewegt sich q,uf völligneue Horizonte zu" welche die Bewußtseins­lage des Menschen verändern und ihn veran­lassen werden, Grundauffassungen zu über·denken und Haltungen neu zu bestimmen.383 Hervorstechendstes Beispiel für die Quali­tätsänderung innerhalb des wissenschaftli­chen Fortschrittes ist dermöglich gewordeneZugriff zum Zellkern, dem Träger der Erbin­formation in allen Lebewesen. Damit ist derWeg offen, nach den Kunststoffen nun auchKunstlebewesen zu schaffen. Die Auswir­kungen dieser Handhabung des Zellkerneswerden die Welt ähnlich verändern wie dieschon erfolgende Benutzung des Atomkerns.384 Ein weiteres gewichtiges Beispiel bietetdie Computerentwicklung. Der Umstand,daß diese in vielen kleinen Schritten weiter·getrieben wird, verdeckt das Erkennen derdurch sie bewirkten gleichfalls wesentlichenVeränderungen unserer Lebensbedingun­gen. Die Computerwissenschaft steuert letzt~

lich auf die Schaffung "künstlicher Intelli­genz" zu. Allein schon der Weg zu diesem Zielwird unser Selbstverständnis stark beeinflus.sen. Wir Freiheitlichen erkennen die Notwen­digkeit und fühlen die Verantwortung, unsmit diesen neuen Entwicklungen auseinan~

dersetzen zu müssen. Denn diese beeinflus­sen selbstverständlich praktisch alle Lebens­bereiche und bedeuten somit eine Herausfor­derung an die politische Gestaltungskraft.Wir stellen uns dieser Aufgabe.

Fortschritt365 Seit Wissenschaft und Tec~miJ.: ab derWende vom Mittelalter zur Neuzeit ständigVerbesserungen der Lebensverhältnissebrachten, siegte Fortschrittshoffnung über

Schäden an den ökologischen Systemen be­darf es in weiten Bereichen rascher und ein~

schneidender Maßnahmen, die notgedrun­gen auch zu Einschränkungen und.zum Ver­zicht auf liebgewordene Konsumgewohnhei­ten führen müssen. Vor allem muß den Men­schen klargemacht werden, daß die Sanie­rung unserer Umwelt auch einen hohen fi­nanziellen Einsatz erfordert.

381 Liberale Politik zielt darauf ab, die not­wendigen Maßnahmen im Interesse des Um­weltschutzes im Einklang mit der Bevölke­rung zu vollziehen, soweit dies mit Rücksichtauf die hier immer wieder gegebene Dring­lichkeit von Maßnahmen möglich ist. Es er­scheint daher erforderlich, nicht nur ökologi­sche Forderungen aufzustellen, sondern auchdurch den Appell an das Verständnis der Be­völkerung für eine breite Annahme der damitverbundenen unpopulären Maßnahmen zusorgen. Keinesfalls darf die Durchführungumweltpolitischer Maßnahmen zu einer Be­drohung des sozialen Friedens führen. Es istinsbesondere die Pflicht verantwortungsvol­ler Politik, darauf zu verzichten, parteipoliti­sche Zielsetzungen oder die Interessen ein­zelner Berufsgruppen gegen berechtigte öko­logische Anliegen der Gemeinschaft auszu­spielen.

Fortschrittsangst. Insbesondere Aufklärungund Liberalismus rührten auf der Grundlageeiner optimistischen Einstellung zum Men­schen zu einer Art Fortschrittsgläubigkeit.Diese hielt sich bis in unser Jahrhundert hin­ein. Mittlerweile zeigte sich weltweit, daß derMensch von den vielen ihm durch die Wissen­schaft zugewachsenen Kenntnissen und Fä­higkeiten keineswegs nur weisen Gebrauchmacht. Ganz im Gegenteil: Atomrüstung,Raubbau an der Natur und Umweltzerstö­rung sind negative Beispiele für kurzsichti­ges, verantwortungsloses und sogar verbre­cherisches Handeln. Als Folge dieser Erfah­rung stellte sich Enttäuschung über den ver­meintlichen Fortschritt, ja teilweise wiederFortschrittsangst und Zukunftspessimismusein. Diese Haltungen bestimmen vielfach daszeitgenössische Denken.

386 Wir bejahen grundsätzlich die Fortschrittein der wissenschaftlichen Erkenntnis. Aberwir betrachten die Anwendung neuer Er­kenntnisse kritisch und sehen nicht jede Ver­änderung automatisch auch schon als Fort­schritt an. Wir Freiheitlichen treten daher füreine neue Definition des Fortschrittsbegriffesein und fordern in diesem Zusammenhangeinen Wandel vom quantitativ zum qualitativverstandenen Fortschrittsbegriff.

Technikverständnis367 Freiheitliche Politik sieht in der Technikgrundsätzlich ein wertvolles Mittel zur Ver­besserung der Lebenschancen der Men­schen.Der Weg zur Überwindung der einge­tretenen Schäden an den ökologischen Syste­men und zu einem langfristig stabilen ökono­misch-ökologischen Gesamtsystem führtnicht über den grundsätzlichen Verzicht aufdie Technik, sondern nur über die Entwick­lung eines neuen, vom Vorrang des Men­schen und der ökologischen Systeme gepräg­ten Technikverständnisses.

388 Daraus ergibt sich als wichtiges Ziel, denMut zu einem qualitativ verstandenen Fort­schritt an die Stelle der Resignation und des

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Klagens über begangene Fehler zu setzen,diesen Mut zum Fortschritt jedoch mit derFähigkeit zur Kritik und zur Einschätzungder Folgen des eigenen technischen Han­delns zu verbinden. Die Folgenabschätzungdarf in allen Bereichen, in denen Technik undForschung zur Anwendung kommen, nichtauf nachträgliche Kontrollinstanzen abge­schoben werden, sondern muß bereits Be­standteil der Planung von Forschung undTechnik selbst sein.

Sozialmechanik398 Die Instrumente der modernen Sozialwis­senschaften, wie zum Beispiel Meinungsfor­schung, haben in Verbindung mit Fernsehenund anderen Massenmedien eine künstliche"Öffentlichkeit" geschaffen, die mehr undmehr ein Eigenleben anzunehmen droht. Wirhalten in diesem Zusammenhang fest, daß esvornehmste Aufgabe der Sozialwissenschaf­ten ist, durch Modelle und Voraussagen dieFolgen der Gestaltung sozialer Zusammen­hänge und ihrer Einwirkung auf den Einzel­nen so genau wie möglich abzuschätzen, daßsie aber den Menschen nicht von seiner Ver­antwortung entbinden können, gesellschaft­liche Normen in Kenntnis dieser Voraussa­gen selbst zu setzen.390 Wir warnen insbesondere vor einer Ver­wechslung der durch Umfragen immer wie­der in das Zentrum tagespolitischer Diskus­sionen gestellten öffentlichen "Meinung" miteiner von kollektiver Verantwortung getrage­nen politischen Entscheidung. Die Visioneiner durch Perfektionierung von Meinungs­befragungen und Telekommunikation er­möglichten "ständigen Mitbestimmung" derBürger in den täglichen politischen Entschei­dungen erweist sich deshalb als Utopie, weilsie die Anonymität der politischen Willens­bildung fOrdert und damit die Übernahmepersönlicher politischer Verantwortung ver­hindert. Sie fUhrt also nicht zur perfekten De­mokratie, sondern zur Diktatur anonymerMehrheiten.in diesem Zusammenhang fordern wir Frei­heitlichen, daß es politisches Bildungszielsein muß, in den jungen Menschen in ausrei­chendem Maße die Unterscheidunsfähigkeitzwischen öffentlicher und veröffentlichterMeinung zu wecken.391 Die EinfUhrung der EDV und die Anwen­dung systemanalytischer Erkenntnisse aufdie Rationalisierung von Einrichtungen imBereich von Politik und Verwaltung stehenin Österreich erst in den Anfängen. Ihre Fort­fUhrung ist vor allem auch im Hinblick aufdieSenkung der Verwaltungskosten zu begrü­ßen. Unter einem längerfristigen Zukunfts­aspekt ist aber auch hier vor der Gefahr einesdurch Überperfektionierung der Datenerfas­sung entstehenden Kontrollstaates zu war­nen.392 Wie die Widerstände gegen die Auflassunglokaler Gerichte, gegen die Zusammenle­gung von Gemeinden oder gegen die Aufgabedezentraler Verwaltungseinrichtungen zei­gen, geraten hier· nicht selten Rationalisie­rungsbedürfnisse der Systemtechnokratenund Versorgilngsbedürfnisse der Bevölke­rung in Widerspruch. Freiheitliche Politik er­greift hier Partei fUr den Selbstgestaltungs­willen der Bevölkerung und gegen die Vor­stellung der absoluten Planbarkeit im Sinneeiner Sozialtechnologie.

Computerwelt undInformationstechnik393 Die gegenwärtig schon großen und in Zu­kunft noch wesentlich größeren Möglichkei­ten der elektronischen Datenverarbeitungbilden eine ungeheure Versuchung, alles zuzentralisieren, was sich damit erfassen läßt.

Weil Hand in Hand mit der Leistungssteige­rung bei den Computern \\'eltweit die Ver­dichtung eines immer besseren KabelnetzesfUr Datenübertragungen aller Art (auch imDialog) erfolgt, geraten alle Menschen undVölker in die Abhängigkeit eines universel­len Kommunikationssystems.394 Wir halten es fUr eine libt.;fale Aufgabe er­sten Ranges, in dieser Entwicklung auf denEinbau möglichst vieler Elemente einer De­zentralisation ebenso zu achten, wie auf dieparallele Einrichtung staatlicher wie interna­tionaler Kontrollinstanzen zum Schutze derbürgerlichen Freiheiten und Menschenrech­te. Es wird auch lebenswichtig sein, rechtzei­tig arbeitsfähige Subsysteme zu schaffen, dieim Falle von Katastrophen oder politischenKrisen und daraus folgenden Systemzusam­menbrüchen die Aufrechterhaltung von Ver­sorgung und Verwaltung regional ermögli­chen.395 Eine große Erziehungsaufgabe wird darinbestehen, die Menschen den richtigen Um­gang mit immer komplexeren elektronischenSystemen und stets "intelligenter" werden­den Computern zu lehren. Hierin erblickenwir Freiheitlichen auch eine große Herausfor­derung an die philosophischen Wissenschaf­ten. Jedenfalls steht eines fest: Mehr denn jebedarf es verantwortungsbewußter und selb­ständig denkender Menschen, um in derComputerwelt human bestehen zu können.396 Gegenüber den im raschen Aufbau befind­lichen Informations- und Kommunikations­netzen bedarf es eines nüchternen und wach­samen, jedoch grundsätzlich positiven Ver­hältnisses. Freiheitliche Politik muß mit al­len Mitteln verhindern, daß durch Unwissen­heit und die Aufrichtung von Zugangs­schranken zu qualifizierter Information so­wie durch Informationsmonopole ein An­alphabetismus neuer Art entsteht.Dabei gilt es sicherzustellen, daß die Möglich­keiten dieser neuen Techniken allen Bürgernprinzipiell in gleichem Maße zuteil werdenund daß sie nur im Sinne einer Erweiterungdes Freiheitsraumes der Bürger angewandtwerden, nicht aber zu deren Gängellmg undBeherrschung.Dies erfordert insbesondere die MöglichkeitfUr Direktzugriffe zu Informationen undDienstleistungen unabhängig von Ort undZeit im Wege einer rur nahezu jedermann zu­gänglichen technischen Ausstattung <Tele­phon, TV-Geräte, Kabel- und Terminalsyste­me) sowie öffentliche, via Telekommunika­tion zugängliche Informationsdatenbankenaller Art (Rechtsdaten, Wirtschaftsdaten, bi­bliographische Daten usw.).397 Gleichzeitig gilt es jedoch, jene Gefahrenzu erkennen und hintanzuhalten, die mit denEntwicklungen im Bereich der Informations­technik verbunden sind, wie etwa- Gefährdung der Privatsphäre durch miß­

bräuchliche Speicherung und Zusammen­fUhrung persönlicher Daten,

- Verschiebung und Entstehung neuerMachtverhältnisse durch Auf- und Ausbauvon Informationsmonopolen,

- Anonymisierung der Gesellschaft aufGrund des Ersatzes menschlicher durchmaschinelle Kommunikation,

- Schaffung von undurchschaubaren Berei­chen und neuen Abhängigkeitsverhältnis­sen,

- Nutzung der Großcomputer fUr Zentralisie­rungstendenzen.

Weltraum398 Elektronik, zeitgleiche Datenverarbei·tung, Roboterisierung, Raketen- und Satelli­tentechnik haben die Nutzung des erdnahenWeltraumes ermöglicht. Diese beeinflußt we­sentlich die globale Datenvernetzung, Infor-

mation und Kommun~~ation,Navigation uneBeobachtungen bzw. Uberwachung aller ArtHochbedeutsam ist auch die Erforschung unserer Erde und ihrer Rohstoffe sowie von Umweltveränderungen vom Weltraum aus.Wir fordern vergleichbar den Weltmeeren diE:Freiheit des Weltraumes für alle StaatenÖsterreich soll sich im Rahmen seiner wirtschaftliehen Möglichkeiten an Weltraumpro·jekten beteiligen, insbesondere an der euro·päischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.~99 Anlaß zu großer Sorge gibt das beginnend(Wettrüsten im Weltraum. Die bisher schor.zur militärischen Überwachung eingesetzenSatelliten sind eher ein Instrument zur Friedenserhaltung und daher günstig zu beurtei·len. Hingegen können im Weltraum stationierte und von dort aus auch aufdie Erde wirkende Waffensysteme das Kriegsr~siko unvorstellbar erhöhen.Wir wünschen einen waffenfreien Weltraumfordern aber zumindest eine kontrollierte Rüstungsbegrenzung im Orbit sowie das Verbotvon Systemen aus, die im Orbit kreisen, Waffenwirkung aufdie Lufthülle und Erdo berf1äehe auszuüben. Die Auslösung von Atomexplosionen im Weltraum muß verboten werden.

Biotechnik400 Schon in seiner geschichtlichen Frühzeihat sich der Mensch zahlreicher Bioteehniken bedient und diese dann weiterentwickeltDurch die moderne Molekularbiologie, di(bis in den Molekularbereich vordrang, habersich die Möglichkeiten der Biotechnik gewaltig vermehrt. Vor allem die Mikrobiologie erlaubt es heute, Kleinstlebewesen vielfaltigster Art menschlichen Zwecken (ErnährungMedizin, Rohstoffgewinnung, Umweltschutz) dienstbar zu machen.Die erst junge Wissenschaft von der gezielterVeränderung der Erbsubstanz im Zellkerr(Gentechnik) bewirkt eine Revolution in deJBiotechnik, an deren Anfang wir stehen. Otdieser Fortschritt vom Menschen zum Guteroder Schlechten genutzt wird, liegt in unse)aller Verantwortung.401 Wir Freiheitlichen wollen, daß die newBiotechnik im Bereich der MikroorganismenPflanzen und Tiere mit ökologischem Verständnis in den Dienst der Medizin, der besseren Versorgung der Menschen und in derDienst des Umweltschutzes gestellt wirdÖsterreich soll alles daransetzen, um auf diesen Gebieten wissenschaftlich und in deJWirtschaft nicht nur den Anschluß an düweltweite Entwicklung zu halten, sondenschwerpunktmäßig auch Pionierleistungerzu erbringen. Für wichtig erachten wir ditEntwicklung naturnah.er Methoden deJSchädlingsbekämpfung, der Abfallbeseitigung und der Pflanzenzucht mit dem Ziel, ditChemisierung in der Landwirtschaft einzuschränken.402 Wir verlangen gesundheitspolitische unesicherheitspolitische Kontrollen besonder:bei mikrobiologischen Versuchen und Verfahren mit voraussichtlich gefahrlichen Begleiterscheinungen. Biologische Kampfmittel sollen geächtet und einer wirksamen internationalen Kontrolle unterworfen werden.

Medizinische Grenzbereiche403 Die Biotechnik hat auch vor dem Mensehen selbst nicht haltgemacht. Die Entwicklung der Möglichkeiten, menschliche Keimzellen außerhalb des Körpers zur Verschmelzung zu bringen und die dadurch entstandenen menschlichen Embryonen beliebig Zl

implantieren bzw. auch über längere Zeit anLeben zu erhalten, hat völlig neuartige politi·sehe und juristische Probleme mit sich ge

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Zeitung des Freiheitlichen BildungswerkesVerleger, Herausgeber und Hersteller:Freiheitliches Bildungswerk, Kärntnerstraße 28Veriags- und Herstellungsort: WienErscheinungsort WienVerlagspostamt 1010 Wien

bracht. Wir gehen in der Beurt~ilungdieserTechniken davon aus. daß sie als Chancen.ansonsten unfruchtbaren Partnern die Mög­lichkeit von Nachkommenschaft zu verschaf­fen. grundsätzlich zu bejahen sind.404 Mit wachsender und berechtigter Sorgebeobachten viele Menschen die Möglichkei­ten. die sich durch die Gentechnik entwik­keIn. Wir glauben, daß es auch hier im Inter­esse der Vermeidung von Mißbrauch notwen­dig ist, daß sich der Mensch in seinen Bemü­hungen um eine Manipulation der Lebens­vorgänge selbst Grenzen auferlegt. Eingriffein die menschliche Erbsubstanz solltengrundsätzlich nur in jenen Fällen zugelassenwerden. wo mit einem hohen Grad an Wahr­scheinlichkeit dadurch ein psychischer oderkörperlicher Schaden von dem betroffenenIndividuum abgewendet werden kann.405 Wir sind uns dessen bewußt, daß mit derGentechnik völliges Neuland beschrittenwird und endgültige Regeln und Normen da­für heute nur schwer aufgestellt werden kön­nen. Mittels der Gentechnik wird der Menschmachen können. was die Natur noch nicht ge­macht hat und woftir es wohl kaum ein Vor­bild gibt. Wir wollen den Fortschritt der Wis­senschaft nicht hemmen. aber wir wollen,daß alle diese Entwicklungen unter dem Be­gteitschutz von Humanität und Recht statt­finden.4GB Die moderne Medizin ist wie jede andereempirische Wissenschaft aufdas Experimentangewiesen. Sie steht jedoch vor der Tatsa­che, daß die durch medizinische Experimen­te bewirkten Risken und Leiden - sei es inVersuchen an Menschen oder an Tieren ­nicht unsensible Objekte betreffen. sondernleidensfähige Subjekte. Dies setzt dem Expe­riment in der Medizin enge Grenzen. die je­doch angesichts immer neuer Forschungsfra­gen nicht endgültig festgelegt werden kön­nen.407 Wir treten daher ftir den Ausbau einerfunktionierenden Kontrolle ein und gehendavon. aus, daß jeder experimentelle Eingriffeine Abwägung des dadurch verursachtenLeids und der davon zu erwartenden nutz­bringenden Erkenntnisse, beim Menschendarüber hinaus auch die uneingeschränkteEinwilligung und den freiwilligen Entschlußdes Betroffenen voraussetzt.408 Die Achtung, die dem Menschen gegen­über der ihn umgebenden Natur auferlegt ist,weist dem Tierschutz eine besondere Rollezu. Wir verurteilen Tierquälerei und jede an­dere Form gewissenloser Mißachtung vonTierleben - gleichgültig, ob sie in persönli­cher Rohheit, Sadismus oder brutalem Ge­winnstreben begründet ist. Auch die wissen­schaftliche Forschung darf kein Freibrief ftirdie Peinigung und qualvolle Tötung von Tie­ren sein. Der Tierversuch muß daher einemSystem strenger Kontrollen unterworfen\\'erden.

Auch Organtransplantationen zählen zuden medizinischen Eingriffen, die, zunächstdiskutiert, heute bereits weitgehend zur Rou­tine geworden sind. Dennoch erscheinenauch hier noch nicht alle Probleme gelöst.Grundsätzlich sind wir der Meinung, daß dieWahrscheinlichkeit, durch eine Organtrans­plantation Leben zu retten oder wieder le­benswert zu machen, beim heutigen Standder Technik so hoch ist, daß eine restriktiveHandhabung der Bestimmungen über dieEntnahme von Organen nicht mehr. zu recht­fertigen ist.Wir treten zwar für das Recht des Einzelnenein, über seinen Körper auch nach seinemAbleben zu verfügen, geher: aber davon aus,daß das Fehlen einer solchen ausdrücklichenVerfügung, für deren Ersichtlichkeit der Ver­fügende selbst Sorge zu tragen tragen hat, als

Zustimmung zu einer allfälligen Organent­nahme anzusehen wäre.410 Als problematischen Bereich sehen wirauch die derzeitige Situation in der interna­tionalen Versorgung mit Blutprodukten an.da nachweislich ein wesentlicher Anteil derin den hochtechnisierten Ländern ver­brauchten Blutprodukte aus Entwicklungs­ländern importiert werden muß. Wir treten indiesem Bereich ftir strenge internationaleKontrollen ein. die den Mißbrauch der Ärm­sten unter den Menschen im Interesse der rei­chen Länder und der einschlägigen Handels­organisationen unterbinden sollen.411 Wir bejahen passive Sterbehilfe in Fällenunheilbarer und zum Tode ftihrender Leiden.Nicht zuletzt veranlaßt uns der furchtbareMißbrauch der Euthanasie zur Tötung vonMenschen aus ideologischen Motiven. demMenschen das Recht auf aktive TötungSchwerkranker grundsätzlich zu verweigern,auch dort. wo dies dem Wunsch des Betroffe­nen entspräche.Wir halten es aber ftir legitim, in Fällen un­heilbarer Krankheit mögliche lebensverlän­gernde Maßnahmen zu unterlassen, wenndiese nicht dem Wunsch des Patienten ent­sprechen und die Möglichkeit einerWendungzum Besseren mit Sicherheit ausgeschlossenwerden kann.

Offen für die Zukunft412 Aus all den angeftihrten Entwicklungs­möglichkeiten und Entwicklungsrisken desMenschen und der von ihm geschaff~nen

Kulturen folgern wir heute mehr denn je dieNotwendigkeit eines realistischen Men­schenbildes. Wir unterschätzen die Fähigkeitdes Menschen zur Problemlösung keines­wegs, ja wir sehen darin sogar sein wichtig­stes Kapital ftir die Bewältigung der Zukunft.Wir sehen aber auch heute mehr denn je dieNotwendigkeit einer ganzheitlichen undlangfristigen Betrachtung von Entwicklungs­zusammenhängen, wenn wir verhindern wol­len, daß die Problemlösungen von heute dieProbleme von morgen produzieren.

~ FBW-

413 Wir begrüßen es. daß gerade die junge Ge­neration unserer Tage nach neuen Wertensucht, die an die Stelle blinder Fortschritts­und Wachstumsgläubigkeit treten sollen. Wirsehen uns nicht zuletzt deshalb als Ge­sprächspartner dieser neuen Generation,weil jene Hinwendung zu idealistischen Wer­ten und zu einem neuen Gemeinschaftsden­ken, die man mit dem Schlagwort des "post­materialistischen Denkens" bezeichnet, inhohem Maße mit Wertvorstellungen unserereigenen politischen Tradition überein­stimmt.

Wir sehen aber gleichzeitig unsere Aufgabeals Freiheitliche. die hier aufbrechenden gei­stigen Strömungen in vernunftgemäße Bah­nen zu lenken und insbesondere jeder grund­sätzlichen Wissenschaftsfeindlichkeit entge­genzutreten. Wir ~ind bereit, die klassischenInstrumente der liberalen Gesellschaftsord­nung: Leistung. Eigentum, Marktwirtschaftund Unternehmergeist. in den Dienst neuergesellschaftlicher Ziele zu stellen. aber wirsind nicht bereit. von ihnen grundsätzlich ab­zurücken. Andernfalls würden wir damit un­seren höchsten politischen Wert. nämlich dieFreiheit. aufs Spiel setzen.

414 Liberales Denken steht somit jedem Fun­damentalismus. der nur an die eigenen Zu­kunftsvorstellungen eines einseitig konstru­ierten Weltbildes glaubt. mit Entschiedenheitgegenüber. Wir glauben, daß auch in der Zu­kunft die politisch richtigen Wege nur durchdie Berücksichtigung vieler politischerStandpunkte gefunden werden können. Un­sere Gesellschaft braucht ein politisches Kli­ma. in dem gemeinsame Lösungswege inFrieden und Freiheit auf demokratischemWege gefunden werden können.

Unser Ziel ist eine Gesellschaft. die in derAuseinandersetzung mit den täglichen Pro­blemen offen, tolerant und lernfähig bleibt.Diesem Ziel gilt unser gesamtes politischesHandeln in Gegenwart und Zukunft. Wir blik­ken mit Optimismus in das Morgen.

NFORMATION

Folge 7/93

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