Präzision und Unsicherheit -...

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Präzision und Unsicherheit Die Berechnung der Lebenswelt und die gesellschaftlichen Folgen 11. Oktober 2016 Aula der Kunsthochschule für Medien Köln

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Präzision und Unsicherheit Die Berechnung der Lebenswelt und die gesellschaftlichen Folgen

11. Oktober 2016Aula der Kunsthochschule für Medien Köln

Einleitung: Cologne Futures 16Präzision und Unsicherheit

Das Interesse des Menschen an seiner Selbstbeschreibung und Selbstbestimmung hat

eine lange Tradition. Dafür steht die wissenschaftliche Disziplin der Anthropologie. Die

kybernetische Anthropologie betont den Einfluss der IT-Technik: Gemessen an den

bestehenden Datenpunkten zu jedem Einzelnen haben wir heute ein bisher unerreichtes

Ausmaß an Präzision der Beschreibung und Bestimmung des Menschen erreicht. Die

Kenntnisse der Genetik und immer umfangreichere Datenprotokolle, die alle

Lebensbereiche dokumentieren, ohne dass dafür Anstrengungen erforderlich wären,

beides trägt dazu bei. Unsere Daten machen unsere Vergangenheit in ungekanntem

Detailreichtum sichtbar.

Das geschieht einerseits freiwillig und unter Kontrolle der einzelnen Person (quantified

self), andererseits nur unter begrenzter Kontrolle des Einzelnen durch Unternehmen

(Google, Amazon, Facebook etc.). Aus der Analyse dieser Datenprotokolle ergeben sich

recht weitreichende Thesen über das zukünftige Schicksal des Einzelnen. Die

Kalifornische Ideologie leitet ihre Autorität aus einer starken Verallgemeinerung dieser

Vorhersage ab, oder schreibt der Technik selbst die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu.

Typischerweise übertragen Anhänger der Kalifornischen Ideologie die Vorhersagekraft der

Datenanalyse kurzerhand auf die Zukunft aller Menschen. Kevin Kellys Bücher tragen

unter anderem die Titel: „The Inevitable“ und „What Technology Wants“. Im Jahr 2006 hielt

er einen Vortrag mit dem Titel: „The Next Fifty Years of Science“. Kritiker sehen darin eine

Form gegenwärtiger Mystik.

Dieser tatsächlichen oder behaupteten Vorhersagekraft stehen die realen Arbeits- und

Lebenserfahrungen vieler Einzelner gegenüber. Dort bleibt die Vorstellung einer

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ungewissen Zukunft. Die Lebenszeit wird länger, aber die Erfüllung des kalifornischen

Selbstverwirklichungs- und Glücksversprechens, sie wird doch nur für eine kleine

Minderheit zur Realität. Ray Kurzweil von Google scherzte im Jahr 2014: „I like to say, I

retired when I was five, when I decided to be an inventor and decided pursuing my

passion.“1

Doch die Möglichkeiten der Selbstmessung und der daraus folgenden Selbstoptimierung,

sie stehen auch allen anderen Nicht-Genies zur Verfügung. Die nicht-kalifornische

Lebenserfahrung zeigt: Die technologische Entwicklung beschleunigt nur das Hamsterrad,

in dem der durchschnittliche Einzelne steckt. Angesichts dieser conditio humana von

Präzision und Unsicherheit wollen wir uns bei den Cologne Futures 16 auf die Suche nach

Alternativen zum technosozialen Supersystem machen.

1 https://archive.org/details/073114OSPODCASTEndOfWork Min 14 Sek. 27; abgerufen am 20. Juni 2016.

Cologne Futures 16 / Vorläufiger Ablauf

10.00 – 10.15 Uhr

Begrüßung:

Dr. Reza Moussavian (Telekom AG) und Dr. Lutz Hachmeister (IfM)

10.15 – 11.30 Uhr

Harald Welzer: Smarte Diktatur? Fiktionen der Berechenbarkeit.

Im Anschluss: Wolfgang Gründinger diskutiert mit Harald Welzer

(Arbeitstitel)

11.30 – 12.00 Uhr

Kaffeepause

12.00 – 13.00 Uhr

Julia Hobsbawm: Knowledge, Networks and Time. Finding the Balance.

(Englisch; Arbeitstitel, anschließend Diskussion)

13.00 – 14.30 Uhr

Mittagspause

14.30 – 15.45Uhr

Paul-Olivier Dehaye: Politics of Smart Learning

(Englisch; Arbeitstitel, anschließend Diskussion)

15.45 – 16.15 Uhr

Kaffeepause

16.15 – 17.30 Uhr

Paul-Olivier Dehaye im Gespräch mit Lutz Hachmeister

Im Rahmen des Cologne Film Festivals:

19.00 Uhr

Screening: Werner Herzog

„Low and Behold. Reveries of the Connected World.“

98 Min.

Die Speaker der Cologne Futures 16

Harald Welzer (*1958)

Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer

ist Honorarprofessor für Transformationsdesign an

der Europa-Universität Flensburg. Er lehrt außerdem

an der Universität St. Gallen und ist Mitglied

zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte und

Akademien. Welzer ist Mitbegründer der

gemeinnützigen Stiftung Futurzwei.

Ihr Ziel ist die Entdeckung und Förderung alternativer Lebensstile und Wirtschaftsformen.

https://twitter.com/futurzwei_org

Publikationen (Auswahl):

Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit. (2016)

Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. (2013)

Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. (2008)

Wolfgang Gründinger (*1984)

Wolfgang Gründinger studierte Politikwissenschaft, Soziologie

und Demokratieforschung. Seine publizistischen

Schwerpunkte liegen in der Energiepolitik, dem Lobbyismus,

der Generationen-gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit. Er ist

Sprecher der Stiftung

für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Think

Tank 30, der jungen Denkfabrik des Club ofRome.

https://twitter.com/wolfibey

Publikationen (Auswahl):

Alte-Säcke-Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen. (2016)

Aufstand der Jungen – Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können. (2009)

Julia Hobsbawm (*1965)

Nach dem Abbruch ihres Studiums arbeitete Julia

Hobsbawm in den frühen 1980er Jahren bei

Londoner Verlagshäusern (Martin Duntz, Penguin,

Virago) – zunächst im Rechnungswesen. In den

späten 1980er Jahren war sie für Thames TV und

die BBC als Researcherin tätig. Im Jahr 1992

gründete Julia Hobsbawm ihre erste PR Agentur.

2005 gingen ihre FolgeprojekteEditorial Intelligence und die Konferenzreihe

namesnotnumbers.com an den Start.

Sie ist seit 2011 Honorarprofessorin für Networking an der Cass Business School in

London. Im Jahr 2017 wird ihr Buch FullyConnected: HowtoSurviveandThrive in the Age

ofOverload erscheinen.

https://twitter.com/juliahobsbawm

Publikationen (Auswahl):

WheretheTruth Lies: Trust andMorality in the Business ofPr, Journalismand

Communications. (2010)

See-saw: 100 Recipesfor Work-life Balance. (2009)

Paul-Olivier Dehaye (*1970)

Paul-Olivier Dehaye ist Professor am Institut für

Mathematik in Zürich – mit den Arbeitsfeldern

Kombinatorik und Zahlentheorie. Er war Junior

Research Fellow am Merton College an der

Universität von Oxford und erhielt seinen Ph. D. an

der Stanford University. Im Oktober 2014 verlangte

Dehaye vom amerikanischen Online-Bildungsunternehmen Coursera die Herausgabe

seiner personenbezogenen Daten. Coursera lehnte ab.

Seit 2015 befindet er sich in einem Rechtsstreit mit dem Unternehmen.

https://twitter.com/podehaye

Artikel (Auswahl):

Investigation on datatransfersbetweenCourseraandthe University ofZurich.(2016)

Privacy complaint in 13 European regionsagainstCoursera, Inc.(2016)

Coursera, thirdpartytrackingandtransatlanticsubjectaccessrequests.(2016)