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Inhalt
Die innere Uhr 4Der Mithras-Kult 7Der Himmel in den Religionen und ihren Festen 10Die atmende Orgel 12Duft und Erinnerung 14Der Schokoladentest 17Die Psychologie des Schenkens 19Potlatch – wie Schenken außer Kontrolle geraten kann... 22Lesetipps 24Linktipps 25
Impressum
Text: Falko Daub, Heinz Greuling,Jan Krüger, Daniel Münter
Redaktion und Koordination: Claudia Heiss
Copyright: WDR Januar 2004Weitere Informationen erhalten sie unter: www.quarks.de
Gestaltung: Designbureau Kremer & Mahler, KölnDiese Broschüre wurde auf 100 % chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
Bildnachweise:
Alle Abbildungen wdr ausser: Isenheimer Altar S.10 – Rechte: AKGChanukkaleuchter – Rechte: AKGGanesha – Rechte: dpa
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Verführerische Weihnachtszeit
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Tages- und Jahresrhythmus
Im Zentrum chronobiologischer Forschungen steht vorallem die so genannte circadiane Rhythmik. Dabei unter-suchen die Wissenschaftler besonders den Einfluss dessteten Wechsels von Tag und Nacht auf den menschlichenKörper. Doch wie steht es um die rhythmischen Verände-rungen, die sich mit dem Wechsel der Jahreszeiten erge-ben? Nimmt im Verlauf des Herbstes unser Körper den all-mählichen Rückgang des Lichtes bis hin zur Winter-sonnenwende wahr? In der Natur beobachten wir wieselbstverständlich einen Jahresrhythmus: Mit den kürzerwerdenden Tagen verlieren die Bäume ihre Blätter. VielePflanzen speichern ihre Energie in ihren Wurzeln oderKnollen, um im nächsten Frühling wieder neu auszutrei-ben. Einige Tiere bereiten sich auf den Winterschlaf vor,während andere es vorziehen, die dunkle Jahreszeit inwärmeren Gefilden zu verbringen. Folgt nur der Menschscheinbar unbeeindruckt seinem gewohnten Tagesablauf?Eine Antwort darauf könnten die Chronobiologen geben.
Circaanualer Rhythmus
Bei einigen Tierarten wurde sogar eine Jahresrhythmikbeobachtet, obwohl sie vollkommen von der natürlichenAußenwelt abgeschirmt waren. So bereitet sich ein Feld-hamster, der im Labor geboren wurde, auf seinen Winter-schlaf vor, obwohl er noch nie das Tageslicht gesehen hat.Auch beim Menschen, so vermuten die Chronobiologen,scheint eine solche circaanuale Rhythmik im Wandel derJahreszeiten fest verankert zu sein. Das lässt sich im Expe-riment jedoch nicht darstellen, da man menschlicheProbanden nicht über mehrere Jahre hinweg von jeglichenUmwelteinflüssen abschotten kann. Auch hat sich derMensch im Industriezeitalter immer weiter von den natür-lichen Rhythmen entfernt. Beheizte Wohnungen schützenihn vor Kälte, und künstliches Licht verlängert den Tag,auch wenn die Sonne im Winter schon längst untergegan-gen ist. Und doch finden die Chronobiologen immer wie-der Indizien dafür, dass es einen Einfluss der Jahreszeitenauf den menschlichen Organismus gibt.
Auch das menschliche Gehirn nimmt den jahreszeitlichenWechsel des Lichts wahr. Im Winter sind wir dadurchantriebsärmer und brauchen nach Ansicht von Schlaffor-
Tickt unsere innere Uhr im
Winter anders?
Der Wintermensch
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Jedes Jahr, wenn die Tage immer kürzer werden und derHerbst langsam in den Winter übergeht spüren wir förm-lich, wie die Adventszeit und damit das Weihnachtsfestimmer näher rücken. Wir sehnen uns nach Kerzenlicht,selbstgebackenen Plätzchen und Gemütlichkeit. Aber istdas wirklich so? Ändern sich unsere Bedürfnisse in derdunklen Jahreszeit und erreichen in Weihnachten ihrenHöhepunkt?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, erforschenWissenschaftler ein spezielles System, mit dem unserKörper ausgestattet ist: die so genannte innere Uhr. Dieinnere Uhr bestimmt unseren Tagesrhythmus von früh bisspät: Wann wir für gewöhnlich aufstehen, aktiv sind, früh-stücken oder zu Abend essen und wieder zu Bett gehen.Im Normalfall nehmen wir die innere Uhr kaum wahr. Erstwenn wir gegen sie leben und unseren gewöhnlichenRhythmus durchbrechen, bekommen wir die Auswirkun-gen zu spüren. Besonders deutlich wird das zum Beispielnach einer Flugreise über mehrere Zeitzonen hinweg.Während des so genannten Jetlags hat unsere innere UhrProbleme damit, sich an die neuen äußeren Gegebenheitenanzupassen.
Es gibt eine Wissenschaft, die sich speziell mit unsererinneren Uhr beschäftigt, die Chronobiologie.
Das Stellen der Uhr
Die innere Uhr ist zwar fest in uns verankert, wird aberständig durch äußere Einflüsse neu gestellt. Dafür ist vorallem das Licht der Sonne als „Zeitgeber“ verantwortlich.Die Schaltzentrale für diese Vorgänge befindet sich ineinem kleinen Bereich in unserem Gehirn, dem Suprachias-matischen Nucleus (SCN). Dieser reiskorngroße Kern(Nucleus) liegt über (supra) der Kreuzung der Sehnerven(Chiasma opticum). Im SCN werden die vom Auge wahrge-nommen Lichtreize verarbeitet und zur Zirbeldrüse (Epi-physe) weitergeleitet. Dieses kleine System aus SCN undZirbeldrüse beeinflusst durch das Ausschütten vonHormonen unter anderem die Körpertemperatur, den Blut-druck und die Stoffwechselvorgänge. Es stellt abends denKörper sozusagen von Tag- auf Nachtbetrieb um und lässtuns morgens wieder in Gang kommen.
Die Schaltzentrale
der inneren Uhr
Die innere Uhr
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schern mindestens eine halbe Stunde mehr Schlaf. UnserStoffwechsel verlangt anstelle von Eiweißen nach mehrKohlenhydraten – wir essen mehr Süßes. Mediziner beob-achten, dass jetzt beim Menschen eine höhere Anfälligkeitfür negative Emotionen besteht. Sie erkennen einen Hangzu Feindseligkeit und Ärger, sowie zu Irritierbarkeit, bishin zur Angst. Bei einigen Menschen kann der Lichtmangelsogar zu einer Winterdepression führen, die jedes Jahretwa zur gleichen Zeit wieder auftritt. Zur Therapie derar-tiger Depressionen werden starke Tageslichtlampen ver-wendet, deren Intensität bis zu 25 mal höher ist, als nor-male Wohnraumbeleuchtung. Die übliche künstliche Wohn-raumbeleuchtung erreicht lediglich eine Beleuchtungs-stärke von 100 bis 500 Lux, wohingegen Tageslicht selbstbei bedecktem Himmel bis zu 10.000 Lux aufweist. Aneinem sonnenreichen Sommermittag können sogar Wertevon über 100.000 Lux erreicht werden.
Selbst der menschliche Hormonhaushalt und das Immun-system unterliegen einem jährlichen Rhythmus. So kön-nen Fachleute bei zwei Blutproben derselben Personunterscheiden, welche im Sommer und welche im Winterabgenommen wurde.
Der moderne Mensch
In unserer fortschreitend technisierten Welt fällt es jedochimmer schwerer, unsere innere Uhr mit der natürlichenLänge des Tages zu synchronisieren. Der berufliche Alltagfindet häufig in künstlich beleuchteten Räumen statt undam Abend wird diese Art der Beleuchtung fortgeführt.
Die Grenzen zwischen Tag und Nacht, Sommer und Wintersind für die Bewohner von Industrienationen unschärfergeworden. Chronobiologen wollen nun zum Beispiel heraus-finden, ob sich die innere Uhr von Winterdepressiven even-tuell noch im Sommer wähnt und die Patienten dadurcheinfach ein größeres Bedürfnis nach Licht verspüren. Esgilt zu erforschen, was es auf lange Sicht für Folgen habenkann, wenn unsere innere Uhr immer mehr aus demGleichgewicht gerät. Übrigens: Dass die Menschen auf derNordhalbkugel in ferner Zukunft das Weihnachtfest imSommer feiern werden, ist ein chronobiologisches Märchen.
Die Zukunft der inneren Uhr
Der Mithras-Kult
Schon vor über dreitausend Jahren verehrten die Menschendie Sonne, so auch in Persien, im Iran und in Indien. DieSpuren dieser Verehrung sind älter als die ersten schrift-lichen Zeugnisse darüber. Geblieben sind steinerneZeugnisse. Doch vor über 2600 Jahren zeichneten die Pries-ter des assyrischen Königs Assurbanipal auf Tontäfelchenihren Lobgesang auf ihren „unbesiegbaren Sonnengott“auf. Er hatte in ihrer Sprache unzählige Namen, die seineEigenschaften aufzählen: Shamash – der „Heiße“ und vieleandere. In ihrer Sprache hieß er auch – Mithras. DiesenNamen sollte er auch später behalten, als seine Anhängerlängst in anderen Sprachen kommunizierten. Auf demmonumentalen Denkmal des Königs Antiochus I. von Kom-magene aus dem Jahr 62 vor Christus stehen die vielenNamen des einen Sonnengottes in einer Reihe: Apollo –Hermes – Helios – Mithras.
Für die Babylonier und Assyrer war dieser Sonnengott derHerrscher über das All und die anderen Götter, der Mittlerzwischen Himmel und Erde. Der Sonnengott Mithras hatte
Der Mithras-Kult und unser Weihnachtsfest
Mithras –
der unbesiegbare Sonnengott
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unter den Göttern den Platz in deren Zentrum. Er verkör-perte Weisheit und Ordnung. Ihre Tempel waren heiligeKultorte und Observatorien zugleich. Die Priester warenauch Astronomen, die den Himmelslauf ihres Gottesgenau studierten und daraus ihre Schlüsse für die irdi-schen Geschicke der Menschen zogen. Der ganze Himmelwar lebendig: Die Sterne waren die Seelen der Verstor-benen, die Wandelsterne Sonne, Mond und alle Planetendie Herrscher und Götter im Himmel. Die Geburt desSonnengottes feierten sie alljährlich exakt am kürzestenTag des Jahres, zur Wintersonnenwende. Denn ab da ver-trieb die „unbesiegbare Sonne“, der „Sol invictus“ dieDunkelheit der langen Winternächte und die Tage wurdenwieder länger.
Weit über tausend Jahre später breitete sich derSonnenkult über Europa aus. Mithras wurde populär undzum Gott der einfachen Leute. Der Mithras-Kult fand sichim ganzen Römerreich, vom Rheinland bis nach Syrien.Der griechische Schriftsteller Plutarch machte in seinem„Leben des Pompeius“ dazu die interessante Notiz, See-räuber aus dem Süden von Kleinasien hätten diesen Kultnach Rom gebracht. In der Tat war der Mithras-Kult geradeunter den „einfachen“ Menschen von damals sehr verbrei-tet, so auch unter Söldnern und Soldaten. Die Priester desMithras-Kultes wurden Magier, „magoi“, genannt, genau-so wie im Evangelium der Christen später die Weisen ausdem Morgenland. Und aus dem Morgenland, dem Osten,kamen diese Träger des Kultes tatsächlich.
Christus – der „wahre Mithras“
Mithras wurde – so der Glaube – in einer Erdhöhle vonder „jungfräulichen“ Mutter Erde geboren. Sein Geburts-fest, die Wintersonnenwende, fiel damals, in der Zeit derrömischen Republik um 300 vor Christus, genau auf den25. Dezember. Um seine Geburt ranken sich Erzählungenund Motive, die sehr an die christliche Geburtsgeschichteerinnern. Hirten waren bei der Geburt dabei – und beob-achteten die Ankunft des Lichtträgers in der Welt. Siekamen, um ihn anzubeten und opferten ihm die Erstlingeder Herden und der Früchte ihres Ackers.
Die Anhänger des Mithras feierten ihre Liturgie in soge-nannten Mithräen, Kultstätten, in denen eigene Priestersieben Sakramente wie eine Taufe, Firmung und eineKommunion spendeten, ein heiliges Mahl der Erinnerungmit Brot und Wein. Man zelebrierte täglich Gottesdienste.Der wichtigste Tag war aber der Sonntag, der Tag desSonnengottes, der erste Tag der Woche. Im ganzen römi-schen Reich feierte man die Feste des Mithras.
Als die ersten Christen nach Rom kamen, fanden sie einenfunktionierenden Kult um eine Lichtgestalt vor, die sehrviele Züge ihres Heilands trug. Diese Ähnlichkeiten brach-ten es mit sich, dass die ersten Christen die Geburt ihresStifters auch zum gleichen Zeitpunkt feierten – sie über-nahmen einfach den Termin des 25. Dezember aus demMithras-Kult. Inzwischen war zwar der Zeitpunkt derWintersonnenwende auf den 21. Dezember gewandert.Aber der Termin hatte sich im Kalender eingebürgert undwar an seinem angestammten Platz geblieben. So verfügteschon der zweite Bischof von Rom, Telesphorus (129-138),man solle am 25. Dezember „in der heiligen Nacht derGeburt unseres Herrn und Erlösers öffentliche Gottes-dienste feiern und darin feierlich den Preis der Engel sin-gen, denn in dieser Nacht wurde seine Geburt den Hirtenvon Engeln verkündet.“ In der gesamten christlichen Kirchehat sich der 25. Dezember erst später durchgesetzt. Ähn-lich später etablierte sich auch das Christentum erst im 4.Jahrhundert endgültig gegenüber dem Mithras-Kult: Derrömische Kaiser Konstantin (280-337), ein Anhänger desMithras, nahm nach der entscheidenden Schlacht gegenseinen Widersacher Maxentius im Jahre 312 in einer Visiondas Christentum zwar nicht an, aber er förderte es danach.Heute spricht keiner mehr vom Mithras-Kult – der 25. De-zember aber ist geblieben.
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Den „Geburtstag“ des
Sonnengottes feierten die
Anhänger des Mithras-Kultes am
kürzesten Tag des Jahres, dem
Tag der Wintersonnenwende. Als
der Mithras-Kult nach Rom kam,
war das am 25. Dezember. Es ist
bis heute so geblieben
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So wie im Christentum mit seinem Weihnachtsfest zur Win-tersonnenwende sind auch in den anderen Religionen vieleFeste an den Lauf der Gestirne und damit den Himmel ge-bunden. Dies hängt ganz einfach mit dem Lauf der Erde umdie Sonne innerhalb eines Jahres, also den Jahreszeiten,zusammen.
Jede Religion benutzt ihren eigenen Kalender. So benutzendie Christen einen reinen Sonnenkalender, Juden, Hindu-isten und Buddhisten zum Beispiel einen gemischtenSonnen- und Mondkalender. Die Muslime dagegen nutzeneinen reinen Mondkalender, der keine Rücksicht auf dieJahreszeiten nimmt. Er ist etwa 11 Tage kürzer als das Sonnen-jahr mit rund 365 Tagen. Daher fallen islamische Feste alseinzige nicht immer in die gleiche Jahrezeit. So wandert derFastenmonat Ramadan vom Sommer auf den Winter undwieder auf den Sommer.
Drei Beispiele
Das christliche Osterfest feiert den Tag der AuferstehungJesu. Es wird von allen christlichen Konfessionen an ein unddemselben Tag des Jahres gefeiert – und der hängt vonSonne und Mond ab. Es ist nämlich der erste Sonntag nachdem ersten Frühlingsvollmond, nach dem 21. März. Je nachJahr ist das Osterdatum also beweglich. In jedem Fall offen-sichtlich ist aber: Das Osterfest ist ein Frühlingsfest.
Das jüdische Lichtfest im Winter heißt Chanukkah. Dabeierinnern sich Juden an den Aufstand der Makkabäer gegendie Fremdherrschaft der Hellenisten und die Wiederein-weihung ihres Tempels in Jerusalem im Jahre 165 vorChristus. Man entzündet acht Tage lang einen besonderen,achtarmigen Leuchter mit einer Kerze in der Mitte. Das Festfällt stets in die Zeit um Mitte Dezember, auf den 25. Kislev,das ist der neunte Monat des jüdischen Sonnen-Mond-Jahres.
Zur Zeit des Herbstanfangs um den 21. September feiernHindus Ganesh Chaturthi, die Geburt des elefantenköpfigenGottes Ganesha. Die Gottheit wird um Hilfe angefleht inZeiten des Umbruchs wie etwa bei Brautwahl, Umzug oderPrüfungen.
Der Himmel in den Religionen undihren Festen
Das Osterfest ist ein FrühlingsfestIsenheimer Altar,
„Auferstehung Christi“ von
Grünewald um 1514
Chanukkaleuchter,
18. Jh.
Gläubige folgen einer Skulp-
tur der elefantenköpfigen
Gottheit Ganesha
Zur Zeit des Herbstanfangs um den 21. September
feiern Hindus Ganesh Chaturthi
Das jüdische Lichtfest im Winter heißt Chanukkah
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Die atmende Orgel
Die zweitgrößte Orgelpfeife der Welt
Die Orgel
Spätestens zur Weihnachtszeit ist ihr Klang wieder in allerOhr. Ob bei Krippenspielen, bei Adventskonzerten oder inWeihnachtsgottesdiensten – die Orgel ist und bleibt einwichtiger Bestandteil für die musikalische Untermalungder Adventszeit. Doch was ist das eigentlich für ein Instru-ment, was den ein oder anderen nicht nur an Weihnachtenverzaubert?
Die Orgel zählt zu der Instrumentengruppe der Aero-phone, sie ist also ein Blasinstrument, wenn auch derSpieler sie glücklicherweise nicht selbst blasen muss; dasübernimmt das Windwerk, sozusagen die Lunge der Orgel.Das Windwerk, ein Blasebalg, verteilt die Druckluft auf dieeinzelnen anzuspielenden Pfeifen, die alleine oder inzusammengefassten Gruppen, den so genannten Registern,erklingen können.
Die Pfeifen sind entweder aus Metall oder aus Holz. GroßeOrgeln können mehrere tausend Pfeifen besitzen, vondenen die kleinsten nur wenige Millimeter lang sind unddie größten bis zu 64 Fuß, also etwa 19,5 Meter. Damit istdie Orgel das einzige Musikinstrument, das gleichzeitigdie tiefsten (unterhalb von 20 Hz) und die höchsten hör-baren Töne (oberhalb von 20.000 Hz) erzeugen kann.
Ein Instrument mit vielen Möglichkeiten
Die Orgel wird nicht ohne Grund als „Königin der Instru-mente“ bezeichnet, denn sie hat mit ihrem Tonumfang undihren Klangfarben das Potenzial, Vokalstimmen, Chöre,verschiedene Instrumente und sogar ganze Orchester zuimitieren. Und trotzdem bleibt sie in gewisser Weise inihren Möglichkeiten stark beschränkt, denn der Wind-druck in den Pfeifen, der den Ton hervorbringt, mussimmer gleich stark sein. Zwar verfügen einige Orgeln auchüber Register, welche die Klangfarbe verändern, jedochkann der Spieler den Ton über seinen Anschlag kaum ver-ändern. Im Gegensatz zu anderen Blasinstrumenten, diedirekt vom Musiker geblasen werden, fehlen der Orgeldiese Variationsmöglichkeiten.
Einer traditionellen Orgel
neue Töne entlocken
Die Idee einer neuen Orgel
Diese mitunter nachteilige Eigenschaft der Orgel möchtedas Schweizerisch-Deutsche Forschungsprojekt „Innov-Organ-um“ verändern. Die Forschergruppe, die aus Orgel-bauern, Musikwissenschaftlern und einem Organistenbesteht, versucht der Orgel größere Ausdrucksmöglich-keiten zu verleihen. Der Leiter des Projektes ist Daniel Glaus,der als Organist der Stadtkirche Biel und als Dozent fürOrgel und Komposition in Zürich und Bern arbeitet. Er istseit seiner Kindheit von der Orgel und ihrer Musik faszi-niert. Dennoch fühlt sich Glaus in seinem Spiel be-schränkt:
„Was mir fehlt, ist die Möglichkeit, die Emotionen direktins Spiel hineinzugeben, zum Beispiel durch ein Vibratoauf der Taste. Ich möchte gerne die Pfeifen noch etwasweiter anblasen, mit weiteren Möglichkeiten. Eigentlichist es ja verrückt, man hat so wahnsinnig viele Möglich-keiten mit der Orgel, aber eigentlich hat man keineMöglichkeiten.“
Das Projekt wird vom Schweizer Nationalfond gefördert.Die Forscher haben es sich zum Ziel gesetzt, ihre Ideeeiner neuen Orgel, nur mit den handwerklichen Mitteln zuverwirklichen, die schon zu Bachs Zeiten Verwendung fan-den. Die einzige Ausnahme bildet ein Gebläsemotor, derden Orgelwind erzeugen soll.
Die atmende Orgel
Aus der ersten Idee für eine neue Orgel sind inzwischennach fast sieben Jahren Planung drei Prototypen hervorgegangen. Mit Hilfe von sensiblen Ventilen, kann bei die-sen neuartigen Instrumenten die Windzufuhr zu denPfeifen sehr fein reguliert werden. Je nach Luftdruckspricht die einzelne Orgelpfeife anders an und kann ver-schiede Klangfarben erzeugen und die Dynamik direktbeeinflussen. Das Prinzip ist jetzt anderen Blasinstrumen-ten ähnlich, bei denen der Musiker über den Atemdruckden Ton steuert und sein Instrument laut oder leise anbla-sen kann – bis hin zum so genannten Überblasen desgespielten Tones, der dann eine Oktave höher erklingt.
Die atmende Orgel – Prototyp II
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Nachdem die erste neu entwickelte „Orgel“ mit ihren dreiTasten eher nur das Prinzip verdeutlichen konnte, sindPrototyp II mit 74 Pfeifen und zwei vollständigen Oktavenund Prototyp III mit 443 Pfeifen und drei Manualen mit jefünf Oktaven voll einsatzfähig. Daniel Glaus zeigt sichbegeistert:
„Als ich das Instrument das erste mal unter den Fingernhatte, war es eigentlich unbeschreiblich, was alles durchmich durchging. Ich konnte plötzlich mit meinen Fingernalle diese Töne diesem Instrument entlocken, von denenich vorher nur geträumt hatte oder zum Teil nicht einmal zuträumen wagte.“
Daniel Glaus’ Visionen haben der Orgel das Atmen beige-bracht und so seiner Vorstellung von Orgelmusik neuesLeben eingehaucht.
Die beiden neuen Orgeln stehen seit dem Jahr 2004 in derStadtkirche in Biel.
Weihnachten ist eine Zeit der sinnlichen Wahrnehmungen.Viele Gewürze und Düfte werden ganz speziell nur in die-ser Zeit verwendet. Vielleicht ist der Geruchssinn sogar dieSinneswahrnehmung, die uns am nachdrücklichsten inWeihnachtsstimmung versetzt. Weihnachtsgerüche sindbesonders stark mit Erinnerungen besetzt: Sie sind fest aneine Zeit und bestimmte Situationen gebunden unddadurch quasi aufgeladen mit Emotionen.
Der unterschätzte Sinn
Von den fünf Sinnen des Menschen ist der Geruchssinn deram wenigsten aktiv genutzte. An einem normalen Tag gibtes nur wenige Momente, an denen wir überhaupt wahr-nehmen, dass wir „riechen“. Dabei ist der Geruchssinnununterbrochen aktiv – wir können ihn gar nicht ausschal-ten. In jeder Sekunde steigt eine für unsere Umgebung
Duft und Erinnerung
charakteristische Duftmischung in unsere Nase und akti-viert unsere Riechzellen. Diese Reize werden zwar weiter-geleitet – dringen jedoch nur in ganz besonderen Fällenbis in unser Bewusstsein vor.
Riechen ohne zu riechen
Die meiste Zeit registrieren wir unsere Duftumgebung nurunterbewusst. Dabei enthalten die Gerüche wichtigeInformationen über unsere Umgebung. Sie warnen uns vorGefahren. Sie spiegeln das Wetter und die Jahreszeitenwieder. Und sie sind charakteristisch für den jeweiligenOrt – die Fußgängerzone im Herbst, Omas Wohnung, dieArbeitsstelle. Diese Duftmischungen können wir späterproblemlos wieder erkennen – ohne sie vielleicht jemalsbewusst „gerochen“ zu haben.
Der ganz besondere Duft
Voraussetzung für solch ein Wiedererkennen ist, dass dieGerüche mit besonderen Emotionen verbunden sind. Dannsteigen plötzlich Bilder in uns auf – manchmal lange ver-gessene Erinnerungen, die mit überraschend starkenGefühlen einhergehen. Dieser eigenartige Geruch vonBohnerwachs in den Schulfluren... Ein bestimmtesParfum... Oder ein altes Rezept, wie zum Beispiel das vonselbstgemachten Lebkuchen...
Am Anfang war die Nase
Diese enge Verbindung von Geruch und Erinnerung hatauch eine wissenschaftliche Erklärung. Das Riechzentrumist eine der entwicklungsgeschichtlich ältesten Regionenim menschlichen Hirn. Und liegt in unmittelbarer Nähezum Hippocampus – der Schaltzentrale im Gehirn, die eineentscheidende Rolle in der Verarbeitung von Erinnerungenübernimmt. Beide Regionen arbeiten eng zusammen.Wissenschaftler haben zum Beispiel herausgefunden,dass bestimmte Bilder sich wesentlich stärker einprägen,wenn sie mit Gerüchen verbunden vorgeführt werden. Eine
Jeder Ort hat seinen
charakteristischen Duftcocktail
Auch das Herbstlaub
mischt sich in das ‚Wintergefühl’
Manchmal erwischt uns ein
ganz besonderer Duft
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weitere Erklärung ist, dass Gerüche nicht ohne weitereskünstlich aufzuzeichnen oder zu synthetisieren sind. Siekönnen sich entsprechend nicht wie Fotos oderTonaufnahmen durch wiederholtes Vorspielen ‚abnut-zen’...
Das Geschäft mit dem Geruch
Diese Besonderheiten des Geruchsinns machen sichgeschickte Strategen seit Jahrhunderten zunutze. Straßen-verkäufer, die ihre Kunden mit duftenden Leckereien an-locken, teure Parfums, die möglichst unverwechselbarund anziehend sein sollen. Auch die Bäckereien in denEingängen der Kaufhäuser sind nicht zufällig dort plat-ziert, wo jeder vorbei muss – so wenig wie die Kaffee-mahlmaschinen im Supermarkt. Frischer Brotduft oderfrisch gemahlener Kaffee machen nämlich Appetit undregen die Stimmung an.
Modernes Duftmarketing
Diese eher simplen „Tricks“ sind in den letzten Jahrenimmer weiter verfeinert worden. Spezielle Vorrichtungenreinigen die Luft an den Verkaufsplätzen und versetzen siemit Wohlgerüchen – mehr oder weniger dezent, je nachKundenwunsch. Die Gerüche werden individuell auf diegewünschte Einkaufs-Atmosphäre oder die Produkt-palette abgestimmt. Oder auch auf die Jahreszeit – zuWeihnachten werden Orangenblüten und Zimt als beson-ders angenehm empfunden. Einige Hersteller gehen sogarnoch weiter, und verbinden einzelne Produkte mit einemeigenen Duftspender – der zeitlich und räumlich begrenztden gewünschten Geruch freisetzt. Aus einem einfachenEinkaufsbummel könnte so bald eine ungewollte Geruchs-odyssee werden. Ein amerikanischer Forscher sprichtbereits von solchen künstlichen Düften als der „Kaufhaus-musik der Zukunft“...
Das Riechzentrum arbeitet mit
den Emotionen zusammen
Schon Kaffeeduft allein kann
anregend wirken
Genießerische Physik
Ein Blick ins Süßwarenregal beweist: Schokolade istGeschmackssache. Dennoch arbeiten viele Ingenieure undWissenschaftler an einer „objektiven“ Beurteilung vonSchokolade – schließlich geht es bei einer Jahrespro-duktion von mehr als 770.000 Tonnen allein in Deutsch-land um eine Menge Geld. Aber kann man „Genuss“ wirk-lich technisch messen? Für die Wissenschaftler vomDeutschen Institut für Lebensmitteltechnik in Quaken-brück scheinbar kein Problem. Wir bringen unsereSchokolade mit und machen die Probe aufs Exempel.
Unser Test
Zwei Tafeln Schokolade, beide mit einem Kakaoanteil von50 %. Die eine kaufen wir im Supermarkt um die Ecke – fürgerade einmal 30 Cent. Für die andere müssen wir mit 1,80Euro das Sechsfache auf den Tisch legen. Wir wollen wis-sen, ob sich der Preis wirklich in der Qualität widerspie-gelt. Und natürlich sind wir neugierig, wie die Quaken-brücker Forscher es überhaupt anstellen, dem Schoko-ladengenuss im Labor auf die Schliche zu kommen...
Ein knackiger Bruch
Im ersten Test soll das Bruchverhalten der beidenTestschokoladen Hinweise auf die Qualität der Schoko-lade liefern. Je knackiger der Bruch, um so besser dieSchokolade, sagen die Lebensmittelforscher. Was sonstmit einem kurzen Knack vorbei ist, können die Experten imLabor in einer Versuchsapparatur nachstellen: immer stär-ker drückt ein metallischer Keil auf das Schokostück – bises unter kontrollierten Bedingungen zerbricht. Die dabeiaufgewendeten Kräfte werden aufgezeichnet und mitein-ander verglichen. Trotz mehrmaliger Wiederholung zeigensich jedoch in den Auswertungen keine signifikanten Unter-schiede zwischen den beiden Testschokoladen: BeideTafeln zeigen ein vergleichbares Bruchverhalten. Unent-schieden geht es in die nächsten Tests.
Der Schokoladentest
Unsere Testtafeln in den
Händen der Physiker
Ein Keil drückt auf die Testschoko-
lade. Die entstehenden Kräfte wer-
den gemessen
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Warme Füße für die Schokolade
Nun steht das Abschmelzverhalten auf dem Prüfstand. Daszügige Abschmelzen im Mund ist entscheidend für denGeschmack, denn hierbei werden die für den Genuss ent-scheidenden Aromastoffe frei. Normalerweise sorgt dieKörperwärme für ein rundes Abschmelzen. Im Labor wirddieser Prozess simuliert, indem die Wissenschaftler Test-stückchen auf einer 32 °C warmen Stahlplatte zum schmel-zen bringen. Von oben drückt ein Stempel mit konstanterKraft und misst das Millimeter weise Nachgeben der vonunten beheizten Schokolade. Beide Abschmelzkurven wer-den wieder miteinander verglichen – mit einem überra-schendem Ergebnis. Die billigere Variante schmilzt schnel-ler und gleichmäßiger ab als die Markenschokolade.
Rühren für die Wissenschaft
Ein dritter Test. Einmal geschmolzen soll sich die schlech-tere Schokolade durch ihre unangenehme Zähigkeit verra-ten. Ein Kriterium, das einleuchtet, denn wer will schon,dass sich der süße Riegel nach dem Abbeißen in einenzähen Klumpen verwandelt. Um das so genannte „Fließ-verhalten“ zu bestimmen, wird die flüssige Schokomassejetzt mehrere Minuten lang bei 40 °C und unterschied-lichen Umdrehungszahlen gerührt. Über den Rührwider-stand kann die Zähigkeit oder „Viskosität“ der Schoko-ladenmasse gemessen werden. Auch hier erleben wir eineÜberraschung – die Billigschokolade lässt sich durchwegdeutlich besser rühren als ihre teure Konkurrenz.
Sandpapier auf der Zunge
Für den letzten Test wird die Schokolade verdünnt und miteinem Laser durchleuchtet. An den winzigen Schoko-teilchen werden die Lichtstrahlen abgelenkt, und treffen aufdem dahinter liegenden Messsensor in charakteristischerIntensität auf. Von diesem so genannten „Beugungs-muster“ können die Experten nun auf die Partikelgrößeschließen. Und die enthüllt einen klaren Qualitätsvorsprungder Markenschokolade. Diese enthält deutlich wenigerPartikel der Größenordnung 100 Mikrometer – und die ent-scheiden darüber, ob die Schokolade zart den Gaumen um-schmeichelt oder krümelig den Rachen hinunterrutscht.
Von unten wird geheizt,
von oben gedrückt –
der Abschmelztest
Bei 40 °C wird die
Schokolade langsam gerührt
Die Grenzen der Physik
Aus zwei von vier Tests geht die Billigschokolade also alsSieger hervor, nur einen einzigen Test kann die teureVariante für sich entscheiden. Ein Blick auf die Zuta-tenliste liefert allerdings eine mögliche Erklärung für dieüberraschenden Ergebnisse: Die billigere Tafel enthälteinen Zusatzstoff, der einer Markenschokolade nichtzugesetzt wird. Dieser künstliche Emulgator beeinflusstdie Konsistenz der billigen Schokolade. Trotz gröbererZusammensetzung schmilzt und fließt sie leichter. Dies istein Trick der Chemiker, die damit eine aufwendigereVerarbeitung und höhere Qualität der Billigschokoladevorgetäuscht haben. Die Physiker mit ihren Testkriterienkonnten sie damit zumindest überlisten. Ob das jedochauch wirklich größeren Schokogenuss bedeutet, das kanneigentlich nur ein direkter Geschmacksvergleich zeigenund der bleibt letzten Endes jedem Genießer selbst über-lassen.
Die Markenschokolade (hier in rot)
enthält deutlich weniger große
Schokopartikel
Die Psychologie des Schenkens
Längst nicht jedes Geschenk kommt nur direkt vonHerzen. Das jedenfalls haben Soziologen, Psychologenund Verhaltensforscher herausgefunden und intensiv stu-diert. Was sie in ihren Studien herauspräpariert haben,könnte für uns alle, die wir schenken, von Interesse sein.So sind wir – unbewusst – durch unsere sozialen Bin-dungen, Erwartungen und durch andere Schenkendebeeinflusst.
Es gibt kein selbstloses Schenken.
Der Ethnologe Theodore Caplow von der Universität vonVirginia erforschte in der amerikanischen MusterstadtMiddletown weihnachtliches Schenkverhalten. Bei Ge-schenken an entferntere Bekannte, also Menschen, dienicht aus dem unmittelbaren Familienkreis stammen, füh-len sich die Beschenkten zu einem Gegengeschenk imgleichen Wert verpflichtet. Solche Geschenke ähnelneinem Tauschgeschäft, bei dem man sich gegenseitig derAufmerksamkeit, Achtung und Wertschätzung versichert.
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90 % der Geschenke zu Weihnachten gelten aber denMitgliedern der engsten Familie. Hier kommt es auf etwasanderes an, nämlich auf Emotionen. Mit dem Geschenkbringt man den Beschenkten in eine emotionale Abhän-gigkeit, die die Beziehung stabilisiert. Ein Gegengeschenkim gleichen Wert wird nicht erwartet. Was dagegen erwar-tet wird, ist, dass sich der Gegenüber freut. Und genau dassorgt in den meisten Familien für Stress unter dem Weih-nachtsbaum.
Schenken ist „Frauensache“.
David Cheal, ein amerikanischer Soziologe an derUniversität Winnipeg in der kanadischen Provinz Mani-toba, musste lange suchen, um genug Männer für seineForschungen zum Schenken zu finden. Der Grund wurdeschnell klar: Trotz Gleichberechtigung betrachten diemeisten Menschen die jährlichen Gedanken zu denWeihnachtsgeschenken als „Frauensache“. Cheal fandheraus, dass Frauen sich länger und intensiver Gedankenüber die Geschenke machen – Männer dagegen entschlie-ßen sich viel schneller in Spontankäufen, die auch teurersein dürfen. Darin spiegelt sich auch die gesellschaftlicheWahrheit wieder, dass Frauen im Schnitt weniger Geld zurVerfügung steht als Männern.
Geschenke spiegeln, welches Bild der Schenker vomBeschenkten hat.
Geschenke zeigen, welches mentale und emotionale Bildder Schenker vom Beschenkten hegt – und auch, wie eroder sie ihn und sie haben will. So gehören die „klassi-schen“ Geschenke wie der Kochtopf für die Ehefrau, dieSocken und Schlipse für den Ehemann und Ernährer derFamilie, das Auto und die Eisenbahn für den Jungen unddie Puppe für das Mädchen in diese Kategorie. So werdengesellschaftliche Stereotypen bedient.
Das weihnachtliche Schenken folgt ganz offenbar diesenRegeln und beachtet gesellschaftliche Tabus, fandenCarole Burgoyne und Stephen Lea von der UniversitätExeter in England mit ihren Forschungen heraus. So verra-ten offensichtlich für den Beschenkten unpassendeGeschenke den schlechten Geschmack des Schenkenden –oder seine Gedankenlosigkeit. Das birgt das Risiko, mitdem Geschenk zurückgewiesen zu werden.
Die Forscher aus Exeter interessierten sich für solcheFehltritte beim Schenken. Schlimmster Fauxpas ist, wenndas Geschenk nicht zum Selbstbild des Beschenktenpasst. Also Achtung: Geschenke verraten, wie wir dieanderen sehen.
So fand auch der Psychologe Adrian Furnham vomUniversity College in London heraus: Wenn das Motiv, ausdem der Schenkende schenkt, missverstanden wird, isteine Beleidigung fast vorprogrammiert.
Zu teure Geschenke setzen unter Druck
Da zu Weihnachten sehr viel geschenkt wird, sind dieGeschenke oft weniger persönlich als zum Beispiel zueinem Jubiläum, runden Geburtstag oder zur Hochzeit.Aber dabei ist Vorsicht geboten – so die Forscher derUniversität Exeter: Zu teure Geschenke können einen Gradan Verpflichtung und Nähe signalisieren, der demEmpfänger unangenehm sein kann und als Druckmittelverstanden werden könnte.
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Der Prozess des Schenkens ist nicht ganz so unschuldigwie er scheint. Jeder, der sich den Kopf beim Weih-nachtseinkauf zerbrochen hat kann sich vorstellen: es gibtviel mehr Regeln und Motive beim Schenken als wir unsträumen lassen. Das „strategische“ Vorgehen beim Schen-ken ist nicht nur auf Weihnachten oder unsere moderneKonsumgesellschaft beschränkt. Es zieht sich durch alleZeiten und Kulturen. Ein extremes Beispiel ist das sogenannte Potlatch-Ritual.
Ein Fest nur für Geschenke
Die Indianer an der Nordwestküste Amerikas lebten ineinem Paradies. Die Tlingit, Kwakiutl, Haida und noch vieleandere Indianervölker besiedelten die pazifische Küste amamerikanischen Golf von Alaska hoch im Norden über diekanadische Provinz British-Columbia bis zum ColumbiaFluss hinunter, noch bevor überhaupt ein Europäer diesesLand gesehen hatte. Sie fanden alles, was sie zum Lebenbrauchten: Fisch, Wild, Pelze und Holz. Expeditionen neu-gieriger Ethnologen und Geografen aus Europa kamen erstim 18. Jahrhundert. So auch 1786 Jean-François de Galoup,der Compte de La Pérouse (1741-1788) aus Frankreich mitseiner Expedition. Er beschrieb, was Ethnologen bis heutefür außergewöhnlich halten: Feste nur zum Tausch vonGeschenken. In Chinook der Handelsprache der Indianer,hieß es Potlatch – was so viel wie „Gabe“ bedeutet.Potlatch hatte eine klare soziale Funktion: Es festigte denZusammenhalt und sicherte die Loyalität im eigenenStamm. Doch sollte dieses System – genauer: dasFesthalten an einer Tradition auch unter äußererBedrohung – aus den Fugen geraten…
Reichtum verändert das Ritual
Rund sechzig Jahre nach La Pérouse veränderte sich dasLeben der Indianerstämme dramatisch: Im nahen Kalifor-nien setzte der Goldrausch ein. Nun brach plötzlichReichtum über sie herein. Sie konnten mit den Weißenschwunghaft Handel treiben. Jetzt gab es bares Geld fürihren Fisch, für Pelze und Decken. Der Goldrausch pumpteGeld in die Idylle. Ein Konsumrausch setzte ein. Jetzt konn-
Potlatch – wie Schenken außerKontrolle geraten kann...
te ein Stamm ganze Nachbardörfer zum Potlatch einladen.Auf einem Fest wechselten tausende kostbarer, handgear-beiteter Decken ihren Besitzer. Was früher wenigenEhrengästen vorbehalten war, wurde nun jedem Gastgeschenkt. Die Gastgeber der Potlatchs überschüttetenihre Freunde, Familienangehörigen und Stammesbrüdermit Kostbarkeiten. Wer etwas auf sich hielt, beschämteseine Mitstreiter mit überteuren Geschenken aus wertvol-lem Metall, mit Masken, Tanz- und Musikvorführungenund bei üppigem Essen über mehrerer Tage. Potlatch – daskonnte sich nur noch eine reiche Oberschicht leisten.
Die Tradition wird pervertiert
Nur zwanzig Jahre später eskalierte das Ritual endgültig.Denn die alte Führungsgarde fiel in den Kriegen, die denIndianervölkern von den Weißen aufgezwungen wordenwar. Immer Jüngere mussten in die Positionen der Altennachrücken. Doch wer Häuptling werden wollte, musste ineigenen Potlatch-Fest-Häusern sieben Tage lang hundertevon Gästen beschenken. Aus einer sinnvollen Traditionwar ein Kampfinstrument geworden. Die Konkurrenten aufdie Häuptlingspositionen waren zahlreich – denn einegeregelte Erbfolge kannten die Indianer des Nordwestensnicht. Die Nachkommen aus der Mutter- und aus derVaterlinie waren gleichberechtigt. Rivalen feierten Potlatch-Tourneen von Dorf zu Dorf. Man zog von Stamm zu Stammund wollte sich mit immer größeren Festen ausstechen. Esblieb nicht nur bei Geschenken an die Gäste. Man gingsogar dazu über, wertvollste Gaben feierlich zu verbren-nen oder im Meer vor den Augen der Gäste zu versenken –nur um seinen Reichtum zu zeigen. Die Treue zur Tradition,verständlich und nachzuvollziehen in Zeiten der äußerenBedrängnis, schwächten die Völker immer mehr. 1885schreitet dann die kanadische Regierung ein und verbotkurzerhand den weiteren finanziellen Selbstmord. DieGeschichte des Potlatch zeigt, wie sich eine sinnvolleTradition in ihr Gegenteil verkehren kann.
Heute gibt es die Bestrebung, Potlatch als Zeichen einersinnvollen Tradition wiederzubeleben.
Potlatch konnte sich nur noch
eine reiche Oberschicht
erlauben… Schenken als
Machtinstrument
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Lesetipps
Chronobiologie – Leben mit der Zeit
Autor: Peter SporkVerlagsangaben: ISBN 3-499-61665-3,
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2004
Preis: 8,90 Euro
Unsere Innere Uhr
Autor: Jürgen Zulley, Barbara KnabVerlagsangaben: ISBN 3-451-05365-9, Herder VerlagSonstiges: 224 Seiten, Preis: 9,90 Euro
Ausführlicher Artikel über das schweizerisch-deutscheForschungsprojekt:
Mit dem Wind spielen
Autor: Roman Brotbeck, Daniel Glaus, Peter Kraul
Verlagsangaben: erschienen in der Zeitschrift Musik & Kirche 5/2004, 74. Jahrgang Bärenreiter-Verlag
Sonstiges: S. 293-30
Können Engel fliegen?Die Wissenschaft der Weihnachtszeit
Autor: Roger HighfieldVerlagsangaben: Rowohlt, 1999Sonstiges: 319 S.
Eine Untersuchung der märchenhaften und traditionsrei-chen Elemente des Weihnachtsfestes (u.a. Flugtauglich-keit von Engeln, Beleibtheit des Weihnachtsmannes,unbefleckte Empfängnis) aus wissenschaftlicher Sicht.
Das Buch ist zwar vergriffen, aber im Internet (amazon)noch gebraucht zu erhalten und in vielen Bibliotheken vor-handen.
Zur Chronobiologie:
Service-Zeit Gesundheit zur Chronobiologie: Was ist dranan einem biologischen Wecker? www.wdr.de
Prof. Dr. Birgit Piechulla, Uni Rostock, PD Dr. Till Roenneberg, Uni MünchenChronobiologie – Wie tickt unsere biologische Uhr?www.vdbiol.de
Fragebogen des Psychologischen Instituts der Uni MünchenWelcher Chronotyp sind Sie? Wie tickt Ihre innere Uhr?www.imp-muenchen.de
Zum Schokoladentest:
Alles was man über Schokolade wissen soll – zusammen-gestellt von der Deutschen Süßwarenindustrie...www.infozentrum-schoko.de
Infos über Zusatzstoffe in Lebensmittelnwww.zusatzstoffe-online.de
Hier findet man Informationen rund um die E-Nummernund weitere Tipps zu gesunder Ernährung.www.was-wir-essen.de
Zur atmenden Orgel:
Infos zu Daniel Glaus auf den Seiten der Hochschule fürMusik und Theater Zürich www.hmt.eduPressemitteilung des Schweizer Nationalfonds zum For-schungsprojekt „Innov-Organ-um“ www.snf.ch
Schweizer Onlinemagazin für Musikästhetik und kognitiveMusikpsychologie über das Forschungsprojektwww.codexflores.ch
Seite der Atlantic City Convention Hall Organ SocietyMit neuen und historischen Fotos der größten Orgel derWelt (unter button „gallery“) und Musikbeispielenwww.acchos.org
Linktipps
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Zu Duft und Erinnerung:
Verbraucherzentralenhttp://www.vz-nrw.de/UNIQ110333564403065188/doc2902A.html (Verbraucherzentrale NRW)Die Verbraucherzentralen informieren im Zusammenhangmit Raumbeduftung auch über die Risiken von Allergien
Zu Pottlach:
http://www.indianer-web.de/nordwest/potlach.htmhttp://collections.ic.gc.ca/potlatch/sitemap.htmhttp://college.hmco.com/history/readerscomp/naind/html/na_030900_potlatch.htm
Das Staatliche Museum für Völkerkunde Münchenhttp://www.voelkerkundemuseum-muenchen.de hat inder Außenstelle Oettingen unter der Leitung von Dr. Jean-Loup Rousselot eine eigene sehr sehenswerte Austellungauch zum Thema Potlatch ausgerichtet: http://www.oettingen.de/VMuseum/VMuseum3.htm
Dazu ist ein Katalog erschienen:
Totempfahl und PotlatchDie Indianer der kanadischen Nordpazifik-Küste
Autoren: Jean-Loup Rousselot, Dietmar Müllerund Walter Larink
ISBN: 3-027 270-33-4
Quarks & Co Scripte
In der Reihe QuarksScript sind folgenden Themen als Broschüren erhältlich:
Täuschen und LügenDie Welt der SpracheMülltonne ErdeWie wir alternÜbersinnliche Phänomene im TestRisiko Zusatzstoffe?Malaria - Mückenstich mit verhängnisvollen FolgenBig Brother is watchingLebenskünstler BaumDie fantastische Welt des UnsichtbarenLeben ohne Schmerz?Lebensquell WasserDas Geheimnis der NeandertalerVolksdroge AlkoholDer Kampf gegen die KilosAbenteuer FliegenSpurensuche auf dem MarsDas ABC der VitamineGute Hexen - böse HexenDas geheime Leben der FröscheLernen mit KöpfchenWunder EiWunderdroge TeeWas Knochen erzählenBlut - Der ganz besondere SaftMilch unter der LupeDie Welt der DüfteRisiko Elektrosmog?Diagnose „zuckerkrank“Wie wir lernenDiäten unter der LupeEnergie der ZukunftDie Börse - einfach erklärt (2. überarbeitete Auflage)Die Biochemie der Liebe
(Diese und weitere Themen können Sie online unter www.quarks.de als PDF beziehen)
So bestellen Sie ein QuarksScript:
Beschriften Sie einen C5-Umschlag mit Ihrer Adresse und mit dem Vermerk dem Titel der Sendung z. B. „Lebenskünstler Baum“ – frankieren Sie ihn mit 0,77 € und schicken Sie ihn in einem normalen Briefkuvert an:
wdr FernsehenQuarks & CoStichwort: Titel der Sendung, z. B. „Lebenskünstler Baum“50612 Köln
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