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Prokla H efi 78 20, 1990Nr --- - ---------

und sozialistische Politik

Redaktion_' Elmar Altvater, Heiner Ganj3mann, Michael Heinrich, Kurt Hubner, Birgit Mahnkopf, Dirk Messner, Sighard Neckel, Klaus-Dieter Tango'mann (geschdftsfuhrendJ-

Die Prokla erscheint regelmiiBig mil vier Nummern im Jahr, Gesamtumfang 640 Seilen jahrlich, Jedes Heft kostet im Jahresabonnement 13,-, im Einzelverkauf 16,-_ Abonnement tiber eine Buchhandlung oder tiber den Verlag_ Wenn Sie tiber den Verlag abonnieren, erhalten Sie von einer Versandbuchhand­lung, die mit dem Verlag kooperiert, eine Voransrechnung fUr die nachsten Hefte (52,- DM plus Porto). Nach Bezahlung erhalten Sie die Hefte jeweils sofort nach Erscheinen zugeschickt.

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- presserechtlich verantwortlich flir diese Nummer: Birgit Mahnkopf, Kurt Htibner

© 1990 Rotbuch Verlag Berlin. Aile Rechte, auch das der Ubersetzung vorbehaltcn Satz: Montania GmbH, Dortmund - Druck: CARO Druck, Fraukfurt ISBN 3-88022-578-8

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegen Prospekte des Rotbuch Veri ages und des Kirschkern-Buch­versandes bei.

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PROKLA 78 * AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN SOZIALISMUS

Inhaltsverzeichnis

Prokla-Redaktion: Editorial .................................................................................. 2

Lutz Marz: Zu einer modemen Okonomie der DDR. Leitlinien flir eine Offentliche Strategiediskussion ............................................................... 13

Michael Burawoy: Uberlegungen zum KlassenbewuBtsein ungarischer Stahlarbeiter .......................................................................................................... 33

Diane Elson: Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? ..................... 60

Hajo Riese: Geld im Sozialismus ....................................................................... 108

Immanuel Wallerstein: Marx, der Marxismus-Leninismus und sozialistische Erfahrungen im modemen Weltsystem ........................................ 126

Adam Przeworski: »Warum hungem Kinder, obwohl wir aIle emahren konnten?« Irrationalitat des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus ... 138

Verzeichnis der Autoren ..................................................................................... 172

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PROKLA -Redaktion Editorial Auf der Suche

I

Als dieses Schwerpunktheft der PROKLA im des Jahres 1989 vorbereitet wurde, hat niemand die rasante Destruktion des real existierenden Sozialismus vor­aussehen konnen. Die von Michail Gorbatschow und dem Reformfltigel der KPdSU vorangetriebenen Glasnost und Perestroika haben heute Hingst in anderen RGW-Lan­dern N achfolger gefunden. Die Umwalwngen fan den wnehmend nicht mehr in Form von »Umstrukturierungen von oben« statt, wie noch in der Sowjetunion, und entwik­kelten sich vielfach hinsichtlich der Infragestellung von existierenden Strukturen und ideologischen Rastern wesentlich radikaler. Auch wer nicht der gerne verbreiteten Behauptung einer durch rigide staatliche Unterdrtickung gewahrleisteten Ultrastabi­litat dieser Gesellschaften nachhing, hatte mit Erstaunen festzustellen, wie paros und einsturzgefahrdet diese Herrschaftssysteme waren. Dies galt sagar flir die finsterste Ein-Mann-Diktatur des osteuropaischen Blocks, Ceaucescus Rumanien, wo ein mit dem Mut der Verzweiflung anrennendes Yolk den Sturz des Regimes durchzusetzen vermochte. In der DDR wiederum muSte das Honecker-Regime infolge einer mas­senhaft wahrgenommenen Mischung aus exit- und voice-Strategien abdanken. Auch wenn die Situationen in den verschiedenen Landern des ex-sozialistischen Blocks differieren, darf heute kein Zweifel daran gelassen werden, daB das Modell des Sozialismus, wie es in der Sowjetunion entwickelt und von dart exportiert wurde, gescheitert ist. War es aber von vornherein wm Scheitern verurteilt, wie die Marlct­anh1inger mit Mises und Hayek seit Jahrzehnten verktinden? Oder begann die Krise des Sozialismus erst mit den »stalinistischen Deformierungen« der dreiBiger Jahre? 1st das Projekt des Sozialismus War es verfrUht, beg ann seine Verwirklichung am falschen bedarf es erst des Durchlaufens einer rr"UIJ~'W listischen Etappe«, wie es eine plumpe Leseweise des »HistoMat« nahelegen konn­te? Dies sind keineswegs bloB rhetorische oder akademische Fragen. Zweifellos wirft das Scheitem des real-existierenden Sozialismus grundlegende und Fra-gen auch flir diejenigen Sozialisten die ihre politische Identitat nicht an den Er-foig realsozialistischer Gesellschaften haben. Diese gehen bis an die Substanz von sozialistischen so daB wir von einer schen Identita.tskrise aUer Sozialisten mtissen. Ware diese Krise nur auf

wie die Deutsche Kommunistische Partei die sich skla-visch Kurswechsel der SED haben und denen bereits die ersten Re-formschritte in der schnell zur sowie

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schaftlichenAuswirkungen des Umbruchs in Osteuropa und den dadurch aufgewor­fenen Problemen fUr die (kleine) Linke in diesem Land tibergehen, die ansonsten aufrecht und unbeirrbar an ihrem politischen Ziel, der Verwirklichung einer soziali­stischen Wirtschaft und Gesellschaft, festhaltenkonnte. Leider, oder sollte man sa­gen: Marx sei Dank? ware eine soIche Haltung wenig hilfreich. Dem vielstimmigen Chor von links und rechts, der jedem untiberhOrbar zu Ohren bringt, daB der Kapi­talismus im Systemwettkampf mit SozialismuslKommunismus endgtiltig gesiegt ha­be, ware so nieht geantwortet. Denn es hilft wenig, darauf zu verweisen, man habe doch schon in der Vergangenheit immer wieder auf den nieht-sozialistischen Charak­ter dieser Gesellschaften nachdrticklich hingewiesen. Gesiegt habe der Kapitalismus nicht etwa tiber den SozialismuslKommunismus sondern tiber eine pervertierte Form dieses Gesellschaftsmodells, das zu Unrecht den Namen Sozialismus fUhre - und dies im tibrigen durch den Zusatz »real existierend« selbst angedeutet habe. Genausowe­nig hilft der wie auch immer fundierte Hinweis weiter, der Kapitalismus selbst werde schlieBlich mit Problemen wie Massenarbeitslosigkeit, sozialer Armut, okologischer Degradation nicht fertig - von den Verelendungsprozessen in der Dritten Welt einmal ganz zu schweigen. Diese Argumentationsfigur Iauft - trotz ihres riehtigen Kerns -solange ins Leere, wie die AnschluBfrage, weIchen »Dritten Weg« die unorthodoxe Linke als Ausweg aus den Krisen des Sozialismus und des Kapitalismus anzubieten habe, nicht oder doch nur auBerst sparlich beantwortet werden kann. Die analytischen Anstrengungen zur Kritik des Bestehenden entheben uns heute weniger denn je des Zwanges, unsere Vorstellungen voneinem emanzipativen Sozialismus zu konkreti­sieren, wenn die »Kritik derpolitischen Okonomie« als» Theorie der Praxis« (Grams­ci) ernstgenommen und/oder reaktiviert werden solI. Es kommt aber hinzu: Angesichts der laufenden Enthtillungen tiber das wohl selbst die scharfsten Kritiker des real existierenden Sozialismus tiberraschendeAusmaB von mit diktatorischem Machtgebrauch gepaarter politischer Inkompetenz und morali­scher Desintegration muI3 man wohl fragen, ob inzwischen nicht alle sozialistischen Projekte heute durch eineArt von »Kontaktschuld« (Habermas) entwertet sind. Wenn dem so ist, hat der moralische, okonomische und politische Zerfall des Realsozialis­mus auch fundamentaldemokratische Sozialismusprojekte diskreditiert, ob vortiber­gehend oderftirimmer. Auf diese fraglos schwierige Situation konnenAnhtinger eines emanzipativen Sozialismus, die ihre politische Identitat aus einer doppelten Negation bezogen haben - der Ablehnung des staatsbtirokratischen Sozialismus in Osteuropa und des realen Kapitalismus im Westen -, nur urn den Preis der politischen Abdan­kung mit dem bloBen Beharren auf schon immer richtigen, moralisch hochkaratigen Uberzeugungen reagieren. Darauf hatten ja die Anhtinger und Untersttitzer des real existierenden Sozialismus mit dem Pradikat »real existierend« zu recht hingewiesen: Der Sozialismus war seit Marx und Engels nichtmehrnur eine Utopie schOner Seelen, sondern er soUte und muBte sich als pniktisches politisches Projekt bewahren. Mtissen wir heute von der Vorstellung der Machbarkeit einer nicht-kapitalistischen Gesell­schaft ganzlich Abstand nehmen? Oder wie kann nach 1989 der »feasible socialism« (Nove) noch aussehen? Urn derlei Fragen zu beantworten, wird es wohl zunachst vor

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allem darauf ankommen, und darin sehen wir eine Aufgabe flir die nachste Zukunft, sorgfaltig zu analysieren, was in den Gesellschaften vom Typ »real existierender So­zialismus« eigentlich schief gegangen ist.

II

Schon in den dreiBiger Jahren monierte Karl Korsch, daB der Linken ein alternatives sozialistisches Gesellschaftsmodell fehle. Dieser Mangel verweist ebenso auf ein Utopie- und Phantasiedefizit wie auf eine praktische Politikunfahigkeit der Linken. Es dtirfte heute ein entscheidender Grund dafUr sein, daB weit in die kritische In­telligenz hinein ein zumeist nur recht bieder begrtindetes - Vertrauen in die Allo­kations- und Effizienzleistungen des Marktes FuB fassen konnte. Ein Beispiel neben vielen anderen ist ein von Karl Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung der IG Metall, und dem Okonomen Joachim Gabler ktirzlich vorgestelltes Reformmodell fUr die DDR, in dem es heiBt, daB »prinzipiell an die Stelle der Steuerung durch den Plan die Steuerung tiber den Markt treten (muB)«. Der in solchen Uberlegungen zumAus­druck kommende mangelnde Grad an Problemdifferenzierung ist erstaunlich. Es ist wohl so, daB westliche Wendehalse sich ihren ostlichen Brtidern und Schwestern in dieser Hinsicht vollig gewachsen zeigen. In der okonomischen Praxis jedenfalls hat sich die binare Setzung: Markt versus Plan, Hingst als obsolet erwiesen. Nicht allein in Privatunternehmen und Konzernen beschiiftigen sich riesige Mitarbeiterstabe mit Produkt-, Personal- und Technologieplanungen. Auch der okonomische Erfolg Ja­pans, welchen Faktoren er auch sonst immer geschuldet sein mag, laBt sich ohne die schiitzende und vor aHem langfristig planende und Ressourcen bereitstellende Hand des Staates in Gestalt des bertihmt-bertichtigten MITI nicht erklaren. Was von den neuen (oder sind es alte?) Marktbegeisterten notorisch unterschlagen wird, ist, daB es nicht nur den einen Typus der Planung makrookonomischer Entwicklung gibt. Mit dem Wasser derrealsozialistischen Kommandowirtschaft gleich das Kind Sozialis­mus und gesellschaftliche Planung auszuschtitten, ist jedenfalls keine tiberzeugende Antwort auf das aufgeworfene Problem. Worauf beruht eigentlich das Vertrauen in die Allokations- und ~'""~'.vH,u'v'~H",Hf;vH des Marktes? Sttitzt es sich auf ein bloBes »Vor« - Urteil angesichts real existierender Marktwirtschaften? Oder kann es theoretisch begrtindet werden? Wenn die Uberle­genheit westlicher Marktwirtschaften von fruher als marktkritisch geltenden Leuten

sollte man eine theoretische Begrtindung erwarten kon-nen. Aus grundsatzliche Markteffizienz in geschlossenster Form von der modernen Neoklassik in Gestalt der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie zu begrtinden versucht. Sie hat sich erst jtingst und bisher noch ohne den erwtinschten von der fUr die Walrasianische Neoklassik zentralen Figur eines Auktionators gelOst, der als eine fiktive Zentralinstanz die Tauschhand-

so daB Optimalitatseigenschaf-ten resultiert. Auf diese trickreiche Weise gelang es der walrasianischen Theorie

Editorial 5

nachzuweisen, daB dezentral organisierte okonomische Tauschhandlungen immer zu einem Gleichgewieht fUhren, in dem entgegengesetzte Einzelinteressen so weit wie ohne Anwendung von Zwangsmitteln moglich verwirklich werden. Mittlerweile hat sieh auch in der neoklassischen Welt - wenn auch nicht tiberall und schon gar nicht bei den neuen Marktfreunden - die Einsicht herumgesprochen, daB eine solche »kom­munistische Fiktion« (Myrdal) wenig tiberzeugend ist, wenn man die Uberlegenheit von Marktsystemen beweisen will: SchlieBlieh hat man mit der Annahme des Auk­tionators als koordinierender Zentralinstanz genau das vorausgesetzt, was es im Sin­ne des Beweisziels erst zu beweisen galt. Daraufhaben im tibrigen die wirklich markt­radikalen Okonomen der osterreichischen Schule, allen voran Mises und Hayek, schon lange hingewiesen. Ihnen selbst aber geht es nicht viel besser als den neuesten Modellen der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, in denen auf den Auktionator und den Tatonnement - ProzeB zum Errnitteln der Gleichgewiehtspreise (oder entspre­chende funktionale Aquivalente) verzichtet wird: DaB ein und welches Gleiehge­wichterreieht wird, ob es pareto -effizient ist, Hillt sieh im strengen Sinne axiomatisch - deduktiver Theorie nieht nachweisen, womit auch der Nachweis der prinzipiellen Uberlegenheit der Markt- gegentiber der (zentralen) Planwirtschaft entfallt. Mit theoretischenArgumenten kann mithin die behauptete Uberlegenheit der Markt­koordination nicht gezeigt werden. 1m UmkehrschluB konnte dann aber verrnutet werden, daB die tiberlegene Reichtumsproduktion kapitalistischer Marktwirtschaften gerade das Resultat der Abweiehungen zwischen Modell und Realitat ist. Tatsachlich spricht analytisch wie empirisch viel daftir, daB nieht der Markt als solcher, sondern ein spezifisches gesellschaftliches Ensemble, ein historisch entstandenes Akkumula­tionsregime der westlichen Gesellschaften, fUr deren okonomische Uberlegenheit tiber den Sozialismus verantwortlich ist. Oder weniger bombastisch forrnuliert: Ne­ben dem Markt gibt es in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise eine Vielzahl von institutionellen Strukturen, deren Ensemble erst die Dynamik, aber auch die - zeitlich begrenzte - Koharenz des kapitalistischenAkkumulationsprozesses be­grunden kann. Auch fur die sozialistische Planwirtschaft findet sieh eine »Blaupause« (Przeworski). DaB eine Planwirtschaft prinzipiell eine rationale Verteilung von Ressourcen vorneh­men kann, wurde frtihzeitig von Oskar Lange gezeigt. Er (und Enrico Barone) hatten einfach das walrasianische Modell einer MarkWkonomie mit Auktionator ubernom­men und an dessen Stelle eine zentrale Planbehorde gesetzt. Langes Konstrukt eines allokativen trial and error-Prozesses, in dem eine zentrale Planbehorde in einem itera­tiven Prozess Preise, Lohne und Zinssatze festlegt, fUhrte ihn zu zwei fUr die sozia­listischen Unternehmen grundlegenden Wirtschaftsregeln: (1) Anzustreben ist die Minimierung der Durchschnittskosten der Produktion durch die Wahl einer Faktoren­kombination, deren Entlohnung den jeweiligen Grenzproduktivitaten entspricht; (2) die optimale Produktionsmenge ist an dem Punkt festzusetzen, W0 die Grenzkosten dem von der Behorde festgelegten Preis entsprechen. Werden beide Regeln befolgt, dann sei der Plan dem vollkommenen Marktsystem aquifunktional. Dieser reine Ty­pus einer Planallokation blieb nattirlich Theorie.

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Tatsachlich wurde in mehr oder weniger identischer Form auf politischem Wege in den osteuropaischen Landem ein System der staatlichen Kommandowirtschaft durchge­setzt, dessen Funktionsprobleme hinlanglich beschrieben sind. Die zentrale Mengen­planung als gesamtwirtschaftlicher Lenkungsmechanismus krankt an zwei Fehlem. Zum ersten es innerhalb dieses Systems keinen funktionierenden Mechanismus, der die und qualitativen Nachfragebediirfnisse der Individuen artikulier-bar machen konnte. Zum zweiten flihrt diese Form der Mengenplanung im Investitions­und ProduktionsprozeB zu einer systematischen Fehlallokation, die selbst wiederum Ergebnis einer systematischen infolge einzelwirtschaftlichen Rationalverhaltens ist: Die einzelnen Betriebe haben selbstredend das Interesse, die

flir das herunterzuhandeln und die der Ressourcen heraufzuschrauben. Dies geschieht durch ein vielfaltiges Verschleiem der tatsachlichen im Zuge der Planaushandlungen. Gesamtwirt­schaftlich driickt sich dies darin aus, daB zu Jahres(plan)ende die Sollvorgaben zumeist erfiillt oder iibererfiillt sind und die Pramien eingestrichen werden, wahrend gesamt­wirtschaftlich eine »Okonomie der Knappheit« (Komai) existiert. (Diane Elson zeigt in diesem Heft, daB dieses zentrale Problem, das seine Entsprechung in der Informations­asymmetrie der Akteure in kapitalistischen Marktwirtschaften hat, durch eine »Verge­sellschaftung der Markte« iioerwunden werden konnte). Diese Dauerdiskrepanz zwi­schen einzelwirtschaftlichem Verhalten und gesamtwirtschaftlicher Vorgabe hat vor­nehmlich politische Griinde, die in dem grundlegenden Mangel an wirtschaftlicher und politischer Demokratie und dem Fehlen von Offentlichkeit zu suchen sind. Anders for­muliert: Die sozialistischen Zentralkommandowirtschaften waren nicht in der Lage, komplementar zum zentral vorgegebenen Plan institutionelle Strukturen auszubilden, die eine Abstimmung der verschiedenen Interessen bei der Planung und Plandurchfiih­rung sicherstellten.

III

N och anders formuliert: Das zentrale Problem dieses okonomischer Organisa­tion ist das der sie strukturierenden Logik. Die theoretisch ideale Konstellation ware gegeben, wenn die Planung in allen Stufen, d.h. von der Planaufstellung bis zur Er­gebniskontrolle, in einer demokratischen Arena, in der Offentlichkeit erfolgte, und nieht imArkanum eines Gosplan. Alle Betroffenen waren in allen Phasen an allenAb­schnitten der Planung beteiligt; in Wirtschafts- und Sozialraten in der Region und Branche ebenso wie in mitbestimmten Betrieben, U nternehmen und in den Parlamen­ten durch demokratisch gewahlte Reprasentanten des Volkes. Realistischerweise muE man zugeben, daB dies - wie Brecht yom Kommunismus sagt - zwar eine einfaehe Idee, aber schwer zu machen ist. In der langen Geschichte sozia­listischer Planung wurde jedoch noch nicht einmal ein Versueh in dieser Richtung emsthaft gewagt. Eine andere einfache Idee hat demgegeniiber sogar den Vorteil, ein­fach verwirklichbar zu sein und fand im Ubrigen auch in kapitalistisehen Gesellschaf-

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ten ihre Verfechter: Die marktgesteuerte Okonomie liiBt sich rationalisieren, indem ein zentrales Steuerungszentrum mit den modemen Techniken der Kommunikation und Kalkulation die Entwicklung plant. Der Sozialdemokrat Hilferding hing dieser Vorstellung ebenso an wie der Liberale Rathenau oder der Leninist Lenin, der die rationale Funktionsweise der deutschen Post und die Effizienz der deutschen Kriegs­wirtschaftslenkung im Ersten Weltkrieg bewunderte. Planung yom Zentrum aus war eine weit verbreitete, und keineswegs auf die Kommunisten beschrankte Idee, ganz in der »Kultur der Rationalisierung« befangen und yom Fortschrittsoptimismus be­seelt. Doch es gibt ein Problem. Wer lenktdas Steuerungszentrum, das janicht yom Himmel fallt? Die einfache Antwort lautet: der Staat. Aber »der Staat« ist eine inhaltsleere Vorstellung. Nach welchen MaBgaben, welch en Interessen handeln die staatlichen Akteure? 1m planenden Kapitalismus folgen sie aus strukturellen Grunden - vermit­telt und unter Wahrung ihrer Eigeninteressen als gewiihlte Politiker, als als Btirokratie - den von den Wirtschaftsakteuren artikulierten Imperativen der Kapital­verwertung. Wem aber soU der Staat als Planungsinstanz im Sozialismus folgen? Ka­pitalverwertung als MaBstab und Regel gibt es mit der Verstaatlichung der wichtigen Produktionsmittel nicht mehr. Mit den Interessenten an def Kapitalverwertung geht auchjener Sachverstand verloren, der Unternehmensinteressen gegeniiber der Politik anhand eines relativ eindeutigen Kriteriums artikuliert. Wie kommt dann die Rtick­kopplung zwischen Staat und Wirtschaft im Sozialismus zustande? Sie wird - wenn denn Demokratie das schwer zu machende ist - durch die Partei hergestellt, die die Aufgabe hat, die Briicken zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im weiteren Sinne zu schlagen. Aus dieser Konstellation resultiert in real-sozialistischen Gesellschaften offen bar die Verdoppelung der politischen Herrschaft in Staat und Partei. Die Partei, ursprtinglich gesellschaftliches Organ, wird als lenkender, informierterund informierender Staats­apparat adoptiert. Die Partei ist so etwas wie die volante generate, aber unter Aus­schaltung der volante des taus. Die Verdoppelung personifiziert sich in den Figuren, die die Funktionen des des Staatsratsvorsitzenden usw. in sich vereini­gen. Es ist nicht Personenkult und Personlichkeitswahn, wenn die Spitzenamter von Partei und Staat gehauft werden. Denn die rationelle Lenkung von Wirtschaft und Gesellschaft von oben muB Partikularismen ausschalten. Es ist Ausdruck der man­gelnden EinfluBmoglichkeiten auf die zentralen Entscheidungen, wenn nur noch die »Einheit der Person« Einheitlichkeit, gesellschaftliche Konsistenz, Verhinderung von

Einflussen verspricht. Der verdoppelte Staat als Einheit von Partei und Staat muE sich gegentiber den Btirgern wie der Vormund zum Mtindel als »vormundschaftlicher Staat« (Rolf Henrich). Ein realsozialistischer Entwicklung, ein erster Schritt auf den Abgrund zu. 1st diese Verschmelzung von Partei und Staat vielleicht zunachst ein Kind ein Mechanismus zur Dynamisierung der Gesellschaft mit beschleunigten wirtschaftli­chen Wachstumsraten, birgt sie in sich die Tendenz der Selbstverstlirkung. Sie wirkt als engmaschiges Filter, in dem aIle Ansatze der Demokratisierung hangen bleiben.

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Und die Personen, die als Akteure der Demokratisierung hangen bleiben, werden als schiidliche Elemente durch Mauern abgeschottet: durch die Mauern der Gefangnisse, durch die Sperren auf den Zugangen zur sowieso beschrankten Offentlichkeit und durch die auBere Mauer, die das Land umgibt bzw. den gesamten Block gegen west­liche Zersetzung abzuschirmen sucht. Aber trotz der politischen Repression bedarf der vormundschaftliche Staat der Legitimation. Der Staat und vor aHem die Partei miissen sich immer wieder vor dem Volk recht­fertigen. Denn die Partei ist ja ihrem Selbstverstandnis nach urspriinglich durch einen emanzipativen Akt an die Macht gekommen. Sie hat den Staat mit der Emphase der Befreiung der Menschen yom Faschismus und von der Ausbeutung umgebaut, das okonomische System mit dem Versprechen der beschleunigten Entwicklung der Produktivkrafte umgewillzt und sie hat Versprechungen der Demokratisierung der Gesellschaft gegeben. Sie ist einer aufklarerischen, libertaren, egalitaren Theorie, Philosophie, Ideologie verpflichtet, dem Marxismus. Selbst in der verballhornten Fassung als Marxismus-Leninismus ist er eine eigenartige Mischung von affirmativer Wissenschaft der Rechtfertigung der Partei- und Staatsherrschaft und von, wenn auch kruder Theorie der Befreiung geblieben. Das Beispiel der DDR spricht Bande. Der Staat mochte zwar de facto Privateigentum von SED-Funktionaren sein, der konsen­sualen Idee nach war er Volksdemokratie und zum Absterben verurteilt. Die Wut der Bevolkerung erklart sich daher auch aus dies em Widerspruch: Die Idee wird dem Yolk als Lebensmaxime vorgehalten, von Kindesbeinen an. Die Wirklichkeit der Aneig­nung der Friichte des Staates in Form von Privilegien durch die Staats- und Partei­biirokratie schlagt dieser Maxime ins Gesicht. Da alle - und nicht nur die Parteibonzen - sich in diesem System bewegten und in der einen oder anderen Form an den Friichten zu partizipieren trachteten, oft in nachgerade primitiver Form, ist die Wut gegen das System urn so groBer. Denn es hatja nicht nur die anderen, sondernjeden, einenjeden selbst korrumpiert. Daraus erwachst der Schmerz. Mit diesem Problem umzugehen, ist nicht leicht. Eine entdemokratisierte Komman­dowirtschaft kann sich nur rechtfertigen mit okonomischen Erfolgen, also mit hohen Wachstumsraten und verbessertem Versorgungsniveau und groBeren Konsummog­lichkeiten. Wenn diese Erfolgskriterien nicht erfiillt werden, geraten Partei und Staat in verstarkte Legitimationsprobleme. Immer wenn dies der Fall war, wurde geradezu kampagnenhaft der Plan umgeworfen, urn die festgestellten Versorgungsliicken zu fiillen. Die Folge: Es fehlte dann woanders, denn der Plan kannte keine Reserven. Diese waren ja nicht nur Bedingung, sondern Anreiz fiir demokratische Beteiligung geworden. Man hatte sich iiber alternative Verwendungsmoglichkeiten pluralistisch streiten konnen. Der geplante Mangel war also die notwendige Folge der Entdemo­kratisierung, aber zugleich fiihrte er zur permanenten Bedrohung der Legitimation. Kampagnen waren die autoritare Antwort auf das Problem. Wenn diese nicht zum ge­wiinschten Ergebnis fiihrten, namlich der Fiillung von Versorgungsliicken einerseits, der volligen Erschopfung und Lethargie der Bevolkerung andererseits, wurden auch Wirtschaftsreformen durchgefiihrt.Ein wenig mehr Dezentralisierung, eine groBere Bedeutung der Erfolgskennziffern fiir die Betriebe, mehr Leistungsanreize fiir Kol-

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mehr '--"'''~'~H'v, mehr materielle Interessiertheit durch Pramiensysteme, auch

fY1vU""HlJl'-' in den Poren der Gesellschaft. Alle real sozialistischen Uinder ken-nen den von Zentralisierung und Doch sobald sich in den gr0i3eren Spielraumen demokratische Pflanzchen oder sobald die Wachs-

wieder in Gang war, wurden die Reformen zugunsten von mehr Kommando und der Gesellschaft rUck-Die CSSR des Jahres 1968 ist daftir das tristeste Die Er­

auchdie zum in der Zeit zwischen Mitte der 60er Jahre bis in die frUhen 70er Jahre. Freilich war es in dies em Mechanismus aIle Kosten des Wachstums

die Kosten zumal. Und es wurde nicht in Rechnung ge-daB eine Kommandowirtschaft nur einen geringen sozialen lHHHfJ"n'UWC0h '

aufweist und daher gegen Schocks von auBen kaum abfedemde Reserven aufbringen kann. Innovationen sind in dies em eher ein auch wenn es zum

Wort der Partei und StaatsbUrokratie wird. das ahnen die Verantwortlichen, wenn sie es nicht entstehen nieht nur durch technische Ver­bessenmgen, sondem bedurfen der gesellschaftlichen Veranderung. Die sozialen Bindungen des technischen Fortschritts und die Bandigung seiner potentiell kontra­produktiven Folgen sind ohne aktive Beteiligung der Betroffenen und demokratische Offentlichkeit nicht herstellbar. Man kann eine Speise nicht wUrzen, wenn man den Deckel auf dem Topf festh1ilt. Die »gro13e Krise« ist also vorprogrammiert, es bedarf nur des damit sie ausbricht. Dann kommt alles ans Licht: DaB die okologischen Kosten des Wachstums der Ver­gangenheit die Zukunftsaussichten in bedruckendem Ausma13 daB der ex­terne Schock des Schuldendienstes mit denen die alte Flihrung

Generationen und zum kaum von der Okonomie absor-

biert werden kann und Refonnen daran viel-leicht daB der Rilckstand so groB

daB er auf absehbare Zeit nicht daB die Menschen syste-matisch worden sind und es erst lernen mlissen, als aktive ihre Ge-schicke und die ihrer Wirtschaft zu lenken. Kommt dies erst einmal zu dann funktioniert der

lich werdenden okonomischen Problemen schwinden die vielleicht verbliebenen Re-"""''''LVB des Staates dahin.

der Staat zumindest teilweise den entwinden«. Denn es eine zusatzliche Ressource von

btirge:rhch(cf Herrschaft: den Markt. Die itber den Markt ist seines Gliickes Schmied

In realsozialistischen Gesellschaften s[(J,au;mtgt:nulcnTrick der aus den

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zwangen nicht. Das System ist durch und durch politisiert, auch wenn - oder gerade weil - die Menschen entpolitisiert worden sind. Bricht die politische Legitimation zusammen, dann ist Herrschaft nur noch repressiv moglich. Und wenn die Repression weder Sinn macht noch Wirkung zeitigen kann, dann mtindet die De-Legitimierung in eine veritable Krise des Systems. Das Fehlen einer nach demokratischen Prinzipien funktionierenden Offentlichkeit racht sich dann noch ein wei teres Mal: Weil es weder zur Herausbildung einer selbstbewuBt agierendenArbeiterklasse noch zu anderen of­fentlichen Organisationsstrukturen kommen konnte, wird der anstehende Reformpro­zeB entweder von oben eingeleitet oder es kommt zu repressiven politischenAktionen der bislang Machtlosen, die den Eindruck eines zunehmenden Chaos bieten. 1m letzt­genannten Fall kann der Zerfall der Gesellschaft in eine untibersehbare Vielfalt von Einzellnteressen - der Hobbessche Kampf alle gegen aIle - die Folge sein. Gerade die­se Struktureigenschaft realsozialistischer Gesellschaften dtirfte im tibrigen daftir ver­antwortlich zeichnen, daB diese Gesellschaften eine geringere Reformelastizitat auf­wei sen als kapitalistische Demokratien - selbst wenn gegentiber einem solchen Argu­ment, wie es etwa Adam Przeworski in diesem Heft vorftihrt, mit Recht der Einwand erhoben werden kann, daB die Reformelastizitat kapitalistischer Demokratien systemi­sche Grenzen kennt. Das Verhaltnis von Demokratie und Kapitalismus ist, wie hinrei­chend bekannt sein sollte, keineswegs so konfliktfrei wie dies gegenwiirtig wieder allenthalben verktindet wird. Es sei nur am Rande erwahnt, daB das Paradox des So­zialismus - im Namen der Arbeiterklasse die gesellschaftliche Entwicklung voranzu­treiben und gleichzeitig jede offentliche Organisations- undArtikulationsfahigkeit der Arbeiterklasse zu verhinderu - auch ein wesentlicher Grund fUr die abzusehenden Ent­tauschungen der Werktatigen tiber die sozialen Auswirkungen der EinfUhrung kapita­listischer Marktwirtschaften sein wird. Selbst in einem Land wie Polen, wo die starke undmassenhafte Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc eine Systemveranderung durch­zusetzen vermochte, stehen die Werktatigen hilf- und schutzlos der »Hilfe aus dem We­sten« gegentiber. Anders als in westlichen Uindem gibt es auf der »Arbeitsseite« weder erfahrene Gewerkschaften noch gibt es mit westlichen Landem vergleichbare rechtli­che Ausgestaltungen der Arbeits- und Produktionssphare - mogen diese noch so ein­geschriinkt und bedrangt sein -, die dazu beitragen konnten, das Kampfungleichge­wicht einigermaBen zu regulieren. Auch auf diesem Felde racht sich spatestens heute das Fehlen rechtsstaatlicher Strukturen bitter.

IV

Einen wesentlichen Beitrag zur Destabilisierung der realsozialistischen Gesellschaf­ten hat - paradoxerweise - die in der Sowjetunion vorangetriebene Reformpolitik ge­leistet, die heute in gefahrliche okonomische wie politische Turbulenzen geraten ist. Ein offener Btirgerkrieg im Kaukasus, scharfe ethnische und nationalistische Kon­flikte in anderen Landesteilen, eine rasche Verschlechterung der Versorgungslage, hohe Budgetdefizite des Zentralstaates und harter Widerstand der Nomenklatura, die

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sieh an ihre Besitzstande maehen den weiteren Reformweg ungewisser dennje. Ein Seheitern Gorbatsehows durfte aber aueh weitreiehende auf die in den anderen realsozialistisehen Gesellsehaften wie in der westlichen Welt haben. Die daB die von J alta und die Strukturkomplexe

konnte aber nieht allein in der

VnrhF'1"P;tpt mehr als vierzig Jahre in fortsehrittlieher Form zu tiberwinden. Grtinde auf der Hand:

Kl,lmme~rnsich die vested interests an die Maeht­sind.

gegensatzes nie das Sagen in dieser weltpolitischen Region verbieten lassen, doch waren sie in ihrenAktionen wenigstens etwas eingeschriinkt. Mit der - nieht zuletzt aus okonomischen Grunden bedingten - Abkehr der Sowjetunion vom »proletarischen In­ternationalismus« steht zu beflirchten, daB die USA keinerlei weltpolitischem Korrek­tiv mehr unterliegen. Die in der AuBenpolitik Gorbatschows unterstellte pl'inzipielle Friedferigkeit des findet jedenfalls in der US-amerikanischen Sheriff­Mentalitat, die insbesondere im panamaischen Fall konkrete okonomischeTriebkriifte hat, keine Bestatigung. Aber noch aus einem anderen Grund konnte die durch die Umbruche in Osteuropa er­offnete Chance einer verbesserten weltpolitischen Konstellation verspielt werden. 1m allgemeinen GetOse liber die historische Niededage des Sozialismus scheint in Verges­senheit geraten zu sein, daB sich das kapitalistische Weltsystem selbst in einer grund­legenden Transfonnationsphase befindet, die keineswegs ohne Krisen und Instabili­taten verlauft. Insbesondere die drlickende interne und externe Schuldenlast der USA ist daflir daB die Bush-Regierung die zur Steuerung der globalen Um­strukturierungsprozesse benotigten finanziellen Ressourcen nicht zur Verfligung stel­len kann. Anders als nach dem Zweite Weltkrieg sind die USA nicht Nettoglaubiger sondern Nettoschuldner der Weltwirtschaft. Sie k6nnen deshalb anders als nach 1945 nicht die genallen Konditionen des Umstruktllrierungsprozesses diktieren. Dank ihrer weiterhin bestehenden starken okonomischen Macht bleibt ihnen abel' dennoch eine Vetomoglichkeit - die sie auch weidlich nutzen. Dies gilt in Bezug auf das drangende Problem der Verschuldung der Dritten Welt genauso wie flir die der Re­formprozesse in Osteuropa. Das Beispiel der von Frankreich initiierten Europaischen Bank flir Entwicklung und Wiederaufbau, die Kredite flir Osteuropa bereitstellen macht weIche Karten die USA auszuspielen versuchen: Anders als von den Initiatoren geplant, strauben sich die USA gegen eine Beteiligung der Sowjetunion an dieser supranationalen Kreditinstitution. Finanziel't werden wilen allein die die jeder Form von Sozialismus abgeschworen haben.

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Auch mit diesem Ausblick auf mogliche weltpolitische sozialistische Konstellatio­nen, die sich aus der Krise des real-existierenden Sozialismus ergeben konnen, soIl zunachst nur das Spektrum von Fragen und Problemen abgesteckt werden, dem sich derzeit die sozialistische Linke gegentibergestellt sieht. Diese Krise bedeutet sowohl eine intellektuelle als auch eine politische Herausforderung, weil sie uns Vergangenheit und Zukunft des politischen Projekts Sozialismus neu zu analysieren und zu diskutieren. Mit diesem Heft soH ein sem.

Lutz Marz Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinien fUr eine offentliche Strategiediskussion

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ZusammenJassung: Die DDR beJindet sich in einem »Teufelskreis« von okonomi­schen, okologischen, ideologischen, theoretischen und machtpolitischen Zwiingen. Weder der von vielenfiir einzig moglich erachtete Pfad cines nationalistischen Ka­pitalismus der freien Konkurrenz noch die sichere Sackgasse des real existierenden Sozialismus weisen einen Ausweg aus dem Teufelskreis. Denn weder lokal noch glo­balliijJt sich die Okonomie einer modernen Gesellschaft iiber eine Universalisierung der bekannten Marktmechanismen und/oder der tradierten Machtdispositive gestal­ten. Einzig durch eine offentliche F orderung dezentraler Kooperationsinitiativen, die die SUbjekte und Kollektive zu eigenverantwortlicher Steuerung der Innovationspro­zesse in den Alltagswelten und in der Gesamtgesellschaft motivieren, konnte sich die DDR -Gesellschaft zu einer wahrhaft modernen Gesellschaft transJormieren. Konkre­te Kooperationsprojekte auf allen gesellschaftlichen Ebenen (und darin eingeschlos­sen solche derwirtschaftlichen Ost-West-Kooperation) miijJten, so Marz, strategisch, eng und demokratisch, nicht aber kurzfristig, locker und elitiir konzipiert und reali­siert werden. Vor allem aber miijJten sie aUf dem Prinzip der Reziprozitiit aufbauen­d.h. aUf einer wechselseitigen Nutzung der Stiirken eines jeden Kooperationspart­ners.

»lm Labyrinth niitzt dir kein Helm und keine Maske Wenn dir nicht Drachenblut urns Him gegossen ist niitzt dir kein Eisen Wenn es festwuchs aber kehrst du nicht wieder Zeig deine Haut Theseus Hillt sie noch Schmerzen ein nach soviel Totschlag Hast du Triinen Was ich dir geben kann: Ein diinner Faden Wenige Worte Nicht gekniipft aus Macht und Ruhmsucht Kannst du dir auf die Zunge beiBen Held wenn du dich sprechen hOrst wie deine Feinde sprechen Schneid aus dem Schadel dir das alte Denken mit deinem neuen Traum WeiSt du wofiir leben nach dem Labyrinth Was immer das auch sein mag Ich frag wieder Kann sein ich liebe dich Theseus

. dein kaltes Planen deine Kinderworte Gib acht daB dir dein Blut nicht einfriert im Gefecht Kannst du die Hoffnung t6ten die dich lahmt die Langgeliebte die dir jetzt am Hals hangt Nur wenn du meine Worte horst und aushaltst Wirst du den Ausgang finden Nicht den Ausweg Wiihlst du den Ausweg wiihlst du unser Ende« (Holger Teschke, Blume am Hochufer, Gedichte 1975-1984, Berlin/Weimar 1985)

14 Lutz Marz

Die aktueUe Situation - die ""'LAV'''''' 'o.U'~.c~i;nrw als nuchterne

in unserem Land zunehmend eine wC'C'"",'U,e<MC, die sich vielleicht am treffendsten als

rakterisieren lieBe. Die daB wie etwa die

aus Ersten fiirchten wir eine dreifache wirtschaftliche Aus-

durch des Westens und durch die Marktstrome aus der DDR in die BRD. Zweitens bangen wir urn unser U'"''''C.CU''''"', urn unsere sozialistische Identitat und soziale Drittens schreckt nns es konnte einen Weg zuruck indem die existierenden Nor­malitaten unter dem massiven Druck der okonomischen Verhiiltnisse wieder einge­schrankt oder gar ganz aufgehoben werden. Viertens schlieBlich greifen aufgrund des programmatischen Defizits Rat- und Perspektivlosigkeit urn sich. Diese diffuse Ge­fiihlslage btindelt sich in folgender ntichterner Existenzfrage: Kann es in der DDR eine moderne Okonomie geben? Ausgehend von dem argumentativen Grundsatz, »was tibrigbleibt, wenn man das Un­mogliche ausgeschlossen hat, muB die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie sich auch ausnehmen mag« I, werde ich mich bemLihen, in vier Stichpunkten eine mogliche Antwortrichtung zu skizzieren.

Das - die ''U''''''''''''''';; im Teufelskreis del' Krise

In unserem Land als einem der entwickeltsten des real existierenden Sozialismus ent­faltet sich ein Teufelskreis der der sich in seinen Umrissen wie folgt skizzieren HiBt:

Die

Der Rlickstand in der industriellen sich seit 1970

c) Urn dem westlichen Stand »Umwelt sowie Mrd. DM investiert werden

Zu einer modernen Okonomie del' DDR. Leitlinienfur eine offentliche Strategiediskussion 15 .--.------~~,. -. -

d) Die Autarkiedoktrin fUhrte in allen Industriezweigen zu einem ressourcenver­schlingenden Produktionsprofil. Aus der iiberJangen Nutzung moralisch und phy­sisch verschlissener Altanlagen, die ca. 25 % der gesamten Produktionskapazitaten ausmachen (»Okologische Briefe«, 1989), resultiert nichtnur eine okonomisch und okologisch nicht Hinger zu verantwortende Material- und Energievergeudung, son­dern vor aHem auch eine sozial explosive Beschaftigungsstruktur. Wenn etwa allein in den wichtigen Industriezweigen inzwischen jeder dritte Produktionsarbeiter ein »Reparaturarbeiter« ist (ebenda, S. 7), wird deutlich, daB der zwingend notwendige wirtschaftliche Strukturwandel in allen Zweigen die traditionelle Qualifikation, Mobilitat und Hunderttausender Werktatiger betreffen wird.

Diese Situation wird durch folgende vier aktuelle Problemfelder weiter verscharft: Erstens schwinden angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in den anderen sozia­listischen Landem alle Hoffnungen denn hier ist im Gegenteil mit weiteren wahrscheinlich sogar einschneidenden Belastungen zu rech­nen. Zweitens eskaJieren mit den offenen West- und Ost-Grenzen Versorgungs- und Wahrungsprobleme, die sich zwar kurzfristig administrativ einzudammen, so jedoch keinesfalls dauerhaft lOsen lassen. Durchgreifende Preis- und Subventionsreformen werden akut. Drittens stehtes allenjederzeit frei, liber diese offenen Grenzen das Land zu verlassen und so »mit den FiiBen« liber die Wirtschaftsreform abzustimmen. Vier­tens schlieBlich hatte eine prinzipiell immer noch mogliche Einschrankung oder gar

der Reisefreiheit nicht nm innen- und auBenpalitisch, sondern vor aHem auch wirtschaftlich unabsehbare Folgen.

Die Okologie

DaB wir auf diesem Gebiet am Rande der machen unter anderem folgende Daten und Fakten deutlich: a) Schwefeldioxid-AusstoB betragt mindestens 5 Mill. Tonnen (eben-

b) Gemessen am Territorium ist die der Luft gemessen an der wirtschaftlichen Leistung sagar achtmal groBer als in der BRD (ebenda).

c) Vom gesamten besitzen noch

d)

e)

tat, wahrend bei 55 % eine bereits ist. Davon ist die Halfte okologisch tot und bei einem weiteren Siebentel ist schon das Bootfahren S.

wie etwa im der Krankheits-

\vL'vu'ua, S.

16 Lutz Marz

Die ldeologie

Hier ist die Situation durch folgende drei Momente gekennzeichnet: a) Es existiert ein Erwartungsdruck, der sich in vier

entwickelt. Erstens werden schnelle, durchgreifende und allumfassende Verande-rungen erhofft; zweitens daB sich das und wenn doch, so nur geringfligig und hochstens verschlechtert; drit­tens dienen weitgehend die Klischees der Lebensweise und des Lebensstandards in der BRD als Ziel- und MeBpunkt der Veranderungen; viertens werden Verande­

Denk -und Verhaltensweisen nur im Rahmen des vorhandenen wahrend die kon-

servativer Verhaltnisse und tradierter Verhaltensmuster von anderen Gruppen ab­gefordert werden. Hinter einem scheinbar HVIU'JI'.'Al'~H Wunsch groBer Teile der nach grundsatzlichen Veranderungen sich tief verwurzeltes Doppelinteresse. Abstrakt wird alles zur gestellt, konkret jedoch nur worauf man meint verzichten zu konnen. von denen man selbst sollen unangetastet bleiben, wei] sie das einzige sind, was man hat. Aus diesem massenhaften Doppelinteresse resultiert die Gefahr instabiler Verhaltensweisen, ein Schwanken zwischen »Reform-Apathie« und »Reform­Hysterie«. Das »Umkippen« der polaren Verhaltensmuster kann sowohl indivi­duell als auch kollektiv oder massenhaft durch vergleichsweise geringfUgige An­lasse ausgeli:ist werden.

c) Das ist massenhaft zerrlittet, denn mit Blick auf das bereits erreichte und sich weiter abzeichnende moderner h"~~,,~O; cher Gesellschaften laBt sich weder aus der Geschichte der reaJ existierenden 80-

zialistischen noch aus den praktischen und nissen der unterschiedlichen Reformprogramme ein massenhaft mobilisierendes

entwickeln. Der Kreis jener, fUr Sozialismus-kommunistische Partei unwiderruflich mo-

UHUH''''.h,vH versagt wird Die sein eige-W'~OJ,ogJlender Zukunft zu nicht zuletzt

und enttauschten ""HUH"""'''-''' erinnert wird.

Wo sozialistische noch verankert wirkt sie meist ><,n1QPT"" pro-duktiv.

Die Theorie

schaftstheoretische Potential in seiner Gesamtheit aus ~Vlb'-"'UL.H der weder kurz- noch

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfur eine offentliche Strategiediskussion 17

a) Die Komplexitatder gesamtgesellschaftlichen Umgestaltung laBt sichnicht inForm vereinzelter oder verketteter Teilreformen bewaltigen, da sich diese aufgrund ihrer rekursiven Vernetzung in Breite, Tiefe und Geschwindigkeit wechselseitig steuern. Ftirdie Erarbeitung eines integrierten Gesamtprogramms, das sowohlhandwerklich solide Teilkonzepte synchronisiert, als auch eine ausreichende Massenbasis gewin­nen konnte, fehlt jeglicher theoretischer Vorlauf.

b) Die jahrzehntelange Kanonisierung, Vulgarisierung und Ideologisierung des Mar­xismus-Leninismus blockiert die ErschlieBung seines wissenschaftlichen Poten­tials. Wo hier Theorieproduktion mehr ist als empiristische Handwerkelei, bewegt sie sich auf den endlosen Gleisen der Rekonstruktion.

c) Die Kanalisierung der theoretischen Arbeit auf den Marxismus-Leninismus als einziger Gesellschaftswissenschaft hat den Forschungshorizont eingeengt, eine kritische Aneignung und produktive Verarbeitung komplementarer oder alternati­verTheorien verhindert und somit einen massenhaften gesellschaftstheoretischen Analphabetismus erzeugt, der sich durch kurzfristige Kampagnen nur kaschieren, nicht beseitigen laBt.

d) Tradierte Sozialismus-Paradigmen, wie etwa das »Paradigma yom Sozialismus als einem Monosubjekt« (Brie 1988, S. 33 f.), das »sozialismustheoretische Para­digma des Primats des Ganzen tiber die Individien« oder die »Laplace-Strategie« der Uberorganisation und Obersteuerung (MarzIWohanka 1989), steuern nicht nur die utopischen Theorien und konservativen Konzepte der Erhaltung oder wenig­stens teilweisen Rettung illusionarer sozialistischer Errungenschaften, sondern auch die scheinbar radikalen »Wende«- und Reformprogramme. Diese sind meist nicht viel mehr als bloB reaktive Anpassungshilfen an aktuelle interne und externe Zwange.

Die politisch diktierte Profilierungsoffensive der verschiedenen gesellschaftswissen­schaftlichen Expertenkulturen tauscht eine gesamtgesellschaftliche Kompetenz vor, die real nicht vorhanden ist, und nahrt trtigerische Hoffnungen auf programmatische Wunder der Weisen.

Die Macht

Die konkreten Dispositive der Macht, in denen Wissen, Ftihren und Herrschen inein­ander verschrankt sind2, erzeugen eine allgemeine Ohnmacht der Gesellschaft gegen­tiber ihrer Krise, die sich in folgenden drei Symptomen auBert: a) Expertenwissen und FtihrungsHihigkeit lieBen sich fast nur tiber Mitgliedschaften

aneignen. Wer nicht Mitglied unserer herrschenden SED oder wenigstens der von ihr beherrschten Parteien und Massenorganisationen war, konnte weder die sach­liche Kompetenz noch die personlichen Fahigkeiten zur Fiihrung gesellschaftlicher Prozesse erwerben. GroBe Teile der Bevolkerung, insbesondere viele hochqualifi­zierte und engagierte Biirger, wurden so von der Machtaustibling ferngehalten und in die gesellschaftliche Ohnmacht gedrangt.

b) Wissen und Ftihren wurden weitgehend an Herrschaft gekoppelt. Mehr Fachkom-

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petenz liber gesellschaftliche Prozesse und mehr Moglichkeiten sie zu flihren, konnte nur der erwerben, der als zuverHissiges Instrument der Herrschaft funktio­nierte und sich in ihre Disziplinierungs- undProtegierungsrituaJe einfligte und ein­lebte. Macht konnte tendenziell nur der gewinnen, der die Mechanismen der kol­lektiven Entmachtung am Laufen hie It.

c) Wissen und Fi.ihren wurden nahezu ausschlie13lich der Herrschaft untergeordnet. Sachliche Kompetenz und Flihrungsfahigkeit konnten lediglich einseitig, namlich insofern und insoweit entwickelt werden, wie sie der Herrschaftssicherung dienten. Flir eine Vielzahl jetzt dringlich zu 10 sender Probleme, wie etwa die qualifizierte In­teressenvertretung der Werktatigen bei wirtschaftlichen Umstrukturierungen, tech­nischen und organisatorischen Rationalisierungen, Preis- und Subventionsreformen usw., feh1en massenhaft sawohl Fachkompetenz als auch Fi.ihrungstahigkeit.

Expertenwissen und Fuhrungsfahigkeit sind somit als Instrumente der Herrschafts­sicherung nur partiell und einseitig entwickelt. Der skizzierte Teufelskreis der Krise ist so in sich verflochten, daB selbst optimale Teillosungen flir einzelne Problemfelder zwangslaufig in anderen Bereichen Konflik­te zuspitzen. So wi.irde etwa eine zUgige Stillegung der Altanlagen sowohl die Effi­zienz der Wirtschaft erhohen, als auch die okologischen Probleme entschlirfen und es ware sogar denkbar, daB die BRD einen solchen Schritt technisch und finanziell un­tersttitzt. Uber die sozial explosive Beschaftigungsstruktur koppelt ein solches Pro­gramm jedoch in die Bereiche Theorie, Ideologie und Politik zuruck .

Die .... "1"""''-" Auswege - ein mtj~liclJler Pfad, eine sichere Sackgasse uud eine eventueHe !-'""""ru'g,-

Aus diesem Teufelskreis der Zwange zeichnen sich gegenwartig folgende drei zipiellen Auswege ab:

Der zum nationalstaatlichen der freien Konkurrenz

aus den vorhandenen sozialistischen Strukturen heraus Al-ternative zu existierenden blirgerlichen Gesellschaften zu werden als un­realistisch aufgegeben. Urn den Zug nicht endgtiltig zu verpassen, urn also die Ge­sellschaft zu retten und vor einem irreversiblen Absacken in eine obere der

werden alle Gedanken an eventuell vorhandene Der Denk-und sichin

die einen schnelJen und so weit wie traditioneller kalJlt'llls,tls,ch<~r

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfur eine offentliche Strategiediskussion 19

renz, ihr Steuerungszentrum nicht mehr das Buro, sondem der Markt sein. Mit einem Dbergang yom Sozialismus des 20. Jahrhunderts zum Kapitalismus des 19. Jahrhun­derts sollen so die Voraussetzungen fUr das nationalstaatliche Dberleben im 21. Jahr­hundert geschaffen werden.

Die sichere Sackgasse des real vegetierenden Sozialismus

. Wenn grundsatzliche gesamtgesellschaftliehe Reformen durch die fUhrenden Krafte - welche es auch immer sein mogen - nur halbherzig und zogerlich angegangen wer­den, wenn sie im skizzierten Teufelskreis der Zwange leerlaufen oder in konzeptio~ neller Breite und Tiefe alltagspraktisch nieht durchgreifen, wenn sich Teilreformen­wie etwa politische und okonomische - wechselseitig blockieren oder bereits ange­laufene Reformprozesse wieder zuruckgenommen werden, dann geht, da die alilleren und inneren Bedingungen zusehends komplizierter werden, nicht nur wertvolle Zeit verloren, sondem es wachst die akute Gefahr, daB sich die verschiedenen Teilrefor­men isoliert voneinander festfressen, die gesamtgesellschaftliehe Reform stagniert und die bloBe Lebenserhaltung des Gesellschaftskorpers und der Individuen zur alles dominierenden programmatischen Aufgabe wird. Der Entwicklungshorizont dieses Ausweges aus dem Teufelskreis der Zwange besteht schlicht darin, daB die real exi­stierenden sozialistischen Gesellschaften zu modemen Kolonien der modemen biir­gerlichen Gesellschaften werden, da in einem vegetierenden Sozialismus keinerlei Voraussetzungen mehr bestehen werden, eine modeme Gesellschaft zu entwickeln.

Die eventuelle Perspektivefiir eine moderne Gesellschaft

Das Kemproblem dieser Chance lieBe sich auf folgenden kategorischen Imperativ bringen: Technische, okonomische und soziale Innovationsprozesse mussen durch die Individuen permanent in autonomen Formen personlichkeitszentriert gekoppelt und menschheitlich ausgerichtet werden. »Personlichkeitszentriert« heiBt, direktes Ziel und unmittelbarer Zweck der gesamtgesellschaftlichen Produktion und Repro­duktion kann nicht mehr die standige Erweiterung und endlose Ausdifferenzierung eines ressourcenverschlingenden Warenkosmos sein, sondem ins Zentrum ruckt die Personlichkeit des Einzelnen, die Entfaltung seiner Individualitat und Kreativitat, die Entwicklung seiner Potenzen und die Revolutionierung seiner Bedurfnisse. »Mensch­heitlich ausgerichtet« bedeutet, daB die MeBlatte fiir den Inhalt der technischen, oko­nomischen undsozialen Innovationsprozesse und fUr die Art und Weise ihrer Ver­kntipfung weder im Nabel realsozialistischer Gesellschaften noch in der Entwick­lungslogik der universellen Vermarktung zu suchen ist, sondem nur im globalen Feld der ungelOsten weltgesellschaftlichen Probleme. Mit einer Innovationsdynamik, die sieh im Kem lediglich auf ein kurzatmiges Hinterherhasten und einen modifizierten Nachvollzug bereits angelaufener Innovationsprozesse beschrankt, gewinnt ein mo­demer Sozialismus keine weltgesellschaftliche Perspektive. »Durch die Individuen« meint, daB diese nicht hinter ihrem Rticken und tiber ihren Kopfen hinweg als leben-

20 Lutz Marz

dige Objekte in eine fremdgesteuerte Innovationsdynamik eingepaBt werden, son­dern daB sie als Subjekte in kooperativen Formen sowohl die Innovationsprozesse in ihren Alltagswelten als auch in der Gesamtgesellschaft eigenverantwortlich steuern konnen undmtissen. »AutonomeFormen«, zielt darauf, daB das Problem der Ftihrung und Leitung der Innovationsdynamik nicht mehr in Modellen eines Zentrums - ob nun als »Spitze einer hierarchischen Pyramide« oder als »Mitte einer pluralistischen Ku­gel« vorgestellt- gedacht und gelost werden kann. Worum es geht, ist die massenhafte Herausbildung und systematische Entfaltung von individuellen und kollektiven Ko­operations- und Koordinationsleistungen. Diese dritte Entwicklungsriehtung ware wederein Umweg, noch eine Sackgasse, son­dern ein tatsaehlicher Ausgang aus dem Teufelskreis der Zwange, eine Perspektive. Doch gerade diese Perspektive mutet illusorisch an, da sie zunaehst theoretisch ab-

politisch radikal und okonomisch destabilisierend, kurzum, utopisch und un­realistisch erseheint. Wer sieh jedoch dieser Variante verschlieBt, muB sich entweder zwischen den beiden ersten entseheiden oder prinzipiell neue aufzeigen. Meines Eraehtens fallen gerade jetzt, in diesen Monaten, flir uns Mogliehkeit und Notwen­digkeit zusammen, uns aus dem argumentativen Kerker der false hen Alternative »ent­weder sozialistische Identitat und okonomisehe Stabilitat oder Reformradikalitat« herauszuarbeiten. Eine produktive gesamtgesellschaftliche Strategiediskussion zur effizienten Okonomie einer modernen Gesellschaft wird sich nur auf dem Terrain »ldentitiit und Stabilitiit durch Radikalitiit« entfalten lassen.

Die grundJegende ....,v",""u",.,. n ....... .,';;;, - weltgeseUschaftlicher Horizont statt provinzieHer Nabelschau

Die gegenwartigen Diskussionen urn eine grundlegende Wirtsehaftsreform und eine neue Okonomie seheinen mir vor aHem an provinzieller Nabelsehau denn den MaBstab, aus dem die Pradikate »grundlegend« und »neu« abgeleitet werden, bil­den wesentlieh die okonomisehe Ideologie und die wirtschaftliche Praxis der real existierenden sozialistischen Gesellsehaften. Ich mochte dies an zwei Beispielen illustrieren: a: Das Problem der . Soweit ich es liberblicken, besteht weit-gehend Einigkeit nieht mehr in Form einer Kommandowirt-schaft betrieben werden daB sie also aus der sogenannten »administrativen Hand« befreit werden muE. Daraus erg eben sieh zwei grundlegende Proble-me: Erstens ware zu diese »administrative Hand«

sondem ist an einen bestimmten sozialen Wachsen dies em die »administrativen Hande« so schnell wie einer

die Unddienachst-Partei- und Mini­

an, trifft

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfiir eine offentliche Strategiediskussion 21

doch meines Erachtens nur einen Bruchteil der Wahrheit, denn es sind die eingetib­ten alltaglichen Denk - und Verhaltensmuster von Millionen, aus denen die Zellen die­ses sozialen Organismus bestehen. Angenommen, dieses Problem lieBe sich lOsen, ware dann zweitens zu entschieden, in welche »alternative Hand« die Okonomie zu legen ist. Und hier kreisen die Debatten urn zwei »Hande«, niimlich die »unsichtbare Hand« des Marktes und die »imaginare Hand« des »Selbst« bzw. »Eigen« der Wirt­schaftseinheiten, also etwa Selbstverwaltung, Selbstorganisation, Selbstregulierung oder Eigenerwirtschaftung, Eigeninitiative, Eigenverantwortung (Marz, 1989, S. 84 ff.). Die inhaltlichen Diskussionen bewegen sich dabei in einem Problemraum, der durch folgende drei Frageachsen definiert ist: Wie groBe und stark dtirfen diese oko­nomischen »Hande« tiberhaupt werden, damit man sie noch wirtschaftspolitisch im Griffbehiilt? Uber we1chen rein okonomischen Mechanismus lassen sie sich entfalten und in Gang setzen? Wie konnen sie von einem politischen Zentrum aus gesteuert, kontrolliert und diszipliniert werden? Gesucht wird mithin nach einem zentrallenk­baren okonomischen perpetuum mobile. b: Die Frage der Errungenschaften: Eine ganz Reihe von Begriffen, mit denen tiber unsere Okonomie und insbesondere deren Errungenschaften nachgedacht und disku­tiert wird, fungieren als Evidenzen, als nicht mehr hinterfragte Selbstverstandlichkei­ten. Da ware zum Beispiel derTerminus» Volkseigentum«. Und da einem bei dem Wort »Eigentum« auch »Eigenttimerverhalten«, »Aneignung« oder » Verftigungs- und Ent­scheidungsgewalt« einfiillt, konnte doch gefragt werden: Existiert tiberhaupt ein Ei­gentiimerverhalten des Volkes, verhalten sich die Millionen Werktatigenalltagspraktisch als Eigentiimer? Inwiefern konnen sich Betriebskollektive die Friichte ihrer Arbeit, zum Beispiel die Devisen des NSW-Export, (des Exports in »nichtsozialistische Wirt­schaftsbereiche« - die Redaktion), fiir ihre Produktion oder Konsumtion aneignen? We1che reale Verftigungsgewalt hat das Yolk tiber das produzierte N ationaleinkomrnen, in we1che volkswirtschaftlichen Entscheidungsprozesse ist es einbezogen? Gibt es tiberhaupt» Volkseigentum« oder handelt es sich hiernur urn eine Worthiilse, eine ideo­logische Fiktion? Oder nehmen wir eine der Hauptzielscheiben der Kritik, die »Pla­nung«, die angeblich unbedingt zu reduzieren ware. Existiert sie tiberhaupt, wo doch tagtaglich millionenfach in der Wirtschaftspraxis die UnplanmiiBigkeit als das Norma­Ie und Typische erlebt und durchlebt wird? Die Liste der Kategorien lieBe sich fort­setzen. Wenn einem dann nichts Rechtes mehr einfallen will, zieht man sich hiiufig in eine scheinbar unangreifbare soziale Bastion zurtick, indem man darauf verweist, daB es im Sozialismus wenigstens keine Massenarbeitslosigkeit gabe. Aber auch da bin ich mir nicht so sicher. Freilich, wir kennen keine Massenarbeitslosigkeit vom Arbeits­platz. Existiert aber nicht statt dessen eine Massenarbeitslosigkeit am Arbeitsplatz? Dieses Phanomen ist zwar bisher meines Wissens nicht zum Gegenstand systemati­scher Untersuchungen gemacht worden, doch lieBe es sich wie folgt grob umreiBen: Die Werktatigen stehen zwar in einemjuristisch giiltigenArbeitsrechtsverhiiltnis, das ihnen die vertraglich vereinbarten finanziellen Beztige in Form von Lohn oder Gehalt in voller Hohe sichert, doch dieses Arbeitsrechtsverhiiltnis ist ganz oder teilweise nur forme!!, da ree!! keine Arbeit geleistet wird. Zwei charakteristische Formen einer sol-

22 Lutz Marz

chen »Nieht-Arbeit« sind z.B. Anwesenheit und Beschaftigung. Eine Reduktion der Arbeit auf bloEe Anwesenheit oder kann vielerlei Ursaehen haben. Fehlen stunden-, sehiehten- oder tageweise Grund- oder bleiben Masehinen bzw. ganze Fertigungsabsehnitte so wird »gegammelt«, bis die Arbeitszeit beendet ist. Werden Leiter oder Ingenieure in und Entwick-

mit administrativ-btirokratischen tiberhauft, mtissen sie flir liberge-ordnete Dienststellen Meldungen absetzen und deren Nut-zen auch Einsichtigen dunkel bleibt, heiEt es, man

oder »denkt sich einen Nutzen aus«, und es wird von <UH_~F,LmM lll'--laIJIOv ge:,pr'Ochell. Es steht zu vermuten, daB eine

durch ihre rung der Personlichkeitsentwicklung individuell ahnliche wie die

",H.~U<M"~H yom Gesellschaften. Urn aus dem skizzierten halte ieh es flir zwin-gend notwendig, die verkrampfende Perspektive zu wechseln, den Kopf zu heben und die Nabelschau zu beenden, urn mit einem weltgesellschaftlichen Horizont an die Losung der aktuellen Aufgaben zu gehen. Und hier sehe jeh insbesondere folgende vier Ansatzpunkte: Ansatzpunkt 1: Die biirgerliche Gesellschaft als erste moderne Gesellschaft. Wollen wir aus unserer gegenwartigen Krise heraus den Aufbruch zu einer modernen Ge­sellschaft organisieren, dann brauchen wir tatsachlich praktikable und wirklich neue Losungen. Einen erfolgverspreehenden Suchraum flir solche Losungen bietet meines Erachtens nur die Praxis, Geschichte und Theorie moderner Gesellschaften, mithin die btirgerliehe Gesellsehaft als erste moderne Gesellschaft (vgl. BrieIBrielLand/ Segert 1988, S.13; Krtiger 1988, S. 94 ft.). Dieser allgemeine Ansatzpunkt laBt sich bereits innerhalb des marxistisch-leninistischen Denkhorizonts konkretisieren. Wenn namlich Lenin schreibt, »wir konnen uns keinen anderen Sozialismus vorstellen als den, der sich auf den Grundlagen aIler Lehren aufbaut, die die kapitalistische Kultur geschaffenhat« (LW, Bd. 27, S. 301) und wennerdaraufverweist, »daB es unmoglich

den Sozialismus aufzubauen oder einzuflihren, ohne bei den Organisationen der Trusts zu lernen« (LW, Bd. 27, S. 343), so sind damit zunachst zwei entscheidende Denk- und Handlungsrichtungen benannt, die auf ihre Aktualitat und Praktikabi1itat hin zu waren.

enI7n."nln 2: Die Konzerne und die universelle Personlichkeitsentwicklung als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz. Auch die Frage, was wir heute von den Organisationen der Trusts lernen laBt sich im Rahmen der Marxschen Theorie beantworten, denn flir die Okonomie der btirgerlichen Gesellschaft wird es, nach Marx, »zur Frage von Leben und Tod« (MEW, Bd. S. 512), die universelle Personlichkeitsentwicklung als »allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner Verwirkliehung die Verhaltnisse anzupassen.« Auch wenn diese Frage in den versehiedenen (humanistischen, theoretischen, ktinst­lerischen etc.) Diskursen der Gesellschaft zirkuliert und von dort zunehmend von auBen an die Okonomie herangetragen wird, so handelt es sich dennoch nieht um eine

Zu eineT modernen Okonomie deT DDR. LeitlinienfiiT eine offentliche Strategiediskussion 23

auBerokonomische Frage. Das Problem, die universelle Personlichkeitsentwicklung als allgemeines gesellschaftliehes Produktionsgesetz anerkennen und seiner Verwirk­liehung aIle anderen gesellschaftlichen VerhaItnisse anpassen zu miissen, ist im oko­nomischen Raum der biirgerlichen Gesellschaft entstanden, stellt sich in dessen All­tagspraxen und ist auch dort zu bewaItigen3• Wenn Toyota-Manager notieren, Arbeit hieBe »Menschen rundherum gliicklich zu machen« (Japan ManagementAssociation 1986, S. 10), wenn im Siemens-Konzern bei einer systemtechnischen Entwicklung der »Mensch als Mittelpunkt« (Charwat 1985, S. 386), zentrien: wird und des sen Ei­genschaften undAufgaben als »der giiltige MaBstab« fixiert werden, wenn sich exzel­lent gefUhrte US-amerikanische Unternehmen gerade dadurch auszeichnen, daB sie die »Investitionen in >human capital< fUr wichtiger als Kapitalanlagen aller anderen Art« (Hartmann 1987, S. 39) halten, die »Achtung vordem einzelnen« und die »Men­schen als wiehtigste Quelle der Produktivitats- und Qualitatssteigerung« nicht nur agitatorisch verkiinden, sondern als Coaching einer Face-to-face-Fiihrung, die mas­senhaft »die Kompetenz der Mitarbeiter anerkennen und starken« solI, alltagspr4-tisch entwiekeln, urn so »auch aus >durchschnittlichen< Leuten gute oder sogar sehr gute Mitarbeiter zu machen«, dann ist all dies keine Frage der Menschenfreundlieh­keit, sondern der Effektivitat und Innovativitat. Diese Konzernstrategien resultieren namlieh primar nieht daraus, daB zwischen Management und Werktatigen urn einen mehr oder weniger menschenwiirdigen Kurs durch das weite Quellgebiet der wirt­schaftlichen Effizienz gerungen wird, sondern diese Strategien werden dadurch do, minant, weil andere Quellen der Effizienzsteigerung tendenziell versiegen. Moderne Gesellschaften stehen namlich vor der Aufgabe, den zweiten groBen menschheitshi­storischen Dominanzwechsel innerhalb der Pr?duktivkrafte, also den Ube-rgang von Produktivkraften der gesellschaftlichen Arbeit zu allgemeinen gesellschaftlichen Produktivkraften, durch einen Dominanzwechsel von der klassenantagonistischen zur gesamtgesellschaftlich bewuBten Art und Weise ihrer Hervorbringung und Ent­faltung zu bewaltigen (Kruger 1988, S. 104). Und die okonomische Dimension dieser Aufgabe besteht eben imDominanzwechsel des allgemeinen gesellschaftlichen Pro­duktionsgesetzes. Geradehier kann und muB eine gemeinsame enge Zusammenarbeit ansetzen, denn die okonomische Leistungskraft einer Gesellschaft wurzelt letztlich nicht in den toten apparativen Gehliusen einer sich selbst erzeugenden Supertechnik, sondern in der massenhaften Leistungsmotivation, -bereitschaft und -flihigkeit der Produzenten und in der Effektivitat ihres alltaglichen kooperativen Zusammenwirkens. Ansatzpunkt 3: Die globale Synchronisation lokal effektiver Losungen. Das okonomi­sche Hauptproblem moderner biirgerlieher Gesellschaften wird in den nachsten J ah­ren vor allem darin bestehen, die skizzierten vielfaItigen, lokal effektiven Anerkennt­nis- und Anpassungsleistungen global, im System der nationalstaatlich organisierten Gesamtgesellschaft, ja der Weltgesellschaft zu synchronisieren, denn lokal stabile Losungen werden oft auf Kosten anderer gesellschaftlicher Teilsysteme und zu La­sten der Gesamt- und WeItgesellschaft realisiert. Die dadurch erzeugten Instabilita­ten wirken nicht nur als Sachzwange auf die Teilsystem zuriick, sie stellen dariiber

24 Lutz Marz

hinaus perspektivisch die Existenz der bereits vorhandenen Anerkenntnis- und An­passungsleistungen in Frage. Bereits einige hinlanglich bekannte Stichworte aus dem allHiglichen Diskurs der Katastrophen, wie etwa Hochrtistung durch Hochtechnolo­gie, Gentechnologie und Medienkultur oder Okologie, Elend in der Dritten Welt und Drogensucht, verweisen auf die menschheitliche Dimension dieses ~UOU'"H""'v"Hv"'E,". Dieses Problem wird sich nur lOsen lassen, wenn es gelingt, Natur-, Technik­und Gesellschaftswissenschaften in einer bewuBten Art und Weise als Produktivkrafte hervorzubringen und zu ent­falten. Diese Aufgabe ist nieht in ferner wer dies nieht vermag, der wird in dennachsten zehn bis in eine obere Und dieses Problem wird sich

der universellen Ibsen lassen. Die Reproduktion der

ob es die Wissenschaft so aus den Marktmechanismen und Maehtdispositiven herauszulosen, daB sie als Pro­duktivkraft mensehheitlieh assoziierter Produzenten wirksam werden kann. Diese Aufgabe steht sowohl vor den modernen btirgerlichen als aueh den reaJ existierenden sozialistischen Gesellschaften. Hier liegen Chaneen und Zwange flir eine enge Ko­operation. Ansatzpunkt 4: Die 61wnomie zwischen Markt und Macht. Die Okonomie moderner Gesellschaften ist der Gegenstand vieWiltiger kontrarer und sich tiberlagernder und durchdringender Diskurse. Wer diese Vielfalt der verschlungenen Diskurslinien verfolgt, gelangt immer wieder an einen gemeinsamen Ausgangs- und

>U,"'HfJU!"U". In diesem Punkt treffen sich auch die Grabensysteme der traditionellen Kontroversen wie etwa btirgerliche kontramarxistisehe, konservative versus progres­sive, wider abstrakte Okonomie. del" Diskurse im Feld ihrer Evidenzen liegt, ist die Vorstellung von der Topologie der ,-,,,"u,,,uu

(BoltjanskijlEfremovic 1986, S. 6; Althusser 1977, S. 133 Eine derartige Vorstel-basiert auf folgenden drei Grundannahmen: Erstens wird in der Ge-

sellsehaft existierten nichtOkonomisehe das heiBt isolierte abgegrenzte Teil- oder Auch wenn sie als mit dem okonomisehen Raum werden und

wenn dieser auch in sie so handelt es sieh doch stets urn denen das '-'~,V"V'HlC'"lJ'~ letztlich auBerlich ist. Als solche nichtokonomischen Raume werden etwa Politik und

Zweitens wird angenommen, es einen besonderen nomische der Gesellschaft existiert. Man mag dann dartiber wie eng oder

Grenzen dieses Bereiehes

Zu einer modern en Okonomie del" DDR, Leitlinienjiir eine iiffentliche Strategiediskussion 25

ner von anderen gesellschaftlichen Raumen isolierten Entitat. Drittens schlieBlich wird der okonomische Raum der Gesellschaft mit ihrer Wirtschaft identifiziert. Wenn von »Okonomie« gesprochen wird, so geschieht dies stets in Verbindung mit einem bestimmten Sektor der Gesellschaft, namlich im Zusammenhang mit Industriebetrie­ben und Aktiengesellschaften, mit der Energie- und Landwirtschaft, mit Banken und Genossenschaften, mit dem Verkehrs- und Bauwesen, mit den und

UjJ'.Hl"QHUvl'~b\~~vUs(~h<l1t(m etc. - mit der Wirtschaft der Gesellschaft. Auch wenn und »Wirtschaft« vielleieht nieht vollig identifiziert wer-

so wird doch angenommen, es reiche hin, die Wirtsehaft zu urn die Oko-nomie in den Griff zu bekommen. 1m Rahmen dieses Denkmodells wird dann darUber M~'''H''vJ'', ob und wie die tiber Marktmeehanismen und/oder liber Macht­

,enAQ,,.,,,,,,, effizient und gesellschaftlich vertraglich gemacht werde kann. Eben die-O'PT'"rI"711 paradigmatische in dessen Rahmen sich nicht nur das

ten)re1tatlOn(~n(Stiehler

. Pokrytan 1981, S. 53; Kusminow 1976, S. 547 ff.) und die Konzepte profilierter btirgerlicher (Luhmann 1988) und marxistischer (Krtiger 1988, S. 102) Theoretiker der modernen Gesellschaft, sondern auch die bisher entwickelten und Reformprogramme sozialistischer Lander (vgl. Gorbatschow 1987 a; 1987 b; 1988; 1989; KPdSU 1987; 1988; Schmeljow 1989) bewegen, warejedoch mindestens aus zwei Grunden zu hinterfragen: Erstens ist jede technische, organisato­rische, finanzielle, Planungs-, Kontroll- oder sonstige Struktur in der Wirtschaft im­mer auch zugleich ein spezifisches Machtdispositiv, das heiEt eine besondere Ver­kntipfung der drei Handlungsebenen Wissen (Theorie), Fuhrung (Ideologie) und Herrschaft (Politik) (vg1. Linhart 1980; Marz 1988, S. 25 ff.). Die Wirtschaft laBt sich also schwerlich als homogener, rein okonomischer Raum vorstellen. Zweitens, und dies wird insbesondere beim Problem der Produktion und Reproduktion der indivi­duellen und kollektiven Arbeitskraft deutlich, kann Okonomie nicht auf Wirtschaft reduziert werden. Es ist wohl offensichtlich, daB dieser ProzeB nicht nUf in der Wirt­schaft ablauft, sondern weit dartiber hinausgreift, etwa in solche Bereiche hinein wie

UH,HH'vH, Krippen, Arrnee, Parteien, Massenorganisatio-Sozialversicherungen etc.

Dartiber hinaus ist daB mit einer per-Vel"ktirzUll1g der Arbeitszeit das Gewicht der Wirtschaft

flir die Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft tendenziell abnimmt. Hinzu ">.Vl,"''''', daB sich mit einer weiteren der nichtwirtschaftlichen Bereiche der Gesellschaft dieser Produktions- immer mehr

wird. Dies alles deutet darauf Gesellschaften weder lokal noch

urn ge moderner Gesellschaften.

U1<:onlonl1e moderner der bekannten

1\..CIOpenmCln zur Existenzfra-

26 Lutz Marz

Ausgehend von den skizzierten vier Ansatzpunkten wird es flir die DDR zwingend notwendig, in kiirzester Frist einen komplexen und irreversihlen Ubergang von Kon­Jrontations- zu Kooperationsstrategien zu vollziehen. Dies setzt voraus, daj] die ge­samtgesellschaftliche Programmatik und die offentliche Diskussion mit alier Konse­quenz darauf ausgerichtet werden.

Ein konkreter Vorschlag - erste Umrisse eines integrierten KooperationsmodeUs in del' Wirtschaft

Wenn die gesamtgesellschaftliche Programmatik strikt von Konfrontations- auf Ko­operationsstrategien umgestellt wird, so muB die wirtschaftspolitische Strategiedis­kussion yom zogerlichen Stellen der »Ob-Fragen« durch Experten auf eine offentliche, alle gesellschaftlichen Gruppen einschlieBende Antwortsuche auf die» Wie-Fragen« ausgerichtet werden: Wie erfolgt eine Umschuldung der Auslandsverbindlichkeiten, wie wird die DDR IWF-, Weltbank- und EG-Mitglied, wie kann die Wahrungskon­vertibilitat hergestellt werden, wie lassen sich Kombinate in Aktiengesellschaften um­wandeln, wie wird auslandisches Kapital geschiltzt, wie konnenAktien erworben wer­den, wie lassen sich Gemeinschaftsbanken und -untemehmen grilnden, wie konnen gemeinsame Wissenschafts!Produktionskomplexe und Technologieparks entwickelt werden, wie kann ein durch die BRD finanziell gestutztes Modemisierungsprogramm der Wirtschaft aussehen, wie k6nnen die verschiedenen Interessenvertretungen der Ar­beiter, Angestellten und Konsumenten zusammenarbeiten, wie kann auslandisches Kapital flir Reinvestitionsstrategien motiviert werden, wie kann ein Arbeitskrafte­transfer aussehen usw. usf.? Sozialistische Politik muB sich darin bewahren, die Dis­kussion der Expertenkulturen - angefangen von den Produzentenkollektiven tiber die Wirtschaftspolitiker bis hin zu den Wirtschaftswissenschaftlem - so in Gang zu setzen und zu synchronisieren, daB produktive L6sungsvorschJage erarbeitet werden, die all­seits konsensfahig sind. Unverzichtbar isthierbei die Forderung von 6jfentlichkeitund Einzel- bzw. Kollektivinitiativen. Die ersten Umrisse eines integrierten Kooperationsmodells in der Wirtschaft lief:len sichin folgenden drei Grundlinien skizzieren: Die notwendigen Voraussetzungen: Diese k6nnen wie folgt zusammengefaf:lt werden: a) Sowohl die gesamtgesellschaftlichen als auch die zentralen und dezentralen wirt­

sehaftspolitischen Denk- und Handlungsstrategien mussen von del; grundlegen­den Einsieht bestimmt sein, daB der einzig erfolgversprechende Ausgang aus dem Teufelskreis der Krise in der Kooperation mit modernen burgerJichen Gesell­schaften, insbesondere mit der BRD besteht. Diese Kooperationsehance darf nicht durch taktische oder instrumentierende Hintergrundstrategien werden, die von der Illusion diktiert sind, sich durch einseitige wirtsehaftliche Hilfeleistun­gen des Partners aufhelfen zu urn dann wieder irgendwann auf Konfronta­tion zuruckzuschalten.

b) Kooperationsstrategien durfen nieht als krisendiktierte schmerzliche und defensi-

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfur eine 6ffentliche Strategiediskussion 27

ve Notlosungen angesehen werden, die man widerwillig entwickelt und durch­setzt, weil einem nichts anderes mehr ubrigbleibt. Die Notwendigkeit, von Kon­frontations- zu Kooperationsstrategien uberzugehen, erwachst aus globalen (For­schungsprojekt »Sozialismustheorie«, 1989) und strategieimmanenten (Axelrod 19158, S. 99 ff.) Zwangen. Sozialistische Potentiale lassen sich nur in Koopera­tionsmodellen mit modemen burgerIichen Gesellschaften entfalten.

c) Wirtschaftspolitische Kooperation IaBt sich nicht einseitig in hierarchischer Schrittfolge von oben nach unten durchsetzen. Sie kann sieh vonAnfang an nur im Zusammenwirken von »Top-Down« - (von oben nach unten) und »Bottom-Up« - (von unten nach oben) Strategien durchsetzen. Dies erfordert erstens, darauf zu verziehten, auf Basis der tradierten Sozialismusparadigmen aIle wirtschaftspoli­tischen Ost/West-Kooperationen mit einer liberalisierten »administrativen Hand« von irgendeinem Zentrum aus steuem zu wollen. Dezentrale Kooperationsinitia­tiven sind nicht zu blockieren oder nur stillschweigend zu dulden, sondem offent­lich herauszufordem und zu fOrdem. Auf der Ebene der zentralen Wirtschaftspo­litik mussen funktionsfahige Organe der Koordination und Synchronisation dieser Initiativen geschaffen werden, in denen Vertreter der je verschiedenen Interessen­gruppen aus der BRD und der DDR zusammenarbeiten. Zweitens bedeutetdies fUr die Wirtsehaftseinheiten, insbesondere fur die Leitungen der Betriebe und Kom­binate, ihren durch jahrzehntelange Befehlswirtschaft zusammengeschrumpften Denk- und Handlungshorizont aus eigener Kraft durch selbstlindige Koopera­tionsinitiativen zu erweitem. Ein Leitungsstil, der sich lediglich darauf be­schrankt, von oben vorgegebene und abgesegnete Musterder Ost/West-Koopera­tion auszufullen oder zu modifizieren, reproduziert nur die alten Strukturen in neuem Gewand. Dringend notwendig ist die Entwicklung unterschiedlichster de­zentraler Kooperationsmodelle, urn in diesem Pool gesamtgesellschaftlich effek­tive Selektionsstrategien ansetzen zu konnen.

d) In der BRD existiert ein programmatischer VorIauf fur die Gestaltung wirtschaft­lieher Kooperationsformen (SchwartauIMuller 1989). Hier gilt es zunachst anzu­knupfen. Zugleich mussen jedoch aIle Anstrengungen untemommen werden, urn dieses programmatische Defizit durch eigene komplementare undfoder altemati­ve Konzeptionen zu schlieBen. Diese Aufgabe lieBe sich durch die kollektive Zu­sammenarbeit von Wirtschaftspraktikem und -theoretikem aus der BRD und der DDR in problemspezifischen Projektgruppen bewaltigen.

Die allgemeine Richtung: Aus einer allgemeinen Theorie der Kooperation (Axelrod 1988, S. 99 ff.) lassen sich mindestens folgende vier grundsatzliche Hauptrichtungen ableiten, entlang derer effektive wirtsC;haftliche Kooperationsformen entwickelt wer­den mussen: a) Die Stabilitat der Kooperation in der Gegenwart ist eine Funktion der Kooperation

in der Zukunft. In dem MaBe, wie das Ende einer Kooperation konkrete Gestaltge­winnt und foder der aktuelle Vorteil fUr wichtiger angesehen wird als der kunftige, destabilisiert sich Kooperation, weil fur beide Partner jene Handlungsstrategien effektiver werden, die sich daraufkonzentrieren, aus der Zusammenarbeit no.ch so

28 Lutz Marz

viel wie maglich fUr sich herauszuholen. Keine Form von Kooperation ist stabil, wenn nichtdie Zukunft im Verhaltnis zur Gegenwart hinreiehend wichtig ist. Wirt­schaftliche Kooperationen mussen so s(rukturiert sein, daB der Schatten der Zu­kunft nicht abnimmt, sondem mindestens konstant bleibt, sich maglichst sogar in der Kooperation vergraBert. Es gibt drei grundsatzliche Verfahren, den Schatten der Zukunft zu erweitem, erstens durch Dauerhaftigkeit (Bildung von »joint ven­tures«, Kauf von Aktien etc.), zweitens durch Haufigkeit (ErhOhung der Anzahl der gemeinsamen Wirtschaftsaktionen) und drittens durch Komplexitat (Einbe­ziehung maglichst vieler Ebenen der kooperativen Wirtschaftseinheiten in diesen ProzeB). Konkrete Kooperationsprojekte mussen strategisch, eng und demokra­tisch, nieht kurzfristig, locker und elitar konzipiert und realisiert werden.

b) Die Stabilitat der Kooperation ist eine Funktion ihrer Reziprozitat. Wirtschaftli­che Kooperationsprojekte mussen so strukturiert sein, daB sie nieht auf der Aus­beutung der Schwachen des anderen, sondem auf der wechselseitigen Nutzung der jeweiligen Starken basieren. Das gemeinsame Herausfinden der jeweiligen ak­tuellen und potentiellen Starken und Schwachen beider Kooperationspartner ist deshalb unverzichtbar fUr die Herausbildung wirtschaftlicher Kooperation. Ko­operationsstrategien, die von den Traumata »armer Neffe/reieher Onkel« oder »dummer Schtiler/kluger Lehrer« gesteuert werden und nur darauf fixiert sind, mit minimalem Einsatz ein Maximum an harter Wahrung und technischem bzw. orga­nisatorischem Know-how zu realisieren, sind deshalb von vomherein zum Schei­tern verurteilt. Die Frage, worin die eigenen Starken bestehen und wie sie dem Partner in der Kooperation nutzbar gemacht werden kannen, ist selbstandig und offensiv zu beantworten.

c) Die Stabilitat der Kooperation ist eine Funktion der Starke der Kooperationspart­nero Nehmen bei einem Partner seine Schwachen zu und seine Starken ab, schlagt Kooperation in Kolonisation urn und der Schatten der Zukunft verringert sieh. Kann die Beziehung nicht ohne weiteres gelOst werden, so verliert dabei tenden­ziell auch der Starkere, wie die Beziehung zwischen entwickelten Industrielan­dem und Entwieklungslandem bei so1chen Problemfeldem wie tropischer Regen­wald oder Auslandsverschuldung hinreichend deutlich macht.

d) Die Stabilitat der Kooperation ist eine Funktion der Hilfe zur Selbsiliilfe. Die Hilfe fUr einen schwachen Kooperationspartner kann, wenn sie effektiv sein solI, nie karitativ sein. Nurwenn sie so angesetzt und darauf ausgerichtet ist, daB der schwa­che Partner selbst seine spezifischen Potenzen aktiviert und entfaltet, wird sie er­folgreich sein. Qualitat und Quantitat der Hilfe eines Partners mussen also an die Bereitschaft und Fahigkeit des anderen gekoppelt werden,jene Strukturen zu ver­andem, die Selbsthilfe verhindem. Die konkreten Kopplungsmodelle kannen da­bei nicht einseitig durch den Hilfeleistenden diktiert, sondem mussen durch beide Partner kollektiv abgestimmt werden. Dies setzt voraus, daB der schwache Partner selbst konsensfahige Modelle erarbeiten kann.

Der komplexe Inhalt: Wirtschaftlieh und gesamtgesellschaftlich effiziente Koopera­tionsprojekte kannen nicht in Form von »Zwei -Ebenen-Modellen« realisiert werden,

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfur eine offentliche Strategiediskussion 29

die die Kooperation auf die finanzieIle und die technische Dimension reduzieren. Mindestens folgende vier Kooperationsebenen mussen bei der Konzipierung und Realisierung konkreter Projekte mit beriicksichtigt werden: a) SoIl ein Kooperationsprojekt fur beide Partner wirtschaftlich effektiv sein, sind

technisch-technologische und organisatorische Umstrukturierungen in den Wirt­schaftseinheiten unvermeidlich. Je breiter, tiefer, Hingerfristig das Kooperations­projekt angelegt ist, desto einschneidender wird der UmstrukturierungsprozeB sein. Dies muB zwangslaufig zu sozialen Konflikten, neuen Problemfeldern und Widerspriichen zwischen den verschiedenen Interessengruppen fUhren. Diese Konflikte, Probleme und Widerspriiche bedurfen produktiver Losungsformen, wei! sie sonst die notwendigen Umstrukturierungsprozesse und damit letztlich die wirtschaftliehe Effizienz des Kooperationsprojektes zeitweilig blockieren oder gar ganzlich verhindern. Diese Losungsformen mussen, so weit wie irgend mog­·lich, auf der Basis vorhandener Erfahrungen offensiv vorbereitet und kollektiv ausgestaltet werden. Es geht also nieht nur urn Geld- und Technik -Transfer, son­dern ebenso urn den Transfer von sozialem »Know-how«.

b) Da so1che Ost/West-Kooperationsprojekte zwangsIaufig qualitativ neue soziale Problemfelderund Konfliktebenen erzeugen werden, ist damit zu rechnen, daB das traditioneIle soziale »Know-how« nicht ausreiehen wird, urn fUr aIle Widersprii­che die notwendigen produktiven Losungsformen zu entwiekeln. Es empfiehlt sieh deshalb, von Anfang an Sozialwissenschaftler aus Ost und West mit konkre­ten, problemorientierten AufgabensteIlungen in die Kooperationsprojekte einzu­beziehen. Selbst wenn die Forschungsarbeit fUr das unmittelbare Projekt aufgrund des qualitativ neuen Forschungsgegenstandes nur beschrankt praxiswirksam wird, kann eine begleitende Studie notwendigenkonzeptioneIlen Vorlauffur kunf­tige Projekte schaffen und als soziales »Know-how« verkauft werden (Heider/ Mevissen/Bluem 1988).

c) Auch wenn die notwendigen technischen und organisatorischen Umstrukturie­rungsprozesse und die daraus resultierenden sozialen Konfliktfelder vermutlich zunachst schwerpunktrnaBig den DDR-Partner betreffen werden, so sind davon direkt oder indirekt auch die verschiedenen Interessengruppen der westlichen Wirtschaftseinheit betroffen. Die Institutionalisierung einer kooperationsinternen Interessenkoordinierung ware deshalb ein unverzichtbarer Bestandteil eines Ko­operationsprojekts. AIlein ein Blick auf das gegenwartige Niveau der betriebli­chen Gewerkschaftsarbeit in der DDR, die denAnforderungen an eine qualifizier­te Interessenvertretung der Werktatigen unter den Bedingungen tiefgreifender Umstrukturierungsprozesse selbst bei groBen Anstrengungen kurz- und mittel­fristig nicht gewachsen sein wird, macht die Notwendigkeit deutlich, die je ver­schiedenen Interessen (DDR -Leiter, DDR -Werktatige, BRD-Management, BRD­Werktatige) so zu vermitteln, daB nicht spontan entstehende Ubereinstimmungen (etwa DDR-Leiter, DDR-Werktatige, BRD-Management) negativ riickkoppeln (Tarifdruck auf BRD-Werktatige durch DDR-BilliglOhne), sich gesamtgesell­schaftlich verdichten und sozial destabilisieren.

30 Lutz Marz

d) J edes konkrete Kooperationsprojekt realisiert sieh in einem gesamtgesellschaftli­chen und gesamtwirtsehaftliehen Umfeld. Seine Effizienz hangt von der Stabilitat dieses Umfeldes abo Jedem Kooperationsprojekt wohnt notwendig die Tendenz beider Partner (einsehlieBlieh der verschiedenen Interessengruppen) befrie­digende Uisungen zu Lasten dieses Umfeldes zu realisieren. Gewinnen diese Ten­denzen verschlechtern sich nicht nur die auBeren Rahmenbedingungen flir das konkrete Kooperationsprojekt, es konnte sogar selbst zerbrechen. Koopera­tionsexterne Interessenkoordinierung somit auch im Interesse der einzelnen Kooperationspartner. Gesetzt namlich den Fall, die verschiedenen Kooperations-

wirken gesamtgesellschaftlich flir die DDR so wiirde dies - unter der Voraussetzung, daB die BRD nieht der DDR die Mauer abkauft-zu einer Massenflucht in einem bisher nicht bekannten AusmaB flihren.

Ausgehend von den skizzierten drei Grundlinien eines dells besteht nun die Aufgabe funktionsfahige

V gl. Doyle, A.C.: Das Notizbuch des Sherlock Holmes. Samtliche Sherlock-Holmes-Erzahlungen V. Leipzig/Weimar 1986. Letzte Einbandseite /sinngemaB: S. 69). Es mag zuniichst mehr als untelwaBig erscheinen, ausgerechnet Sherlock Holmes in den brisanten Kontext einzufiihren, doch es war kein Geringerer als Umbel10 Eco, der in einem Interview mit einer franzosischen Zeitschrift erkliirte, er arbeite an einer »Untersuchung liber die Analogien zwischen dem Kriminalroman von Conan Doyle und dem ProzeB der wissenschaftlichen Hypothese« (vgl. Fusco 1986, S. 384).

2 Ausgehend von Gramsci (1980, S. 277 f.) und Lenin (vgl. LW Bd. 1 (1974), S. 302, LW Bd. 6 (1973) S. 180) lieBe sich eine Machstruktur zunachst grob als eine spezifische Verkntipfung dreier Hand­lungsebenen beschreiben, namlieh Wissen (Theorie), Fu~ren (Ideologie) und Henschen (Politik). Machtausubung ist die Fremdsteuerung von Verhalten, wobei auf der Basis eines (auch verkorperten Erfahrungs-) Wissens i.iber die jeweilige Machtstruktur Strategien der extern en (Herrschaft) und internen (Flihrung) Verhaltenssteuerung - durehaus nieht unbewuBt - entwickelt und angewandt werden (vgl. Marz 1988).

3 Wenn Marx mit Blick auf die moderne btirgerliche Gesellschaft notiert, »die automatische Fabrik beseitigt die Spezialisten und den Fachidiotismus« (MEW Bd. 4, S. 157), so bestiitigt gegenwiil1ig gerade die massenhafte Durchsetzung der Compnter-Techniken dies en Trend. Computer-Techniken erfordem namlieh »Ausbildungsgange zum >Produktionsmechaniker<, zum >Hybridfacharbeiter< oder zum >Mechanikerin der Fertigung<. Ganz egal, wie diese Berufsbezeichnungen nun im einzelnen heiBen mogen: Gefragt ist klinftig kein >Fachidiotentum<, sondem fachi.ibergreifendes Denkcn ... Hier

. einige wiehtige Anforderungen an die Mitarbeiter in modernen Fertigungsbetrieben: Die dispositi­yen, planerischen Fahigkeiten sind mehr denn je gefordert. Dies gilt besonders fUr gruppenorientierte Produktionsstrukturen, wie flexible Fertigungssysteme, die durch Reduzierung bzw. vollige Aufhe­bung der vertikalen Arbeitsteilung gekennzeichnet sind. Vorausschauendes Denken ist notwendig. Insbesondere bei Sti:irsituationen gilt es, Alternativen zu suchen. Kooperation und Kommunikation im Team ist unabdingbar, da eine CIM-Fabrikja nicht von einer >Schaltzentrale< ans bedienbar ist«. (Chip, Heft 9/1988, S. 304) Zur differenzierten empirischen Analyse dieses Trends in der BRD siehe z.B. auch die Untersuchungen des SOFI Giittingen (vgl. Kern/Schumann 1976: Vosskamp/Witte­mann/Wittke 1989; Kern/Sabel 1989, S. 602 ff.)

Zu einer modernen Okonomie der DDR. Leitlinienfur eine offentliche Strategiediskussion 31

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~ichael Burawoy Uberlegungen zurn Klassenbewu6tsein ungarischer Stahlarbeiter *

33

ZusammenJassung: DemAuJsatz liegt die These zugrunde, daj3 das Klassenbewuj3t­sein von Arbeitern in staatssozialistischen Gesellschaften durch den Widerspruch zwischen der rituellen BekraJtigung sozialistischer Ideale und der im betrieblichen Alltag eifahrenen Wirklichkeit gepragtwird. Unter bestimmten Umstanden kann die­ses Bewuj3tsein zur Revolte Jiihren. Dieses spezifische Klassenbewuj3tsein wird am Beispiel von Arbeitern eines ungarischen Stahlwerks, in dem der Autor einige Zeit gearbeitet hat, dargestellt.

Die »Neue Evolution« basiert auf dem Glauben an die Macht der Arbeiterklasse, die mit ihrer Unnach­giebigkeit die Regierung bei vie len Gelegenheiten zu spektakuliiren Zugestiindnissen gezwungen hat. Es ist schwierig, Entwicklungen innerhalb der Arbeiterklasse vorherzusehen, aber es ist keine Frage, dafl die Machtelite diese soziale Gruppe am meistenforchtet. Der Druck durch die Arbeiterklasse ist eine not­wendige Bedingung der Evolution des 6ffentlichen Lebens hin zur Demokratie.

Adam Michnik, 1976

Der klassische Marxismus bewahrte sich einen grenzenlosen Glauben in die Arbei­terklasse als Trager revolutioniirer VerheiBung. Aufgrund ihrer objektiven Position innerhalb der kapitalistischen Produktion enthtillt die Arbeiterklasse die Ketten aller unterdrtickten Klassen. Ihre revolutioniire Mission ist es, diese Ketten durch die Uberwindung des Kapitalismus und die Errichtung einer klassenlosen kommunisti­schen Gesellschaft zu sprengen. Durch seine eigene Emanzipation emanzipiert das Proletariat die gesamte Menschheit. Dieser Mythos einer unverrneidlichen, teleolo­gischen Entwicklung von der Klasse an sich zur Klasse ftir sich basiert auf zwei Thesen. Die erste ist die Polarisierungsthese. Der Kapitalismus kombiniert den privaten Besitz an Produktionsmitteln mit der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit. Indem die Kapitalisten tiber ihr Kapital verftigen, werden die Arbeiter, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen kannen, in den Fabriken zusammengebracht, wo die Arbeits­teilung ihre Einheit durch gegenseitige Abhangigkeit herstellt. Hier bilden sie einen Gesamtarbeiter, der fiihig ist, unabhiingig von seinem Arbeitgeber zu produzieren. Durch die Konkurrenz werden die einzelnen Kapitalisten gezwungen, die Produk­tionskosten zu senken. Sie ktirzen die Lahne, intensivieren die Arbeit und ftihren neue Technologien ein, die die Arbeiter auf ein Anhiingsel der Maschine reduzieren oder in der Reservearmee der Arbeitslosen verschwinden lassen. Die J agd nach dem Profit fiihrt zur Verarmung der Arbeiter, so daB die Kapitalisten keine Konsumenten mehr

* Der Aufsatz erschien zuerst in Politics & Society, Vol 17, No 1/1989. Er wurde leicht gekiirzt.

34 Michael Burawoy

fiir ihre Produkte finden konnen. Wiederkehrende Uberproduktionskrisen fUhren zum Bankrott der schwacheren Kapitalisten, und mit der Konzentration des Kapitals ver­schwinden auch die Mittelschichten. Der Reichtum akkumuliert an dem einen Pol der Gesellschaft, die Armut an dem anderen. Die Polarisierungsthese zieht nur die objektiven Bedingungen der Arbeiterklasse in Betracht, das Anwachsen der Klasse an sich. Arbeiter bilden eine Klasse fUr sich, wenn sie sich, urn ihre Interessen in der politischen Arena zu verwirklichen, zusam­menschlieBen, urn zunachst Gewerkschaften, dann politische Parteien zu griinden. GemaB der Klassenkampfthese wirkt der Klassenkonflikt den isolierenden und ato­misierenden Effekten der Konkurrenz zwischen den Arbeitem entgegen und entmy­stifiziert die Klassenverhaltnisse. Die Arbeiter erkennen, daB ihre eigenen Interessen und die des Kapitals unversohnlich sind und daB sie, als Kollektiv, autonom die Pro­duktionsmittel und den ProduktionsprozeB in Gang halten konnen. Kurz, der Klassen­kampf spitzt sich immer weiter zu, bis die Arbeiter die Kapitalisten enteignet und das Konigreich des Sozialismus errichtet haben. Gegenwartige Klassentheorien nehmen die eine oder die andere der beiden Thesen zumAusgangspunkt. Einige, wie Erik Olin Wright, kritisieren die Polarisierungsthese mit Theorien zur »Klassenposition«, die sowohl innerhalb als auch auBerhalb des Lohnarbeitsverhaltnisses definiert wird.! Wright bemiiht sich, mit diesen neuen Ka­tegorien die unterschiedliche Verteilung von Klassenidentitat, KlassenbewuBtsein und Einkommen innerhalb und zwischen kapitalistischen Gesellschaften zu erklaren. Zur Erklarung des KlassenbewuBtseins fiihrt er Klassenallianzen und familiare Be­ziehungen als vermittelnde soziale Formen ein. Da er aber voraussetzt, daB das objek­tive materielle Interesse der Arbeiter im Sozialismus liegt, miiBte er,innerhalb eines theoretisch konsistenten$chemas, die Arbeiterklasse neu definieren, urn eine Uber­einstimmung zwischen Klassenposition und KlassenbewuBtsein zu erreichen. Er stellt sich allerdings nicht dem Problem, daB die wie auch immer definierte Arbeiter­klasse, in keiner kapitalistischen Gesellschaft revolutionar ist. Wahrend sich Wright von der »Klasse an sich« zur »Klasse fUr sich« bewegt, gehen andere in die entgegengesetzte Richtung und kritisieren die Marxsche Klassenkampf­these. N ach Adam Przeworski fUhrt der Klassenkampf - statt in eine sich steigemde Spirale - zu Konzessionen, Klassenkompromissen und Befriedung, da die Arbeiter in der Lage sind, innerhalb des Kapitalismus ihre materiellen Interessen durchzusetzen.2

Die restliche Mobilisierung wird von »Makroakteuren«, insbesondere Parteien und Gewerkschaften verwaltet. Diese verfolgen ihre Strategien innerhalb der Spielregeln kapitalistischer Demokratien, wobei sie die verschiedenen Berufsidentitaten zurecht­stutzen und in soziale Gruppen biindeln. Damit erklart Przeworski die zu verschiede­nen Zeiten und in unterschiedlichen Ltindem voneinander abweichenden Klassenfor­mationen. Doch solche »Klassenformationen« wurzeln nicht mehr in irgendeiner Be­ziehung zur Produktion. Ausgehend von der Klasse fUr sich gerat Przeworski die Klasse an sich aus dem Blick, so wie Wright, der von der Klasse an sich ausgeht, die Klasse fUr sich nicht mehr sieht. Beide versaumen es, die Verbindung zwischen Klassenposition und Klassenforma-

Uberlegul1gen zum Klassenbewufitsein ungarischer Stahlarheiter 35 ------~

tion herzustellen, da beide keine »Mikrofundierung« ihres Klassenbegriffs entwik­keln. Sie ignorieren die gelebte Erfahrung der Arbeiterklasse. Bei der Verbindung von Klassenposition und KlassenbewuBtsein Uberspringt Wright die ideologischen und politischen Institutionen der Produktion. Przeworskis des Klassenkompro­misses befaBt sich nUf mit der Verteilung des Profits, bei seiner Betrachtung der Klas­senformation werden die Arbeiter zu GenasfUhrten del' Makroakteure. Die Erfahrung der Produktion bleibt bei beiden auBer Betracht. In meinen eigenen Untersuchungen zur Mikrofundierung der Arbeiterklasse habe ich argumentiert, daB es ohne Bezug auf die vermittelnden politis chen und ideologischen Apparate der Produktion nicht moglich aus der die Klassensub-jektivitat (Wright) bzw. vom Klassenakteur aus die zu begrUnden. Denn weB diese vermittelndenApparate der Produktion unabhangig von der Produktion variieren, und weil umgekehrt die Produktion unabhangig von der Klassenstruktur variiert, gibt es keine eindeutige Beziehung zwischen Klassenposi­tion und Klassenformation (Burawoy 1979 und 1985). Die Verbindung zwischen der Klasse an sich und der Klasse fUr sich beruht auf der gelebten Erfahrung in der Produktion; sie hangt von der Organisation der Arbeit und ihrer Regulierung ab, dem, wie ich es nenne, »Produktionsregime«. Die Verbindung zwischen der Klasse an sich und der Klasse fUr sich beruht auf dem Charakter des Produktionsregimes. Unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus erzeugt das hegemoniale Regime Konsens, indem es die Arbeiter zu Individuen macht und ihre Interessen mit denen der Manager und EigentUmer koordiniert. Dieser Konsens wird unabhangig von Identi­taten und BewuBtsein, das auBerhalb der Arbeit gebildet wird, hergestellt. Wir mUssen nicht we iter als bis zumArbeitsplatz gehen urn zu verstehen, warum die Arbeiterklas­se im entwickelten Kapitalismus keine revolutionare Kraft geworden ist, wenn wir die politischen und ideologischen Institutionen der Produktion und die von ihnen erzeug­te gelebte Erfahrung untersuchen. In dies em Aufsatz wende ich mich dem Staatssozialismus zu und begrUnde, warum das Produktionsregime des Staatssozialismus Dissens hervorbringt. Ebensowenig wie die Zustimmung zum Kapitalismus ist die Ablehnung des Staatssozialismus ein­fach eine Geisteshaltung, sie ist vielmehr in den verschiedenen Ritualen des Alltags­lebens eingebettet. Unter bestimmten Bedingungen fUhrt dieseAblehnung sogar zum

fUr die Transformation des Staatssozialismus in einen demokratischen So-zialismus. Dieses vom staatsozialistischen hervorgerufene nega-tive KlassenbewuBtsein stellt das Rohmaterial flir ein KlassenbewuBtsein

eine Vision einer alternativen die nur durch eine der Klasse hergestellt werden kann. Trifft dies zu, so hat die Geschichte Marx einen iro-nischen Streich Die und die n,la"O,"'U1'>.al

wie die eine revolutionare Arbeiterklasse im H.VCIJH.UU,,,

entstehen sagen in Wirklichkeit viel mehr tiber den Staatssozialismus aus. Der Grund hierflir der eines besonderen durch den Staatssozialismus.

36 Michael

Die polnische Gewerkschaft »Solidadtai«

Wir beginnen mit dem offensichtlichsten Beispiel von Polarisierung und Klassen­kampf in Osteuropa: der Entstehung und Entwicklung der »Solidaritat«. In denJ ahren 1980/81 versuchten polniseheArbeiter 16 Monate lang eine ihren eigenen Vorstellun­gen entspreehende sozialistische Gesellschaft zu entwickeln. Sogar in ihrer zeitwei­ligen Niederlage war dies ein bedeutender Sieg: die erste die ganze Gesellschaft um­fassende marxistische Revolution der Geschichte. Die Arbeiterklasse gab den zehn Millionen Solidaritatsmitgliedern ihre Energie und bestimmte die Richtung. Die Fuhrer der Solidaritat kamen aus der Arbeiterklasse und waren durch die Erfahrungen der frOheren Revolten von 1956, 1970 und 1976 gestarkt. Intellektuelle formulierten und inspirierten oft die Strategie der Revolution, aber sie waren nicht die bestimmen­de Kraft. Tatsachlich spielten sie die Rolle der Nachhut, die die Impulse der Arbeiter­klasse zur Radikalisierung eindammte und die utopischen Bestrebungen der Bewe­gung dampfte. Ursprtinglich beharrte die Solidarit1:it auf ihrem Gewerkschaftsstatus, aber die sich ausweitende Krise trieb sie von einer Bewegung zur Selbstverteidigung der Gesellschaft in Richtung auf eine selbstregierte Republik. Wenn auch die Solidaritat in ihrer Klassenbasis und in ihren Zielen marxistisch war, so widersprach der Kontext ihrer Entstehung, ihre Ausdrucksweise und ihre Form allen konventionellen marxistischen N ormen. Sie entstand nicht in einer entwickelten kapitalistischen Gesellschaft, sondem in einer Gesellschaft, die flir sich in Anspruch nahm, sozialistisch zu sein. Die selbsternannte Vorhut der Arbeiterklasse, die Polni­sche Vereinigte Arbeiterpartei, sah sich mit organisierten Vertretem der Arbeiterklas­se konfrontiert. Obwohl die Mitglieder der SolidariHit wie eine Klasse agierten, etiket­tierten sie sich nicht als Klasse. Die Solidaritat war nieht durch eine Bindung an den Marxismus oder wenigstens den Sozialismus bestimmt, sie war durch und durch antimarxistisch, angetrieben von na­tionalistischen und demokratischen Gefiihlen, die ihrenAusdruck in religiosen Sym­bolen fanden. SchlieBlich war dies eine Revolution, bei der niemand getatet wurde, eine sowohl moralische wie auch soziale und politische Revolution. Trotzdem strebte die Solidaritat nach einem sozialistischen Ziel, einer selbstorganisierten Gesellschaft, in der die Freiheit der Arbeiter zum Trager der Freiheit aller Menschen werden sollte. Eine Nation stand vereint hinter einer Arbeiterbewegung, die eine demokratische Ver­anderung des Staatssozialismus wollte.3

Aber die Solidaritat verwirklichte nicht einfach eine Vision des 19. Jahrhunderts, sie erfand eine neue Form der Revolution, die »sich selbst beschrankende Revolution«. Zum Teil war dieser selbstbesehrankende Charakter taktischer N atur. Indem die» fiih­rende Rolle der Partei« und etablierter internationaler Allianzen nicht in Frage gestellt

versuchte man eine Wiederholung der Sowjetinvasionen von 1956 und 1968 zu vermeiden. Die Solidaritat machte immer wieder suchte nach Gemein­samkeiten und mit den Behorden und unterdruckte die das Land in eine destabilisierende okonomische Krise gesturzt hatten. Die Selbstbe­schrankung mehr als okono-

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlarbeiter 37

mische und geopolitische Realitaten, sie hatte ihre eigene raison d' etre. Die Solida­ritat lehnte das bolschewistische Modell eines »Frontalangriffes« ab und ersetzte es durch einen »Stellungskrieg«. Sie versuchte, sich die Schiitzengraben der Gesell­schaft und nicht die Staatsmacht anzueignen, die Selbstverwaltung der Gesellschaft voranzutreiben und dabei die politische Schale intaktzuhalten. 1971 riet Jacek KUfOn, einer der intellektuellenArchitekten dieser »evolutionaren Revolution«, aufgebrach­ten Arbeitern, die von der Polizei miBhandelt worden waren: »Brennt nicht Parteiko­mitees nieder: griindet eure eigenen.« Das Strebennach politi scher Macht Hi.dt nicht nur Panzer es setzt auch die Logik der in die die Ordnung, die zerstOrt werden Die Solidaritat ist eine Antwort des 20. Jahrhunderts auf die Pariser ,,"~mHHUHv, bol eines neuen Typs von Revolution. Ihre widerlegte den klassischen VM'~U0"HL von Reform und Revolution. Sie begann als eine soziale

der Gesellschaft gegen den Staat und hielt sich von der der Gesellschaft zurtick. Nach neun Monaten nahm die okonomi­

sche Krise solche AusmaBe an, daB sich die Solidaritat genotigt sich von der Selbstverteidigung hin zur Selbstregierung, von der sich selbst beschrankenden Re­volution hin zu del' von Jadwiga Staniszkis (1984) sogenannten »institutionellen Re­volution« zu bewegen. Die Weigerung des Staates, zu sozialen Kompromissen zu kommen, kombiniert mit Akten der Provokation, urn Zwietracht innerhalb del' Ftih­rung der Solidaritat zu saen, sWrzte das Yolk in Verzweiflung. Obwohl die Selbstbe­schrankung bis zum Ende Bestand hatte, nagte die zunehmende Frustration im Herbst 1981, ein J ahr nachdem die Regierung das Danziger Abkommen unterzeichnet hatte, an der Selbstzensur. Obwohl die Solidaritat massive, und enthusiasti-sche erfuhr, konnte sie ohne des die Lucke

--_._-_ .. _'- und Wirklichkeit nicht schlie13en. Offentliche auf den und sein Ftihrungspersonal,

tenden Menschen und aIle Nationen der an die »arbei­

LUll1VJIl". anhaltende De-monstrationen und Streiks waren die Antwort auf den offensiven Kurs des Regimes nach dem im Juli. Die Solidaritat wurde auf einen unvermeindlichen Kol­lisionskurs mit Partei und Regierung Hier nahrten sich und Polari­

und es entstand ein sich immer we iter ausdehnender Flachen­!-'VUU0v"vO Phanomen oder offenbarte sie eine

Historiker betonten das Erbe vergangener Zeiten. Zwei Jahrhunderte der schufen eine Tradition von Damit richtet sich die Auf­merksamkeit auf die katholische Kirche als Beschiitzerin des nationalen BewuBt-

auf das Vermli.chtnis der Notabelndemokratie und auf ein reiches welches die Frustration einer

Die Solidaritat ist nur die letzte in einer Serie von 1 1944 - gegen

sem

38 Michael

Sozialwissenschaftler haben versucht, den Aufstieg der Solidaritat unter allgemeine­ren Rubriken zu fassen. Zum Teil wird behauptet, die Solidaritat sei das Resultat von Deprivation - sinkendem Lebensstandard, Hingeren Schlangen fUr Grundbedarfsgti­tef, Verweigerung politischer Freiheiten, usw. Allerdings gibt es immer Deprivation, und die Menschen nehmen eher relative als absolute Deprivation wahr. Daher wird die Entstehung der Solidaritat auch mit den Frustrationen erklart, die entstanden, weil die in der Dekade von Gierek geweckten steigenden Erwartungen nicht erftillt wurden und dies durch okonomische Pfuscherei, Korruption und wachsende Ungleichheit noch verstarkt wurde (Shapiro 1981). Andere legen mehr Augenmerk auf die Bewegung selbst. Alain Touraine (1983) und seine Mitarbeiter analysieren die Solidaritat als eine sich selbst entwickelnde soziale Bewegung. Wenn es jedoch darum geht, das Auftauchen der SolidariUit zu erklaren, greifen auch sie zu kurz, indem sie sich abwechselnd auf Kategorien des Totalitaris­mus oder auf eine Einkaufsliste von Faktoren berufen - okonomische Stagnation, behinderte soziale Mobilitat, Abwanderung von Arbeitern aus landlichen in stadti­sche Gegenden mit anderen kulturellen Traditionen und die UnrechtmaBigkeit des Regimes. Jene, die sich auf den Charakter des polnischen politischen Regimes beziehen, haben adaquatere Erklarungen fUr den Aufstieg der Solidaritat. Andrew Arato (1981, 1981/ 82) beispielsweise analysiert die polnische Situation unter den Bedingungen der Ge­gensatze von Staat und Gesellschaft. Er halt »Korporatismus« (im Gegensatz zu Plu­ralismus und Totalitarismus) fUr das angemessenste Konzept zum Verstandnis der Dynamik des polnischen Regimes. Jadwiga Staniszkis (1984), die sich bemtiht, bei­de Seiten des Konflikts zu untersuchen, sowoh! die Dynamik des Regimes als auch die der Bewegung, behauptet, daB sich die Solidaritat aus der Kombination zweier Formen der Protestabsorption entwickelte: korporatistischen Versuchen, die BevOl­kerung in Teile mit mehr oder weniger Zugang zum Staat zu spalten, und »Statusum­kehrungen« bei den en umgekehrt wie sonst Spitzenbeamte die Arbeiter bitten, Kom­promisse zu Obwoh] diese exzellenten Analysen die Solidaritat sensibel abhandeln, loten sie nicht die Tiefe der gelebten Erfahrung aus, die die polnischen Arbeiter dazu brachte, einen neuen der Revolution zu entwickeln. Entweder betonen diese ErkHirungen Pol ens einzigartige Geschichte, oder sie fUhren einige allgemeine an. In beiden Fallen wird die Arbeiterrevolte Ausdruck von etwas Grundsatzlicherem - Polens langem historischen Widerstand gegen frem­de Vorherrschaft, btirgerliche Gesellschaft gegen den ten gegen Totalitarismus, Btirokratie

im der werfen ein Licht was VH.'~<i'im an der Solidaritat ist. Adam Michnik (1985) halt die Revolution von 1 1968 und 1980 flir einen LernprozeB, in dem aufeinanderfolgende Strategien

der Gesellschaft verlassen wurden. Die und tschechische Katastrophe das einer Revolte von unten und einer Reform von oben, so daB der Solidaritat nur das Experiment einer Reform von unten blieb. Aber dieser LernprozeB wird nicht erklart. Es wird auch daB 1956 und 1968 die

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlarbeiter 39

Verteidigung der Erhebung sehr schnell an die Arbeiter und die von ihnen gesehaffe­nen alternativen Institutionen iiberging. Warum sollten aber Arbeiter eine so zentrale Rolle bei der Infragestellung eines Regimes spielen, das doeh beansprucht, ihre Inter­essen zu vertreten? Anstatt die Solidarit1:it als ein positives oder negatives Modell zu behandeln, sollten meiner Meinung naeh die Wurzeln spezifiseher Erfahrungen der Arbeiterklasse im Staatssozialismus erforseht werden. Es kommt darauf an zu verstehen, inwieweit die Solidaritat ein typiseher Ausdruek des Widerstands der Arbeiterklasse gegen den Staatssozialismus ist und inwieweit sie einzigartig ist. Warum sollte die erste marxisti­sehe Revolution ausgereehnet im Staatssozialismus stattfinden und nieht im entwik­kelten und warum in Polen? Dies war die Fragestellung, die mich in die ungarischen Fabriken brachte.4

Ungarn ist mit Polen teilweise vergleichbar; wie Polen erlitt es nationale Demtitigun­gen aus der Hand umliegender Machte, ebenfalls fand 1956 eine Revolte der Arbei­terklasse statt und es existiert auch eine relativ offene biirgerliche Gesellschaft. Hier allerdings horen die Parallelen auf. Denn das Ungarn von heute besitzt keines jener Charakteristika, die flir den Aufstieg del' Solidaritat so typisch waren. Statt eines kol­lektiven Gedachtnisses, inspiriert von Nationalismus und Katholizismus, welches die Gesellschaft zu einer dem Staat feindlich gesonnenen Kraft blindelt, existiert in Un­garn eine fragmentierte Gesellschaft, die der Vergangenheit gegeniiber ambivalent ist und die durch Individualismus und Unternehmertum bestimmt ist. Die ungarischen Arbeiter haben gelernt, sich innerhalb der sozialistischen Ordnung zu arrangieren, statt gegen sie zu revoltieren. Sie denken geringschiitzig tiber die polnische Solidari­tat, die Polen angeblich ins okonomisehe Chaos gestoBen hat. Von einem Land der Briider und Sehwestern wurde Polen tiber N acht in den Augen der U ngarn zu einer N a­tion von Faulenzern. Polens kollektive Mobilisierung laBt es den Ungarn kalt tiber den Riicken laufen. Nattirlich pocht Ungarn auf die Besonderheit der polnischen Solida­ritat. Wie ich zeigen werde, ist dies nur teilweise richtig. Neben ihren Unterschieden haben polnisehe und ungarische Arbeiter ein gemeinsames KlassenbewuBtsein. Es ist ein dem Sozialismus gegeniiber kritisches BewuBtsein. Dem Sozialismus wird vorge­worfen, bei der Realisierung der von ihm selbst gesteckten Ziele von Effizienz und Gleichheit versagt zu haben. Wie es zu dies em negativen KlassenbewuBtsein kann werden, wenn man sich mit dem taglichen Leben der ins­besondere in den sozialistischen Fabriken beschliftigt. Natiirlich flihrt Klassenbe­wuStsein nur unter bestimmten Bedingungen zur der Klasse. Notwen­dig ist die Entwicklung kollektiver Interessen und kollektiver Fahigkeiten zum Ver­folgen dieser Interessen. Die kollektiver werden durch die Chancen zu einer individuellen Mobilitat und dem Fehlen autonomer Institutio­nen unterminiert. In letzterer Hinsicht unterscheiden sich und die So­wjetunion erheblich voneinander. Aber wenden wir uns zunachst dem zu, was diese Gesellsehaften gemeinsam haben, indem wir die versteckten Raume der Produktion betreten.

40 Michael Ell/"away

Die Lenin-Stahlwerke in Miskolc

Meine Reiseroute ftihrte mich vom Rand der ungarischen Arbeiterklasse zu ihrem Herzen. Ich begann im Herbst 1983 in einer Champagnerfabrik auf einer Staatsfarm, von dort kam ich in eine Textilfabrik einer landwirtschaftlichen Kooperative. 1m nachsten Jahr arbeitete ich an einer Maschine in einer Autofabrik, wo ich meine Er­

die ich zehn Jahre zuvor in einem ahnlichen Werk in Sud-Chicago gesam­erneuern konnte.5 Wahrend der folgenden drei Jahre arbeitete ich

in den Lenin-Stahlwerken, wie ich von der of California abwesend sein konnte: 1985 sechs 1986 zwei Monate und 1987 weitere drei Monate. Ich hatte meinen Weg ins Herz des sozialistischen Proletariats gemacht, dem ungari-

der Leninwerft, der Traktorenfabrik den Kohlebergwer-ken von Oberschlesien oder den Stahlwerden von Huta Nowa Huta und Huta Katowice. Wenn eine embryonale SolidariUit zu finden war, dann hier. In allen sozialistischen Uindern wurden die Stahlarbeiter als die heroische Vorhut des Proletariats glorifiziert. Ihr prometheischer Kampf mit der Natur stellt die unersetz­lichen Grundlagen sozialistischer Entwicklung her. In den Monumenten des soziali­stischen Realismus bejubelt, sind sie die Heimat der Stachanoviter und ihrer mythi­schen Heldentaten des sozialistischen Wettbewerbs. Aber was passiert im Re­formungam, lange nach der Periode des heroischen Sozialismus, mit dem ruhmrei­chen Stahlarbeiter? Was kennzeichnet ihn als sozialistischen Arbeiter? Fraglos war ich in einer sozialistischen Stadt angekommen. Mit einer Viertelmillion Einwohner ist Miskolc Ungarns zweitgroBte Stadt und ein bedeutendes Industriezen­trum. Ihren PuIs bestimmen die Fabriksirenen. Schornsteine speien Rauch und Staub in die verschmutzteAtmosphlire, zum Schichtwechsel fahren Busse, vollgepackt mit Arbeitern durch die Stadt, die Wohnsiedlungen sind eng und voll, am Zahltag ftillen sich die Kneipen, kleine Wochenendhauser, eines neben das andere in die umliegende Berge gebaut, sind ein begehrter Rtickzug, wenn die Arbeit, das Wetter und die Fami-lie es erlauben. Obwohl sie sie von der aus, die vom einen Ende der Stadt zum anderen kaum sehen

sind die Lenin-Stahlwerke und die Diosfyor-Maschinenfabrik die bestimmen-den Krafte des Stadtlebens. Die des heroischen Sozialismus tiber-

das harte Leben bleibt. die 1970 ihr zweihundertstes sind

das alteste von drei Stahlwerken 1985 haben die 16 000 Arbeiter der Lenin-Stahlwerke ,1 Millionen Tonnen der Millionen Tonnen des in

6 leh bekam einen Job im neuen kombinierten ches mit den fortschrittlichsten iv'~""V'.V und den alten SchmelzOfen wie tiber Schrottschlichte. Beide versorgen den eindrucksvollen 80 Tonnen DEMAG der die acht Siemens-Martin Hochofen ersetzt hat. AuBerdem gibt es einen 80 Tonnen Elektro-

der welcher in veredelt schmilzt.

Uberlegungen zum KiassenbewuJ3tsein ungarischer St_ah_I_a7_'b_e_ite_r __ ~~~ __ ~~~~~_ 41

Der Stahl kommt spater in Walzwerke, die mit Ausnahme eines ostdeutschen Werkes etwas veraltet sind. Urn an meinenArbeitsplatz zu kommen, muB ich mit dyn anderen durch Tor 1 gehen. Oben auf dem Tor ist ein Leninkopf. Ebenso wie derrote der tiber dem Schmelz­of en entgeht erunserer Aufmerksamkeit, wahrend wir unsereAus weise dem Aufseher zeigen und zu unseren Arbeitsbereichen eilen. Das kombinierte Stahlwerk ist einen ztigigen Zwolf-Minuten-Marsch vom Haupteingang entfemt. Es ist ein Marsch in die vorbei an der alten GieBerei, verschiedenen dem den kleinen, den Blicken entzogenen Elek-

und schmelzen, den alten Martin Hoch­von denen nur noch ihre acht Schornsteine stehen. Die Stahlarbeiter betrachten

ihre zartlich als Industriemuseum. schlechten Stahls bestimmt flir In einiger Entfer­nung stehen drei Hochofen einem Ding gegentiber, das wie eine groBe petrochemi­

UU"0'~dH, tatsachlich aber das Kombinierte Stahlwerk ist. An einer Brticke tiber mir kann ich gerade noch die Buchstaben einer Parole frliherer Jahre ausmachen: »Durch Zuwachs von und Qualitat des Srahles laBt uns flir den Frieden klimpfen.« Auch hier verblassen die Spuren des Sozialismus. So scheint es jedenfalls von auBen. Ich arbeitete als Hochofenarbeiter an einem groBen, walzenfOrmigen Kessel, dem Ba­sisoxygenkonverter. Innen werden geschmolzenes Roheisen und Schrott unter Hoch­druckzufuhr von Sauerstoff gemischt, urn Stahl und Schlacke in Schtiben von acht Tonnen, genannt »Schmelze«, zu formen. Ich war eines von acht Mitgliedem der So­zialistischen Brigade »Oktoberrevolution« - sechs Hochofenarbeiter, ein Stahlko­chef und seinAssistent, der »Operateur«. Als Hochofenarbeiter ktimmern wir uns urn den Konverter wahrend eines Durchlaufs und leiten dann die beiden Uber dreiBig Meter hoch tiber unseren Kopfen sitzenden, durch den Staub kaum sichtbaren Kran-fUhrer. schnabelartige Spitze eines Schrottwagens auf die des Konvertermundes. Er den hinteren Teil des an und laBt kra-chend Tonnen Schrott in den Kessel fallen. Wir winken dem zweiten Kran-

und gut tiber unsere Wenn das Roh-eisen in den Kessel wird das gesamte Podium von die aus dem Kessel erhellt. Wir schlieBen die Ttiren und laufen vor dem krei-schenden Pfeifen des weg. Eine startende kann nicht mehr Krach machen. Flir eine Viertelstunde haben wir Zuflucht in unserem Sttibchen - dem »EBraurn«-,

und Ohren. Hier lausche ich den endlosen als Stahlarbeiter noch Stahlarbeiter waren.

_"~_~c>~"''"_> Medaillen und als es noch keine

Kohlenstoff und Kalk diktierten. »Wir muBten unsere zlihlte wirklich. Heute

ein Hochofenarbeiter sein.«

42 Michael Burawoy

dessen Vater eine groBe Nummer in den Werken war, sagt, er wtirde seinen Sohn nie­mals in seine FuBstapfen treten lassen: »Im Stahl gibt's keine Zukunft mehr.« Auch er zieht den Martin vor, wo er in Frieden arbeiten und eine Pause machen konnte, wenn der Of en gefiillt und befeuert war, ohne Einmischung durch die Bosse. Er war sein eigener Herr mit einer besonderenAufgabe. Bevor ich 1985 ging, machte er sein Wort wahr und ging zurtick zu einem der beiden noch laufenden Martinofen. Aber haben sich die Bedingungen nicht verbessert? 1st es nicht sicherer, ktih1er, weniger anstrengend? Csaba, von der jtingeren Generation, ist der erste, der zustimmt. Aber andere sehen eher mit gemischten Gefiihlen den Verlust alter Fahigkeiten bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Sie vermissen die Herausforde­rung der alten bfen, das bffnen des FluBlochs bei qualender Hitze, das Wegschaufeln der Mischung, die Diskussion der Entscheidungen des Stahlkochers. Und keiner mag die Nervositat, die d~n Konverter umgibt. Wenn einer der acht Martinofen ausfiel, gab es noch sieben andere. Aber wenn der Konverter die Produktion stoppt, ist das eine Katastrophe. Dann ist jeder durchgedreht. Die Hochofenarbeiter waren niemals die HeIden, zu denen sie stilisiert wurden, sie haben sich aber trotzdem eine Sehnsucht nach einem von ihnen kontrolliertenArbeitsrhythmus bewahrt. Das Leben war harter, aber menschlicher. So, wie sie reden, waren sogar die bfen menschlich. Jetzt sind sie an ein reizloses Monster gefesselt. Wir horen, daB die Sauerstoffzufuhr mit einem letzten Brtillen zurtickgezogen wird und taumeln nach drauBen. Gyuri, der die Kontrollen an der Seite bedient, dreht den Konverter langsam urn seine horizontale Achse. Wir nehmen unsere Positionen vor den Stahlttiren ein, die uns' von dem feurigen Mund und dem bei 1600 oder sogar 1700 Grad kochenden Stahl trennen. Mit einem prtifenden Blick durch das Fenster der Ttiren, oder, wenn der Konverter noch vertikal ist, durch das Betrachten der tiber den Mund ztingelnden Flammen, erkennt das erfahrene Auge des Stahlkochers sofort, ob die Sauerstoffeinblasung geklappt hat oder nicht. In unserer feuerfesten Kleidung nehmen wir mit einer langen, schweren Schaufel Proben aus der unruhigen Fltissigkeit. Das Podium vor den Stahlttiren ist ein Meer der Unruhe, Leute mit aufflammenden Taschenlampen laufen hin und her, stecken Glasroh­ren in Schaufeln funkensprtihenden Stahls und bringen diese Schaufeln unter groBem

Liirm wieder in die Stahlmasse ein. Bela, der Stahlkocher, flucht bei der geringsten Verzogerung. Jede Sekunde ist kostbar. Es dauert flinfMinuten, bis man die chemische Analyse yom Labor bekommt, flinf Minuten, in denen der Stahl urn fiinfzig Grad ab­ktihlt. Bandi betatigt im Kontrollraum einen Schalter, und die Mischung kommt kra­chend von den obengelegenen Depots die Rohre hinunter in eine leere Baggerschaufel, die unter dem Konverter auf den Stahl wartet. Gyuri dreht den Konverter zur anderen Seite, so daB der Stahl in einem silbemen Bogen yom unteren AusfluBloch in einen wartenden Behiilter flieBt. Zehn Minuten spater sind 80 Tonnen Stahl fertig zum GieBen. Wir machen eine letzte Temperaturmessung und Bela signalisiert uns, zur letzten Korrektur der chemischen Zusammensetzung bzw. der Temperatur noch Kohlenstoff oder kalte Stahlbalken hinzuzuftigen. Wiihrend wir bei einem Durchgang sind, bereiten andere schon die nachste Schmelze vor, nehmen Proben yom Roheisen, wiihrend Gyuri die verbliebene Schlacke aus dem Kesselboden entfemt.

Uberleguf1:lien zu~KlassenbewujJtsein ungarischer Stahlarbeiter 43

Eine einzige Schmelze dauert etwa 35 Minuten, wenn alles nach Plan geht, sollten wir 13 Schmelzen pro Schicht schaffen. Aber die Dinge gehen nicht nach Plan, wenn wir gut sind, schaffen wir sieben oder acht Schmelzen, der Durchschnitt liegt bei flinf. Um die Zeit auszufullen, sind wir mit einer Reihe unangenehmer Hilfsarbeiten beschaf­tigt, wie dem Instandsetzen des KonverterfluBloches, wenn es zu groB oder zu klein wird. Eine Plattform bringt uns an den Rand des Konverters, wo es flinfzig oder sogar sechzig Grad heiB ist. Dart schmelzen wir entweder mit einem Sauerstoffbrenner Schlacke weg oder flillen die Rander mit Zement Wenn die Kesselsteine nach etwa flinfzig Schmelzen dunn werden, reparieren wir die Schwachstellen durch Uberspru­hen eines speziellen Verstarkungsmaterials durch eine lange, dunne Rohre. Manch­mal mlissen wir den der unten den Sehlackeabfall hin- und herfahrt, saubem und die immer noch warme Lava, die sich auf seinem Grund gesammelt ent­femen. Dies mag flexible Spezialisierung aber die Wiedereinflihrung von Handarbeit ist es sicherlieh nieht. Hier unterseheidet sich der Staatssozialismus in nichts vom ent­wickelten Kapitalismus. Aber wahrend die Hochofenarbeiter der Lenin-Stahlwerke das SehlieJ3en der Martinofen, je nach Sieht der Dinge, mit nostalgisehen oder freudi­gen Gefiihlen begrliBen, bringt ein derartiger techniseher Fortschritt ihre Kollegen in Pittsburgh odeI' Slid·Chicago in ein Dilemma. Einerseits flihrt er zu Arbeitslosigkeit und damit zu Wut und Verzweiflung, andererseits besehwort der Verzicht auf diesen Fartsehritt die noch grol3ere Katastrophe einer unwiderrufliehen Werkstillegung her­auf. Obwohl ihre Situation verzweifelt ist, finden sie wenig falsch am Kapitalismus. Paradoxerweise kritisieren die Hochofenarbeiter del' Brigade »Oktoberrevolution« ihr System viel eher, obwohl sie von den Bedrohungen des Weltmarktes mehr oder weniger isoliert sind und nicht wissen, was es heiBt, arbeitslos zu sein. Woher kommt dieser Durchblick?

Die Ritl1aie des Sozialisml1s

In der Feldforsehung beruht die lJCUCUlllH", eines Ereignisses was ihm folgt, und nieht auf Der Konsens in der Produktion aus der

was mich zuerst ver-uu-,"-,,,,,,a,t:,v betrat: die rasende mit

der die Leute ohne ersichtliehen Grund arbeiteten. war ich beeindruekt von dem welches sich wahrend meiner ersten zwei Woehen in den Lenin-Stahl-

auf Feris Gesicht maehte was er von dieser Idee hielt. Wer davon ein Stahlwerk sauberzuhalten? AuBerdem war es nicht sein Job. Aber es gab

44 Michael Bw"awoy

keine Widerrede gegen den bedrohlichen Ausdruck auf Stegenmajers Gesicht. Wir griffen nach unseren Besen und begannen, die GeHinder zu fegen, wobei wir Staub­wolken aufwirbelten, die sich woanders niederlegen urn dort von anderen Besen wieder aufgewirbelt zu werdeno Aggressivitat und Geschrei schienen eine tibliche Umgangsform im Werk zu seino Die Bosse waren immer gereizt Weswegen waren sie so nervos? Ganz anders als in der Autofabrik, in der ich zuvor ge-arbeitethatteo Dart wurden wiruns vertraten uns die Beine oder besuchten einen Kumpel, wenn wir Lust hatteno Dart es keine unnotigen Arbeiteno Sobald wir die Gelander, die nun in

tauchten Maler auf und verschonerten die bis sich Staub und

ich micho Am nachsten

Niemand geringeres als wollte kommeno Die automa­tische Rohre, die die Legierungen yom oberen Behalter in die untere Kelle befordert und seit vielen Wochen kaputt war, wurde Wir wurden nicht die Le­gierungen in eine Schubkarre schippen und sie per Hand die Rohre hinabschicken mtissen, nicht langer im Staub, der Staublunge verursacht, arbeiten mussen wie bis­hero Himmel sei Dank fUr den Premierminister. Der Premierminister sollte am Dienstag kommeno Am Freitag zuvor kam die Produk­tion zum Stillstando SchweiBer arbeiteten mit nah am Konvertero Neue Silbertiiren wurden um den Kessel enichtet Junge Burschen von benachbarten Kooperativen schwarmten aus, urn dem Konverter den letzten Schliff zu verpasseno Die Vorbereitungen waren wie flir einen Satellitenstart Soldaten schaufel-ten den Schnee von den und den Schutt Es

als ob das 1'\'"''-''''''' den war. Ich traf Jozsi fluchend in unserem ESraumo »Dies ist ein Stahlwerk und keine Apo-thekeo« Er war einen neuen Helm und neue Handschuhe an, ihn nicht

verstanden zu habeno »Du wirst noch nicht einmal wenn der Premier-minister kommt« sagte icho Er sah mich an, als kame ich yom Mondo »Was hat das damit zu tun? Jeder muS mitmacheno Das ist alles Macheo« So wir aIle urn uns die neuen Sachen zu kamen wieder und verabreichten unseren Helmen eine Jetzte Polituro Funf Minuten von nachstem

wurden wir wieder seino Heute waren wir mit einer »kommunistischen Schicht« drano Als zum Ge-

eines Kinderkrankenhauses oder des machten wir eine Extraschicht ist eine sozialistische Fonn der

Wir hatten den eine Maschine und zu streicheno Wir hatten nicht genug Pinsel und ich

45 Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlm'beiter =--------------------------------------

konnte nur einen schwarzen finden. Was kannte ich schwarz anstreichen? Was, emBer dem wertvollsten Gerat des Ofenarbeiters, seine Schaufel? Ich hatte kaum mit dieser kritischenAufgabe begonnen, als Stegenmajer angestlirmtkam. »Was zum Teufel tust Du da?« »Ich streiche die Schaufeln schwarz,« antwortete ich so unschuldig wie mag­lich. Aber er war nicht so ftigte ich schnell hinzu: »Habt ihr nicht mehr Pinsel, damit ich den anderen helfen kann?« es gab keine mehr. »Dann kann ich nicht bei Aufbau des Sozialismus helfen,« fuhr ich ein wenig riskant fort. Meine

vor Lachen bei dem Gedanken, daB ihr »Joghurt-Ofenmann« den Sozialismus aufbaute.7 Sogar Stegenmajer gab nach, als Jozsi sich einmischte: »Misi,

Du verstehst gar nichts. Du baust nicht den Sozialismus du malst den Sozialismus an. Und das auch noch schwarz.« Das »Malen« setzte sich am fort, als wir die alten Plakate hervorholten, die die Uberlegenheit des Konverters gegenliber den alten Siemens-Martin-Ofen zeigten. Parteislogans und -direktiven zum kommenden Parteitag wurden ebenso wie Photo­graphien frliherer Besuche von Wlirdentragern an Ruhepunkten der Dienstagstour ausgestellt. Am Montagnachmittag kam Stegenmajer mit verlegenem Gesichtsaus­druck zu mir und sagte: »Du weiBt, daB morgen der Premierminister kommt.« Ich nickte lachelnd. »Nun, warum nimmst Du dir nicht einen Tag frei?«Sie woHten nieht, daB ihr Joghurt-Ofenmann den Besuch stOrte. Ich gehe davon aus, daB der Premierminister kam. Ich sah in der Zeitung sein Bild, wie er in den wundervollen Konverter blickte. Als ich am Mittwoch wiederkam, wa­ren die Flaggen unten, die Plakate waren wieder zusammen mit den Parteidirektiven und den Photos im Lager. Der Film war gelaufen. Emeut waren wir ein Stahlwerk, wenigstens bis zum nachsten Anstrich. Die Arbeiter betrachteten dieses Kabarett bloB als eine weitere Form sozialistischer Verschwendung und Tauschung. »Dies ist der kommunistische Bereich,« beginnt der Ofenarbeiterwitz. »Gibt es Roheisen, gibt es keinen Schrott. Gibt es Schrott, gibt es kein Roheisen. Gibt es beides, muB jemand gestohlen haben.« Als er wie jemand Eis mit einer Gasflamme schmilzt, schiittelt Gyuri miBbilligend den Kopf: »Geld zahlt der Premierminister kommt.« Es scheint, daB der Sozialismus den Ein­

indem er die Arbeiter zur Mitarbeit an einem verzweifelten aufruft. wie es den Arbei-

vo:rkc~mlnt, die Irrationalitat durchgangig? Gibt es eine Rationalitat hinter der eine tiefere Bedeutung des Anstrichs? Welche Interessen stecken hinter

derFassade? Istes mehrals die

Wachs tum staatssozialistischer Unternehmen drei Stahlwerke in Ihr gemeinsames

""'--"e,'"'U Ressourcen aU~Ll'UCtu'-'U wird durch die starke Rivalitat urn die was erhaltlich Diese Riva-litat wird noch durch die ungleiche Effizienz der Werke verstarkt. Dunaujvaros, nach dem mit moderner Technologie erbant, ist das der

46 Michael Burawoy

drei. Die Lenin-Stahlwerke und die kleineren Werke in Ozd sind viel alter und arbeiten in einigen Bereichen mit einer Technik aus dem letzten lahrhundert. Sie konnen schwerlich gleichziehen. Ebenso kritisch ist die Produktpalette der verschiedenen Unternehmen. In einer durch Mangel gekennzeichneten Okonomie ist das Unterneh­men, welches ein relativ homogenes Produkt in der Lage, seine Materialan­forderungen zu planen, es ist in einer viel besseren Position als ein Unternehmen, das eine groBe Bandbreite an Produkten herstellt und dessen Materialbediirfnisse entspre-chend schwanken. Dies macht Dunaujvaros mit seiner zu ei-nem effizienteren Unternehmen als die Lenin-Werke, die flir die Maschinenindustrie herstellen. Die Unterschiede in den Produkten flihren zu einer

im EinfluB: auf das Ozd und die Lenin-Stahlwerke auf das Industrieministerium. Die Konkurrenz zwischen den Unternehmen wird zur Konkurrenz zwischen den Regierungsstellen. Theoretisch konnte die gesamte Stahlproduktion nach Dunaujvaros ver­lagert werden. Die Kapazitat und der Platz sind sicherlich vorhanden, und tatsachlich war dies der Vorschlag eines geheimen Sowjetreports. Arbeiter der Lenin-Stahlwerke sind skeptisch, was die Fahigkeiten von Dunaujvaros betrifft, den Hochqualitatsstahl, auf den sie spezialisiert sind, herzustellen. Wie auch immer, aus dem Plan wurde nichts, einfach aufgrund der Tatsache, daB es in einer staatssozialistischen Gesell­schaft unmoglich ist, Stahlwerke zu schlieBen. Miskolc ware am Ende, wenn die Le­nin-Werke geschlossen wiirden. Ein Vorschlag des Managements, die Beschaftigten urn 800 Arbeiter zu reduzieren, wurde von den Parteibehorden umgehend wiesen. R Das Gleichgewicht der politischen Krafte flihrt deshalb zu einer annahernd gleichen Verteilung der Ressourcen zwischen den drei Unternehmen, die Lenin-Wer­ke bekommen ihr Kombiniertes Stahlwerk, Ozd bekommt neue Walzwerke und in Dunaujvaros werden eine Koksanlage und zwei sowjetische 120-Tonnen Oxygen­konverter installiert. Statt die Investionen lieber in einem Werk zu konzentrieren, ver­teilt der Staat sie auf aIle drei, wodurch ihre Effektivitat in der veralteten Ttxhnik drumherum So steht das neue Kombinierte Stahlwerk zwischen anti­quierten Walzwerken und Hochofen. Die Verteilung der Ressourcen chischen flihrt nicht nm zu einer Ull,,"H"',",'~l'-'H sondern auch zu einem weitverbreiteten

in einem hierar­der

keine harten haben die Unternehmen einen unersa.ttlichen Hun-ger nach Rohstoffen - weil der der Unternehmen und damit die

n"uu,~v' davon Ressourcen zu urn zu konnen Und das erklart auch die absurd erscheinenden Vorbe-

auf den Besuch des Premierrninisters. Als Person muBte er daB die Lenin-Stahlwerke an vorderster Front den Sozialismus

was wasdas

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlarbeiter 47

und Managem gleiehennaBen verstarkt. Dieses rituelle Nebeneinander von Wirklich­keit und Schein ist nicht auf Ausnahmen begrenzt. Es ist Teil des Fabriklebens: die Gewerkschaftswahlen, die Produktionskonferenzen, der Wettbewerb zwischen so­zialistischen Brigaden und die »kommunistischen« Schichten. Dieses in den Alltag eingebettete Vorspielen erhalt so unwillktirlich ein Eigenleben. Es wird zu einer spon-

. tanen Kritik an der existierenden Gesellschaft und zu einer potentiellen Kraft flir eine alternative Gesellschaft. Die Kritik ist nicht auf die okonomische Rationalitat begrenzt. Sie erstreckt sich auch auf die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die vom Sozialismus proklamiert werden. Der Satz »Geld zahlt nieht, der Premienninister kommt«, driickt den starken Vorbe­halt gegentiber den roten Baronen aus, die die Gesellschaft lei ten und die mit solchen Scharaden unterhalten werden mtissen. Die Hochofenarbeitermogen besonders einen Witz tiber die Beitrage dreier Manner zum Sozialismus: »Der erste verdient 5 000 Fo­rint im Monat. Er baut den Sozialismus auf. Der zweite verdient 15000 Forint im Mo­nat. Er leitet den Aufbau des Sozialismus. Der dritte verdient 50000 Forint im Monat. Ftir ihn wird der Sozialismus aufgebaut.« Csaba, der weder Mitglied der Partei noch der Gewerkschaft ist, sagt, daB die gu­ten Jobs alle an die Parteimitglieder gehen. So wurde mir erzahlt, wie Beziehun­gen bestimmen, ob jemand Mitglied in den selbstorganisiertenArbeiterkollektiven (VGMK.) wird, die flir das Ausftihren bestimmter Aufgaben auBerhalb der Arbeits­zeit Pauschalbetrage bekommen. Die Bezahlung kann drei - bis viennal tiber dem nor­malen Lohn liegen, so daB einArbeiter dort sein Monatseinkommen leicht verdoppeln kann. Karcsi erzahlte die Geschichte des VGMK, das die Aufgabe bekam, das Dach des Kombinierten Stahlwerks zu reinigen - daran waren der Parteisekretar, der Gewerkschaftssekretar und der Sekretar der Kommunistischen Jugend beteiligt. Wie oft schimpf ten wir tiber Hegedtis, den Vorarbeiter, weil er mehr mit seiner VGMK -Ar­beit als mit seinen eigentlichenAufgaben beschaftigt war. Wahrend unserer Nachmit­tagsschiehtkonnten wir sehen, wie er herumwanderte und seine Kumpel vom VGMK, die die Baggerschaufel reparierten, beaufsichtigte, manchmal sogar Zementsacke flir sie offnete. Die Ablehnung gilt nieht der Ungleichheit per se, denn jeder mochte reich sein, son­dern dem Wohlstand, der durch Ausnutzen von Beziehungen und ohne entsprechen­de Anstrengungen angesammelt wird. Es wird sogar von denen gesprochen, die es verdienen, arm zu sein. Trotz staatlicher Unterstiitzung, so wurde mir immer wieder gesagt, wtirden sieh die 500000 Zigeuner vor Arbeit driicken und steWen und in Ar­mut leben, weil sie es nicht besser wtiBten, und damit eine Nation ehrbarer, ordentli­cher und hart arbeitender Menschen in ein schlechtes Licht setzen. Viele Arbeiter haben die DDR als Vorbild. Viele haben dort gearbeitet und waren sowohl von der dort herrschenden Gleichheit als auch der Effizienz beeindruckt. Mit Bela, Stahlarbeiter und Parteimitgli~d, kam es wahrend der Produktionspausen oft zu hitzigen Diskussionen tiber die Vorztige der ostdeutschen Gesellschaft, in der die Putzfrau und der Unternehmensleiter dieselbe Pension beziehen, in der es praktisch keine Inflation gibt und in der man mit einem einzigen Einkommen tiberleben kann.

48 Michael Burawoy

»Wenn es irgendwo einen Sozialismus gibt, dann in der DDR« war Belas SchluB. Andererseits war fiir Kalman, einenjungen, ehrgeizigen Hochofenarbeiter, die DDR »zu politisch«, man konne nicht leicht ins Ausland reisen, und um vorwarts zu kom­men, mtisse man Parteimitglied sein. Aber der Sozialismus ist tiberall, sogar in Ungarn, und zwingt jeden zum Einverstand­nis mit den Ritualen der Zustimmung. Das Uberttinchen der trtiben Realitat des So­zialismus tauscht gleichzeitig Glanz, Effizienz und Gerechtigkeit vor. Das Vortau­schen wird zu etwas, das gegen die Realitat gesetzt wird. Wenn wir eine Weltder Effi­zienz und Gleichheit vorzuspielen haben, wie wir es bei unseren Produktionstreffen, Brigadewettbewerben und Wahlen tun, werden wir sensibler fiir die Ineffizienz und Ungleichheit und zugleich wtitender dartiber. Ganz anders ist das kapitalistische Spiel, in dem Arbeiter freiwillig mit den herrschen­den Klassen tibereinstimmen und sein System der Unterdrtickung und Ineffizienz vor sich selbst verbergen. Wir tibermalen das kapitalistische System nicht, wir malen es aus. Der Sozialismus verlangt von uns, Ungerechtigkeit und Irrationalitat zu tiberdek­ken und eine Vision von Gleichheit und Effizienz vorzuspiegeln. Der Zwang zurTeil­nahme am sozialistischen Spiel ist potentiell explosiv, das Vorgespielte wird zu einer Alternative und wendet sich gegen die Realitat.

Die Widerspriiche des Systems

Uberdeckt nicht die offentliche Komplizenschaft mit Ritualen der Zustimmung eine private Indifferenz oder Zurtickweisung der Ideale des Sozialismus? Wie Csaba mich erinnerte: »Sozialismus ist im Prinzip gut, aber in der Praxis funktioniert ernicht.« So­zialismus steht im Widerspruch zur menschlichen N atur, also laBt ihn uns vergessen. Das entstehende KlassenbewuBtsein ist von negativem Charakter, in Opposition zur Hierarchie, Biirokratie, Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Ineffizienz. Es erkennt die systembedingte Pathologie. Ftir sich allein genommen beinhaltet diese Kritik des Staatssozialismus kein positives Programm. Das Potential dieser Negation, ein posi­tives Programm zu werden, ist durch die gelebte Erfahrung bestimmt, die damit ein­hergeht, durch die Routine der Produktion und ihre Regulierung. Die rituelle Zustimmung zum Sozialismus hat ideologische Einfltisse auf die gelebte Erfahrung, in die sie eingebettet ist. Wir mtissen uns deshalb von der geistigen Emigration der Intellektuellen ab- und den erdverbundenen Realitaten der Arbeit zu­wenden. Beginnen wir mit der Technik. Der Ubergang yom offenen Hochofen zum Oxygen­konverter beinhaltet den Ubergang zu weniger qualifizierter Arbeit. Am Martin waren die Hochofenarbeiter flexibel organisiert, urn angesichts der Mangel zu improvisie­reno Jetzt haben sie diese Fahigkeit verloren, wurden Opfer der Launen des Konver­ters. Es bleibt nicht mehr viel zu tun angesichts der Empfindlichkeit des Konverters gegentiber der chemischen Zusammensetzung von Roheisen und Schrott, oder gegen­tiber Temperaturanderungen durch unkontrollierte Oxidationsprozesse. Die Hoch-

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlarbeiter 49 -----"

ofenarbeiter machen ihre Arbeit, flihlen sich aber weniger verantwortlich flir das Endresultat. So geht es dem Stahlkocher Bela. An den Martin gewohnt, wo er den ProzeE wahrend der 8-Stunden-Periode Uberwachte, konnte er sich nie an die 40-Minuten-Periode des Konverters gewohnen. Kritische Entscheidungen mussen sofort getroffen werden. ohne daB Zeit fUr Berechnungen oder Diskussionen bleibt. Und er muB mit den Konsequenzen leben. Aber was ist mit dem Computersystem, das offentlich als modernste Technologie gelobt wird und das ge"Schaffen wurde, urn menschliche Fehler auszu­schalten - dem Geheimnis des Qualitatsstahls? Seine Lichter erhellen die Wande des

seine Monitore schutten Informationen aus, es berechnet was als nachstes zu tun is!. Doch die Sache hat einen Haken. setzen eine japanische voraus, in der und Quantitat aller Eingaben genau und weit im Voraus berechnet werden konnen. Variablen mUssen konstant wer­den eine in einer Mangelwirtschaft. Folgte man den Anwei­sungen des Computers, wurde man drei von vier Schmelzen ruinieren. Bela hort nie

Uber die in den Sand gesetzte halbe Milliarde Forint zu fluchen. Und das Com­putersystem istnicht einfach nurnutzlos. Die Stahlkocher konnen den Computernicht ignorieren, denn er zeichnet unbarmherzig alles auf, was er tut, zeigt anklagend auf jedeAbweichung. Die Betriebsleitung hatjederzeit Munition flir DisziplinarmaBnah­men, falls eine Schmelze schiefgeht. Als Hilfe gedacht, wird der Computer zum Feind. Der Arbeiter ist gezwungen, sich durch Tauschen und Konspirieren gegen sei­nen Qualgeist zu schtitzen. Es machte Bela krank - er hetzte wie wahnsinnig zwischen Konverter und Kontrollraum hin und her und schrie uns mit SchweiBtropfen auf der Stirn an. Belas Karriere als Stahlarbeiter nahm ein tragisches Ende. Wahrend er Schutt zu

wurde er unter eine Stahlrohre, die sich unter dem Druck zweier Wagen verformte, Sein Bein wurde in zwei Stucke Der unerfahrende

frisch von der technischen wurde sein Nachfolger. Ebenso wie Bela lebt er in vor del' - eine einfache bei

HU0v"U"!', kann eine Schmelze ruinieren. Eine nicht bemerkte lecke Kelle kann aus Stahl auf das untere

unter

50 Michael Burawoy

arbeiter sagte: »Die Gewerkschaft ist flir eine Sache gut: dir den Mund zu schlieBen.« Sie sammelt unsere Beitrage, ein Prozent des Einkommens, und schickt die HaIfte nach oben zum Hauptquartier und verteilt die andere Halfte als Unterstiitzung in Not­zeiten, wenn Mitglieder tiber einen langeren Zeitramn krank sind, ein Kind bekom­men oder Begrabniskosten haben. Die Gewerkschaftsfunktionare verteilen Platze in den Ferienheimen. Die Gewerkschaft ist eine btirokratische Institution, die kaum tiber irgendwelche Macht flir den Kampf urn Arbeiterrechte verftigt. 1m Gegenteil, Mitgliedem mit schlechten Disziplinarberichten wird die Unterstiitzung vorenthal­ten. Ein oder zwei »x« (unerlaubtes Fembleiben) bedeuten, daB man keine finanzielle Unterstiitzung erhalt. Die Partei und die kommunistische Jugendorganisation (KISZ) sind der zweite Arm der Herrschaft der Betriebsleitungen. KISZ und dann die Parteimitgliedschaft sind der Weg nach oben, versichert mir Gabi, wahrend er immer noch versucht, zwei Par­teimitglieder flir die zum Beitritt notwendigen Referenzen zu finden. Er verweist auf Bandi, der, wie er sagt, nichts mit der Partei zu tun haben will und immer bei seinem Job als Assistent des Stahlkochers bleiben wird. Aber die Partei verliert ihren EinfluB, Alter und Erfahrung und in geringerem MaBe Protektion sind wichtiger geworden. Die neuen Stahlkocher kommen von der Technischen Universi'tat Miskolc oder der Technischen Hochschule Dunajvaros, und Peter erziihlt mir stolz, daB es ihm gelun­gen ist, in ein VGMK zu kommen, welches einen Freund von ihm, ein Parteimitglied, ausgeschlossen hat. Karcsi, obwohl ehrgeizig, sieht keinen Vorteil in der Parteimit-

, gliedschaft. Aber dann, nach der Beforderung zum »Operateur«, gibt er dem Druck nach und bezahlt 240 Forint im Monat Partei- und Gewerkschaftsbeitrag -» 15 Liter Benzin«, wie er mich sauer aufmerksam macht. Diese Spannung zwischen organisatorischen Zwangen (partielle Selbstorganisation angesichts der Knappheit) und Klassenzwangen (die gemeinsame Herrschaft von Ge­werkschaft, Partei und Betriebsleitung) bestimmen das Leben in den Werken.9 Diese Spannung war Ursache einer TragOdie am Konverter, eine Woche bevor ich 1987 dort begann. Ftir jede Schmelze muB die Schlacke, die sich an der Oberflache des Stahls absetzt, aus dem Kessel in einen unten wartenden groBen Schlackebehalter gegossen werden. AIle zwei, drei Schmelzen ist dieser Behalter vall. Der Kranfiihrer nimmt dann diesen Abfall und transportiert ihn nach drauBen. Es war an einem Sonntag An­fang Mai. Ais der Abfall angehoben wurde, begann er gefiihrlich von einer Seite zur anderen zu schwingen, wobei geschmolzene Schlacke tiber die Seiten schwappte. In der Niihe stand Pista, der erst unlangst von dem geschlossenen Martin-Hochofen, wo er dreiBig Jahre lang Hochofenarbeiter war, zu den Kombinierten Stahlwerken ge­kommen war. Seine Reaktionen wurden durch seinen Rheumatismus verlangsamt. Ais er wegsprang, stolperte er und geschmolzener Schrott spritzte auf seinen Rticken. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er zwei Tage spater starb. Die Betriebsleitung machte zwei Leute flir diese TragOdie verantwortlich: denjeni­gen, der den Kranftihrer leitete, und Gyuri, der den Schrottbehalter tiberflillt hatte. Gyuri wurde mitgeteilt, daB seine Bezahlung wegen grober Fahrlassigkeit flir die nachsten sechs Monate urn vier Forint die Stunde gekiirzt wtirde. Aber aIle Unfalle

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ungarischer Stahlarbeiter .. . --~~---------------------------------.

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mlissen von einer Sieherheitskommission untersueht werden und die Verantwortung mug gekllirt werden, bevor solche Geldstrafen verhangt werden konnen. Gyuri, ein Vorarbeiter und ein Arbeiter mit hervorragendem Ruf naeh annahernd dreiHig Ar­

wandte sieh an den Gewerkschaftssekretar, bekam dort aber keinen Rtiekhalt. Er erkannte schnell, daB er auf sich allein gestellt war. Er sah keinen Sinn

Angelegenheit auf Unternehmensebene durchzukampfen, da sich die An­liber das, was passiert war, zweifellos durchsetzen wtirde. Er

rief das stadtisehe Arbeitsgerieht an. Hier versuehte die den Richter zu liberzeugen, daB einige Arbeitsregeln verletzt hatte. Es wurde eine aus dem Handbuch »Teehnische Instruktionen« photokopierte Seite vorgelegt, wo

wie voll eine Kelle sein darf. Zum GlUck hatte auch eine Kopie des Handbuehes. Er bemerkte daB die Betriebsleitung versuehte, das Fehlen jeg­Heher Instruktionen liber den Sehrottbehalter zu vertusehen und statt dessen die Re-

liber einen ganz anderen Behalter herangezogen namlieh den, in den der Stahl gegossen wurde. Da der Unternehmensanwalt die teehnisehe Seite der Stahlpro­duktion nieht verstand, konnte er die Ansicht der Betriebsleitung nicht vertreten und ein zweiter Termin wurde anberaumt. Als der Anwalt die versuchte Tauschung er­kannte, weigerte er sich, weiter fUr die Betriebsleitung die schmutzige Arbeit zu ma­chen. Beim zweiten Termin wurde Gyuri rehabilitiert. Die Ursache dieses Unfalls lag nicht darin, daB es keine Regeln fUr das Flillen des Schrottbehalters gibt; die eigentliche Ursache liegt vielmehr in dem anhaltenden Druck auf die Arbeiter, die Schmelze umjedenPreis fertigzustellen. Daleere Behalter oft nicht aufzutreiben sind, tiberfUllen die Hochofenarbeiter Heber die alten als zu warten. Sie wissen, daB die Betriebsleitung die Entschuldigung, daB keine leeren Sehlackebehalter da waren, nicht akzeptieren wtirde, wenn eine Schmelze Sehaden nahme. Urn zu venneiden, daB sie angesehnauzt oder bestraft werden, riskieren die Arbeiter lieberein UberfUllen der Behalter als daB sie aufleere warten. Pistas Tod war, zumindest teilweise, eine Folge davon, daB die Arbeiter versuchen, sich dem unzurei­chenden Materialnachschub, den unzuverlassigen Maschinen und dem Druck ihrer Bosse anzupassen und zu In Marx' Theorie der Geschichte konnen sich die Produktivkrafte unter den Bedin­gungen des Arbeiterklasse h",curwhn

zueiner erforderlieh. Zweitens ge­

direkt und sichtbar durch staatliche Stellen in den Betrieben. Die Arbeiter im ganzen Land definieren sieh selbst Re-

h'-"'H~H"n"'i""H Ausbeuter. Drittens muE das des Mehr-

52 Michael &u"awoy

die die Selbstorganisation begtinstigt und die QueUe der Unterdrtickung macht. Hier liegen die okonomischen, politischen und ideologischen Grundlagen flir die Entwicklung eines negativen KlassenbewuBtseins, welches die bestehende Ord­Hung potentiell bedroht.

Klassenbewu6tsein nnd "'U,,,,,,o,,.,,,~a,.u in staatssozialistischen Gesellschaften

Aber wie wird die Moglichkeit zur wie entwickelt sich aus Klassenbe­wuBtsein Klassenmobilisierung? Um diese Frage zu beantworten, mtissen wir uns dem Vergleich zwischen und Polen zuwenden. Yom des Jahres 1956 aus ware man kaum geneigt zu glauben, daB Polen und nicht 25 Jahre

einen revolutionaren Aufruhr erfahren wtirde. Warum hat sich die Geschichte so entwickelt? Warum folgte die Starke und die Radikalisierung der Arbeiterklasse einer aufsteigenden Linie in Polen und einer absteigenden in Ungam? Das KlassenbewuBtsein staatssozialistischer Arbeiter fUhrt unter den folgenden Be­dingungen zum Klassenkampf. Erstens: Die individuelle Mobilitat ist blockiert, so daB Fortschritte nur durch Gruppenmobilisierung erreicht werden konnen. Zweitens: Es gibt politische Freiraume und es konnen Hilfsquellen fUr eine kollektive Mobili­sierung organisiert werden. Es ist nicht schwer, Polen in dieses Schema einzuordnen. Die okonomische Krise der letzten Jahre unter Gierek und das Ende der Aufwartsent­wicklung der 50er und 60er Jahre beschnitt drastisch die Moglichkeiten individuellen Weiterkommens. Gleichzeitig gab es auBerhalb der Partei verstarkt Oppositionsbe­wegungen. Dies begann nach 1968, als der polnische Staat seinem Zorn auf Intellek­tuelle und Studenten freien LauflieB und sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei rollten, um dort den letzten Versuch einer Emeuerung von oben zu zersWren. Oppo­sitionelle Intellektuelle verloren die letzten Bedenken, die sie gegen Aktionen auBer­halb der Partei und kamen schlieBlich zur Verteidigung von Arbeitern zusam­men, die 1976 bei den Streiks in Radom und Poznan verhaftet wurden. Auch die Ka­tholische Kirche verbreitete ihre Menschenrechtsappelle. Sie forderte aber nicht nur Glaubensfreiheit, sondern auch Meinungs- und Organisationsfreiheit. Als im Juli 1980 aufgrund von PreiserhOhungen Streiks gab es schon Arbei­terorganisationen, die tiber ein Kommunikationsnetz verfUgten, das durch die '''-''\-''\-, das KOR und »Robotnik« hergestellt war. Dies ist der Ausnahmerolle Polens, die ihre Betonung auf eine autonome im Bereich legt. Stellt die wie

die Arbeiterklasse seit 1956 befriedet so muB man die okonomi-nOTrn k'Tlllrpn die die Politik und die Gesellschaft

~"0HdH01J'~H"CH okonomischer men nur einen teilweisen aber unter dem 'U"M"'H0

sehreffektiv. Was

men bei der Produktion und im gllterberelch; ein Anwachsen der Schattenwirtschaft.

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tsein ul1garischer Stahlarbeiter 53 ------

Die verminderte Bedeutung der zentralen Leitung der Okonomie hat den EinfluB der Partei in den Unternehmen gesehwaeht, wie die Gewerksehaft ist sie der Betriebs­leitung untergeordnet. Gleichzeitig verringerte sich die Verfiigungsgewalt der Un­ternehmen tiber Konsumgiiter und Dienstleistungen, wahrend der Bereich privaten Konsums eine groBere Autonomie erhielt. Dies bringt einen Riickzug von Partei und Gewerksehaft mit sich. Sie konnen die Unternehmen nieht mehr in die alteAbhangig­keit die auf ihrem EinfluB bei der Zuteilung von Ausbildungs­fJH".G'~U, Grundstiicken und versehiedenen Gtitem basierte. Die Erosion der Grundla­gen des btirokratischen hat einem Regime btirokratiseher Hegemonie Platz I','-"Ua.,ll

werden nun yom verteilt. Es eine lange Warteliste flir staatliehe die

relevanten Kriterien sind FamiliengroBe, Einkommen und gegenwartige Unterkunft - und nieht die Empfehlungen oder Beriehte von Hier mb-gen so wahl innerhalb als auch auBerhalb der Betriebe von Vorteil wiehtiger aber ist die Fahigkeit zu zahlen. Urn anstandige finanzielle Pensionen oder zu ist es notwendig, beschaftigt zu

aber diese Zuwendungen sind nieht an die Besehaftigung in einem bestimmten Unternehmen gebunden. Weder die Betriebsleitung noeh die Gewerksehaft oder die Partei haben die Mbglichkeit, so1che Unterstiitzung einzubehalten. Wo die Marktkrafte anwachsen, wird das Einkommen wiehtiger. Zwei Einkommen sind notwendig, urn eine vierktipfige Familie zu ern1ihren, und selbst zu diesen Ein­kommen kommt oft noch etwas aus der Arbeit in der Sehattenwirtsehaft sei es der Anbau im eigenen Garten oder der Verkauf von Dienstleistungen. Hochofenarbei­ter sind in dieser Hinsieht benaehteiligt. Die Sehichtal'beit macht eine l'egel­maBige zweite Arbeit unmbglich, und ihre erlernten Fahigkeiten sind woanders nieht anwendbar. So suchten Lad und Jozsi, bevor er angewidert zum letzten Mar-tin-Hoehofen naeh »Erganzungsarbeit«, dem Aquivalentzu Uberstunden. Diese Arbeit ist abel' nieht leieht zu bekommen und ihre vom Wohl-wollen der abo der UHHU'!',~

lebt bei seinen Eltern. Er macht keine Extraarbeit. der in einem Dorf etwa eine Stunde entfernt Garten flir den Ei-

konnte er sieh eine vHJlvl','v0\.,uan liber 20000 Forint

man hat genug davon.

Kamrlchen~;eslch2ltt brachte ihm genug Von seiner Familie untersttitzt,

kaufen. Zuletzt brachte ihm sein

die immer mehr Touristen anzieht. Es gibt keine stattdessen bestimmt del' zumindest bei

54 Michael Burawoy

Ungam hat, wie Polen in den siebziger lahren, einen Teil seiner Devisen zum Import von Luxusglitem verwandt. Diese Gliter sind flir aIle erhaltlich, als Belohnung flir har­te Arbeit oder flir andere Wege zum Wohlstand. Flir die Arbeiterklasse ist das tagliche Leben vom allmachtigen Forint bestimmt und nicht vom Schlangestehen oder von der Partei. Angesichts der anwaehsenden okonomischen Krise und der steigenden Versehuldung bei westlichen Banken benutzt der Staat ein weiteres Werkzeug aus dem kapitalisti­sehen Instrumentarium. Die Arbeiter sehen sich einer Flut von feindlicher Propagan­da in Zeitungen, Radio und Fernsehen ausgesetzt, die sie als faul und nur an ihrer VGMK-Arbeit interessiert darstellt. Sie gehorten mit diszipli­niert. Ineffiziente Unternehmen konnen Bankrott erklaren oder einige Arbeiter ent­lassen. 1987 war Ede Horvat, der rote Baron von Raba, der neue Held des Staates. Der Beifall galt der straffen Disziplinierung seiner Arbeiterschaft und der SchlieBung ei­nes seiner Betriebe. 1988 bereitete die Regierung drastische Einschrankungen der Stahlproduktion der Lenin-Stahlwerke und der Werke in Ozd VOT. Arbeitslosigkeit wird als unvermeidlich angesehen, wenn der Staat sich von der okonomischen Krise erholen will. Da die Inflationsrate tiber dem Lohnzuwachs liegt, versucht der Staat den Einkom­mensverlust zu kompensieren, indem etwas bessere Moglichkeiten ftir privates Kleinunternehmertum eingeraumt werden. Dabei wird unterstellt, daB die Arbeits­kraft einer ungarischen Familie unerschopflich ist. Das Leben ordnet sich einem gi­gantischen Akkordsystem unter. Wenn die Arbeiter darum kampfen, Uber die Runden zu kommen, mlissen sie die Normen tibererfUllen, was wiederum eine Erhohung der Nonnen rechtfertigt. 1m Sozialismus gibt es eine lange Tradition dieser Art, die Arbeit zu organisieren, aber jetzt ist dieses Prinzip auf den privaten Bereich ausgedehnt wor­den. Die Arbeiter sind hilflos, sie laufen eine abwarts fUhrende Rolltreppe, deren Ge-schwindigkeit von Jahr zu Jahr aufwarts. Der Staat beutet die Wtinsche der Familien nach Unabhangigkeit aus, indem er ihnen immer neue BUrden auferlegt. Ftir die Kosten der sozialen Sicherheit, die Betreuung der Jungen und die sichtbar werdende Arbeitslosigkeit, fUr aJl das muB die Familie - die Die Resultate sind nicht schwer vorherzusehen. Viele brechen mit Herzattacken zusammen, manche be-

andere an zu trinken. Die meisten Familien aus der Arbei-terklasse sind in graBen Wohnanlagen zusammengepfercht. In

in Ein- die aus den

Eine wachsende Minderheit hat es, meist mit Hilfe

versuchen so die Rolltreppe anzuhalten odeI' zu Als bietet der Markt allen '-""'''''-,.,u, welin auch

Uherlegungen ZUni Klassenhewuj3tsein ungarischer Stahlarheiter 55 -------------------

mehr als anderen. Hier lohnt sich Individualismus, vorausgesetzt, man hat Zugang zum Material und zur Ausrlistung, die fUr die Teilnahme im privaten Sektornotwendig sind, und vorausgesetzt, man kann mit den gemachten Profiten auch etwas kaufen. Dies ist in Ungarn immer noch der Fall. In Polenjedoch, wo Mangel herrseht, ist Un­ternehmertum viel sehwieriger aufreehtzuerhalten, sehr viel Zeit wird damit ver-

knappe Gilteraufzutreiben. Das Wohlergehen hangt an einem Netz von Fami­lienbanden, Freundsehaft, Religion, Beruf oder Arbeit. Das eigene Sehieksal wird davon entschieden, wen man kennt oder was man anzubieten hat. Wenn soJche Vor­teile weitgehend in der Parteielite konzentriert werden, wird individuelles Streben immer frustrierender und kollektive Losungen werden attraktiver. Eine soIehe kollek­tive Lasung, immer vorhanden ist, wenn der Staat nicht nur seine Legitimationsbasis verI oren hat, sondern auch siehtlieh schwach ist, wenn alternative Institutionen wie die Katholische Kirche eine treue Anhangerschaft in der Bevolkerung wenn starke nation ale Geflihle ein lebhaftes kollektives Gedachtnis aufriitteln und wenn es Moglichkeiten zur Informationstibertragung und zur EinfluBnahme auf die offentliehe Diskussion gibt. Aber das ist nur die halbe Erklarung der polnischen Entwicklung. Die andere Halfte ist das von selbst entstandene negative KlassenbewuBtsein, das fUr die SolidariHit die Weichen fUr ihren zeitweilig unterbrochenen Weg von einer unabhiingigen Gewerk­sehaft zu einer selbstorganisierten Gesellschaft stellte. In Ungarn verbindet sich die­ses gleiche negative BewuBtsein mit Extraarbeit in der Schattenwirtsehaft, mit pri­vatem Gartenanbau und mit VGMK-Arbeit. Wenn jedoch diese Moglichkeiten zum Reich einer neuen Klasse von Unternehmern werden, wenn die Arbeiter meinen, die Besteuenmg der Extraarbeit sei zu hoch, als daB diese sich noch Ungam leicht ein zweites Polen werden.

~u' .... ",u ... n. und Klassenbewufltsein in staatssozialistischen Gesellschaften

Ich lieB mich auf diese Untersuchung in der Annahme struierte und dem sten erwartete

und

dann kann

noch die Beherrschten haben wtirde. Paradoxer-weise nehmen Herrschende und Beherrschte nicht trotz sondern wegen ihres bens die all was die Welt sein konnte unterstreiehen.

IHTPnTPr'7 von nnd Realitat entsteht ein bestimmtes Klassenbe-wuBtsein. Der Staatssozialismus wird zum der Kritik daB man sein Leben nieht nach den gestalten kann.

Kraft sie immer wieder in den \T'}1rITPcn;plt werden und weil sie mit den unverwirklichten Zielen und Be-

in der Erfahrung der Arbeit tibereinstimmen. ist anders. Die Arbeiter sind nicht aufgefordert, den n"'}""tUJLC>H1UC>

56 Michael Burawoy

aufzubauen, sie sind angehalten, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Damit verstel­len sie sieh aber selbst ein kritisches Verstandnis der Welt, wie es fUr ihre sozialisti­schen Kollegen selbstverstandlich ist. Anstatt Kapitalismus vorzuspielen, stellen sie einen Konsens her. Die kapitalistische Ideologie ist nicht unwichtig, wie ich frtiher behauptete, sie schleicht sich unmerklieh in die Mikrostrukturen der Macht ein. Sie verktindet sich nicht mit Ritualen der Zustimmung, die mit der Alltagserfahrung zu­sammenstoBen, stattdessen verschmilzt sie lautlos mit demAlltagsleben. Die kapita­listische Ideologie hat nichts von dem koharenten oder monolithischen Charakter der sozialistischen Ideologie. Ihre Heterogenitat und Allgegenwart, nieht ihre Abwesen­heit, machen sie so machtig. Sie wirkt sozusagen ohne Handelnde hinter unserem Rticken. Aber auch in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft gibt es Bereiche, in denen sieh die Rituale der Ideologie von der Realitat lasen und in Widerspruch zu ihr geraten und dabei ein kritischeres BewuBtsein erzeugen. Wie zu erwarten, findet dies im offentli­chen Bereieh statt. Die Ideologie sozialer Gerechtigkeit und sozialer Leistungen hat den Kampf der staatliehen Arbeiter oft radikalisiert und die Arbeiter tiber rein oko­nomische Forderungen hinausgefUhrt.lD Die sogenannten neuen sozialen Bewegun­gen konnen auf ahnliche Weise verstanden werden. Die Rituale der Demokratie bei­spielsweise regten zu einem Vergleich zwischen Idealen und Wirkliehkeit an, der die Frauenbewegung, die Btirgerrechtsbewegung und die grtine Bewegung hervorbrach­teo Obwohl man ihre Bedeutung als Herausforderung der btirgerlichen Demokratie nicht unterschatzen sollte, sind sie in keiner Hinischt so verbreitet und so fundamental wie die an den Staatssozialismus geriehteten Herausforderungen. Dies liegt meiner Meinung nach daran, daB die Ideale der individuellen Rechte in der kapitalistischen Gesellschaft nieht so verwurzelt sind wie die sozialistischen Ideale in der Erfahrung der Arbeiterklasse im Staatssozialismus. Ich will nicht die U nterschiede zwischen den einzelnen kapitalistischen Landern leug­nen, genausowenig wie die zwischen den sozialistischen. Es kommt mir hier aber darauf an, was die staatssozialistischen Gesellschaften im Unterschied zu den kapi­talistischen gemeinsam haben; vor aHem, daB sie Tendenzen zur Abschaffung dieser Gesellschaften zugunsten eines Arbeitersozialismus hervorbringen. Der folgende Stahlarbeiterwitz, der mir 1985 erzahlt wurde, sagt alles. »Die sowjetische Lokomo­tive kann nieht weiter, weil es keine Schienen mehr gibt. Der sozialistische Zug halt an. Breschnew instruiert die Stahlindustrie, mehr Schienen herzustellen. Das wird ge­macht, der sozialistische Zug fahrt weiter, bis er erneut ans Ende der Spur kommt. Inzwischen istAndropow Generalsekretar der Partei und entdeckt, daB es keinen Stahl mehr gibt. So befiehlt er, daB die Schienen hinter dem Zug jetzt nach vorne verlegt werden. Die sozialistische Lokomotive fahrt fort, und wieder kommt sie zum Stehen. J etzt gibt es weder vor noch hinter dem Zug Schienen. Tschernenko hat die Ftihrung tibernommen, aber es gibt weder Stahl noch Schienen. So ordnet er an, daB alle Kom­munisten aussteigen und am Zug rtitteln sollen, damit die Passagiere denken, daB die sozialistische Lokomotive immer noch unterwegs ist.« Wir sehen hier, wie die von einer hierarchischen Okonomie erzeugte Knappheit zu

Uberlegungen zum Klassenbewuj3tseil1_Ul--,lg,--a_r_is_'c_hc_,_' S_t_a_h_Ia_r_h_el_'te_r ___ , _______ _ 57

willktirlichen, aber gut sichtbaren Eingriffen von oben fiihrt, die die Probleme eher verschlimmern als lasen, Versuche zur Mobilisierung dienen eher dazu, den Schein zu verfestigen, statt die Wirklichkeit zu andern. Damit entsteht eine immer breitere Kluft zwischen und Wirklichkeit. Die Arbeiter lassen sich nicht tauschen, sie erzahlen diesen Witz immer noch. Der Gegensatz zwischen Anspruch und Wirk­lichkeit wird zum Klassengegensatz von Planern und Produzenten. Die gelebte Er­fahrung regt ein kritisches BewuBtsein an, eine Vision von die ihre Ge­sellschaft selbst organisieren, frei von politi scher Tauschung. In Moskau geht der Witz weiter mit dem energischen Gorbatschow, wie er auf die Lokomotive springt, die Intellektuellen befreit und den Arbeitern sagt, daB sie herauskommen und schieben soIlen. bezahlen er.lI Die russische Revolution bleibt unverdaut, jederzeit an dem Korper, der sie verschluckte, Rache zu nehmen. Anders als die englische, franzosische oder US-ame­rikanische die aIle mehr oder in der nationalen Geschichte assi­miliert sind, ist die sowjetische Revolution seit sechzig lahren unterdriickt worden. Der ProzeB der der 1927 gestoppt wurde und der in den lahren unmittelbar nach Stalin eine kurze Frist erhielt, mag nun in eine neue Phase eintreten. 1m Namen von »Perestroika« ist die Sowjetgesellschaft von einigen ihrer repressiv­sten Vermachtnisse befreit worden. Ein gigantisches Vorspielen von Sozialismus ist im Vormarsch, eine potentiell explosive Mischung aus Freiheit mr die Intellektuellen und Disziplin mr die Arbeiter. Es ist schwer, den Ausgang vorherzusagen, aber wir taten gut daran, Trotzkis Ratschlag zu beachten und einem unfertigen ProzeB keine fertige Definition zu geben.

*

Ubersetzung: Gerd Bohlken

Mein Dank anjene, von denen diese Geschichte erziihlt, ist nicht geringer als mein vollstandiger Ver­laB auf ihre Mitarbeit. Ihre Identitat wurde verandert. Ein Akteur, der in der Geschichte nieht vor­kommt, aber ohne den das alles nieht moglich gewesen ware, is! mein Mitarbeiter Janos Lukacs. Er besorgte mir nieht nur von zahllosen Behiirden die Erlaubnis flir diese Forsehungen, sondem trug bei vielen Gelegenheiten entseheidende Infonnationen bei, die er aus seinen eigenen Gesprachen mit den Betriebsleitungen erlangte, Die Diskussionen tiber unsere gemeinsame Forschung haben nattirlich einige meiner Ideen beeinfluBt, aber ich allein trage die vollstandige Verautwortung flir das, was hier geschrieben stehl. Dieser Aufsatz wurde ursprtinglich der Gesellschaft fLir Sozialforschung, Univer­sitat von Chicago, abgeliefert, wo er den Edward-Shils-Preis fUr Beitrage zur Marxistischen Sozio­logie erhielt. Ebenfalls danke ieh der National Science Foundation und dem Institute of Industrial Relations in Berkeley fUr ihre Unterstiitzung. Wie immer zag ieh graBen Nutzen aus den Kommen­taren und der Ermutigung von Erik Olin Wright.

Zu Wrights aufeinanderfolgende Konzepte siehe Wright (1978) und Wright (1985). 2 Siehe Przeworski (1985) und Przeworski/Sprague (1986). leh untersuche diese Arbeiten in Burawoy

(l989a), 3 Siehe z.E. Starski (1982). Das sozialistische Projekt wird klarer in dem Programm, welches die Dele­

gierten des Nationalkongresses der Solidaritat im Oktober 1981 angenommen haben. Obwohl das Pragramm keine Hinweise auf den Sozialismus gibt und obwohl es stark nationalistisch UJ'ld weniger

58 Michael Burawoy ------------------------~--------~-----------------

intellektuell war, beinhaltet es dennoch die Vel'teidigung derInteressen del' Arbeiterklasse sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten. Das Ziel war eine selbstregierte Republik, die sich auf Ein­richtungen der Selbstverwaltung ebenso stlitzen sollte wie auf eine liberale Demokratie.

4 Ursprlinglich wollte ieh in Polen arbeiten. Als das Kriegsrecht diese Hoffnungen zunichte machte, Iud mieh Ivan Szelenyi zu sich und seiner Frau nach Ungam eiu. Das war im Sommer 1982, und seitdem trauerte ich den unerfUllten Wiinsehen nieht.mehr naeh, auBer wenn ich Ungariseh lemte. Meine Un­tersuchungen haben, besonders in Ungam, wo man von Industriesoziologen nur ein paar Interviews mil den Managem erwartet, gewohnlich Erheiterung und Erstaunen ausgeliist. SchlieBlich weiB jeder dort alles, was es liber die Arbeiterklasse zu wissen gibt. Warum also wurde ich ein Arbeiter? In einem »Arbeiterstaat« sprechen Arbeiter nieht, fUr sie wird gesprochen - von Journalisten, Diehtern, Aka­demikern, Politikern, Blirokraten, von den Anhangern des Staatssozialismus wie von seinen Dissi­denten. Jede Gruppe betrachtet die Interessen der Arbeiter als ihre eigenen, wahrend die Arbeiter selbst ohne unabhangige offentliehe Stimme sind. Die Arbeiter drlicken ihre Interessen dureh ihre Taten aus: die tag lichen Seharrni.itzel bei der Arbeit, die gelegentlieh in unvorhergesehene Revolten gegen die Behorden umschlagen. Urn die vielfiiltige und hochpolitische Debatte zu durchdringen und die Arbeiter selbsl ZlI horen, ist es notwendig, an ihrem Leben teilzunehmen. Notwendig, abel' nicht hinreichend. Der ungarische Dissident Miklos Haraszti arbeitete 1971/72 in der Traktorenfabrik Roter Stern. Seine Soziographie »A Worker in a Worker's State« (dtsch. »Stlicklohn«, ersehienen im Rot­buch Verlag), die immer eine Inspiration fUr meine eigenen Studien war, zeichnet die anderen Arbeiter als Schattenfiguren, atomisiert, entfremdet und machtlos. In seinem Portrait sprechen die Arbeiter we­der, noeh widersetzen sie sieh, auSer in unbewuBten utopischen Phantasien. Als Intellektueller gem ie­den, libersieht er die Entwieklungen in del' Arbeiterklasse, die von den sozialen Verhaltnissen in der Produktion herrlihren. leh hatte mehr Gliick. Da ieh aus den USA kam und ein sehr eigenartiges Un­gariseh sprach, spielte meine Identitat als Intellektueller gegeniiber meiner Nationalitat eine unter­geordnete Rolle. leh wurde sehr schnell in das Alltagsleben integriert, als eine Kuriositat, eine Ab­wechslung, eine Hilfe, ein Kollege und sogar als ein Freund aus einem entfemten exotischen Land.

5 Zum Vergleich meiner Erfahrungen in ungarischen und in US-amerikanischen Werken siehe Bu­rawoy (1985) und Burawoy/Lukacs (1985).

6 Die durehschnittlich in Ungam benotigte Stundenzahl fUr eine Tonne Fertigstahl blieb relativ konstant bei 25, die Vergleichszahlen 1978 waren fUr die USA 8.6, fUr Japan 9.8, flir Westdeutsehland 11.8, fUr GroBbritannien 23.2 und fUr Frankreieh 14.2. (US-Department of Commerce, 1980) Seitdem sanken die Zahlen noch weiler, in GroBbritannien 1984/85 auf7.l (British Steel Corporation, 1985). Anders sieht es mit den Lohnkosten pro Tonne aus, da US-Stahlarbeiter durchschnittlich dreiBig- bis vierzigmal soviel verdienen wie ihre ungarischen Kollegen - nach offiziellen Wechselkursen.

7 Meine Kameraden nannten mich »kefir olvasztar«, weil ich zwischen den Schmelzen einen Joghurt naeh dem anderen aBo leh konnte einfach das felte Schweinefleisch, das jeder zum FrUhstiick, Mittag oder Abend anschleppte, nieht sehen bzw. mein Magen konnle es nieht verdallen. Sie sahen mir amLi­siert zu, wie ich mein »Katzenfutter« aBo Natiirlieh erkliirt meine Erniihrung, warum ich soviel schwa­cher als die anderen war, warum ich an Muskelunterentwieklung lilt, warum ich, wie Gyuri scherzen wiirde, nur ein 50%-Hoehofenmann war.

8 Die Situation hat sich seit 1985 dramatisch geandert. Ais ich das erstemal in den Lenin-Stahlwerken arbeitete, wurde Ungam noch immer flir das okonomische Wunder Osteuropas gehalten. Inzwischen siehl die okonomische Lage mehr naeh einem Desaster aus, mit einer AuBenversehuldung von an­geblieh 15 Milliarden Dollar. 1988 flihrten der dramatisehe Personalwechsel im Zentralkomittee und im Politburo, der Wechsel von Kadar zu Grosz als erstem Parteisekretar und die »Perestroika« in der Sowjetunion zu einer neuen Phase okonomischer Reformen, die verstarkt Marktkrafte in den staat­lichen Sektor brachte. Jetzt gibt es Plane, die Produktion in Ozd drastiseh zu verringern und Ozd und die Lenin-Stahlwerke zu konsolidieren. Wiihrend ich dies schreibe, lautet das verbreitete Gerlicht, dies wlirde in Ozd 6000 Arbeiter die Stelle kosten, mit wenig Hotfnung auf neue Beschiiftigung dort oder woanders. In den Worten eines Beamten der Ungarischen Handelskammer wiirde dies »unvor­hersehbare soziale Spannungen« schaffen.

9 Eine detailliertere Analyse dieser Spannungen findet sich in einem Aufsatz, den ieh mit Janos Lukacs geschrieben habe (Burawoy, Lukacs, 1985)

10 Hier bin ich sehr von der Arbeit Paul Johnstons (1988) beeinfluBt worden.

Uberlegungen zum KlassenbewLifItsein ungarischer Stahlarbeiter 59 .~~~~~~.

I I DaB Witze so eine durchdringende Kommunikalionsforrn sind, zeugt von dem Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Witze sind ein sehr effektiver Weg, die doppelte Existenz def Arbeiter festzuhalten: der Gegensalz zwischen ideologischen nnd realen Erfahrungen. 1m Kapitalis­mus, wo die Ideologie diffuser ist, sind Witze zur ErkHirung des tiiglichen Lebens nicht so wichtig. Siehe zum Ubergewicht der Wilze liber den Sozialismus z.B. GalnoorlLukes (1985).

Literatur

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Diane Elson Markt-Sozialismus oder des Markts?

. Sozialistische Marktwirtschaft und eine demokratisch selbst­verwaltete Planwirtschaft werden weithin ais alternative Formen sozialistischer Okonomie gehandelt. Beide Formen werden einer tiefgreifenden und analytischfun-dierten Kritik entzogen. 1m Zentrum steht der sozialistischen Gesell-

in lediglich von Waren existieren. Der in eine solchefeministische, marktorientierte und dezentrale sozialistische Oko-

nomie ist die von und und des prozesses.

Ftirviele sozialistische Okonomen, des »re­al existierenden Sozialismus« sind die Vorztige des Markts und die Mangel zentraJer Planung inzwischen zu AllgemeinpHitzen geworden 1• In letzter Zeit wurde mehrfach versucht, nichtmarktformige Typen okonomischer Koordination zu verteidigen, ins­besondere durch Ernest Mandel (1986 und 1988; siehe auch Devine 1988a + b); aber in meinenAugen ist ihre Antwort auf die Beftirworter des Marktsozialismus nicht vol­lig zufriedenstellend. In diesem werde ich die Argumente diskutieren, wie sie von Mandel vorgetragen wurden, sowie auch die des wichtigsten Ziels seiner Alec Nove. Ich teile Mandels Ansicht, daB es Noves gegenteiligem Argument zum Trotz eineAlternative zwischen Markt und btirokratischer Planung gibt. Ich versuche jedoch anderen Pfaden einer Alternative naherzukommen. Mit Nove stimme ich darin daB der Preismechanismus flir eine sozialistische Okonomie ein un-verzichtbares Instrument der Koordination bin aber der er mtisse sozialisiert werden, wenn er flir statt gegen den Sozialismus arbeiten solI. Die Debatte zwischen Mandel und Nove handelt von der einer Gesellschaft frei as-soziierter Produzenten, in denen die von der in den Markt< des aktuell existierenden Sozialismus. Es ist notwen-

zu daB die Beflirworter des Marktsozialismus den Markt als eine Form freier Assoziation betrachten; tatsachlich ihrer Ar-

angemessen als eine Form freier Assoziation funktionieren tatsachlich auf-rechterhalten werden konnen. sollte die Diskussion schlossen definiert wird und die \J;hm>,onrn,j, als einfache Ul\A~,H""LL,U1Jll", von Kaufen und Verkaufen. Ich

Dieser Text is! mit Genehmigung der Autorin aus dem Englischen iibertragen worden und is! werst in der New Left Review 172 (Dezember 1988) erschienen.

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will hier nicht in eine detaillierte Diskussion des Marxschen Konzepts der Ware und des Warenfetischismus eintreten. Ich vertrete einfach die Ansicht, daB der analytisch wertvolle Aspekt dieses Konzeptes in der Idee der Waren als »mit eigenem Leben be­gabte, untereinander und mit den Menschen in Verhaltnis stehende selbsUindige Ge­stalten« liegt (vgl. Marx 1972, S. 86). Die Ware ist bei Marx nicht grundsatzlich ein Gut, das flir Geld gekauft und verkauft wird. Sicherlich lassen sich Satze finden, in denen die Ware nur dies en Sinn zu haben scheint, aber die Struktur der Marxschen Texte insgesamt legt etwas weniger Banales nahe. Der problematische Status der Ware leitet sich nicht von der bloBen Tatsache des Kaufs und Verkaufs ab, sondern aus der Tatsache des Kauf und Verkaufs unter Bedingungen, die es ihr ermoglicht, ein un­abhangiges Eigenleben anzunehmen. Es ist diese Unabhangigkeit der Waren, die es zulaBt, daB eine soziale Beziehung zwischen Menschen die phantastische Form einer Beziehung zwischen Dingen annimmt: »Die Personen existieren hier nur flireinander als von Ware und daher als Warenbesitzer.« (Marx 1972, S. 99 f.) Eine soIehe Interpretation laBt die Moglichkeit offen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Gtiter flir Geld ausgetauscht werden, aber kein unabhangiges Eigenleben be­sitzen; und in der Personen ftireinander nicht lediglich als Reprasentanten von Waren existieren. Diese Moglichkeit, die nicht die Abschaffung, sondern die Vergesellschaf­tung von Kauf und Verkauf und des Preisbildungsprozesses erfordert, wird in Teil II dieses Essays behandelt werden. Teil I legt die GrundJagen durch eine Kritik der ent­scheidenden Punkte bei Nove und Mandel. Obwoh] dieser Essay von Formen der okonomischen Koordination handelt, ist sein Ausgangspunkt weder der Markt noch der Plan, sondern die Produktion und Repro­duktion der Arbeitskraft. In einer kapitalistischen Okonomie liegt der rote Faden in der Produktion und Reproduktion des Kapitals; die SchOpferkraft der Menschen 80-

wie der Ausdruck und die Entwicklung von Bedlirfnissen werden dem Profitstreben untergeordnet. Der rote Faden einer sozialistischen Okonomie muB in der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft liegen. Wenn ihr Prioritat eingerlinmt werden soH, sind Veranderungen in den Beziehungen zu den Produktionsmitteln und den Konsum­mitteln eine Transformation am Arbeitsplatz und in den eine Veranderung in den Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten. Der Priifstein flir die Beurteilung jeder besonderen Form der okonomischen Koordination liegt in ihren flir den ProzeB der Produktion und Reproduktion der Ar­beitskraft. Dies ist ein breiterer Ansatz als die traditionelle sozialistische die sich auf die Arbeiter konzentriert und dazu in erster Linie nach den Impli­kationen flir die Arbeitskraft im bezahlten ArbeitsprozeB zu suchen. Dies ist sicher­lich eine wichtige und die in der die Arbeitskraft benutzt hat offensichtlich mlichtige Auswirkungen auf die Anforderungen an ihre Reproduktion. Aber wie Feministinnen schon unbezahlteArbeitsprozesse im Haushalt und der Gemeinschaft liegen im Kern der Produktion der Arbeitskraft. Der Begriff Produzent muB eine weitere Bedeutung erhalten als bloB »Arbeiter an bezahlten Arbeitspllitzen« - eine Bedeutung, die die Tatsache berlick­sichtigt, daB jeder Produzent einmal ein Kind war und eines erleben daB

62 Diane Elson

seine Arbeitskraft durch Krankheit und Alter eingeschrankt wird. Die Verteidiger der sozialistischen Planung haben weit mehr als die Beflirworter des Marktsozialismus die Implikationen der Formen der Koordination flir die Arbeitskraft betont, aber mit wenigen Ausnahmen neigten sie dazu, die Arbeitskraft sehr eng zu definieren.2 1m Gegensatz dazu werde ich dem Haushalt eine zentrale Rolle zuweisen.

I. Noves Markt-Sozialismus und Mandels sozialistische Planung

Noves Beflirwortung des Marktsozialismus3 erfolgt im Namen des Realismus: der real existierende Sozialismus ist an den Mlingeln der zentralen Planung gescheitert, und die marxistische Tradition hat nur utopische oder offensichtlich fehlerhafte Leit­linien anzubieten. Die einzige magliche Lasung liegt darin, die Rolle der zentralen Planung zu reduzieren und die Rolle des Marktes zu starken. '

Noves duale Okonomie

In NovesSiclltlstdie eirizig realisierbare sozialistiche Okonomie eine doppelte Okonomie: ein dominanter Sektor, der durch ein »System verbindlicber Weisungen von PlanungsbehOrden« (S. 44), und ein groBer, wenn auch untergeordneter Sektor, der tiber Markte organisiert ist. Das entscheidende Kennzeichen zur Unterscheidung einer solchen Okonomie von einer kapitalistischen »gemischten Okonomie« ist das Fehlen jeglichen umfassenden Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Okono­mie besteht aus drei Typen von Untemehmen: Untemehmen im Staatseigentum, Ko­operativen und Untemehmen in Einzelbesitz. Freiheit der Wahl und Demokratie han­gen weitgehend vom Wirken des Markts und eines politis chen Systems ab, in dem die Planer einer gewahlten Versammlung verantwortlich sind. Die Umwandlung der so­zialen und materiellen Produktionsbeziehungen wird in gewissem AusmaB bertick­sichtigt, nicht aber Austausch, Distribution und Konsumtion. Abgesehen von der Be­flirwortung kleiner Firmen wird auf die Reorganisation der Arbeitsstrukturen kein groBes Gewicht gelegt, und ganz unberlicksichtigt bleiben die Beziehungen zwischen der Produktion von Gtitem und Dienstieistungen und der Produktion und Reproduk­tion der Arbeitskraft. Diese Vemachlassigung ist nicht nur flir Nove typisch: die Diskussion der Organi­sation einer sozialistischen Okonomie leidet fast immer unter dieser produktions­zentrierten Voreingenommenheit. Sie beschiiftigt sich mit der Umwandlung der Produktionsbeziehungen am Arbeitsplatz, findet jedoch keinen neuen Gedanken flir die Beziehungen zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Arbeitsplatz und Haushalt, ebensowenig daftir, wie die Konsumtion und die Reproduktion der Arbeits­kraft reorganisiert werden mils sen. Ein feministischer Ansatz zur Frage der soziali­stischen Okonomie wtirde das Verhiiltnis der Produktion von Giltem und Dienstlei­stungen zur Reproduktion der Arbeitskraft absolut in den Mittelpunkt stellen. Dazu muB unter anderem neu ilberdacht werden, wie Haushalte Gilter und Dienste von Or-

~arkt-Sozialismus ada Sozial_is_ie_r_w--,1g,--d_e_s_M_a_r_kt_s_? ________________ 6_3

ganisationen auBerhalb beziehen, wer die Arbeit des Einkaufs erledigt, wer eine Wohnung besorgt, mit Schulen und medizinischen Diensten zu tun hat und so weiter, und durch welche Art sozialer und materieller Beziehungen diese Operationen einhergehen sollen. Nove laBt dies - ebenso wie die meisten Autoren zu diesem Thema - auBer acht. In einem gewissen AusmaB wird die Umwandlung der Produk­tion diskutiert, aber der Nexus zwischen Unternehmen und Haushalten bleibt entwe­der der Markt oder ein hierarchisches administratives System; und den Produktions­organisationen bleibt die Initiative uberlassen, tiber die Guter und Dienste zu bestimmen, die von Haushalten benutzt werden sollen. Es gibt keinen Hinweis auf die Politik der Gebrauchswerte oder der offentlichen Teil­nahme an der Planung durch direkte Kooperation zwischen Produzentenorganisatio­nen und Haushalten, die deren Produkte benutzen4 • Nove legt wenig Wert auf Selbst­organisation an der Basis und miBtraut insbesondere der Rolle der Gewerkschaften, die als Hindernisse fUr notwendige akonomische Reformen angesehen werden, in ka­pitalistischen ebenso wie in sozialistischen Landern. Teilhabe an der Offentlichkeit scheint sich fUr Mitglieder von Noves sozialistischer Gesellschaft auf Kaufen, Ver­kaufen und Wahlen zu beschranken. So betont Noves Konzept des Sozialismus das formale Eigentum und definiert sich in erster Linie in Begriffen eines Fehlens groBer kapitalistischer Unternehmen. Die Vorteile, die er fUr seine Form einer sozialistischen Wirtschaft in Anspruch nimmt, sind Flexibilitat, Effizienz, Freiheit der Wahl und eine Vermeidung der Exzesse so­wohl des ungezugeJten Kapitalismus wie der ungezugelten zentralen Planungs. Wie Mandel betont, beschaftigt sich Nove nicht mit der Frage, fUr wen Flexibilitat, Effi­zienz, Wahlmaglichkeit bestehen. In einer kapitalistischen Wirtschaft nutzen sie alle dem Kapital. Effizienz bedeutet Effizienz der Profiterzielung: aus der Sicht der Ar­beiterschaft kann sie hohere Kosten in Begriffen von Zeit und Mtihe bedeuten, denn sogenannte Gewinne an Effizienz werden haufig dadurch erkauft, daB Aufgaben von bezahlter auf unbezahlte Arbeit ubertragen werden, oder durch eine Intensivierung der bezahlten Arbeit. Sie kann auch hohere Gesundheitsrisiken bedeuten, denn Ge­sundheits- und SicherheitsmaBnahmen kosten Geld. Mandels Lasung gibt, wie wir sehen werden, den Bedurfnissen der Menschen bei der Produktion von Gutem und Diensten die Priori tat und neigt dazu, die Bedurfnisse der Menschen auBer acht zu

die diese Guter und Dienste bei der Produktion und Reproduktion der Arbeits­kraft benutzen. Wir mussen uns jedoch mit der schwierigen Tatsache vertraut machen, daB es - selbst ohne Privatunternehmen - eine gewisse Spannung gibt zwischen den Produzenten und den Nutzem eines Guts. Flexibilitat, Effizienz und Wahlmoglichkeit fUr den Nutzer kannen Bruche, Stress und Unsicherheit fUr den Produzenten bedeu­ten. Eine zufriedenstellende AntwOlt muB einige Wege vorschlagen, wie mit diesen

umgegangen werden soIl: dies ist das Wesen der Politik der Gebrauchs­werte. Aber sowohl Mandel als auch Nove schlagen nur einseitige Antworten vor: Mandel vom des Produzenten, Nove vom Gesichtspunkt des Konsu­menten. Einen Gegensatz zwischen »Produzent« und »Konsument« zu postulieren, ist in jedem Fall weil wir aIle beides sind. Aber diese Erkenntnis lost noch

64 Diane Elson

nicht die Spannung. In diesem Aufsatz werde ich diese Spannung in Begriffen der Interaktionen zwischen zwei verschiedenenArten sozialer Institutionen diskutieren: Unternehmen und Haushalte. Beide befassen sich mit Kaufen und Verkaufen, denn Haushalte verkaufen Arbeitskraft und Unternehmen kaufen Arbeitskraft und andere Rohstoffe. Beide Institutionen haben daher einen »Konsumenten-« und einen »Pro­duzenten-«Aspekt. Nove bietet nur wenige detaillierte Argumente fUr die Diskussion darliber, was Markte wirklich sind; wie sie im Kapitalismus wie sie im Sozialismus organisiert sein soHen. Aus den wenigen verstreuten Bemerkungen entsteht das Bild eines Systems »in freier Entscheidung ausgehandelter Vertrage« (S. oder desAus­handels zwischen Lieferant und Kunde. »Die groBe Mehrheit der Gilter und Dienste kann nur im ProzeB des Handels zwischen Lieferant und Kunde effektiv mit Preisen versehen werden, wobei der Handel detaillierte des Lie­

der Qualitat und so weiter einschlieBt. Wir mils sen natlirlich erwarten, daB die produzierenden Unternehmen versuchen, Preise zu und GroBhan­dels- und Einzelhandelsorganisationen werden versuchen, die Handelsspannen zu er­zielen, die sie fUr angemessen halten, aber wenn keine Verknappung auftritt und die Moglichkeit der Wahl besteht, konnen sich die Kaufer verweigem, woanders hinge­hen, feilschen. Mit anderen Worten, die Konkurrenz miiBte den MiBbrauch der Pro­duzentenmacht verhindem« (S. 210).

Ein unrealistisches Modell

Dieses »Verhandlungsmodell« ist keine realistische Beschreibung einer modernen Markt-Okonomie, in wie unter Okonomen weitgehend anerkannt ist, Festpreis·· Markte vorherrschen. Natiirlich beschranken die der Kaufer die Preisge-staltung Firmen konnen Preis der ihnen Aber wahrend sich Kaufer einem festgelegten Preis geJ~erllib'ers,ehen,

und Wahl der Preisstrategie ist eine tion. Daher zum handeln Haushalte im Normalfall die Preise nicht mit den

zu Robinson

'-''-'~''~'''A mit einer Baufirma oder die einen guten Preis zu an Zeit und know-how

zu vorausbe­HH'''lJLUH.v "'-.'up,"'-''" annehmen oder ab­

"-V"W~H, urn Haushalts-

laBt sich durch den Vorwand <ac''''-H .... ~l,

werden zu lassen.« Sie

Markt-Sazialismus ader Sazialisierung des Markts? 65

vor: »Die grOBte Hoffnung scheint darin zu liegen, eine Klasse von Funktionaren zu entwickeln, die die Rolle von GroBhandlern spiel en, deren Karriere und Selbstach­tung davon abhangt, die Verbraucher zu befriedigen. Sie konnen tiber die Laden mit der Nachfrage vertraut bleiben, und die Marktforschung, die in der kapitalistischen Welt herausfinden solI, wie die Hausfrau tiber den Loffel zu balbieren ist, konnte her­ausfinden, was sie wirklich braucht; den Herstellern konnten Gestaltungs- und Qua­litatsnormen auferlegt werden und die Produktpalette wtirde gestaltet, indem die Auf­trage so plaziert wtirden, daB sie zwischen der Okonomie der groBen Zahl und der Vielfalt des Geschmacks das Gleichgewicht halten.« Robinson gehort zu den wenigen Okonomen, die berticksichtigt haben, daB die Re­organisation des Einkaufens dem sozialistischen ProzeB ebenso angehort wie die Reorganisation der Produktion. Die Bedeutung ihres Kommentars liegt nicht in ihrer besonderen Losung sondern in der Erkenntnis, daB die Veranderung der Beziehung zwischen Haushalten und ProduktionsprozeB einen entscheidenden Aspekt des So­zialismus darstellt. Nove nimmt ihrenAnsatz nicht zur Kenntnis und macht auch kei­ne eigenen Vorschliige, wie die Verhandlungsmacht der Haushalte gegentiber den Lie­feranten verstarkt werden konnte, weil er sich auf den» Wettbewerb« verliiBt, der die­ses Problem lOsen solI. Aber was genau meint er mit Wettbewerb? Es ist lehrreich, das von ihm angefUhrte Beispiel zu betrachten: »Nehmen wir an, es gebe sechzehn oder mehr Firmen (sozialisiert und kooperativ), die mit der Herstellung bestimmter Gtiter oder Dienstleistungen befaBt sind. Nehmen wir an, es handele sich urn wollene Tuche, urn Zahnpasta, Kugellager, Ferienhotels oder was auch immer. Sie griinden ihre Pro­duktion auf die Verhandlungen mit ihren Kunden. Die letzteren konnen wahlen, von wem sie die Gtiter oder Dienstleistungen beziehen, die sie brauchen. AIle konnen sich von ihren Lieferanten beliefern lassen, die sie auswahlen, mit dem Input, der fUr die Produktion gebraucht wird. Sie haben ein Eigeninteresse, den Verbraucher zufrieden­zustellen, und daher sind keine besonderen MaBnahmen erforderlich, urn dies zu ga­rantieren (abgesehen von >>llormalen« Bestirnmungen tiber Reinheit von Lebensmit­teln, Verbot von Verfalschungen, korrekte Etikettierung etc.)« (S. 204). Dies ist eine sehr idealisierte Sicht des Wettbewerbs: Standardprodukte: die implizite Annahme ausreichender Kenntnisse und Verhandlungsfahigkeiten auf Seiten aller Kaufer; keine Differenzierung zwischen Endverbrauchsgtitern wie Zahnpasta und Halbfertigwaren wie Kugellagern - sowie, am wichtigsten, kein Wort zur Dynamik des Wettbewerbs. Es wird impliziert, der gltickliche Zustand von sechzehn Herstel­lern, die miteinander urn Kunden konkurrieren, indem sie die Preise niedrig und die Qualitiit hoch halten, werde tiber langere Zeit anhalten. Es werden keine rauberischen Formen des Wettbewerbs berticksichtigt wie: Fusionen, Ubernahmen, Strategien zur Vernichtung von Konkurrenten, MaBnahmen zur Reduzierung des Wettbewerbs durch Absprachen unter den Lieferanten. Die Dynamik der Zentralisation und Kon­zentration aufWettbewerbsmarkten, die Marx, Schumpeter, Kalecki und viele andere betonten, kommt tiberhaupt nicht vor. Konkurrenz wird als Antithese zum Monopol behandelt, nicht als potentieller SchOpfer des Monopols; als ein ProzeB, der die Macht der Unternehmen eher kontrolliert als vergroBert.

66 Diane Elson

N oves idealisierte Vorstellung ist vielleicht keine Uberraschung, wenn man bedenkt, daB er sein ganzes Leben lang die Wirtschaften RuBlands und Osteuropas erforscht hat, in denen Markte und Wettbewerb weitgehend fehlten6• Das Bild, das sich aus em­pirischen Studien kapitalistischer Okonomien ergibt, sieht allerdings ganz anders aus. Es gibt genug Hinweise auf Zentralisation und Konzentration; dies bedeutet tiber­haupt nicht, daB kleine Firmen ausgeschaltet wtirden, sondern daB groBe Firmen vorherrschen, wlihrend kleine Firmen als Zulieferer auftreten. Die bei US-Firmen be­obachtete offensichtliche StabiliUit im Verhiiltnis von WertschOpfung (Umsatz minus Einkaufe von anderen Firmen) zu Umsatzen (vgl. AuerbachlDesai/Shamsavati 1988) widerspricht dem nicht: Firmen sind tatsachlich aktiv im Handel mit anderen Firmen Mig. Aber ein groBer Teil davon ist kein Handel tiber unpersonliche Markte: es han­delt sich eher urn Handel zwischen einer groBen »Kern«-Firma und ihrer Peripherie untergeordneter Zulieferer. Konzentration und Zentralisation ist sicherlich ein dyna­mischer ProzeB; sich darauf zu beziehen, bedeutet noch nicht, die analytische Idee des »Monopolkapitalismus« und einerTendenz zur Stagnation zu teilen. Es schlieBt auch nicht aus, daB neue Firmen in besonderen Marktsegmenten den Wettbewerb aufneh­men. Amstrad kann IBM auf dem Markt fiir Personalcomputer tatsachlich heraus­fordern - aber nur, indem sichAmstrad technischen Normen anpaBt, die von IBM ge­setzt wurden. Kein einzelner Unternehmer, so dynamisch er sein mag, kann hoffen, IBM auf dem Gebiet der GroBcomputer herauszufordern. Verdrangungswettbewerb, der zu Zentralisation und Konzentration fiihrt, bedeutet, daB die Bedingungen der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft mehr und mehr von den Akkumaulationsstrategien groBer Firmen bestimmt werden, und daB der Unterschied zwischen Haushalten und Unternehmen immer groBer wird. Es fallt der Mehrheit der Haushalte immer schwerer, etwas anderes als ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Wenn die Funktion der zentralen Behorden daraufbeschrankt werden soIl, die »normalen Bestimmungen« zu erlassen, innerhalb deren Rahmen Preise und Mengen durch die private Interaktion zwischen Kaufern und Verkaufern festgelegt werden - was soIl die Produktionsunternehmen hindern, die Interessen der Haushalte als Verbraucher und als Verkaufer von Arbeitskraft zu dominieren? Naves »machba­rer Sozialismus« ist utopischer, als er auf den ersten Blick erscheint.

Die Vernachliissigung der Miirkte als Institutionen und Prozesse

Nove steht in der Debatte tiber sozialistische Okonomie nicht allein, wenn er wenig darauf achtet, was ein Markt tatsachlich ist und wie Markte wirklich funktionieren. Die umfangreiche Literatur tiber die Theorie okonomischer Koordination und tiber Plane contra Markte betrachtete meistens die Markte nicht als soziale und materielle Institutionen.7 Stattdessen wird eines oder mehrere von drei beliebten Bildern be­schworen: Noves Verhandlungsmodell; eine Auktion, in der Kaufer oder Verkaufer gegeneinander bieten; und ein durch Makler organisierter Markt, auf dem ein Makler Mengen zu vorgegebenen Einkaufs- und Verkaufspreisen anbietet, fiir diejenigen, die zu diesen Preisen handeln wollen. Aber diese Bilder sind vollig gegenstandslos. Die

Markl-Sozialismus ada Sozialisierung des Markts~? _~_~ ___ ~ ___ ~ ________ 67

a",.~a'AIC; daB Markte zu ihrem Funktionieren

scharfem Gegensatz dazu gingen die fUr die sozialistische erforderlichen immer in die Debatte ein. Die hohen Zahlen an Ver­

Maklern etc., die ftir den Betrieb 9, ebenso wie die Zahl der

'''U5A~'vH'~H innerhalb der Unternehmen selbst befaBt die Effizienz bei der Produktion

Informationen kostenlos. essen ~ ihre sen; sie mtissen Informationen sammeln. Zu le~;eDlhelt der Marktwirtschaft auf einen zwischen einem stem mit exogenen oder kostenlos vorgegebenen Preisen und einer Planwirtschaft mit einer Vielzahl und die wie Markte genau arbei­ten, wurde nicht gestellt. Ein Markt ist eine Geldverbindung zwischen Kaufern und Verkiiufern, aber diese Verbindung existiert nicht einfach, sie muB hergestellt werden. Ein Markt IHll~H'Olvl einen oder mehrere Agenten, die den Markt in Gang setzen, Preise und In­formation tiber und Nachfrage liefern, Kaufer und Verkaufer zusammen­bringen. In der Walrasschen Theorie des die das Denken sowohl der Sozialisten wie der Liberalen tiber die okonomische Koordination be­herrscht ist der Marktbegrtinder ein »geisterhafter«Auktionator, der auBerhalb des okonomischen Prozesses steht und keine Profite anstrebt. Die osterreichische

der Hayek angehOrt, vertritt eine realistischere und sieht Markte als Unternehmer, Kaufleute undFinanziers. Aber alle

berticksichtigen kaum die Hn0W.·Hv, daB die Schaffung von Markten die Mittel des Handels zu wie etwa Lagerhaltung und Information. In einer Wirtschaft sind Markte in erster Linie daB die erforderlichen Handelsmittel men kontrolliert werden. Sicherlich greift die rungsbestimmungen und Anweisungen, und die Infrastruktur die fUr den Handel gebraucht

will die

ZU UU'Gll.lIAllll'Al"

stattdessen zu einem Anwalt der iH'''H'.C''-i

In der Diskussion tiber die des Sozialismus in den Markt wird lWUllJ',vl

enlpl'Ohlell, die von Markten sich selbst finanzierenden Unternehmen zu die die Kosten der durch Verkaufe mtissen.

68 Diane Elson ---- -------------------------

Ein solcher Markt ist ebenfalls privat in dem Sinne, daB er von einzelnen Untemeh­men nach Kriterien geschaffen wird, die ihren individuellen Gewinn erhOhen. Die Preise werden auf derartigen privaten Markten (kapitalistisch oder sozialistisch) von besonderen Agenten festgesetzt, von Preisbildnern. Andere Agenten auf dem Markt reagieren auf diese sie sind Preisnehmer. Die Markte werden betrieben, urn die festgelegten Preise zu veraffentlichen; und die Reaktionen der Preisnehmer entschei­den dartiber, ob die vorgegebenen Preise gehalten werden kannen. Die Festlegung von Preisen auf so1chen Markten impliziert nicht notwendigerweise die standige Fluktuation der Preise. Manche Markte, wie Finanz- oder Rohstoffmarkte, leisten der Fluktuation der Preise Vorschub. Aber die Markte flir die meisten Herstellungsgtiter zeiehnen sieh dureh Preislisten aus, die von Zeit zu Zeit geandert werden, aber sicher­beh nicht taglieh (Festpreismarkte). Preise kannen nur dann ntitzliche Signale liefem, wenn die Entscheidungstrager sich ein Bild machen kannen, ob ein bestimmtes Preisniveau »normal« ist oder nieht. Wird es als »abnorm« betrachtet, solI es nicht beibehalten werden und entsprechende MaBnahmen werden eingeleitet. Marktinstitutionen haben die wichtige Funktion, Normen festzule­gen: gewahnlich wird der Handel strukturiert, Informationen werden von einer begrenz­ten Zahl von Marktgrtindem derart ausgewahlt und veraffentlicht, daB sie die Bildung vonPreiserwartungen und -normen untersttitzen. Dahererftillt die Preisfestlegung durch eine begrenzte Zahl von Marktgrtindem die ntitzliche Funktion, Preis»normen« festzu­legen, ohne die Entscheidungen in einer unsicheren Welt tiberaus schwierig wtirden. Aber die Erftillung dieser nlitzlichen Funktion gibt den Preisbildnem tiberproportiona­len EinfluB auf das Geschehen: reale historische Prozesse sind »pfadabhangig« und die Preisbildner sind bei der Festlegung der Ausgangspunkte initiativ. Wie Lachmann es ausdrtiekt: »Es macht durchaus etwas aus, wer die Preise festlegt und wer sie akzeptiert.« Der ProzeB der Produktion undReproduktion der Arbeitskraftistnattirliehin erster Linie ein ProzeBder Akzeptierung vorgegebener Preise.

Kritiken des Marktes

Mandels Alternative sowohl zum Markt wie zur zentralen Planung schlieBt ein Sy­stem der »artikulierten Selbstverwaltung der Arbeiter« ein, das ein dezentralisiertes, nicht vom Markt abhangiges der Koordination Hefem solI. Wahrend ich mit Mandel darin tibereinstimme, daB eine sozialistisehe Okonomie darauf abzielen sollte, tiber die Marktkoordination hinauszugehen, und daB es dezentralisierte Mog­lichkeiten dazu gibt, ist seine Lasung zutiefst unbefriedigend. Die zentrale Sehwache von MandelsAnsatz liegt daB er nicht nur die Markle ablehnt, sondem auch die Preise. leh werde daB eine dezentralisierte sozialistische Okonomie einen dezentralisierten Preismeehanismus brancht, aber daB dies nicht die Preisbil­dung durch private Markte (d.h. nicht daB Preise von Unterneh­men bestimmt werden, die als Marktgrilnder auftreten). Was ist also falsch an der Markt-Koordination? Einige der gebrauchlichsten Argu­mente lauten, sie bedeute Produktion urn des Profits willen statt zur Befriedigung von

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? ----~-------------------------------------

69

Bedtirfnissen; sie sei die Antithese zur Kooperation; sie sei unpersonlich und »blind«; sie salle die Arbeiter disziplinieren; und sie flihre zu okonomischer Instabilitat, weil sie keine Moglichkeit vorsehe, vorher zu erkennen, ob die produzierten Waren auch verkauft werden. Aber solange solche Argumente nicht sehr viel sorgfaltiger ausge­arbeitet werden, fallt es Verteidigem des Marktes leicht, sie zu widerlegen. Die Marktkoordination, so argumentieren ihre Verteidiger, fiihrt zur Befriedigung von Bedtirfnissen, weil sie die freie Wahl des Verbrauchers erlaubt. Die Profitabilitat ist ein Indikator flir das in dem die Produktion den Bedtirfnissen gerecht wird. Nattirlich sind die befriedigten Bedtirfnisse diejenigen, hinter denen die not­wendige Kaufkraft aber wenn das Problem darin daB arme Menschen ihre Bedtirfnisse aufdem Markt nicht ebenso

der Kaufkraft durch

M:lrktkc)Ofljmatl,on, wird behauptet, erleichtere die und Gegenseitigkeit, weil sie den gemeinsamen Interes-sen del' Kaufer und Verkaufer am AbschluB eines Handels wird. 11

Die Unpersonlichkeit der Marktkoordination kann als Vorteil begriffen als Verteidigung der person lichen Freiheit und als Bollwerk gegen die personalisierte Ty­rannei. Die Verteidiger werden darauf hingewiesen, daB jeder dezentralisierte Ent­seheidungsmechanismus insoweit »blind« als das Ergebnis nicht bewuBt von den Teilnehmern gewollt wird, sondern sich aus der Aggregation ihrer individuellen Ent~ scheidungen ergibt. So wahlt bei einer Abstimmungjeder Wahler »seinen« Kandida­ten, aber das Ergebnis ist das Resultat des »blinden« Wirkens der besonderen Aggre­gationsmethode. Es wird das Bedtirfnis in jedem okonomischen die

aufrechtzuerhalten, ebenso die Mogliehkeit eines MiBverhaltnisses von Angebot und Okonomie. Es wird es hei-

nieht darauf an, ein solches MiBverhaltnis zu vermeiden, sondern es mittels eines

Veranderten. 12 Wenn wird man sagen, laBt sieh den resultierenden makrookonomischen Pro-UCd.C0~VO'h""H oder Inflation nur mit einer fiskalischen und

dureh zu erhOhen. Daher werden die

UUIIAWI.oHICLI",'-'UU. Sozialisten sollten sieh der Vorteile des Marktes als eines Instruments U'.A~n-'Hv", das dezentralisierte und fle-

und das die Individuen dem offentlichen ihrer Interessen zu dienen.

70 Diane Elson

Entscheidungsfindung und Markte

Sozialisten sollten tatsachlich die progressiven der Marktkoordination er­kennen. Marx hat das offensichtlich getan: seine Schriften die fast als darauf gelesen werden wie die Markte die Fesseln derper­

die flir den Feudalismus kennzeichnend war, und wie Markte gegenseitige Bedurfnisse befriedigen

daB Markte nicht einfach Instrumente der Freiheit selbst idealisierte Markte,

wie Nove sie die Marx als den» Warenfetisch« bezeichnet und die im offentlichen Diskurs als »Markt-krafte« in treten. Diese Macht tritt auf, weil Markte den Entsc:heldlll1l2:spro2:e

sie atomisieren ihn. Denn im grundlegenden uW'~UHh' is! jede Einheit im EntscheidungsprozeB anderen Entscheidungs­einheit abgetrennt und nur mit den Mengen und Preisen der Waren verknupft. (Dies gilt, ob der Entscheidende Preise festlegt oder akzeptiert.) Aber selbst wenn Kaufer und Verkaufer durch die Institutionen des Markts nicht physisch getrennt werden, sind sie nichtsdestoweniger in dem Sinne voneinander isoliert, daB der Marktmechanis­mus als solchel', die Geldverbindung, individuellen Kaufs- und Verkaufseinheiten keine direkte Information tiber die Absichten und Werte anderer liefert. J eder muB fUr sich handeln, in Unkenntnis der Absichten anderer, und er muE darauf warten, daB die Entscheidungen anderer sich durch die Anderung von Preisen und Mengen auBern. Individuelle Einheiten haben unter dies en Umstanden vorher kaum Grundlagenin­fOfmationen dal'iiber, welchen EinfluB, wenn Uberhaupt, ihre Entscheidung auf das

haben wird. (Dieses Problem wird in der okonomischen Diskussion dadul'ch vermieden, daB angenommen wird, del' Entscheidende sei marginal

- d.h., die einzelnen habe keineAuswirkung auf das Ergebnis des Die Bedeutung del' individuellen fUr das Gesamtergeb-

nis wird erst hinterher offensichtlich, wenn Preise und von Gutem und Be-schaftigung sich verandert haben. Nur durch die Veranderungen del' Preise und

die zwischen den verschiedenen Ent-

Man ver-dies mit del' in einem AusschuB oder einem wo

Teilnehmer sich tiber die Absichten und Praferenzen der anderen Teilnehmer verge­faUt.

5""v"v, die auf eine ganz andere Frage gegeben wurde was solI ich tun, um meine Interessen am besten zu wenn ich die gegenwartigen Preise von Waren kenne

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 71

und auch weiB, was andere tun wollen und tun wtirden? Dies ist der Kern des »1so­lations-Paradoxes«, das eine Grundlage flir die Diskussion individuierter und kollek­tiver Entscheidungsfindung in dergegenwartigen Wohlfahrtsokonomie geliefert hat.!3 Es tritt auf, weil die Entseheidnngen, die jeder von nns als angemessen flir uns betraehtet, nieht unabhangig sind von den Entscheidungen, die andere zu treffen beabsiehtigen, wenn die erzielte aus der einzelnen von den Entscheidungen anderer abhangt. Der Marktmechanismus liefert nns keine direkten Informationen tiber die Absichten, Wiinsche und er liefert nur Infor­mationen tiber das Ergebnis von Entscheidungen, die in Unkenntnis getroffen wurden. Der Marktmeehanismus kann insoweit als »blind« beschrieben werden, weil er unsere U nkenntnis nicht behebt. Marx' Theorie der haufig als einer seiner dunkelsten Begriffe erscheint, kann als dramatische Nh~taphl~r flir das Isolationsproblem gelesen werden - »das bestimmte ,,-',,''-'L'''''.d.HU

nis der Menschen selbst, welches hier flir sie die Form eines Ver­haltnisses von Dingen annimmt« (Marx 1972; S. 86). Auf Markten konnen Entschei­dungstrager keine direkte Verbindung mit den Wtinschen, Hoffnungen und Werten anderer herstellen. Stattdessen werden die Wtinsche, Hoffnungen und Werte anderer in Marktpreise und Mengen tibersetzt, die mit Naturkraft zu wirken scheinen, und denen sich jede Entscheidungseinheit anpassen muE - ohne jede Gelegenheit zu kollektiver gesellschaftlicher Reflexion und Diskussion, die zu einer anderen Ent­scheidungsfolge flihren konnte. Marktergebnisse werden so als ein externer zwingen­der Druck empfunden, dem sich Individuen anpassen miissen, und Marktprozeduren bieten keine Kanale flir Entscheidungstrager, ihre Wahl vor der Entseheidung noch einmal zu tiberdenken, noch sich gemeinsam mit anderen tiber Veranderungen der Ziele zu beraten. Dieses Problem bleibt auBer acht, wenn angenommen es keine gegensei­tigen Abhangigkeiten zwischen der Befriedigung, die eine individuelle Entscheidung

und den anderer. Solche Abhangigkeiten gelten in der okonomischen Theorie haufig als unwichtige Sonderfalle. Umwelttheo-retiker haben uns wie alles gegenseitigeAbhangigkeiten

die Starken und Schwachen des Marktmechanismus zu beurteilen - ist die Intervention der auf Markten zu die auf Probleme wie will

prozesses miissen, und zwar zu

In der Zeit zwischen der L,,"."'~dlvH.H"LM der intervenierenden anderer viele Verande-

die sich auf den Gewinn auswirken. Solche

72 Diane Elson

durchdringen Personal- und Investitionsentscheidungen, aber der Marktmechanis­mus bietet keine Moglichkeit, diese wechselseitige Abhangigkeit auszudriicken. 14

Wenn es gegenseitige Abhangigkeiten zwischen den Entscheidungen verschiedener Menschen (oder Gruppen von Menschen) gibt, dann bestehen selbst unter demAspekt der Eigeninteressen starke Argumente flir offentlichkeitswirksame Entscheidungs­prozesse15• Es ist flir jeden Entscheidungstrager selbstzerstOrerisch, nur das eigene Interesse zu verfolgen, nur den unmittelbaren Gewinn, und nicht auch die Auswir­kungen seiner Wahl auf andere und auf das Funktionieren von Institutionen zu be­riicksichtigen. Der Markt ermoglicht jedoch keine Entscheidung im Interesse der Offentlichkeit und zeigt praktisch sogar die Tendenz, sie zu unterminieren. In Marktwirtschaften finden sich die Entscheidungstrager tatsachlich nicht mit ihrer Atomisierung und dem Fehlen direkter Information tiber die Absichten anderer abo Wie Marx in den »Grundrissen« feststellte: »Gleichzeitig mit der Entwicklung dieser Entfremdung, auf ihrem eigenen Boden, wird versucht, sie aufzuheben; Preiscou­rantlisten, Wechselkurse, Verbindungen der Handelstreibenden untereinander durch Briefe, Telegraphen etc. (die Kommunikationsmittel wachsen nattirlich gleichzeitig), worin jeder einzelne sich Auskunft tiber die Tatigkeit aller andren verschafft und seine eigene danach auszugleichen sucht.« Es bilden sich Verbande; Entscheidungstrager tauschen die Informationen tiber ihre Plane bei Geschaftsessen aus, Markte werden von einem ganzen Netz von dem Markt nicht unmittelbar zugehorigen Kontakten um­geben, die nichtdurch Geld vermittelt werden. Dennoch sind AusmaB und Qualitat des kooperativen Austauschs von Informationen, die der Geldnexus nicht liefem kann, durch die Suche nach Vorteilen im Wettbewerb eingeschriinkt; zumindest einige Befiirworter des Marktsozialismus erkennen dies an. 16 Der InformationsfluB wird fragmentiert; es fehlt der offene Zugang zu Informationsnetzen; Ressourcen werden verschwendet, wenn wegen der Geheimhaltung Informationen doppelt gesammelt werden mtissen. Oder, urn die Marxsche Ausdrucksweise in den Grundrissen zu ver­wenden, die kooperativen Versuche zur Aufhebung der Entfremdung des Marktes transzendieren in einer Marktokonomie nicht diese Entfremdung; sie wird vielmehr von ihr begrenzt. So bertihren Marktergebnisse die Individuen weiterhin als exteme Krafte.

Der Prozej3 der Anpassung und die Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft.

Ob die Marktkrafte mit Besorgnis zu betrachten sind, hangt ab von den Dberzeugun­gen tiber die Leichtigkeit und Stabilitat der Anpassung, bzw. von der Moglichkeit von Altemativen zu der atomisierten Koordination der Markte. 1st es fiir Individuen ver­hilltnismaBig leicht, ihre Kaufe und Verkaufe in Reaktion auf veranderte okonomi­sche Bedingungen stabilisierend anzupassen, und besitzen sie eine Vielzahl attrakti­ver Optionen, dann gibt es nicht viel Grund zur Sorge tiber die Zwange des Marktes. Die Beflirworter des Marktes neigen zu dem Glauben, bei ungehindertem Funktionie­ren des Marktes sei die Anpassung verhilltnismaBig einfach, obwohl dieser Uberzeu­gung durchaus nicht eine einheitliche Theorie zugrundeliegt. Zum Beispiel bringt die

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 73

der neo-klassischen uJ\:onOITlen duen konnten ihre Plane zu Produktion oder Konsum anpassen, be­vor sie tatsachlich kaufen und verkaufen und Ressourcen in die Produktion lenken. Ihre wiederholte Reaktion auf wechselnde verriH ihre wo­durch sie das Problem ihrer Unkenntnis von den Absichten der anderen iiberwinden. Die Annahme der Markt verhalte sich so, als sei er von einem Auktionator koordiniert. Wenn ruft der Auktionator eine Reihe will­kurlicher Preise aus, und die Teilnehmer am Markt was sie zu diesen Preisen kaufen oder verkaufen wollen. diese Information an den

der dann eine neue Reihe von Preisen massenhaft und haher fUr ~~"IV'H"'VU,

besteht. Jeder entscheidet dann was er kaufen lind verkaufen setzt sich bis ein Preisniveau erreicht das den Markt indemes An-

mit Nur dann finden Kaufe und Verkaufe tatsachlich statt. So werden die Probleme die mit den atomi-sierten verbunden sind: der Auktionator koordiniert die Entschei-dungen, und die tatsachlichen Kiiufe und Verkaufe finden und nicht nach-einander statt. Die Produktion findet nur statt, sobald sich mit welchen Konsequenzen die Plane behaftet sind. Der damit Anpassungs-

ist ein fiktiver der auBerhalb der realen Zeit stattfindet.17 von und ihre modernen Nachfol-

ger, wie Lachmann und malte ein handfesteres in dem eher der Unter-nehmer als der Auktionator die Heldenrolle erfolgt nacheinan-

und findet durch das Handeln des Unternehmers statt - durch

denen sie gegen-tiberstehen. Vertreter dieser Schule zu sehr zu memeTn, mit der Kaufleute vom Kaufen zum Verkaufen wechseln oder Finanziers von

weswegen die Preise sich nicht in eines auf einem bestimmten Markt entweder Kaufer oder Verkiiufer

statt zwischen beiden RoUen zu wenn Kaufer und Verkaufer die Kon-tinuitat in ihren und wenn Einkaufen ein ProzeB

dann mag es fUr Unternehmen durchaus rational ihre Preise nicht zu reduzie-fen, wenn die und sie sagar fallender zu erha-

74 Diane Elson ----

hen (vgl. Okun 1981). Aber wie Lachmann haben osterreichische Oko-nomen nicht erklaren konnen, wie Preise tatsachlich gebildet und sie disku­tierten auch nicht die Beziehung zwischen Preisbildnem und Preisnehmem auf den Markten. Die daB die Konkurrenz zwischen fehier hervorruft, wird nicht Keine der Schulen sieht eine im zu unterscheiden. eine Reduktion der meisten Menschen in der Produktion auf den Status bloBer Produk­UVlhHU",1V''-'H, die so werden, daB Output garantieren. Dies die Menschen allein instrumentell und nicht als Werte in sich aufzu-fassen. Der Markt mich andere als zu als H~J"."'.U\..o\-''-'~ der die neben dem Kauf von Produkten eine Vielfalt anderer

HAH!',H,",U als Faktoren in

nen anderen Kaufkraft erworben habe. Das meint wenn er sagt, in einer Markt­okonomie niihme das Verhiiltnis zwischen den Produzenten die Form eines gesell­schaftlichen Verhiiltnisses zwischen Dingen an, »ein Verhaltnis, das getrennt von und auBerhalb der Produzenten besteht«. Nattirlich widersetzen sich die Menschen der Reduktion auf den Status von Robotem. Sie passen den Verandenmgen inAngebot und Nachfrage an. Sie ver­suchen, die Parameter zu ihren Gunsten zu Marktmacht zu erwerben und auszujjben; den Marktkraften weniger ausgeliefert zu sein. Diejenigen mit besserer Ausbildung und besseren Fertigkeiten, Verbindungen sind erfolgreicher; wem dies ist den Lasten der Anpassung am starksten ausgesetzt. DieserWiderstand wird von den Befiirwortern der Marktkoordination sie der Widerstand selbst die Lasten der ",'Jl!J"""UlH~ wenn die Menschen daB es keine andere Alternative sten geringer. Die Ironie

technische Fortschritt von Menschen die nicht ein hohes Produktivitatsniveau

HUHL"0H", Initiative und selbst Menschen brauchen das Gefiihl einer Be-

Stolz auf und die durch

""'!JaMUlH!', zu verdammen. Wenn sie sich solcher Passivitiit meisten von ihnen EinfluB auf den nur wenn sie sich defensiv durch Obstruktion gegen wehren. Die Klassenantwort ist of-

!v13rkt-~ozialismus oder Soz~alisierung des Marias? 75

die ein echtes Interesse daran eine

U~:orlonme sich HAHI',"'v" durch einen markt-weil es Schltisselressourcen gibt, die

nicht in Waren verwandelt werden konnen. Dazu insbesondere die Arbeitskraft und die Umwelt. Obwohl die Arbeitskraft und verkauft wer-den

werden Kinder in del' nomlsctle ".'-'~"VILH L.GH U\.oJ.la'lU'~n, die entlassen wenn sich das Kosten-Nutzen-Vel'haltnis andert. Maschinen konnen Ernten verbrannt wenn sie abel' auBer inSonderfallen werden sobald sie einmal MaBe als Wert an sich nicht

V'~~L6H~"V bestimmt Frauen zu Selbst­

wobei ihre unbezahlteArbeit einen flexiblen der es den Mannern erlaubt, auf Marktsignale zu reagieren. Diese

Antwort muE von Sozialisten entschieden werden, nicht weil wir altruisti-kollektive Verhaltensweisen entmutigen wollen, sondern weil sie <<''is'-'UIC~U'

gelten sollen statt unter den Bedingungen einseitiger Abhangigkeit. 19 Der sungsprozeB in einer MarkWkonomie, in der es im bezahlten und im Haushalt wesentliche Ungleichheiten hangt somit von denen ab, die tiber genug Macht Macht zur oder alt-

zu tiberreden oder zu 7H1·,n"pn

~elbstb,~sumrnung, die von der osterreichischen Schule so in den Him­reserviert bleibt.

del' Makro-Probleme

Neben den

nativen Gesamtzustanden: lichkeit im Dies ist besonders

das rCl1n ~T'()T·tmll tt,P' I zu

wodurch es zu einer weiteren und einer schwacheren Position des offentlichen dem Verkehr kommt. Die Wahl wird in Phase

lla:l1H,)\Al\CUProzesses es zwischen den ~HI~~~U' Ende dieses Prozesses.« Die Lticke zwischen Mikro-Rationalitat

76 Diane Elson

und Makro-Rationalitat, die sich aus der atomisierten Entscheidungsfolge ergibt, hat besonders wichtige Implikationen fUr die Gesamtstabilitat von Marktsystemen; d.h.

ob der Anpassul1gsprozeJ3 auf ein stabiles Gleichgewicht hinauslauft oder ob er liber das Ziel hinausschieBt und zu Konjunkturen denen Depressionen folgen, zu plotzlichen zerstorerischen Anpassungen durch zu Zeitraumen der Stagflation. Selbst die BefUrworter des Marktes wiirden die Existenz von Problemen wie das des Schweinezyklus anerkennen. Viele wurden auch die AH'nU<JU~W"'iJ>VUl\C­me auf Finanzmarkten zugeben, die mitentscheidend waren flir die gegenwartige

und unbezahlbare wie auch fUr den neu-pn~'''C'l\'''JlvH Krach auf den Weltaktienmarkten. Diese Instabi­

mit der

dikatisierte Anleihen und - samtlich zur Verminderung der Risiken einzelner Banken vergroBert, denen das gesamte Bankgeschaft mit der Dritten Welt aus­gesetzt war. begrenzt die Existenz »liquider« Aktienmarkte, auf denen man jederzeit unter geringen Kosten handeln die Risiken fUr einzelne Investoren, vergri:iBert jedoch die Risiken fUr Investitionen insgesamt. Key-nes (1973, S. 159), Aktienmarkte als »Kasinos« zu beschreiben und zu sie sollten teuer und schwer zuganglich sein. Seitdem sind sie naturlich noch viel zu­

warumdieAktienkurse 1987 sehr viel schneller fieJen als 1929.

aus den Versuchen atomisierter tschelldun.gstrag(~r ihr Risiko isoliert zu vermindern - ist letzten Endes

auch die Ursache flir das makrookonomische Problem fehlender in einer MarktOkonomie. einer isoJierte okonomi-sche Einheiten ihre Flexibilitat zu das als

»Vertrauen« wird zu einer 'U',"'''"'''J'U'''"W'5. Wie Bhaduri formuliert: »Paradoxerweise kann

zum besseren mit der Instrument indem sie den EinfluB der

okonomischen Aktivitaten

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 77

in der das Geld nieht lediglieh als Mittel des Austausehes und der Werterhaltung fun­giert, sondern als Kapital; das heiBt als Geld, das zurliekgehalten wird, urn den Erwerb nieht von Waren per se, sondern von mehr Geld zu erleiehtern. Betraehten wir, wie Haushalte Geld benutzen. Sie tausehen eineArt Waren (sagen wir Arbeitskraft) gegen andere Arten Waren (sagen wir N ahrung und Kleidung), indem sie Arbeitskraft gegen Geld und Geld gegen N ahrung und Kleidung. Die Reproduktion dieser Ket­te von Kaufen und Verkaufen in gewissemAusmaB von dem Stand der Erwar­tung en ab - der Haushalt wird vielleicht Kaufe verschieben und sein Geld zurlickhal­ten, wenn er zum Beispiel Preissenkungen erwartet. Aber ein Haushalt kann Kaufe in

Hr.,,,,,,,.',,,nCT zukunftiger Preissenkungen nicht tiber einen bestimmten Punkthinaus und Kleidung notwendig sind. Wenn muB

Nahrung heute gekauft werden, auch wenn sie nachste Woche vielleicht billiger ist. Flir Untemehmen, die Profit zu ihrem obersten Ziel machen mussen, liegt die Situa­tion anders. Sie sind nicht interessiert an den Waren selbst (und konnen es nicht sein). Ftir sie ist vor aHem das Geld von Bedeutung, das in der untersten Zeile der Bilanz erscheint. Das laBt sich mit Marx als Geld-Kapital-Kreislauf G-W-G' ausdrucken, in dem es nicht darauf ankommt, eine Menge von Waren gegen eine andere auszutau­schen, sondem eine Summe Geld gegen eine groBere Summe Geld. Die Reproduktion dieses Kreislaufs wird durch die Liquiditatspraferenz viel eher unterbrochen werden als die Kette von Kaufen und Verkaufen in einem Haushalt. Wenn ein Unteruehmen nicht erwartet, seine Produkte zu verkaufen, ist es sinnvoller, Geld zu horten, statt es flir den Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft einzusetzen. Kein Bediirfnis nach Waren per se setzt diesem Horten eine Grenze - Unternehmen brauchen nicht zu essen. Unter solchen Bedingungen wird Geld zum Fetisch und gewinnt ein eigenes Leben. Profitanstrebende Unternehmen konnen Geld horten, selbst wenn die Input-Preise fallen - zum Beispiel selbst dann, wenn Arbeiter Lohnktirzungen hinnehmen, und selbst wenn dies zu einer Senkung der Preise anderer Rohstoffe fiihrt. Wenn die Preis­senkungen die Hoffnung auf weitere Preissenkungen nahren, dann ist es ganz rational, auch weiterhin Geld zu horten undAusgaben zu vermeiden. Ganz gleich, wie flexibel Preise sind und wie schnell Markte sich in Richtung ihrer Befriedigung bewegen, gibt es daher in einer monetaren Okonomie keine Garantie, daB das Saysche Gesetz Die Moglichkeit mangelnder N achfrage besteht immer. Mandel hat durchaus recht zu betonen, daB makro-okonomische Probleme im MarktprozeB wurzeln .

Die . Intervention Markten

Antwort auf die Lucke zwischen Mikro-Rationalitat und Makro-Rationalitat daB der Staat auf den Markten als Besteuerer und Darlehensgeber in

Notfallen eines zu begegnen - zum zu schaffen und auf diese Weise eine Zunahme der

zu steuern, die sonst zu einer fiihren konnte. Es ar1~tpr02:es.sen einige Probleme, die nicht so einfach i.iberwunden werden

78 Diane Elson

kannen. Die Intervention auf Markten verandert die aktuellen Parameter Zins-etc., mit denen und andere

Er,ts(;he:idilln:gstraF~er rechnen miissen, aber nieht die Charakteristika des lVl,arJ<:tpro­

zesses selbst. Insbesondere verandert sie nieht die Isolation der Ent­sctleic1u[,gs-tra)e;er so daB aueh UlP,tprhin

zelnen etwas anderes Intervention auf Markten liefert keine CUUlVH0H, urn die kollektive Reflexion vor der der einzelnen zu erleieh-tern. Dies wurde in dem Problem offensiehtlieh wie in den tOI·tgt~schntte11el1 dern mit der ist. Die konventionellen lisehen und monetaren Heilmittel konnen nicht mit einer Situation in der Preise und Lohne wahrend und fallen. Dies affne-te den flir eine »monetaristische« nation von Deflation und MaBnahmen zur der Konkurrenz auf den Mark-ten beizukommen - eher im Sinne der walrasschen und asterreichischen mit

Politik bedeutet enorme U,",j""lV~jM&.v1L und verschwendete und sie ist letzten Endes

selbstzerstOreriseh. Die meisten Markte verhalten sieh nieht so wie walrassehen und osterreichisehen Theorie, und das nieht aus Mangel an w,>ttr)P"ilPT'h

sondern wegen des Eine leieht dieses Punktes liefert Okun (1981, S. 342), der zu dem SehluB kommt: » ... das angemessene Funktionieren von Verbrauehennarkten und Karriere-Arbeitsmarkten erfordert eine deutliehe Abkehr von der Preisflexibilitat des Konkurrenzmodells. Kunden und Lie-

aktionskosten auf die Dauer zu minimieren.« Auf Mikroebene es gute Grtinde flir die Lohne zu erhohen und die Kosten auf die Preise

die abbauen. Dadureh konnen sie leiehter ihrer Kunden und Arbeitskrmte als dureh

ntt~rll!ehlnen, wenn es keinen "v"HlnvHH"AHCU

urn die Preise einzudammen. In Erkenntnis dessen manehe Befiirwor-vor, Preiskontrollen einzuftihren. Aber wenn der ProzeB

Markt-Sozialismus ada Soziaiisierung des Marias? 79

der Preisfestsetzung in den Hlinden der Unternehmen belassen bleibt immer noch ein Ungleichgewicht: Haushalte konnen die Preisbildung nicht so weitgehend daB sie Unternehmen im gleichen MaBe in Schranken

n.V"W~H. wie Unternehmen die L>V'HHUHUU""F,

spannen transparent wird. Unternehmen werden sich dem immer wi-weil Ihnen die ,-,~.H'-"'U;'HUHU"~O einen Wettbewerbsvorteil verschafft und

'W:;'~';tUI~HI auch das Recht Informationen zurUckzuhalten. Auch 0lildlM:;lgClUl1UI werden sich einer solehen Yer01teJ!1tiicbLUflg

sie die ihres Gewinns anzustre-ben, und wenn sie mit anderen Unternehmen und Haushalten in erster Linie Uber den Markt in stehen. Es kann nicht daB bei der Offnung des Marktes im Sozialismus die eine soleh explosive Frage darstellt. Daher ist die Politik der Intervention auf Markten - einer fiskalischen und monetaren erganzt durch eine und Preisrichtlinien-keine Garantie fUr die Uberwindung der makro-okonomischen Probleme, die im MarktprozeB wurzeln. Es ist sinnlos zu sagen, wir woHten die Markte nutzen, um mi­kro-okonomische Probleme der Ressourcen-Verteilung zu Iosen, und die keynesiani­sche Politik um die makro-okonomischen Probleme zu lasen, denn die bei­den Problemreihen sind eng miteinander verbunden. Der Marler als Institution wird dazu die einer Politik zu unterminieren.

»Es keinen dritten

Nove erkennt viele dieser In,a"i,'"" aber er ist UU"lLA.Ul~', daB sie ak-mUssen, weil der Markt die Alternative zur Biirokratie sei. Koordi-

nation kann nur mittels eines GeJdnexus oder eines erfolgen, oder durch eine Kombination beider. Mehrfach es gebe auch ei-

der in der okonomischen Koordination eine entscheidende Rolle zum der die Plan-Markt-Dichotomie argu-

LeW '''',,,0- wie Preismechanismen erforderten flir ihr Funktionieren '-'W'UUHF" die er »informelle nennt. Er vertritt die

nrii""tpn oder im 6ffentJichen Sektor, konne sich Rationa-

dazu zitiert er IJvJLaLlVI.lvU multinationaler Konzerne und adminstrative Systeme.

Diane Elson

als einen »uu­H.U'~C'''''.H<'~ ",im Gegensatz zu der »unsichtbaren Hand« des Marktes. Der

«U.'U0~H"'.>;" wird als oder moralische zwischen Kaufern

und Verkaufern zu zementieren. Hannah (1 schreibt in einer Rezension eines Bu­der

weistviel Hand« des Marktes noch Alfred Chandlers »sichtbare Hand« der btirokratischen Hierarchien ihn erkUiren kann. Eher scheint eine »dritte Hand« aus Netzen und Be-

- manchmal allein aufVertrauen und '-"'IS~H"v' ge~;tliitzt, manchmal

Kc)mpOneiotezu sein.« Ein Velrblnc1111nJ~en - eine wich­

der Literatur tiber die okonomischen Erfol­ge in Stidkorea und Taiwan arg:uIIlentler ahnlich: ein Nexus des des Goodwill und der uegerlSeltl len okonomischen Dare

Mandels Dritter

bezieht sich auf einen solchen Nexus: er nennt ihn in-und betont - ahnlich wie Okun - den Wert der Kontinuitat in

L'L.LHoHl'H,; .... ll zwischen Kaufern und Verkaufern. Mandel diese

JU'-Li'.HUCH!', ersetze den Geldnexus und mache Preise okonomisch irrelevant. Ich wer-",.,,,,.,j-,,,',·,,n daB dies aber ich teile mit Mandel und den anderen

oben erwahnten Autoren die £"W[0,'.liC. daB es eine dritte Art einer koordinierenden Das Problem sondern

wie er zu institutionalisieren wie man sicherstellen daB die Ko-und wirklich als ein Produkt von Vertrauen und

der »unsichtbare irreflihrende flir ein »unsichtbares Armverdrehen« sein. Fur Mandel rtihren die Probleme der Marktmechanismen aus der Tatsache nicht von vomherein bevor die Ressourcen tatsachlich daB das Ausbalancieren von

der Produktion daB sie dieses

wie der Walrassche Auktionator. Wie viele andere sozialistische alcw]:luertMandel den neo-klassischen Standard des Gleich-

an dem eine sozialistische ~X'V'.'V'.'Hv zu messen sei.20

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 81 -------

Wird die in dieser Art so sie gerade die enonnen In­formationsbedtirlnisse und die ungeheure Biindelung der Entscheidungen, die in der Kritik der sozialistischen einen so groBen Raum eingenommen haben (vgl. Lavoie Wenn von vornherein ein der Koor­

daB die Infor-mationen

dem kurzen Zeitraum der an'vor'berelltung g<esollmneuund verarbeitet werden miis-sen - bevor die Ressourcen werden und die Produktion Dieses Pro-blem der groBer Massen von Informationen liegt im Kern dem Ll rf,llrY1Pl,t daB die Existenz von das Inf'onnationsJlroble:m

nicht so sehr dern daB er eine relativeAutonomie der Infonnationen

der Btirokratie der Dies wiirde auf zwei Arten ge-

schehen. Die Verantwortung flir die Festlegung des Planrahmens - der Anteil des der flir jeden von zwanzig oder dreiBig Schltisselsektoren der

Produktion verwendet werden soH, die der der Ressourcen fUr »nicht entscheidende« Sektoren, Einkommensdifferenzen etc. - wtirde jahrlichen ~,",mF;H.-',JJ'd~ der Delegierten von Arbeiter- und Gemeinderaten zugewiesen. Die Pla­ner mtiBten noch immer einen detaillierten Plan ausarbeiten, der sich auf diesen Rah-

Die Zuweisung der Ressourcen die selbstverwalteter

~"'-IHF',lv,,~,-,vonArbeiterraten in einem Die detaillierte i-'rr,rlnl-h",

te wtirde sich aus Konsultationen zwischen Arbeiterraten und Verbrau-cherkonferenzen en~eben, demokratisch wtir-den. Die Btirakratie zentraler Ministerien flir Sektor der Praduktion wlirde

Die Rolle des Geldes sowie des Kaufens und Verkaufens wtirde auf ein Minimum re­duziert. Mandels Ziel ist ein Verschwinden des Geldes und des Kaufens und Verkaufens. Dies wurde erreicht durch direkte kostenlose der die zur def Grundbediirfnisse ~'-"JlaU,",!H

die Rolle des Geldes def Okoll()mie HW~'-"W'HH

Damit sieht Mandels Alternative nicht einen ande-ren PrazeE der vor, sondern die der Preise. In

~-'AA~'M~ schreibt er: »Die einfachste - wie auch demokratischste - die mate-Ressourcen den Bedtirlnissen anzupassen, nicht dar-

das Medium des Geldes zwischen beide zu sondern die Bedurlnisse der Menschen

82 Diane Elson ----------------

Preise wirklich wird es die erste Phase des Planrahmens durchzuftihren. Anteile am Bruttosozialprodukt sind

als nur dann gibt, Ressourcen fUr eine einzelne MaBnahme zu blindeln. Das wird faktisch tiber Preise

nutzen lassen chef Preise. Flir die Haushalte ist eine ins

JU"·'0~J'''' verschiedene Schuhmoden - wlirden

attenpr'eis(~« be-

kritisieren und durch andere ersetzen konnten. und rUl!',"UV10"u:m~H waren die Instrumente flir dieses Dies konnte in Form eil1es »Referel1dums« - ein der ein Recht auf sechs Paar Schuhe pro Jahr wlirde auf eil1em Formular mit hUl1dert oder zwei­hUl1dert seehs Muster ankreuzen. Die wtirde dann durch das Ergebnis eines solchen Referendums mit KOlTekturmeehanismen naeh der

'VLCU',-UV''', urn die Kritik der Verbraueher zu bel-iiekslchltlg(~n« 1986, S. 28). Offensiehtlieh hatten Haushalte in dieser Gesellsehaft an Vorausplanung einiges zu leisten, und es ist nieht klar, wie Haushalte mit unerwarteten Bedlirfnissen umgehen wiirden. Sobald ihre Grundbediirfnisse fUr den Planzeitraum bestellt waren - was wlirde passieren, wenn Umfang und Zusammensetzung von Haushalten sich uner­wartet andern (zum Beispiel dureh Geburten oder Todesfalle), oder wenn sich die Bedtirfnisse andern wegen Krankheit oder Weehsel des oder Umzug? Mandel macht auch nieht kIar, wie die KOlTekturmeehanismen aussehen und wie sie funktionieren wtirden. Dies entspricht dem produktionistisehen Vorurteil seiner Vi-sion. Mandel ktimmert sieh mehr urn was er den der Verbraueher tiber die Produzenten nennt, als urn die daB die Pro-duktion effizient die angemessene Palette von und Leistungen zum riehtigen bereitstellt. In seiner Sieht »sind die Durehsehnittsbtirger einer

Verbraueher. Sie sind immer noeh erster Linie Produzenten. Noeh immer werden sie durchschnittlich mindestens neun bis zehn Stunden am in der Wo-

mitArbeit und der Fahrt zum Wenn die meisten Mensehen aeht Stunden pro Tag sehlafen, bleiben seehs Stunden flir Er-

Sexual- und Beziehungen, alles zusammengenom-S. daB Mandels

keinen den erwachsenen Mann ist Hj,'~H'~'A"'r"6uH~"'1WUVH Autofabrik arbeitet und dessenAuto ist es ein schwaeher wenn ihm gesagt er sei in erster Linie ein duzent und kein Autoverbraueher. Die liegt daB Mandel die glei-che abstrahierte Sieht des Konsums hat wie der Werbefaehmann: als etwas, das »der

Markt-Sozialismus oder Soziaiisierung des Markls? 83 ----' , ------------------------------------

Verbraucher« Wir alle benutzen Produkte und L'~'~HC'Uv~" diemeisten unter Kinder oder wenn wir krank sie auch. Die unvermeid-

'-'jJ<UH'W"1', zwischen unseren Bedtirfnissen als Benutzer und unseren Bediirfnis­sen als Produzenten laBt sich nicht durch die ster Linie« Produzenten. Dariiber hinaus stimmt es »in erster Linie« als Produzenten sehen: viele Frauen sehen sich eben so als Ehefrauen und Miitter mit einer fUr des Haushalts wie als Ar­

viele Frauen sind fUr wesentliche Zeitraume ihres Erwachsenenle-bens nicht im Sektor der bezahlten Arbeit Vor dem

Es ist unklar, wie der der Arbeiterrate iiber die Zu-der Ressourcen an die einzelnen Untemehmen entscheiden wiirde. Diese

wiirden tatsachlich die gleiche Aufgabe erftillen miissen wie die Ministerien in der und sie stiinden weitgehend vor den 1',''''v'''~H blemen. Mandel neigt dazu, iiber diese Probleme hinwegzugehen, indem er »selbst­verwaltete beschwort- wie zum Beispiel in eine »selbstverwaltete Arbeiterschaft hatte kein Interesse die Tatsachen geheimzu­halten«.Aber eine ganz bestimmte selbstverwaltete Einheit hiitte ein Interesse die Fakten vor dem der Arbeiterrate wenn sie auf diese Weise eine re{lU;~lene erreichen konnte. Die

nur verschiedenen selbstverwalteten mente, wie selbstverwaltete

.u Lv n,u'l',alJ'--" einer »artikulierten weil in Mandels dem Unerwarteten nicht viel Raum I','-"""""'-'U

auf »sozialistischen« - Landern durch­

tlrau,cn,,;, Routine und die natiirliche gege][1Stomgen Kenntnis und den vorhersehbaren Resultaten er-

einer der laBt das Koordi-verschwinden. Sie ist eine eine Stiitze

84 Diane Elson

fiir Mandels Betonung eines von vornherein anzustrebenden Gleichgewichts wie auch fUr seine Uberzeugung, Geld und Preise konnten einer wichtigen Rolle im Ko­ordinationsprozeB entkleidet werden. Die Voraussetzung einer Okonomie, die keiner Anpassungsprozesse bedarf, wird durch eine tibermaBig vereinfachte Sicht der Be­diirfnisse untermauert Mandel geht von der weit verbreiteten Ansicht aus, es gebe eine Hierarchie der Bedtirfnisse, bis hin zu der Annahme, die Mischung der Waren, die die Bedtirfnisse der Menschen befriedigt, kannen Planern im voraus bekannt sein und sei von Preisen unabhangig. Aber die Tatsache, daB Bediirfnisse nach Nahrung, Getranken, Kleidung und Wohnraum fundamental sind, sagt uns noch nicht, welche Arten Nahrung, Getranke, Kleidung und Wohnraum die Menschen wollen. Mandel

wir kannten uns fUr dieses notwendige Detail auf die gegenwar-tiger Verkaufe von Nahrung, Getranken, Kleidung und Wohnraum verlassen. Aber diese Raster werden durch relative Preise und die Einkommensverteilung (lind die diesen zugrundeliegenden Machtbeziehungen) ebenso festgelegt wie durch die Be­diirfnisse. Mit veranderten relativen Preisen lind veranderter Einkommensverteilung kannte sich das Verbrauchsbild betrachtlich verandern. Die Menschen entscheiden nicht unabhangig yom Brotpreis, wie viel Brot sie kaufen wollen. Mandel ist der Meinung, Preise seien nicht wichtig bei der Feststellung, was die Menschen kaufen, weil er die Bedeutung von »Festpreis«-Markten miBversteht, wie auch die Tatsache, daB die Verbraucher nicht auf kleine Preisanderungen reagieren. Diese Phanomene bedeuten nicht, daB die Zuweisung der Ressourcen nicht von Preisen gesteuert wtirde, eher bedeuten sie, daB Firmen die Kosten haufiger Preisanderungen mit deren Nutzen vergleichen und ihre Listenpreise nur andern, wenn die Produktionskosten eine be­stimmte Grenze tiberschreiten; die von ihnen geforderten Preise werden durch die Verbrauchernachfrage begrenzt. Ahnlich vergleichen Verbraucher die Kosten und den Nutzen der Suche nach billigeren Waren. Wegen der Transaktionskosten in Si­tuationen begrenzter Information und weil Kaufer und Verkaufer Wert auf Kontinui­tat legen, sind die Preise auf den meisten Markten nicht vollig flexibel, und die Pro­duktion wird kurzfristig durch Mengensignale gelenkt. Aber das bedeutet daB Preise vemachlassigt werden konnten. Denn Preise sind eine wichtige Determinan­te und die Profitabilitat lenkt die Investitionsentscheidungen. Selbst

sind die von Mandel bemerkten Phanomene nicht dafUr Indikatoren, daB Preise ul1wesentlich sind, sondem daB fUr die meisten Transaktionen Preisnormen entscheidend sind. Wenn ein Unternehmen versuchen wiirde, die Profite durch we­sentlich hahere als die »normalen« Preise zu steigern, wiirde es schnell Kunden ver­lieren. Getreu seiner Annahme einer statischen nimmt Mandel an, relative Preisnormen seien stabil auBer unter Bedingungen akonomischer Katastro-phen. Dies auBer acht: vor dreiBig lahren waren die relativen Preise von Femsehapparaten in hoch, sie waren tef. Heute ist ihr Preis relativ viel und ein weithin als

sowohl in der i:iffentlichen Meinung wie auch bei den Armutskrite­rien der Sozialforscher. Mandel (1986, S. 23) stellt es sei »viel und Grundbedtirf-

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 85

nisse nicht auf dem indirekten Weg der Zuweisung von Geld auf dem Markt zu be­friedigen, sondern durch direkte Verteilung - oder Umverteilung - der gesamten ver­fligbaren Ressourcen.« Aber es ist bemerkenswert, daB seine Beispiele samtlich ex­treme Bedingungen anflihren - Pinochets Chile, Hungersnot in der Sahel, Epidemien in Bangladesh; N atiirlich wiirden wir alle zustimmen, daB die wirkungsvollste Politik unter so1chen Bedingungen in der direkten Verteilung von Nahrungsmitteln ohne Bezahlung liegt. Aber sind die MaBnahmen, die fiir die Katastrophenhilfe unter Be­dingungen einer sehr ungleichen Einkommensverteilung und des Privateigentums an den wichtigeren Ressourcen erforderlich sind, wirklich identisch mit den erforderli­chen MaBnahmen in einer sozialistischen Okonomie, in der die wichtigen Ressour­cen in gesellschaftlichem Eigentum stehen und die Einkommensverteilung relativ gleich ist? Mandel unterscheidet nicht zwischen denAuswirkungen des Kapitalismus und den Auswirkungen des Preismechanismus. Es gibt ein Argument flir die kostenlose Verteilung bestimmter Guter - zum Beispiel flir Gesundheit und Erziehung - aber dies ergibt sich aus bestimmten Kennzeichen dieser ganz besonderen Guter. Entscheidend ist nicht die Tatsache, daB sie Grundbe­durfnisse befriedigen, sondern die Tatsache bestimmter Formen der Interdependenz in ihrer Produktion und Benutzung. Mandel stUtzt sich nicht auf so1che Argumente: Die Abschaffung von Preisen und Geld wird eher als Ziel an sich gesehen. Dies flihrt zu eigenartigen VorschHigen - wie zum Beispiel, eine soziale Dividende solle die Form einer spezifischenAusweitung kostenlosen Urlaubs und von Reisen fur alle an­nehmen (wenn dies die Option der Mehrheitware) (vgl. Mandel 1986, S. 35). Fur die Minderheit derer, die lieber zu Hause bleiben, ware das keine besondere Dividende. Warum keine soziale Dividende in Geldform, so daB jeder sie nach seinen eigenen Vorstellungen nutzen kann? Der entscheidende Punkt bei Geld und Preisen ist, daB sie uns ermoglichen, Alterna­tiven ins Auge zu fassen; von der Entscheidung, we1chen Prozentsatz am N ationalpro­dukt wir flir die Gesundheitsdienste ausgeben, bis hin zu der Entscheidung, we1che Waren wir fUr die Befriedigung unserer individuellen Bedurfnisse kaufen. Preise sind nicht die einzige erforderliche Information, urn zwischen Alternativen auszuwahlen, aber sie sind dafur eine unverzichtbare Information. Mandels Abneigung gegenuber Geld und Preisen ruhrt vielleicht von seiner Uberzeu­gung her, daB Geld und Preise in gewissem Sinne inharent kapitalistische Formen sind. Dies ist sicherlich die Ansicht der Osterreicher und liegt ihrer Uberzeugung zugrunde, daB eine gut funktionierende sozialistische Okonomie unmoglich sei. Man­del wie auch andere Anti-Preis-Marxisten wurden sicherlich Lavoies Ansicht teilen: »Ein Preis ist eine Widerspiegelung dessen, was flir Marx ein Widerspruch des Kapi­talismus ist. Er ist sowohl die organisierte wie rationalisierende Richtlinie flir Pro­duktionsentscheidungen und gleichzeitig eine Widerspiegelung der antagonistischen sozialen Beziehungen zwischen Kaufern und Verkaufern«. Aber die SchluBfolge­rung, die ich ziehe, lautet nicht, daB Preise und Sozialismus inkompatibel sind, son­dern daB die sozialen Beziehungen zwischen Kaufern und Verkaufern so verandert werden miissen, daB sie nicht antagonistisch sind; der PreisbildungsprozeB muB

86

bffentlich

Grenzen setzt, innerhalb wird.

Diane Eison

Marktes

Es ist weitaus die Gedanken anderer zu kritisieren als eine HHJ,...",~ •• ~Alter-

barer sein als der erste, und sicherlich einer Altemative sowohl zu Noves dopplelt(~r '--'ALlllU'lllJ"1,.,

ohne Preise erscheint mir recht 0CUHUiv0

Denken wider und Meine Gedanken habe ich seit dem ersten terzogen, und sie werden sicherlich weitere

Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft

Der grbBte Teil der Diskussion tiber die sozialistische Organisation der Wirtschaft von den Eigentumsformen an Untemehmen aus, aber das ist nur in-

sofem von Bedeutung, als es Implikationen fUr die der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft hat. In einer kapitalistischen Wirtschaft wird die Ar­beitskraft von den Subsistenzmitteln getrennt, und der PrazeB der Produktion und Re-!J"'UCH~U'VH der Arbeitskraft ist eine die vom f"1i·u"WHHICUUUV'H0Jf'"

wird. Der zwischen Kaufer und Verkaufer besteht zwischen Haushalten als Verkaufem und Unternehmen als Kaufem von Ar-beitskraft Dies muE verandert so daB der ProzeE der Produktion und duktion der Arbeitskraft wr Variablen der sich der Akkumula-

Dazu mussen Haushalte tiber ein Basiseinkommen ohne Arbeitskraft an Unternehmen auBerhalb verkaufen w mtissen, selbst wenn diese in Ei-

stehen. veau existieren kbnnen. Dann erst, und nicht unter dem konnen sie wirklich ob sie ihre Arbeitskraft an Unternehmen verkaufen wollen. Wie dies genau erreicht werden von der Struktur der und dem Niveau der ab: in einer armen wird das

du;stnleges(~l1E;chatt. In allen Fallen durfte es ange-Wasser und als Offentliche

ist es uv.'H,Gvi~, in einer

ist ein kollektives Geldeinkommen eher am Platze. 'Vi,,"""", werde ich mich im Fane der reicheren

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 87

Industriegesellschaften auf einige detailliertere Beispiele konzentrieren, aber ich werde versuchen, die Grundideen so zu formulieren, daB sie auf alle Arten von Wirt­schaften anwendbar sind. In einer industriellen Wirtschaft wurde die freie Entscheidung der Haushalte auf zwei Grundlagen ruhen: der kostenlosen Bereitstellung von Grunddiensten wie Gesund­heit undAus bildung, Wasser und Hygiene, und dem Recht jedes Burgers auf ein Mini­mum-Geldeinkommen fUr ausreichende Nahrung, Kleidung, Wohnraum und Haus­haltswaren fUr den allemotwendigsten Lebensstandard (Linsen statt Steaks? Massen­produzierte statt Designer-Jeans? Kokosmatten statt Wollteppichen?) Der Grund fUr die kostenlose Bereitstellung von Dienstleistungen wie Gesundheit und Erziehung ergibt sich aus den besonderen Kennzeichen dieser Dienste (Interde­pendenzen und Extemalitaten), nicht weil sie grundlegend sind. Man konnte aus ahnlichen Grunden auch fUr das kostenlose Angebot anderer Dienste pladieren, wie den Nahverkehr. Aber da praktisch alle Sozialisten in diesen Fragen ubereinstimmen, werde ich sie nicht detaillierter untersuchen. Ich werde jedoch den freien Zugang zu Informationsnetzen hinzufUgen: Druck, Telefon, Fotokopierer, Faxer, Computer etc. Wie spater deutlich werden wird, ist eine notwendige Bedingung fUr die Sozialisie­rung des Marktes der freie und leichte Zugang zu Informationen. Datenbanken und Offenlegung der Inforrriation sind wesentlich fUr die Entwicklung von Beziehungen des Vertrauens, des goodwill und der Gegenseitigkeit. Deshalb muB nicht jeder Haus­halt seinen eigenen Personalcomputer haben, sein Modem, Telefon und seine Satel­litenantenne; aber es impliziert, daB jedem Haushalt der gleiche Zugang zu derartigen Einrichtungen garantiert wird wie zu Schulen und Krankenhausem. Diese kostenlos gestellten Dienstleistungen muBten so organisiert werden, daB sie den Haushaltsbedurfnissen entsprechen, und nicht nur den Bedurfnissen ihrer Produ­zenten. Dazu ware notig, Formen der Verantwortlichkeit gegenuber Haushalten zu entwickeln, vielleicht durch Benutzerorganisationen. So1che Formen der Verantwort­lichkeit existieren sehr keimhaft in einigen westeuropaischen Landem (z.B. Gemein­de-Gesundheitsrate in GroBbritannien), aber es fehlt Ihnen echte Macht. Die anderen Elemente des Grundeinkommens wurden nicht kostenlos geliefert, aber sie stunden in Geldform zur Verfugung. Es gibt eine wachsende Literatur zur Rolle allgemeiner Zuschusse beim Aufbau des Sozialismus22, die ich hier nicht detailliert kommentieren werde. Offensichtlich stellt sich die Frage: Wennjeder ein garantiertes Einkommen erhalt, das ihn von der Notwendigkeit befreit, seine Arbeitskraft an Un­temehmen zu verkaufen - wie wird garantiert, daB die Waren, fUr die das garantierte Einkommen ausgegeben werden solI, auch produziert werden? Eine Antwort lautet, daB die meisten Menschen mehr werden kaufen wollen als das Garantieeinkommen erlaubt (manchmal Steaks und Wein statt Linsen und Wasser), und daher sehr geme ihre Arbeitskraft verkaufen werden, urn sich ein hoheres Einkommen zu verschaffen. Eine andere Antwort besteht darin, daB die Menschen das Geld benutzen werden, urn eigene Produktionsmittel anzuschaffen und Heimarbeitsplatze einzurichten oder sich mit anderen Haushalten zur Bildung von Kooperativen zusammenzutun. Eine dritte Antwort lautet, daB die Menschen genug GemeinschaftsbewuBtsein aufbringen, urn

88 Diane Elson

zu daB sie zur Produktion beitragen miissen, wenn das Einkom-men iiberhaupt eine Kaufkraft haben solI: aber dieses Argument ist offen fUr den Einwand des sein werden und ande-re nicht. die Garantie

Uesetzgl:blmg zum '<HWU'U~ mit Garan-

UH,S''''''--'.''''-'' Garantien mussen als Teil eines Paketes sozialer des die entschei-

urn mit dem »Trittbrettfahrer«-Problem zu der zusatzlich den zur der unbezahlten Arbeit bei-zutragen, die fUr die Produktion und der Arbeitskraft erforderlich ist: Neben dem Recht auf ein Einkommen sollte fUr Erwachsene die Pflieht unbezahlte Haushaitsarbeit zu leisten, durch und Besorgun-gen fUr diejenigen, die nieht mehr fUr sieh selbst sorgen konneno Wer bereits fUr eine

odeI' alte oder kranke odeI' behinderte Person Borgt, ware davon ausgenommeno Jeder miiBte unbezahlte Gemeinsehaftsarbeit leisten, wie zum Beispiel fUr ein be­hindertes Kind zu sorgen, wahrend der Erzieher des Kindes dadurch Freizeit bekame - fUr MuEe oder Arbeit. Die Sozialisation der Haushalts- und anderer unbezahlter Hausarbeiten war immer ein Ziel sozialistiseher Feministinnen. Aber dabei war vielleieht die Tendenz zu stark ausgepragt, solche Arbeiten aus dem Haushalt her­auszuziehen - Kindergarten, Altersheime, Gemeinde-hauser. Diese haben ihre lieher Abgesehiedenheit, eines Raumes flir sieh der individuellen Pflege zu negativ. Statt einfaeh den Bereich des Lebens innerhalb des Haushalts zu reduzie-

0vlHa.,:,vll,den Beitrag zur Sorge fiir andere in den Haushalten sozial konnte aueh genutzt urn die ge-

dieser Arbeit zu iiberwinden. Manner konnten daB aBe

IT<1,rClronF'rT"C Einkommen fUr sieh dazu der Frauen und Kinder von Mannern abzubauen. Ein anderer Punkt betrifft die reale Kaufkraft der Einkommen. Der reale

der mit einem solchen Garantieeinkommen zu '--'''"',--,"'vH

Preisen ab und wird von der Inflation Der Wert eines Geldeinkommens im Kontrast zu einem in daher sehr stark von dem ProzeE der Preis-

abo Es daher eine direkte zwischen von eI-nem Geldeinkommen und der Sozialisation des Marktmechanismuso

sondern auch Verhiufer

alriinrllpn oder mit anderen Haushalten zu bilden und ihre Produkte zu verkaufen. Diese Aktivitaten werden wahrscheinlich auf nied-

Markt-Soziali~mus oder Sozialisierung des Marias? 89

rigem Niveau erfolgen. In den meisten Haushalten werden wahrscheinlich Mitglie­der zu irgendeinem ihres Lebens in groBeren offentlichen Untemehmen arbeiten und ihre Arbeitskraft fUr Lohn verkaufen. Wenn die Notwendigkeit dazu

fallt auch die grundlegende Ursache fUr den Antagonismus zwischen den Kaufem und Verkaufem von Arbeitskraft fort. Aber entscheidende Fragen bleiben dennoch offen: in Bezug auf die Organisation der Arbeit in den Untemehmen, die

der Arbeit bei veranderten wirtschaftlichen Bedingungen und die Fest­der Lohne. Wenn Arbeitskraft zur unabhangigen Variable werden soH, darf

Arbeitskraft nicht einfach als eine Ressource unter anderen behandelt werden wie Maschinen und selbst wenn in den Bilanzen des Unternehmens aIle

Geldform erscheinen.

U nternehmen mit

Die offentlichen Unternehmen mtissen also von der Belegschaft geleitet werden; es muB ein »Recht auf Arbeit« fUr diejenigen geben, die bei offentlichen Unternehmen beschaftigt und die Grundlohne mtissen durch einen »sozialisierten« Arbeits­markt festgelegt werden. Management durch die Belegschaft bedeutet, daB die ge­samten Personalkosten eines Untemehmens im allgemeinen nicht einfach als Ko­sten betrachtet die minimiert werden mussen. Dies mag Besorgnisse liber »mangelnde Leistung« und ausbleibende Innovation hervorrufen. Aber es gibtkeinen

warum ein Untemehmen unter Belegschaftsmanagement kein Interesse ha­ben sollte, die Personalkosten pro Stuck durch eine bessere Produktionsorganisation zu wobei Produktivitatszuwachse entweder in Freizeit oder Geld entlohnt wtirden. Ein Unternehmen unter Belegschaftsmanagement ware besser gertistet, Ten­denzen zu die Personalkosten pro Stlick durch eine Intensivierung der

durch Abstriche an den Gesundheits- und Sicherheitsma13nahmen oder durch Entlassungen zu senken. Diese letzten drei MaBnahmen mogen die Leistungsfahig­keit unter dem Kriterium der Profitabilitat aber es ist eine einseitige Lei-LUl.'IS~HUHIS."V'." die zwar die der Bedlirfnisse der Haushalte als Kaufer

verbessern mag, aber die Befriedigung der Bedurfnisse der Haushalte als Verkaufer von Arbeitskraft verschlechtert. Arbeiter in offentlichen Untemehmen unter nicht dem MaE an Kontrolle wie

ihrer rHHd>OCI

U~~orlorm<~n wurden Ie Burokratie von Ministerien der verschiedenen zialisten mtissen nicht daB diese Btirokratie verschwinden ich vor, stattdessen ein Amt flir die der offentlichen Unterneh-

Normen flir die die flir sich selbst

90 Diane Elson

oder ihre Partner aneignen. Der Regulator der Offentlichen Unternehmen wlirde im Namen der Gemeinschaft die Eigentumsrechte an den Unternehmen ausuben, wah­rend die Unternehmensangestellten aufN utzerrechte beschankt waren. Es gabe keine Kapitalmarkte mit Ubernahmen und Bankrotten. Die Rekonstruktion der Unterneh­men lage in der Verantwortung des Regulators. AlsAusgleich flir diese Beschrankung ihrer Rechte erhielten die Angestellten offentlicher Unternehmen einen betrachtli­chen Teil ihres Einkommens als Festlohn ausgezahlt, statteinesAnteils am UberschuB des Unternehmens, aber es konnte variable Zulagen auf die Produktivitat geben, von der individuellen, Team- und Unternehmensleistung abhingen. Unternehmen wurden ihr Material und ihreAusrlistung kaufen und ihre Produktion auf »sozialisier­ten« Markten verkaufen, mit Ausnahme die kostenlose Dienste liefern. Sie mtiBten innerhalb eines Rahmens enger Umweltschutz-, Gesundheits-, Sicherheits­und Verbraucherschutzbestimmungen arbeiten, die durch gut ausgestattete Inspekto­ren wurden. Normalerweise wurden sie sich selbst ausgenom­men jene, die kostenlose Dienstleistungen liefern und aus Steuermitteln finanziert wurden. Betriebsgrlindungen wtirden ermutigt. Teams von Arbeitern konnten beim Regulator die Erlaubnis beantragen, ein neues Offentliches Unternehmen zu grunden, und sich dafUr (gegen Zinsen) offentliche Gelder zuweisen zu lassen. In einigen Industriezwei­gen konnte ein System eingefUhrt werden, wonach Teams von Arbeitern beim Regu­lator beantragen konnten, Offentliche Einrichtungen fiir einen bestimmten Zeitraum zu betreiben. Es gabe Spielraum fUr eine Vielfalt von Formen offentlicher Kontrolle und dezentralisierter Initiative.24

Offensichtlich ergaben sich Situationen, in denen ein Unternehmen zahlungsunfahig wlirde und saniert werden miiBte. An diesem Punkt kame der Regulator der offentli­chen Unternehmen ins Spiel. Niemand wlirde entlassen. Stattdessen wurde der Re­gulator bei der Ausarbeitung von Planen helfen, urn den Angestellten Arbeitsplatze in neue Arbeitsplatze zu verschaffen. Angestellte batten in diesem ProzeB klar definierte Rechte und konnten sie vor Gericht durchsetzen. Der der offentlichen Un-

genauso tion zu zur Information allein wird dies nicht ge-wahrleisten. Daher mtissen verschiedene von Arbeitern die

Vertreter ihrer Wahl anzurufen von den Gewerkschaften

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Marias? 91

urn eine Politik zu formulieren und ihre Rechte bei der geltend zu machen. Der offene Zugang zur Information wird auch wenn die Situation instabil ist und eine Menge den Hiinden einiger konzentriert werden muEt Die

Formen des Man:;u!(;ments durch die stehen daher in einer zu den zwischen den Unternehmel1. Es ist nicht

'H~'AHVH, innerhalb eines Unternehmens freien Zugang zu Informationen zu ge-die anderen Untemehmen vorenthalten werden. Die der

Informationen zwischen Untemehmen ist ein Schliisselkennzeichen sozia-auch fUr kontinuierliche zwischen Kaufem

die eines Unternehmens zu stabili-sieren. Sozialisierte waren dann we it eher mit industrieller Demokratie ver-einbar als die von Unternehmen werden.

Sozialisierte Miirkte

leh mochte zunachst einige allgemeine Kennzeichen sozialisierter Markte umreiBen. Danach werde ich detaillierter erortem, wie diese flir die Arbeitskraft, flir Rohstoffe und Halbfertigwaren (d.h. Giiter, die zwischen Unternehmen ge- und verkauft wer-

nennen wir sie Produktionsgtiter) und flir Kosumgiiter funktionieren kannten. Ein sozialisierter Markt wird von offentlichen Ktirperschaften getragen, die mehr aus der Besteuerung der Untemehmen und Haushalte finanziert werden als aus ihren Um­satzen. Es ist auch ein Markt, in dem die »unsichtbaren Handschlage«, das Verhaltnis von goodwill und Gegenseitigkeit, das auch MarkWkonomien zumindest bis zu einem

ihre

Grad auszubilden fUr natig in Offentliche Informationsnetze mit all-~ueF,UH.S tiberfiihrt werden - statt in »inneren Kreisen« oder »Industrie­

aus denen »AuBenseiter« ausgeschlossen bleiben. Derartige ,-,we,""e.", die aus Steuergeldem bezahlt werden statt durch den Ver-

V"AH''-''' wir sie Preis- und die Schranken des Informationsaustausches zu

,-"-,,,'otpn Markten existieren. Die osterreichische Schule hat neJrvClf!!enoo!en. in we1chem Ausma13 Markte Informationen erzeugen; weni-

wie Markte Informationen Profitorientierte Unterneh-

Vorteil des Marktes wie er zur Initiative aber ein Nachteilliegt in der von Informationen errichtet Ein so-zialisierter Markt erlaubt die sellschaft freier Menschen abeT er schafft auch neue und Motive fUr indi-viduelle die dem Gemeinwohl dienen, Die Preis- und Lohn-Kommissionen mtiBten von daher vorgehen. Zu­nachst wtirden sie materielle fUr den Austausch von Informationen

92 Diane Elson

tiber die Bedingungen von Kaufen und Verkaufen zwischen den Untemehmen schaf­fen, wie auch zwischen Untemehmen und Haushalten. Die Art dieser Einrichtungen muB vom Niveau der okonomischen Entwicklung abhangen. In einer annen Agrar­okonomie ware die Einrichtung von Markten der erste Schritt. In einer industriali­sierten Okonomie mit Zugang zu Mikro-Computem ware ein elektronischer Markt moglich. Auch in kapitalistischen IndustriegeseUschaften entstehen elektronische Markte, wenn auch fragmentiert. Ein offentlicher elektronischer Markt hatte den enormen Vorteil der Standardisierung - zur Zeit wird die Entwicklung kapitalistischer elektronischer Markte behindert durch die Inkompatibilitatder Markengerate. Bei der

und sind gro£e Einsparungen die ein inte.gl"ierter, offentlicher elektronischer Markt zu zen konnte. Dies gabe Untemehmen und Haushalten einen positiven Anreiz, den offentlichen Markt zu benutzen; er ware billiger, als eine eigene fragmentierte Infor-H""l\Jll,,~aHU'l1l>"b liber Kauf- und zu unternehmen. WelcheArt an Information sollten die Preis- und Lohn-Kommissionen sammeln und speichern? Sie mliBten liber die Information liber die SWckpreise hinausgehen. Einer derGrtinde flir einen sozialisierten Markt liegt darin, die Preisbildung transparent und Offentlichen Uberprlifungen zuganglich zu machen. In industralisierten Marktokono­mien bilden die meisten Unternehmen ihre Preise, indem sie den Kosten eine Ge­winnspanne hinzufUgen, aber die Kosten und die Spanne werden nicht offentlich ge­macht. Die Preis-Kommission wiirde Informationen liber Stlickkosten einfordem, so daB die Offentlichkeit das Verhaltnis zwischen Kosten und Preisen einschatzen konnte. Wiirde es fUr die Unternehmen besondere Kosten verursachen, diese Infor­mationen zu liefern? wenn Unternehmen derartige Informationen bereits fUr ihre eigenen internen Managementzwecke sammeln. Kostenrechnung ist in kapita-listischen Okonomien tatsachlich bereits ein fundamentales des ments. Der Unterschied lage nicht in der Verpflichtung, neue Informationen zu lie-

sondern die normalerweise geheim gehaltenen Informationen offenzulegen. Die zweite bestiinde also darin, die Offenlegung von Informationen auf der

UH'UiO'h'-' standardisielter Kostenrahmen zu als flir die Zulassung zum offentlichen Marh Eine dritte Aktivitat lage die der Preise und Lohne Zli lenken. Natlir­lich ist es flir Preis- und Lohn-Kommissionen selbst unmoglich, Transaktion zu liberwachen und zentral aIle Preise und Lohne zu kontrollieren. Es immer die

inoffizieller »grauer« oder »schwarzer« Transaktionen auBerhalb der zentralen Kontrolle. Die Preis- und Lohn-Kommissionen konnen Preis- und Lohnnormen schaffen und die Informationen die es Kaufern und Verkaufern ,-,uUV5",",u\~1l, selbst die Preise und Lohne auf dezentralisierte Weise zu tiberwachen. Auch steuerliche MaBnahmen und Sanktionen fUr nutzt urn die Befolgung der Normen zu fOrdern und bestrafen. Preise und die bei einer bestimmten Transaktion konnen mit den Normen v~E,'''mVH werden. Wenn sowohl die Kaufer wie auch die Verkaufer bei einer bestimmten Transaktion von der Norm abweichen wollen

Markt-Sozialismus oder Soziaiisierung des Markts? 93

eine schnellere Lieferung oder die Erfiillung eines spezifischen Kundenwunsches zum Beispiel), sttinde ihnen dies frei. Aber sie hatten auch die Moglichkeit, sichAb­weichungen von der Norm zu widersetzen und eine Untersuchung durch die zustan­dige Kommission zu fordern. Wenn viele Kaufer und Verkaufer einer Abweichung von der Norm zustimmen, konnte dies bedeuten, daB die Norm tiberprtift werden muB. Kurzfristig jedoch neigen dezentralisierte Industrieokonomien zu gleichbleibenden Preisen, wobei Mengenanpassungen (im Umfang der Auftragsbticher oder der Ver­anderungen in der Produktpalette) die wichtigste Rolle spielen. Uingerfristig gewinnt die Preisanpassung an Bedeutung, wegen des Einflusses der Preise auf die Beurtei­lung der notwendigen Investitionen. Wegen der Preiskonstanz wird die Kommission dem Ablauf der Transaktionen manchmal eher zuvorkommen als folgen mtissen und Preisnormen andern, bevor sich die Preise in den aufgezeichneten Transaktionen wahrnehmbar geandert haben. Zu dies em Zweck wird sie Informationen aus den Netzen anfordern, tiber Lagerbewegungen und Kapazitatsauslastung. Die Normen mtissen interaktiv gebildet werden, auf der Grundlage der Informationen von Kaufern und Verkaufern, nicht zentral auferlegt, ohne die Anforderungen der Kaufer und Ver­kaufer zu berticksichtigen.25

Eine fortgeschrittene Okonomie kann den elektronischen Markt mit einem elektroni­schen Zahlungssystem verbinden. Ein Offentliches elektronisches System fUr Ab­schltisse wird die Bedingungen aller erfolgten Transaktionen aufzeichnen, und diese Information kann verarbeitet werden, umAbweichungen von der Norm offenzulegen. Wiederum werden die niedrigeren Transaktionskosten eines offentlichen Aufzeich­nungssystems Kaufern und Verkaufern einen Anreiz zur Benutzung geben. Elektro­nische, »bargeldlose« Abwicklungssysteme werden in kapitalistischen Industrielan­dem bereits entwickelt, aber wie beim elektronisehen Markt werden sie durch feh­lende Absprachen tiber technische Standards und hohe Startkosten behindert. Mit offentlichen MarktbiJdnern mtissen offentlich organisierte Netze von Kaufern und Verkaufern einhergehen, mit einem gemeinsamen Interesse, den direkten Aus­tausch von Informationen zum Beispiel tiber die Spezifikationen von Waren und Produktionsprozessen sowie tiber Investitionsplane zu fOrdern. Derartige Informa­tionsnetze26 wiirden sich von Btirokratien mit ihren Hierarchien der Macht und ihrem Nexus der Regeln unterscheiden; und auch von Markten, in denen die Beziehungen diskontinuierlich sind und durch den Geldnexus vermittelt werden. Sie wtirden sich von den informellen Netzen der Untervertrage zwischen Unternehmen unterschei-

weil sie mit offentliehen, aus SteuergeJdern finanzierten Sekretariaten ausgestat­tet urn den Informationsaustauseh zu erleichtern; und jede soziale Einheit, die offentlich spezifizierten Kriterien gerecht wiirde, Mtte freien Zugang. Die In­formationsnetze wtirden sieh nieht aufPreise und Kosten sondern auf die Mengen und Charakteristika von Gtitern und Produktionsprozessen. Es sttinde jedem offen, ein eigenes Informationsnetz aber diese Netze wtirden er-ganzt durch offentliche deren Koordinatoren das Recht hatten, die Offenle-gung von Informationen zu Netze aus Kaufern und Verkaufern konnten einige der Interdependenzen vor der aufhellen; so daB einzelne Einhei-

94 Diane Elson -------

ten bei

Spezltkllti()ll(':n konzentrieren. Wiederum brauchen die Unternehmen deshalb keine neuen Informationen zu ~mHH'vL", was ihre Kosten erhohen sondern nur die Informationen Zwecke ohnehin brauchen. Zum

hUIJH'U'0U~.~,,,.H Gesellschaften die Information iiberdie wie sich troUe zur sofortigen Erfassung Die elektronische Technologie hat es weitaus leichter und billiger gemacht, den Lagerstand zu kontrollieren.

waren die Grundlage flir einen dezentralisierten sozialen in dem die Implikationen der InvestitionspHine verschiedener Ein­

heiten vor dem AbschluB der Plane eingeschatzt werden konnten. Die Sekretariate soIcher Netze konnten mit einer nationalen Planungsagentur in Austausch treten, um eine abgestimmte Gesamtstrategie flir die nationale Okonomie zu schaffen. Die Wiinschbarkeit del' Dezentralisierung von Entscheidungen zur Kapazitatsauslastung und Innovation bedeutet nicht, daB keinerlei Form zentraler Planung fUr die gesamte Wirtschaft erfordel'lich ware. Tatsachlich bedarf es einer Gesamtstrategie, urn festzu­legen, weIche Sektoren expandieren, weIche abnehmen soHen; wieviel flir Investitio­nen und wieviel flir Konsum angesetzt werden und weIche Engpasse behoben, weIche als Grenzen akzeptiert werden sollen. Aber diese Strategie wiirde nicht durch die zentralisierte materieller Ressourcen und Produktionsziele flir Unternehmen durchgesetzt. Die japlmische und franzosische Planung

was mir vorschwebt, vielleicht am nachsten aber ihnen fehlen die 'H'JM',H,oll"-'~l"~H der die einer sozialistischen Okonomie

auf die sie sich sind eher »innere Kreise« und Verbande als offen zugangliche Netze. Die Kommissionen und Netze wtirden in

Produktions- und Konsumgiiter etwas anders o'Pj,rplnnt behandelt werden.

Der Arbeitsmarkt

Die Lohnkommissionen wiirden ''-''',CU''r;,-'H flir den Informationsaustausch tiber undArbeitssuchende schaffen. Dies allein ware flir die industria-

lisierten nichts aber soIche Institutionen wurden in "u,C'n,u,o

schen Gesellschaften schlecht und lieferten nur sehr be-Informationen iiber offene Stellen undArbeitssuchende. Sie lieBen viel Raum

Markt-Sozialismus ada Soziaiisierung des M_a_r_kt_s._? ________________ 9~5

fUr profitorientierte private Vermittlungsagenturen und fUr profitorientierte wie an­dere Datenermittlungsagenturen. Insbesondere lieferten sie keine vergleichenden In­formationen tiber den allgemeinen Zustand des Arbeitsmarktes, die es Unternehmen und Arbeitssuchenden gestattet hatten, die Bedingungen angebotener Arbeitsplatze zu bewerten. Sie lieferten auch keine Informationen dartiber, wie relative Lahne fest-

werden (ob durch Arbeitsplatzbeschreibungen oder >>llach Brauch und Sitte«). Urn wirksam zu die Lohnkommission nicht nur eine obliga-torische tiber offene Stellen, sondern auch Informationen des Un-ternehmens tiber die Verdienste und Arbeitsbedingungen der L,,_.~"'JlWl die Einzelheiten Information sammeln legung dieser Daten erforderlich, und eine weitere Verarbeitung durch die Lohnkom­mission. Mikro-Prozessoren mit Tabellenkalkulation und der Fahigkeit zur graphi­schen brauchten nur sehr wenig urn die Daten zusamrnenzufassen und so darzustellen, daB sie fUr Arbeitssuchende oder Personalabteilungen leicht ver­standlich ware. Die Lohn-Kommission wtirde auch bei angemessener Ausstattung keine weitere kostspielige Ebene der Blirokratie bilden. Sie wiirde einen ganzen Wust von Agenten ersetzen, die in kapitalistischen Okonomien Informationen zwar schaf­fen, aber auch fragmentieren und vel'bergen. Die Lohn-Kommission kbnnte bei del' Durchsetzung von Minimalstandards flir Ar­beitsbedingungen helfen, indem sie Arbeitsangebote vom soziaJisierten Markt aus­schlieBt, die diese N ormen nicht erfiillen. Gleicherweise kbnnte sie zur Durchsetzung von Arbeitsplatzbewertungsprozeduren beitragen, die bestimmten Minimalanforde­rungen geniigen (wie zum Beispiel gleicher Bezahlung fUr Arbeit gleichen Werts und einer Bewertung, die der Muskelkraft nicht immer einen groBeren Wert beimiBt als der Fingerfertigkeit). Derartige Minimalstandards mtiBten sicherlich durch Gesetzge­bung festgelegt werden; aber dartiber hinaus kannte die Lohn-Kommission Informa­tionen tiber »empfehlenswerte Methoden« verbreiten und Verbesserungen anregen. Neben der Sammlung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen wtirde die Lohn-Kommission Grund«normen« erstellen, sowohl fUr die relativen GrundlOhne als auch flir allgemeine Erhohungen der Grundlbhne. Dies ware ein entscheidender Beitrag, urn sowohl eine sozial gerechte Einkommensverteilung zu erreichen als auch die Inflation zu kontrollieren. Es ist von absoluter Bedeutung, daB alle Lahne, von dem des (demokratisch gewahlten) Prasidenten bis zum letzten ungelerntenArbeiter, davon erfaBt wtirden. (Ich gehe davon aus, daB es auBer Zinsen flirpersonliche Erspar­nisse keinerlei Einkommen aus gibt.) Dajedem ein Minimaleinkom­men ware, lage der relative Lohn fUr langweilige und unange­nehme Arbeit wahrscheinlich haher als heutzutage tiblich, weil sonst niemand diese Arbeit tun wtirde.

relativer Lohnnormen wtirde tiber die demokratisch kontrollierte erfolgen und kannte jahrlich revidiert urn veranderte

okonomische und soziale Strukturen zu berticksichtigen, wie sie sich in der Statistik tiber offeneArbeitsplatze undArbeitssuchende niederschlagen. Die Einfiihrung einer

96 Diane Elson

Norm ftir allgemeine LohnerhOhungen hinge ab von makrookonomischen Entschei­dungen tiber das Niveau der gesamten Investitionen und des Gesamtkonsums sowie das zugrundeliegende Produktivitatswachstum. Sie wtirden tiber eine Vielzahl von KanaJen durchgesetzt: Steuerliche MaBnahmen; Sanktionen fUr Vertragsverletzung; Veroffentlichung von Abweichungen; und die Schaffung einer Atrnosphare des Ver­trauens, die sich auf eine offene Gesellschaft grtindet, einschlieBlich eines offentli­chen Prozesses der Preisbildung, mit Normen, die von der Preiskommission festge­legt wtirden. Ziel ware, den ProzeB der Lohnbildung so transparent als moglich zu machen. In einem solchen System verloren die Gewerkschaften bei der Aushandlung der Grundlohne mit dem Untemehmensmanagement an Bedeutung. Aber es gabe ftir Gewerkschaften sicherlich noch eine wichtige Funktion: indem sie ihren Mitgliedem helfen, ihre Rechte wahrzunehmen; im Aushandeln der Produktionsorganisation und der Verwendung der Untemehmenstiberschtisse (nach Steuem); in der Beratung bei der Erstellung von nationalen Standards fUr die Arbeitsplatzbewertung. Gewerk­schaften sind ein Ausdruck der Arbeitsteilung; und wenn die Arbeitsteilung sich an­dert, andert sich auch ihre Rolle. Aber solange es wesentliche Unterschiede gibt in der Be<;ieutung der Arbeitsplatze, wobei einige Verantwortung tragen (»geistigeArbeit«), wamend andere nur fUr die DurchfUhrung verantwortlich sind (»korperlicheArbeit«), dann sind auch Gewerkschaften notwendig, urn die Rechte der letzteren zu verteidi­gen. Dazu sollte auch das Streikrecht gehOren, und das Recht auf eine echte Auto­nomie der Organisation. Es gabe keine erzwungene Arbeitslosigkeit, weil der Regulator der offentlichen Untemehmen als eineArt »holding company« fUr Menschen fungieren wtirde, deren Arb~itsplatze wegrationalisiert wurden; sie wtirden ihre Grund16hne beziehen und er wtirde ihnen eine organisatorische Struktur ftir Ausbildung und Umschulung zur VerfUgung stellen, bis sie neue Arbeitsplatze ethielten. Netze zwischen Nutzem und Lieferanten der Arbeitskraft (einschlieBlich Haushalten undAusbildungs- und Um­schulungsinstitutionen) konnten eine wichtige Rolle dabei spielen, die Kosten der­artiger Operationen zu senken; und sie wtirden auch die Grundlage ftir die Planung der Arbeitskraft liefem, indem sie quantitative Informationen tiber die Berufsstruk­turen und Voraussagen auf zUktinftige Bedtirfnisse sammelten. Eine Vielzahl von Net­zen konnte sich urn Fertigkeiten, Qualifikationen und Berufe organisieren. Sowohl Nutzer als auch Lieferanten von Arbeitskraft haben ein Interesse, Fertigkeiten zu ent­wickeln: Kreativitat, Selbstdisziplin, Kenntnis von Techniken etc. Netze fUr Berufs­qualifikationen Mten Raum fUr die Entwicklung ntitzlicher Methoden der Ausbil­dung und Nutzung von Arbeitskraft; sie konnten verhindem, daB sich Arbeitsplatze ohne Perspektiven herausbilden, oder auch einseitige, begrenzte, nicht allgemein an­wendbare Fertigkeiten. Sie wtirden nicht ausschlieBen, daB der Wunsch eines Indivi­duums nach Befriedigung am Arbeitsplatz in Konflikt gerat mit dem Ziel eines Unter­nehmens, sich selbst zu finanzieren. Aber sie boten den Raum, auf dem verschiedene Agenten die Gelegenheit hatten, sich in die Rolle anderer zu versetzen und die Or­ganisation der Ausbildungs-, Erziehungs- und Arbeitsprozesse unter verschiedenen

Markt-Sazialismus ader Sazialisierung des Markts? 97

Aspekten zu betrachten. Neben der Samrnlung und Speicherung von Information bestiinde eine wichtige Aufgabe der Netz-Sekretariate darin, den Netz-Mitgliedem Gelegenheiten zu verschaffen, die Erfahrungen anderer zu teilen, von Rollenspielen iiber den Personalaustausch zwischen Untemehmen und Ausbildungs- und Schu­lungsinstitutionen bis hin zu einer Tiitigkeit als Berater fiireinander. Ohne MaBnahmen zur Vergesellschaftung des Arbeitsmarktes ist Arbeitslosigkeit fast unausweichlich. In Liindem, in denen der Marktsozialismus am weitesten ent­wickelt ist, wie Ungam und J ugoslawien, wachst die Arbeitslosigkeit an, wahrend das Arbeitsplatzangebot und die Umschulungsmoglichkeiten hoffnungslos damieder­liegen. Aber die zentralisierte biirokratische Zuweisung von Ressourcen durch Mini­sterien erstickt das Produktivitatswachstum und die Innovation. Die von mir vorge­schlagenen MaBnahmen haben, wie ich glaube, eine gewisse Chance, diese beiden unerwiinschten Extreme zu vermeiden.

Der Marktfiir Produktionsgiiter

Kauf und Verkauf dieser Giiter finden zwischen Untemehmen statt. Es gibt keinen Grund, warum offentliche Untemehmen nicht dezentralisiert beim Kauf und Verkauf von Rohstoffen und Halbfertigwaren initiativ werden sollten, innerhalb bestimmter Richtlinien, die vom Regulator flir den offentlichen Sektor festgelegt wiirden, urn ihre Expansion zu regulieren und eine falsche Verwendung der Anlagen zu verhindem. mer die Tatigkeit der Preis-Kommsission fiir Produktionsgiiter bei der Schaffung von Einrichtungen fiir den Austausch von Informationen iiber Kaufs- und Verkaufs­bedingungen braucht kaum noch etwas gesagt zu werden. Besonderer N achdruck gilt hier der Funktion, die Offenlegung der Informationen durchzusetzen, weil Kartelle und Preisabsprachen in einigen Industriezweigen kapitalistischer Lander besonders verbreitet sind. Konnen wir uns darauf verlassen, daB Untetnehmen sich an die ab­gesprochenen Kostenrahmen halten und die Stiickkosten wie gefordert offenlegen? Werden sie nicht doppelte Biicher flihren, fiir sich und flir die Preiskommission? Die Frage der Informationsqualitat bedarf sorgfiiltiger Erwagung. In Systemen mit zen­tralisierter Ressourcen-Zuweisung gibt es wohlbekannte Probleme, weil die Unter­nehmen den zentralen Planem keine verliiBlichen Informationen iiber den Ressour­cenbedarf pro Stiick liefem. In derartigen Systemen gibt es einen eingebautenAnreiz flir Untemehmen, Fehlinformationen zu liefem, weil die zentralen Planer den Unter­nehmen Produktionsziele zuweisen und den Materialbedarf zum Erreichen dieser Ziele festlegen. Natiirlich zeigen Untemehmen die Neigung, den Materialbedarf pro Stiick nach oben zU korrigieren, urn die Produktionsziele leichter zu erreichen. Gibt es Anreize, der Preis-Kommission falsche Informationen iiber die Stiickkosten zu lie­fern? Urn dies zu beantworten, miissen wir das Wesen des Preisbildungsprozesses in Erwagung ziehen. Es ist bekannt, daB die meisten Untemehmen in kapitalistischen Industriegesellschaf­ten die Preise als Gewinnspanne auf derGrundlage ihrer Stiickkosten festlegen, wobei das MaB der Gewinnspanne vom Verhalten der Konkurrenten und der Kunden be-

98 Diane Elson

grenzt wird. Die Preis-Kommission wtirde Preisnormen auf ahnliehe Weise festlegen, auBer daB die durchsehnittlichen Sttiekkosten die Grundlage waren und die Gewinn­spanne von den Investitionsbedtirfnissen der Wirtsehaft bestimmt wird. Je hoher das Investitionstempo, das sich aus der dureh den PlanungsprozeB festgelegten Strategie ergibt, desto hoher die Gewinnspanne. Die Gewinnspanne konnte in den einzelnen Industriezweigen um einen hoheren UbersehuB dart zu erreiehen, in denen die Strategie eine vorsieht, und einen geringeren dart, wo Ex-IJUU0'VH unerwtinseht ist. Dies ist die von Kaleeki tibernommene Vorgehens­weise zur Preisbildung und unterseheidet sich von Langes trial-und-error-Verfahren

als es nieht darauf Preisnormen die den Markt befrie-digen, sondern vielmehr Preisnormen zu die eine in der

Richtung durch untersehiedliche Ertrage in unterschiedtichen Tatigkeitsbe­reichen Es erlaubt die Preisfestlegung fUr nieht standardisierte Einzelteile, die fUr einige Sektionen der charakteristisch sind. Preis-normen konnten revidiert werden, aber es besteht kein sie alle zum gleichen zu revidieren. Zwischen den jahrlichen Preisrevisionen konnten die Preise stabil bleiben. Die Revision wtirde dann dartiber entseheiden, bis zu wel­chem AusmaB Veranderungen in Kosten und N achfrage (wie sich aus Lagerverande­rungen ergeben) auch Preisveranderungen erforderlich machen. Das AusmaB, in dem sich Kostensteigerungen in hoheren Preisnormen niederschlagen, hinge von dem AusmaB ab, in dem das Produktionsniveau in einem bestimmten Sektor erhoht, ge­senkt oder aufrechterhalten werden muE. Der PreisbildungsprozeB ware in dem Sinne transparent, als die Offentlichkeit die Grundlage fUr die Festlegung der Preisnormen kennen wtirde und die tatsachlichen Preise an den Normen messen konnte. Es wtirde zu Leistung weil die Normen in Beziehung zu den durchsehnittlichen Ko­sten und Gewinnspannen sttinden: eine Firma mit unterdurchschnittlichen Kosten konnte einen groBeren UberschuB erzielen und hatte die Mittel zur Expansion oder fUr hbhere Zulagen fUr ihre Belegschaft. Dies wtirde die Macht groBer Unternehmen ein­~~UH"v''', iure eigenen Profite indem sie die ihrer kleinen Zulieferanten beschneiden. Es wtirde auch der Tendenz entgegenwirken, daB Unter-nehmen Profitspannen selbst dann wenn ihre Hit nieht und sich mit zur besseren n .. <lIJCtUICali'-

tionen durch die Netze

die Unternehmen in Wirt-LHIJISIHAjlJ\.vufehlender Gesamtnachfrage vergrOBem.

aber die

von Preisnormen (verbunden mit einer LllHLC'UUll11S dieser Normen zu errei­

erleichtern und die

~v""~F,0 ,,,,'u Grtin-in der Hand der Untemehmen zu be­

amme:nSt:;tzllng der Produktion ihrerseits Informa­wtirde sozialisiert.

Markt-Sozialismus oder ')O::IG/,lszerun des Marias? 99

Die Durchftihrbarkeit dieser Vorgehensweise hangt offensichtlich von der Qualitat der Information ab, die die Preis-Kommission erhalt. Man kann sich Situationen vor­stellen, in denen eine kleine Gruppe von Unternehmen einen Industriezweig domi­niert und sich absprache, urn der Preis-Kommssion inflationierte Kosteninformatio­nen zu liefern. Dies brachte Ihnen hohere als die Preis-Kommission yorsahe. Gegen die der Desinformation konnte eine Vielzahl von MaBnahmen

werden: eine gut ausgestattete mit zur Beschlag-nahme von die Verpflichtung, daB computerisierte Managementsyste-me offenen Zugang die es Unternehmen zu und zuteuermachen flihren ketten etc.); und MaBnahmen, um neue Krafte auf den Markt zu holen und die Mog-lichkeiten yon zu verringern (wie konkurrierende Gebote fiir Kontrakte von begrenzter Die brauchte betrachtliche Ressourcen -aber diese lieBen sich durch die Umlenkung der Ressourcen gewinnen, die in kapi­talistischen Okonomien von finanziellen Institutionen auf dem Kapitalmarkt absor­biert werden. Die Fertigkeiten eines Investitionsanalytikers, derfiireine Handelsbank arbeitet, waren genau das Richtige fiir die Preis-Kommission. Netze zwischen Kaufem und Verkiiufern von Produktionsgtitem hatten zwei besonders wichtige Funktionen: die Minimierung von Fluktuationen in der Kapazitatsauslastung aufgrund einer Investitionshiiufung, wie sie flir viele Zweige der Produktionsgiiterindu­strie sehr ausgepragt auftretenkann, und die Verbreitung technischer N euerungen. In ka­pitalistischen Okonomien besteht ein betrachtliches MaB an Kooperation beim Entwurf und der Spezifikation von Produktionsgtitern und der Ermittlung zukUnftiger Investi­tionsbediirfnisse. In Reaktion auf die neuen elektronikgesHitztenAutomationstechnolo­gien scheinen die Netze zwischen Untemehmen in kapitalistischen Wirtschaften ihren Umfang zu erweitern, wozu nicht nur langfristige Vertrage flir bestimmte Produkte ge­horen, sondem auch die Integration des Design und der Planung. Manche Okonomen beschreiben dies als Systemofaktur, in der die Produktionseinheit aus einem Biindel in­tegrierter, jedoch getrennter Unternehmen besteht, die gemeinsam eine detaillierte Ko­ordination der und der Produktionsplane entwerfen und dazu mi­kroelektronische Informationsverarbeitungs-Technologie nutzen (vgl. Kaplinsky 1985). Dies wird jedoch begrenzt durch das Recht von ihre Informationen geheimzuhalten, wenn es Ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. 1m hier entwik­kelten Szenario einer sozialistischen Okonomie gabe es dieses Recht nicht. Offentliche

""Jl1Wl"" mUBten die Informationen liber ihre Innovationen und offenlegen, wenn sie offentliche Anlagen benutzen wollen. Ko­

und Haushalt-Untemehmen miiBten ihre Informationen offenlegen, um Zu­gang zu den offentlichen Markten und Netzen zu erhalten. Urn einen materiellenAnreiz fill Innovationen zu konnte eine bezahlt wenn Spezi­fikationen in einer Technologiebank Zugang und konnten Zuschiisse fUr und Entwicklung

100 Diane Elson

Aber der Wettbewerb durch Geheimhaltung wtirde so weit als moglich minimiert. (Unter diesem Aspekt kame die hier ins Auge gefaBte sozialistische Okonomie den neo-klassischen Konkurrenzmodellen weit niiher als jede kapitalistische oder markt­sozialistische Wirtschaft: sie gehen davon aus, daB aIle Technologien allen bekannt sind.)

Der Konsumgiitermarkt

Viele der oben diskutierten Vorgehensweisen glUten auch fUr den Konsumgtitermarkt. Hier mochte ich mich auf den U nterschied konzentrieren: die Tatsache, daB Haushalte die Kaufer auf diesem Markt sind. Einerseits haben Haushalte nicht die gleichen Res­sourcen oder Informationen wie Untemehmen. Wenn andererseits Haushalte eine eng gefaBte und detaillierte Politik verfolgen, den Einkauf jedes einzelnen Artikels sorg­faltig zu priifen und die Interdependenzen in seinen Produktions- und Verbrauchsbe­dingungen auBer acht lassen, werden sie sich hiiufig selbst schaden.27 Ein sozialisier­ter Markt gabe den Haushalten mehr Kenntnisse an die Hand und wiirde sie tiber die Interdependenzen zwischen ihrem Handeln als Produzenten und ihrem Handeln als Konsumenten aufkliiren. Die von der Preis-Kommission gelieferte Information gabe Haushalten die Moglich­keit zu erkennen, wie der Preis einer Ware gebildet wird: wieviel davon fUr jeden Pro­duktionsschritt verwendet wird, der in den Preis eingeht, wie sich an jedem Punkt in der Produktionskette die Gewinnspannen und Kosten aufschliisseln; wieviel Steuern oder Subventionen im Preis enthalten sind. Wenn ein Preis steigt, konnte den Haus­halten erkliirt werden, warum er steigt - welche Kosten gestiegen sind, welche Ge­winnspannen erhoht wurden, urn Anreize fUr die Expansion der Produktion zu bieten. Die Reaktion der Haushalte auf PreiserhOhungen ist ein kritischer Faktor sowohl in kapitalistischen als auch in real existierenden sozialistischen Okonomien. In keinem dieser Systeme wurde den Haushalten genligend Informationen geliefert, urn Preise einzuschiitzen, um zu entscheiden, ob Preissteigerungen gerechtfertigt sind, oder urn zwischen Veranderungen in relativen die fUr die Neuanpassung der Okono­mie wichtig sind, und Erhohungen im allgemeinen Preisniveau zu unterscheiden. Tat­sachlich bedeutet das Festhalten an Niedrigpreisen, daB Anpassungen der relativen Preise nur im Zusammenhang einer allgemeinen Preiserhohung moglich wurden. Kein kann ein rationales System der Ressourcenverteilung hervorbrin­gen, wenn die Preise nicht die gegenwartigen Kosten und Investitions-bediirfnisse decken. Aber da die im Dunkeln

es sich nun urn nehmen oder sozialistische Planer wenn sie bekanntgeben, daB Preiserho-

seien. Erforderlich ist nicht die detaillierte Information tiber aIle

einen groBen Anteil an den Zuliefernetze existieren in

"pilptprt werden, die

U"'"O"'UH.0UU0isc"'VH ausmachen. ,tl',r~lpn Okonomien bereits zwischen groBen Ein­

Lv,,,u'Huvh'v,~u"Houuv"vHundihren ahnlich denen bei den Produktions-

Markt-Sazialismus ader Sazialisierung _de_'s_M_a_'_,k_ts_? _____________ _ 101

giitem, Tatsachlich bieten Einzelhandler wie Marks and Spencer, der Body Shop und Benetton ein sehr gutes Beispiel fUr Systemofaktur. Aber Haushalte sind in derartige Netze nicht integriert: ihnen bleiben nur die nebulOsen Begriffe »unsichtbarer Hand­schlag« oder »objektive Kooperation«; und das lauft mehr oder weniger darauf hin­aus, daB sie bei ihrem Liefel'anten bleiben, solange die Preise nicht steigen. Urn die relativ schwache Position der Haushalte als Verbl'aucher zu starken, schlage ich vor, einen Verbraucherverband zu bilden, del' als Netz-Koordinator fungiert, zwischen Haushalten und Unternehmen aus Produktion, GroB- und Einzelhandel von Konsum­giitem und Dienstleistungen, El' wiirde Informationen tiber die Qualitat del' Giiter und Dienste liefern, eben so wie das Verbraucherverbande in einigen industrialisierten

caH~Ll;o\AJl\AILandern tun; abel' er wtirde mehr tun. Er wtirde auch Informationen liefern tiber die Bedingungen, unter denen Gtiter und Dienstleistungen erbracht wer-den, und tiber ihre Implikationen fUr die Urn welt. die keine Waren kaufen wollen, die unter bestimmten Bedingungen hergestellt erhielten die dazu not-wendigen Informationen. Waren, die unter »empfehlenswerten« Bedingungen produ­ziert werden (sei es in bezug auf Okologie, Geschlechterdiskriminierung oder huma­ne Arbeitsbedingungen), konnten hervorgehoben werden. Der Verbrauchel'verband wtirde Haushalte dazu erziehen, die Implikationen ihre Einkaufe breiter zu iiber­schauen als nur die unmittelbarnotwendigen Einkaufe so billig als moglich zu tatigen. Das wtirde Haushalten helfen zu erkennen, daB was auf den ersten Blick und vom individuellen Gesichtspunkt aus als »guter Kauf« erscheint, langfristig aile mogli­chen schadlichen Folgel1 haben kann. Der Verbraucherverband wtirde so auf viele Sorgen der »6ko-Sozialisten« eingehen. Die Tatigkeit des Verbraucherverbandes wtirde tiber diese erzieherische Funktion hinausgehen, denn er wtirde auch Dienstleistungen urn das Einkaufen zu erleichtern und den Haushalten zu ermoglichen, EinfluB auf Design und Spezifikation vieler Waren zu nehmen. Der Verband hatte tiberall wo die neuesten Informationen tiber die Verfiigbarkeit von Waren

die den Haushalten mittels Btx auch tiber tibermittelt wer-den konnten. Der Einsatz die Sammlung von Daten tiber die einfach und schnell. Wenn ein Haushalt wissen wo am Ort er ein Paar dunkelblauer Kordhosen flir einen kaufen konnte der Verbraucherverband diese Information liefem und so die fruchtlose Suche in mehreren Laden ersparen. Der Verbraucherverband wtirde es den Haushalten auch ermoglichen, die Produktion bestimmter Gtiter anzuregen, anstatt nm auf die Initia­tive der Lieferanten zu miIssen. Zum Personal des Verbandes wtirden nicht nur Fachleute flir Verbraucherrecht und Verbraucherschutz gehoren, sondern auch ~"0"!~""" und Ingenieure, die unbefriedigte Bediirfnisse identifizieren und entspre­chend mit Lieferanten verhandeln wtirden. NatiIrlich versuchen Lieferanten unge­

aber das ist nicht ganz das Bediirfnisse so zu daB es den

fiir zu U,",c,UU,UU'-'H, wie ihre Bedtirfnisse wenn sie nieht die Bandbreite

102 Diane Elson -------------------------

technischer Moglichkeiten kennen: Die Spezifikation von Bediirfnissen ist abstrakt hiiufig schwierig, und vielleichter, wenn eine Bandbreite klarer Moglichkeiten be­kannt ist. Natiirlich gibt es einen Konflikt zwischen der Okonomie der Zahl und kundenfreundlichen Produkten, die besondere Bedtirfnisse befriedigen 501-

len. Aberdieser Konflikt wird verringert durch die Entwicklung flexibler rung, den Einsatz von Maschinen mit der ohne Neueinrichtung die Pro-duktion zu wechseln. AIle die Haushalten Gilter und verkaufen oder sie produzieren sein und die Infor-mationen iiber ihre Produkte und Produktionsmethoden offeniegen, wie auch liber den die sie ohnehin zu ihren Zwecken benoti-gen. Ein der in flir und Wer-bung verwandten Ressourcen konnte in den Verbraucherverband umgeleitet dem die und reduzierte Transaktionskosten Es daB del' Verbraucherverband aus SteuennitteJn bezahlt wird, urn sei-ne Unabhlingigkeit zu garantieren und zu daB er »harte Verkaufstechni-ken« fUr seine Zwecke einsetzen muB.28 Es gabe Konkurrenz in dieser Okonomie, aber es ware begrenzte Konkurrenz, und die Grenzen waren engel' als in jeder kapitalistischen Okonomie. NatiIrlich gabe es Schutzgesetze fUr Gesundheit, Sicherheit und Umwelt, wie auch fUr die Rechte der einzelnen Beschaftigten oder Verbraucher. Aber zusatzliche Grenzen lagen in dem unabhangigen Zugang der Haushalte zu den Lebensmitteln, und im Fehlen des Pri­vateigentums an Information. Diesel' letztere Mangel wUrde die Innovation nicht be­hindern, da die Technologie-Bank LizenzgebUhren zahlen wiirde. Iedenfalls sind Ex­UQIJ"JH!.v nicht der Ansporn zur Innovation: mehr Freizeit, leichtere Arbeit, sozialer das schiere an neuem Wissen und der von Pro-blemen sind alles Anreize. Dartiber hinaus wiirde der del' offent-lichen Unternehmen die Neuerungsbilanzen von Arbeiterteams zu Rate ziehen, wenn er entscheiden zum Betrieb neuer Unternehmen bekommen und wie die stattfinden sollte.

Koordination und nPl,AI/J,nrp Kontrolle

Ich mochte nun wie ich mir daB die sozialistische oko­nomische Koordination stattfindet. Zunachst ware das Ziel der Koordination kein von vornherein bestehendes und

Koordination durch den sondern in ihrer in die zu

lenken. Es eine Vielzahl von warum sich selbst finanzierende Unter-nehmen die Preise filr vorhandene Waren nicht senken und fUr Waren erhohen. Kalecki suchte das Festhalten an Preisen mit oligo-

inneuerZeit undinstitu-

Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 103

tionalistische Okonomen nach anderen moglichen Ursachen, die mit den Informa­tions- und Transaktionskosten einer Markt6konomie zusammenhangen. Das Schei­tern der Anpassung auf dem Mikro-Niveau des Marktmechanismus liegt den makro­okonomischen Problemen der Arbeitslosigkeit und Inflation zugrunde, die ftir Sozia­listen von groBer Bedeutung sind. Mikro- und makrookonomische Probleme konnen nicht getrennt behandelt werden. Daher liegt das Ziel in einem KoordinationsprozeB, der Arbeitslosigkeit und Inflation zu vermeiden hilft, wamend er gleichzeitig Produk­tivitatszuwachse und die Befriedigung der menschlichen Bediirfnisse fOrdert. Okonomische Gesamtplanung muB eine entscheidende Rolle bei der Festsetzung der Parameter spielen, innerhalb deren einzelne Unternehmen operieren, wie auch bei der Antizipation wichtiger Interdependenzen. Aber sie nahme die Form einer Leitlinie an, einer Vision der Zukunft, nicht einer Vorgehensweise zur detaillierten Zuweisung ma­terieller Inputs. Die Planer im Zentralbtiro flir Wirtschaftsplanung wiirden sich auf die Informationsnetze von Kaufern und Verkaufern von Schliisselressourcen stiitzen, urn alternative Szenarios zu entwerfen, von denen eines durch einen deniokratischen poli­tischen ProzeB ausgewahlt werden konnte. Fiskal- und monetare Politik wiirden bei der Plandurchflihrung eine wichtige Rolle spielen; aber das galte auch flir die Ge­genseitigkeit, den goodwill und die Uberzeugungsarbeit, wie es in der japanischen okonomischen KOQrdination der Fall ist. Unternehmen waren nicht bindenden administrativen Direktiven von Ministerien un- . terworfen, obwohl sie - wenn sie nicht Kooperativen oder selbstandig waren - in of­fentlichem Eigentum stiinden und dem Regulator der offentlichen Unternehmen unterstiinden. Beschaftigte von Unternehmen in offentlichen Sektoren hatten Nut­zungs-, aber keine Eigentumsrechte, und solche Unternehmen wiirden sich selbst fi­nanzieren. Die Umverteilung der Arbeitskraft zwischen Unternehmen wtirde durch den Regulator organisiert. Unternehmen konnten ihre Lieferanten und Kunden frei wahlen, aber ihre Beziehungen untereinander und zu den Haushalten waren vermittelt durch Preis- und Lohn -Kommissionen und N etz-Koordinatoren, einschlieBlich eines Verbraucherverbandes. Unternehmen kamen und blieben mit Kunden und Lieferan­ten in Kontakt durch offentliche Kanale, die aus Steuermitteln finanziert wiirden; und diese Kanale waren offene Informationskanale. Die Preis- und Lohnbildung ware transparent, ebenso der Entwurf von Produkten und Produktionsprozessen. Die Schranken flir den Informationstransfer, die durch private Markte aufgerichtet wer­den, fielen fort. Ein derartiges System der Koordination erfordert keine simultane Verarbeitung gro­Ber Informationsmengen von der Art, wie sie flir die zentrale Planung notwendig ist (die selbst mit der neuesten Computertechnologie ftir unmoglich erklart wird). Es er­fordert eher das Sammeln und Verarbeiten in angemessenen Intervallen und kleineren Mengen von Informationen, die in den Unternehmen ohnehin vorliegen, wie Stiick­kosten und Lagerzahlen, sowie ProzeB- und Produktbeschreibungen. Die Schranke daftir ist nicht technischer Art: das gegenwartige Niveau der Mikroprozessoren-Tech­nologie kann sicherlich diese Art der Informationsverarbeitung sehr schnell bewalti­gen. Arme Lander konnen elektromechanische Instrumente einsetzen (oder sogar Re-

104 Diane Elson

chenbretter) und im AusmaJ3 und der Tiefe der Sozialisation des Marktes differenzie­reno Das Offentliche Infonnationssystem ware nieht zusatzlieh, sondern wiirde die un­ziihligen fragmentierten Operationen privater Unternehmen ersetzen und dadurch wegen der Okonomie der groBen Zahl betraehtliehe Einsparungen erzielen. Die Schranke ist nicht technischer Art: sie ist sozial und politiseh. Wer Maehtpositionen zu bewahren wird sich der Offenlegung der Informationen widersetzen. Es gibt kein unfehlbares flir die Durchsetzung der Offenlegung, aber in einer Okono-

in der die Moglichkeit zur Initiative weit verstreut und in der es keinen Ka-pitalmarkt flir den Kauf oder Verkauf von Unternehmen gibt, wird der gegenseitige Nutzen offengelegter Informationen eher erkannt werden. Der offentliche zur Information ist der Schltissel zu der bewuBten Kontrolle

unter Marxisten (schon bei Marx eine die be-aller relevanten Infonnationen an einem Punkt der

Entscheidung zu verstehen und als einen EntscheidungsprozeB unter voller Kenntnis allef Querverbindungen lind Verzweigungen. Das ist ein unmogliches und auch ein unerwiinschtes Ziel. Die bewllBte Kontrolle wird besser interpretiert als offentlicher Zugang zu allen verfligbaren Informationen tiber das Produkt und seinen Preis, so daB jeder Entscheidungstrager den gleichen Zugang zu den gJeichen Infonnationen hat. Dies hat Implikationen flir die Frage, wie wir vom jetzigen Zustand zu der Art sozia­listischer Okonomie kommen, die ich im Auge habe. In kapitalistischen Okonomien scheint mir entscheidend, die kapitalistischen Vorrechte in bezug auf die Infonnation anzugreifen und mit der Herausbildung von Netzen zu beginnen, die denen in einer sozialistischen Wirtschaft benotigten vorbildhaft vorausgehen.29 Ein ganzer Wust von Fragen - von der Marktregulierung, restriktiven Praktiken und Kartellen, Umweltfra­gen, Verbraucherschutz bis hin Zll industrieller Demokratie und nationalen Industrie­strategien, zu offener Regierung - konnte in eine zusammenhiingende Kampagne rund urn den offenen Zugang zur Infonnation organisiert werden. Innerhalb dessen mUssen die Prioritaten aus der Sicht jener mit dem geringsten Zugang zu und Kontrolle tiber Information ausgewiihlt werden, aus der Sicht der Menschen mit der schlechtesten Ausbildung, die im allgemeinen allch die arms ten sind. Dies hiitte den

moralisch in die Vorderhand zu kommen und nicht nur Sozialisten, sondern auch ein breites von Nicht-Sozialisten anzusprechen und die Fiihigkeit des Kapitals zur der Arbeitskraft in ihrem Kern In den real existierenden sozialistischen scheint am sowohl die Vorrechte der Btirokratie als auch die Vorrechte des Unternehmensmanagements

aufInformation anzugreifen. Glasnostist sicherlich Schritt in aber sie muB noch viel weiter Der Marktsozialismus selbst ver-

starkt und erweitert die Macht des Unternehmensmanagements auf Kosten der ein­fachen Arbeiter. MaBnahmen zur von Markten mtissen mit MaBnahmen zm der Markte p,r,hprcu,hc'n

Markt-Sozialismus odeI' Soziaiisierung des Marias? 105 --_. .

leh danke den Teilnehmern an Seminaren der Universitat von Manchester und der New Left Review fUr ihre Kommentare zu einer frLiheren Fassung; mein besonderer Dank fiir detaillierte Hinweise gilt Andrew Glyn, Ben Fine, Geoff Hodgson lmd Ian Steedman.

2 Unter den Ausnahmen ist zu nennen der Greater London Council, »The London Labour Plan«, 1988 3 Nove (1983). Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich aile Hinweise auf Nove auf dieses Buch.

Vergleiche jedoch auch: Nove (1987). 4 Solche Uberlegungen lagen dem neueren Gemeinde-Sozialismus in GroBbritannien zugrunde. Siehe

Mackintosh und Wainwright (1987). 5 Andere ueuere Arbeiten zur Organisation einer sozialistischen Okonomie kamen zu ahnlichen

SchluHfolgerungen hinsichtlich der Vorteile und der Unausweichlichkeit des Marktes. Geoff Hodg­son wm Beispiel, der auf Fragen der Arbeiterbeteiligung an der Produktionsorganisation und der Demokratisierung def Planung weitaus mehr Gewicht legt als Nove, besteht auch darauf, daB ,>die Dezentralisienmg der Kontrolle Liber die Industrie unvermeidlich die Einfliluung eines Marktmecha­nismus bedeutet; realistische Alternativen wurden nicht gefunden«. (Hodgson 1984, S. 174).

6 In Jugoslawien, wo der Mark! eine weitaus groHere Rolle spieJte als in ancleren Landern des real existierenden Sozialismus, gibt es Hinweise auf Zentralisation und Konzentration. 1970 vereinigten die 150 groBten Unternehmen in Industrie und Bergbau 45,1 Prozen! der Gesamtumsatze und 33,7 Prozent der Gesamtbeschaftigung auf sich. 1977 waren diese Anteile auf 70, I unci 48,3 Prozent ge­stiegen. Von 1965 bis 1967 waren 12 Prozent der jugoslawischen Unternehmen an Fusionen beteiligt, und in den siebziger lahren setzte sich die Fusionswelle fort. (Zimbalist und Sherman 1984, S. 429). Obwohl Nove einige Mangel der jugoslawischen Erfahrung diskutiert, gehiiren diese Zahlen nicht dazu.

7 Diesen Mangel haben in neuerer Zeit Hodgson (1988) und Lachmann (1986) diskutiert. 8 Zu den wenigen Ausnahmen gehoren Moss (1981) und Helm (1986). 9 Eine Untersuchung der Reaktion einer jugoslawischen Textilfirma auf die Reformen von 1965 zeigt,

daB ihre Marketing-Abteilung innerhalb eines lahres von weniger als zwolf auf 39 Beschaftigte an­wuchs. Die Notwendigkeit, schneller auf den unstabilen Markt zu reagieren, und die BemLihungen, die Marktbedingungen zu beeinflussen, flihrten zu einer steigenden Konzentration der Entscheidun­gen in einem wachsenden mittleren Management, trotz formaler Bestimmungen liber die Arbeiterbe­teiligung. Zimbalist und Shelman, a.a.O., S. 139.

10 Murray (1987) zitiert eine Schatzung, wonach 175000 Menschen allein in London an verschiedenen Aspekteu der Planung in der Privatwirtschaft beteiligt sind, einschlieBlich Okonomen, Buchhaltern, Investitionsanalytikern, Designern und Firmenplanern, ohne auch nur das Hilfspersonal wie Sekre­tarinnen und Datenverarbeiter mitzuzahlen.

II Obwohl jedoch, wie Sen (1984, S. 93-94) schreibt, Markle tatsachlich auf der Grundlage einer ge­wissen Kongruenz der Interessen funktionieren, kann der Marktmechanismus nieht die Interessen­konflikte zwischen Kaufem und Verkaufern liber die Verteilung def Ertrage IOsen.

12 Hayek betont auch den dynamischen Nutzen des Marktmechanismus und weist Paretos OptimaJitat als Rahmen fLir die Bewertung zurLick.

13 Vergieiche zum Beispiel Sen (1984), Einleitung und Kapitel4. 14 Diese Art der Interdependenz wurde als »Geld-« oder »dynamische« Externalitat bezeichnet. Siehe

Scitovsky (1954). 15 FLir detailliertere Hinweise zu dieser Frage siehe Hirsch (1977, insbes. Kapitel 10). 16 »Auf dem Wettbewerbsmarkt ... werden Vertrauen und iangfristige Kooperation, obwohl sie in ge­

wissem AusmaH vorhanden sind, durch die Konkurrenz zwischen den vielen verschiedenen und wechselnden Agenten ausgehohlt. Der Markt wird von einer wechselnden und fWchtigen Menge be­volkert, wo jedes Individuum seine oder ihre Ziele weitgehend gemaB der offenen Berechnung von Profit und Verlust verfolgt« (Hodgson, a.a.O., 1988, S. 210).

17 Eine kritische Diskussion dieses Begriffes der Anpassung ist zu finden bei Dumenil und Levy (1985). 18 Ein Vergleich des neo-klassischen und des osterreichischen Ansatzes findet sich bei Lavoie (1985). 19 Die niitzliche Unterseheidung zwischen allgemeiner und einseitiger Abhangigkeit macht Marx in

,>Die deutsche Ideologie«.

106 Diane Elson

20 Auf diese Parallele zwischen neo-klassischer Okonomie und der Okonomie vieler orthodoxer Marxisten hat Geoff Hodgson, a,a.O., 1984, S. 158, hingewiesen.

21 Bei meiner Uberarbeitung bin ich Michael Barratt Brown zu Dank verpflichtet. 22 Siehe zum Beispiel Artikel von von der Veen und Parijs, Olin Wright; Nove und Elster in »Theory

and Society«, Bd. IS, Nr. 5, 1986, sowie auch Purdy (1988). 23 Vergleiche die Debatte in »Theory und Society«, a.a.O. 24 Eine weitergehende Erorterung del' Innovation in Fonnen del' Organisation im Offentlichen Sektor

findet sich bei R. Murray, a.a.O. 25 Der Gedanke der inleraktiven Preisbildung findet sich in Langes Modell del" sozialistischen Okono­

mie, aber Langes Preisbildung unterscheidet sich von del' hier vorgeschlagenen. Siehe Lange (1972). 26 Fur eine andere Perspektive des Potentials von Informationsnetzen bei der Organisation einer sozia­

listischen Okonomie siehe Michael Barratt Brown (1988). 27 Hirsch (1977) bietet viele Beispiele zur Illustration dieses Punkles. 28 lronischerweise greift inzwischen der britische Verbraucherverband, der sich aus Beilragen finan­

ziert, zu solchen Techniken, urn neue Mitglieder zu gewinnen. 29 Ein Beispiel fUr ein »Pilot«-Netz liefert Twin Trading, das unter del' Leitung von Michael Barratt

Brown Produzenten und Verbraucher verschiedener GuIer und Dienstleistungen in GroBbritannien und einer Vielzahl von Landem der Dritten Welt miteinander verbindet.

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Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts? 107

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108

Hajo Geld

zumiissen, der in die Alternative zwischen kapitalistischer Dynamik odeI' - imRahmen einer Pla­

l:0l/M"""H"" - in den Status eines der erstenAlternative. 1m Fall der DDR kommt

del' rho/feln'nf,'?> eine

erschweren.

UHi;"""""]!"''''''';; und Geldwirtschaft

Verlorener Sozialismus. Es gehort zu den tiefsitzenden Widersprtichen einer ,-,>."-,,ovU,

einem Sozialismus den sie stets abgelehnt hat. Auch wenn lebensge­schichtliche Zusammenhange, allen voran das generelle Bekenntnis zum Sozialismus, den Widerspruch verstandlieh machen, so konnen sie dennoeh nicht den Ausgangs-

einer wissenschaftlichen Ortsbestimmung eines wie auch immer definierten Sozialismus bilden. So erlaubt gerade eine historiseh-materialistische Analyse als ein genuiner methodischer Ansatz der linken Position eine Deduktion des des »real existierenden« Sozialismus aller als Kopfgeburt entstandenen -und damit im Sinne von v. konstruktivistisehen - des Sozialis-

Denn wie man aus der des 20. Jahrhunderts den Marxismus - und hier aHem voran seine dem Denken des 19. J ahrhunderts verhaftete Entwieklungsidee - aueh beurteilen mag, so ist ihm dennoeh zugute zu daB er nieht die der Sozialismus wtirde sieh in einer

durehsetzen. Die von einem Wettbewerb del' '",efn,~n

millenaristische von einem ",-,"'-'0""Ei

den aber gerade aus einer historiseh-materialistisehen Marxismus an dieser Stelle am Die Ue:genposltl daB die russische

109

Oktoberrevolution nichts mit Marxismus zu tun habe, ist iiberzeugender: Sie impli­ziert die Anwendung der historisch-materialistischen Analyse auf den Sozialismus und erlaubt damit eine auf sie aufbauende Theorie seines Scheiterns. 1m Kontext der neoklassischen Theorie vertritt insbesondere Euckens bereits in den 40er Jahren konzipierte Ordnungstheorie (Eucken, 1940) das Konzept eines System­vergleichs (als eine positive Theorie, deren normatives Pendant in der ORDO-Idee ei­ner naturrechtlich begriindeten Uberlegenheit einer durch die Handlungen der Indi­viduen fundierten dezentralen Okonomie miindet). Aber auch wenn ihr EinfluB dank der (methodisch) fragwiirdigen Verkniipfung von positiven und normativen Baustei­nen im wesentlichen auf den deutschsprachigen Raum beschrankt war - hier war allerdings der EinfluB graB, da die aus ihr entstandene Freiburger Schule quasi die »of­fizielle« Staatstheorie der Aufbauphase der Bundesrepublik bildete - so spiegelt sie dennoch in der Gegeniiberstellung von Marktwirtschaft und Planwirtschaft, die sich durch die unterschiedlichen Trager von Planen - hier die Individuen, da die Zentrale - begriinden, generelles neoklassisches Denken wider, indem das Organisationsprin­zip der Ressourcenallokation zumkonstitutivenMerkmal der Wirtschaftsordnung sti­lisiert wird. Bei Eucken ist denn auch nicht von Kapitalismus und Sozialismus, sondern von »frei­er Verkehrswirtschaft« und »zentralgeleiteter Verwaltungswirtschaft« die Redel - ein untriigliches Indiz dafiir, daB es urn die zweckmliBige Organisationsform einer auf die Optimierung zielenden Ressourcenallokation geht. Aber nicht nur die in der Ordnungstheorie angelegte Dichotomie des Organisations­prinzips, sondern auch die moderne Vorstellung von unterschiedlichen Graden eines Staatsinterventionismus folgt neoklassischem Denken. Modern ist diese Vorstellung deshalb, weil sie von der Evidenz staatlicher Eingriffe in jeder Wirtschaftsverfassung ausgeht, die es erlaubt, wie beispielsweise bei dem ungarischen Reformokonomen Kornai angelegt, Positionsunterschiede zwischen westlichen und ostlichen Okono­men, aber auch zwischen ostlichen Okonomen, auf eine unterschiedliche Gewichtung erwiinschten Staatsinterventionismus, von konservativem laissez-faire bis zu linkem Interventionismus, zuriickzufiihren (Kornai, 1988). In ein politisches Pragrarnm transformiert, laBt sich dann irgendeine Planwirtschaft als ein Modell des Staatsinter­ventionismus interpretieren, das die Unterschiede in der Wirtschaftsverfassung in irgendeiner Form extrapoliert. Dieser Gradualismus entspringt deshalb neoklassischem Denken, weil wie in der Ordnungstheorie das Organisationsprinzip der Ressourcenallokation das Systemkri­terium bildet. Marktwirtschaft und Planwirtschaft bilden die ReferenzgroBe: Bei Eucken als Idealtypen, bei Kornai als Extreme des Staatsinterventionismus. Der Gra­dualismus nahert sich dabei dank seiner etatistischen Orientierung einer institutiona­listischen Okonomie, die insbesondere in den 60er J ahren durch die (damals vor allem mit den Namen Galbraith und Tinbergen verbundene) These von einer Konvergenz der Systeme EinfluB hatte. Auch wenn es urn diese These zu Recht still geworden ist, weil sie die typische Schwache einer institutionellen Okonomie reflektiert, zwar zeit­bedingte Phlinomene aufzugreifen, dank des Fehlens eines (wert -)theoretischen Fun-

110 Raja Riese

daments aber zugleieh zu bleiben. Im Fall des hat sie Ubersehen, daB ungeaehtet der Etablierung bUrokratiseher GroBunternehmen so­wohl in Ost als aueh in West diese hoehst untersehiedliehen Marktbedingungen ge­

des Fehlens einer Markttheorie aber basiert das Konver-genztheorem wie die auf dem methodisehen eines vergleichs, wenn aueh nieht in Form del' Die der Systemkonkurrenz an die neoklassische 'V""VHVH.L~v, der Dichotomie von Marktwirtschaft und erhiilt ihren methodisehen

der nurmehr untersehiedliche Auspragungen des Staatsinterventionismus findet sieh aber in Weise in Euckens Ge-

von »freier Verkehrswirtschaft« und wirtschaft«. Man kann diesen Umstand auch so terschiedliehen Existenzbedingungen von - hier Kapitalismus, da Sozialismus - und die sieh daraus ergebenden zur Diskus-sion sich vielmehr die Universalitat des Wirtschaftens (als Naturnotwendig­keit des Menschen) in verschiedenen Organisationsformen - sei es in bezug auf die Trager der Plane, sei es in bezug auf Form und Grad des Staatsinterventionismus -manifestiert. Die Frage nach dem Wirtschaftssystem ist damit ihres historischen Kon­texts entkleidet; an dessen Stelle tritt ein Funktionalismus, der nurmehr die Zweck­miiBigkeit von Organisationsformen thematisiert. Als Konsequenz tritt der funktio­nelle Topos der Systemkonkurrenz an die Stelle der historischen Bedingungen eines WirtscHaftssystems - und zwingt die Kritiker des Kapitalismus, die die Notwendig­keit dieser Unterscheidung tibersehen, in die methodisch absurde Position, die funk­tionelle Durchsetzung der Marktwirtschaft gegentiber der Planwirtschaft historisch als Niederlage des Sozialismus zu mtprt"wptu',rpn

Der Hinweis, daB derTopos der Systemkonkurrenz Marktwirtschaft und Planwirtschaft neoklassisches Denken seine Bedeutung daB sich an der formalen Struktur der diesem Denken ent-

,",c,J.J,"'UI-·H Theorie der Ressourcenallokation die Reduktion der die ZweckmaBigkeit von laBt. Entscheidend ist daB die neoklassisehe Okonomie die H~"'CL""'V'"H''' der Werttheorie rtickt. Verfiigung tiber allen voran liber eine

laU""I.aLlUHb , ist deshalb das Thema der neoklassischen Allokationstheorie.

ebender turns, allen voran des Eigentums an t'nJdllKtLOI1lSITntteln ausblendet. Der Reduktionismus der neoklassischen 'CY,"'cVLLV'"'Uv erweist sich damit nicht als blol3e

dersich uaaC",,.Ulf','f', von der

Geld im Sozialismus 111

FOnTI des Eigentums an Produktionsmitteln lOsen - eine Annahme im tibrigen, die all­gemein das Denken unseres Jahrhunderts pragt (sich entspre­chend auch im Institutionalismus Galbraith-Tinbergenscher Pragung wie generell im sozialdemokratischen Etatismus zeigt). kristallisiert sich da-bei die im einem der nicht aus der Allokation von Ressourcen ableitbar ist2 und sich damit der als Entgelt fUr die Verfligung liber fUr den Besitz Ressourcen entzieht. An dieser Stelle setzt diesel' ein. Ausgehend von dem Postulat der monetar-

ne;slam~;ch!en '-'1">.VHVHJLH." wie sie von der Berliner Schule vertreten daB sich UW""JH~VV'JH"5"a'E,VH einer

laBt3, wird die Dichotomie von Geldwirtschaft mit einer und Planwirtschaft mit einer ","CO,","l"'-,HQHJ,'­

der tradierten Dichotomie von Marktwirtschaft '5V·5V'U5'-~V'~" Damit daB der methodische Defekt

Alternative Die Konsequenzen Planwirtschaft - als einer stimmen.

UH'~"'-'UH UUd,cU'J''-'HU'vH, zu einer falschen eine Marktwirtschaft trittl.

der Funktionsbedingungen einer - werden den Inhalt dieses Essays be-

Die Einbettung der in die Allokationstheorie impliziert, daB die Be­griffe Sozialismus und Planwirtschaft unterschiedliche methodische Ebenen repra­sentieren, wobei Sozialismus eine historisch gewachsene Gesellschafts­formation selbstverstandlich, aus einer ideengeschichtlichen Perspektive eine

wahrend Planwirtschaft eine Okonomie mit ge-sellschaftlicher Aneignung des ausdrUckt.

,bl2:reJ1Zumg ist aus zwei GrUnden bedeutsam. Zum einen erlaubt als Theo-rie der Planwirtschaft formaler als Theorie der Planungsokono-

zu denjenigen der Geldwirtschaft) den methodischen art

schaft. Zum anderen vermeidet einen indem die Planwirtschaft als deJ~erlen

und ihr ein »reformierter« Sozialismus wird. Dieser bleibt deshalb bloBer weil er keiner wert- und

markttheoretischen ist. Damit aber bildet er eine methodische

den Pluralismus der

sequenz, die wiederum Theorie des Sozialismus zur wissenschaftlichen nv'"'W,HA

112 HajoRiese

degeneriert und der »real existierende« Sozialismus, wie immer er auch aussehen mag, seine MaBstabe vom Kapitalismus bezieht.

II. Kritik der Planungsokonomie

Das Versagen des Sozialismus ist deshalb ein Versagen der Planungsokonomie, weil allein die spezifischeAusgestaltung der Planungsokonomie jene Funktionsbedingun­gen schafft, die eine gesellschaftliche Aneignung des Zinsanspruchs verlangen. Man kann diesen Umstand auch so ausdriicken, daB im Sozialismus die Planung (genauer gesagt, eine Mengenplanung derZentrale, die zugleieh administrierte Preise verlangt) die Koharenz des okonomischen Systems herstellt - ihr, in tibliehe okonomische Ter­mini tibertragen, das makrookonomische Fundament liefert. Entsprechend ist eine Geldokonomie dadurch definiert, daB Geld die Koharenz des okonomischen Systems herstellt- Geld die generelle Budgetrestriktion des Marktsystems bildet und dadurch Makrookonomie konstituiert - und dann das Knapphalten von Geld zum Garanten der Koharenz des okonomischen Systems wird. (Inflation indiziert deshalb stets eine AushOhlung der Funktionsbedingungen einer Geldwirtschaft.) 1m Zentrum der Pla­nungsokonomie steht deshalb die Planungspolitik, konkretisierbar auf die Planerfiil­lung, im Zentrum der Geldokonomie die Geldpolitik, allen voran die Regulierung der individuellen Verftigung tiber Geld. Es kann nieht deutlich genug darauf hingewiesen werden, daB beide Wirtschaftssy­sterne eine innere Konsistenz aufweisen, indem Mengenplanung und Knapphalten von Geld die jeweils systemkonformen Instrumente der Sieherung des okonomischen Systems bilden und dadurch eine Planwirtschaft oder eine Geldwirtschaft begriinden. Das Versagen des Sozialismus beruht somit keineswegs auf einer Aporie der Funk­tionsbedingungen der Planungsokonomie. Es ist deshalb bedeutsam, auf diesen Um­stand hinzuweisen, weil alle Reformkonzepte, die in irgendeiner Weise Planung und Markt (als Moment individueller Betatigung auBerhalb der Planung) zu verbinden versuchen, explizit und implizit eine derartigeAporie unterstellen und durch die Ein­fiihrung von Marktelementen in die Planung zu heilen suchen. Damit aber tibersieht die Reformdiskussion, daB die Einfiihrung von Marktelementen die Inthronisierung von Geld als Garanten der Koharenz des okonomischen Systems verlangt. Ihre entscheidende Schwache besteht darin, daB sie die Frage nach der Ko­harenz des okonomischen Systems entweder tiberhaupt nicht aufwirft oder lediglich als Phiinomen eines monetaren Uberbaus der Produktion behandelt. Ein derartiges Ware-Geld-Gleichgewicht aber bleibt ein Instrument der Planungsokonomie, reflek­tiert die Dominanz der Mengenplanung der Zentrale, nicht jedoch die Funktionsbe­dingungen einer Okonomie autonomer Marktbeziehungen, deren Koharenz (das Knapphalten von) Geld herstellt. So interpretiert, ist die flapsige Bemerkung, »es gabe genausowenig ein biBchen Marktwirtschaft wie es ein biBchen Schwangerschaft gabe«, durchaus korrekt. Es zeigt sich, daB der methodische Defekt einer Gegentiberstellung von Planwirtschaft und Marktwirtschaft darin liegt, daB nicht diese Idealtypen der Realitiit durch Formen

Geld im Sozialismus 113

und Grade des Staatsinterventionismus das Selektionskriterium liefern, vielmehr die Frage entscheidend ist, ob Planung oder Geld die Koharenz des okonomischen Sy­stems herstellt. Sie konstituiert die Systemfrage, eine Dichotomie von Planungs- und Geldpolitik, zu der es keine Alternative gibt. Das Versagen des Sozialismus resultiert nicht aus den inneren Funktionsbedingungen der Planungsokonomie, sondern aus seiner Unfahigkeit, in der Systemkonkurrenz mit dem Kapitalismus bestehen zu konnen. Insofern weist dieses Versagen eine realge­schichtliche, keine immanent-theoretische Qualitat auf. Diese Unfahigkeit hat einen doppelten Aspekt. Der eine Aspekt besteht darin, daB sich die N ormen der liberalen Okonomie im ausgehenden 20. J ahrhundert als geschichtsbildend erweisen und damit eine Planungsokonomie ins Hintertreffen gerat, die auf der Verletzung dieser Normen beruht. Fehlende Autonomie del" Individuen, allen voran der Betriebe, Ineffizienz der Allokation, Mangelwirtschaft und, als dynamisch-evolutionares Supplement, gerin­ge Innovationskraft sind dabei die einschliigigen Topoi dieser Normverletzung. Das bedeutet keineswegs, daB der Kapitalismus diese Normen erftillt. Der Einwand, daB sich die Realitat des Kapitalismus den Normen der liberalen Okonomie entziehe (und demzufolge die liberale Okonomie die Realitat des Kapitalismus nicht zu erfassen vermoge), bleibt unberiihrt. Entscheidend ist allein das realgeschichtlicheArgument, daB ein Sozialismus gegentiber dem Kapitalismus ins Hintertreffen geraten muB, wenn er die Normen der liberalen Okonomie tibemimmt und damit deren Verletzung als Systemkriterium einfiihrt. Von dieser Aporie wird die gegenwartige Diskussion tiber Reformsozialismus bestimmt. Der zweiteAspekt der Unfiihigkeit, in der Systemkonkurrenz zu bestehen, ergibt sich aus der in den beiden letzten Jahrzehnten in fast allen sozialistischen Liindern regi­strierbaren sukzessiven Aushohlung der Planungsokonomie. Sie firmiert unter dem Begriff Inflation im Sozialismus. Dies bedeutet, daB neben der Planungsokonomie eine Marktbedingungen unterliegende Zweitokonomie entsteht (und sich ausdehnt), die entweder durch Gtiter und Ressourcen der Planungsokonomie oder des (kapita­listischen) Auslandes gespeist wird, wobei zugleich eine Zweitwahrung (einer durch Knapphalten von Geld charakterisierten Geldwirtschaft) entsteht. Dieser ProzeB ist derzeit in Jugoslawien, Polen und der UdSSR schon weit fortgeschritten. Der Unter­schied zur Inflation im Kapitalismus liegt dabei in der Genesis einer die Systemkon­kurrenz bestimmenden ZweitOkonomie: Wahrend ein fortschreitender Inflationspro­zeB dort dank der AushOhlung der Geldfunktion in eine Wahrungsreform mtindet, sprengt er hier das System, weil er eine Substitution der Planungsokonomie durch ei­ne Geldokonomie, wenn auch eine dasAllokationsprinzip des Knapphaltens von Geld verletzende Geldokonomie bedeutet. Die Systemkonkurrenz erhiilt dabei entschei­dendes Gewicht durch die offensichtliche (sich allerdings aus den Funktionsbedin­gungen einer Planungsokonomie ergebende) Schwierigkeit;das Ware-Geld-Gleich­gewicht wieder herzustellen, urn die ZweitOkonomie auszutrocknen und dadurch die Dominanz der Planungsokonomie zu erneuern. Der erste Aspekt der Verletzung der Normen der liberalen Okonomie hat dabei grund­satzliche Bedeutung, weil er die inneren Funktionsbedingungen der Planungsokono-

114 Hajo Riese

mie bertihrt. Von den drei oben thematisierten Normen5 steht dabei das Autonomie­postulat auf dem Boden der klassischen Okonomie. Es drtickt sich im Prinzip indi­vidueller Reproduktion, hier beschrankt auf den Betrieb, aus. Man spricht auch yom Kostendeckungsprinzip. Seine Verletzung, die sich imAuseinanderklaffen von Preis­en und Kosten manifestiert, reflektiert dabei nicht allein das sozialpolitische Postulat einer billigen Befriedigung von Grundbedtirfnissen, allen voran der Wohnungsmie­te und bestimmter Nahrungsmittel, denen dann »tiberhOhte« Preise fUr niehtlebens­notwendige Konsumgtiter entsprechen, sondem bildet auch ein gewichtiges Instru­ment der Zentrale bei der Kontrolle des Gleiehgewiehts der Ware-Geld-Beziehungen und wird dadurch zum Garanten der Funktionsfahigkeit der Planungsokonomie (Dembinski 1988, S. 288 ff.). Die Verletzung des Kostendeckungsprinzips (und des Prinzips der uneingeschrank­ten wirtschaftlichen RechnungsfUhrung als ihres institutionellen Pendants) ist fraglos der dominierende Topos der Reformdiskussion - zu Unrecht, wie bereits angedeutet und noch ausfiihrlieh zu thematisieren sein wird. In dieser Dominanz driickt sich die Orientierung der Reformdiskussion insbesondere in den sozialistischen Landem an der klassischen Werttheorie, allen voran einer kostenorientierten Preisbestimmung, aus. Die Normverletzung beinhaltet dabei angesichts des Umstandes, daB ein niedri­ger Preis eine hohe nachgefragte (und damit von der Zentrale Zu planende) Menge bedingt, ein Moment der Verschwendung, das urn so gravierender wird, je starker ein Gut nicht nur dem Konsum dient, sondem auch als Produktionsmittel verwendbar ist. Die Beseitigung der Normverletzung verlangt demzufolge eine Preisreform, die die Preise den Kosten annahert6 - sie bildet denn auch das groBe Thema der innerso­zialistischen Reformdiskussion - und damit eine nneingeschrankte wirtschaftliche Rechnungspriifung, soweit sie sich auf die Produktion der Betriebe bezieht. Es gehort zu den weitestverbreiteten (und folgenschwersten) Irrtiimem der Reform­diskussion anzunehmen, daB eine Realisierung des Kostendeckungsprinzips zugleich okonomische Effizienz bedeutet. Effizienz steht im Kontext der neoklassischen Oko­nomie, nieht der klassischen Okonomie. Entsprechend bedeutet Ineffizienz eine Ver­letzung der Normen der neoklassischen Version der liberalen Okonomie. Das Effi­zienzpostulat zielt dabei auf den optimalen - in letzter Konsequenz nutzenmaxima­len - Einsatz einervorgegebenen Ressourcenausstattung. Seine Realisierung verlangt aus einer markttheoretischen Perspektive, daB die Preise die Knappheit der Ressour­cen und (produzierten) Gtiter reflektieren. Dabei bleibtder Allokationsmechanismus an die Verftigung tiber Mengen gebunden, die fUr das einzelne Individuum bei ge­gebenen Preisen erfolgen (Individuallosung) und ftir den Markt insgesamt die Preis­bildnng einschlieBen (Marktlosung). Die neoklassische Okonomie liefert damit auf der Grundlage der Logik von Preis­Mengen-Beziehungen eine Okonomie der Marktteilnahme. Logik der Preis-Mengen­Beziehungen heiBt dabei, daB Bedtirfnis (Nutzen, Nachfrage) und Seltenheit (Erst­ausstattung an Ressourcen, Angebot) ein Gut okonomisieren, das dadurch einen Preis (verstanden als Tauschverhiiltnis zwischen Gtitem) erzielt. Damit konstituieren Be­diirfnis und Seltenheit tiber die VerfUgung tiber Mengen Knappheit und ermoglichen

Geld im Sozialismus 115

unter Konkurrenzbedingungen einen TauschprozeB, der zu einer durch die Absenz weiterer Tauschgewinne definierten eIfizienten AllokationslOsung fiihrt. Damit aber ist Effizienz als eine LoslOsung der Preise von den Kosten gekennzeich­net, wird aber gerade nicht, wie es die auf das Kostendeckungsprinzip rekurrierende Reformdiskussion will, durch eine Bindung der Preise an die Kosten bestimmC. Die LoslOsung der Preise von den Kosten bedeutet, daB die Anbieter einen Knappheits­gewinn erzielen - von Marshall als Quasirente bezeichnet8. Entscheidend ist dabei, daB dieser Ansatz denAllokationsmechanismus der klassischen Okonomie vom Kopf auf die FiiBe stellt: Es sind nicht mehr die Kosten, die die Preise bestimmen (und die Verfiigung iiber Mengen kHiren), sondem es ist umgekehrt die Verfiigung iiber Men­gen, durch die sich die Kosten den Preisen anpassen. Damit aber werden die Dispo­sitionen der Individuen zur notwendigen Bedingung okonomischer Effizienz. Das aber heiBt, daB die Planungsokonomie die Norm okonomischer Effizienz in zweifacher Hinsicht verletzt: Zum einen durch die Administrierung von Preisen, zum anderen durch eine Mengenplanung, die die Logik der Preis-Mengen-Beziehungen zerschneidet. Von diesen beiden N ormverletzungen hebt die Einfiihrung des Kosten­deckungsprinzips bestenfalls die zweite auf. So fiihrt eine freie Preisbildung zu Knappheitspreisen, nicht zu Kostenpreisen. Und es fiihrt kein Weg daran vorbei, daB Effizienz an die Okonomie der Marktteilnahme gebunden ist. Diese aber verlangteine freie Preisbildung. Effizienz erfordert damit keine Preisreform, sondem eine Preis­bildungsreform, eine Reform, die die Preisbildung dem Markt iiberHiBt. Lediglich fiir den Fall einer generellen Unterbeschaftigung der Ressourcen, allen VOf­

an an Arbeit, besteht kein Widerspruch zwischen Kostendeckungsprinzip und okono­mischer Effizienz. Dann namlich erlaubt eine Administrierung von Preisen nach dem Kostendeckungsprinzip einen Verzicht auf eine Mengenplanung der Zentrale, da die den Preisen entsprechende Nachfrage auf ein im Prinzip unbegrenztes Angebot stoBt. Aber Unterbeschaftigung ist, worauf noch einzugehen sein wird, ein Topos der Geld­okonomie, gerade aber nicht der Planungsokonomie. Damit aber zeigt sich, daB das Kostendeckungsprinzip kein Ausdruck fiir die Etablierung von Marktbeziehungen ist, sondem der Logik einer Planungsokonomie entspricht. Ob es akzeptiert oder ver­letzt wird, beriihrt (lllein die Allokation von Giitem und Ressourcen innerhalb einer Planungsokonomie. In jedem Fall bleibt (angesichts der Vollbeschaftigung der Res­sourcen) eine makrookonomische Mengenplanung erforderlich. Das aber heiBt, daB die Mengenplanung der Zentrale die Stelle des Effizienzpostulats einnimmt, das in einer Planungsokonomie angesichts des Umstandes, daB Preise nicht Knappheit, sondem (Abweichungen von den) Kosten reflektieren, keine Wirksamkeit entfalten kann. Damit iibemimmt im Sozialismus die Mengenplanung der Zentrale jene Allo­kationsfunktion, die im Kapitalismus den Preisen zukommt. Die eine Planungsokonomie kennzeichnende Mangelwirtschaft steht als dritte N orm­verletzung im Kontext der keynesianischen Okonomie, weil sie das Spiegelbild einer UberschuBwirtschaft, charakterisiert -durch ein UberschuBangebot an Ressourcen, gemeinhin als Unterbeschaftigung bezeichnet, bildet. Dabei bedingt der Umstand, daB Geld die Konsistenz des Marktsystems herstellt, Unterbeschaftigung und begriin-

116 Hajo Riese

det dadurch den Kaptialismus als ein System von Kaufermarkten. Entsprechend ver­langt der Umstand, daB die Planung von Giltem und Ressourcen die Koharenz des Marktsystems garantiert, deren Uberbeschaftigung und begrtindet dadurch den So­zialismus als ein System von Verkaufermarkten. Das Koharenzprinzip bestimmt deshalb den Markttyp, wei! es die Allokationsbedin­gungen steuere. Die Lenkungsfunktion des Geldes gegentiber der Glitersphlire ver­langt eine Unterauslastung der Ressourcen (mit der Konsequenz der Existenz von Kaufermarkten), weil allein diese das Ressourceneinkommen auf ein MaB beschran­ken kann, das eine Realisierung des Zinsanspruchs erlaubt lO• Als Konsequenz wird die Allokation von Ressourcen durch ihre Nachfrage wie in der klassischen Okonomie, durch ihr Angebot) begrenzt, da sie sich nicht an einer alternativen Ver­wendung der Ressourcen, sondern an etwas Drittem, eben an Geld, orientiert. Die Planungsokonomie unterscheidet sich von einer Geldwirtschaft darin, daB Res­sourcen (tiber die Planung) anstatt Geld die Lenkungsfunktion austiben. Dieses be­deutet jedoch keineswegs, daB die Planungsokonomie von den Normen der liberalen Okonomie her gesehen an den Kriterien der (die Vollbeschaftigung von Ressourcen voraussetzenden) neoklassischen Okonomie gemessen werden mliBte 11 • Vielmehr konstituiert die keynesianische Okonomie ein universelles Prinzip des Wirtschaftens, indem die Vermogenshaltung der Ressourcenallokation die Norm setzt: Da jedoch in der Planungsokonomie Ressourcen und nicht Geld die Dominanz austiben, bezieht sich die Vermogenshaltung nicht auf Geld, sondem auf Guter. Das Horten von Gtitem wird zum konstitutiven Merkmal des Sozialismus. Das Ergebnis sind Verkaufermark­te oder ist, als der flir den Sozialismus einleuchtendere Begriff, eine Mangelwirt­schaft. Damit macht der ressourcenorientierte Charakter des Lenkungsmechanismus der Pla­nung Gliter zumArgument der Vermogenshaltung. Entsprechend findet der Umstand, daB Ressourcen dem okonomischen System die generelle Knappheitsbedingung liefern, sein SpiegeJbild in einem UberschuBangebot an Geld. Nicht Geld tibt, sondern Gliter liben die Geldfunktion aus. Damit entspricht einem kapitalistischen Gleichge­wicht auf dem Vermogensmarkt mit der Implikation eines UberschuBangebots an Gutern ein sozialistisches Gleichgewicht auf dem Ressourcenmarkt mit der don eines UberschuBangebots an Geld: Das ist der theoretische Ausdruck in einer Planungsokonomie Geld reichlich ist, GUter aber sind. Es zeigt daB sich der marktlogische Kern auf ein Gleich-gewicht auf dem Giitermarkt stutzt, wobei der Mangel daraus resultiert, daB ein Teil der tiber Ressourcen der dient. Dabei drilckt die

ctJ:ge1Nlc:ht:skc)llslIA.lauLvl1die aus. Dieser Befund ist wei! er den spezifischen Gehalt einer

Er besteht daB die Gliterhor­des Sozialismus darstellt. ~~t-o"~,~U

Vermogensbildung liber eine allen voran der ebenso der nicht zu verhindern

Geld im Sozialismus 117 ----------------------------------------------

Daraus folgt, daB eine freie Preisbildung weder im Sozialismus noch im Kapitalismus dem okonomischen System die hinreichende Bedingung fUr dessen Funktionsfahig­keit liefert. Dieses Postulat weist die neoklassische Okonomie in die Schranken, weil sie lediglich die Allokationsbedingungen einer Erstausstattung an Ressourcen kHirt, die Bildung dieser Erstausstattung aber offenlassen muB. Dieser Umstand trifft ins­besondere aIle Fonnen des Marktsozialismus, die Planung Moment der gesell­schaftlichen Aneignung des Zinsanspruchs) und Markt miteinander zu verkniipfen suchen. Denn die keynesianische Kritik der neoklassischen Okonomie zeigt, daB selbst fiir den Fall freier Preisbildung, der formal dem Effizienzpostulat geniigt, die Zentrale Informationen von den Betrieben erhalt, die sie fUr ihre Entschei-

im Rahmen einer tiber Investitionen gesteuerten be-Denn am Bestreben der tiber eine Vermogenspositio-

nen andert sich nichts des Umstandes, daB Geld(formen) die Vermogensfunktion nicht ausilben. Die FoIge ist eine gegeniiber einer Pla­nungsokonomie) vollsUindige Machtlosigkeit der ZentraJe, da sie auBerstande zwischen objektiver und hortungsbedingter Bereitstellung von Ressourcen zu unter­scheiden. Damit aber scheitert die Zentrale an der Unmoglichkeit einer Planung des Produktionspotentials, in dessen Rahmen den Betrieben die Realisierung okonomi­scher Effizienz obliegt. Die keynesianische Okonomie zeigt mithin, daB eine Preisbildungsreform, die dies­bezilglich die Autonomie der Betriebe wahrt, die Etablierung der Kol1arenzfunktion des Geldes verlangt. An die Stelle der Planungsokonomie tritt die Geldokonomie, an die Stelle der Planungspolitik die Geldpolitik. Nur in diesem Rahmen liiBt sich ein Pluralism us der Organisationsjormen realisieren, auf den das Konzept der Perestroi­ka so vehement rekurriert. Es macht die Tragodie dieses Konzeptes aus zu unterstel-

daB sich ein Pluralismus der Organisationsformen unter der Agide einer Planwirt-die das Kostendeckungsprinzip zur Norm durchsetzen kann.

III. Innovation nnd Sozialismns

hat sich die in den beiden letzten ab11etlm(:ncie Innovationskraft

"v~'v~mE,~ in der driickt sich dabei in einer abnehmenden Kon-'''''Ll.awlS'''''' auf dem Weltmarkt aus, die insofern entscheidend auf den Lebens-

standard in den sozialistischen Uindem als sie das Austauschverhaltnis zwischen und Giltem (sog. terms of trade) verschlechtert. Dieses Phanomen trifft auch dann das des

118 Riese

Erst allmahlich, wenn auch mit steigender setzt sich in den letzten Jahren die Erkenntnis daB okonomisch-technische Entwicklung die Mangelwirtschaft nicht vermag, die Mangelwirtschaft vielmehr die okonomische Entwick-lung hemmt. Der Abschied von der These des durch Ent-

fallt deshalb weil

die unter sozialistischem Vorzeichen in die wissenschaftlichen Fortschritts HH"HC'v"~, ten hohen Wachstumsraten des n~'m'J'VUU'H0

formsozialistische Diskussion entscheidend stimuliert Dennoeh ist diese Diskussion gerade unter dem innovationstheoretischen Denn die unbezweifelbare eines Konnexes von Ineffizienz Inno-vation hat allzusehr den UmkehrschluB provoziert, daB sich mit okonomischer Ef­fizienz aueh Innovation durehsetzt. Es handelt sich jedoch nur urn eine nieht urn eine hinreichende Bedingung. Allokative Effizienz und evolutorische Dy­namik sind nicht aneinander Das zeigen okonomische Theorie und hi-storische So weisen zahlreiche Lander eine die ein entsprechend effizientes Wirtschaften Dy-namik entfalteten, die Marx so hat.

indem man U~UU0v"v" Industrielandern - der Ersten Welt die Entwick-

Auf diesem Weltmarkt haben die so­zialistischen Lander - als Zweite Welt - schon bisher kaum mehr als eine Nebenrolle

Urn daB die Reformen in den sozialistischen Landern des Weltmarktes her die weitere Existenz

aU,00'-HH.vMvH, diese Lander somit entweder den Status eines Indu-strielandes oder eines erhalten. Das ftihrt daB sieh die 80-

zialistischen Lander der Realitat eines Weltmarktes auszuliefern der durch die Dominanz del' Industrielander charakterisiert ist. Diese erhalt fundamentale

konkurrenz resultiert nicht die die zum Einsturz

sondern kann ebenso - und dies ist der wahrscheinlichere Fall- darauf zuruck-zufiihren daB die inneren der

Geld im Sozialismus 119

stemkonkurrenz nicht standhalten. Ein Blick auf die osteuropaischen Lander in ihrer gegenwiirtigen politisch-okonomischen Verfassung unterstreicht dieses Argument. So sei die Prognose gewagt, daB angesichts ihrer historisch bedingten Ausgangspo­sition, ihres Entwicklungspotentials wie ihrer GroBe, die eine Industrialisierung uber westliches Kapital beschrankt, die UdSSR keine Chance hat, Polen, Rumanien und Bulgarien kaum Chancen haben und die DDR, die CSSR und Ungam bestenfalls gewisse Chancen haben, den Status eines Industrielandes zu erreichen. In der Fixierung auf den okonomischen Status der fortgeschrittenen Industrielander zeigt sich in zweifacher Weise ein methodischer Defekt der reformsozialistischen Diskussion: Zum einen werden Entwicklungslander zu sehr unter morphologischen Gesichtspunkten wie niedriges pro-Kopf-Einkommen, rohstofforientierte Produk­tion, mangelnde Infrastruktur etc. analysiert; damit wird ihre allokationstheoretische Affinitat zu sozialistischen Landern ubersehen. Zum anderen werden die (vom Welt­markt gesetzten) Bedingungen der Uberwindung von Unterentwicklung unterschiitzt, indem - hier zeigt sich das Erbe der Entwicklungstheorie der klassisch-marxistischen Okonomie - eine durch den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt objektivierte Evolution hypostasiert wird. , Der allokationstheoretische Kern eines Weltrnarktes, der durch die Dichotomie von Industrie- und Entwicklungslandern bestimmt wird, basiert auf Lohndifferentialen13 •

Internationale Arbeitsteilung bedeutet dann, daB ein Industrieland Guter mit einer Technologie, die eine hoheArbeitsproduktivitat impliziert (High-Tech), ein Entwick­lungsland Guter mit einerTechnologie, die eine niedrigeArbeitsproduktivitiit impli­ziert (Low-Tech), herstellt. Fur das Austauschverhaltnis weltmarktfabiger Guter be­deutet dies einen Wohlfahrtsexport des Entwicklungslandes, indem es Guter billig exportiert und teuer importiert. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, daB die Entwicklungslander als verlangerte Werkbank der Industrielander fungieren - ein Terminus, der darauf hinweist, daB eine derartige internationale Arbeitsteilung uber­wiegend mit Kapital aus den Industrielandern finanziert wird. Die Finanzierungsmo­dalitaten sind aber nicht entscheidend; wichtiger ist die beobachtbare Tendenz zu ei­ner Verscharfung dieser Form der internationalen Arbeitsteilung, deren deutlichstes Kennzeichen steigende Agrarimporte der Entwicklungslander sind. Der allokations­theoretische Nukleus dieser Tendenz besteht dabei darin, daB ein Entwicklungsland das, was es produziert, exportiert, wahrend es das, was es verbraucht, importiert. Eine derartige Marktkonstellation bildet quasi den marktlogischen SchluBpunkt dieser Tendenz - und stellt damit den Idealtypus einer verlangerten Werkbank dar. Dieser allokationstheoretische Kern eines Entwicklungslandes weist auf die Affinitat zu sozialistischen Landern hin. So hat die Stagnation der sozialistischen Okonomien in den beiden letzten Iahrzehnten die Lohndifferentiale zu den Industrielandern er­hOht und damit deren Ausgangsposition flir eine fortschreitende Integration in die internationale Arbeitsteilung erheblich verschlechtert. Zwei Aspekte unterstreichen dabei die Affinitat zu Entwicklungslandern. Zum einen existieren wie in diesen keine eigenstandigen Markte, deren Entfaltung den AnschluB an die Industrielander allen voran durch die Bildung von (Massen-)Kaufkraft ermoglichen wurde. Diesbezuglich

120 Riese

weist die neoklassische Kritik zu Recht auf die Notwendigkeit der Schaffung ent­sprechender Angebotsbedingungen einschL einer entsprechenden Geldverfassung hin. Zum anderen impliziert das Beharren auf einem reformierten Sozialismus eine Zementierung der gegenwartigen Struktur der intemationalen Arbeitsteilung mit ihrem Technologie- und Lohngefalle zuungunsten der sozialistischen Landerl4 - eine Bedingung, die eigenartigerweise kaum thematisiert wird, obwohl sie in der Begrtin-

eines Reformsozialismus (beispielsweise in der Auffassung yom '~U_OJH_UH'''U als »Ellbogengesellschaft«) in aller Deutlichkeit anklingt.

vU'_U,"_UH, der durch die Dichotomie von Industrie- undEntwicklungsHin­erfolgt ein Innovationsschub stets als eine nachholende Entwick-

gegenuber fortgeschritteneren Uindem. demonstriert dabei nachdrticklich, daB erst die Etablierung ganz unverwechselbarer Marktkonstellationen ermoglicht. So die Beispiele gegltickter Entwicklung wie Japan seiner nachholenden gegentiber Europa) und der ostasiatischen SchwellenUinder ihrer nachholenden Entwicklung gegen­tiber Japan),daB die Marktkonstellation hoher Investitionen und hoher Exporte die Entwicklungsbedingungen charakterisiert. Sie impliziert zugleich eine Beschran­kung der Importe auf die Sttitzung dieser Marktkonstellation und ein (temporares) Niedrighalten der Massenkaufkraft. Entwicklung verlangt damit eine simultane Eroberung von Weltmarkten und Entfal­tung von Binnenmarkten. Eine blol3e Exportstrategie ist nicht hinreichend, weil sie zugleich den Importdruck verstiirkt und damit die Gefahr in sich birgt, daB der Inno­vationsschub sowohl tiber Kapitalexporte als auch tiber Vermarktung der Produkte den Industrielandern selbst zugutekommt. In dies em Fall erreicht das betroffene Land statt Entwicklung lediglich, daB es zur verHingerten Werkbank von Industrielandern wird. Eine bloBe Binnenmarktentwicklung ist wiederum nicht hinreichend, weil auch wenn sie nicht unmittelbar in einer Inflation endet, einen ImportiiberschuB bewirkt, der entweder in einer Abwertungsspirale mundet (und dadurch die Inflation anheizt) oder zu einer Verschuldung ftihrt, die statt zu einer Entwicklung zu einer Abhangigkeit von den Industrielandern fiihrt. Ohne ist Entwicklung nicht Entwicklungsbereit-

wie es der Ansatz in den Pro-H"~HC'~HvH, ihren technisch-wissenschaftlichen und geseUschaftli-

chen sondern schlicht und einfach in hohen Exporten, in denen sich der auf den Weltmarkt ausdriickt, und in hohen die die Vorausset-

zung dafiir bilden, daB sich die Produktivkrafte zu entfalten vermogen. Es mtissen Zweifel angemeldet ob die sozialistischen Lander in einer uber-schaubaren Zukunft in der sein werden, eine Marktkonstellation zu

zumal sie gegen die Konkurrenz der Industrie- und Schwellenlander auf dem Weltmarkt durchzusetzen ware. Hinzu daB ihr gra-vierende binnenwirtschaftliche Hemmnisse die auch bei einer De-

uv,w"m.'h von M,lfktbescllrankllm~;en in den Kontext einer allgemei-

Geld im Sozialismus 121

nen Entwicklungsbereitschaft zu stellen. Existiert diese, so bilden Marktbeschran­kungen keineswegs, wie es die herrschende liberale Theorie will, ein Entwicklungs­hemmnis, sondem umgekehrt eine unabdingbare Voraussetzung der Durchsetzung der Evolution 15. Die Frage, ob Marktbeschrankungen - als selektiver Protektionismus durch eine Zollpolitik, als globaler Protektionismus durch eine Einschrankung der Konvertibilitat der Wahrung - der einheimischen Wirtschaft einen Schutz vor Welt­marktkonkurrenz oder eine Entwicklungschance liefem, kann nicht die okonomische Theorie beantworten. Protektionismus kann beides bewirken: Fehlt die Entwick­lungsbereitschaft, so tibt er eine Schutzfunktion aus, existiert eine Entwicklungsbe­

so stellt er eine Entwicklungschance dar.

IV. Del' Fall del' DDR

Damit schlieBt sich der Bogen zu den Funktionsbedingungen einer Planungsokono­mie. Vierzig Jahre Sozialismus haben dabei nachdrticklich dokumentiert, daB sich innerhalb einer Planungsokonomie eine (in den sozialistischen Landem liberwiegend vorhandene) Entwicklungsbereitschaft nicht zu entfalten verrnochte - insbesondere Ineffizienz und Mangelwirtschaft in immer starkerem MaBe auf den Entwicklungs­prozeB zUrUckwirkten, als das Entwicklungspotential der Nachkriegsepoche ausge­sehopft worden war. Insoweit muB dem angebotsorientiertenAnsatz zugestimmt wer-

daB sieh ein Entwicklungspotential nur in einer Marktverfassung durchzusetzen vermag, weil Entwicklung stets auch Entfaltung von Markten bedeutet. Aber es han­delt sieh lediglich urn eine notwendige, nicht urn eine hinreichende Bedingung. Denn die Existenz einer Marktverfassung schlieBt Stagnation nicht aus. Deshalb bildet westliches so sehr es die Entwicklung der ostlichen Lander zu unterstiitzen vermag, nieht die SchliisselgroBe okonomiseher Evolution. Denn westliches Kapital sehlieBt nieht aus, daB an die Stelle der Planungsokonomie eine stagnierende markt­orientierte Geldokonomie schlieBt vor aHem nicht aus, daB die ostlichen Lander zur verlangerten Werkbank der »fortgesehrittenen« westlichen Lander werden. Diese spezifisehen Eigenschaften marktvermittelter Okonomien kann ein Ansatz nieht der ausschlieBlieh Angebotsbedingungen ins Zentrum der Analyse rtickt. Der monetare erhalt denn auch seinen entwicklungstheoreti­sehen Gehalt dadurch, daB er Angebotsbedingungen lediglich als notwendige Bedin­gung einer der Marktkrafte, die selbst nachfragebestimmt sind, begreift. Dadurch werden, wie gezeigt wurde, Investition und zu von Entwicklung. zeigt daB die Schwache des angebotsorientiertenAnsat-zes darin liegt, die der Entwicklung auf die Ausgestaltung von Rahmenbe-

zu beschranken und dann der Selbstentfaltung der Marktkrafte zu vertrau-en. Er hat deshalb auch niemals warum sich in den Entwieklungslandern nieht Unternehmergeist entfaltet, der Entwicklung voranzutreiben vermag. Unter diesen sind die der DDR zu prtifen, den Entwick­lungs status der fortgeschrittenen Industrielander zu erreichen. Dabei muE der herr-

122 Haja Riese

schenden Diskussion in Ost wie in West vorgehalten werden, daB sie tiberwiegend Entwicklung an eine Verbesserung der Angebotsbedingungen bindet -.gleichgtiltig, ob in einem planwirtschaftlichen oder in einem marktwirtschaftlichen Kontext. Das zeigt sich nachdrUcklich damn, daB die Frage nach der Ausgestaltung einer Geldver­fassung, die den Funktionsbedingungen einer Geldokonomie genligt, in dieser Dis­kussion deutlich zuriicktritt. Das demonstriert insbesondere die Ablehnung einer Wahrungsreform. Ibre Notwen­digkeit wird angesichts ihres unbezweifelbaren barten Eingriffs in die Vermogenspo­sition der Individuen deshalb bestritten, weil fiir die DDR der (ein Inflationspotential bildende) Geldiiberbang nicht erheblich sei und aus diesem Grunde das Hineinwach­sen eines sich entfaltenden Angebots in den vorhandenen Geldmantel zweckmaBig sei. Der fundamentale Irrtum, der dieser oder einer ahnlichen Diagnose zugrunde liegt, besteht darin, die Unumganglichkeit einer Geldverfassung zu ignorieren, die den Geldmantel so knapp halt, daB er den Rahmen flir eine Entfaltung der Marktkrafte abgibt. Die Aporie des angebotsorientierten Ansatzes besteht deshalb darin, eine Ent­faltung der Marktkrafte vorauszusetzen, die erst eine entsprechende Geldverfassung ermoglicht. Den allokationstheoretischen Nukleus liefert dabei keineswegs, wie es eine populare, von der (neo )klassischen Glitermarkttheorie bestimmte Position will, ein im Verhtilt­nis zum Geldmantel zu geringes Warenangebot. Entscheidend ist vielmehr allgemein die Existenz einer Vermogensposition, die einem knappen Geldmantel widerspricht16•

Mankann dies en Umstand so ausdrlicken, daB die betroffene Wahrung nichtkontrakt­fahig ist; am Fall der DDR zeigt sich dies daran, daB die Wahrung eine bloBe Bin­nenwahrung ist und damit keine Verpflichtung der Staatsbank der DDR in auslandi­scher Wtihrung begrlindet. Die Wtihrung der DDR erlaubt mithin keine Vermogenshaltung, aus der sich ein Zinsanspruch ergibt. Das heiBt, daB sie keine Geldpolitik zulaBt, die liber den Zinssatz eine marktkonforme Vermogenshaltung, die eine Praferenz der Vermogenshaltung in einheimischer Wahrung begrlindet, bewirken konnte 17 • Zum einen schlieBt dies die Stabilisierung eines Wechselkurses aus, der das Austauschverhaltnis zwischen DDR­Mark und Deutscher Mark sichert. Zum anderen ist die Moglichkeit einer Unterbe-wertung der Wahrung ausgeschlossen, wie sich am Beispiel der Knnrl,>cr,'rm

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg spater nachdrlicklich gezeigt eine notwendige Bedingung interner Akkumulation bildet.

Der Verzicht auf eine marktkonforme Geldpolitik bedeutet, daB Geld nicht die Ko­harenz des okonomischen Systems Diese Funktion kann Jediglich eine Mengenplanung der Zentrale ausiiben - oder es bietet sich als kapitalistische Alter-native eine analog ausgehOhlte Geldwirt-schaft an, deren durch eine ausIandische »harte« und damit tiber den Schwarzen Markt oben skizzierte Szenario eines okonomischen das durch den Dualismus von Planungsokonomie und defekter Geldokonomie auf der Bildfla-che. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daB wie in allen sozialistischen Landern

Geld im Sozialismus 123

auch in der DDR derzeit die Okonomie durch eine derartige duale Marktkonstellation gekennzeichnet ist. Ihr Merkmal ist eine mehr schlecht als recht funktionierende Planungsokonomie, liber die eine durch die Deutsche Mark als Zweitwahrung gesteu­erte Schattenokonomie gespeist wird, Ein Dualismus laBt sich nicht ohne Wahrungsreform weil sie

die der Geldfunktion Marktkonformi-ITQ1"pfr,rrn bleibt fUr die DDR die Alternative der Bei-

wobei dann wie bisher die Mengenplanung der Zentrale die Koharenz des okonomischen und einer sukzes-

"""veLAU1,,", der Deutschen die dann mittelbar odeI' unmittelbar die Ko-hiirenzfunktion auslibt. 1m ersten Fall wird die ten Werkbank methodisch gesehen, daB der in Ost und West dominierende Reformansatz ohne begleitende Wah-

a~rpYn,rrn genau dieses allokative Resultat ,1m zweiten Fall wird - im Sin-ne des Greshamschen Gesetzes - sukzessive die Mark der DDR durch die Deutsche Mark ersetzt. Das Kriterium bildet dabei ein fort-schreitender Verfall des (Schwarzmarkt-)Kurses der L'Ln""lH,C" wobei der End-

dieses Prozesses dann erreicht ist, wenn Lohnkontrakte in Deutscher Mark abgeschlossen werden (mtissen)19, So das das den methodischen Linien der Theorie der Geldwirtschaft folgt.

1J'-"'111",-,'1\;;11 Bedingungen der DDR, die dank der offenen Grenze zur Bundesre­Deutschland durch eine im Vergleich zu allen anderen - kapitalistischen wie

sozialistischen - Landern niedrigeMobilitatsschranke fUr Arbeit gekennzeichnet lassen es jedoch fraglich erscheinen, ob selbst der Fall, daB eine Wahrungsre-

form die Geldfunktion einer DDR-Mark der DDR okonomische Selbstan-- zumal sich die Lohndifferentiale durch die

Unterbewertung der Wahrung als Bedingung interner Akkumulation sein mag), noch verstarkt. Deshalb spricht vie-

das okonomische politi-<J"~U'''aJllVJlI',L''VHmit del' an die Deutsche Mark zu ver-

flir die DDR nicht wiederholbar ist. Deutsche Einheit wtirde uv''''AHv.'', daB beide Staaten

UO,J,,,,,,CUL'I', einer L''''IJU'UW schluB der DDR an die fUhrenden Industriestaaten

Bezeichnenderweise lieferte Eucken der Faschismus das Vorbild zur Modellierung einer zentralge­leiteten Verwaltungswirtschaft - wobei die Ubertragung auf den Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg allen voran durch die Berliner (Thalheim-)Schule in einer okonomischen Version der Kon­zeption des Totalitarismus miindete,

2 So kann insbesondere die Produktionsmitteleigenschaft des Kapitals keinen Zinsanspruch begriinden,

124 Hajo Riese

3 Der Anspruch der monetaren keynesianischen Okonomie, ~ine angemessene, aufPrivateigentum re­kurrierende Zinstheorie zu liefem, resultiert dabei aus der Dberlegenheit gegeniiber altemativen Theorien. In diesem Theorienstreit wird der neoklassischen Okonomie vorgehalten, daB sie den Zins­anspruch allein aus intertemporaler Allokation (und damit einer entsprechenden Verfiigung iiber Gii­ter und Ressourcen) zu deduzieren vermag, wiihrend der klassischen Okonomie vorgehalten wird, daB sie zwar logisch einwandrei den Zinsanspruch aus Eigentum in die Allokationstheorie einbettet, die Fassung des Zinses (alias des Profits) als Surplus jedoch in Widerspruch zum unterstellten Konkur­renzmechanismus gerat.

4 Die Gegeniiberstellung von Geldwirtschaft und Planwirtschaft hat zur Konsequenz, daB es sich in bei­den Fallen urn Marktwirtschaften (mit unterschiedlichen Allokationsmechanismen) handelt - ein Po­stulat, dem angesichts des »real existierenden« Sozialismus Evidenz nicht abzusprechen ist.

5 Der Frage der geringen Innovationskraft im Sozialismus wird ein gesondertes Kapitel gewidmet. 6 Ihr entspricht auf der Faktorebene eine leistungsbezogene Entlohnung. 7 Sie besteht nur flir den Fall eines vollstiindigen Gleichgewichts, bei dem die Preise nicht nur den

Grenzkosten, sondem auch den Durchschnittskosten entsprechen. 8 Dann liegen die Preise iiber den (Durchschnitts-)Kosten. Liegen die Preise unter den Kosten, so wird

langfristig die Produktion eingestellt. Negative Quasirenten sind somit ein kurzfristiges Phiinomen. 9 Diesen Zusammenhang vermag die herrschende, durch die neoklassische Okonomie gepragte Ortho­

doxie nicht zu erfassen, indem sie, wie sich nachdriicklich bei Komai zeigt, Ineffizienz und Mangel in gleicher Weise auf eine Fehlallokation zuriickflihrt. Aber eine Fehlallokation beriihrt das (flir die neoklassische Okonomie konstitutive) Vollbeschaftigungspostulat nichLund bietet deshalb auch kei­ne Erklarung fiir UberschuB und Mangel. Siehe Komai (1986).

10 Demgegeniiber kennt die neoklassische Okonomie die ausschlieBliche Existenz von Ressourcenein­kommen (einschlieBlich aus intertemporaler Allokation) - der allkationstheoretische Ausdruck dafiir, daB sie die Eigentumsfrage aus der Okonomie ausblendet.

11 Daraufhat Lohmann, wenn ich es recht sehe, als erster aufmerksam gemacht. Siehe Lohmann (1985). 12 Allerdings bleibt davon die Moglichkeit der gesellschaftlichen Aneignung oder, allgemeiner formu­

liert, der Eliminierung des Zinsanspruchs unberiihrt. 13 Lohndifferentiale stehen dabei flir Ressourceneinkommen, deren geringeres Niveau im Entwick­

lungsland nicht nur durch die niedrigere Arbeitsproduktivitat, sondem auch durch den hoheren Zins­anspruch, der wiederum in die Industrieliinder transferiert wird, bestimmt wird.

14 Die mit viel Aplomb propagierten joint ventures bedeuten eine solche Zementierung, da die herr­schenden Angebotsbedingungen das Schwergewicht der Vermarktung der Produkte in kapitalisti­schen Liindem verlangen. Sie stellen denn auch das Musterbeispiel einer verlangerten Werkbank der Industrieliinder dar, die sich im iibrigen nahtlos als Inseln der Effizienz in eine Planungsokonomie integrieren lassen.

15 Marktbeschriinkungen haben lediglich aus einer allokativen Perspektive ein eindeutig negatives Vor­zeichen, weil sie einen effektiven Einsatz der Faktoren behindem. Aus einer evolutionstheoretischen Sicht aber rechtfertigt sich Protektionismus dadurch, daB er Produktivkrafte zu entwickeln vermag, deren Stand die Allokationstheorie bereits voraussetzt. Das formale Argument lautet, daB ein fehlen­der intemationaler Faktorpreisausgleich eine Angleichung der Faktorpreise iiber Entwicklung not­wen dig macht.

16 Diese Marktkonstellation eines im Verhaltnis zum Geldmantel zu geringen Warenangebots charak­terisiert den Fall einer unterdriickten Inflation, der sich damit lediglich als Spezialfall eines Knapp­heitsbedingungen verletzenden Geldsystems erweist.

17 Voraussetzung ist dabei keineswegs die vielbeschworene Konvertibilitat der Wiihrung, die - wie auch in kapitalistischen Liindem - bestenfalls der SchluBpunkt der Etablierung einer Wiihrung mit markt­konformer Vermogenshaltung ist.

18 Dabei beharrt die ostliche Version des angebotsorientierten Ansatzes auf den Funktionsbedingungen der Planungsokonomie, wiihrend die westliche Version die sukzessive Durchsetzung der Deutschen Mark impliziert.

19 Der ProzeB folgt dabei den Allokationsbedingungen einer fortschreitenden Inflation, die in einer Hyperinflation endet, wobei sich in diesem Fall die Inflationsrate in der Wechselkursanderung aus­driickt.

Geld im Sozialismus 125

Literatur

Dembinski, P. H. (1988): Quantity versus Allocation of Money: Monetary Problems of the Centrally Planned Economics Reconsidered, Kyklos, 41, S. 281-300.

Eucken, W. (1940): Die Grundlagen der Nationa16konomie, Jena. Heinsohn, G: / Steiger, O. (1981): Geld, Produktivitat und Unsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus,

Leviathan, 9, S. 164-194. Komai, J. (1986): The Hungarian Reform Process: Visions, Hopes, and Reality, The J oumal of Economic

Literature, 24, S. 1687-1737. Komai, J. (1988): Individual Freedom and Reform of the Socialist Economy, European Economic

Review, 32, S. 233-267. Lohmann, K.-E. (1985): Okonomische Anreize im Staatssozialismus, Berlin Maier, H. (1987): Innovation oder Stagnation, KOln

126

Immanuel Wallerstein Marx, der Marxismus-Leninismus und sozialistische Erfahrungen im modernen Weltsystem

ZusammenJassung: 1m Gegensatz zumMarxismus hat die historische Rolle des Mar­xismus-Leninismus ausgespielt. Wallerstein betrachtet letzteren als vorubergehendes Phiinomen in der historischen Entwicklung des modern en Weltsystems. Der Marxis­mus-Leninismus, der einer Ideologie nationaler Entwicklung stets niiher stand als einer Ideologie sozialistischenAujbaus, hat deshalb ausgedient, wei! aile nationalen Entwicklungstheorien heute an ein Ende geraten sind.

Marx und seine Gedanken sind am Leben; sie stehen heute sHirker da als die jedes anderen wissenschaftlichen Denkers des neunzehnten lahrhunderts, und vennutlich werden sie auch fUr das gesellschaftliche Leben des Weltsystems im einundzwanzig­sten lahrhundert zentral bleiben. Der Marxismus-Leninismus als Strategie und Ideo­logie jedoch hat seine historische Rolle ausgespielt und ist fur die politische Okono­mie des Weltsystems zu einer Randerscheinung geworden. Die sozialistische Praxis im modernen Weltsystem schlieBlich, wenn wir sie denn so bezeichnen konnen, be­findet sich in groBer Unordnung und wird vielleicht als »sozialistisch« erkennbar nicht uberleben konnen. Ich mochte hier den Marxismus-Leninismus als ein historisches Phiinomen des mo­dernen Weltsystems von seinen Urspriingen bis heute analysieren, und zwar in Gestalt von Antworten auf sechs Fragen: 1. Warum Leninismus? 2. Warum zuerst in RuBland einen leninistische Revolution? 3. Warum Stalinismus? 4. Warum ein sowjetisches Imperium? 5. Warum Entstalinisierung? 6. Warum Perestroika und Glasnost?

Antwort eins

Ais organisatorische Geburtsstunde des Marxismus-Leninismus oder Boischewis­mus gilt gemeinhin das 1 ahr 1902, mit Lenins Gegenentwurf zu Plechanows Text fUr den zweiten KongreB (den sogenannten VereinheitlichungskongreB) der allrussi­schen sozialdemokratischen Partei im Sommer 1903. Wie wir wissen, fUhrte der Kon­greB zu einer Spaltung der Partei. Lenin erwies sich alshervorragender politischer Taktiker und ging aus dem KongreB an der Spitze der Partei hervor, die sich (wenn auch einigennaBen umstritten) als die Mehrheit (Boischewiki) bezeichnen konnte. Es ist heute zum Allgemeinplatz geworden, die Geschichte der sozialistischen Be­wegungen in aller Welt a1s die Geschichte einer historischen Spaltung in zwei Ten­denzen zu simplifizieren, die durch Eduard Bernstein und Lenin symbolisiert werden; organisatorisch wurde diese Spaltung nach 1921 durch die Existenz zweier Interna-

127

tionalen, der Zweiten und Dritten, besiegelt. Eine andere Kurzformel flir diese Ent­wicklung ist die Trennung von Reform und Revolution. Vereinfachungen sind immer angreifbar, aber flir die erste Halfte des zwanzigsten J ahrhunderts erscheint mir diese klassische Formel als im Wesen richtig. Die SchllisselaTgumente der »Revisionisten« leiteten sich von einem geradlinigen und ziemlich okonomistischen Verstandnis del' Revolution des Weltsystems her. Sie sahen einen ProzeB unvenneidlichen technologischen Fortschritt, der eine immer groBere Industriearbeiterklasse hervorbringen wtirde. Sie gingen davon aus, dies wer­de unvermeidlich zur Ausweitung politischer Rechte flihren (insbesondere

vermutlich unter dem kombinierten Druck aus kapitalistischer Ra-,","CUBIC'''-.''' der Arbeiterklasse. Sie im Laufe der Zeit wer-

de die Klasse der Industriearbeiter zahlenmaBig die politischeArena dominieren, und so konnten sie sich recht einfach an die Macht wahlen. Dann konnten sie dem Kapita­lismus durch ein Ende bereiten und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen. Aus dieser Argumentation leiteten sie die optimale politische Taktik ab, die daTin einen moglichst groBen Teil der Arbeiterklasse (sowie ihre Sympathi­

politisch und gesellschaftlich in einer Massenpartei zu organisieren. Die Argumentation war klar und liberzeugte viele. Tatsachlich erwies sich dieses Drehbuch in der Realitat als nur teilweise richtig. Es gab tatsachlich permanent tech­noJogischen Fortschritt, und der Umfang der IndustrieaTbeiterklasse nahm zu. Das allgemeine Wahlrecht wurde zur Realitat. Es stimmte jedoch nicht, daB die Industrie­arbeiterklasse eine groBe Mehrheit der WahlbevOlkerung bildete. Ebensowenig stimmten aIle Arbeiter flir die sozialistische PaTtei. Die Parteien der Zweiten Interna­tionale kamen in einer ganzen Reihe von Landern an die Macht. Sie konnten dem Ka­pitalismus jedoch nicht durch Gesetzgebung ein Ende bereiten. Sie schufen vielmehr den sogenannten Wohlfahrtsstaat. Warum verschloB sich Lenin dieser Argumentation? Das lag daran, daB er andere Va­riablen in das Drehbuch einbrachte. Die erste und wichtigste VaTiable, auf der er be­

mit der die kapitalistischen Schichten sich ihrer Liquidierung widersetzen wtirden. Er ging davon aus, sie wlirden ihre bestehende Kontrolle der

dazu nutzen, mit allen Mitteln oder fijr die Erhaltung ihrer kiimr)1ell1. Er hielt daher die sie konnten aus der Macht ge-

flir eine vollige Schimare. bestand er der einzige Weg zur Macht der Arbeiterklasse liege in der Revolution, das heiBt im Aufstand. Er er­kannte diese als und bestand einleuchtenderweise dar­

des Erfolgs eine hochdisziplinierte sation war. Ganz daraus seine Ansichten zur Parteistruktur. Da die

aHe Mittel einsetzen

Parteiaus zumindest teilweise sollte sie im

tierteer, konnte die sogenannte Diktatur des Proletariats errichten. Seine

128 Immanuel Wallerstein

geschehen wiirde, unterschied sich jedoch nicht allzusehr von der der Revisionisten. Die neue Regierung wiirde dem Kapitalismus durch Gesetzgebung ein Ende machen und eine sozialistische Gesellschaft errichten. Auch diese Argumentation war kIar und iiberzeugte ebenfalls viele. Tatsachlich be­wahrheitete sich aber auch dieses Drehbuch in der Realitat nur teilweise. Aufstande waren in nur wenigen Landern erfolgreich. In der Praxis erwies sich China als der Fall, der Lenins Vorstellungen am nachsten kam: Dort fUhrte wirklich eine disziplinierte Kaderpartei einen langen politisch-militarischen Kampf, ergriff schlieBlich die Macht und errichtete eine Diktatur des Proletariats. Es ist richtig, daB die Parteien der Dritten Internationale, wo immer sie (mit we1chen Mitteln auch immer) an die Macht kommen, per Gesetz den Kapitalismus beendeten (in dem engen Sinne der Abschaf­fung des Privateigentums an den meisten produktiven Unternehmen). Ob sie sozia­listische Gesellschaften errichteten, ist seit 70 Jahren umstritten, ganz besonders in den letzten J ahren. Lenin ging bei seiner Argumentation von einer nicht weiter ausgefUhrten Vorausset­zung aus. Er kampfte in RuBland und RuBland war nicht Deutschland, und schon gar nicht GroBbritannien. Das solI heiBen, daB RuBland ein Land war, in dem die Tech­nologie, verglichen mit Westeuropa und Nordamerika, »riickstandig« war. Daruber hinaus war RuBland ein Land, das nur fUr einen sehr kurzen Zeitraum iiberhaupt ein parlamentarisches System hatte, ganz zu schweigen von der Erwartung, es werde in absehbarer Zeit das allgemeine Wahlrecht einfUhren. In jedem Fall gab es nur sehr wenige Industriearbeiter, selbst wenn es das allgemeine Wahlrecht gegeben hatte. Die groBe Mehrheit der BevOlkerung bestand aus Landarbeitern und Bauern. Daher er­schien das revisionistische Drehbuch als vollig irrelevant fUr die russische Situation und man muB zugeben, daB Lenin in seiner Einschatzung im Wesentlichen recht hatte. Ais einzig gangbare Alternative erschien ihm daher sein eigenes Programm. Ob dies korrekt war oder nicht, ist im Riickblick schwer einzuschatzen, da sich die sozialisti­sche Bewegung iiberall in die eine oder andere Richtung bewegte, entweder zum Revisionismus oder zum Leninismus (haufig, aber nicht immer, zum Marxismus­Leninismus).

Antwort zwei

Es ist hinreichend bekannt, daB die russische Revolution von 1917 insoweit eine Uberraschung bildete, als praktisch jedermann in der sozialistischen Weltbewegung den »ersten« sozialistischen Staat in Deutschland erwartete. Diese Erwartung wurde auch von den Boischewiki geteilt, selbst von Lenin. Warum niemand, sagen wir gegen 1900, daran glaubte, daB GroBbritannien, Marx' eigener Kandidat, der erste soziali­stische Staat sein wiirde, ist eine Frage, der nachzugehen sich lohnen wiirde, aber an dieser Stelle kann ich das nicht tun. Es zeigt jedoch, daB in der Argumentation sowohl der Revisionisten als auch der Leninisten andere Voraussetzungen versteckt waren. Wie wir wissen, fiel es Lenin im Oktober 1917 sehr schwer, seine Kollegen zu dem Versuch der Machtergreifung zu iiberreden. Und in jedem FaIle schien das GefUhl

Marx, der Marxismus-Leninismus und sozialistische Erfahrungen im modernen Weltsystem 129

verbreitet, die Abweichung einer der deutschen vorangehenden russischen Revolu­tion werde alsbald korrigiert. In der Praxis argumentierten nattirlich viele, der neue Sowjetstaat werde nicht liberleben konnen, wenn nicht schnell etwas in Deutschland geschiihe. Wir wissen, daB diese Erwartung niemals Realitat wurde, und nach etwa flinf Jahren wurde sie schlieBlich aufgegeben. Trotzdem: warum wurde diese Erwartung nicht erflillt? E.H. Carr (1947, S. 105) be­schreibt es bei seinem Versuch, die russische Revolution in eine historische Perspek­tive zu stellen, so: »Die gleiche Ambivalenz, die die russische Geschichte des 19. Jahrhunderts durchzieht, beherrschte auch die bolschewistische Revolution. Einerseits war sie eine Kulmination des Verwestlichungsprozesses, an­dererseits eine Revolte gegen die europaische Durchdringung.«

1914 war RuBland ein europaisches Land, eine groBe Militarmacht und ein Land mit einem bedeutenden industriellen Sektor. Aber als Industrieland war es offensichtlich der schwachste der europaischen Staaten. 1914 war RuBland gleichzeitig ein nicht­europaisches (oder nicht westliches) Land, aber in erster Linie war es ein Agrarland. Als Agrarland wiederum war es offensichtlich der stlirkste der nicht-westlichen Staa­ten. Daher war RuBland in unserer heutigen Sprache entweder die schwachste Macht im Kern oder stlirkste der Peripherie. N atiirlich war es beides - praktisch ein Beispiel fiir das, was wir heute ein semiperipheres Land nennen. Ich mochte behaupten, daB eine leninistische Strategie nur in einem semiperipheren Land Erfolg haben konnte. Daher ist es in der Rlickschau keineswegs liberraschend, daB die erste sozialistische »Revolution« in RuBland stattfand. Es war wahrscheinlich der einzige Ort, wo sie in jener Epoche moglich war. Dies war aus drei Hauptgriinden offensichtlich. Der erste lautet, daB ein solcher Aufstand nicht in den Kernzonen der kapitalistischen We1tokonomie moglich war; weil die Arbeiterklasse zu viele Optio­nen hatte, die ihr kurzfristig attraktiver erschienen als die enormen Risiken eines Aufstands. Dies ist in den Jahren seit 1917 zweifellos klar geworden. Damals mag es nicht so offensichtlich erschienen sein. Zweitens haben wir verstehen gelernt, daB die Mobilisierung der Massenunterstlit­zung flir eine Aufstandsbewegung ausschlieBlich auf der Grundlage der Beschwo­rung des KlassenbewuBtseins nicht wahrscheinlich ist. Es muB dem Appell an das KlassenbewuBtsein noch eine starke Dosis nationalistischer Geflihle hinzugefligt werden, die wir in der FQIge als Anti-Imperialismus bezeichnet haben. Aber in der Kernzone hatten die meisten Lander das Bediirfnis nach nationalistischen Erfolgen hinter sich gelassen. Nur in Deutschland und Italien hatte dies ein groBerer Faktor sein konnen, und natlirlich waren dies in der Konsequenz die beiden Hauptorte faschisti­scher Bewegungen zwischen den Kriegen. Drittens schlieBlich erfordert ein erfolgreicher Aufstand einen umfanglichen Sektor stlidtischer Infrastruktur, eine Arbeiterklasse und eine Intelligenzija von gewissem U mfang und BewuBtsein. Die meisten peripheren Zonen hatten dies 1917 noch nicht, aber RuBland schon. Daher erwies sich der Marxismus-Leninismus als die wirksame Ideologie flir ein Vorgehen gegen das System in der Semipherie im Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, wie seine spatere Geschichte belegt hat.

130 Immanuel Wallerstein

Antwort drei

Warum Stalinismus? Wiederum erscheint dies in der Rtickschau offensichtlich. Die Revolution war das Werk der Kaderpartei, definitionsgemaB einer kieinen Gruppe. Sie ging von der Perspektive aus, daB ihreAufgabe politisch sehr schwierig sei, da sie die unnachgiebige Opposition der lokalen und der globalen Bourgeoisie zu tiberwin­den hatte. Und tatsachlich bestatigte sich dies durch die Erfahrung der Sowjetunion, nicht nur in den ersten paar lahren nach 1917, sondern auch in der Folge. Zusatzlich zum Btirgerkrieg und zur auslandischen Intervention war RuJ3land ein vom

verwiistetes dessen okonomische Starke von vornherein nicht allzu groB gewesen war. Den Staat auch nur war eine be, insbesondere da RuBland ein war und kein Nationalstaat. Der rapide Trend zum zu einer merkantilistischen Politik des »Sozialismus in einem Land« und zur Umwandlung der Dritten Internationale zu einem weltweiten UnterstUtzungssystem fUr den belagerten »ersten sozialistischen Staat« sind sicher­lich keine Uberraschenden Ergebnisse dieser Situation. Das groBe Fragezeichen, wenn man sich die sowjetische Geschichte von heute aus vor Augen ftihrt, steht hinter del' Frage, ob den Bolschewiken nicht eine andere Haltung gegenUber der Bauernschaft mehr genUtzt hatte. Offensichtlich war die Zwangskol­lektivierung eine kritische Entscheidung und ein Wendepunkt, der eine Situation schuf, die sich noch heute auswirkt. Aber war sie unvermeidlich oder auch nur kIug? Die marxistische Kultur hatte sicherlich die Sozialisten tiberall schlecht darauf vor­bereitet, gegeniiber del' Bauernschaft eine politisch intelligente Haltung zu entwik­keln. Die Bauem galten, in den bertihmten und beriichtigten Worten von Marx, als »ein Sack voll Kartoffeln«. sollte man annehmen, hatte klUger sein konnen. Er hatte schlieBlich eine hervorragende Analyse der Entwicklung del' agrarisch-landli­chen Gesellschaftsbeziehungen im zaristischen RuJ3land geschrieben. Er hatte

urrnnde:,t anders als die Bauernschaft studiert. Aber er war zu sehr in del' ma-Politik eines Berufsrevolutionars befangen, um seine einigermaBen aka-

demischen Untersuchungen zu iibersetzen. Glaubte Lenin Uberhaupt an die NEP? Tatsache daB RuJ3land ein Land war; und seine (und hier bestehteine KontinuiW.tvon Witte bis definiertedie weltokonomischePrioritat als die schnelle des Landes. Lenins »Kommunismus ist So-zialismus hing noch bis vor lahren auf groBen Trans-parenten in Moskau. Die gesamte an die »sozialistische H.UCOJH.ur

akkumulation« und rUhmte sich bis in die Jahre ihrer Erfolge beim Anstreben dieses Ziels. Wenn Stahlwerke das ein und alles sozialistischer

dann kann nicht allzuviel existieren fUr die Leiden einer Bauern­Ein lYPIPmc>n.

ob Bucharins moderate nicht durch. leh

Marx, del' Marxismus-Leninismus und sozialistische Erfahrungen im modern en Weltsystem 131 -- - - -~-~~--~----"--"----~"---~--~~

der entscheidende Grund dafiir Iiegt daB die Mehrheit der aktiven Elemente in den zwanziger lahren nicht liberzeugt war, daB das Uberleben des So­

mit seiner Politik moglich war. Aber nattirlich schuf die Zwangskollekti-vierung Bedingungen, die direkt auch vielleicht nicht zum Terror und den ftihrten. Der Stalinismus wurde daruber hinaus durch die 1m Zeitraum von 1933 bis 1941 daB sowohl Deutschland wie auch das westliche

se naturlich enorm. Daruber hinaus gab es eine weitere externe Untersttitzung, die wir nicht vergessen sollten. Wir nehmen aIle zu selbstverstandlich an, es habe in der US-Politik eine Wen­de gegeben, von der Rooseveltschen Anpassungspolitik zu der Feindschaft Trumans und seiner Nachfolger im Kalten Krieg. Ich stimme dem nicht zu. Mir scheint, die US­Politik zeigte hinter allen rhetorischen Veranderungen eine Kontinuitat. Die USA woHten eine stalinistische Sowjetunion mit einem Klein-Imperium, vorausgesetzt sie hielt sich im wesentlichen innerhalb derGrenzen von 1945-48. Der Stalinismus diente den USA als ideologische Rechtfertigung und Zement flir ihre Hegemonie im Welt­system. Stalinismus war ein schwachender, kein verstarkender Faktor fUr die welt­weiten antisemitischen Krafte. Stalinismus garantierte die Ordnung in einem Drittel der Welt, und die Sowjetunion konnte in dies em Sinne als eine »subimperialistische« Macht fUr die USA betrachtet werden. Vom Standpunkt der USA ist in der Sowjet­union seit dem Tode Stalins alles schlechter geworden. Man bedenke die gegenwar­tige Unruhe, die das Phanomen Gorbatschow in den USA hervorruft.

Antwort vier

Warum schuf die Sowjetunion nach ein Untersuchen wir genau, was sie wirklich tat. Es steht auBer Frage, daB die Sow jetunion und die Rote Armee kommunistische Parteien in sechs an die wo sie es auf andere Weise nicht geschafft hatten, weder durch noch durch Aufstand. Bei den sechs Landem handelt es sich bekanntermaBen urn Polen, Un­gam, die Tschechoslowakei und die DDR. Ich die fUr dieses Vorgehen sind sogar banal. Zunachst fUrchtete die militarisches der USA und ein

C0vHWCHU0, und sie wallte militarische Position verstar-der US-Strategie, aber sie wur­

die Sowjetunion wirtschaftliche

132 Immanuel Wallerstein

Reparationsleistungen und hatte das Geflihl, der einzige Weg, sie sich zu verschaffen hieBe, sie sich zu nehmen. Und drittens flirchtete die Sowjetunion tatsachlich die po­tentielle Starke (und daher Unabhangigkeit) einheimischer kommunistischer Bewe­gungen und wollte sicherstellen, daB die osteuropaischen Parteien Satellitenparteien sein wlirden. Natlirlich muBte diese Art, kommunistische Parteien an die Macht zu bringen, jede Legitimation zerstoren, die sie 1945 gehabt haben mochten. Die einzige mogliche (und zeitweilige) Ausnahme war die Tschechoslowakei, wo die Kommunistische Par­tei liber eine echte lokale Starke verfligte. Die Sauberungen von 1948-49 waren tat­sachlich antinationalistisch, nicht anti-bourgeois-nationalistisch, sondem anti-kom­munistisch-nationalistisch. Mit den Sauberungen war das Feigenblatt gefallen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, daB nationalistische (und daher antisowjetisehe) Geflihle in politiseh wirksamer Form wiederaufleben wtirden. 1m Gegensatz dazu hatten die Sowjetunion und die Rote Armee nichts zu tun mit der kommunistisehen Maehtlibemahme der kommunistisehen Guerilla-Bewegungen in Jugoslawien, Albanien und China. Und es ist daher kein Zufall, daB al1e drei kom­munistisehen Regierungen in der Nachkriegszeit ziemlich spektakular und offen mit der Sowjetunion braehen. Keine der drei war jemals ein SateHit oder Teil des sowje­tisehen »Imperiums«. Flir kurze Zeit waren sie Verbundete, aber nicht mehr. Stalin verstand das von Anfang an. Deshalb riet er der chines is chen KP, sieh mit der Kuo­mintang zu einigen, ein Ratsehlag der ignoriert wurde. Deshalb verhinderte er die An­fiinge einer jugoslawiseh-bulgarischen Foderation, auf die Dimitroff hinarbeitete. Und deshalb natlirJich zogen sich sowjetisehe Truppen 1946 aus dem nordlichen Iran zurlick, und deshalb lieB die Sowjetunion 1947 den kommunistischen Aufstand in Griechenland fallen. Stalin war nieht nur kein Freund, sondern ein offener Gegner

nationallegitimierter kommunistischer Machttibernahmen. Sicherlieh hat sieh das »Imperium« ebenso als Blirde wie als Segen erwiesen, aber es ist keine Last, defer sieh die Sowjetunion so einfaeh entledigen konnte. Naeh 1968 und der Invasion in der Tseheehoslowakei haben wir uns angewohnt, von einer Breschnew-Doktrin zu sprechen, was die Unveranderlichkeit des Satelliten-Status bezeiehnet. Sollten wir nieht besser von der Bresehnew-Johnson-Doktrin Gab nieht Johnson Bresehnew die U nd um? Die Antwort erscheint mir klar. Die terhin die Blirde des trug

bei einer vermeidliche urn Jahre hinaus.

die ihm die endlich in bereitet

Antwort fiinf

Warum Heute erseheint das als eine seltsame Frage. Wer mag schon Stalinismus? Offensiehtlieh wlirde ihn abschaffen wollen. Wir mlis-

Marx, de,. Ma,.xismus-Leninismus und sozialistische Elfah,.ungen im modernen Weltsystem J 33

sen uns aber daran erinnern, daB es noch Mitte der achtziger Jahre viele Analytiker innerhalb und auBerhalb der sozialistischen Linder gab, die dies flir einen unmogli­chen Gedanken hielten. Manche Leute trugen sogar vor, Chruschtschows Rede und der Bruch zwischen der Sowjetunion und China seien bloSe Tricks oder Illusion. 1953, in den Wochen nach Stalins Tod, beg ann Isaac Deutscher (1953) ein Buch zu schreiben, das »einen Bruch mit der Stalin-An« voraussagte. Wie er im Vorwort schreibt: »Meine unter ihnen hervorragende Fachleute flir sowjetische An­gelegenheiten, wiegten skeptisch die Ktipfe.« Der Kern von Deutschers Prognose lag in einem Satz: »Der tikonomische Fortschritt, der wahrend del' Stalin-An erreicht wurde, hat endlich ein MaS an Wohlstand in die Reichweite des Volkes der eine ordnungsgemaBe des Stalinismus und eine schrittweise demokra­tische Entwicklung moglich machen sollte« (1953, S. Deutscher heute vielAnerkennung flir die grundlegende aber er hatte dann doch nur teilweise recht. Was wurde als Chruscht­schowismus Praxis, und der Chruschtschowismus war ein MiBerfolg. Chruschtschow scheiterte nicht an seinem auf'brausenden Temperament, sondern weil er noch immer dem Entwicklungsdenken verhaftet war, das der im­mer zugrunde gelegen hatte. 1m Jahr 2000 werden wir euch beerdigen, sagte er den Amerikanern. Heute erscheint das wie eine Farce. Damals war es das jedoch nicht, und wir sollten analysieren, warum. Die Bemerkung erfolgte wahrend des Zeitraums unglaublicher Expansion der kapitalistischen Weltwirtschaft, etwa von 1945 bis 1967. Damals »entwickelten« sich aIle, aber einigen gelang es besser als anderen. Die Wachstumsraten in den Comecon-Landern waren bemerkenswert hoch, und hochge­rechnet Mtte die Sowjetunion die USA wenn nicht im Jahre dann doch ein oder zwei Jahrzehnte »einholen« konnen. Diese Wachstumsraten waren darliber hinaus nicht nur hoch im zu den in­dustriellen sondern sahen gut aus, wenn sie mit Uindern der Dritten Welt verglichen werden. Natlirlich hatte auch bemerkenswerte

aber in den Jahren nahm das niemand zur Kenntnis. Das des Stolzes fUr die

kommunistischen Parteien sondern auch ein Leitstern fUr die nationalen in der Dritten Welt. In den

an die als ein Modell okonomischer aber doch weit verbreitet. Und die

mus. !eh sage eher Leninismus als der Dritten Welt es teilweise aus

Widerstand vorzogen, den Leninismus die Parteistrukturen und die staatliche ohne den Marxismus eines internen und den Chruschtschow war kein Neuerer im Hinblick auf sein sachlich setzte er das Erbe Stalins und Lenins fort. Seine die Interessen der Kader des ''-'Ul1.PrC\l

134 Immanuel Wallerstein ---

eine Garantie gegen den Terror und mehr Konsum. Seine Naivitat lag letztlich in sei­ner Uberzeugung, er konne den ProzeB der Liberalisierung ohne eine Reform der grundlegenden politisehen Strukturen unter Kontrolle halten. Chrusehtschowismus stand flir eine grundlegende Unterschatzung der soziologisehen Transfonnation der Sowjetunion, eben so wie ein falsehes Verstandnis fiir das Funktionieren des moder-nen Chrusehtsehowismus auf gewisse Weise den Glauben an die sowjetisehe eine deren sich Stalin niemals sehuldig gemaeht hatte. Die hoheren Kader, die das was Chruschtschow zu bieten hatte, waren ent-setzt, sobald sie erkannten, daB sie .... J b,l(";rlC'.I"UP' CP

Bresehnewismus war der Wie wir wissen, war der Versuch Die beiden Elemente, die Chruschtsehow nicht beriieksich-

waren das AusmaB der und der der Arbeitskrafte in iy""""vu, sowie die zykJisehen Rhythmen der kapitalistisehen Weltwirtschaft.

Als er in der Sowjetunion (und damit aueh in den Comeeon-Landern) die Mogliehkeit einer gewissen politis chen Liberalisierung und eines gewissen Konsums erOffnete, untersehatzte Chruschtschow in verheerendem MaBe die Naehfrage. Es ist seit lan­gem eine Banalitat del' soziologischen Analyse, daB es fUr einen Staat einfacher ist, vollig repressiv zu sein, als einen kleinen, aber nieht ausreichenden Spielraum flir po­litisehen und kulturellen Pluralismus zu bieten. Ein kleiner Spielraum facht den Ap­petit an, ohne ihn zu befriedigen, und ermutigt dazu, mehr zu fordern. Wieviel Spiel­raum gebraueht wird, bevor wieder politisehe Ruhe eintritt, ist schwer einzuschatzen, aber augenscheinlich bot Chruschtschow zu wenig. Die Breschnew-Losung war of­fensiehtlich ein Schritt in die entgegengesetzte Riehtung, ohne jedoeh einen direkt lebensbedrohenden Terror einzuflihren, der die hoheren Kader wieder in Angst ver­setzt hatte. Eine soIehe Gegenpolitik kann eine Weile Erfolg haben und hatte unter Breschnew aueh Erfolg, sowohl in der Sowjetunion wie in Osteuropa. Aber Chrusehtsehow beging einen noeh groBeren Fehler. Er erkannte nieht, wie die

Weltwirtschaft wirklieh funktioniert. Die eindrueksvollen Wachs­tumsraten griindeten sieh in erster Linie auf eine nicht dauerhaft leistungsfahige Grundlage extensiven Wachstums mit hoher Arbeitsintensitat. Flir eine und

die Weltwirtschaft konnte dies zu einem Waehstum des Brutto-selbst des Bruttosozialprodukts pro Aber die Ineffizienz

der Arbeitsprozesse brachte es mit daB die Zuwaehsraten einen Gipfel erreich­ten, und daB hinter diesem Punkt der Zuwachs im Lebensstandard immer hinter dem Zuwachs in den industriellen Kernlandern im gleiehen Zeitraum wenn aueh nieht hinter dem in den meisten Zonen. Friiher oder spater konnten die sozialistischen Wirtsehaften nieht mehr den auf Besserung bei einer immer groBeren Sehieht von Menschen geniigen, die ausreiehend gut in­formiert waren, urn die zu erkennen. Natiirlieh war dies in den lei­stungsstiirkeren Wirtseharten wie der DDR und der Tscheehoslowakei nicht so ernst, aber selbst hier war es nur eine Frage der der UberschuB die OJVH"0Y"'-~YU.~V Nachfrage nieht mehr befriedigen konnte.

Marx, der Marxismus-Leninismus undsozialistische Eifahrungen im modernen Weltsystem 135

Als der Abwiirtsschwung in der Weltwirtschaft eintrat, unterschieden sich die Wirt­schaftsprozesse in den sozialistischen Landern nicht so sehr von denen der Dritten Welt. In den siebziger Jahren zogen einige Lander aus dem Olpreis Nutzen, und die Sowjetunion gehOrte dazu. Westliche Finanzinstitutionen driickten all diesen Lan­dern Kredite auf, urn die effektive Weltnachfrage aufrechtzuerhalten, und nicht we­nige sozialistische Lander wurden zu den groBten Pro-Kopf-Schuldnern, urn in den achtziger Jahren unter einer radikalen Unfahigkeit im Schuldendienst zu leiden, ganz zu schweigen von einer Ruckzahlung (oder wenn sie zuruckzahlten, so taten sie dies unter den unglaublichen sozialen und menschlichen Kosten wie sie etwa Rumanien sich aufgeladen hat). Und sozialistische Landerfanden sich nicht weniger als Dritt­welt -Lander in groBen Schwierigkeiten, ihre Produkte auf dem Weltmarkt zu verkau­fen, im gegenwiirtigen Jargon: »konkurrenzfahig« zu sein. Daher litten die sozialisti­schen Lander nicht weniger als die Lander der Dritten Welt unter Inflationsdruck und einem sinkenden Lebensstandard. Wie die meisten der Drittwelt-Lander begannen die sozialistischen Lander, Zuflucht in einer Liberalisierung ihrer Markte zu suchen (oder wurden gedrangt, dort Zuflucht zu suchen). Und wie den meisten Drittwelt­Landern hat die zunehmende Offnung der Markte auch den sozialistischen Landern bestenfalls eine leichte Linderung ihrer okonomischen Schwierigkeiten verschafft.

Antwort sechs

Wir konnen Perestroika und Glasnost als kon junkturelle Reaktionen auf ein allgemei­nes Dilemma betrachten, und tatsachlich habe ich es soeben auf diese Weise beschrie­ben. Aber sie sind mehr als dies. In der Verkleidung einer Ruckkehr zum Leninismus sind sie ein Versuch der Eliten, sich im Gefolge des weltweiten Zusammenbruchs des (Marxismus-) Leninismus als einer Ideologie und Strategie neu zu gruppieren. In diesem ProzeB beginnt sich die Sowjetunion endlich zu dekolonisieren (nicht nur innerhalb des sozialistischen Lager, sondern auch in ihren eigenen Grenzen). Jeder spricht von Gorbatschows Schwierigkeiten: dem Dilemma einer Perestroika, die noch nicht funktioniert; dem Dilemma einer Glasnost, die noch nicht weit genug gegangen ist, urn die meisten zu befriedigen, aber weit genug, urn betrachtliche innere Probleme auszulOsen; und schlieBlich dem Dilemma einer Dekolonialisierung, die a la de Gaulle oktroyiert wird, ohne das gunstige okonomische Weltklima, aus dem de Gaulle Nutzen zog. All dies ist wahr, aber in meiner Sicht von sekundarer Bedeutung. Gorbatschows hauptsachliches Dilemma liegt darin, daB er uber keine alternative Ideologie und Strategie verfugt, urn den ausgedienten Marxismus-Leninismus zu er­setzen. Er ist sicherlich ein hervorragender Taktiker. Er liquidiert den kalten Krieg tatsachlich ganz allein, und tut damit mehr, urn der Entwicklung der Welt und der So­wjetunion eine positive Richtung zu garantieren, als jeder andere Fuhrer der Gegen­wart. Aber was ist letzten Endes mit dem sozialistischen Projekt passiert? Ich selbst glaube, daB wir die sozialistischen Erfahrungen unter der Herrschaft des Marxismus-Leninismus neu einschlitzen mussen, sie in erster Linie als ein historisch

136 Immanuel Wallerstein

verstandliches, aber vorUbergehendes Phanomen in der historischen Entwicklung des modernen Weltsystems begreifen mussen. Nicht daB sie gescheitert waren. Der Be­griff »Scheitern« geht davon aus, es habe plausible historische Alternativen gegeben. Ich es gab keine solchen plausiblen Alternativen zur Sozialdemokratie, die sieh in der westlichen Welt zum Marxismus-Leninismus, der sich zu-mindest in der und China und zu den nationalen

~h~".r-,~''', die in der Dritten Welt an die Macht kamen. Dieser ganze ProzeB gilt fUr etwa ein lahrhundert: von den des 19. als diese Be-

bis 1968, das ich als den

Die drei Arten von drei Varianten einer einzigen Strategie: die der Macht im Staate dureh eine die von

den offentliehen Willen des Volkes und die die Staats­urn das Land zu »entwiekeln«. Diese Strategie hat sich als unbraueh-

aber 1870 war dies nochnicht nochnichteinmal1945.Den daB sie Produkte ihrer Zeiten

waren. Aber heute leben wir in einem anderen Klima. Rene Dumont hat 1983 gesagt: Pini les lendemains qui chantent. leh selbst glaube jedoch daB der Utopismus an seinem Ende angelangt ist. Ganz im Gegenteil. Vielleicht konnen wir erst heute

erfinden.! Der Aufbau des Sozialismus in wenn er denn stattfinden sollte, steht im-mer noch vor uns - als Option, aber kaum als GewiBheit. Die stierenden sozialistischen konnen uns viel dUTch ihr ,-,,,,,,,,,t,,,,,o

und ein biBchen durch ihr positives Es ist gut sich zu letzten Endes der Marxismus-Leninismus in der Realitat eher als nationa­ler des sozialistisehenAufbaus funktionierte. Natio-

UkonomlleL • Sie wird von den meisten Lan­niehteinmal teilweise. Del' Marxismus-Leninismus hat

au:;ge:dl(;nt, weil aIle haben. und

er ist nieht dazu nur Art verstanden zu werden. Man Marx aueh auf andere Art lesen. Und in den nachsten lahrzehnten kann es, ja

wird es wahrscheinlieh noch viel Theorie und Praxis die uns zu ei-zu einer neuen wissenschaftlichen

einer neuen die Marx' fundamentale Einsichten und Werte beinhalten und auf marxistische Weise Uber sie zu einer neuen

die den Aufbau erlauben konnte . . Meino

iI!l(i~'X, del' Marxismus-Leninismus und sozialistische Erfahrungen im modern en Weltsystem 137

leh habe schon frilher das Verhaltnis zwischen Marxismen und Utopien diskutiert. In diesem Artikel schrieb ich: Utopien sind immer ideologisch. Hier hatten Engels (und Marx) recht, vorausgesetzt, man erinnert sich, daB sie darin Unrecht hatten, daB sie implizit an die Utopie glaubten, es kanne jemals ein Ende der Geschichte geben, an eine Welt, in der es Ideologien nicht mehr geben wird. Wenn wir einen Fortschritt erzielen sollen, dann, so scheint mir, mLissen wir nicht nur den Widerspruch als Schllissel zur Erklfuung sozialer Wirklichkeit akzeptieren, sondern aueh seine fortdauernde Unaus­weiehlichkeit, eine Annahme, die 0l1hodoxen Marxisten fremd is!. Der Widerspruch ist die Bedin­gung mensehlichen Lebens. Unser Utopia muB nieht in der Ausschaltung alief Widersprikhe gesucht werden, sondern in der Beseitigung der vulgaren, unniitigen Konsequenzen materieller Ungleichheit. Dies letztere erscheint mir intrinsisch ein durchaus erreichbares Ziel. (1986, S. 1307)

2 leh eriirtere dies mehr im Detail in: Wallerstein (1988)

Literatur

Carr, E:H: (1947): The Soviet Impact on the Western World, New York Deutscher, L (1953): Russia - What next?, New York Wallerstein, L (1986): Marxism as Utopias: Evolving Ideologies, in: American Journal o/Sociology, XCI,

6 May, 1295-1308 Wallerstein, I. (1988): Development: Lodestar or Illusion?, in: Economic and Political Weekly, XXIII, 39,

Sept. 24,2017 - 2023 Wallerstein, L (1989): 1968, Revolution in the World-System: Theses and Queries, in: Theory and Socie­

ty, XVIII, 431 - 449

Adam Przeworski »Warum hungern ~"'''JU'-'''~'' konnten?«

Das Scheitern des sozialistischen Projektes in den osteuropai­schen Lander wird von vie len Beobachtern zumAnlaj3 genommen, die von der soziali­stisch-marxistischen Theorie inspirierte Kritik an del' Irrationalitat des Kapitalismus als vClfehlt zuriickweisen.Indem gezeigt wird, daj3 ein solcher Schluj3 unzulassig ist, wird zugleich das Problem der politischen Unmoglichkeit einer sozialistischen Orga­nisationsweise der Okonomie aufgeworfen. Die These lautet, daj3 der Kapitalismus­als Real- wie als ldealtypus - einen hoheren Grad an Reformierbarkeit aufweist als die beiden entsprechenden Typen vom Sozialismus. .

Einleitung

»Wir konnten doch aIle satt machen«, bemerkte meine Tochter zuversichtlich beim Abendessen. Tatsachlich? Was sie gemeint haben muB, ist, daB »wir«, die Mensch­heit, das technische und organisatorische Potential besitzen, umin nachster Zukunft genug flir die Grundbedurfnisse aller Menschen zu praduzieren. Doch wir tun das nicht. Stattdessen bezahlen wir Landwirte, damit sie nichts anpflanzen, Winzer, da­mit sie ihre Ernte in giftige Fltissigkeiten verwandeln und Schafer, damit sie keine Lammer zuchten. Wir nehmen den Farmern ihre Pradukte ab und bauen uns daraus Butterberge, graB wie Skipisten. Und all das, wahrend Millionen hungern. 1 Die Ab­surditat ist offensichtlich. Doch wir haben gelernt, mit ihr zu leben. Tatsachlich ver­geben wir Preise an Leute, die diese man »Sachzwange«, fUr die wir nichts als »rational« bezeichnen. Unter solchen Bedingungen stimmt: Wenn wir es nicht besser machen kannen, ist es es so gut wie eben "RIb!' .... "

zu machen. Aber sindjene Sachzwange nicht von uns selbst geschaffen? Diese Frage taucht schon wahrend der industriellen Revolution auf 1975). Aber meine Generation ist die die aus guten Grunden noch Vertrauen und Be-geisterung konnte das zwischen 1848 und 1891 in geronnen war: Fur den Sozialismus a1s der Vision einer »rationalen der Sachen zur Befriedigung der menschlichen Bedurfnisse«. da die die den »real existierenden Sozialismus« von marktorientierten

Diese Version der Arbeit profitierte von Kommentaren von Pranab Bardhan, Heiner GanBmann. Jeong-Hwa Lee, Molly Przeworski, John Roemer und Erik Wright, wie auch von Diskussionen mit Robert Brenner und Jon Elster.

139

Refonnen ist diese HL'""m,I'. nieht mehr 2 Daher die Entwertet das Seheitem des Sozialismus die sozialistisehe Kritik an der Irra­

tionalitat des Um diese Frage zu gehe ieh folgendenna­Ben vor. Ich definiere zunachst einige und klare die Struktur des Problems. Daraufhin diskutiere ich verschiedene Kritiken an nUVH,UHJ,,"'U0

zialismus. Diese Kritiken betreffen die Umsetzbarkeit der Realitaten und kehre

zurtick.

N i'.U!-,'HUH0H"'J" vertehe ich ein okonomisches in dem die V<J'.HUWv

soweit daB die meisten Leute flir die Bedurfnisse (2) die Produktionsmittel und die Arbeitskraft Privateigentum

sind und in dem es Markte flir beides gibt. Unter »Sozialismus« verstehe ich ein System, indem (1) die Arbeitsteilung gleichennaBen fortgeschritten ist, (2) die Pro­duktionsmittel offentliches Eigentum sind und in dem (3), vielleicht mit Ausnahme von Dienstleistungen, die meisten produktiven Ressourcen qua zentralisiertem Kom­mando ihrer Verwendung zugeflihrt werden. Andere okonomische Systeme zu organisieren, darunter der »Marktsozialismus«, werde ich an einem bestimmten Punkt in die Debatte einfilhren, aber falls nieht anders erwiihnt, gebrauche ich den Tenn »Sozialismus« i.S. von zentralisiertem Kommando uberdieAllokation der Res­sourcen. Bevor wir uns ins Thema begeben, brauehen wir einigen Kriterien filr gultige SchluB-folgerungen. Die Verfechter des wie die des Sozialismus benennen oft Defizite des einen alsArgumente zugunsten des anderen. Elend und Unterdriickung, wie sie im weit verbreitet sind, dienen dazu, die Sache des Sozialismus zu stiitzen; die Schrecken zentraler untennauem die

Schltisse sindnur unter bestimmten Be-

Priiferenzen filr okonomische ,,,'QTPtYiP

bedeutet Praferenz IJ: »Ein das unter I leben.«3 Nennen wir die Kombinationen KK und SS

rpY"H'YPy·pn sein: Wenn nicht

~V1Lb'-'HU'-'H Schema zieht es vor, unter J zu

die von SK und KS »revoJutionar«. Konservative wie revolutionare Priiferenzen sind endogen.

140

Praferenzenfiir okonomische Systeme

praferiert Kapitalismus Sozialismus

Kapitalismus Eine Person im Sozialismus

KK

SK

KS

SS

Nun haben die beider zuzeiten daB konservative Praferenzen unbeachtet bleiben konnen. Das lautet wie foIgt: Men-

die weil sie J nicht besser kennen. (2) Lebten sie unter J, wiirden sie auch J gegenuber I vorziehen. (3) Deshalb ist die Praferenz fUr I unter den Bedingungen von I nicht »gtiltig« oder nieht »unabhan-gig«. die unter sozialistisehen den Sozialismus sind Opfer einer »Gehimwasehe«, wie in psyehologischen Untersuchungen behauptet wird, die vom U.S.-Verteidigungsministerium finanziert wurden. Eine Ubergangs­diktatur sei gereehtfertigt, weil die Mensehen »umerzogen« werden muBten - so lautet das kommunistisehe Gegenstiiek.4 Schon die bloBe dieser mente entzieht Ihnen den Boden. Derselbe Einwand der Symmetrie aueh fUr revolutionare Praferenzen. Obwohl die Legitimitat des in den vergangenen Jahren iiberall gewaehsen betraehten viele Intellektuelle undArme den Sozialismus als ein okono-misehes mit Ausnahme der Parteibiirokraten und ungelemten Mit solchen Priiferenzen wiirden wie in Slawomir Mrozeks

mit neuen Generation vom einen zum anderen Ld"UU'f',vHv Praferenzen keine fiIr System\lergle:icIle

Plane und Realitaten

Alternativen sind fUr H~'~HL'''UvH, die leiden. Sie

nehmen die meisten anderen Leute andere zweiter Hand wahr. !eh vermute, daB Praferenzen oft deshalb revolutionar die Leute dazu die Realitat ihres Entwiirfen des anderen zu ver-

Mit» Entwurf« meine ieh das Modell eines das in Verfechtern Doeh gegen einen solchen Entwurfkann

daB er nieht zu verwirkliehen ist: Verfechter des konnen zum Bei-

Irrationalitiit des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 141

spiel zugeben, daB Sozialismus auf dem Papier dem Kapitalismus auf dem Papier uberlegen sei, aber argumentieren, daB einige Annahmen, die dem sozialistischen Modell zugrunde liegen, unrealistisch seien. Da ein Streituber Realisierungsmoglich­keiten kontrafaktische Annahmen erfordert, konnte er unentscheidbar sein. Weil wir dennoch urteilen, werde ich den Ausdruck »umsetzbarer Entwurf« im Sinne eines Sy­stemmodells verwenden, das nur auf jenen Annahmen beruht, die von vemunftigen Opponenten dieses Systems zugestanden werden.6

Da nun die Entwurfe jeder Realitat uberlegen sind, fUhren Vergleiche mit den Rea­litliten immer zu endogenen Praferenzen; soviel ist offensichtlich. Mehr noch, wenn sowohl Entwurfe wie Realitaten in das Set an Wahlmoglichkeiten eingehen, konnen die Praferenzen ziemlich durcheinandergeraten. Ich frage mich, wieviele von uns lin­ken Intellektuellen den sozialistischen Entwurf dem kapitalistischen vorziehen, die­sen wiederum der kapitalistischen Wirklichkeit und schlieBlich diese dem realen So­zialismus. Doch ware es unrealistisch, zu verlangen, daB Vergleiche nur Entwurfe mit Entwurfen und Realitaten mit Realitaten konfrontieren sollen. Wir sind politische We­sen, und Urteile uber Entwurfe beruhren die Einschiitzung von Realitaten.7

Ein Kriterium, das un sere Urteile besonders beeinfluBt, ist das der »besten Praxis« jedes Systems. Wir wissen, daB die Wirklichkeit unendliche Varianten undAbstufun­gen kennt und daB es wesentliche Unterschiede zwischen den kapitalistischen wie zwischen den sozialistischen Landem gibt. Der Grund, warum Schweden in Diskus­sionen urn okonomische Systeme eine so wichtige Rolle spielt, ist, daB es fUr viele eine Live-Darbietung des Kapitalismus at its best ist. Ein Peruaner mag aus guten Grunden den sozialistischen Entwurf uber den kapitalistischen stellen, Schweden gegenuber jeder Inkamation des »real existierenden Sozialismus« uberlegen halten und gleichzeitig Kuba Peru vorziehen.

Ubergiinge und Reformen

SchlieBlich mussen wir zwischen globalen und lokalen Praferenzen unterscheiden. AIle gesellschaftlichen Veriinderungen haben Kosten, und sei es nur, weil sie Zeit brauchen. In Schaubild 1 miBt die vertikale Achse den Nutzen, den eine Person er­wartet und die horizontale Achse die Zeit in gleichfOrmigen Einheiten ausgehend von der aktuellen Situation R. Die Steigung der Kurve in der Niihe von R zeigt die An­derung des Wohlstandes in unmittelbarer Zukunft an, wiihrend die Scheitelpunkte da~ MaBan Nutzen reprasentieren, das mit der Verwirklichung von Entwurfen zu er­langen ist. Nehmen wir an, der status quo liege am Abhang des linken Hugels und derrechte Hu­gel sei hoher als der linke. Dann bedeutet ein Gang nach rechts eine vorubergehende Verschlechterung der Lage wahrend der gesamten »Ubergangsperiode«. Da dieses »Tal des Ubergangs« durchquert werden muB, bevor der hohere Hugel erklommen werden kann, ist der »reformerische« Weg, also den Hugel zu erklimmen, an des sen Sohle man sich noch befindet, dem Ubergang in ein anderes System auf kurze Sicht uberlegen. Allerdings ware ein Systemwechsel auflange Sicht der Reform uberlegen.

142 Adam Przeworski

Schaubild 1

Wohlfahrt

Zeit o Zeit

Wenn Menschen mit einem endlichen Zeithorizont in die Zukunft sehen, oder wenn sie ihre kunftige Mtiglichkeiten einsehlie13lich der Risiken absehatzen, !cann es sein, daB die Ubergangs!costen die langfristige Differenz zwischen den iiberstei­gen. Selbst wenn der reehte Hugel hOher konnte der mit dem Ubergang insgesamt erzielte Wohlstand niedriger sein als der durch Reformen zu In dies em Fall wHrden die Leute zwar den rechten vorziehen, wenn sie schon auf dessen Spitze waren. Wenn sie jedoch auf der anderen Seite des Tals bevorzugen sie den linken HUgel. Daher haben sie !conservative Praferenzen: Sie bevorzugen das in dem sie obwohl sie des sen Entwurf flir schlechter halten als den des alter-nativen

Klassenbasis der

Es mag daB wir bisher nur die Praferenzen abstrakter Individuen un-tersucht haben. Nun konnten die individuellen Praferenzen den Bahnen des Eigeninteresses dann brauchen wir den Die wenigen Da-ten, die wir haben, deuten in der Tat daB die Armen und Intellektuellen im

SUden und die Armen und BUrokraten im sozialistisehen Osten zum Sozialismus wahrend andere tendieren.9 Es mag daher StlJmrnelll,

~2'ationaIEat des Kapitalismlls - Unmoglichkeit des Sozialismus 143

sie haben eine Klassenbasis und sind, im Hinbliek auf das okonomisehe System, in dem die Mensehen exogen. Wahrseheinlieh wtirden aIle, wenn wir eins urn andere nennen wtirden, folgenden Kri­terien flir ein gutes okonomisehes System zustimmen. (1) Es sollte soviel wie moglich von was die Leute 10 (2) mit dem niedrigst mogliehenAuf-wand an Material und Arbeit, sowie andere Kriterien erflillen. Urn die ersten bei-den Kriterien zu braucht eine m:ODlonlle iH'~vHmH die Bedtirfnisse VUvHJlvJ',"U, zur Wahl von effizienten Produktionsformen flihren und die Leute dazu

iH"?'.iclvU arbeiten zu wollen. Aber diese beiden Kriterien liefern fUr das Problem der des

sondern eine Zahl. Effizienz ist bekanntlieh Form der Vertei-des Reichtums vereinbar.

die Crux aller Kontroversen zur RationaliHit oko-nomiseher ob die ersten beiden Kriterien mit versehiedenen Kandidaten fUr das dritte vereinbar sind. 11 1m Augenblick geht es daB die weilige Kombination dieser Kriterien auf den Wohl-stand von Leuten mit untersehiedlichen Fahigkeiten hat. Falls sie an ihren eigenen Interessen orientiert ziehen jene, die wenig Chancen haben, im Kapitalismus ein hohes Einkommen zu erzielen, den Sozialismus vor; 12 jene, deren Einkommensmog-lichkeiten im Sozialismus wollen den Kapitalismus. Konnte der Ubergang in ein anderes System jemals durch ein einheitliches Votum vollzogen werden? Offensichtlichja, wenn aIle sich vom neuen System eine Verbes­serung ihrer Lage verspreehen wtirden. 13 Solange Individuen nur an ihrem eigenen Wohlstand orientiert mtiBten zwei Bedingungen erflillt sein: (1) Das neue Sy-stem wtirde sein und bei der Verteilung des Reichtums im neuen Sy-stem wiirden die relativen Differenzen des alten beibehalten.Hinzu £>.UllHUC,

daB die Leute die sie dazu bringen, bestimmte Haber-

vHHHUUJ', flir ein neues ~i'~ivHH'~H, Fair-ness oder die unter dem vorhandenen Doeh auch wenn Revolutionen mit universalistischen letzen sie Interessen. me eine Klassenbasis.

Sozialisrnus

Entwertet das Scheitern des Sozialismus die sozialistische Kritik an der des Ich anhand von okonomischen "'ntUll1rtpn

ihrer Umsetzbarkeit zu beantworten.

144 Adam Przeworski

Entwulje

Sozialistische Kritiken am l'UJl"'llU~ sind altbacken, oft inkoharent und manchmal bizarr. Das neunzehnte lahrhundert ist ihnen auf die Stirn geschrieben. Schon die bloBe Vorstellung, daB ein dezentralisiertes soziales System funktionieren konnte, tiberfordert die Einbildungskraft mancher sozialistischer Kritiker am Kapi­talismus. 15 U nd sie sind fiirchterlich ignorant, wenn sie Argumente flir den Kapitalis­mus einfach yom Tisch wischen. Doch bin ich davon tiberzeugt, daB das zentrale mar­xistische gegen die Irrationalitat des so grundlegend wie giiltig ist. Urn diese Kritiken Weise zu mtissen wir den ""I-'Hau.,u-

schen Entwurf rekonstruieren, wie gesagt, ein Modell des das sei-nen Proponenten aIle Annahmen, mit Ausnahme seiner Umsetzbarkeit, zugesteht. Dieser Entwurf wurde wahrend Marx' letzter von Walras (1874) und Edgeworth (1881) entwickelt und spater durch Pareto (1906), Pigon (1920) und an­dere reformuliert. Das Modell ist einfach: Individuen wissen, was sie brauchen, sie haben bestimmteAusstattungen, sie tauschen und produzieren wann immer sie wol­len. 1m Gleichgewicht will niemand mehr etwas haben, was andere produziert haben (konnten),16 oder, anders formuliert, aIle Erwartungen der Individuen sind erftillt. Weiterhin sind im Gleichgewicht aIle Markte geraumt. Daher spiegeln die Preise, zu denen sie tauschen, ihre Praferenzen und relative Knappheiten wider; diese Preise in­formieren sie tiber die anderen Tauschmoglichkeiten, auf die sie verzichten. 1m Er­gebnis werden die Ressourcen so verwandt, daB alle moglichen Gewinne aus dem Handel ausgeschopft es kann keiner gewinnen, ohne daB ein anderer verliert, und die Verteilung des Reichtums wtirde durch kein einstimmiges Votum geandert werden konnen: Dies sind drei aquivalente Definitionen kollektiver Rationalitat (i.S. der Pareto-Optimalitat).17 Verntinftige marxistische Kritiken an diesem Modelllaufen aIle auf die Aussage hinaus, daB der Kapitalismus zu »Verschwendung« ftihre. 18 Al-lerdings liefern sie unterschiedliche Begrtindungen: Die »Anarchie« der listischen der »Widerspruch« zwischen individueller und kollektiver Rationalitat und (3) der »Widerspruch« zwischen Produktivkraften und Produktions-verhiiltnissen. Hinzu daB mit in allen drei

sie ins Leere. Die

entweder weil dezentralisierte nie im '-'H~H.d'IS'"' es nur Marx selbst scheint bei ersterem

Irrationalitat des Kapitalisl11us - Unl110glichkeit des Sozialisl11us 145 -- --------------

haben, war aber von der zweiten Uberlegung fest liberzeugt. Zwar gestand er zu, daB kapitalistische Markte manchmal, allerdings nur aus Zufall, geraumt werden.21 Er schuf eine sorgfliltig ausgearbeitete Krisentheorie der Uberproduktion und Unterkon­

diezur Hauptstlitze seiner Nachfolger geworden ist. In diesen Krisen liegen undArbeit brach, und die Glitermarkte werden geraumt. Es also urn

die Verschwendung schon vorhandener Produktionsfaktoren und Waren. Das ist ein ~VL"v'_U. aber ich glaube, daB es eher die Frage der Umsetzbarkeit denn

das Modell seJbst betrifft.22

Die Behauptung, daB unter kapitalistischen Verhaltnissen individuell rationale Hand­lungen zu kollektiver Irrationalitat bringt zwei Situationen durcheinander. 1m Hinblick auf die erste ist sie bezliglich der zweiten fiihrt sie fehl. Marx war der Auffassung, daB die einzelnen Unternehmen durch die Konkurrenz gezwungen

so zu daB die einheitliche, damit auch ihre eigene, Profitrate fliIlt. 23 Inzwischen ist gezeigt daB genau dieses Argument falsch ist. Allge­mein: Wenn es rivalisierenden Konsum, keine externen Effekte, keine zunehmenden Skalenertrage und keine Kurzsichtigkeit der Akteure gibt, gibt es auch keinen Kon­flikt zwischen individueller und kollektiver Rationalitat. Die Allokation des Reich­turns als Resultat des uneingeschrankten Tauschs zwischen individuellenAkteuren ist im oben zitierten Sinne kollektiv rational. Nur wenn eine dieser Annahmen verletzt ist, weicht die individuelle Rationalitat von der kollektiven abo In realen Okonomien sind diese Voraussetzungen nicht gegeben: darliber besteht Einigkeit. Aber das heiBt nur, daB jedes vernlinftige theoretische Modell des Kapi­taJismus in irgendeiner Form mit der Situation rechnen muB, in denen individuelle und soziale Ertrage auseinanderfallen, und nach der von Pigou ausgelOsten Debatte behandeln aIle Modelle diese Situation. Eine Moglichkeit ist, korrektive fiskalische Interventionsmechanismen eine andere, Eigentumsrechte zUrUckzu­libertragen. Von daher gesehen sollten selbst im Kapitalismus die Markte nur das bewerkstelligen, was sie gut leisten, und der Staat miiBte dart eingreifen, wo die Mark-te scheitern 1971). Dies trostet viele Marxisten, die freudig bemerken, daB der nicht ohne staatliche Intervention auskommt. In Wirklichkeit aber wird die marxistische Kritik dadurch abgestumpft Der Kapitalismus ist nicht mehr

als der Sozialismus, mit allen in denen

an-

schichtstheorie U'_'''W'''_.

scheue ich davor zu dis-kutieren. Meine Version dieses er technisch HHJF,'H"'-''''

146 Adam Przeworski

kann. Wir mogen es auch wollen, und doch konnte es sein, daB wir unter kapitalisti­schen Verhaltnissen dazu nicht in der Lage sind. Hier ist das Argument: Denken wir uns eine Okonomie mit zwei Akteuren, P und L. Wenn der Output nicht abhangt von den Ertragsraten auf den Einsatz der produktiven Ressourcen, die von den beiden Akteuren kontrolliert werden, ist bei einem gegebenen Stand der Techno­logie jede Form der Verteilung des Reichtums, der aus diesem Output besteht, auf die beiden Akteure moglich. Diese Verteilungsmoglichkeiten sind in Schaubild 2 auf der Linie mit der Steigung -1 abgetragen. Eine genau egalWire Verteilung wird reprasen­tiert durch den Schnittpunkt E dieser auBersten Moglichkeitsgrenze mit der Geraden, die vom Nullpunkt im Winkel von 45 Grad ausgeht.

Schaubild 2

p

L

Nun ist im Kapitalismus einer dieser Akteure der Profitbezieher, der andere der Lohn­abhangige, und der Output hangt ab vom Ertrag der eingesetzten Ressourcen. 1m Kapitalismus sind diese Ressourcen - Kapital undArbeitskraft - Privateigentum und die Akteure entscheiden, ob und wie sie eingesetzt werden, orientieren sich an ihren Eigeninteressen. Privateigentum bedeutet, daB die Eigentiimer das Recht haben, ihre Ressourcen nicht produktiv anzuwenden, wenn sie keine angemessene Gewinnrate erwarten. Wie Aumann und Kurz (1977: 1139) es formulieren, kann »jeder Akteur, wenn er will, einen Teil oder alle seine Ausstattungen zerstOren.«

IrrationalitjiLdes_ Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 147

Nehmen

eraufkommen zu den urn den Reiehtum ein Punkt auf der 45-Grad-Linie erreieht wird. Dann werden Profitbezieher ihre r1cU_Ml"'l""'.", nieht voll und das Resultat wird dureh Punkt C auf der inneren

Nur wenn die

des Reiehtums von der kurrenzbestimmte Markte fallt also die iH'J~j""'1""'""0~"_'1L"v

Wenn wird er beim Einsatz seiner Mittel zUrUekhaltender sein, die Ressoureen werden nieht ausgelastet und der Kapitalismus fUhrt zu einer d.h. kollektiv irrationalen Alloka-tion von Giitern. Wenn D die Verteilung markiert, kann im Kapitalis-mus kein Punkt auf der auBeren Grenze erreicht werden, der auBerhalb des pareto­uberlegenen Abschnitts liegt. Nehmen wir an, daB wir die schon produzierte N ahrung an die Armen verteilen, anstatt sie wegzuwerfen. Dann wHrde der Preis fUr Nahrungsmittelfallen, die Farmer wHrden weniger Gewinn machen und weniger produzieren. Mehr noeh, einige die fUr sich selbst wurden es finden, etwas anderes zu tun llnd Zli versuehen, umsonst zu bekommen. Oder nehmen wir an, wir bezahlen Farmer daB sie produzieren, subventionieren Lebensmittelpreise aus Steuermitteln und verteiJen die Nahrung an die Armen. Dann wurde die Profitrate in der gesamten Okonomie fallen lind die Produktion anderer Gilter zurilckgehen. Tat-sachlich tun wir etwas aus Mitleid oder anderen Beweggrunden. Aber im

tun wir dies urn den daB der unter das potentielle Niveau fallt.

L UliVllCU, daB wir unter diesem nieht das ganze Potentialnutzen ohne jene zu UvL'V"HvL_',

duktionsbedingungen kontrollieren. Selbst wenn wir dem l,"alfJ"'Hl~ aIle Pramissen zu seinen Gunsten zugestehen, entdecken teeh-nisch des Reichtums in dies em nieht zu realisie-ren sind.25 Diane Elson faBt dies treffend mit der daB im

im Kleinen nicht zur im Gro-Ben filhrt«: Individuen konnen aber die Gesellschaft als ganze kann es nicht. Aber warum Individuen und Gesellschaft 1st nicht die Wahl »der Gesellschaft« dasselbe wie die Wahl der konkurrierenden Individuen? Die

148 Adam Przeworski

Rechtfertigung fUr die Behauptung, der Kapitalismus sei irrational, ruhrt von dem Umstand her, daB die Individuen gleichzeitig Marktteilnehmer und Burger sind. Die Allokation von Ressourcen, die sie als Burger bevorzugen, fallt im allgemeinen nicht mit der zusammen, zu der sie qua Markthandeln gelangen.Der Kapitalismus ist ein System, in dem knappe Ressourcen sich in Privateigentum befinden. Aber im Kapi·· talismus ist Eigentum institutionell von Autoritat abgegrenzt. Das heiBt, daB es zwei Mechanismen gibt, uberdie Ressourcen fUr den Gebrauch bereitgestellt und zwischen den Haushalten verteilt werden: Markt und Staat. Der Markt ist ein Mechanismus, tiber den Individuen mittels der Ressourcen, die sie schon besitzen, fUr eine bestimmte Verteilung optieren, wobei diese Ressourcen immer ungleich verteilt sind. Die Demo­kratie ist ein System, uber das Leute ihre Priiferenzen fUr eine bestimmte ~u'v~.m"'5 von Ressourcen, die sienicht besitzen, ausdrticken konnen, wobei die Rechte gleich verteilt sind. Daher fUhren die beiden Mechanismen nur durch einen gliicklichen Zu­fall zum selben Ergebnis. Tatsachlich mussen die marktgenerierte Verteilung von Konsumchancen und die von den Btirgern praierierte deshalb auseinanderfallen, weil die Demokratie jenen, die aufgrund der Ausgangsverteilung arm, unterdrlickt oder in einer anderen elenden Lage die Moglichkeit gibt, sich via Staat Linderung zu verschaffen. Wenn »das Volk«, im Singular des achtzehnten lahrhunderts, souveran ist, hat es Pra­ferenzen flir die AUokation und Verteilung von Ressourcen, die sich nieht mit den marktbedingten Resultaten decken. Dieses Praferenzmuster kann nicht realisiert wer­den, wenn die Produktionsmittel in Privatbesitz sind und dezentral gesteuert werden. Selbst wenn die Individuen als Btirger ihre kollektiven Praferenzen flir ein bestimm­tes Allokationsmuster zum Ausdruck bringen und aIle entsprechenden materiellen Voraussetzungen vorhanden ist das auf demokratischem Weg ausgewahlteAllo­kationsmuster im Kapitalismus nicht realisierbar. Bedeutet diese Kritik am Kapitalismus, daB die auBere Moglichkeitsgrenze erreichbar ware, wenn die Ressourcen rational, auf die Bediirfnisse der Menschen zugeschnitten,

kommen wtirden - wie im sozialistischen Modell? Konnten wir den 'UcHU,.OLUH5 des und die

des Reichtums erreichen? Mir ist keine Kritik des soziahstischen Modells be-

die seine Prc)pcment,:n UUV"A""ll.

tiken des Sozialismus nicht gegen seinen Entwurf nPr'1('n"",

sen Realisierbarkeit und gegen seine realen

wenn sie unab­wenn die PIa-

sondern gegen des-

Irrationalitat des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 149

Realisierbarkeit

Die Debatten tiber die Realisierbarkeit von Modellen sind hitziger, weil sie unver­meidlich weniger entscheidbar sind. Sind die Vorannahmen einmal zugestanden, er­fordem die Diskussionen tibertheoretische Modelle nurnoch logische Schltisse. Aber Verdikte tiber Realisierbarkeit erfordem bewertende Urteile. Sie lassen daher mehr Raum flir Meinungsstreit. Es gibt drei sozialistische Angriffslinien gegen die Realisierbarkeit des schen Modells: Es kann keinen Kapitalismus ohne staatliche Intervention geben,

der Kapitalismus kann oder nur mit groBen Kosten, das Gleichgewicht er-dem seine Verteidiger aIle Meriten und (3) der ist ~'V"V"~. da er zwangslaufig zur Monopolbildung fiihrt. !eh habe den ersten

Punkt oben erartert: Ich er kann mit einem »Na und?« erledigt werden. Der zweite Punkt ist auBerst und meiner Kompetenz. Die

und die darin involvierten Erwartungen sind in der Okonomie Debatten. Schon die nach einem plausiblen Gleichge-

wichtsbegriff ist vollig offen und niemand hat bisher eine zufriedenstellende Erkla­rung der Herstellung des Gleichgewichts.27 Die Vorstellung, Markte seien standig in einem konkurrenzbedingten Gleichgewicht, ist schwer aufrechtzuerhalten; die Be­hauptung, daB Anpassungsprozesse Verschwendung mit sich scheint sehr plausibel. SchlieBlich ist das Argument, daB konkurrenzgesteuerte Markte selbstde­struktiv sind, offensichtlich in gewissem AusmaB nicht offensichtlich aber ist, in welchem MaB. Wenn ich diese Behauptungen nur beiHiufig diskutiere. so nicht deshalb, weil ich sie fUr sondem nur weil sie wenig zur zentralen Frage

Modell nicht umsetzbar kannte der

gegen seine treffen den Sozialis-mus Formulieren wir zuerst noch einmal das sozialistische Modell. Das Problem fUr den Planer besteht die Ressourcen so flir die Produktion bereitzu-

daB die Individuen in den GenuB eines Maximums an Konsumchancen und Freizeit kommen. Dabei wird vorausgesetzt, daB sie nn""u>Q Wissen tiber ihre Be-dtirfnisse und besitzen. Die des ist die von Konsumchancen und Freizeit

die den Wohlstand maximiert. Die Kritik an der des Sozialismus fallt in zwei AU"WF,~.UVH. Selbst wenn die Planer H'-H"hv wiirden sie

150 Adam Przeworski

genden Komplexitat des Problems nicht damit fertig werden. (2) Wenn die Individuen an ihren eigenen Interessen orientiert sind, legen sie entweder ihre Nutzen- oder ihre Produktionsfunktion nicht wahrheitsgemaB offen und die Planer orientieren sich nicht am allgemeinen Wohlstand. Die »sozialistische Planungsdebatte« hat ihre eigene Geschichte. Ich will sie hier nicht zusammenfassen. Die Behauptung, die Planer wiirden notwendig schon durch die bloBe Komplexitiit des Problems iiberfordert, bedeutet iill neoklassischen Rah­men etwas anderes als im osterreichischenAnsatz.29 Dnd selbst wenn das Planungs­problem im Prinzip gelOst werden kann, bleibt die Aufgabe gewaltig: Sowjetische Okonomen stehen vor dem Problem, daB im reformierten Preissystem zwischen 1500 und 2000 Preise von Basisprodukten durch den Gosplan festgelegt werden, weitere 20-30000 Preise werden durch spezialisierte Agenturen verwaltet und der Rest wird durch Vertrage zwischen Anbietern und Nachfragern bestimmt (PetrakovlYassine 1988). Es ist schwer, sich vorzustellen, wie so viele Preise richtig aufeinander abge­stimmt werden konnen, selbst unter Zuhilfenahme des Langeschen Tatonnements und von Computern.30

Selbst wenn die Planer die Kalkulationsprobleme lOsen konnen, hangt die Moglich­keit des Sozialismus von der Voraussetzung ab, daB die Individuen, sobald sie Mit­eigentUmer des produktiven Reichtums sind, in ihrem Handeln aus eigenem Antrieb zum allgemeinen Wohlstand beitragen.31 Dies heiBt insbesondere, daB alle Individuen die Hierarchie ihrer Bediirfnisse und ihre produktiven Fahigkeiten wahrheitgemaB gegeniiber dem Planer offenlegen. Die Planer wiederum wiirden als perfekte Vertreter des offentlichen Interesses handeln. SchlieBlich wiirden die Einzelnen, sobald der Planer sie ihnen zugewiesen hatte, ihre Auftrage ohne auBere Uberwachung nach ih­ren besten Moglichkeiten ausfUhren. Keine dieser Erwartungen wurde in den real existierenden Sozialismen erfiillt. Aber dies mag deshalb kein entscheidendesArgument sein, weilleicht zu behaupten ist, daB die nicht-demokratische Form der okonomischen Entscheidungsfindung in den so­zialistischen Landern gerade den Gedanken des gesellschaftlichen Eigentums zu­nichte gemacht habe. 32 Allerdings ist klar, daB dieser Gedanke das Trittbrettfahrerpro­blem unterschlagt. »Das Eigentum aller Menschen (Staatseigentum), die Hauptform gesellschaftlichen Eigentums«, wie es in der Sowjetunion kanonisch heiBt, konnte niemandes Eigentum sein. In einer bahnbrechenden Analyse hat Anatoli Boutenko (1988) jiingst ausgefUhrt, daB die einzelnen unmittelbaren Produzenten nicht Eigen­tiimer der Produktionsmittel sind, sondern nur Miteigentiimer qua Mitgliedschaft in einer Organisation, die das Gemeineigentum verwaltet. Diese Tatsache hat einige Konsequenzen. Zunachst ist »sich selbst zu bestehlen« individuell rational, da der privat angeeigneteAnteil (oder die nicht geleisteteArbeit) groBer ist als der Anteil des Individuums am gemeinsamen Verlust. Weiterhin zeigt Boutenko in einer an Korsch erinnernden Analyse, daB die Nationalisierung der Produktionsmittel keine hinrei­chende Bedingung fUr ihre Vergesellschaftung ist, da die Rolle des Individuums als Mit-Produzent nur iiber die weite Distanz des gesamten okonomischen und politi­schen Systems mit seiner Rolle als Mit-Eigentiimer verkniipft ist.

Irrationalitat des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus _________ _ 151

Wenn die Individuen auch dann eigenntitzig sind, wenn sie den produktiven Reichtum mitbesitzen, melden sie gegenliber dem Planer mehr Bedtirfnisse und weniger pro­duktive Fahigkeiten an, als sie tatsachlich haben.33 Der Planer ist daher falsch in­fonniert. AuBerdem konnten die Einzelnen in der Produktion mit ihrer Leistung zu­rLickhalten. Wenn schlieBlich die Planer eigenntitzig sind und nicht untereinander konkurrieren,34 verhalten sie sich wie Btirokraten, was heiBt, mit Noves Lieblingszi­tat aus Trotzki, »sie vergessen nie sich selbst, wenn sie etwas zu verteilen haben.« In der Folge des grundlegendenAufsatzes von Leo Hurwicz hat es mehrere Versuche gegeben, einen Mechanismus zu erfinden, der den Planer mit richtigen Informationen versorgen wtirde, selbst wenn man eigenntitzige Individuen voraussetzt, deren Wis-

35 Doch sind all diese Mechanismen entweder zu komplex fUr die oder sie verletzen eine der Grundannahmen.36 Daher miissen bis heute die Argumente fUr die Realisierbarkeit des Sozialismus auf der Annahme beruhen, daB die Soziali­sierung der Produktionsmittel die Individuen dazu bringt, sozialistische Praferenzen zu entfalten. DieseAnnahme ist unrealistisch. Da kollektives Eigentum Trittbrettfah­rerprobleme mit sich bringt, ist die Hoffnung, es wtirde zur Anderung von Praferenz­mustem ftihren, nur schwach.Fakt ist, daB der Preismechanismus bis heute der einzig bekannte praktikable Mechanismus ist, vermittels dessen die Leute sich tiber ihre Be­dtirfnisse und KapaziUiten informieren konnen. Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn die Individuen die Folgen ihrer Entscheidungen anhand ihres materiellen Wohlstandes zu spiiren bekommen. Daher ist der Sozialismus unmoglich. Wenn die Planer desinformiert und eigenntitzig sind und die unmittelbaren Produzen­ten sich drticken, kann der Output geringer sein als der, bei einem beliebigen Vertei­lungsmuster, im Kapitalismus produzierte. Der sozialistische Output kann unterhalb der kapitalistischen Produktionsmaglichkeiten liegen: Wir konnten nicht in der Lage sein, alle zu emahren, weil wir nicht genug produzieren.

Realitaten

Ob das sozialistische oder das kapitalistische Modell in der Praxis erfolgreicher war, ist fast unmoglich zu entscheiden: Die Diskrepanzen zwischen den Berechnungskon­ventionen und -graBen, mit denen verschiedene Outputs aggregiert die Dis­",,,,,t'ih'n bei der Verwendung von Inputs, die Differenzen bei den Ausgangspositio­nen und relativen Vorteilen machen soIehe Urteile fast bedeutungslos. Detaillierte Vergleiche bestimmter Aspekte okonomischer und materiellen Wohlstands fUhren zu Urteilen, die von der beobachteten Dimension und Zeitperiode abhan­gen.37 Es gibt nicht einmal gute GrtInde fUr die

aber sozialistische seien tiberlegen, sobald es urn Gleichheit und materielle Sicherheit Einerseits stehen

W,wh,QtJnnorCltpn der sozialistischen Lander denen der UkOll()llJen nicht nacho Sogar heute

wachst die sowjetische Uk:onorrne, noch nie dagewesenen

152 Adam Przeworski -------

Boom sind. Andererseits gibt es immer mehr Beobachtungsmaterial zur Einkom­mensungleiehheit in der Sowjetunion und und deutliehere Hinweise auf den Verfall sozialer Sieherungssysteme.38

Geht man davon aus, daB das systematisehe Beobaehtungsmaterial keine fUr selbst vorsiehtigste Urteile bietet, ist der daB das sozialistisehe Modell einfaeh verbliiffend. Und dieser Konsens ist weitverbreitet: Die Na­

irn wahrend in mehreren ost­

vollig diskrediert ist. Das GefUhl der Ver­des Elends ist nieht auf sozialistisehe Lander be­

daB in Brasilien die Mensehen ihre Armut als Resultat sozialer Ungereehtigkeit sehen, wahrend in Polen einer die Armut der Irrationalitat des sozialistischen zugereehnet wird.39

Eine dieses Ratsels daS die Zahlen die des Sozialismus systematiseh iibersehlitzen. Die scher Okonomien ist Sie verbrauchen pelte Menge an Stahl im Vergleich zu den urn eine einheit zu 40 An Anekdoten tiber irrationale Verhaltnisse gibt es keinen Mangel: Die Halfte des Agrarproduktes der Sowjetunion solI verloren gehen, bevor es den Verbrauchermarkt erreicht; im Winter machen sich Kinder einen SpaS die Berge nicht mit denen die Bahnstatio-

der Wert der Gliter, die in tschechisehen Laden fast versehenkt ohne daB sie jemand haben ist gleieh dem okonomischen Wachstum der

das in ungarischen Fabriken ist ftinfmal haher als im Westen: und so weiter. Indikatoren fUr Sozialstaatlichkeit sind ebenfalls verwirrend: Sozialistische Lander haben eine wachsende Zahl von pro

litat. Das wohl heikelste Problem beim

ist die dern sollte der Fortschritt in der

die riert. Heute betrachten viele als ein Dritte-Welt-Land. Doch

aber sinken

\/pqml",w'h zu welchen Lan­Polen oder China gemessen werden?

und viele stellt

auf den ent-wickelten Westen ist dUTch dessen in den Medien demon­strierten Lebensstandard und durch von Westreisenden unausweiehlich

stem« beantwortet wird. SchlieBlich muB man enttauschte

die bis zum

die mit dem »akonomischen

in Betracht ziehen. Der Stalinismus vel'spJ:eenUIlgen voll: Als ich

Irralionalilat des Kapilalismus - Unmoglichkeil des Sozialismus 153

in Polen aufwuchs, war jede Wand vollgepflastert mit dicken roten Wachstumskur­yen, die immer haher in die »strahlende Zukunft« (Sinowjew) kletterten. Der So­zialismus wurde die Natur besiegen. Er wtirde Damme flir und gegen alles mogliche bauen, Stahlwerke und hOhere Wolkenkratzer als der Er wlirde die Ge­sellschaften ins Reich der Ordnung und der Vernunft flihren. Aber die Natur schlug zuruck: Die schlimmste okologische Europas herrscht heute im Grenz­gebiet zwischen del' Tschechoslowakei und der DDR. »Gewaltiger«, so steHte sich waren auch die Fehler: Nach der intensiven Bewasserung der Ukraine

weil der Boden mit Salz vergiftet wurde.41 Die IrrationalWit ist ClUl'ch;garlgl!s, daB die Menschen den Teil ihres damit ver-

sich mit ihr also gute Grtinde ein anderes Bild

vermitteln als die aggregierten Zahlen. Am daB weder Kapitalismus noch Sozialismus in waren, die Armut abzuschaffen. Auch ist es keinem Sy­stem gelungen, eine autarke Wachstumsdynamik zu etablieren. Die Nachkriegserfahrungen und mehrerer Lander des n."VB"U.""'"'''''' Sudens bilden zwei unterschiedliche Versuche, die Unterentwicklung zu iiberwinden und okonomische Unabhangigkeit zu erlangen. Das osteuropaische Modell war durch staatliches Eigentum der produktiven Ressourcen, eine zentralisierte Form der Allo­kation und eine autarke Entwicklungsstrategie, die von der Investitionsgiiterindustrie angetrieben wurde, gekennzeichnet. Das lateinamerikanische Muster, oft als »abban-gige bezeichnet, beruht aufPrivateigentum, einer akti-yen Rolle des Staates und einer Dosis Protektionismus nach dem Strick-muster der Industrialisierung durch Importsubstitution. Beide Strategien sind eine ganze Zeit lang erfolgreich gewesen, und mehrere Lander haben eine betrachtliche industrielle Basis aufgebaut. Von 1960 bis 1980 ist das Brut-

lateinamerikanischer Lander im lahresdurchschnitt urn Prozent waren es liber 6 Prozent. Manche Lander hatten zeitweise

sowohl im ''''IJU<Uh>

Sliden wie im sozialistischen Osten in den siebziger lahren Lu,omuu,c,,,iS'"'U'

chen ist. Zwischen 1980 und 1985 die durchschnittliche Wachstumsrate in La­teinamerika Prozent. 1m selben Zeitraum hatten die die Daten an den IWF ein durchschnittliches Wachs tum von 1 Prozent. In Landern ist der 42 Keinem Modell es, autarkes Wachstum etablieren.43 Tatsachlich sind die okonomischen

wie Polen und in der Geschichte dieser Lander.

Die Wirklichkeit ist also trist. In der realen Welt HUUh'~>H H~'v''')'''''''H duktive Potential nicht ausgenutzt oder unterentwickelt ist.

konfrontiert

weil das pro-

154 Adam Przeworski -----

3. Konnen wir aile ernahren?

Der Kapitalismus ist irrational, der Sozialismus unmoglich, in der wirklichen Welt hungem Mensehen: Un sere SehluBfolgerungen sind nieht ermutigend. Aber vielleicht konnen die grundlegenden menschlichen Bediirfnisse weltweit befriedigt werden, ob­wohl die okonomischen Systeme, in denen wir leben, den Utopien des neunzehnten J ahrhunderts nicht entsprechen, obwohl sie einiges an Irrationalitat und Ungereehtigkeit beibehalten. Konnen Sozialismus und Kapitalismus partiell, aber doeh soweit refor­miert werden, daB aIle emahrt werden konnen?

Reform des Sozialismus

Reformen sind ein endemisehes Phanomen im Sozialismus. Da Okonomien, die auf zentraler Planung beruhen, keine automatischen Selbstkorrekturmechanismen ent­halten, muE immer dann eine Reform gestartet werden, wenn unerwlinsehte Effekte offensiehtlieh werden. Daher waren Reformen der Gebietsverwaltung, des okonomi­schen Managements, der Planung, des Anreizsystems immer ein regelmal3iges Ritual in den sozialistischen Landem.44 Inzwisehen aber ist in der Sowjetunion, Ungam, Polen und Jugoslawien das Geflihl weit verbreitet, daB partielle Reformen nieht wirk­sam sein konnen: Die Organisation des okonomischen Systems seIber ist falseh (Bauer 1988; Abalkin 1988). Die Ziele der Reformen sind im groBen und ganzen liberall gleieh: den Investitions­prozeB zu rationalisieren, die Endverbrauchermarkte ins Gleiehgewicht zu bringen und ineffiziente Prozesse und Untemehmen zu eliminieren. Den InvestitionsprozeB zu rationalisieren bedeutet, daB die Firmen die Investitionskosten internalisieren und daB die Preise von Kapitalgtitern korrekt kalkuliert werden mlissen. Den Konsum­glitermarkt ins Gleichgewieht zu bringen heiBt, Preise anzuheben, Subventionen zu klirzen und die Einkommensverluste zu kompensieren. Ineffizienz zu beseitigen heiBt, Bankrotte und Arbeitslosigkeit zuzulassen. Gleiehzeitig mlissen Finanzmark­te und Programme entwiekelt werden, urn strukturelle und friktionelle Arbeitslosig­keit zu reduzieren, sowie eine Arbeitslosenversicherung eingerichtet werden. Wah­rend die Ziele geteilt werden, unterscheiden sieh die Methoden erheblich. Reformen zielen darauf, das vorhandene zentrale Kommandosystem zu wahrend andere, zumindest partiell, Markte einflihren. Die Reformen in der Sowjetunion werden, so wie sie bisher angesetzt finanzielle Autonomie und Verantwortlichkeit flir die aber keine Markte einflihren. In einer programmatischen Stellungnahme verwirft Leonid Abalkin 47) aIle okonomischen Meehanismen, die »sich dem gesellschaftlichen Eigentum nieht ein­fligen, das heiEt alle, die zu Krisen, anarchiseher Produktion, Arbeitslosigkeit und zur Spaltung der Gesellsehaft in Klassen fiihren«. Er flihrt weiter aus, daB in der sozia­listisehen Produktionsweise die Preismechanismen anders als im funk­tionieren und »zu Instrumenten des Meehanismus des geplanten okonomischen Ma­nagements werden«. Zwei Okonomen, die das Projekt im Detail

Irrationalitiit des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 155

sprechen von der »Integration der Preispolitik in den PlanungsprozeB« und verteilen die Verantwortung fUr die Administration der Preise auf das zentrale Planungsbtiro, intennedHire Ebenen der Btirokratie und auf Assoziationen von Anbietem und Kon­sumenten (PetrakovlYassine 1988). Zusammengenommen erweitem diese Refonnen die Rolle der okonomischenAnrei­ze, steigem die administrative Kontrolle tiber die Investitionen und verlagem die sek­toralen Prioritaten: eine Mixtur, mit der in der Vergangenheit keine groBen Erfolge erzielt worden sind.45 Dieses Scheitem hat zwei gut bekannte hinreichende Ursachen: (I) Profitabilitat ist als Kriterium fUr die Allokation von Ressourcen nutzlos, wenn der Profit nur im Unterschied besteht zwischen den Inputpreisen, die in einem Btiro festgelegt werden, und den Outputpreisen, die im anderen Btiro festgesetzt werden. (2) Da die Manager die erforderlithen Inputs nur durch Befehl von oben erhalten konnen, kommt der Druck zur Rezentralisierung der Ressourcenallokation von un­ten.46 Daher gelingt es mittels Refonnen, die keine Marktmechanismen enthalten, nicht, die Allokation der Ressourcen zu rationalisieren. Sie werden spontan tiber den Haufen geworfen, sogar ohne den Widerstand der Btirokraten. Kann der Sozialismus nicht refonniert werden? (1) Die Verbesserung der Planungs­techniken ist eine andauemde, aber vergebliche Hoffnung, weil sozialistische Oko­nomien in Wahrheit gar nicht geplant werden.47 Planer erarbeiten Ziele und Direkti­ven, die zur Erftillung der Planziele dienen sollen. Aber wenn die Plane in irgendei­ner Hinsicht inkonsistent sind (jemand kann seine Vorgaben mit seinen Mitteln nicht erftillen), wenn sich auBere Umstande tiberraschend andem, oder wennjemand vom Plan abweicht, bricht der gesamte Plan in sich zusammen. Sogar wenn die Plane voll­kommen konsistent sind und allePrognosen tiber exogene Ereignisse zutreffen, wer­den es die PlanausfUhrenden immer in ihrem wohlverstandenen Interesse finden, von den Direktiven abzuweichen. Daher werden Plane, die in physischen GroBen fonnu­liert sind, immer tiber den Haufen geworfen. Plane wiederum, die mittels Indikatoren fonnuliert werden, erfordem Gewichtungen, d.h. Preise. (7) Die Idee, Teilmarkte ein­zufUhren, »Marktpreise als Planinstrument zu benutzen« ist logisch inkohiirent. 1m Blick auf das Lange-Modell bemerkt Nove, daB man keinen Markt im Konsumgtiter­sektor einrichten konne ohne einen Mechanismus, der ihn mit dem Produktionsgtiter­sektor rtickkoppelt. Dieser Mechanismus konnte wiederum ein Markt im Produk­tionsgtitersektor sein oder ein zentrales Planungsbtiro, in dem die einzigeAufgabe der Planer darin bestehen wtirde, herumzuratseln, wie ein so1cher Markt reagieren wtir­de.48 Aus Grunden, die ich oben diskutiert habe, scheint die Demokratisierung der Pla­nung kaum AnlaB zur Hoffnung auf eine Rationalisierung der Ressourcenallokation zu bieten. Andere, nicht marktfOnnige Mechanismen wiederum, mit denen man die Akteure dazu bringen konnte, ihr privates Wissen tiber ihre Priiferenzen und Fiihig­keiten wahrhaftig offenzulegen, sind so kompliziert, daB auch Politikwissenschaftler nicht in der Lage sind, sie zu verstehen. Die Moglichkeiten, den Sozialismus zu refonnieren, scheinen daher auBerst begrenzt zu sein.49

156 Adam Przeworski

Marktsozialismus

Die gesamte Analyse bewegte sich bisher im begrifflichen Rahmen von Mechanis­men der Ressourcenallokation und der Einkommensverteilung. Dies deshalb, weil ich daran zweifle, daB Eigentumsformen als solche wichtige Konsequenzen fUr den ge­sellschaftlichen Reichtum haben. Zunachst einige Definitionsfragen. Wenn der »Marktsozialismus« ein System ist, in dem nur einige wenige Formen des Eigentums gesetzlich verboten sind und in dem die meisten Ressourcen tiber Markte gesteuert werden, ist er identisch mit Kapitalis­mus. AIle kapitalistischen Lander behalten dem Staat das Eigentum an bestimmten Untemehmen vor. Dies sind nichtnur Gefangnisse und Steuereinzugsagenturen, son­dem oft nattirliche Monopole (bspw. Industrien mit steigenden Skalenertragen) und manchmal sogar Salzbergwerke, die Ztindholzproduktion oder der Verkauf vonAlko­hoI. Tatsachlich sind aIle kapitalistischen Okonomien »gemischt«: Der Umfang des Offentlichen Sektors reicht von 6 Prozent in Schweden bis zu tiber 50 Prozent in Oster­reich oder Israel. Und auBerhalb der ftir den Staatreservierten Bereiche sind Koopera­tiven im Kapitalismus nicht illegal; es ist nun einmal- aus bisher kaum verstandenen Grtinden - der Fall, daB, bei volliger Wahlfreiheit der Untemehmensform, die tiber­wiegende Mehrheit der Firmen schlieBlich bei der Kombination von privatem Kapi­talbesitz und Lohnarbeit landet.50

Daher muB der »Marktsozialismus«, will er ein eigenstandiges System sein, rechtlich zugunsten von Arbeiterkooperativen diskriminieren, wie es in N oves Entwurf eines »machbaren Sozialismus« geschieht. In vielen kapitalistischen Landem gibt es zen­tralisierte staatliche U ntemehmen, die die Post verteilen, Firmen in offentlicher Hand, die Autos produzieren, kleine private Firmen, die Restaurants betreiben und selbstan­dige Klempner, die Rohrbrtiche reparieren. Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Marktsozialismus besteht darin, daB es im Kapitalismus auch groBe private Un­temehmen gibt, die die Post austragen undAutos produzieren; Nove wtirde diese ver­bieten und das Feld den Kooperativen tiberlassen (1983: 200 ff.). Das Problem ist, wer entscheiden wtirde, was kooperativ und was kapitalistisch or­ganisiert sein sollte. Elster weist darauf hin, daB dezentralisierte Entscheidungen von Produzenten ein anderes Ergebnis haben konnten und im allgemeinen haben, als eine Abstimmung: Angesichts der Unwagbarkeiten auBerer Umstande mogen die Leute wohl demokratisch ftir eine Okonomie mit einem Anteil von siebzig Prozent Koope­rativen votieren, im freien EntscheidungsprozeB aber nurzwanzig Prozent hervor­bringen. Meiner Ansicht nach zeigt diese Situation ein wichtiges Dilemma: Demokra­tische Wahl kann suboptimal sein, wahrend freie dezentrale Entscheidungen bisher zum Kapitalismus gefUhrt haben. Von diesen Zweifeln einmal abgesehen, werden oft zwei Argumente fUr die Uberle­genheit von Kooperativen tiber kapitalistische Firmen vorgebracht: Effizienz, insbe­sondere hahere Arbeitsproduktivitat und Verteilung. Da Elster (1989, ElsterlMoene 1989; vgl. auch Putterman 1986) diese Behauptungen vor kurzem diskutiert hat, hier nur einiger Randbemerkungen.

lrrationalitiit des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 157

Erstens hat Elster recht, wenn er die Bedeutung von Umweltbedingungen betont: Ko­operativen k6nnen je nach gesellschaftlicher Umwelt ganz unterschiedliche Leistun­gen erzielen. Dies gilt nicht nur im Kapitalismus. In der Sowjetunion und Polen sind Kooperativen in jiingster Zeit auf spektakuliire und miBliebige Weise profittrachtig. Das zentrale Allokationssystem ist so ineffizient, daB Untemehmerprofite und sogar »reine« Profite »6sterreichischer« Spielart wie Manna yom Himmel fallen flir jeden, der die entsprechende Lizenz hat.5! Wenn die Leistungsfahigkeit der Kooperativen abhangt von der Prasenz zentralisierter staatlicher Firmen, 6ffentlicher Untemehmen und Privatfirmen in ihrer Umwelt, k6nnte das optimale 6konomische System ein gemischtes sein.52 Weiterhin zeigen, folgt man Elster und Moene (1989: 27), empirische Untersuchun­gen wiederholt, daB die Arbeitsproduktivitat in den wenigen im Kapitalismus vorhan­denen Kooperativen h6her ist, wabrend dagegen »theoretische Debatten normaler­weise zu dem SchluB kommen, daB die Auswirkungen negativ seien«. Aus meiner Sichthiingen die Ergebnisse theoretischer Analysen davon ab, (1) welches Modell des Arbeitsprozesses sie der kapitalistischen Firma zuschreiben und (2) von den Annah­men, die sie zum Problem der wechselseitigen Kontrolle machen. Wenn man, wie Bowles und Gintis in ihren neueren Arbeiten, annimmt, daB die Arbeiter im Kapita­lismus deshalb Leistung erbringen, weil sie individuell von der Firma iiberwacht werden (und weil Arbeitsplatzverlust teuer ist), und wenn man annimmt, daB wech­selseitige Uberwachung die perfekte Gleichgewichtsstrategie in einer Arbeiterko­operative sei, dann folgt, daB diese produktiver ist. Die Arbeiter wiirden mindestens ebenso hart arbeiten, aber die Firma wtirde die Uberwachungskosten sparen. Dies war das traditionelle sozialistische Mikroargument fiir die Vergesellschaftung der Pro­duktionsmittel. Aber beide Argumente sind inzwischen durch Burawoy (in diesem Heft) schwer erschiittert worden, demzufolge (1) die Arbeiter im Kapitalismus in der Tat sich selbst iiberwachen und (2) die Organisation der Produktion mehr eine Frage der Firmengr6Be denn eine des Eigentums ist. Burawoy scheint der Auffassung zu sein, daB die kapitalistische Firma tatsachlich Untervertrage mit Gruppen von Arbei­tern abschlieBt, indem sie tiber die Parameter ihrer kollektiven Leistung verhandelt, daB diese Gruppen entscheiden, zu welchem Grad diese Parameter erftillt werden sol­len und dann die Leistung tiberwachen. Seine Vergleiche zwischen den USA und Un­gam scheinen zu zeigen, daB die Firmengr6Be der entscheidende Faktor bei der Or­ganisation der Produktion ist: Ein Resultat, das man aus spidtheoretischen Griinden erwarten k6nnte, da die Intensitat wiederholter Kontakte dariiber entscheidet, ob) wechselseitige Uberwachung die beste Strategie ist. In der Diskussion tiber Arbeiterkooperativen spielen neben der Produktivitat auch Fragen der Beschaftigung, des Investitionsverhaltens und der Innovations- und Risi­kofreudigkeit eine Rolle. Am umstrittensten ist die Wirkung auf die Beschaftigung: Eine Reihe friiherer Modelle gelangt zu dem SchluB, daB Kooperativen, da sie den Durchschnittsprofit, nicht die Profitsumme maximieren, zu Unterbeschaftigung flih­reno Inzwischen ist dies umstritten. Besonders erhellend ist hier ein jtingerer Artikel von Moene, da er von der Einsicht ausgeht, daB die Kooperative nicht mit einer »rei-

158 Adam Przeworski

nen« kapitalistischen Finna zu sondern mit einem Unternehmen mit starken Gewerkschaften. Er schlieBt, daB Firma zu festen Loh-nen und variabler Beschaftigung tendiert, die Kooperative dagegen zu fester Beschaf-tigung und variablem Einkommen«, und daB »Unterinvestition eines der probleme kapitalistischer Finnen mit hohem gewerkschaftlichem zu sein scheint« (Moene 1989: 87, Die zu denen man in diesen FI'agen

aH,,,"'!!!""L" stark abhangig zu sein von institutionellen Problemen der und der Finanzierung der Kooperativen.

Elster kommt zu dem SchluB, daB es aus Grunden der zieht man aIle Un-mit dieser Form des ~iiS~'HUU'0

rimentieren. Es die im GroBen haben auch wenn sie im Kleinen schlecht funktionieren - aber die Gesell-schaft kann nicht hingehen und sie dieser bloB en H~'j,,,,"v!.U""'H ren«. Dann zaubert er einen Hasen aus dem Hut und ausprobieren wurde, weil »das wesentliche Argument flir KClopercltl nomischen Gerechtigkeit ist« (Elster 1989: 1 Gerechtigkeit ist ein Thema, das ich bisher absichtlich vermieden babe, da ich davon ausging, es lieBe sich leichter darin libereinstimmen, daB es gut alle zu als in der Frage, warum. Manche mogen die Armut aufgrund des Kantischen »Ich hat­te in derselben Lage sein konnen« bekampfen wollen, andere eher aus Mitleid. Aber was ist dann mitder traditionellen sozialistischen Behauptung, der Kapitalismus sei nicht nur irrational, sondern auch ungerecht und daB, im Kontrast dazu, gesellschaft­liches Eigentum das Recht auf die ganze Frucht der Arbeit einschlieBe? Zunachst einmal ist zu bemerken, daB Verteilungsgesichtspunkte in der Vergangen­heit in einer Reihe von Landern wichtige Impulse zugunsten eines wie auch immer gearteten Sozialismus gegeben haben und dies auch weiterhin tun. Paul Samuelson hat vor langerer Zeit vorgeschlagen, die Verteilungskosten des fUr die Lohnabhangigen unter demAspekt des von den Kapitalisten konsumierten Nettoein­kommens zu betrachten. Das Nettoprodukt jeder kapitallstischen Okonomie kann aufgeteilt werden in den Konsum der Lohnabhangigen, die Investitionssumme und den Konsum der Kapitalisten. Letzterer ist fUr die Lohnabhangigen endgiiltig verlo­fen; dies ist der den sie fUr das Privateigentum an produktivem Reichtum be­zahlen, Die Hohe dieses Preises unterscheidet sich, vergleicht man verschiedene kapi­talistische Lander, enorm: Vonjedem Dollar Wertzuwachs in der Produktion wurden 1985 von den Kapitalisten in Osterreich und Norwegen etwa 10 Cent konsumiert,

40 Cent in GroBbritannien und den Vereinigten Staaten, 60 Cent in Brasilien und 70 Cent in Argentinien.53 Von daher haben, unter bloB en osterreichische und norwegische Lohnabhangige wenig durch N ationalisierung oder Vergesellschaftllng zu gewinnen. Da ein solcher Ubergang llnvermeidlich Kosten mit sich bringt, verlassen sie sich am besten auf ihre Marktmacht und auf ihren EinfluB bei Wahlen. Britische und oder durch direktes an prodllktivem Reichtum mehr zu ken mehr.54 Dagegen ware der Verteilungseffekt von

Irrationalitiit des Kapitalisrnus - Unrnoglichkeit des Sozialisrnus 159

maBnahmen in Argentinien und Brasilien immens: Waren in einem sozialistischen Brasilien die Einkommsunterschiede zwischen dem oberen und dem unteren Funftel auf den Faktor 5 begrenzt, wurde das Einkommen des armsten Funftels urn das Zehn­fache steigen. Daher ist in Argentinien und Brasilien eine Nationalisierung fUr die Lohnabhangigen aus reinen Verteilungsgrtinden attraktiv. Allerdings sind die Verhaltnisse paradox, da jene Teile der Arbeiterbewegung, die die politische Kraft haben kannten, eine Form von Sozialismus rechtlich durchzusetzen, keine Anreize dazu haben, wahrend jene, die durch eine Umwandlung des Privatei­gentums an Produktionsmittelnin Offentliches Eigentum viel zu gewinnen hatten, nicht die Macht dazu haben. Der Sozialismus als das Projekt affentlichen Eigentums am produktiven Reichtum ist also nur das Projekt jener Bewegungen, die ihn nicht durchsetzen kannen. Der Marktsozialismus, so ist zu schlieBen, scheint unter Verteilungsgesichtspunkten attraktiv. Auch wenn wir seine Auswirkungen auf die Beschaftigung, das Investitions­verhalten und die Arbeitsproduktivitat nicht genau abschatzen kannen, ware eine Kombinatiori von Kooperativen und Markten dem Kapitalismus in puncto Einkom­mensverteilung uberlegen. Wenn wir uns den Marktsozialismus als System denken, in dem es einenArbeit-plus-Kapital-Markt gibt, d.h. wenn einAnteilseigner in einer Kooperative gleichzeitig das Recht und die Pflichthat, in ihr zu arbeiten und wenn die­se Rechte-Pflichten verauBert werden kannen, dann wird im Gleichgewicht die Ge­winnrate auf die eingesetzten Mittel in der gesamten Okonomie einheitlich sein. Die Verteilung des Einkommens wird in diesem Gleichgewicht egalitarer sein als im Ka­pitalismus, da die Arbeitskrafte die gesamten Nettorevenuen der Firma erhalten. Dagegen scheint die Behauptung, der Marktsozialismus wurde ein System akono­mischer Demokratie sein in dem Sinne, daB der ProduktionsprozeB demokratisch verlaufen wurde, unbegrundet. Wenn Firmen in Arbeiterbesitz konkurrieren und ein bestimmter Weg der Produktionsorganisation die Profite maximiert, muB er gezwun­genermaBen eingeschlagen werden. Wenn es andererseits mehrere profitable Mag­lichkeiten gabe, die Produktion zu organisieren, waren sie fill Kapitalisten gleichwer­tig; wenn die Arbeitskrafte eine davon bevorzugen wurden, wurde sie ubemomrnen. Arbeiterkooperativen hatten also nichts, was sie iindem kannten. Da im Marktsozialismus die Verwendung von produktiven Ressourcen von den Ge­winnraten abhiingt, wfude dieses System unter der gesellschaftlichen Unmaglichkeit technisch maglicher Muster der Reichtumsverteilung leiden: der Irrationalitiit, die wir als Charakteristikum des Kapitalismus festgestellt haben. Selbst wenn die Produktions­mittel im Eigentum der Kooperative sind, wfude die Endverteilung des Einkomrnens unter den Kooperativen von derenAusgangsausstattungen abhiingen und Versuche, die Einkomrnen umzuverteilen, wfuden auf verrninderten Output hinauslaufen. Daher hatte auch der Marktsozialismus ein schwieriges Verhiiltnis zur Demokratie. Das Prinzip, daB alle die gleichen akonomischen Rechte haben, ist nicht hinreichend fUr demokratische Verhiiltnisse in der Produktion noch in der Okonomie insgesamt. Der Marktsozialismus stellt keine vollstiindige Implementation von Demokratie auf akonomischem Gebiet dar. 55

160 Adam Przeworski

Sozialdemokratie

Kann der Kapitalismus reformiert werden? Die Antwort ist offensichtlich positiv: einigen kapitalistischen Uindern ist es gelungen, elementare materielle Sicherheiten flir aIle zu bieten. Sogar in diesen Uindern kann der Kapitalismus aus einer Reihe von Grunden kritisiert werden (vgl. den Epilog zu Przeworski 1985). Doch ist die AuslO­schung der Armut ein zureichendes Erfolgskriterium in einer in der Milliarden von Menschen an materiellem Mangel lei den. Wenn etwa dreiBig Millionen Men­schen in den USA und etwa vierzig Millionen in der Sowjetunion unter Bedingungen leben, die als absolute Armut bezeichnet werden, ganz zu schweigen von China, In­dien oder Brasilien, sind die materiellen Lebensbedingungen in Schweden, Norwe­gen oder Osterreich beneidenswert. Kapitalistische Okonomien sind auBerst heterogen. Sie unterscheiden sich in drama­tischer Weise in den Entwicklungsniveaus, bei der Einkommensverteilung und der Rolle des Staates bei der Sicherung des materiellen Wohlstands. In den entwickeltsten kapitalistischen Landem ist das Pro-Kopf-Einkommen zwanzigmal hOher als in den armsten.56 Wer in Zaire oder Bangladesch geboren wird, hat dreiBig Jahre weniger Le­ben zu erwarten als jemand in Westeuropa. 1m oberen Flinftel der brasilianischen oder peruanischen Haushalte verdient eine Person mehr als dreiBigmal soviel wie jemand im unteren Flinftel, wahrend diese Disparitat in einer Reihe westeuropaischer Linder und in Japan auf einen Faktor von weniger als flinfreduziert ist. SchlieBlich verwen­den die Zentralregierungen in Indonesien oder Ecuador weniger als zwei Prozent ihrer Ausgaben aufWohnungsbau, soziale Sicherung und Wohlfahrt, dagegen mehr als die Halfte in Spanien, der Schweiz, in Schweden und Westdeutschland.57 So bedeutet der Kapitalismus flir viele Menschen vollige Armut, wabrend er flir andere UberfluB ge­schaffen hat. Sieht man sich die Lander an, die die Armut abgeschafft haben - Lander, die reich sind, eine egalitare Einkommensverteilung und ein entwickeltes Sozialsystem haben - fin-det man einige robuste Muster und viele Unbekannte: Die sehr wenigen in denen niemand arm ist, sind samtlich kapitalistisch.58 (2) Statistische Analysen ent­wickelter kapitalistischer Lander zeigen daB hOhere okonomische Lei­stungskraft, geringere Einkommensungleichheit und umfassendere Sozialleistungen in den Landern vorzufinden sind, in denen starke Gewerkschaften und Regierungs-macht der Sozialdemokraten sind.59 (3) Kein einheitliches Theoriegebau-de ist in der Lage, die okonomische zu erklaren.6o (4) Der EinfluB politi-scher Demokratie auf den okonomischen Bereich bleibt unklar. die bntwllCklul1l£ einiger kapitalistischer Lander sei ",e,f'."vu gewesen, weil sie andere Lander scheint falsch. 61

Nattirlich laBt sich aus der daB der 'U"'0H'U0 in Schweden reformiert worden skandinavische

"H",.".",,,, daB er in Chile reformiert werden auch wenn der der stidamerikanischen Armut be­

reformiert worden: Alle werden satt. Wie ist das moglich?

lrrationalitat des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 161

Die fundamentale Pramisse der Sozialdemokratie ist, daB die Nationalisierung der Produktionsmittel nicht notwendig ist, um die Irrationalitat des Kapitalismus zu tiber­winden, d.h. die Reichtumsverluste zu vermeiden, die verursacht werden durch die mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln einhergehenden Rechte. Diese Pra­misse widerspricht sowohl der oben rekonstruierten klassischen marxistischen Ana-

wie den, aUerdings identischen Ansichten der Neoliberalen.62 Diesen zufolge vel'ursacht jeder Versuch, Einkommen umzuverteilen, »Tragheitsverluste«, d.h. eine Rticknahme von Ressourcen aus der Produktion. Steuern auf Einkommen bewirken eine Reduzierung des Arbeitskrafteangebots; Steuem auf Profite verursachen einen Rtickgang del' Spar- und Investionsraten. Transferzahlungen wiederum machen Frei­zeit billiger und verschlimmern die Auswirkungen der Steuern, da sie die Leute von der Arbeit abhalten. Diese Argumente, so plausibel sie scheinen, werden durch empi­l'ischeAnalysen nicht allzu gut gesttitzt. Zumindest im bislang untersuchten Spektrum der Steuerquoten scheinen das Angebot mannlicher Al'beitskrafte sowie die Spar - und Investitionsraten nicht sehr empfindlich auf Steuem zu reagieren (SaunderslKlau 1985). Ein Gmnd daflir ist, daB relativ wenige Leute dartiber entscheiden konnen, wieviele Stunden sie arbeiten wollen: die meisten mtissen entweder Vollzeit oder konnen tiberhaupt nicht arbeiten. In diesem Zusammenhang ist aber am wichtigsten, daB bestimmte Formen von Steuern und Transferleistungen verschiedene Konse­quenzen flir die Entscheidungen haben, wie die Eigenttimer ihre Ressourcen verwen­den. Zumindest auf dem Papier sind Steuern auf potentielle Einkommen und auf priv­at konsumierte Profite neutral gegentiber dem Arbeitskrafteangebot bzw. der Investi­tionsrate.63

Auch wenn vollig neutrale Steuern tatsachlich unmoglich sind, verursachen unter­schiedliche Kombinationen von Steuern und Transferleistungen unterschiedliche Tragheitsverluste (Becker 1976). Lander mit starken Gewerkschaften und langel'en Regierungszeiten sozialdemokratischer Parteien weisen bessere Trade-Offs zwi­schen Arbeitslosigkeit und Inflation wie auch zwischen Lohn- und Investitionsquote

,auf. Regiemngen in kapitalistischen die die Armut wm Verschwinden bringen und die Effizienzverluste gleichzeitig minimal halten wollen, sind also nicht Das sozialdemokratische Modell ist theoretisch haltbar. Der Grad der Irrationalitat des Kapitalismus ist keine feste GrOBe.

Konnten wir aile ernahren?

Konnten wir daher alle emahren? Das ist eine Frage. unter welchen

U!vU"'.HC'" ~'VU'H"U"",~'uware dies konnen diese gen geschaffen werden? Auf der Suche nach einer Antwort sind wir durch H.UVHUHO-

mus und Sozialismus in ihren und historisch verwirklichten Fonnen gegangen, ausschliel3en hinreichenden Bedingungen vorhanden sind oder die Und nach aHem sind wir w folgendem Schlul3 gelangt: Die sozialistische Kritik an der Irra-

162 Adam Przeworski

tionaIitat des Kapitalismus ist giiltig, aber die sozialistischeAlternative ist unmoglich. Was nun bleibt, ist die Frage, ob wir in den Systemen, die auf Markten beruhen, trotz deren Irrationalitat aIle ernahren konnten.64

Eine notwendige Bedingung daflir, aIle ernahren zu konnen, ist »starker UberfluB«, d.h. ein Entwicklungsniveau der Produktivkrmte, das ausreicht, urn die Subsistenz alIef auch dann zu sichern, wenn die zur Bedtirfnisbefriedigung alIer erforderliche Umverteilung der Einkommen zu Produktionsverlusten flihrt. Ich gehe von einer Weltmarkt6konomie aus, in der die meisten Entscheidungen tiber den Einsatz von Ressourcen privat sind und sich an den Profitraten orientieren. Dies heiBt, daB deren private oder kooperative Eigenttimer das Rechthaben, Ressourcen aus der Produktion abzuziehen, wenn ihr Gewinn entweder durch hahere Lohnkosten oder durch Be­steuerung reduziert wird. Daher ist die ftir unsere Ziele notige Produktionskapazitat nieht durch den Output definiert, der ohne jede Umverteilung von Einkommen pro­duziert wtirde. Dieser Output konnte zwar ausreiehen, urn die Bedtirfnisse aIler zu be­friedigen, aber er wtirde eben dann nicht produziert, wenn dieses Ziel durchgesetzt werden solI: Darin genau bestehtdie IrrationaIitat des Kapitalismus. Urn die Subsi­stenz alIer zu sichern, wird eine groBere Produktionskapazitat erforderlich sein. Haben wir heute schon »starken« UberfluB? Die Antwort hangt davon ab, (1) wieviel die Befuedigung der Grundbedtirfnisse alIer kostet, (2) von der gegenwiirtigen tech­nologischen und organisatorischen Produktionskapazitat und (3) von dem MaB, in dem diese Kapazitat unterausgelastet wtirde, wenn die Profitraten aufgrund der Ein­kommensumverteilung reduziert wtirden. Ich kenne die Antwort nicht; sie hangt von zuvielen technischen Proble~en abo Aber ieh vermute, daB wir nieht weit davon ent­fernt sind. 1m tibrigen wtirden die Markte auch im starken UberfluB manche Eigenschaften be­haIten, die SoziaIisten flir nachteilig halten. Sie wtirden immer noch irrational sein in dem Sinne, daB die Subsistenz alIernur urn den Preis der Unterauslastung der Produk­tionskapazitaten sichergestelIt werden konnte. Weiterhin wtirden sie immer noch be­trachtliche Ungleichheiten zur Folge haben: Die Voraussetzung ftir UberfluB besteht in der Tat darin, daB die Besitzer der produktivsten Faktoren den hochsten Gewinn erhaIten. Und weil sogar der MarktsoziaIismus mit Staatsintervention nur eine zweit­beste Losung ist, wird die gegenwiirtige Erntichterung tiber zentrale Planung uns nicht davon abhalten, nach einer besseren Alternative zu suchen: einem System, das die Okonomie auf die durch demokratische Prozesse artikulierten kolIektiven Prmeren­zen zuschneiden wtirde, ohne Ineffizienz zu bewirken. Doch selbst wenn Markt6ko­nomien Irrationalitat und Ungerechtigkeit perpetuieren; eine mit dem demokrati­schen Mandat zur Abschaffung der Armut ausgestattete Regierung konnte, wenn sie durch ihre Strategiewahl die Tragheitsverluste minimiert, bei starkem UberfluB in der Lage sein, ihr Ziel zu erreichen. Daher stelIt sich schlieBlich das »Wir« unserer Frage aIs wiehtiger heraus aIs das »konnte«. Die Antwort hangt nun offenbar ebensosehr von der Politik wie von der Okonomie abo Das ist keine Ubertreibung. Politische constraints konnen ebenso fes­seln wie okonomische; sie sind nieht weniger objektiv in einer Welt, in der es kein

Irrationalitat des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 163

»Wif« gibt, sondem nur partikularistische Staaten, Gruppen und Individuen, die urn die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen kiimpfen. Deshalb gilt, daB selbst, wenn »Wir« alle emahren konnten, nicht jeder von uns es tun wiirde. Tatsachlich ist die beste Reform, die wir uns als Ziel setzen konnten, den weitverbreiteten Genozid und die standigen Vorbereitungen fUr ihn abzuschaffen. Aber das ist eine Frage der Politik, nicht der Okonomie. Das wollte meine Tochter sagen.

Ubersetzung: Klaus Fritz

Anmerkungen

Mitte der siebziger Jahre hatten rund 500 Millionen Menschen nicht genug Nahrung, um zu leben und eine Milliarde nicht genug, um die zur Arbeit notige Energie aufzubringen. V gl. Mellor/Johnston 1984: 531-575.

2 Ein Mann verteilt Flugbliitter auf dem Roten Platz. Ein Polizist, der ihn aUfilalt, siehl, daB die Blatter leer sind. »Was soll das bedeuten? Was verteilen Sie da? Es steht nichts drauf!« ruft der liberraschte Ordnungshuter. »Keine Sorge«, antwortet der Mann. »Alle wissen es ... «

3. V gl. ein iihnliches Schema in Elster 1986. 4 Die marxistische Literatur besonders der sechziger und siebziger Jahre ist voller Argumente uber »fal­

sche Bedurfnisse«. In diesen Gesehichten bevorzugen die Menschen im Kapitalismus dies en nur des­halb, weil er kunstliehe Konsumbedurfnisse schaff! und befriedigt. Aber sobald es den Menschen moglieh sei, nieht diese entfremdeten, sondern wahrhaft menschliehe Bedurfnisse zu entwickeln, wlirden sie den Sozialismus vorziehen.

5 V gl. Weffort (1989 fUr entspreehende Beobachtungen in Brasilien, Moatti (1989) fUr einen Vergleich der Einstellungen junger und alter Leute in Frankreich und Kalyvas (1989) fUr eine Aufarbeitung von Daten zu Einstellungen gegenuber NationalisierungsmaBnahmen in GroBbritannien.

6 Diese Definition unterseheidet sich operational wohl nieht von der Noves (1983: 11), der als »mach­baren Sozialismus« ein System bezeichnet, das »innerhalb der Lebensspanne einer Generation reali­sierbar ist...ohne daB man extreme, utopisehe oder weit hergeholte Annahmen macht«.

7 Buchanan (1985: 44 f.) stellt einArgument vor, aufgrund des sen es moglieh sein soli, qua Beurteilung von Entwlirfen den ihnen entsprechenden realen Wohlstand zu vergleiehen. Er nennt es das »Ein­biBchen-Theorie-ist-besser-als-keine-Argument«. Es lauft so: "Nehmen wir an, wir wollten mit einer Kanone gegen ein weit entferntes Ziel schieBen. Wir haben einen Grundkurs in Physik absolviert und die Theorie del' Flugbahn eines idealen Projektils gelernt, also den Weg einer punktfOrmigen Masse im Vakuum innerhalb eines homogenen Gravitationsfeldes. Nati.irlich ist die Kanonenkugel keine punktformige Masse (sie ist ausgedehnt) und sie fliegt nicht durch ein Vakuum ... Es ware aber sieher vernunftiger, die Kanone in dem Winkel abzufeuern, den wir gemiiB den idealen Annahmen del' Theo­rie erreehnen, als einen zufalligen Winkel zu wahlen! Ahnlich ist es mit der Effizienzabschiitzung. Es ist besser, ein System zu wahlen, fUr das es eine Theorie gibt, aus der ein Effizienztheorem abzuleiten ist, als eines, fUr das es keine Theorie gibt«. leh frage mich allerdings, ob dieses Argument eben so liberzeugend ware, wenn man es als »Wilhelm-Tell-Argument« bezeichnen wurde. Die Schwierig­keit besteht darin, daB das Zweitbeste schrecklich sein kann: Man kann aus der Rangordnung del' be­sten Moglichkeiten nicht auf die del' zweitbesten sehlieBen.

8 Inkonsistenzen in del' Zeitperspektive konnen aueh zu revolutionaren Praferenzen fUhren: Konfisziert jetzt, macht euch spater Sorgen.

9 Vgl. fUr Untersuchungsdaten zu Polen Kolaska-Bobinska (1988), fUr Ungarn Bruszt (1988) und fUr eine Analyse der Sowjetuuion Aganbegyan (1988.

10 Ich setze voraus, daB die Leute wissen oder uberlegen konnen, was sie brauchen. Daher fasse ich Be­durfnisse als subjektiv bestimmt und als aquivalent zu Praferenzen fUr die produzierten Guter, fUr Freizeit und Leistung.

II Das klassische Bueh zu diesem Thema ist Dobb (1969).

164 Adam Przeworski

12 Nove zitiert die Auffassung des ungarischen Soziologen Ivan Szeleny, nach der die Arbeiter im So­zialismus mit Marktpreisen besser fahren wiirden. Davon bin ich nicht iiberzeugt. In Polen zumindest werden die Arbeiter gegenwiirtig mit Lotteriescheinen bezahlt, die ihnen eine Chance von eins zu drei verschaffen, das zu kriegen, was sie brauchen, wenn ihre Frauen oder Miitter in den Laden zuflillig auf etwas stoBen und einige Stunden in der Schlange verbringen. Bei Marktpreisen, die zweihundert bis dreihundert Prozent hoher waren, konnten sie wohl iiberhaupt nichts bekommen, selbst wenn sie mit Geld entlohnt wiirden.

13 Marx war der Auffassung, daB Revolutionen pareto-optimale Bewegungen seien, wei! sie dann auf­traten, wenn die Produktionsverhliltnisse die Entwicklung der Produktivkrafte in einem solchen MaB fesseln, daB das nachrevolutionare System ein enormes produktives Potential freisetzt. Schumpeter meinte, der Ubergang zum Sozialismus sei pareto-optimal, weir er dann geschlihe, wenn es keinen ei­gentlichen Kapitalisten mehr, sondern nur noch Angestellte des Kapitals geben wiirde. Diese Manager wiirden dann auch im Sozialismus gebraucht.

14 Bemerkenswert ist allerdings, daB chinesische Arbeiter offenbar sowohl gegen »Profitmacherei« (marktgenerierter Reichtum) wie gegen »Korruption« (Bereicherung von Biirokraten) opponieren.

15 Durkheim erinnert sich irgendwo daran, daB ein Motiv seiner sozlologischen Arbeit die Verwunde­rung dariiber war, daB er jeden Morgen urn halb sechs die Hintertiir seiner Wohnung Mfnen und eine Flasche Milch vorfinden konnte, ohne daB er den Milchmann kannte. Sozialisten waren davon iiber­zeugt, und manche sind es immer noch, daB die Flasche ohne zentralen Planer nicht hatte dort sein konnen. Allerdings hat sich herausgestellt, daB unter zentraler Planung entweder ein Mangel an Milch oder an Flaschen herrscht.

16 Oder, was dasselbe ist, die Herstellung des Gleichgewichts geschieht sofort und ohne Kosten. 17 Buchanan (1985, Kap. 2) liefert eine gute nicht-technische Zusammenfassung dieses Entwurfs;

Campbell (1987) ist ein technisches Handbuch. 18 Andere Kritiken lauten, daB (1) die Konkurrenz auf Neid gegriindet ist und (2) daB die kapitalistische

Produktion auf Profit zielt, nicht auf Gebrauch oder GenuS. Ich befasse mich im Augenblick nur mit der Kritik an der Irrationalitat des Kapitalismus, nicht mit der an seiner Ungerechtigkeit (hierzu unten). leh bin mir nicht sicher, was ich von einer jiingeren Kritik am kapitalistischen Modell halten soli, nlimlich Roemers (1989) Begriff der »Externalitat des Privateigentums«. Roemer zeigt, daB der Kapitalismus die unangenehme Eigenschaft hat, daB jemand materiell verlieren kann, wenn der Ge­samtbestand an produktiven Ressourcen, Kapital und Fertigkeiten, oder die technischen Kapazitaten zunehmen. Dies sollte bei ordentlich implementiertem offentlichen Eigentum vermieden werden. Aber es ist nichtklar, welche institutionelle Form dieses offentliche Eigentum annehmen konnte. Da­her neige ich zu der Auffassung, daB die »Externalitat des Privateigentums« nicht zu einer brauchba­ren Kritik am Kapitalismus taugt, da sie nicht auf eine denkbare Alternative verweist. In einer privaten Unterhaltung meinte Roemer, er halte inzwischen die Annahme technologischer Monotonitat fiir zu stark. Sie sollte keine notwendige Bedingung fiir offentliches Eigentum sein.

19 In Schumpeters Begriffen ist dies der Unterschied zwischen statischer und dynamischer Ineffizienz. 20 Eine auBerordentlich klare Darstellung dieser Kritik bietet O'Neill (1989: 200-211). 21 Marx betonte, daB unter kapitalistischen Bedingungen Kaufe und Verkaufe wegen des Dazwischen­

tretens von Geld auseinanderfallen. Die Folge ist, daB Angebot und Nachfrage nicht iibereinstimmen. 22 Das Problem der Annaherung ans Gleichgewicht ist zu unterscheiden von der Frage der Marktrau­

mung. 1m Licht jiingster Entwicklungen in der neoklassischen Theorie sind im Gleichgewicht Arbeit und Kapital unterausgelastet und die Markte nicht geraumt, wei! Kapitalisten, Geldgeber und Kon­sumenten Zinskosten haben, weir sie sicherstellen miissen, daB die Lohnabhangigen, Schuldner und Verkaufer Giiter und Dienstleistungen der vereinbarten Qualitat abliefern. Von daher ist der Kapi­talismus sogar im Konkurrenzgleichgewicht ineffizient. Nach dieser Sichtweise wiirden Arbeiter, die rur sich selbst arbeiteten, keine hohen Kosten fiir die Uberwachung ihrer Leistung erfordern. V gl. Bowles (1985), Bowles/Gintis (1989a; 1989b). - 1m iibrigen neigen die Okonomen zu einem verwir­renden Gebrauch des Begriffs »Gleichgewicht«. Da sie bis vor kurzem noch glaubten, daB Markte im­mer geraumt werden, verwenden sie diesen Begriffim intuitiven Sinn von »Balance«. Sie reden von »Ungleichgewicht«, wenn Markte nicht geraumt werden. Aber ein »Ungleichgewicht« ist ein Gleich­gewicht im mathematischen Sinne: ein Zustand, der ohne Anderung exogener Bedingungen nicht ver­andert wiirde, eben ein Gleichgewicht, in dem die Markte nicht geraumt werden.

Irrationalitat des Kapitalismus - Unmo g lich_k_e_it_d_e_s_S_o_z_i_a_li_sm~u_s~ __ ~~~~~~~~~~~~l_6_5

23 Irgendwie war es fUr Marx offensichtlieh, daB jede marktformige Giiterallokation, da sie dem indivi­duellen Eigeninteresse folgt und nicht dem gesellschaftlichen Interesse, kollektiv irrational sein mUB­teo Weiterhin ist fUr Marx und seine Anhiinger die Konkurrenz der Mechanismus, der flir die kollek­tive Suboptimalitat verantwortlich ist. Sie wirkt, flir die Individuen nieht nachvollziehbar, »hinter dem Riicken« der okonomischen Agenten. Daher sind die Resultate des Konkurrenzkampfes unvorhersag­bar. Und von diesem Punkt aus springt er zu dem SchluB, sie seien auch kollektiv nicht wlinschenswert. Ein Sprung, kein Argument: Es gibt keinen deduktiven Rahmen flir ein solches Argument.

24 Diese Behauptung impliziert nieht, daB der Sozialismus notwendig auf dieselbe Weise und mit denselben Verteilungswirkungen mit diesen Situationen umgehen miiBte.

25 Eine gleiehwertige Moglichkeit, zu diesem SchluB zu gelangen, ist zu zeigen, daB ohne extern ab­gesicherte langfristige Vertrage die gemeinsame Ausbeutung von Ressourcen zu ineffizienten Resul­taten flihrt. Genauer, wenn Kapitalisten und Arbeiter die Verteilung des Reichtums beeinflussen kon­nen, ist die Investitionsrate niedriger als sie es ware, wenn nur eine Klasse von Akteuren den gesamten Ertrag (liber die Subsistenzkosten bzw. die naehstbeste Opportunitathinaus) einstreiehen wiirde. V gl. die klassisehe Formulienmg bei Lancaster (1973); vgl. auchPrzeworski/W allerstein (1982), Levharil Mirman (1980).

26 Oder wenn wir Institutionen entwickeln kOl1l1ten, die den Gedanken des offentlichen Eigentums, wie er von Roemer (1989a, 1989b) vorgeschlagen wird, in dezentralisierter Form implementieren konnten.

27 leh bin mir nieht einmal sicher, ob ich den Beflirwortern des Kapitalismus nieht mehr zugestanden habe, als sie fiirihr eigenes Modell bereit sind zu beanspruchen. Das Modell, das ieh beschrieben habe, wird zwar nieht von allen, doch yom liberwiegenden Teil der neoklassischen Okonomen als inko­harent betrachtet. Fischer (1989: 36) behauptet in einer maBgeblichen Zusammenfassung des gegen­wartigen Wissenstandes, daB »gerade die Machtigkeit und Eleganz del' Gleichgewichtsanalyse oft die Tatsache verschleiert, daB sie auf einer sehr unsicheren Grundlage bemht. Wir haben keine ahnlich elegante Theorie dessen, was auj3erhalb des Gleichgewichtes passiert, wie sich die Akteure verhalten, wenn ihre Erwartungen enttauscht werden. Daher haben wir keine feste Gnmdlage flir unsere Annah­me, das Gleichgewicht konnen wiedererlangt oder aufrechterhalten werden, wenn es gestOrt wird«. Um die zum Gleichgewicht fUhrende Konvergenz der Erwartungen zu beweisen, miissen solehe Mo­delle entweder auf einen als Souffleur agierenden zentralen »Auktionatol'« zurlickgreifen oder auf Annahmen, die offensichtlich unsinning oder inkonsistent sind. Und einen Auktionator einzufUhren bedeutet schon, wie Hahn (1989: 64) bemerkt, die Pramisse zu verletzen, wonach der Informations­fluB dezentralisiert sei. Die neoklassischen Modelle flihren daher nur deshalb zu all den wunderbaren Pareto-Eigenschaften, weil sie Anpassungsprobleme ignorieren. Osterreiehische Modelle wiederum bieten keine Substanz flir Schllisse auf Pareto-Eigenschaften. Auf dieses Problem hat mich Heiner GanBmann aufmerksam gemacht.

28 Nehmeu wir an, del' Kapitalismus wlirde ala Hilferding »organisiert«, und konnte periodisehe Krisen erfolgreich vermeiden. Dann gabe es keine »Anarchie«, keine statische Ineffizienz. Aber dynamische Effizienz ware nur dann zu erreichen, wenn die Verteilung des Reichtums zu jedem Zeitpunkt der urspriingliehen Verteilung der Ressourcen folgen wUrde: Alle Versuche, die Verteilung von Konsum­ehancen und Freizeit zu andern, wiirden schwere Verluste nach sich ziehen. Der Kapitalismus wiirde daher, seien seinen Befiirwortern auch aIle Modella11nahmen zugestanden, immer 110eh irrational sein. Dssum meine ieh, daB statisehe Verschwendung fUr die sozialistische Kritik am Kapitalismus zweitrangig ist, aber aus GrUnden, die in der vorigen FuBnote Rngeflihrt werden, bin ieh miT dessen nieht ganz sicher.

291m Taylor-Lange-Lerner-Modell kann der Planer mit irgendeiner zufalligen Konstellation von Prei­sen beginnen, beobachlen, welche Markle nieht geraumt werden, die Preise korrigieren und damit das Gleiehgewicht herstellen. Dies ist in deren neoklassischem Ansatz moglich, weil es ein Set von Prei­sen gibt, die zur Marktrallmung fUhren und der Markt auf diese Preise hintendiert. Aber inzwischen wissen wir, daB »Tatonnement« nur unler entweder unsinnigen oder sehr speziellen Voraussetzungen wm Gleichgewicht fUhrt. In der osterreichischen Schule treten Preisbewegungen deshalb auf, wei! Handelsabschliisse augenblicklieh vollzogen werden. Daher kann der Planer nie das private Wissen zentralisieren, das zur Anderung der Preise flihrt. Zumindest lanlet so die Behauptung der AnMnger Hayeks, die meinen, Lange habe die Einwande der osterreichischen Schule der Planungsdebatte ge­gen den Sozialismus miBverstanden. V gl. hierzu Lavoie (1985); Kirzner (1988); Shapiro (1989).

166 Adam Przeworski

30 Ich bin mir dessen bewuBt, daB dies ein subjektives Urteil ist und ieh bin nieht sieher, wie Mei­nungsunterschiede tiber die Mogliehkeit sozialistischer Plankalkulation gelOst werden konnen. Nove (1983: 105) etwa glaubt, daB es »unmoglich ist, die Komplexitaten der gegenwiirtig betriebenen Pro­duktions- und Angebotsplanung zu >mathematisieren<, um ein effizienteres Funktionieren des zen­tralisielten Systems sicherzustellen«. Er betont, daB kein Planungssystem, so fOligeschritten es auch sein mag, mit der Variation del' Umwelt zu Rande kommen kann. lch frage mich allerdings: 1st die so­wjetische Okonomie komplexer als das weltumspannende Flugbuchungssystem?

31 Ich formuliere diese Annahme absichtlich in agnostischer Sprache. Normalerweise heiBt es, die Indi­viduen wtirden altruistisch werden, sich solidarisch verhalten oder miteinander kooperieren. Wenn wir allerdings unter Altruismus eine Nutzenfunktion verstehen, die den Konsum oder den Wohlstand anderer als Argumente hat, kann es aile mag lichen strategischen Probleme geben, bis hinzur kol­lektiven Irrationalitat in einer altruistischen Gesellschaft. V gl. hierzu Collard (1978). Tatsachlich is! es nicht einmal selbstverstandlich, daB altruistische Individuen ihre Praferenzen walu'haftig offenle­gen wiirden. Dasselbe gilt flir Solidaritat: Wie sollen einzelne Akteure wissen, welches Verhalten unter bestimmten Bedingungen solidarisch ist? Wenn der Manager eines Unternehmens, das ieh be­liefere, mich auffordert, seiner Firma ein flir ein anderes Unternehmen vorgesehenes Produkt zu ge­ben, da sie sonst den Plan nicht erftillen kanne, sollte ich dies tun? »Kooperation« wiedemm ist ein ziemlich verwaschener Begriff. In der Spieltheorie bedeutet Kooperation mal Kommunikation, mal externe Absichemng von Angeboten, mal Koalitionsbildung, mal die gemeinsame Wahl von Stra­tegie und, im Gefangenenclilemma, jecle Strategie, clie pareto-optimale Ergebnisse bervorbringt. Um­gangssprachlich meint Kooperation »sich clie Hand reichen«, wechselseitige Hilfe.

32 Wir wissen nicht, ob clie einzelnen Akteure ihre Praferenzen unci Fahigkeiten wahrhaftig offenlegen wiirden, wenn cler PlanungsprozeB demokratisch ware. Mitte der sechziger Jahre wurcle in Polen ein Entwurf des zentral vorbereiteten Plans auf allen Ebenen cliskutiert, bis hinab in einzelne Fabrikabtei­lungen. Mehrere Millionen Menschen nahmen daran teil. Der gesamte Output in der Folge clieser Dis­kussion war hOher als urspriinglich angesetzt, allerclings war auch cler verbrauchte Anteil des Natio­nalproduktes etwas hoher. Die meisten Korrekturen waren rationalisierencler Art. Die Arbeiter boten an, mehr als urspriinglich verlangt zu produzieren, wenn sie die erforclerliehen Ressourcen bekommen wtirden. Die Partei entschied jecloch, clie Parameter cles korrigierten Planes zu tiberziehen, weil sie clie Investitionsrate fUr unzureichend hielt. Meines Wissens ist dieses Experiment nie wiederholt worclen. V gL OstrowskilPrzeworski (1965).

33 VgL clie ungewohnlieh klare Formulierung bei Roemer (l989c). 34 Man konnte sich ein System denken, in dem der PlanungsprozeB clemokratisch in clem Sinne ist, claB

politische Parteien konkulTierencle Plane anbieten (Castoriaclis 1979). Sie konnten etwa mit Angebo­ten unterschiecllicher zeitlicher Praferenzen (oder Investitionsquoten) konkurrieren. Die Gruppierung mit den mittleren Praferenzen wtirde gewinnen unci cler entsprechende Plan durch die siegreiche Partei ausgearbeitet. Die Schwierigkeit mit diesem Vorschlag ist dieselbe wie beijeder Wahlplattform: Nur rudimentare Plane konnten Yom allgemeinen Publikum verstanden werden und die Probleme ge­sellschaftlicher Wahl wiirclen ihr haBliches Haupt erheben.

35 Der Begriff »Mechanismus« kann mit Hilfe cler Spieltheorie definielt werden. Nehmen wir an, der zen­trale Planer wolle eine utilitaristische Nutzenfunktion maximieren. Wenn der Planer clie N utzenfunktio­nen aller Haushalte und die Produktionsfunktion aller Firrnen kennt, ware c1ie Losung seines Problems ein Vektor y*(x) aus Konsumgiitern und Freizeit, wobei x ein Inputvektor sei. Ein okonomischer Me­chanismus implementiert c1iese Losung, wenn er ein dezentrales Spiel darstellt, dessen Losung, bei pri­vatem Wissen tiber Nutzen- und Procluktionsfunktionen, clie Allokation y*(x) ist. V gl. Hurwicz (1973).

36 John Roemer ist cler Auffassung, claB die Pramissen und die pessimistischen SchluBfolgerungen der Implementationstheorie zu stark seien, da sie annimmt, der Planer wisse nichts. Tatsachlich brancht cler Planer nicht die Eigenschaften bestimmter Indivicluen zu kennen; es mag ausreichen, daB clie sta­tistische Verteilnng cler Charakteristika bekannt is!. Bislang allerdings hat Roemer keinen dezentralen Mechanismus gefunden, der institutionell praktikabel ware und keins der Axiome verletzen wtirde, clie er fUr wtinschenswerte Merkmale jecler dezentralen Implementation offentlichen Eigentums halt. VgJ. eine Reihe neuerer Arbeiten, v.a. Roemer (1989c).

37 Einen neueren Uberblick tiber clerartige Studien und eine umfassencle Sammlung von Statistiken bietet Bideleux (1985).

Irrationalitiit des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 167

38 Die Einkommensunterschiede in der Sowjetunion und Ungarn sind etwas geringer als in den entwik­kelten kapitalistischen Llindem, aber durchaus vergleichbar mit Schweden und Japan. Vgl. zur So­wjetunion Bergson (1984); zu Ungam Komai (1986); zu Polen Wnuk-Lipinski (1989). Ein sowjeti­scher Okonom hat vor kurzem klargestellt, daB der Anteil der Arbeiterlohne am Bruttosozialprodukt 37 Prozent betragt: weit unter dem in entwickelten kapitalistischen Landem und ungefahr auf dem Ni­veau von Mexiko oder Venezuela. Viktor Zaslavsky (1987-88: 35) nennt Daten, wonach die Halfte der Baukguthaben in der Sowjetunion von nur drei Prozent der Konten verbucht sind. GemiiB einem Interview im Nouvel Observateur (15.-21.6.1989: 99) betragen die Pro-Kopf-Ausgaben in den Spe­zialkrankenhausern der Nomenklatura 111 Rubel am Tag, in gewohnlichen Kraukenhausern 24 Ru­bel. Polen und die Sowjetunion sind im iibrigen die einzigen Lander der Welt, in denen die Lebens­erwartung im Laufe der letzten Jahre gesuuken ist.

39 Vgl. die Tabellen in Polacy 88 (1989). 40 Ein Blick auf die Militarausgaben konnte zur Losung des Ratsels beitragen, obwohl einschlagige

Schatzungen bekanntlich unzuverlassig sind. GroBziigigen Schatzungen zufolge gibt die Sowjet­union acht Prozent ihres Bruttosozialproduktes mehr aus als die Vereinigten Staaten. Bei einem Ka­pital/Output-Verhiiltnis von 4 ist dies gleichbedeutend mit einem Unterschied von zwei Prozent bei den Wachstumsraten.

41 Vgl. zum Thema »Gigantomanie« Zalyguine (1987). 42 Zwischen 1977 und 1983 fiel das Bruttosozialprodukt pro Kopf in Uruguay urn 16 Prozent, in Ar­

gentinien urn 12 Prozent, in Chile urn 11 Prozent und in Brasilien urn 9 Prozent. CEPAL-Daten, zit. n. Weffort (1989). In Polen fiel das Pro-Kopf-Eiukommen zwischen 1978 und 1985 urn 8 Prozent. In der Sowjetunion wurden 1985 nicht mehr Hauser gebaut als zwanzig Jahre vorher und das landwirt­schaftliche Pro-Kopf-Produkt ist seit 1978 nicht gestiegen. Die Sterbequote stieg von 6,7 pro Tausend in den sechziger Jahren auf 10,6 im Jahr 1985, die Lebenserwartung bei Geburt sank von 70 auf 68 Jahre und die Kindersterblichkeit nahm zu. Vgl. Aganbegyan (1988).

43 Warum dies fast zur selben Zeit im kapitalistischen Siiden und im sozialistischen Osten passiert ist, weiB ich nicht. Eine mogliche Erklarung ist die Schuldenlast, aber dieses Argument scheint nicht hin­reichend. »Selbst wenn das Finanzkapital den Strick geliefert hat, muBte jemand anderer den Henker besorgen«, bemerkt Comisso (i. Ersch.) zu einer Reihe okonomischer Stiimpereien. 1m iibrigen kenne ich keine Studie, in der Wachs tum und Schuldenlast korreliert werden. Comisso sieht die Ursache in den Konkurrenzblockaden in Form der zentralen Planung im Sozialismus und in Form der Monopol­stellung staatlicher Unternehmen in den Llindern des kapitalistischen Siidens. Die Gleichzeitigkeit des Kollapses deutet allerdings auf eine gemeinsame zugrundeliegende Ursache hin.

44 Die umfassendste Darstellung dieses Arguments ist Staniszkis (1984) zu verdauken, aber die gleichen Intentionen finden sich bei Wiatr (1989) und Abalkin (1988).

45 Eine hervorragende Analyse solcher Reformen und der Griinde ihres Scheiters bietet Asselain (o.J.). Vgl. auch Nove (1983) und Kornai (1986).

46 Ein polnischer Manager soli bemerkt haben: »Wir wissen, daB wir unabhlingig sind, aber wer sagt uns, was wir produzieren sollen?« Vgl. Thurow (1986).

47 Vgl. Zaleski (1984) fiir ausgiebige empirische Evidenz. Zaleski (S. 615) kommt zu dem SchluB, daB »die Existenz eines zentralen, kohartnten und perfekten Plans, der aufgeteilt und dann auf allen Ebe­nen ausgefiihrt wird, tatsachlich nichts als ein Mythos ist. In jeder dirigierten Okonomie finden sich unziihlige Plline in stlindiger Entwicklung, die eindeutig erst ex post koordiniert werden, wenn sie schon in Marsch gesetzt sind«.

48 Ich behaupte nicht, daB der Planer keine Prioritaten haben konnte, die abwichen von dem Allokations­muster von Produktionsmitteln, das erforderlich ist, urn den Konsumgiitermarkt ins Gleichgewicht zu bringen. Sozialistische Biirger konnten mittels eines demokratischen Mechanismus fiir eine Alloka­tion von Konsumgiitern votieren, die von jener abweicht, die sie qua Markthandeln generieren. Der Planer wiirde dann zurecht versuchen, dieses Ziel zu verwirklichen. Die Okonomie insgesamt wird nicht ins Gleichgewicht kommen, wenn die Konsumgiiterallokation iiber den Markt verlauft und die Produktionsgiiter vom Planer verteilt werden, es sei denn, der Konsumgiitermarkt wiirde durch in­direkte staatliche Intervention modifiziert.

49 Dies ist keine Vorhersage iiber den zukiinftigen Kurs sozialistischer Systeme. Ich glaube nicht, daB das zentralisierte Planungssystem einfach deshalb durch Markte ersetzt werden wird, weil es nicht re-

168 Adam Przeworski

fonniert werden kann. Der ProzeB des Ubergangs yom Sozialismus zum Kapitalismus hat eine eigen­tiimliche politische Dynamik:- Da die Einfiihrung von Markten fiir die meisten Leute schmerzhaft ist, haben sie gute Griinde, und mit gleichzeitig fortschreitender Demokratisierung, effektive Mittel, dies zu verhindern.

50 Die ernsthafteste Infragestellung der Moglichkeit des Marktsozialismus ist ein Argument von Axel Lejonhufvud (1986: 219). Weil Maschinen spezialisierter sind als Arbeitskrafte, sind Finnen, die ei­nen Kapitalpool bilden und Arbeitskrafte anheuern, effizienter als Firmen, die einen Arbeitskrafte­pool bilden und Maschinen pachten.

51 Bauer (1989) weist allerdings daraufhin, daB private Unternehmer, die in einem System biirokrati­scher Allokation tatig sind, davor gewarnt werden, sich unverhiillt profitorientiert zu verhalten, da die Preise, die sie verlangen konnen und die Hohe ihrer Einkommen politische Reaktionen provozieren konnten.

52 Es sei daraufhingewiesen, daB diese Behauptung nicht den UmkehrschluB zuliiBt: einige gemischte Systeme konnten fiirchterlich sein.

53 Weltbankdaten von 1985 fiir den Produktionssektor. 54 Bemerkenswert ist, daB in den entwickelten kapitalistischen Landern die Einkommen aus Eigentum

und freiberuflicher Tatigkeit nicht den Hauptteil im oberen Fiinftel der Haushaltseinkommen aus­machen. Dieser Anteil betragt 17,3 % in den {,JSA (das obere Fiinftel bezieht 35,9 % aller Einkom­men), 16,3 % in Kanada (33,2 % aller Einkommen), 7,5 % in GroBbritannien (31,9 %), 4,8 % in Schweden (27,1 %) und 22,4 % in Norwegen (30,3 %), aber hier iiberwiegend aus freiberuflicher Tatigkeit. VgL RainwaterITorrey/Smeeding (1989).

55 Gegenteiliger Ansicht sind u.a. Dahl (1985) und Bowles/Gintis (1986). 56 Nach dem auf die reale Kanfkraft umgerechneten Bruttosozialprodukt. Den konventionellen BSP­

Daten der Weltbank zufolge ist sie fiinfundsiebzigmal hoher. 57 Aile Daten stammen aus dem Development Report der Weltbank (1987). Mit Ausnahme der Ver­

teilung derHaushaltseinkommen gelten sie fiir das Jahr 1985. 58 In den Landern, fiir die Daten verfiigbar sind, betragt der Anteil absoluter Annut vor Steuern und

Transferleistungen 5,6 % in Schweden, 5,8 % in der Schweiz, 7,4 % in Kanada, 8,3 % in der Bun­desrepublik Deutschland, 11,8 % in GroBbritannien, 12,7 % in den Vereinigten Staaten und 13,2 % in Australien. V gL Rainwater et aL (1989). Meine Behauptung gilt mit Vorbehalt, weil Daten zur Ar­mut in den sozialistischen Landern sparlich sind. Matthews (1986) zeigt, daB Annut in Ungarn, Po­len und der Sowjetunion keine Seltenheit ist; Daten iiber die DDR sind kaum aufzutreiben.

59 Wichtig ist, daB die Regierungsmacht sozialistischer Parteien nicht ausreicht: Frankreich nach 1981 ist ein Beispiel dafiir. Das statistische Material scheint in der Tat darauf hinzuweisen, daB die besten okonomischen Leistungen unter den OECD-Mitgliedern von Landern erzielt werden, in denen starke Gewerkschaften einhergehen mit sozialistischer Regierungsmacht, gefolgt von den Landern, die schwache Gewerkschaften und biirgerliche Parteien an der Regierung haben. Diesen folgen Systeme, die starke Gewerkschaften mit dominierenden Rechtsparteien verbinden, oder umgekehrt. V gl. Bru­no/Sachs (1985); Hicks (1988); Lange/Garrett (1985).

60 Das besonders dornige Problem besteht aus meiner Sicht darin, eine Theorie mit haltbaren Annahmen zur Technologie und zum technischen Fortschritt zu entwickeln, die gleichzeitig die dauerhaften Dif­ferenzen zwischen einzelnen Landern erklaren wiirde. Wenn zumindest ein Faktor variabel ist, fiihrt die Annahme konstanter Produktionskoeffizienten zu dem SchluB, daB ein Land reich. sei und aile an­deren arm; geht man von konkaven Technologien aus, gelangt man zu der Folgerung, daB die Kluft zwi­schen den Landern verschwinden wiirde; die Annahme wachsender Ertrage auf bestimmte Anlagen ist mit dem empirischen Material nicht zu vereinbaren. Daher setzt ein Autor wie Lucas schlieBlich auf wachsende Ertrage aufgrund externer Faktoren beim Humankapital: entweder werden bestimmte Indi­viduen produktiver, wenn sie mit besser ausgebildeten Partnern zusammenarbeiten, oder bestimmte Prozesse sind effektiver, wenn sie mit anderen effektiven Prozessen verkniipft sind (Lucas 1988). -

61 Einerseits scheint das historische Material daraufhinzudeuten, daB das Britische Empire seinen Kolo­nien Schaden zugefiigt hat, ohne von ihnen zu profitieren. Andererseits hatten einige der erfolgreich­sten kapitalistischen Lander, etwa Schweden, keine Kolonien. Die starkste Evidenz gegen die Annah­me indirekter Ausbeutungsmechanismen ist schlieBlich wiederum, daB die Wachstumsraten im globalen Vergleich stark kovariieren.

Irrationalitdt des Kapitalismus - Unmoglichkeit des Sozialismus 169

62 V gl. eine ausflihrliche Version des folgenden in Przeworski (1989). 63 V gl. Przeworski/W allerstein (1988) flir ein Argument, wonach Regierungen die Einkommensvertei­

lung kontrollieren konnen, ohne die Investitionsrate zu reduzieren. 64 Die Antwort nahelt sich den Auffassungen von Robert van der Veen und Phillipe von Parijs (1986).

Das folgende stiitzt sich auf meine Bemerkungen zu ihrem Artikel (Przeworski 1986). Allerdings war ieh damals noch der Auffassung, der erforderliche UberfluB miisse »schwach«, nicht »stark« sein. Tatsachlich wird mehr benotigt als das Entwicklungsniveau eines »schwachen« Uberflusses, das es erlauben wiirde, bei voller Auslastung aller Mittel die Grundbediirfnisse zu stillen.

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Zu den Autoren

Michael Burawoy lehrt Soziologie an der Universitat von Berkeley, Kalifornien

Diane Elson ist und arbeitet an der Universitat von Manchester

Lutz Marz ist Produktionsleiter im VEB Kabelwerk Adlershof in Berlin

Adam Przeworski lehrt '-J"V"'JU"" an der Universitat von ~H'''L'MV

Riese lehrt am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der FU Berlin

Immanuel Wallerstein lehrt am Fernand-Braudel-Center der State of New

11, Berliner Voikslini Pfingsten, 1, bis 4. 1

Der Sozi lis US ist tot • Es lebe der Sozialis US

-+ Sozialismus ohne Zukunft? - Siege des Kapitalismus? -+ Demokratischer Sozialismus als 3.Weg -+ Scheitert die Perestroika an ihren Erfolgen? -+ plan loser Sozialismus und geplanter Markt

-+ rot-grline Zeiten im neuen Deutschland -+ Kein neuer Staat ohne Frauen! Quotiertes Vaterland? -+ Berlin - Stadt der Frauen? -+ Neue Hegemonialmacht in Europa? -+ Diskussionsforum Umweltpolitik -+ Umbau dar Offentlichkeit in der -+ Rechtsradikalismus in Deutschland

-+ Umbau der Gewerkschaftspolitik: Kooperation oder -+ Betriebsrate, ArbeitszeitverkOrzung Mitbestimmung

-+ Aufl6sung -+ in Perestroika-Zeiten -+

(SOdafrika) Ensemble: Lenins Tod Diskussion)

April ist Groningerstr. 1000

beilegen). . (030)

Verlag Westralisches Dampfboot

Reihe: Theorie und Geschichie der biirgerlichen Gesellschaft: Mit dieser Reihe versucht der Verlag, dem breiten Interesse an historischen Themen ebenso Rechnung zu tragen wie einer zunehmenden Orientierungslosigkeit angesichts einer Gegen­wart, der die Zukunft abhanden zu kommen scheint. Das soli geschehen dUTch historisch­theoretische Grundlagentexte, in denen der fiir "die Geschichte" immer wieder fragliche Zusammenhang von gesellschaftlicher Struktur und Handeln auch seiner politischen Form nach aufgenommen undfiir wichtige Knotenpunkte des historischen Prozesses entsehliisselt wird. Dabei wird ausgegangen von der Gesellsehaft in ihrer gegenwartigen VerfaBtheit, ohne diese damit als Endzustand zu fixieren. Die Reihe wendel sich an ein wissenschaft­lich und politisch interessiertes Publikum, dem die Ausrichtung auf voneinander getrennte Wissensehaftsdisziplinen fraglich geworden ist. In einem breiten Verstiindnis von Sozialwis­sensehaft sind Soziologie und Geschichtswissenschaft ebenso aufgehoben wie Politikwissen­sehaft und Kulturanthropologie. Pro Jahr werden in der Regel 1-2 Biinde erscheinen. Herausgeberln: Heide Gerstenberger, Hans-Giinter Thien

Heide Gerstenberger:

Die subjektlose Gewalt Theorie der Entstehung biirgerlicher Staatsgewalt (Band 1)

ca. 800 S.; ca. DM 78,00;ISBN 3-924550--40--9

Den modernisierungstheoretischen und materialistischen Varianten struktur-funktionaler Staatstheorie wird eine historisch-theoretische Erkliirung, die von der langfristig struktu­rierenden Wirkung konkreter sozialer Praxis ausgeht, entgegengestellt. Verdeutlicht wird dies exemplarisehen an del' Entwieklung biirgerlicher Staatsgewalt in England und Frank­reich.

Reinhart J( opfer:

Arbeitskult ur Ind ustrialisierungsprozeB Studien an englischen und smyjetrussischen Paradigmata (Band 2)

ca. 550 S.; ca. DM 65,00; ISBN 3-924550-41-7

Ausgehend von aktuellen Problemen nachholender Industrialisierung werden im Riickgriff auf die industrielle Revolution in England und die Anfiinge der sowjetisehen Arbeitspolitik Formen del' Selbstorganisation und des Widerstands sowie Versuche del' Disziplinierung von auBen dal'gestellt.

H ansgeorg Conert:

Krise und Reform def sowjetischen Wirtschaft unter Gorbatschow ca. 300 S.; ca. DM 34,00; ISBN 3-924550-43-3

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