Q_Koerper

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Quarks & Caspers Von Kopf bis Fuß Unglaubliches vom menschlichen Körper Von Kopf bis Fuß durchleuchtet Quarks & Caspers unseren Körper aus ungewöhnlichen Perspektiven und ohne Scheu vor Tabus: Gast- Moderator Ralph Caspers ermuntert alle ihren Körper genau zu erkunden und verrät, was die Fingerlänge über einen Menschen aus- sagt, warum das Nasepopeln zu den besonderen Fähigkeiten des Menschen gehört, welches das empfindlichste Körperteil ist und warum Spermien gar nicht selbst schwimmen. Grund genug, mal genauer hinzusehen. Autoren: Johanna Bayer, Carsten Linder, Jakob Kneser, Corinna Sachs Redaktion: Claudia Heiss Quarks & Caspers | Von Kopf bis Fuß – Unglaubliches vom menschlichen Körper | Sendung vom 14.07.10 http://www.quarks.de Quarks & Co Quarks & Co

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Quarks & Caspers Von Kopf bis FußUnglaubliches vom menschlichen Körper

Von Kopf bis Fuß durchleuchtet Quarks & Caspers unseren Körper aus ungewöhnlichen Perspektiven und ohne Scheu vor Tabus: Gast-

Moderator Ralph Caspers ermuntert alle ihren Körper genau zu erkunden und verrät, was die Fingerlänge über einen Menschen aus-

sagt, warum das Nasepopeln zu den besonderen Fähigkeiten des Menschen gehört, welches das empfindlichste Körperteil ist und

warum Spermien gar nicht selbst schwimmen. Grund genug, mal genauer hinzusehen.

Autoren: Johanna Bayer, Carsten Linder, Jakob Kneser, Corinna Sachs

Redaktion: Claudia Heiss

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Haarige TatsachenHier zu wenig – da zu viel!

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Afrikaner und Asiaten haben meist volles Kopfhaar – bis ins Alter. Doch Europäer und deren

Nachfahren in Übersee leiden häufig an der männlichen Glatze. Bei ihnen reagieren die Haarwurzeln

auf dem Oberkopf überempfindlich auf das Sexualhormon „Dihydrotestosteron“ – kurz DHT. Bei vie-

len Männern lässt das DHT die Haarwurzeln auf dem Kopf allmählich verkümmern. Der Wachstums -

zyklus verkürzt sich immer weiter und die Haarwurzeln bilden nur noch kaum sicht bare

Flaumhärchen. Doch die Haarwurzel stirbt nicht ab – wie man lange dachte.

Auf der anderen Seite lässt das Hormon DHT Haare auch wachsen: Es lässt den männlichen Bart

sprießen und bewirkt, dass sich aus kindlichem Haarflaum Scham- und Achselhaare bilden.

Die verschiedenen Haare unseres Körpers wachsen unterschiedlich schnell und werden unter-

schiedlich lang: Ein Kopfhaar sprießt pro Monat etwa 10 Millimeter und das 6 Jahre lang, bevor es

ruht und ausfällt und der Zyklus von neuem beginnt. In sechs Jahren können Kopfhaare also

rechne risch 70 Zentimeter lang werden. Haariger Wachstumsrekord: das Barthaar. Pro Tag wächst

es etwa drei Millimeter, und das zehn Monate lang. Es kann also in dieser Zeit 90 Zentimeter lang

werden. Viel kürzer dagegen sind die Wachstumsphasen von Wimpern oder Augenbrauen. Wim -

pern wachsen nur 56 Tage. Dann beginnt ihre Ruhephase und sie fallen aus. Wie lange Körperhaare

wachsen und welche Länge sie dabei erreichen, wird durch unsere Gene gesteuert. Und: Warum

unpopuläre Scham- und Achselhaare durchaus sinnvoll sind, sehen sie in unserem haarigen Film

auf www.quarks.de.

Autor: Carsten Linder

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Supertaster ZungeEin Organ für die ganz großen Gefühle

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Die Zunge ist wirklich ein Multitalent: Sie ist nicht nur der beweglichste Muskel im menschlichen

Körper und nimmt fünf verschiedene Grundgeschmacksarten (süß, salzig, sauer, bitter und

„umami“) wahr, sie liegt auch in Sachen Tastempfindlichkeit ganz vorne. Auf der Zungenoberseite

und an den Zungenrändern finden sich zahlreiche warzenförmige Erhebungen in der Schleimhaut,

die sogenannten Papillen. Sie machen die Zunge rau und vergrößern die Fläche der Zunge um ein

Vielfaches.

In den Papillen sitzen die Sinneszellen für die Tast- und Geschmacksempfindung. Der Tastsinn der

Zunge trägt zwar nicht direkt zum Geschmacksempfinden bei, aber dieser Sinn gibt uns Informa -

tionen über die Beschaffenheit von Nahrung: von cremig bis knusprig Die Tastrezeptoren sind

somit auch Teil eines Warnsystems für die Eingangspforte Mund.

Empfindliche Körperstellen

Der Tastsinn ist eine sehr komplexe Sinneswahrnehmung. Eigentlich besteht er aus vier verschie-

denen Sinneseindrücken: dem Wärme- und Kältesinn, dem Schmerzsinn und dem Drucksinn. Um

die Feinheit des Drucksinns zu bestimmen, gibt es einen Test, der misst in welchem Abstand zwei

nebeneinander liegende Punkte noch als getrennt wahrgenommen werden können. Diesen

Abstand können Mediziner mit dem Weber‘schen Tastzirkel bestimmen: Beim so genannten Zwei -

punkt-Test zeigen zwei Zirkelspitzen das genaue Maß an, ab wann die Druckpunkte der beiden

Reize als noch getrennt wahrgenommen werden? Das Ergebnis ist erstaunlich. Während man auf

dem Oberschenkel zwei Druckpunkte nur dann unterscheiden kann, wenn sie mindestens 6,7 Zenti -

meter auseinanderliegen, ist die Entfernung an den Genitalien und den Brustwarzen deutlich gerin-

ger. Hier können zwei Reizpunkte noch im Abstand von drei bis fünf Millimetern getrennt vonein-

ader wahrgenommen werden. Auf dem zweiten Platz liegen die Fingerspitzen mit zwei Millimetern.

Es kann nur einen geben

Die Zungenspitze ist jedoch der Spitzenreiter in Sachen sensorische Wahrnehmung. Hier sind die

Tastrezeptoren in so hoher Zahl zu finden, dass sogar bei einem Abstand von nur einem halben

Millimeter zwei Druckpunkte wahrgenommen werden können. Die hohe Empfindlichkeit der Zunge

kann sogar lebensrettend sein: Die Zunge ist so dicht mit Tast-Rezeptoren besetzt, dass sich eine

Art Vergrößerungseffekt einstellt: Die Fischgräte im Mund erscheint viel größer als die, die man

anschließend zwischen den Fingern hält.

Autor: Carsten Linder

Hubertus Hacke aus Uelzen kann

nur mit Hilfe seiner Zunge zwanzig

verschiedene Golfbälle tastend

unterscheiden

Die Fingerspitzen zählen zu den

tastempfindlichsten Körperregionen

Die Zungenspitze im Modell. Sie steckt

voller Tastrezeptoren

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Zusatzinfos (Fachausdrücke, Erklärungen):

Papillen

Als Papille bezeichnet man die Ausstülpung eines Blattes oder der Haut. Auf der Zunge sind in

Papillen sowohl die „Geschmacksknospen„ als auch die Tast-Rezeptoren untergebracht. Letztere

leis ten keinen Beitrag zum Geschmacksempfinden, ermittelt aber die Konsistenz unserer Nahrung.

Rezeptor

Rezeptoren sind spezialisierte Sinneszellen, die als erstes Glied unserer Sinne einen Reiz wahrneh-

men. Jeder Rezeptor ist auf einen speziellen Reiz ausgelegt. Er wandelt diesen um, so dass er an

das Nervensystem weitergeleitet werden kann.

Weber‘scher Tastzirkel

Der Weber‘sche Tastzirkel ist ein medizinisches Hilfsgerät, um den Zweipunkte-Test zum Beispiel bei

Störungen der Nervenleitungen bei Schlaganfallpatienten durchzuführen: Ein Zirkel mit zwei recht-

winklig abgebogenen stumpfen Enden und einer Skala, welche die Abstände zwischen den Enden

in Millimeter anzeigt kann so den Mindestabstand zweier Druckpunkte ermitteln, die noch als zwei

Berührungspunkte wahrgenommen werden können. Normalerweise werden zum Beispiel an der

Finger kuppe zwei Punkte im Abstand von weniger als zwei Millimeter noch als eine Berührung emp-

funden. Erst ab einem Abstand von zwei Millimetern spürt man an der Fingerkuppe zwei Druck -

punkte. Er ist nach Ernst Heinrich Weber (1795-1878) benannt.

Umami

Der Begriff Umami kommt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie „wohlschmeckend“ oder

„herzhaft und fleischig“. Das weist auch auf den Geschmack hin, der dem einer würzigen Fleisch -

brühe ähnelt und ein Zeichen für eiweißreiche Nahrung ist. Der bekannte Geschmacks verstärker

Glutamat entspricht dem Brühegeschmack. Glutamat ist das Salz einer wichtigen Aminosäure, der

Glutaminsäure. Besonders reichlich ist Glutamat in vollreifen Tomaten, Fleisch und Käse vorhanden.

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Was Finger verratenDer große Quarks-Finger-Check

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Verraten Finger etwas über Intelligenz und Charakter?

Forscher gehen davon aus, dass die Menge von Sexualhormonen, die ein Embryo im Mutterleib

zu einem bestimmten Zeitpunkt produziert, Einfluss auf seine Fingerlänge hat. Genauer gesagt

geht es dabei um das Verhältnis von Ringfinger und Zeigefinger: Im Durchschnitt haben Männer

eher längere Ringfinger, Frauen eher gleich lange Finger oder längere Zeigefinger. Haupteinfluss hat

dabei das Sexualhormon Testosteron, das bei beiden Geschlechtern offensichtlich die Länge des

Ring fingers beeinflusst. Denn die Finger entwickeln sich ab der 7. Schwangerschaftswoche – zur

selben Zeit, in der auch die Geschlechtsorgane angelegt werden. Und genau dann beginnen auch

zum ersten Mal Sexualhormone einzuwirken, auch Testosteron. Vorher sind die Ungeborenen

geschlechtsneutral, erst mit dem Einwirken der Hormone werden sie weiblich oder männlich.

Typisch Mann – typisch Frau schon im Mutterleib?

Viel Testosteron sorgt dafür, dass der Ringfinger etwas länger wird, und zwar auch bei weiblichen

Embryonen. Denn auch sie produzieren Testosteron, wenn auch in geringeren Mengen als männ-

liche. Das ist ganz natürlich und gehört zum individuellen Hormon-Mix. Doch gerade an der Wir -

kung von Testosteron auf den Körper setzen die Überlegungen an, dass Testosteron vor der Geburt

das spätere Verhalten prägen könnte – in Richtung „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“. Und

das genau war die Fragestellung des Quarks-Finger-Tests: Kann man aus der Fingerlänge typisch

weibliche oder männliche Charaktereigenschaften ablesen?

„Testosteron im Embryo wirkt auf die Fingerlänge, das ist nachgewiesen. Daher kann man

das Fingerverhältnis beim Erwachsenen benutzen – als ein Fenster in die Vergangenheit“, so

Dr. Johannes Hönekopp. Er ist Bio-Psychologe an der Universität von Northumbria in England und

hat selbst Studien zur Fingerlänge durchgeführt. Dr. Hönekopp hat unseren Online-Test entworfen

und ausgewertet. Das Stichwort Vergangenheit ist dabei übrigens wichtig: Ein langer Ringfinger

sagt nichts über das im erwachsenen Körper zirkulierende Testosteron oder den Hormonspiegel –

Männer mit längeren Ringfingern müssen aktuell nicht mehr Testosteron im Körper haben als

Männer mit gleichlangen Fingern.

Fingerlängen im Quarks-Check

Ausgewertet wurden in einem ersten Schritt unseres Tests die Daten von 844 Teilnehmern: 64

Prozent der Männer haben längere Ringfinger. Bei 36 Prozent ist der Zeigefinger länger, oder die

Finger sind gleich lang. Bei den Frauen ist der Zeigefinger tendenziell länger, nämlich bei 63

Prozent. Doch immerhin 37 Prozent haben längere Ringfinger, oder die Finger sind gleich lang.

Es gibt also einen „kleinen Unterschied„: Das ist die Tendenz, dass mehr Männer längere Ringfinger

haben und mehr Frauen längere Zeigefinger. Doch die Ergebnisse, die sich übrigens mit der allge-

meinen Forschungslage decken, zeigen auch: Die Gruppe derer, die nicht das „typische“

Fingerlängenverhältnis aufweisen, ist sehr groß – nämlich jeweils weit über ein Drittel. Es gibt also

Die Fingerlänge wird schon im Mutter -

leib geprägt und bleibt im Laufe des

weiteren Lebens konstant

Rechte: Mauritius images

Dr. Johannes Hönekopp vermisst Finger

ganz genau

Die Ergebnis-Grafik zeigt, dass viele

Männer und Frauen auch „untypische“

Fingerlängen haben

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keine strenge Zuschreibung von Fingerlänge und Geschlecht. Wer daher als Mann nicht an beiden

Händen längere Ringfinger oder als Frau nicht an beiden Händen längere Zeigefinger hat, befindet

sich in großer Gesellschaft – und ist vollkommen normal.

Geschlechtsunterschiede im Quarks-Test

Der Quarks-Test zeigt folgende Tendenzen: Männer sind körperlich aggressiver und insgesamt

risiko bereiter. Verbal sind beide Geschlechter aber praktisch gleich aggressiv. Frauen können Emo -

tionen in Gesichtern etwas besser erkennen. Doch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern

waren keineswegs groß, so dass hier nicht eindeutig die Rede von „typisch Mann“ oder „typisch

Frau“ sein kann. So zeigte sich zum Beispiel, dass ganze 30 Prozent der Frauen körperlich aggres-

siver und gewaltbereiter waren als der Durchschnittsmann. Und umgekehrt konnten 35 Prozent der

Männer Emotionen in Gesichtern besser erkennen als die Durchschnittsfrau!

Das Wichtigste aber ist: Einen klaren Zusammenhang zwischen Fingerlänge und Charakter hat der

Test nicht ergeben: Ein langer Ringfinger sagt nicht, dass jemand aggressiv, ein langer Zeigefinger

nicht zwingend, dass man einfühlsam ist. Interessanterweise ergab lediglich die Analyse bei den

Männern, dass diejenigen mit längeren Ringfingern etwas stärker verbal aggressiv waren als

Männer mit einem anderen Fingerverhältnis. Aber der Zusammenhang ist sehr schwach. Darüber

hinaus gibt es zwischen Männern und Frauen bei der verbalen Aggression insgesamt praktisch kei-

nen Unterschied. Daher zeichnet sich dieses eine Ergebnis nicht besonders aus, meint Johannes

Hönekopp: „Die Ergebnisse aus unserer Quarks-Online-Studie passen sehr gut in die generelle For -

schungslandschaft. Da gibt es nämlich, wenn es um Verhalten oder Charakter geht, nur sehr

schwache Zusammenhänge mit dem Fingerlängenverhältnis – oder gar keine. Das heißt, typischer -

weise kann ich aus dem Fingerlängenverhältnis einer Person nicht auf ihren Charakter schließen.“

Langfinger laufen länger

Allerdings ist der Bio-Psychologe einem anderen Geheimnis der Fingerlänge auf der Spur – näm-

lich ihrer Bedeutung für die körperliche Ausdauer und Leistungsfähigkeit. Er untersucht am Institut

für Psychologie und Sportwissenschaften an der Universität von Northumbria Sportler mit länge-

ren Ringfingern – also Männer und Frauen, bei denen im Mutterleib jeweils etwas mehr Testoste -

ron wirkte. Denn da gibt es gesicherte Zusammenhänge: Solche Sportler zeigen größere Ausdauer

und sind besser für Sportarten wie Skilanglauf oder Langstreckendisziplinen geeignet. Johannes

Hönekopp will in neuen Studien zeigen, ob der Einfluss des Testosterons vor der Geburt beispiels -

weise für mehr rote Blutkörperchen sorgt, oder den Körper besser Sauerstoff verarbeiten lässt. Die

Fingerlänge sagt also nichts über den Charakter. Aber über die Ausdauer – und vielleicht über den

Erfolg beim nächsten Marathon.

Autorin: Johanna Bayer

Männer und Frauen verhalten sich leicht

unterschiedlich – aber unabhängig von

der Fingerlänge

Vorteil beim Dauerlauf durch vorge -

burtliches Testosteron?

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Der Spermien-MythosKein Kampf, kein Wettschwimmen

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Die Geschichte ist einfach zu schön, um wahr zu sein: Spermien, die sich abmühen, mit aller Kraft

strampeln, um voranzukommen und eine riesige Strecke durchschwimmen, um zum Ei zu gelan-

gen, wo nur der Beste und Schnellste eindringen kann. Doch das sind nur Mythen – die Wahrheit

ist die Geschichte von Teamarbeit und Kooperation.

Mythos 1: Sie schwimmen!

Spermien schwimmen nicht durch die Gebärmutter. Ihre Geißel, mit der sie in einer schraubenden

Bewegung schlagen, dient nicht zur Überwindung großer Distanzen, sondern zum Eindringen ins

Ei. Bis zu diesem Zeitpunkt bewahren sie ihre Energie auch lieber auf – richtig aktiv werden sie

erst im Eileiter, wenn das Ziel unmittelbar bevor steht. Die riesige Strecke von der Scheide, wo

sie landen, bis zum Ei, könnten sie auch gar nicht so einfach überwinden. Spermien gehören zu

den kleinsten Körperzellen, sie sind nur 0,06 Millimeter groß. Im Körper der Frau liegt eine Strecke

von 12 bis 15 Zentimetern vor ihnen, bis sie das reife Ei erreichen. Müssten sie schwimmen, wäre

das eine schwere Herausforderung: Rechnet man die Distanzverhältnisse auf einen erwachsenen

Mann von 1,80 Metern um, müsste dieser rund 5,5 Kilometer Dauerschwimmen – mehr als beim

härtesten Triathlon! Doch schon zehn Minuten nach der Ankunft in der Scheide können die ersten

Spermien am Eileiter eintreffen; aus eigener Kraft könnten sie das gar nicht schaffen.

Bequem wie im Shuttle-Service

Stattdessen sorgt die Gebärmutter für den Transport: Wie Forscher vom Uniklinikum Darmstadt

schon vor Jahren eindrucksvoll zeigen konnten, schieben gezielte Muskelkontraktionen der Gebär -

mutter die Spermien im Gebärmutterschleim nach oben Richtung Ei. Denn der Eileiter, in dem gera-

de ein reifes Ei sitzt, aktiviert die entsprechende Seite der Gebärmutter, so dass sich die Muskeln

zusammenziehen und die Spermien wie mit einem Shuttle-Service transportieren. Auch den

Aufstieg von der Scheide in die Gebärmutter erledigen die Spermien nicht selbst: Der Gebärmut -

ter hals saugt die Spermien an und so gelangen sie nach oben in den schützenden, nährenden

Schleim des Gebärmutterhalses. Hier können sie fünf bis sieben Tage überleben, und von hier aus

treten sie ihre Reise an.

Mythos 2: Kampf und Konkurrenz

Zwischen 40 und 600 Millionen Spermien kommen in der Scheide an – doch nur wenige Tausend

erreichen den Eileiter. Doch nicht die Spermien bekämpfen sich gegenseitig, um den Besten aus-

zulesen. Das Gros bleibt buchstäblich auf der Strecke, weil es die Reise durch die Gebärmutter

nicht übersteht. Denn in der Gebärmutter sind sehr viele Immunzellen aktiv, die Feinde und

Eindringliche abwehren sollen. Die Immunzellen stürzen sich auf alle Fremdkörper – und auch

Spermien sind Fremdkörper. Die meisten Spermien aus dem Ejakulat werden also vernichtet, das

ist vermutlich ein Grund dafür, dass eine solche Menge zur Verfügung gestellt wird. Es gibt aber

auch interessante Beobachtungen, wie sich die Spermien verhalten: Viele von ihnen, ein Drittel in

Die Masse macht’s: In einem nor ma -

len Ejakulat sind viele Spermien

überhaupt nicht beweglich, die

anderen zappeln meist nur

ziellos. Aber alle sind nützlich

Die Gebärmutter saugt die Spermien an

– ihre Reise beginnt vollkommen passiv

Schleim aus dem Gebärmutterhals

schützt und nährt die Spermien auf

ihrer Reise, und hilft beim Transport

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jedem Ejakulat, können sich gar nicht bewegen. Sie scheinen nutzlos zu sein, aber ihre Aufgabe

könnte darin liegen, eben jene Immunzellen zu beschäftigen! Je mehr Spermien-Masse, desto

mehr haben die Abwehrkörper zu tun – und desto mehr kommen durch. So stellt sich in Wahrheit

die Aufgabe der Spermien nicht als Wettkampf gegeneinander dar, sondern als Kooperation! Im

Schutz der Masse gelangen genügend lebensfähige, bewegliche Spermien von der Gebärmutter

bis zum Ei.

Mythos 3: Nur der Beste gewinnt

Nur ein einziges Spermium dringt ins Ei ein und befruchtet es – doch das heißt nicht, dass nur ein

einziges das Ei erreicht, und dass dieses das schnellste und kräftigste Spermium der Menge ist.

Stattdessen landen Hunderte von Samenzellen im Eileiter, wo die Umgebung für sie günstiger ist

als in der Gebärmutter: Hier durchlaufen sie einige Veränderungen, die sie aktiver machen, so dass

ihre Geißel viel schneller schlägt. Das Ei selbst kommt ihnen entgegen, gefächelt von kleinen

Härchen des Eileiters. So schaffen es die Spermien, im Eileiter eine winzige Strecke von einem bis

zwei Zentimetern selbst zu überwinden, unterstützt noch durch Kontraktionen der Eileiterwand, die

sie voranschieben. Das Ei sendet außerdem Lockstoffe aus, die chemisch auf die Köpfe der

Spermien wirken, so dass sie sich zum Ei ausrichten. Zwei- bis dreihundert Spermien können sich

so auf das empfängnisbereite Ei stürzen.

Alle für einen

Das Ei ist von einer Wolke von Zellen umgeben – diese Außenschicht gilt es nun zu knacken. Eine

Samenzelle alleine könnte diese Hülle nicht durchdringen, sagen Experten: Die Hauptaufgabe der

vielen im Team arbeitenden Spermien ist es, die Außenschicht des Eies aufzulösen. Genau dazu

dienen auch die Schläge mit der Geißel – nicht zur Fortbewegung. Wenn die Hülle schließlich nach-

gibt und einreißt, so ist es purer Zufall, welches Spermium hineingelangt. Es ist weder das

Schnellste noch das Beste, auch nicht das, das sich gegen andere durchgesetzt hat – sondern das

Spermium, das zufällig gerade an der richtigen Stelle sitzt. Vielleicht ist es auch eines, das gera-

de erst angekommen ist und noch frische Kräfte hat, um zu bohren. Auch hier siegt also das Team:

Das Wunder der Befruchtung ist ein Wunder an Kooperation.

Autorin: Johanna Bayer

Ansturm auf das Ei – Spermien tragen

gemeinsam die äußere Hülle ab

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Das Biotop in uns Reise durch den Kosmos Darm

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Ungefähr 30.000 Kilogramm Speisen und 50.000 Liter Flüssigkeit wandern in einem durchschnitt-

lichen Menschenleben durch unser Verdauungssystem. Diese Masse an Nahrung verarbeiten wir

nicht alleine – wir haben unzählige Helfer: Im Dickdarm zerlegen täglich etwa 100 Billionen bis

eine Billiarde Bakterien die komplexeren Nahrungsbestandteile, damit keinerlei Energie ver-

schwendet wird. Damit sichert der Darm mit seinen Mikroorganismen das Überleben des ganzen

Körpers. Am Ende werden nur unverdauliche Bestandteile und Bakterien ausgeschieden. Und das

ist das Überraschende: Jeder menschliche Kothaufen besteht zu 30 bis 50 Prozent aus Bakterien!

Größte Wohngemeinschaft der Welt

Jeder Mensch ist ein bewohntes Universum. Im Dünndarm beginnt die Besiedung und es fängt

erst mal klein an: eine Million Bakterien pro Milliliter Darminhalt – das sind 106 pro Milliliter. Doch

die Bakterien vermehren sich rasant und schon im Dickdarm wohnen bis zu 1.012 Bakterien je

Milliliter. Damit leben in einem Milliliter Dickdarm 100 Mal mehr Bakterien als Menschen auf der

ganzen Erde! Unser Dickdarm ist dichter besiedelt als jeder andere Fleck auf der Welt. Forscher

haben berechnet, dass jeder Erwachsene rund zwei Kilogramm Bakterien in seinem Bauch mit sich

rumträgt – jeden Tag!

Unser Bauch – Biotop für Billionen

Nicht nur die Menge – auch die Artenvielfalt in unserem Verdauungstrakt ist erstaunlich. Forscher

schätzen, dass im Dickdarm 500 bis 1.000 verschiedene Bakterienarten zusammenleben. Optisch

kann man sie nicht unterscheiden – daher widmen sich Forscher auf der ganzen Welt gemeinsam

der Aufgabe, das Bakterien-Genom des Menschen zu bestimmen. Diese Forschungsarbeit nennt

man das „Human Microbiome Project“ – angelehnt an den Begriff „Human Genome Project“, bei

dem das menschliche Erbgut entziffert wurde.

Erste Erkenntnisse zum Thema Darm: Jeder Mensch hat eine individuelle Bakterien zusam -

mensetzung. Nur etwa 40 Prozent der Bakterien teilen wir mit der Hälfte unserer Mitmenschen.

Der Rest ist bei jedem anders. Irgendwann könnte man Menschen möglicherweise an „ihren“ Bak -

terien unterscheiden, so wie heute an ihrem Fingerabdruck.

Unsere unsichtbaren Helfer

Ohne unsere Untermieter könnten wir nicht überleben: Sie bilden einen Teil unserer Abwehr: ein-

fach dadurch, dass die Darmwände durch „gute“ Bakterien besiedelt sind. Dadurch finden „schlech-

te“ Krankheitserreger keinen Platz, sich zu vermehren. Aber ihre Hauptaufgabe ist, unsere komple-

xen Nahrungsbestandteile so aufzuschließen, das wir sie aufnehmen und verwerten können.

Forscher haben dabei eine besonders fleißige Bakterienart entdeckt: Sie zerlegt selbst unverdau-

liche Ballaststoffe in Zucker und Fettsäuren. Damit machen sie die Menschen, in denen sie vor-

kommen, zu besonders guten Futterverwertern. In Zeiten der Not ein Überlebensvorteil. Heutzu -

tage eher fatal: Forscher haben diese speziellen Bakterien vor allem bei dicken Menschen gefun-

den. Ob die Bakterien ein Mitverursacher von Übergewicht sein können – oder dicke Menschen

sich so ernähren, dass diese Bakterien sich besonders wohlfühlen – ist noch unklar.

Unsere Ausscheidungen leben!

Mindestens 30 Prozent sind Bakterien

Rechte: WDR / MEV

Biotop für Billionen! Jeder schleppt

zwei Kilogramm Bakterien mit sich

herum

Die Bakterienflora ist bei jedem anders

– fast so individuell wie ein

Fingerabdruck

Rechte: AP / Jens Meyer

Besonders fleißige Bakterien zerlegen

selbst unverdauliche Ballaststoffe

Page 10: Q_Koerper

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Neue Technik – neue Welten

Die „Reise“ durch den Dünndarm war vor dem Jahr 2000 unmöglich. Der Dünndarm ist mit bis zu

sechs Metern zu lang und oft auch verschlungen für den normalen Endoskopie-Schlauch. Erst die

Entwicklung einer winzigen Kamera-Kapsel macht es Medizinern heute möglich, auch im Dünndarm

nach Auffälligkeiten zu suchen. Die Untersuchung ist für Patienten angenehmer: Die Mini-Kamera

wird einfach geschluckt und geht dann den Weg der Nahrung. Die Kamera ist nämlich gerade so

groß, wie eine Tablette und vollgestopft mit Technik: Sie macht zwei Bilder pro Sekunde und hat

ihr eigenes Licht dabei; im Darm ist es schließlich dunkel. Die Daten werden an einen Bauchgurt

übermittelt und gespeichert. Und die Kamera wandert nach ihrem „One-Way-Spezial“–Auftrag auf

natürlichem Weg in die Schüssel.

Rekorde, Zahlen und skurrile Darmgeschichten

Schon die Größe des Dünndarms ist sensationell: Die Schleimhaut misst ausgebreitet fast 200

Quadratmeter. Das entspricht fast der Größe eines Tennisplatzes und ist etwa 100 Mal größer als

unsere Hautoberfläche. Der Darm ist der Hauptwohnsitz unseres Immunsystems: 70 Prozent der

Abwehrzellen sitzen im Darm. Und der Darm wird durch ein eigenes Hirn gesteuert: Über 100

Millionen Nervenzellen im Darm sind zu einem Netz verflochten. Damit übertrifft das Darmhirn das

gesamte Rückenmark. Pro Tag entweichen einem gesunden Darm ein bis drei Liter Darmgase. Es

sind die „Abgase“ der Bakterien, die während der Verdauung entstehen. Nur ein kleiner Teil der

Darmgase wählt den „lautstarken“ Hinterausgang. Erstaunlich: Der Großteil der Darmgase wird

über die Darmwand aufgenommen, über das Blut zu den Lungen transportiert und ausgeatmet.

Zum Glück völlig geruchsneutral.

Autorin: Corinna Sachs

Zusatzinfos (Fachausdrücke, Erklärungen):

Metagenomik

Die Metagenomik ist eine Nachweismethode in der Biotechnologie. Damit ist es möglich, Mikro -

organismen allein anhand ihres Erbguts zu bestimmen. Wissenschaftler nehmen Proben aus einem

bestimmten Lebensraum – wie z.B. dem Dickdarm und entziffern sämtliche genetische Infor matio -

nen darin. Heutzutage ist das kein Problem, da es immer schnellere und leistungsfähigere Geräte

gibt, mit denen das möglich ist: die sogenannten DNA-Sequenzierer. Mit Hilfe des Computers wer-

den die gefundenen Erbgut-Stücke dann einzelnen Organismen zugeordnet.

Endoskopie

Die Endoskopie bezeichnet eine Untersuchungsmethode, bei der der Arzt einen Schlauch mit Kamera

und Licht in eine Körperöffnung schiebt, um ins Innere zu sehen. Am bekanntesten ist die Magen-

oder Darmspiegelung. Aber auch die Bronchien oder sogar die Gelenke können per Endoskopie

untersucht werden.

Winzig klein flutscht die Endoskopie-

Kapsel auf natürlichem Weg durch den

Verdauungstrakt

Rechte: Given Imaging GmbH

Bakterien produzieren Gase – und nur

ein kleiner Teil davon entweicht als

Flatus – dem umgangssprachlichen Furz

Rechte: SWR

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Gutes Gehen und schlechtes LaufenWieso Barfuß-Laufen gesünder ist

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Was Bewegung angeht, ist der Mensch zwar ein echter Allrounder. Aber in den meisten Einzel -

disziplinen sind Tiere einfach besser. Menschen kommen im Wasser zwar ganz passabel voran,

aber mit Fischen können sie dann doch nicht mithalten. Fliegen hat der Mensch sich mit kompli-

zierten Hilfsmitteln mühsam beigebracht, aber gegen Vögel oder Insekten hat er keine Chance.

Auch im Sprint wird der Mensch von den meisten Tieren problemlos abgehängt. Nur in einer

Disziplin sind Menschen wirklich Spitze: im Gehen.

Weltmeister im Gehen

Lange galt das aufrechte Gehen der Zweibeiner unter Wissenschaftlern eher als Kompromisslösung

der Evolution. Inzwischen bestätigen auch Biologen, was Wanderer schon längst ahnen: Gehen ist

enorm effizient, auf Dauerleistung angelegt und energiesparend. Wenn Gehen die heimliche

Königsdisziplin des Menschen ist, wie sieht es dann mit dem Laufen aus? Immerhin ist Laufen

Volkssport Nummer eins – und nicht das Gehen. Allerdings sind die Sehnen, Gelenke und Knochen

von Läufern hohen Belastungen ausgesetzt, die oft zu Verletzungen führen. Durch immer ausge-

feiltere Laufschuhe mit immer raffinierteren Federungen versuchen Hersteller moderner Lauf -

schuhe, das Verletzungsrisiko zu verringern. Aber was, wenn moderne Laufschuhe nicht die

Lösung, sondern die Wurzel des Übels wären?

Gelernter Barfuß-Läufer

Diese provozierende These vertritt Daniel Lieberman, Professor für Biologie an der Harvard-

Universität in Boston. Moderne Laufschuhe begünstigten mit ihren gepolsterten Absätzen einen

ganz bestimmten, ungesunden Laufstil, den wir uns seit etwa 30 Jahren angewöhnt hätten.

Solange gibt es moderne Laufschuhe. Daniel Lieberman ist kein Spinner: Spezialgebiet des Evolu -

tions biologen und passionierten Läufers ist seit vielen Jahren die Entwicklung des menschlichen

Fußes. Ursprünglich, so Lieberman, entwickelte sich der Fuß des frühen Menschen fürs Gehen und

Klettern. Erst vor etwa zwei Millionen Jahren änderte sich das Bild: In Afrika wandelte sich die dich-

te Wald- immer mehr in eine lichte Savannen-Landschaft. Damit änderte sich auch das Nahrungs -

angebot für den bisher überwiegend vegetarisch lebenden Menschen: In der Savanne gab es reich-

lich Fleisch – vorausgesetzt, man konnte die Antilopen und Gazellen auch fangen. Um ein Jäger zu

werden, so Liebermans Theorie, begann der Mensch zu laufen.

Sanftere Landung für Barfüßler

Laufen gelernt hat der Mensch also barfuß. Um herauszufinden, ob man barfuß anders läuft als mit

Schuhen, untersuchte Daniel Lieberman Barfuß-Läufer im Labor mit einer Highspeed-Kamera – und

verglich diese Bilder mit Läufern in modernen Hightech-Schuhen. Läufer mit Schuhen kommen vor-

zugsweise auf der Ferse auf. Dabei prallt der Fuß fast senkrecht auf dem Boden. Die Belastungen,

die der Fuß dabei auszuhalten hat, entsprechen dem Zwei- bis Dreifachen des Körpergewichts.

Barfuß läufer dagegen setzen den Fuß nicht mit der Ferse, sondern mit ihrem Vorderfuß auf. Die

Ener gie, die bei einem senkrechten Aufprall auf die Knochen geht, wird so in eine Rotations-

Bewegung umgesetzt. Die Messungen auf dem Laufband zeigen, dass die Aufprallkraft und damit

die Belastung für Knochen und Gelenke beim Aufkommen mit dem Vorderfuß etwa siebenmal

gerin ger ist als für Läufer, die mit der Ferse auf den Boden kommen.

Gehen ist die menschliche

Königsdisziplin

Typisch für moderne Laufschuhe sind

gepolsterte Absätze

Erforscht die Entwicklung des mensch -

lichen Fußes: Harvard-Biologe Daniel

Lieberman

Rechte: Nature-Video

Barfußläufer kommen überwiegend mit

dem Vorderfuß auf, beschuhte Läufer

mit der Hacke Rechte: Daniel Lieberman,

Harvard University

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Gesundheitsrisiko Laufschuhe?

Nach Lieberman ist es wahrscheinlich, dass der harte Aufprall mit der Ferse, der durch das Laufen

in modernen Laufschuhen begünstigt wird, ein Grund sein könnte für die relativ hohe Verletzungs-

Anfälligkeit von Läufern. Läufer, die nicht auf der Ferse sondern auf dem Vorderfuß landen, wären

demnach wesentlich weniger anfällig. Um diesen Zusammenhang zu beweisen, sind allerdings

noch weitere Studien notwendig. Für sich hat Daniel Lieberman schon Konsequenzen gezogen: Er

hat seine Laufschuhe ins Regal gestellt und ist auf Barfußlaufen umgestiegen.

Autor: Jakob Kneser

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Alles im LotWie unser Gleichgewichtssinn funktioniert

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Egal, ob wir auf dem Kopf stehen, auf einem Seil balancieren oder in einem Flugzeug durch die

Luft fliegen: Unser inneres Navigationssystem sagt uns normalerweise immer, wo oben ist und wo

unten. Beeinflusst wird unser Gleichgewichtssinn vor allem von der Schwerkraft. Die dafür

empfäng lichen Organe sitzen auf beiden Seiten des Kopfes im Innenohr, im sogenannten Labyrinth,

direkt neben den Hörorganen. Hier befindet sich das eigentliche Gleichgewichts-Organ – auch

Vestibular-Organ genannt: Es besteht aus drei Bogengängen und den beiden Makula-Organen. Die

drei Bogengänge sind so angeordnet, dass sie Drehbewegungen in alle Richtungen wahrnehmen;

die beiden Makula-Organe registrieren Beschleunigungen. In jedem dieser Organe gibt es Sinnes -

zellen mit feinen Härchen – die Haarzellen –, die in eine Gallertschicht eingebettet sind.

Navigieren mit der Schwerkraft

Solange sich der Kopf in aufrechter Position befindet, bleiben die Haarzellen ruhig. Erst wenn sich

der Kopf aus dieser Position herausbewegt, dreht oder beschleunigt, bewegt sich auch die Flüssig -

keit in den Gleichgewichts-Organen und lenkt die Haarzellen ab. Diesen mechanischen Reiz leiten

die Haarzellen als elektrisches Signal über den Gleichgewichts-Nerv an das Gehirn weiter, zu den

sogenannten vestibulären Kernen im Hirnstamm. Von dort wird jede Veränderung der Position des

Kopfes über die Nervenbahnen sofort ans motorische System gemeldet. Über das Gleichgewichts -

organ im Innenohr wissen wir also jederzeit, wohin wir uns im Raum bewegen und spüren selbst

bei geschlossenen Augen, wo oben und unten ist.

Orientierung über die Augen

Eine wichtige Rolle für die räumliche Orientierung spielen aber auch die Augen, denn sie melden

dem Gehirn permanent Informationen über die Umgebung. Und sie sind durch einen automati-

schen Reflex mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr verbunden: Selbst kleinste Änderungen

der Kopfposition gleicht das vestibuläre System sofort durch eine Gegenbewegung der Augen aus.

Dadurch bleibt das Bild auf der Netzhaut stabil. Dieser Augen-Reflex lässt sich im Labor des

Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt eindrucksvoll zeigen: Auf einem Drehstuhl wird eine

Versuchsperson schnell gedreht und dann plötzlich gestoppt. Mit einer Spezialbrille kann man

deutlich sehen, wie die Augen des Probanden hin und her flackern. Der Grund: Die Flüssigkeit in

den Bogengängen rotiert noch einige Sekunden weiter, so dass das Gleichgewichtssystem dem

Auge nach wie vor Bewegung meldet.

Registriert Bewegungen des Kopfes:

das Vestibular-Organ im Innenohr

Die Bogengänge im Innenohr nehmen

Drehbewegungen in allen Richtungen

wahr

Mit einer Spezialbrille lässt sich das

Flackern der Augen nach einer längeren

Drehung des Kopfes sichtbar machen

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Wenn das Gleichgewicht aus dem Takt kommt

Das Gleichgewichtssystem wird über verschiedene Sinnesorgane gesteuert. So ist es auch dann

funktionsfähig, wenn eines der Organe ausfällt. Gleichzeitig ist es dadurch aber auch anfällig für

Täuschungen. Das passiert zum Beispiel dann, wenn wir auf einer großen Leinwand eine Achter -

bahn fahrt sehen. Die Augen signalisieren dem Gehirn heftige Bewegung, das Gleichgewichts-

Organ im Innenohr hingegen Ruhe. Das Gehirn kann die widersprüchlichen Botschaften nicht

verein baren, uns wird schwindelig. Das Umgekehrte kann im Flugzeug passieren, wenn es in ein

Luftloch sackt. Dabei meldet das Gleichgewichtsorgan dem Hirn Bewegung, während die Augen

ein unbewegtes Bild signalisieren. Auch dabei wird vielen Menschen schwindelig. Dass wir – nor-

malerweise – das Gleichgewicht halten und uns im Raum orientieren können, ist also alles ande-

re als selbstverständlich.

Autor: Jakob Kneser

Wenn Augen und Gleichgewicht s -

organ dem Gehirn widersprüchliche

Bot schaften vermitteln, wird uns

schwindelig

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Lesetipps

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Leben auf dem Menschen – Die Geschichte unserer Besiedler

Autor: Jörg Blech, überarbeitete Neuauflage 2010

Verlagsangaben: Rororo, Reinbek

ISBN-13: 9783499624940

ISBN-10: 349962494X

Sonstiges: 237 Seiten, 8,90 Euro

Hier erfahren Sie genau, wer in und auf Ihnen wohnt – mit dieser Lektüre fühlen Sie sich niemals

mehr einsam ...

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Linktipps

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Wie der Tastsinn funktioniert:

http://www.planet-schule.de/sf/multimedia/animationen/landkarte_haut/mme/mmewin.html

Planet Schule erläutert anschaulich, wie sich unser Tastsinn zusammensetzt.

Zunge, Kuss und Spucke - Faszinierendes rund um den Mund

http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2007/0102/004_mund.jsp

In der Sendung „Zunge, Kuss und Spucke - Faszinierendes rund um den Mund“ vom 02.01.2007

stellt Quarks & Co das Allround-Talent Zunge vor.

Dr. Johannes Hönekopp

http://www.northumbria.ac.uk/sd/academic/psychsport/div_psych/psychstaff/jhonekopp/

Seite von Dr. Johannes Hönekopp mit Veröffentlichungen

Webseite von Daniel E. Lieberman

http://www.barefootrunning.fas.harvard.edu/

Auf seiner Website gibt Harvard-Professor Daniel Lieberman einen ausführlichen Einblick in seine

Forschungen zum Barfußlaufen, mit vielen Videos und Bildbeispielen – und mit Einsteiger-Tipps

für Läufer, die es auch mal ohne Schuhe probieren wollen. Die Seite ist englischsprachig.

Nature-Artikel von Daniel Lieberman zum Barfußlaufen

http://www.fas.harvard.edu/~skeleton/pdfs/2010a.pdf

Auf der Website der Harvard Universität können sich wissenschaftlich Interessierte den Nature-

Artikel von Lieberman zum Barfußlaufen herunterladen.

(6-seitiges PDF, 345 kB, englisch)

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Impressum:

Herausgegeben

vom Westdeutschen Rundfunk Köln

Verantwortlich:

Quarks & Co

Claudia Heiss

Redaktion:

Claudia Heiss

Gestaltung:

Designbureau Kremer & Mahler

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