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Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen durch Dementia Care Mapping? Erfahrungen und Erkenntnisse aus einem dreijährigen Modellprojekt im Landkreis Marburg-Biedenkopf von André Hennig Christine Riesner Ruth Schlichting Maria Zörkler Saarbrücken, März 2006 Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. (iso), Saarbrücken

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Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen durch Dementia Care Mapping?

Erfahrungen und Erkenntnisse aus einem dreijährigen Modellprojekt

im Landkreis Marburg-Biedenkopf

von

André Hennig

Christine Riesner

Ruth Schlichting

Maria Zörkler

Saarbrücken, März 2006

Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. (iso), Saarbrücken

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© by Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso), Saarbrücken 2006, Trillerweg 68, D-66117 Saarbrücken Telefon: 0681-9 54 24-0, Telefax: 0681-9 54 24-27 E-Mail: [email protected]; Internet: www.iso-institut.de

Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Begleitung zum Modellprogramm des Bundesministeriums für Gesundheit zur „Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger“

ISBN 3-935084-22-6

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Vorwort

„Der Bewohner steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen“ - dieser Anspruch wird in den meisten Konzepten stationärer Pflegeeinrichtungen formuliert. Zugleich wissen wir, dass die Realität im Heimalltag oft anders aussieht. Da der Anteil von Menschen mit Demenz in den letzten Jahren stark angestie-gen ist, stellt sich immer drängender die Frage: Was können wir für diese Bewohner tun, um ihnen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden? Zugleich fragen wir uns: Was können wir gegen die Not des Pflegepersonals tun, das sich allzu oft überfordert fühlt und im Spannungsfeld zwischen An-spruch und Wirklichkeit zerrieben wird?

Aus dem Wissen heraus, dass herkömmliche Pflege- und Versorgungskon-zepte den Bedürfnissen von demenzkranken Heimbewohnern nur sehr ein-geschränkt gerecht werden können, gibt es mittlerweile vielfältige Bemühun-gen, das vorhandene gerontopsychologische und -psychiatrische Fachwis-sen lebensweltliche Realität werden zu lassen: Während man sich auf der politischen Ebene mit einem ganzen Maßnahmenbündel aus Gesetzen, Forschungs- und Förderprogrammen auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet, gibt es auf der praktischen Ebene immer mehr Einrichtungen, die sich mit neuen Konzepten, Theorien und Methoden auseinandersetzen. All diese Aktivitäten werden begleitet von der Aufmerksamkeit der Kosten-träger, die sich letztendlich die Frage stellen, ob die eine oder andere Ver-besserung von Qualität in der stationären Pflege zwangsläufig mit einer Kos-tensteigerung verbunden sein muss. Ihre Hoffnung ist es, eine Qualitätsstei-gerung durch mehr oder weniger kostenneutrale Strukturentwicklungsmaß-nahmen innerhalb des bestehenden Versorgungssystems zu erreichen.

In diesem Zusammenhang rückt auch das Verfahren des Dementia Care Mapping (DCM) zunehmend in das Interesse von Trägern und Fachkräften. Das von Christian Müller-Hergl in den neunziger Jahren nach Deutschland „importierte“ DCM-Verfahren hat die ohnehin kontrovers geführte Diskussion über Pflegequalität zusätzlich belebt und bereichert. Für seine Befürworter ist DCM ein „Meilenstein“ auf dem Weg der Professionalisierung von Pflege, für andere ein „unwissenschaftliches und ungeeignetes Verfahren“ zur Beur-teilung von Qualität bei der Betreuung Demenzkranker. Unbestritten ist, dass sich nicht wenige Heimträger und Pflegekräfte schwer tun mit den eher bürokratisch-technokratisch ausgerichteten Dimensionen einer „Struktur-,

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Prozess- und Ergebnisqualität“. Sie wünschen sich einen Qualitätsbegriff, der - mit Blick auf die ihnen anvertrauten demenzkranken Bewohner - mehr an subjektiven Aspekten, wie Lebensqualität und Wohlbefinden von Men-schen mit Demenz (und den sie Betreuenden), orientiert ist. Gleichzeitig suchen sie nach Wegen und Unterstützung, dieses Ziel zu erreichen. Das DCM-Verfahren erscheint vielen von ihnen ein erfolgversprechender Weg.

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf hat sich dank seines politischen Interes-ses frühzeitig in der Altenhilfepolitik und -planung engagiert. Die kommunale Altenhilfeplanung durch die „Stabsstelle Altenhilfe“ war von Beginn an als ein beteiligungsorientierter Strukturentwicklungsprozess angelegt. Gemein-sam mit Trägern und Leistungsanbietern konnten seit 1989 eine Reihe von Modellvorhaben, regionalen Initiativen und innovativen Angeboten realisiert werden. All diese Aktivitäten legten die Basis für eine lebendige und interes-sierte Fachszene in der Region, die sich für neue Ideen begeistern kann. So wurde dieses Projekt eingebettet in ein regionales Planungsnetzwerk zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Demenz. Vor diesem Hinter-grund sah es der Landkreis Marburg-Biedenkopf als große Chance und Selbstverständlichkeit an, als Modellstandort das DCM-Verfahren gemein-sam mit engagierten Pflegeeinrichtungen über drei Jahre zu erproben.

Möglich wurde dies durch großzügige finanzielle Unterstützung des Bun-desministeriums für Gesundheit sowie des Hessischen Sozialministeriums, denen wir zu besonderem Dank verpflichtet sind. Dank richten wir auch an das Kuratorium Deutsche Altershilfe und das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso), die für die überregionale Projektkoordination und die wissenschaftliche Begleitung zuständig waren. Namentlich danken möchten wir Herrn Philippsen (BMG), Herrn Dr. Rückert (KDA) und seiner Kollegin Frau Sowinski. Danken möchten wir auch Frau Zörkler vom iso-Institut für die fachlich kompetente und überaus engagierte persönliche Begleitung und Beratung während der Projektzeit. Ihre zuverlässige Präsenz war Grundlage für viele interessante Kontakte, Diskussionen und konstruktive Lösungen.

Unser Dank gilt besonders allen Einrichtungen, die den Mut hatten, an dem Projekt teilzunehmen und bereit und guten Willens waren, die damit verbun-denen Mehrbelastungen und Unwägbarkeiten auf sich zu nehmen. In die-sem Zusammenhang danken wir insbesondere allen Leitungskräften und Supervisoren, die in der alltäglichen Praxis durch ihre Kompetenz, ihre Ent-scheidungen und ihre tatkräftige Unterstützung unverzichtbare Steuerungs-

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aufgaben übernommen haben. Sie haben damit nachhaltig zum Gelingen des Projektes beigetragen.

Doch was wäre das Projekt ohne die Teams und Mitarbeiter in den Einrich-tungen? Sie waren es, die an „vorderster Front“ das DCM-Verfahren leben-dig werden ließen, die Höhen und Tiefen im Entwicklungsprozess durchhiel-ten und dabei immer die Bedürfnisse „ihrer“ Bewohner im Auge behielten. Ihnen sei an dieser Stelle unser besonderer Dank gewidmet.

Wir freuen uns, dass alle beteiligten Einrichtungen nach dem offiziellen Pro-jektende auch in Zukunft das DCM-Verfahren anwenden werden. Es macht deutlich, dass der Gewinn, der mit der Projektteilnahme verbunden war, weit höher wiegt als alle damit verbundenen Belastungen. Der Landkreis Mar-burg-Biedenkopf wird die Einrichtungen in ihren Bemühungen unterstützen, den beschrittenen Weg weiter zu gehen. Ziel ist es, ein regionales DCM-Netzwerk zu gründen, das auch neu hinzukommenden Einrichtungen offen steht. Diese Unterstützung erfolgt nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, dass es - ergänzend zur externen Kontrolle - darum gehen muss, Qualität „von innen heraus“ zu entwickeln. Unter welchen Bedingungen DCM in der Lage ist, langfristig eine neue Pflegekultur in stationären Pflegeeinrichtungen zu begründen, zeigt der vorliegende Bericht.

Marburg, März 2006

Dr. Karsten McGovern Ruth Schlichting Erster Kreisbeigeordneter Stabsstelle Altenhilfe Sozialdezernent Projektkoordinatorin

Landkreis Marburg-Biedenkopf

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Inhalt

1. Einleitung 13

2. Dementia Care Mapping - theoretische und 17 methodische Aspekte

2.1 Personzentrierte Pflege bei Demenz 17

2.2 Dementia Care Mapping 21

3. Das Marburger Modellprojekt 30

3.1 Regionale Ausgangssituation 30

3.2 Zielsetzung und Fragestellung 31

3.3 Projektdauer und Finanzierung 31

3.4 Evaluation 32

3.5 Die projektbeteiligten Einrichtungen 33

3.6 Einführung von Projektstrukturen 35

3.7 Konzeption des Marburger Modells 37

3.7.1 Ausgangsüberlegungen 37

3.7.2 Interventionsmaßnahmen im DCM-gestützten 40 Entwicklungsprozess

3.7.2.1 Anwendung des DCM-Verfahrens 40

3.7.2.2 Teambezogene Fortbildungen 41

3.7.2.3 Maßnahmen der Milieugestaltung 42

3.7.2.4 Supervision/Coaching 42

4. Der Prozess: Rollen, Aufgaben und Entwicklungen 43

4.1 Die beteiligten Akteure im Prozess 43

4.1.1 Die Mapper 43

4.1.2 Die Teams 55

4.1.3 Die Leitungskräfte der Einrichtungen 62

4.1.4 Die externen Berater 66

4.1.5 Die Projektleitung 70

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4.2 Fachtheoretische Fortbildungen 73

4.3 Maßnahmen der Milieugestaltung 75

4.4 Veränderungen der institutionellen Pflegekultur 82

4.4.1 Lebensbereich „Mahlzeiten“ 83

4.4.1.1 Defizite der Mahlzeitenkultur zu Projektbeginn 83

4.4.1.2 Veränderungen der Mahlzeitenkultur im Projektverlauf 86

4.4.1.3 Positive Ereignisse während der Mahlzeiten 90

4.4.1.4 Statistische Analyse der DCM-Daten bezogen auf die Mahlzeiten 93

4.4.2 Lebensbereich „Soziale Betreuung“ 97

4.4.2.1 Defizite in der sozialen Betreuung zu Projektbeginn 97

4.4.2.2 Veränderungen in der sozialen Betreuung im Projektverlauf 101

4.4.2.3 Positive Ereignisse im Rahmen der Betreuungskultur 104

4.4.3 Veränderungen der Organisationen am Beispiel 110 der Lebensbereiche „Mahlzeiten“ und „Soziale Betreuung“

5. Evaluation der DCM-Daten 115

5.1 Darstellung der Datengrundlage 115

5.2 Allgemeine Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation 118

5.2.1 Analyse der WIB-Werte 118

5.2.1.1 Einrichtungsübergreifende Ergebnisse 119

5.2.1.2 Einrichtungsbezogene Ergebnisse 122

5.2.2 Analyse der Verhaltenskategorien 130

5.2.3 Analyse der Maßnahmeplanungen 140

5.2.4 Analyse der positiven Ereignisse 142

5.2.5 Analyse der personalen Detraktionen 144

5.3 Spezifische Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation 149

5.3.1 Individuelle Maßnahmen 149

5.3.2 Entwicklung des Verhaltens, das Personsein nährt 154

5.3.3 Entwicklung des Verhaltens, das Personsein 166 gefährdet

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6. Organisationsentwicklung im DCM-Projekt: 169 vier Fallbeispiele

6.1 Fallbeispiel I 172

6.2 Fallbeispiel II 176

6.3 Fallbeispiel III 180

6.4 Fallbeispiel IV 184

6.5 Wohlbefinden in Organisationen 187

7. Zusammenfassung und Fazit 190

8. Empfehlungen für die Praxis 200

Literatur (Auswahl) 205

Autoren 209

Anhang: Projektmaterialien 211

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1. Einleitung

Die Zahl der Menschen, die an einer Demenz erkranken, nimmt zu. Bis zum Jahr 2030 wird ein Anstieg der Patientenzahl um rund 60% erwartet. Dann werden in Deutschland zwischen 1,8 und 2,5 Millionen ältere Menschen mit einer Demenzerkrankung leben. Diese Entwicklung ist nicht nur mit physi-schem und psychischem Leid für Betroffene und ihre Angehörigen verbun-den, sondern auch mit erheblichen volkswirtschaftlichen Belastungen.1

Demenzerkrankungen sind mit Abstand der häufigste Grund für eine Heim-unterbringung. Etwa 40% der mittelschwer und schwer demenzkranken Menschen mit einem hohen Bedarf an grundpflegerischen Maßnahmen werden in Pflegeheimen betreut. Entsprechend hoch ist ihr Anteil bei den Heimbewohnern. Er liegt zurzeit bei rund 60%, und es ist zu erwarten, dass dieser Anteil in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird.2

Diesem Trend steht die Tatsache entgegen, dass die meisten der Pflegeein-richtungen für diesen Personenkreis weder baulich noch fachlich ausgerich-tet sind.3 Die zum Teil durchaus dramatisch zu nennenden Substandards in der stationären Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zeigen sich insbesondere in einer häufig anzutreffenden reizarmen Atmosphäre, im Mangel an demenzgerechter Kommunikation und dem Fehlen von kompe-tenzerhaltenden und -fördernden Aktivitäten. Nicht selten kommt es zu An-triebs- und Verhaltensstörungen bei den Bewohnern4, in deren Folge Erzie-hungs- oder gar Zwangsmaßnahmen zum eigentlichen Problem werden.

Die Pflege Demenzkranker ist eine der „anspruchsvollsten Aufgaben, die diese Gesellschaft zu vergeben hat.“5 Diese Einschätzung Tom Kitwoods gründet in der Erkenntnis, dass Menschen mit Demenz aufgrund ihrer Er-krankung in besonderem Maße auf eine Umwelt angewiesen sind, die ihnen Geborgenheit und Halt gibt und sie in ihrem So-Sein akzeptiert. Dazu gehö-

1 vgl. Kern, A.O.; Beske, F. (1999): Entwicklung der Zahl von Demenzpatienten in Deutsch-

land bis zum Jahr 2030. Hg. vom Institut für Gesundheits-System-Forschung. Kiel. 2 vgl. Deutscher Bundestag (Hg.) (2002): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in

der Bundesrepublik Deutschland. Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen. Berlin.

3 vgl. Klie, T.; Schmidt, R. (2002): Begleitung von Menschen mit Demenz. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 35.2002.3: 199-209.

4 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Bericht bei der Beschreibung von Personengruppen die männliche Form verwendet.

5 Kitwood, T. (2000): Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: 11.

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ren ein anregungsreiches Umfeld, ein personförderndes Milieu und nicht zuletzt vertrauensstiftende Beziehungen, in denen sich die Kranken selbst als Person angenommen und wertgeschätzt fühlen.6

Folglich kommt der inneren Haltung, der Beziehungs- und Kommunikations-fähigkeit der Pflegenden, die Menschen mit Demenz in ihrem (Heim-)Alltag begleiten und unterstützen, eine entscheidende Bedeutung zu. Eine person-fördernde oder -erhaltende Interaktion mit demenziell Erkrankten setzt bei der Pflegekraft ein ethisches Grundverständnis voraus, das den Menschen mit Demenz als Person in seiner Subjektivität (an-)erkennt, auch wenn des-sen kommunikative Fähigkeiten weitestgehend verloren gegangen sind. Pflegende müssen bereit und in der Lage sein, sich - auf der Grundlage professioneller Distanz - mit ihrer ganzen Person als „Hilfs-Ich“ zur Verfü-gung zu stellen und die Person des anderen zu „halten“.7

Die hier skizzierten fachlichen und persönlichen Anforderungen an eine „gu-te“ Pflegekraft korrelieren jedoch eher selten mit der derzeitigen Realität in den Einrichtungen. In der Regel sind die mit dieser schweren Aufgabe betrauten Personen weder aufgrund ihrer persönlichen Eignung bewusst ausgewählt noch dafür systematisch fachlich qualifiziert worden. Hinzu kommt, dass oft auch die „Betreuung der Betreuenden“ und die Möglichkei-ten, Stress abzubauen, nicht ausreichend sind, um die Belastungen auf Dauer aushalten zu können.

Die Verbesserung der Interaktionsfähigkeit der Mitarbeiter ist wichtigster Punkt bei der Entwicklung einer neuen Pflegekultur in Einrichtungen für Menschen mit Demenz. Dies setzt voraus, dass den Mitarbeitern neben der Weiterentwicklung ihrer fachlichen Kompetenz die Befähigung zur interakti-ven und reflektierten Arbeit vermittelt wird. Dafür müssen allerdings Rah-menbedingungen und Angebote vielfach erst noch geschaffen werden. Dar-über hinaus gilt es, beeinflussbare strukturelle Unzulänglichkeiten einer Pflegeeinrichtung, wie z.B. inadäquates Raummilieu, Defizite im Manage-ment und in der Organisation zu erkennen und einer konsequenten Bearbei-tung zuzuführen.

6 vgl. Müller-Hergl, C. (2000): Demenz zwischen Angst und Wohlbefinden. Positive Perso-

nenarbeit und das Verfahren des Dementia Care Mapping. In: Tackenberg, P.; Abt-Zegelin, A. (Hg.): Demenz und Pflege. Eine interdisziplinäre Betrachtung. Frankfurt a.M.: 248-262.

7 vgl. Kitwood, T. (2000).

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Auf diesem Weg zu mehr Qualität und Qualitätsentwicklung in der stationä-ren Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz rückt das von Tom Kitwood und seinem Team entwickelte Verfahren des Dementia Care Map-ping (DCM) zunehmend in das Interessenfeld von Trägern, Heimleitern und Mitarbeitern. DCM als Qualitätsentwicklungsverfahren verspricht, bei allen Beteiligten einen „inneren“ Lernprozess in Gang zu setzen und über Hal-tungs- und Einstellungsänderung der Mitarbeiter einen Blick zu entwickeln, der den Bewohner vom „Objekt der Pflege“ zum „Subjekt der Begegnung“ werden lässt. Gemeint ist eine Qualität, die als „Beziehungsqualität“ in erster Linie an den Bedürfnissen der demenzkranken Bewohner orientiert ist und deren Gefühlen, Erleben und Wohlbefinden ein zunehmend größeres Ge-wicht gibt. Die Verankerung einer in diesem Sinne „personzentrierten Pflege“ ist das Anliegen von DCM und vielleicht auch ein erster Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel in der stationären Versorgung pflegebedürftiger Men-schen überhaupt.

Auf Initiative des Kuratoriums Deutsche Altershilfe in Köln erhielt der Land-kreis Marburg-Biedenkopf Anfang 2002 die Chance, das DCM-Verfahren als Methode zur Qualitätsentwicklung im Rahmen eines vom Bundesministeri-um für Gesundheit geförderten Modellprojektes zu erproben.

Der vorliegende Bericht fasst Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem drei-jährigen Modellprojekt zusammen, das Ende 2004 seinen formalen Ab-schluss fand. Zunächst werden theoretische und methodische Aspekte des Dementia Care Mapping umrissen. Ziel ist es, auch Leser, die DCM noch nicht kennen, mit den Grundannahmen und den wichtigsten Verfahrens-schritten bekannt zu machen. Da der Bericht stark praxisbezogen konzipiert ist, wurde bewusst auf eine Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema DCM verzichtet. Im Zentrum des dritten Kapitels steht die In-formation über die Zielsetzung und den Aufbau des Marburger Modellprojek-tes. Die wichtigsten Akteure im DCM-gestützten Entwicklungsprozess wer-den im ersten Teil des vierten Kapitels vorgestellt. Datengrundlage für die Ausführungen sind neben Beobachtungs- und Sitzungsprotokollen auch Berichte der projektbegleitenden Supervisoren sowie leitfadengestützte In-terviews. Die Implementierung des DCM-Verfahrens in den Modelleinrich-tungen wurde durch fachtheoretische Fortbildungen und Maßnahmen der Milieugestaltung ergänzt und unterstützt. Ergebnisse bei der Umsetzung dieser Projektbausteine sowie Beispiele für erste Veränderungen der Pfle-gekultur bei den Mahlzeiten und im Rahmen der sozialen Betreuung werden

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ebenfalls im vierten Kapitel präsentiert. Eine statistische Evaluation der er-hobenen DCM-Daten findet sich im fünften Kapitel. Anhand von vier Fallbei-spielen wird im sechsten Kapitel dargestellt, wie sich Organisationen im Laufe des DCM-Prozesses strukturell verändern und entwickeln.

Der Bericht gibt in vielen Facetten Antworten auf die Frage, ob das DCM-Verfahren geeignet ist, Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen zu för-dern. Klar aufgezeigt werden dabei die Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um DCM erfolgreich umzusetzen. Damit über den Modellverbund hin-aus auch andere Einrichtungen von den Erkenntnissen profitieren können, werden im Schlusskapitel ganz konkrete Empfehlungen für eine nachhaltige Implementierung von DCM gegeben. Auch ein umfangreicher Anhang mit verschiedenen Projektmaterialien soll zum Transfer der Modellerfahrungen beitragen.

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2. Dementia Care Mapping – Theoretische und methodische Aspekte

2.1 Personzentrierte Pflege bei Demenz

Die Ursprünge des Ansatzes personzentrierter Pflege und Betreuung gehen auf den Psychologen Carl Rogers zurück, der in den fünfziger Jahren die klientenzentrierte Psychotherapie entwickelte. Die Grundüberzeugungen der Theorie Rogers waren die Akzeptanz des subjektiven Erlebens und Wahr-nehmens sowie die vorbehaltlose Anerkennung der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen. Die Ansätze Rogers wurden für den Demenzbereich zuerst von Naomi Feil aufgegriffen, die darauf aufbauend die Validationsthe-rapie begründete.8 Da diese therapeutischen Verfahren auf Einzelinterventi-onen im Rahmen regelmäßiger Sitzungen beruhen, konnten sie für Men-schen mit Demenz nur bedingt angewendet werden. Dies änderte sich durch die Alltagsadaption der Therapie, bei der diese zunehmend als ein kontinu-ierlicher Prozess der Umfeldgestaltung und Interaktion verstanden wurde.

Ein bedeutender Vertreter dieser Haltung war der Sozialpsychologe Tom Kitwood, der in den neunziger Jahren in Großbritannien mit der Entwicklung des personzentrierten Ansatzes bei Demenz begann. Seiner Meinung nach können Behinderungen, die im Rahmen einer Demenz entstehen, aus ver-schiedenen Gründen nicht mehr schlüssig durch organisch bedingte psychi-sche Erkrankungen erklärt werden. Diese Definition sei durch ihre Fokussie-rung auf das Organ Gehirn zu einschränkend. Die Komplexität des Gesche-hens werde dadurch nicht erfasst. Um ein Demenzgeschehen zu verstehen und therapeutisch zu begleiten, ist damit ein anderer Zugang notwendig.

Kitwood entwickelte einen erweiterten Verständnisrahmen zur Demenz, der fünf Ursachenkomplexe umfasst und psychische, physische und Umweltein-flüsse verbindet. Dabei sind die einzelnen Komponenten in ihrer Beziehung nicht trennscharf und wirken wechselseitig aufeinander:

8 vgl. Morton, I. (2002): Die Würde wahren. Personzentrierte Ansätze in der Betreuung von

Menschen mit Demenz. Stuttgart.

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• Personalität,

• Biographie,

• physische Gesundheit,

• neurologische Ein-schränkungen und

• Sozialpsychologie.

Im individuellen Verstehen der Befindlichkeit und der Bedürfnisse einer Per-son mit Demenz spielen die Persönlichkeit des Menschen, seine Biographie sowie seine somatische Gesundheit eine wichtige Rolle. Die Art und die Auswirkungen der neurologischen Behinderung sind ebenso entscheidend. Das sozialpsychologische Umfeld stellt allerdings die entscheidende Variab-le beim Umgang mit einer Person mit Demenz dar. Denn alle vorgenannten Komponenten sind nicht oder kaum beeinflussbar, wohingegen die Anpas-sung des Umfeldes umfassend gestaltet werden kann.

Der personzentrierte Ansatz bei Demenz geht davon aus, dass auch bei fortschreitender Demenz das Wohlbefinden der Person nicht abnehmen muss, wenn die sozialpsychologische Umfeldgestaltung an die Bedürfnisse der Person angepasst wird. Diese Umfeldanpassung hat zur Folge, dass ein Fortschreiten der neurologischen Behinderung Demenz aufgehalten und durch zielgerichtete Interaktion kompensiert werden kann. Der Erhalt des Personseins ist daher die entscheidende Aufgabe bei der Gestaltung des sozialpsychologischen Umfeldes für Personen mit Demenz, denn die Aner-kennung als Person bewirkt Wohlbefinden.9

Das persönliche Wohlbefinden ist abhängig von positiven Erfahrungen in vier globalen Kategorien:

Selbstwert - die Wertschätzung seiner selbst als Person spüren;

Handlungsfähigkeit - spüren, dass man etwas tun und bewirken kann;

9 vgl. Kitwood, T.; Bredin, K. (1992a): Towards a theory of dementia care. Personhood and

well-being. In: Ageing and Society 12.1992.3: 269-287.

© Christine Riesner MScN

PersönlichkeitBiographie

Gesundheit

NeurologischeBehinderung

...Sozialpsychologie

Das ganzheitliche Bild der Demenz

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PersönlichkeitBiographie

Gesundheit

NeurologischeBehinderung

...Sozialpsychologie

Das ganzheitliche Bild der Demenz

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Soziales Vertrauen - Si-cherheit im Umgang mit zwischenmenschlichen Be-ziehungen; Kontakt zu an-deren aufnehmen können und sicher sein, eine Erwi-derung zu erhalten;

Hoffnung - der Glaube an eine sinnvolle Zukunft; der Glaube an ein gutes Ende, unabhängig von Problemen, die entstehen können; „Grundsicherheit“.10

Durch eine Demenz entstehen zunehmende Behinderungen: Gegenwart und Vergangenheit können nicht mehr trennscharf abgegrenzt werden, das Planen des Tagesablaufs und des eigenen Lebens werden schwieriger, Gedächtnisverluste sorgen für Unsicherheit usw. Die Abhängigkeit der Per-son mit Demenz von anderen wird größer. Die psychologischen Bedürfnisse nach Trost, Identität, Bindung, Einbeziehung und Beschäftigung11 treten deutlicher hervor:

Trost geben für Menschen mit Demenz heißt anerkennen, dass durch die Demenz Verluste entstehen, die Trauer und Unsicherheit hervorrufen. Ver-luste können durch den Tod eines geliebten Menschen, durch den Verlust des relativ unabhängigen Lebensstils oder auch als in sich bedeutsames persönliches Thema vorhanden sein. Trost bedeutet Nähe und Beistand, Linderung von Schmerzen und Sorge für ein sicheres, geborgenes Aufge-hobensein.

Identität umschließt das Bewusstsein des eigenen Seins, der eigenen un-verwechselbaren Geschichte. Die Person mit Demenz kann ihre Identität nur mit Unterstützung durch andere aufrechterhalten. Sie braucht ein Umfeld, in dem die eigene Lebensgeschichte in Form eines roten Fadens und durch Familiengeschichten bekannt ist. Familiengeschichten sind typische Anekdo-ten, die im Beisammensein einer Familie immer wieder erzählt werden und

10 vgl. Bruce, E.; Wey, S. (2001): Looking after well-being: how it works in practice. In: Journal

of Dementia Care 9.2001.4: 27-29. 11 vgl. Kitwood, T. (2000).

©Christine Riesner MScN

Das GefühlDas Gefühl

etwas wert zu sein (narzistische Zufuhr)

etwas tun zu können (agency)

mit anderen in Kontakt treten zu können

der Hoffnung oder des Urvertrauens

Vier globale Kategorien des Wohlbefindens

©Christine Riesner MScN

Das GefühlDas Gefühl

etwas wert zu sein (narzistische Zufuhr)

etwas tun zu können (agency)

mit anderen in Kontakt treten zu können

der Hoffnung oder des Urvertrauens

Vier globale Kategorien des Wohlbefindens

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die gesammelt werden müssen, um sie identitätserhaltend nutzen zu kön-nen. Weiter ist empathisches Agieren identitätserhaltend, weil durch Empa-thie die unverwechselbare Identität des anderen anerkannt wird.

Bindung bewirkt Sicherheit. Besonders in den ersten Lebensjahren ist die primäre Bindung ein Sicherheitsnetz, welches individuelle Entwicklung erst möglich macht. Der Mensch mit Demenz geht wieder in eine Welt ein, in der Dinge nicht mehr verstehbar sind, in der eigene Entscheidungen in über-schaubaren Zusammenhängen nicht mehr getroffen werden können. Dem-entsprechend groß ist oft das Bedürfnis nach primärer Bindung, die Halt und Sicherheit in einer auseinander brechenden Welt gibt. So kann die Sehn-sucht einer Person mit Demenz nach ihrer Mutter ein Wunsch nach diesem mütterlichen Schutz sein.

Einbeziehung geht auf die Notwendigkeit ein, dass der Mensch ein Grup-penwesen ist und traditionell nur in Gruppen überleben kann. Die Gruppe bietet Stabilität und wirkt über die Summe ihrer einzelnen Mitglieder hinaus. Die Person mit Demenz kann sich immer weniger allein halten, so dass die Gruppenzugehörigkeit persönlich stabilisiert und auch eine persönlichkeits-erweiternde Funktion hat, wenn der Person ein fester Platz in der Gruppe zugewiesen wird.

Beschäftigung bedeutet, etwas in der Welt zu bewegen. Das Gegenteil von Beschäftigung ist Langeweile, Apathie und Bedeutungslosigkeit. Sich be-schäftigen heißt auch, sich zu bestätigen, dem eigenen Sein eine Bedeutung zu geben. Der Beschäftigung von Personen mit Demenz liegen zwei wesent-liche Aspekte zugrunde: Erstens kann an vielfältige Alltagskompetenzen aus dem bisherigen Leben angeknüpft werden, und zweitens braucht der Mensch mit Demenz ein akzeptierendes Umfeld, welches seine Beschäfti-gungen kreativ unterstützt, ohne Lösungen vorzugeben, oder durch Sanktio-nen bzw. Verhinderung bestimmte Beschäftigungen unterbindet.

Kitwood ging davon aus, dass personzentrierte Pflege einen kulturellen Wandel darstellt. Er beschreibt die traditionelle Kultur der Demenzpflege, die Personsein nicht fördert, sondern im Rahmen bestehender sozialer Regula-rien Fehlverhalten stigmatisiert, als maligne12 Sozialpsychologie. Dagegen stellt die personzentrierte Pflege, bei der Verhalten als individueller Aus-druck der Person respektiert und in der Interaktion deutend verstanden wird,

12 maligne = bösartig bezogen auf das Personsein.

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seiner Meinung nach eine benigne13 Sozialpsychologie dar, die das Person-sein von Menschen mit Demenz stärkt. Damit ist die konkrete Beziehungs-gestaltung zwischen betreuender Person und der Person mit Demenz das wichtigste Element der sozialpsychologischen Umfeldgestaltung.

Um die negativen Auswirkungen einer schlechten Pflege deutlich zu machen und Möglichkeiten zur Verbesserung aufzuzeigen, hat Kitwood in Zusam-menarbeit mit Kathleen Bredin das Assessmentinstrument Dementia Care Mapping (DCM) entwickelt.

2.2 Dementia Care Mapping

Das Assessmentinstrument Dementia Care Mapping dient dazu, um in (teil)stationären Einrichtungen die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zu beobachten, abzubilden und zu beurteilen.14 Es „will eine all-tagspraktische Methode an die Hand geben, die das relative Wohlbefinden von dementen Menschen anhand ihres Verhaltens und Erscheinungsbildes über einen längeren Zeitraum kontinuierlich, detailreich und möglichst objek-tiv abbildet.“15 Der Begriff Mapping wird im Sinne der Erstellung einer Land-karte (engl. = map) verstanden, die die Lebensqualität von Menschen mit Demenz erkennbar werden lässt. DCM soll dazu beitragen, personzentrierte Pflege in kleinen Schritten zu entwickeln, die in einer wiederkehrenden Ab-folge von Mapping, Feedback, der Entwicklung eines konkreten Handlungs-plans und erneutem Mapping bestehen.

Die Beobachtung (Mapping) erfolgt durch ausgebildete Beobachter (Map-per), die im öffentlichen Bereich einer (teil)stationären Einrichtung bei ca. sechs Teilnehmern (Personen mit Demenz) über eine Zeitperiode von min-destens sechs Stunden je Teilnehmer Daten kodieren und Feldnotizen ma-chen. Die Beobachter gehen dabei in Sicht- und Hörkontakt zu den Teil-nehmern. Vor Beginn des Mappens werden die Teilnehmer begrüßt und die Beobachter stellen sich vor. Sie bemühen sich um eine unauffällige Haltung

13 benigne = gutartig bezogen auf das Personsein. 14 vgl. Bradford Dementia Group (1997): Evaluating Dementia Care. The DCM Method. 7th

Edition. University of Bradford. Bradford, England. (Dt. Übersetzung: Müller-Hergl, C.: De-menzpflege evaluieren. Die DCM Methode. 7. Auflage).

15 Müller-Hergl, C. (1998): De-menz und Re-menz. Positive Personenarbeit und Dementia Care Mapping. In: Geriatrie Praxis 10.1998.6: 22.

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und sind für die Teilnehmer ansprechbar, suchen aber von sich aus keinen Kontakt.

Bei der regelgeleiteten Beobachtung werden vier Erhebungsraster miteinan-der verbunden:

1. Die Beobachtung des Verhaltens der einzelnen Personen mit Demenz im öffentlichen Bereich einer Einrichtung anhand von 24 Verhaltenska-tegorien (Behaviour Category Coding/BCC). Die Kodierung erfolgt in 5-Minuten-Takten.

2. Die parallel zum Kodieren der Verhaltenskategorien erfolgende Ein-schätzung des relativen Wohlbefindens (well- or ill-being/WIB) der ein-zelnen Personen mit Demenz. Hier stehen sechs Stufen von +5 bis –5 zur Verfügung. Kodiert wird gemeinsam mit den Verhaltenskategorien in 5-Minuten-Takten.

3. Positive Ereignisse werden als qualitative Beobachtung unkodiert aufge-zeichnet, wenn sie auftreten (Positive Event Recording/PER). Positive Ereignisse (PEs) halten einen wertschätzenden Kontakt im Sinne des personzentrierten Ansatzes fest und belegen damit die positiven Poten-ziale der betreuenden Personen. Die positiven Ereignisse werden im Feedback wiedergegeben, um durch diese positiven Beispiele konkrete Ansätze der Entwicklung personzentrierter Pflege aufzuzeigen.

4. Personale Detraktionen werden als kodierte Beobachtung festgehalten (Personal Detraction Coding/PDC). Personale Detraktionen (PDs) sind Handlungen, bei denen Personen mit Demenz Erniedrigungen erfahren und die Anerkennung als Person gemindert wird. Zur Kodierung der per-sonalen Detraktionen stehen 17 Kategorien in je vier Schweregraden zur Verfügung.

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Übersicht über die DCM-Verhaltenskategorien, deren Typisierung und mögli-che WIB-Wert-Kodierungen

Kate-gorie Typ WIB-Wert Stichwort Allgemeine Beschreibung

A Typ 1 +5 bis -5 Articulation Mit anderen interagieren - verbal oder non-verbal (ohne offensichtliche andere Aktivität, ohne K )

B Typ 2 +3 bis +1 Borderline Sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise

C Typ 2 -1 bis -5 Cool/Kalt Sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt

D Typ 2 -1 bis -5 Distress Stress ohne Begleitung

E Typ 1 +5 bis -5 Expression/Selbstaus-druck

Mit einer kreativen Tätigkeit beschäftigt sein

F Typ 1 +5 bis -5 Food/Essen Essen und Trinken G Typ 1 +5 bis -5 Games/Spiele An einem Spiel teilnehmen

H Typ 1 +5 bis -5 Handicraft/Werken An einer handwerklichen Tätigkeit teil-nehmen

I Typ 1 +5 bis -5 Intellectual Aktivität, die sich auf intellektuelle Fä-higkeiten konzentriert

J Typ 1 +5 bis -5 Joints/Gelenk An einer sportlichen oder gymnastischen Übung teilnehmen

K +5 bis -5 Kum & Go/Kommen & Gehen

Unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen

L Typ 1 +5 bis -5 Labour/Arbeit Arbeit oder Pseudo-Arbeit M Typ 1 +5 bis -5 Media/Medien Sich mit Medien beschäftigen

N +1 bis -5 Nod, Land of/ Schläfchen

Schlafen oder Dösen

O Typ 1 +5 bis -5 Own Care/Selbstpflege Sich unabhängig selber pflegen

P Typ 1 +5 bis -5 Physical Care/Körper-pflege

Praktische, physische oder personale Pflege erfahren

R Typ 1 +5 bis -5 Religion An einer religiösen Aktivität teilnehmen

S Typ 1 +5 bis -5 Sex Tätigkeit mit explizit sexuellem Selbst-ausdruck

T Typ 1 +5 bis -5 Timalation/Basale Stimulation

Beschäftigung mit sinnl. Wahrnehmung

U Typ 2 -1 bis -5 Unresponded to/ohne Antwort

Kommunizieren ohne Antwort

W Typ 2 +1 bis -5 Withstanding/Aushalten Repetitive Selbststimulation X Typ 1 +5 bis -5 X-cretion/Ausscheidung Ausscheidung

Y Typ 2 +3 bis -5 Youself/Halluzination Mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen

Z +5 bis -5 Zero Option/Nulloption Verhalten, das in keine der Kategorien passt

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ad 1: Das Kodieren von Verhaltenskategorien (BBC)

Durch das Kodieren anhand der 24 Verhaltenskategorien wird das Spektrum möglichen Verhaltens abgebildet. Es entsteht ein Überblick darüber, wie eine Person mit Demenz ihre Zeit verbracht hat, welche Angebote der Pfle-ge und Betreuung es gibt. Interessen werden deutlich und das Erleben ver-schiedener Teilnehmer kann verglichen werden. So kann auch festgehalten werden, ob stille und zurückgezogene Personen mit Demenz in gleichem Maße in Beschäftigungen eingebunden werden wie eher fordernde und ex-trovertierte Menschen.

Im Bereich der 15 Typ 1-Kategorien (siehe vorstehende Übersicht) finden sich Beschäftigungen16 mit „personnährendem“ Potenzial, wie z.B. das In-teragieren mit anderen, der Umgang mit Medien, die Teilnahme an einem religiösen Akt, wohingegen die sechs Typ 2-Kategorien introvertierte Be-schäftigungen ohne offensichtliches Interaktionspotenzial darstellen, wie z.B. das Beobachten ohne selbst beteiligt zu sein oder die repetitive17 Selbststi-mulation. Die Kategorien K (unabhängiges Stehen und Gehen) und N (Schlaf) nehmen Sonderpositionen ein. Die Kategorie K wird ambivalent beurteilt, da Gehen und Stehen einerseits ein positives Interaktionspotenzial beinhalten, wenn eine Person z.B. durch Gehen einen personalen Kontakt einleiten kann. Andererseits wurde durch die Auswertung von DCM-Daten festgestellt, dass Gehen und Stehen häufig durch große Unruhe und Un-wohlsein gekennzeichnet sind. Diese Erkenntnisse führten dazu, dass die Kategorie K nicht den personnährenden Typ 1-Kategorien zugerechnet wird. Die Sonderposition der Kategorie N (Schlaf) ergibt sich durch die Anwen-dung der Idee des „angemessenen Schlafes“. Sie trägt der Tatsache Rech-nung, dass insbesondere im Alter bis zu einem gewissen Grad der Schlaf am Tag Teil eines gesunden Lebensstils sein kann. So wird die Kategorie N für Schlaf im öffentlichen Bereich der stationären Pflege für einen Gesamt-zeitraum von 1,5 Stunden positiv gewertet. In der Tagespflege gilt eine Stunde Schlaf für angemessen.

Es gibt klare Regeln, welche der Aktivitäten, die innerhalb von fünf Minuten auftreten können, Vorrang bei der Kodierung erhalten sollen. Dabei sind die

16 Beim DCM wird nicht zwischen den Begriffen „Beschäftigung“ und „Verhalten“ unterschie-

den. Diese werden im Folgenden synonym benutzt. 17 repetitiv = sich rhythmisch wiederholende Bewegung und/oder Artikulation.

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einzelnen Kategorien einer qualitativen Hierarchie zugeordnet. Die Reihen-folge bei der Zuweisung von Kodes der Verhaltenskategorien lautet:

1. Typ 1-Kategorien: A;E;F;G;H;I;J;L;M;O;P;R;S;T;X

2. Typ K: Unabhängiges Gehen, Stehen, Fortbewegen

3. Typ 2-Kategorien: B;C;D;U;W;Y

4. Typ N: Schlafen oder Dösen

Regel 1 besagt, dass eine beobachtete Typ 1-Kategorie innerhalb eines fünfminütigen Zeitabschnittes immer Vorrang hat. Sie hebt die Bedeutung derjenigen Kategorien hervor, die die Möglichkeit bieten, sich als Person fühlen und verhalten zu können. Die Kodierung erfolgt stark ressourcenori-entiert. Daher wird auch sehr kurzfristigen personnährenden Verhaltenswei-sen eine Vorrangsstellung eingeräumt.

Beispiel: In einem fünfminütigen Zeitabschnitt wird eine Person mit Demenz beobach-tet, die ca. vier Minuten am Tisch sitzt, die Umgebung beobachtet und dann eine Minute eine Tasse Kaffee trinkt. Dieser Zeitabschnitt wird mit F (Essen und Trinken) kodiert, weil F eine Typ 1-Kategorie darstellt. Die ersten vier Minuten entsprechen der Typ 2-Kategorie B (Beobachten, auf passive Wei-se sozial miteinbezogen sein).

Werden in fünf Minuten zwei verschiedene Kategorien desselben Typs beo-bachtet, so wird diejenige Kategorie kodiert, welche die meiste Zeit in An-spruch genommen hat. Dies wird in der zweiten Kodierungsregel operationa-lisiert.

Beispiel: In einem fünfminütigen Zeitabschnitt wird eine Person mit Demenz beobach-tet, die ca. vier Minuten am Tisch sitzt, eine Zeitung liest und dann eine Mi-nute eine Tasse Kaffee trinkt. Dieser Zeitabschnitt wird mit M (Beschäftigung mit Medien) kodiert, weil die Typ 1-Kategorie M mehr Zeit in Anspruch ge-nommen hat als die Typ 1-Kategorie F (Essen und Trinken).

ad 2: Das Kodieren des Wohlbefindens oder Nicht-Wohlbefindens (WIB-Werte)

Gleichzeitig mit dem Kodieren der Verhaltenskategorien wird für jeden 5-Minuten-Abschnitt das relative Wohlbefinden der einzelnen Teilnehmer fest-

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gehalten. Als Grundlage dafür dient eine sechsstufige Skala (+5, +3, +1, –1, –3, –5). Bei +5 handelt es sich um außerordentliche Momente des Wohlbe-findens, etwa gemeinsames ausgelassenes Lachen und Singen. Der Wert –5 drückt außerordentliches Unwohlsein wie große Wut, Trauer oder Un-glück aus.

Um den angemessenen WIB-Wert zuweisen zu können, muss der Beobach-ter sich empathisch in das Erleben der einzelnen Personen mit Demenz einfühlen. Dabei stellt der WIB-Wert +1 die so genannte Affektbasislinie dar, d.h. es sind keine Anzeichen gesteigerten Wohlbefindens und auch keine Anzeichen von Unwohlsein zu beobachten. Die Affektbasislinie liegt für ein-zelne zu beobachtende Personen mit Demenz auf einem unterschiedlichen Niveau, so dass z.B. bei einer sehr aktiven Person mit hohem Interaktions-potenzial auch eine höhere Affektbasislinie zugrunde gelegt wird, während bei einer introvertierteren, immobilen Person von einer niedrigeren Affektba-sislinie auszugehen ist.

Auch bei der Aufzeichnung der WIB-Werte folgt der Mapper bestimmten Regeln. Grundsätzlich wird beim DCM angenommen, dass Interaktionen, die das Personsein unterstützen, zu positiven WIB-Werten von +3 oder +5 füh-ren. Demgegenüber kommt es zu einer Minderung des Wohlbefindens, wenn eine Person mit Demenz über einen längeren Zeitraum keinen person-fördernden Kontakt erleben kann. Diese Annahme wird in der so genannten Degenerationsregel ausgedrückt, die besagt, dass der WIB-Wert zur nächst niederen Stufe abfällt, wenn ein Zustand des Unwohlseins ohne Unterbre-chung länger als 30 Minuten anhält. Ein WIB-Wert von –1 würde demgemäß nach einer halben Stunde mit –3 kodiert. Diese Degeneration findet in der Kombination folgender Verhaltenskategorien Anwendung: C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt), D (Stress), K (unabhängiges Gehen und Stehen), L (Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeit), U (unbeantwortetes Rufen) W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selbst oder einer eingebildeten Person sprechen). Schlaf (N) durchbricht den Degenerations-verlauf nicht, nur positive Interaktionen können die Degeneration aufheben.

Schlaf (N) hat eine eigene Degenerationsregel, die - wie bereits erwähnt - angemessenen Schlaf im öffentlichen Bereich einer stationären Einrichtung mit 1,5 Stunden als erfüllt ansieht. In teilstationären Einrichtungen liegt der Zeitraum für angemessenen Schlaf, der mit N+1 kodiert wird, bei einer Stun-de. Weiterer Schlaf wird im 30-Minuten-Takt mit negativen WIB-Werten (–1 /

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–3 / –5) belegt. Dabei werden einzelne Zeitabschnitte, die mit N kodiert wur-den, über den Tag hin addiert. Da davon ausgegangen wird, dass Personen mit Demenz nach einem mehr als zehnstündigen Aufenthalt in Gemein-schaftsräumen erschöpft sind, wird Schlaf in der stationären Pflege positiv bewertet, sobald ein Teilnehmer länger als zehn Stunden im öffentlichen Bereich anwesend war.

ad 3 und 4: Positive Ereignisse und personale Detraktionen

Die Aufzeichnung von positiven Ereignissen erfolgt ohne strukturierten Ko-dierungsrahmen. Das Ziel ist, einige wenige, aber entscheidende Augenbli-cke und Episoden auszuwählen, denen eine besondere Bedeutung zu-kommt oder die ein unerkanntes Potenzial erkennen lassen. Der positive Ereignisbericht bietet die Möglichkeit, Beispiele von positiver Arbeit an der Person zu erfassen.

Personale Detraktionen dagegen sind Beispiele maligner Sozialpsychologie. Bei ihrer Kodierung wird festgehalten, wenn Menschen mit Demenz u.a. wie ein Gegenstand oder wie ein Kind behandelt werden (zum Objekt machen bzw. infantilisieren). Diese Erniedrigungen entspringen nur sehr selten dem absichtlichen Versuch zu verletzen. Sie sind vielmehr Teil der traditionellen Kultur der Pflege und Betreuung, bei der das Personsein immer wieder be-schädigt wird.

Zeitnah nach dem Mapping werden die kompletten Beobachtungsdaten dem Pflegeteam im Feedback übermittelt. Dies geschieht zum einen in Form einer schriftlichen Ausarbeitung, zum anderen durch eine mündliche Rück-meldung. Das Feedbackgespräch ist vom Beobachter so zu gestalten, dass den vorhandenen Kompetenzen ein breiter Raum gewidmet wird. Bei den Informationen über die BBC- und WIB-Daten, über die positiven Ereignisse und personalen Detraktionen ist das Einfühlungsvermögen des Mappers gefragt. Denn insbesondere die Offenlegung von PDs ist für das Pflegeteam anfangs gewöhnungsbedürftig und angstbesetzt.

Ideen und Maßnahmen für Veränderungen bzw. Verbesserungen werden gemeinsam erarbeitet. Die sich daraus ergebenden nächsten Entwicklungs-schritte sollten vom Team in einem konkreten Handlungsplan festgehalten werden, der Schwerpunkte des Vorgehens erkennen lässt.

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Zur Ethik der DCM-Methode gehört, dass sich der Beobachter während des Mappings fortlaufend der Zustimmung der beobachteten Personen versi-chert. Eine „informierte Zustimmung“ der Personen mit Demenz vor der Be-obachtung reicht nicht aus, da die einmal gegebene Zustimmung durch Ge-dächtnisverluste möglicherweise nicht dauerhaft gesichert ist oder die Zu-sammenhänge der Beobachtung nicht mehr verstanden werden können. Der Beobachter muss in der Beobachtung sensibel auf mögliche Irritationen eingehen, die seine Anwesenheit auslösen können. Dann sollte nochmals in einfachen Worten erklärt werden, was der Beobachter hier tut. Entsteht den-noch durch die Beobachtung Unruhe oder Ablehnung bei einer Person mit Demenz, muss diese aus der Beobachtung herausgenommen werden. Die Beobachtung wird abgebrochen, wenn letztlich keine Vertrauensbasis her-gestellt werden kann.

Eine wesentliche Voraussetzung für das Mappen ist auch das Einverständ-nis des Pflegeteams. Gegenüber den Pflege- und Betreuungskräften wird eine wertschätzende Haltung eingenommen. Darin soll auch zum Ausdruck kommen, dass sie die Experten der konkreten Demenzpflege sind. Das Team gestaltet die Situation aktiv mit und entscheidet über den weiteren Verlauf der Entwicklung. Die erhobenen Daten dürfen nicht dazu verwandt werden, Schlussfolgerungen über die Arbeitsleistung einzelner Mitarbeiter zu ziehen oder deren Fachlichkeit in Frage zu stellen. Die Daten werden dem Team übergeben und dürfen nicht ohne dessen Einverständnis nach außen weitergegeben werden.

Das Pflegeteam braucht Unterstützung und Stärkung in seinen sozialen Rollen, braucht Sicherheit und Anerkennung, um seine positiven Potenziale entwickeln zu können. Wenn das Pflegeteam seine alten Kulturanteile der malignen Sozialpsychologie überwinden soll, so muss dieser Prozess auch bezogen auf die sozialen Bedingungen der Einrichtung unterstützt werden, indem insgesamt ein wertschätzender, kooperativer Stil entwickelt wird.

DCM wird als ein entwicklungsbezogenes Evaluationsinstrument der Pflege- und Betreuungsqualität im stationären Umfeld verstanden. Qualitätsmaßstab ist das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz. Unter der Annahme, dass das Anerkennen und die Stabilisierung einer Person mit Demenz zu deren Wohlbefinden führen, ergibt sich ein intersubjektives Beziehungsgeschehen als Hauptansatz der Qualitätsentwicklung. Beim DCM sind daher nicht wie bei anderen Verfahren (z.B. Total Quality Management) standardisierte Ab-

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läufe und Verfahrensweisen ein Beleg für Qualität. Die DCM-Methode ist geeignet zur Evaluation von Pflegequalität in (teil)stationären Einrichtungen, nicht geeignet ist sie jedoch zum linearen Vergleich verschiedener Einrich-tungen (Benchmarking).

Die Grundlagen des Dementia Care Mapping werden in DCM-Basic-User-Schulungen vermittelt. Ein DCM-Basic-User ist nach erfolgreich bestande-nem Kurs berechtigt, Mappings durchzuführen.

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3. Das Marburger Modellprojekt 3.1 Regionale Ausgangssituation

Der mittelhessische Landkreis Marburg-Biedenkopf zählt mit seinen rund 254.000 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von durchschnittlich 200 Einwohnern je qkm zu den eher ländlich geprägten Flächenlandkreisen. Die Altersgruppe der über 65-Jährigen stellt mit ca. 45.000 Personen knapp 18% der Gesamtbevölkerung.18 Legt man gängige Prävalenzzahlen19 zugrunde, so leben im Kreisgebiet ca. 3.200 Menschen, die an einer mittelschweren bis schweren Demenz erkrankt sind.

Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass eine hohe Zahl dieser Menschen in Pflegeheimen lebt, ergab eine Befragung im Jahr 1999, dass von den insgesamt 34 in der Region zugelassenen Pflegeheimen keine die-ser Einrichtungen mit einem demenzspezifischen Pflegekonzept arbeitete. Gleichwohl hatten die meisten ein großes Interesse an einer entsprechen-den Weiterentwicklung signalisiert. Im Jahr 2000 wurde der „Gerontopsychi-atrische Verbund Marburg-Biedenkopf“ gegründet. Es handelt sich um ein Netzwerk engagierter Pflegeanbieter, Fachkräfte und Kliniken, die sich auf den Weg gemacht haben, ihr Leistungsangebot für demenzkranke Bewoh-ner zu verbessern und Standards für die Leistungserbringung zu verabre-den. Die inhaltliche Arbeit im Verbund findet vorrangig in unterschiedlichen Planungsgremien statt. In der „Arbeitsgruppe Stationär“ engagierten sich von Beginn an 14 stationäre Pflegeeinrichtungen.

In Abstimmung mit diesen Einrichtungen legte die Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf Ende 2001 einen Antrag auf Förderung des Projektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung in Einrichtungen der Altenhilfe“ beim Bundesministerium für Gesundheit vor. Dieser Antrag wurde zum 1. Januar 2002 bewilligt. Zwölf Pflegeeinrichtungen entschieden sich für eine Projektbeteiligung.

18 vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (2004): 25.06.2004. Wiesbaden. 19 Bezogen auf die 65-Jährigen und Älteren liegt nach Bickel der Anteil der mittelschwer bis

schwer erkrankten Personen bei 7,2%. (vgl. Deutscher Bundestag (2002): 161.)

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3.2 Zielsetzung und Fragestellung

Zielsetzung des Marburger Projektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“ war es, das DCM-Verfahren in stationären Pflegeein-richtungen zu implementieren und praktisch zu erproben.20 Das Projekt soll-te Aufschluss geben über die Wirksamkeit dieser Methode zur Qualitätsana-lyse, -beurteilung und -entwicklung.

Zu den wichtigsten Fragestellungen gehörten: Ist das DCM-Verfahren ge-eignet, einen Qualitätsentwicklungsprozess in Gang zu setzen, der insbe-sondere die Steigerung des Wohlbefindens der demenzkranken Bewohner im Fokus hat? Gelingt es durch die Implementierung von DCM, gemeinsam mit allen Beteiligten eine neue Kultur der personzentrierten Pflege zu be-gründen? Und schließlich: Welcher institutionellen Rahmenbedingungen bedarf es, damit die DCM-Methode die gewünschte Wirkung entfalten kann?

3.3 Projektdauer und Finanzierung

Die Projektdauer war auf drei Jahre angelegt. Die Praxisphase begann im Januar 2002 und endete im Dezember 2004.

Das Bundesministerium für Gesundheit trug den Hauptanteil der Gesamt-kosten von rund 689.170 €. Das Finanzierungskonzept berücksichtigte Kos-ten für Mitarbeiterschulung und -begleitung, Eingangs- und Erfolgskontrolle sowie begleitende Fachtagungen. Das Hessische Sozialministerium beteilig-te sich mit einem Betrag von ca. 92.000 €. Dieser Betrag wurde ausschließ-lich für Maßnahmen zur Milieugestaltung verwendet. Der Landkreis Mar-burg-Biedenkopf leistete als Projektträger eine Eigenbeteiligung für das Pro-jektmanagement in Höhe von 140.000 €. Mit diesen Mitteln konnten im We-sentlichen die Personal- und Sachkosten der regionalen Projektleitung21 (siehe Kap. 4.1.5) abgedeckt werden, eine Aufgabe, die durch die Stabsstel-le Altenhilfe des Landkreises geleistet wurde.

20 vgl. Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): DCM-gestützte

Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Land-kreises Marburg-Biedenkopf. Projektantrag. Marburg.

21 Da es zur Aufgabe der Projektleitung gehörte, die regionale Verbundarbeit der projektbetei-ligten Einrichtungen zu koordinieren, wird im Folgenden auch von Projektkoordination ge-sprochen.

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3.4 Evaluation

An der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Projektes waren unterschiedliche Institutionen und Personen beteiligt. Die Entscheidung für eine mehrdimensional ausgerichtete praxisorientierte Evaluation basierte auf dem Anspruch, die generierten („harten“) Daten in den Blick zu nehmen, ohne die qualitative Prozessanalyse zu vernachlässigen. Der qualitativen Prozessevaluation wurde insbesondere mit Blick auf eine mögliche Etablie-rung von DCM und der damit verknüpften Diskussion über Qualitätsstan-dards bei der Versorgung von Menschen mit Demenz eine besondere Be-deutung beigemessen.

An der Evaluation waren folgende Institutionen beteiligt:

iso: Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V., Saarbrücken

Die Evaluation des Projektes durch das iso-Institut erfolgte im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Thematischer Schwerpunkt der wis-senschaftlichen Begleitung war die Rolle der Mapper im Projekt. Vor dem Hintergrund eines qualitativ ausgerichteten Forschungsdesigns wurden teil-standardisierte Interviews mit Mappern, Leitungspersonen und Fachexper-ten durchgeführt. Ziel war es, Einblick zu gewinnen in Selbst- und Fremdbild von Mappern, relevante Aufgabenbereiche herauszuarbeiten sowie konzep-tionelle und strukturelle Ansatzpunkte zur Sicherung eines zukünftigen Ein-satzes von Mappern zu identifizieren.

inverso: Institut für Bildung und Entwicklung in der Altenhilfe, Mainz

Das Institut inverso. mit Sitz in Mainz führt vielfältige Projekte und Studien im Bereich der Altenhilfe durch. Es erhielt vom Projektträger den Auftrag zur qualitativen und quantitativen Auswertung verschiedener Datensätze. Auf der Basis statistischer Berechnungen wurden die im Laufe des Projektzeit-raums ermittelten Verhaltenskategorien, WIB-Werte und personalen Detrak-tionen ausgewertet. Durch die Kombination eines quantitativen und qualitati-ven Verfahrens (strukturierte Inhaltsanalyse) konnten Ergebnisse über die Maßnahmeplanungen und die positiven Ereignisse gewonnen werden.

KDA: Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln

Der Initiative des KDA ist es zu verdanken, dass das Dementia Care Map-ping Eingang gefunden hat in das BMG-Modellprogramm zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger. Unter der Koordination des KDA konnte

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die DCM-gestützte regionale Qualitätsentwicklung der teil- und vollstationä-ren Pflege von Menschen mit Demenz in Modellprojekten erprobt werden. Neben der Koordinierung umfasste der Aufgabenschwerpunkt des KDA noch die Dokumentation des Projektverlaufs, die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Erarbeitung einer Praxishilfe zur Unterstützung von Einrichtungen, die das DCM-Verfahren implementieren wollen.

Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke

Im Rahmen einer Masterarbeit der Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke setzte sich Christine Riesner22 mit Fragen der Implementie-rung von DCM auseinander. Anliegen war es, hemmende und fördernde organisatorische Einflussfaktoren bei der Entwicklung personzentrierter De-menzpflege zu ermitteln und zu analysieren. Für die Untersuchung wurden exemplarisch Daten und Sitzungsprotokolle von vier projektbeteiligten Ein-richtungen ausgewertet. Um ein möglichst breites Kriterienspektrum zu er-halten, erfolgte die Auswahl nach dem Prinzip des Extremvergleichs.

Landkreis Marburg-Biedenkopf, Stabsstelle Altenhilfe

Grundlage für eine qualitative Auswertung des Gesamtprozesses durch die Projektkoordinatorin bildeten die Abschlussberichte der projektbegleitenden Supervisoren23 über gewonnene Erfahrungen und Ergebnisse ihrer Arbeit. Beobachtungs- und Sitzungsprotokolle aus Feedback, Maßnahmeplanung, „Runder Tisch“ und Heimleitertreffen lieferten ergänzende Informationen.

3.5 Die projektbeteiligten Einrichtungen

Das Motivationsspektrum im Hinblick auf die Teilnahme im Modellprojekt war breit angelegt. „Offiziell“ dominierte der Wunsch, die Demenzpflege in der eigenen Einrichtung zu verbessern und die neue Methode kennen zu lernen. Eher verdeckt spielten auch marktstrategische Gesichtspunkte, wie Zukunftsfähigkeit, Öffentlichkeitswirkung oder Imagegewinn eine gewisse Rolle. Die Haltung der Leitung zum Modellprojekt und der Grad der Identifi-kation mit dem DCM-Verfahren stellte sich im Projektverlauf als prägend für

22 Riesner, C. (2005): Die Entwicklung personzentrierter Pflege im Rahmen eines Modellpro-

jektes. Eine Evaluationsstudie ausgewählter Einrichtungen. Masterarbeit Pflegewissen-schaft. Universität Witten/Herdecke.

23 Im Folgenden werden die Supervisoren auch „externe Berater“ oder „Prozessbegleiter“ genannt. Eine Auflistung der beteiligten Berater findet sich in Anhang 11.

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die Entwicklungsbereitschaft und -fähigkeit der einzelnen Einrichtungen her-aus.

Zu den Projektbeteiligten gehörten:

vier Einrichtungen in privater Trägerschaft mit zwischen 37 und 56 Plät-zen,

fünf freigemeinnützige Einrichtungen mit zwischen 45 und 147 Plätzen, davon eine Tagespflege mit 12 Plätzen und

drei konfessionell gebundene Einrichtungen mit zwischen 49 und 61 Plätzen.24

Die demenzkranken Bewohner dieser Einrichtungen wurden zu Projektbe-ginn in der Regel nach dem Integrationskonzept betreut, d.h., sie lebten gemeinsam mit somatisch Pflegebedürftigen in einer Gruppe. Dies wird an dem von den Einrichtungen genannten prozentualen Anteil der demenz-kranken Personen deutlich (siehe nachstehende Tabelle). Einige Einrichtun-gen begannen jedoch sehr früh mit Umstrukturierungsmaßnahmen: De-menzkranke Bewohner wurden schrittweise in eine Gruppe zusammenge-führt und Mitarbeiter konnten sich für eine Arbeit mit demenzkranken Be-wohnern bewerben. Mit dem dadurch angestrebten segregativen Betreu-ungsansatz wollten die Heimleiter günstige Bedingungen für die DCM-Anwendung, für die Mitarbeiterqualifikation und damit für die Qualitätsent-wicklung insgesamt schaffen.

Die Einrichtungen starteten im Hinblick auf Räumlichkeiten, Personal und Leitungsstruktur mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in das Projekt. Mit der Realisierung eines spezifischen Demenzkonzeptes standen jedoch alle Einrichtungen ganz am Anfang.

24 Eine Adressliste der projektbeteiligten Einrichtungen findet sich in Anhang 10.

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Strukturangaben der projektbeteiligten Einrichtungen

Einrich-tung

Anzahl Plätze Trägerschaft

Anteil der Demenzkranken

in % Pflegeorganisation25

1 45 privat 44,44% Bezugspflege

2 50 privat 73,91% Bezugs- und Funkti-onspflege

3 91 gemeinnützig 80,00% Bezugspflege

4 12 gemeinnützig 47,36% --

5 61 konfessionell 63,63% Bezugspflege

6 37 privat 100,00% Bezugs- und Funkti-onspflege

7 49 konfessionell 33,33% Bereichspflege

8 45 gemeinnützig 73,33% Bezugspflege

9 56 privat 84,61% Bereichspflege

10 64 gemeinnützig 51,51% Gruppenpflege

11 147 gemeinnützig 52,38% Gruppenpflege

12 51 konfessionell 16,66% Bezugspflege

3.6 Einführung von Projektstrukturen

Dem offiziellen Projektstart im Januar 2002 war eine ca. siebenmonatige Vorbereitungsphase vorausgegangen, um die Leitungen, die Mitarbeiter und Angehörigen der Bewohner über die DCM-Methode zu informieren, aber auch, um sie auf die Belastungen und Chancen einzustimmen.

Nach Zugang der Förderzusage wurde zügig mit der Einführung von Pro-jektstrukturen begonnen. Dazu gehörten folgende Maßnahmen:

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf schloss mit allen projektbeteiligten Einrichtungen eine Kooperationsvereinbarung zur „Regelung der Zu-sammenarbeit und der Sicherstellung von Rahmenbedingungen für eine einheitliche und verbindliche Qualitätsentwicklung in den DCM-Einrichtungen“ ab (siehe Anhang 1). Auf der Basis einer „freiwilligen

25 Die Angaben der Einrichtungen zur Organisation der Pflege lassen keine zuverlässigen

Rückschlüsse auf das tatsächliche praktizierte Pflegekonzept zu.

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Selbstverpflichtung“ wurden Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Ver-tragspartner fixiert.

Vor Projektbeginn erhielten alle Einrichtungen von der Projektkoordinati-on das Angebot für eine Informationsveranstaltung in ihrem Haus, um Mitarbeiter und auch interessierte Angehörige über Inhalt, Aufgabe und Zielsetzung des DCM-Projektes aufzuklären. Dieses Angebot wurde un-terschiedlich genutzt.

Soweit es die Gesamtstruktur und die räumlichen Gegebenheiten zulie-ßen, wählten die Einrichtungen einen Pflegebereich in ihrem Haus aus, auf den sich die DCM-Beobachtungen und alle weiteren projektbezoge-nen Entwicklungsmaßnahmen konzentrierten.

Jede Einrichtung wählte aus ihrer Belegschaft zwei für die Aufgabe der zukünftigen DCM-Beobachtungen geeignete Mitarbeiter aus. Auswahl-kriterien waren: persönliche und soziale Kompetenz, Freiwilligkeit, Moti-vation und Interesse, Neues zu lernen. Insgesamt erhielten 24 Mitarbei-ter aus den Einrichtungen eine DCM-Basic-User-Schulung.

Alle Heimleiter und Pflegedienstleiter absolvierten verpflichtend eine dreitägige DCM-Basic-User-Schulung. Sie sollten die Grundprinzipien des DCM-Verfahrens kennen lernen, um den Entwicklungsprozess im Kontext ihrer Organisation kompetent unterstützen zu können.

Für die externe Begleitung der Einrichtungen wurden vier Supervisoren gewonnen und im DCM-Verfahren geschult. Ein „Vertrag über Beratung und Begleitung“ (siehe Anhang 2) regelte Aufgaben und Arbeitsumfang sowie weitere Grundlagen für das Arbeitsbündnis zwischen den Super-visoren, den Einrichtungen und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf als Projektträger.

In allen Einrichtungen wurde eine externe Basisbefundung durch erfah-rene DCM-Beobachter durchgeführt. Sie diente einer ersten Einschät-zung zum Entwicklungsstand der Demenzpflege. Die ausführliche Da-tenauswertung und eine erste Reflexion erfolgten mit dem Team und dem zuständigen Supervisor.

Jede Einrichtung bekam per Losverfahren eine projektbeteiligte Partner-einrichtung zugeordnet. Diese „Paarbildung“ war die Voraussetzung für die gegenseitige DCM-Beobachtung im Cross-Over-Verfahren.

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Die Einrichtungen schlossen sich zu verbindlichen Kooperationen in Vierer-Gruppen zusammen, um entsprechend der Projektvorgaben ge-meinsame Fortbildungen zu organisieren und Synergieeffekte zu nutzen. Eine Themen- und Referentenliste für die Fortbildungen wurde allen Ein-richtungen zur Verfügung gestellt.

3.7 Konzeption des Marburger Modells

3.7.1 Ausgangsüberlegungen

Die konzeptionellen Vorüberlegungen und die letztendliche Entscheidung, das DCM-Verfahren in einen ganzheitlich angelegten Prozess der Organisa-tionsentwicklung einzubinden, basierten auf der Überzeugung, dass DCM nicht nur den Bewohner und das direkte Pflegegeschehen im Fokus hat, sondern das gesamte institutionelle Umfeld in den Blick genommen werden muss. Indem der DCM-Beobachter „in die Schuhe des Menschen mit De-menz schlüpft“, also konsequent dessen Perspektive einnimmt, erhält er wichtige Hinweise über Umfeldfaktoren und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Bewohner. Die Steigerung der Lebensqualität ist also mehr als reine Pflegequalität; sie erfordert nicht selten - sozusagen als „Re-flex“ auf die DCM-Erkenntnisse - Veränderungen auf institutioneller bzw. struktureller Ebene. Anders formuliert: Während sich (demenzkranke) Heim-bewohner bislang mehr oder weniger an die institutionellen Bedingungen anzupassen haben, geht es nun darum, die institutionellen Umfeldfaktoren zu beobachten und schrittweise an die Bedürfnisse der Bewohner anzupas-sen. Zu den wichtigsten Faktoren, die die Kultur einer Einrichtung prägen, gehören insbesondere:

Die Mitarbeiter:

Ihr Selbstverständnis, ihre persönliche Reife, ihre „innere Haltung“ und selbstverständlich auch ihre Fachlichkeit prägen Kontakt und Beziehungsfä-higkeit sowie die Art, wie sie den Bewohnern begegnen: Fühlen sich die Mitarbeiter für Beziehungs- und Betreuungsarbeit zuständig? Nehmen sie unabhängig von den regelhaften pflegerischen Verrichtungen Kontakt zu den Bewohnern auf? Begegnen sie den Bewohnern wertschätzend und ein-fühlend?

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Das soziale Milieu:

Atmosphäre und Kontakt zwischen den Bewohnern, Betreuungsangebote und Beschäftigungsmöglichkeiten geben Impulse für Eigenaktivität, vermit-teln den Bewohnern das Gefühl, einbezogen und als Person anerkannt zu sein: Wie ist die allgemeine Atmosphäre? Gibt es ein lebendiges Treiben oder herrscht eher Totenstille? Können die Bewohner Kontakt zueinander aufnehmen, oder wird dies, z.B. durch eine ungünstige Sitzordnung, eher behindert? Sind die Betreuungsangebote wirklich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Bewohner orientiert, oder werden sie nur als „Programm“ schematisch abgespult?

Das räumliche Milieu:

Raumgröße und -ausstattung, Temperatur, Beleuchtung und Wohnlichkeit wirken sich - das ist unbestritten - auf unser aller Wohlbefinden aus: Herrscht drangvolle Enge oder können sich die Bewohner (auch mit Hilfsmit-teln) ohne Hindernisse bewegen? „Klemmen“ die Bewohner ganztägig auf dem Stuhl an einem Tisch, oder können sie sich in eine Ecke, auf ein Sofa oder einen Sessel zurückziehen? Hat der Raum eine wohnliche, gemütliche Atmosphäre oder eher den Charakter einer „Bahnhofshalle“?

Die Organisationsstruktur:

Personaleinsatzplanung, Organisations- und Ablaufstrukturen entscheiden darüber, ob und in welchem Umfang die individuellen Bedürfnisse, Gewohn-heiten und Fähigkeiten der Bewohner berücksichtigt werden: Dürfen die Bewohner aufstehen und zu Bett gehen, wann sie wollen, oder geben Dienstpläne den Rahmen vor? Können die Mahlzeiten selbständig und ge-nussvoll eingenommen werden, oder bestimmen Tablettsystem und Zeitma-nagement des Küchenpersonals Esskultur und den zeitlichen Rahmen?

Die Institution:

Tradition, Leitbild, Management- und Personalstrukturen beeinflussen Hal-tung und Berufsidentität aller in der Institution tätigen Mitarbeiter und damit das alltägliche Leben in der Einrichtung: Sind institutionelle Regeln und Tra-ditionen zeitgemäß oder eher Garanten für Privilegien und Status? Gibt es ein Leitbild, das gelebt wird oder steht es nur auf dem Papier? Bestimmen steile Hierarchien Entscheidungsprozesse und damit die Motivation von Mitarbeitern? Wie erfolgen Personalauswahl und -aufstellung?

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DCM -Beobachtung

DCM -Beobachtung

TeambezogeneFortbildung

TeambezogeneFortbildung

SupervisionCoaching

SupervisionCoaching

Milieu-gestaltung

Milieu-gestaltung

Z.B.:Soziale Betreuung, Kontakt zwischen denBewohnern, Atmosphäre, Z.B.Berufl. Selbstverständnis,

persönliche Reife, Haltung,Fachlichkeit, Motivation

Z.B.:Tagesstruktur, Personaleinsatzplanung, Mahlzeiten, Hauswirtschaft

Z.B.:Leitbild, Leitungs-, Hierarchie- u. Personal-struktur

Mitarbeiter

Organisation

Soziales Milieu

Institution Räumliches MilieuZ.B.:Raumgröße u. -ausstattung, Temperatur u. Beleuchtung,Wohnlichkeit

All dies sind Faktoren, die die Kultur einer Einrichtung prägen und die Le-bensqualität der demenzkranken Bewohner nachhaltig beeinflussen. Im Marburger Modellprojekt sollten diese Faktoren - ausgehend von den DCM-Erkenntnissen - zum Gegenstand eines ganzheitlichen Lern- und Verände-rungsprozesses gemacht werden, an dem alle Mitarbeiter, Abteilungen und Entscheidungsebenen von Beginn an zu beteiligen waren.

Das DCM-Verfahren bildete Ausgangs- und Schwerpunkt eines umfassen-den Entwicklungsprozesses, der durch weitere Interventionen ergänzt und unterstützt wurde. Zu den Interventionen, die im Folgenden skizziert werden, gehörten daher

die DCM-Beobachtung,

teambezogene Fortbildungen,

Maßnahmen der Milieugestaltung und

Supervision/Coaching durch externe Berater.

Wie im folgenden Schaubild verdeutlicht, steht der Mensch mit Demenz in einem DCM-gestützten Entwicklungsprozess im Zentrum der Betrachtung und vermittelt - stellvertretend durch den Mapper - Hinweise auf Ent-wicklungs- und Anpassungsbedarf institutioneller Faktoren.

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3.7.2 Interventionsmaßnahmen im DCM-gestützten Entwicklungs- prozess

3.7.2.1 Anwendung des DCM-Verfahrens

Das Mapping:

Die DCM-Beobachtungen erfolgten im Cross-Over-Verfahren, das bedeute-te, jede Einrichtung beobachtete über den gesamten Projektverlauf eine Partnereinrichtung, die zuvor im Losverfahren festgelegt worden war. Da-durch sollte ein institutionsübergreifendes, regional vernetztes Lernen im DCM-Projektverbund in Gang gesetzt werden. Indem (potenzielle) Mapper aus ihrer aktiven Rolle als Pflegekraft aussteigen, die Perspektive wechseln und die Pflegepraxis der Partnereinrichtung beobachten, werden Defizite gespiegelt, Ideen aufgenommen und in die eigene Praxis übernommen. Grundidee war es „einen Lernprozess in Gang zu setzen, der von Pflegen-den für Pflegende gestaltet wird und dessen Ausgangspunkt die Anschau-lichkeit von ´best practice`“ ist. Dabei wurde dem „darin enthaltenen Kon-fliktpotential eine der Veränderungsdynamik dienliche Komponente zuge-schrieben.“ 26

Erste Überlegungen sahen zunächst eine Frequenz von vier Beobachtungen pro Jahr vor. Um den Teams mehr Zeit und Freiräume für Reflexionsarbeit und Entwicklungen zu geben, wurde die Zahl der DCM-Beobachtungen nach dem ersten Projektjahr auf jährlich drei reduziert. Insgesamt fanden pro Ein-richtung elf Mappings statt.

Alle Mappings wurden von jeweils zwei Beobachtern durchgeführt; auch dadurch sollte ein gegenseitiger Lernprozess gefördert werden. Die Einsätze dauerten jeweils rund sechs Stunden. Sie erfolgten zu unterschiedlichen Tageszeiten, um Beobachtungsdaten über verschiedene Phasen des Pfle-gealltags zu erhalten.

Zu Beginn eines jeden Mappingeinsatzes machten sich die Bobachter mit den Räumlichkeiten vertraut, in denen die Beobachtungen stattfanden. Dies waren entsprechend der jeweiligen räumlichen Gegebenheiten der Speise- oder Aufenthaltsraum, der Ergotherapieraum, die Teeküche, das Nachtcafé, der Flur oder andere öffentliche Räume. Um sich zu informieren, hatten die

26 Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): 4.

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Mapper das Recht, Einsicht in die Dokumentation der gemeinsam ausge-wählten Bewohner zu nehmen.

Das Feedback:

Das Feedback fand innerhalb von zwei Wochen nach der DCM-Befundung statt. Die Sitzungen dauerten ca. 90 Minuten. Grundsätzlich waren alle Teammitglieder zur Teilnahme verpflichtet. Entsprechend des Prinzips „die Daten gehören dem Team“ nahm die Leitung an den Feedbacksitzungen nicht teil, sofern dies nicht ausdrücklich vom Team gewünscht wurde.

Die Maßnahmeplanung:

Die Maßnahmeplanung erfolgte ebenfalls zeitnah zum Feedback. Sie diente vorrangig der individuellen, also bewohnerbezogenen Planung und beinhal-tete Überlegungen zu notwendigen organisatorischen und strukturellen Ver-änderungen. Zu den Sitzungen wurden die Leitungen eingeladen, um den Planungen und Entscheidungen die erforderliche Legitimität und Verbind-lichkeit zu geben.

Der „Runde Tisch“: Um den Informations- und Entwicklungstransfer innerhalb der Einrichtungen zu gewährleisten, wurde zusätzlich in jeder Einrichtung ein „Runder Tisch“ installiert. Dadurch sollten Ergebnisse und Auswirkungen von Veränderun-gen im größeren Zusammenhang der Gesamteinrichtung betrachtet und eine breite Akzeptanz der Entwicklungen bei den Mitarbeitern erreicht wer-den.

3.7.2.2 Teambezogene Fortbildungen

Jeder Einrichtung stand ein Kontingent von elf Tagen für teambezogene Fortbildungen zur Verfügung. Die Organisation der Fortbildungen erfolgte in Eigenverantwortung der Träger. Eine Empfehlungsliste über qualifizierte Referenten stand zur Verfügung. Als Themen wurden vorgegeben: medizinische Grundkenntnisse, Validation, Biographie-/Reminiszenzarbeit, Basale Stimulation, Kinästhetik, Bewegung/10-Minuten-Aktivierung.

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3.7.2.3 Maßnahmen der Milieugestaltung

Zur Verbesserung räumlicher Lebensbedingungen z.B. durch Wohnraum-gestaltung, Wohnraumausstattung oder die Gestaltung von Außenflächen standen ab dem zweiten Projektjahr Finanzmittel in begrenztem Umfang zur Verfügung. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass geplante Maßnahmen auf der Grundlage gesammelter Prozesserkenntnisse konzipiert und verwirk-licht werden.

3.7.2.4 Supervision/Coaching

Mit dem Gedanken einer DCM-initiierten Organisationsentwicklung kam der externen Begleitung und Beratung durch Supervisoren eine besondere Be-deutung zu. Begleitet werden nicht nur die direkten DCM-bezogenen Ar-beitsschritte. Gegenstand der Beratung sollten auch innerbetriebliche Ar-beitsabläufe, strukturelle, personelle und bauliche Rahmenbedingungen werden. Insgesamt hatte jede Einrichtung ein Kontingent von zehn Bera-tungsstunden pro Mappingzyklus zur Verfügung. Ein Beratungsvertrag defi-nierte als Aufgaben die

Vorbereitung und Begleitung des Feedback,

Unterstützung bei der Fallbesprechung und Reflexion,

Moderation der Maßnahmeplanung,

Leitungsberatung und Krisenintervention.

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4. Der Prozess: Rollen, Aufgaben und Entwicklungen 4.1 Die beteiligten Akteure im Prozess

Das Marburger DCM-Projekt war mit seiner „Architektur“ und den damit ver-bundenen Interventionen nicht nur vielschichtig angelegt; es waren auch verschiedene Personen und Personengruppen mit ganz unterschiedlichen Aufträgen und Rollen in wechselnden Zusammenhängen und Settings invol-viert.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Akteure im Entwicklungsprozess vorge-stellt werden.27 Es geht um die Mapper, um Mitarbeiter bzw. Teams, die Leitung, die externen Berater und schließlich die Projektleitung mit ihren jeweiligen Aufgaben und Rollen bei der Implementierung von DCM und per-sonzentrierter Pflege in den zwölf projektbeteiligten Institutionen. Die Be-wohner sind hier nicht in besonderer Weise als „Beteiligte“ exponiert, denn ihnen gelten alle Bemühungen der hier genannten Personen bzw. Perso-nengruppen.

4.1.1 Die Mapper

Die konzeptionelle Anlage des Dementia Care Mapping bringt es mit sich, dass den Mappern bei diesem Verfahren eine herausragende Rolle und Verantwortung zukommt. Darauf wird in der einschlägigen Fachliteratur al-lenthalben hingewiesen.28 Denn die Mapper sind es, die mit Hilfe eines Ras-ters über einen bestimmten Zeitraum das Verhalten und das Wohlbefinden einer ausgewählten Gruppe von demenzkranken Menschen im öffentlichen Bereich von Einrichtungen beobachten und so überhaupt erst die Daten-grundlage für alle weiteren Schritte liefern. Sie sind es, die die gesammelten Daten aufbereiten, auswerten und dem Pflegeteam in einem Feedback zeit-nah an das Mapping zurückmelden. Dabei nehmen die Mapper bei ihrer Tätigkeit auch das pflegerische Umfeld mit in den Blick, die Pflegekultur einer Einrichtung wird transparent. Aufgezeichnet und widergespiegelt wer-den zum einen positive Ereignisse, d.h. gelungene Beispiele personzentrier-

27 Datengrundlage für die Ausführungen sind neben Beobachtungs- und Sitzungsprotokollen

auch Berichte der projektbegleitenden Supervisoren sowie leitfadengestützte Interviews. 28 vgl. u.a. Innes, A. (Hg.) (2004): Die Dementia Care Mapping Methode (DCM). Anwendung

und Erfahrungen mit Kitwoods person-zentriertem Ansatz. Bern.

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ter Arbeit, zum anderen personale Detraktionen, d.h. Verhaltensweisen von Pflegenden, die die Person abwerten. Auf der Basis der zum Abschluss eines Mappingzyklus vorliegenden Daten kann ein Handlungsplan erarbeitet werden, der Veränderungsprozesse in der jeweiligen Einrichtung stützt und forciert.

Auswahl der Mapper

Zu Beginn standen die Fragen der Heimleiter: Wer kann Mapper werden? Und: Gibt es Kriterien für die Auswahl geeigneter Mitarbeiter? Christian Mül-ler-Hergl, der Wegbereiter für DCM in Deutschland, gab erste Empfehlungen bei einem Treffen mit den Heimleitern. Danach sollten die zukünftigen Map-per möglichst „geistig wache, lebendige und engagierte Menschen sein, die sich nicht am Ende ihres pflegerischen Berufslebens wähnen.“ Reflexionsfä-higkeit, Entwicklungsbereitschaft, eine flexible innere Haltung und Integrati-onsfähigkeit wurden als weitere Voraussetzungen genannt. Dies bedeutete: In erster Linie entscheidet die Persönlichkeit. Eine pflegerische Ausbildung bzw. Tätigkeit ist nicht zwingende Voraussetzung für eine Tätigkeit als Map-per.

Die Auswahl der Mapper im Vorfeld des Projektes erfolgte durch die Heim-leitungen. Einige Führungskräfte warben Freiwillige aus der Mitarbeiter-schaft, andere „benannten“ ihrer Meinung nach geeignete Mitarbeiter, die diese Rolle künftig ausfüllen sollten. In der Regel handelte es sich um Per-sonen mit einem großen Fortbildungsinteresse und guten fachspezifischen und/oder sozialen Kompetenzen.

Die meisten Mapper erkannten in ihrer zukünftigen Rolle eine Entwicklungs-chance für sich selbst und manche äußerten die Hoffnung auf mehr Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen ihres Pflegealltags. Nicht zuletzt zeigten einige auch ein methodisches Interesse an dem für sie neuen Ver-fahren. Rückblickend wies die Gruppe der „Freiwilligen“ die höchste Motiva-tion für die Arbeit an sich selbst und im Projekt auf. Mapper, die von den Führungskräften benannt wurden und sich nur notgedrungen zur Teilnahme bereit erklärt hatten, „weil irgend jemand das machen musste“, nahmen ihre Tätigkeit eher als zusätzliche Belastung wahr.

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Qualifizierung der Mapper

Das Projekt sah für jede Einrichtung mindestens zwei Mapper vor, die ge-meinsam die Partnereinrichtung beobachten. Entsprechend absolvierten zunächst 24 Mitarbeiter einen DCM-Basic-User-Kurs, der sie formal für die Mapperaufgaben befähigte. Im Projektverlauf wurden noch weitere Perso-nen nachqualifiziert.

Die DCM-Basisqualifizierung erfolgte in einem dreitägigen Seminar durch anerkannte DCM-Trainer. Vermittelt wurden die Grundlagen personzentrier-ter Arbeit, der Umgang mit der DCM-Methode sowie ein Einblick in den Ab-lauf des Feedbacks. Nach der Absolvierung des DCM-Grundkurses fühlten sich die Mapper jedoch nicht wirklich „fit“, mit dem DCM-Instrument umzu-gehen. Weitere Schulungen und kontinuierliche Begleitung während der Projektphase waren notwendig.

Als unterstützende Weiterqualifizierung wurden eintägige Follow-up-Kurse angeboten, um Fragen der Kodierung und Bewertung zu bearbeiten. Nach Bedarf bestand darüber hinaus das Angebot, gemeinsam mit einer fachkun-digen externen Mapperin aus dem Vorstand der Alzheimer Gesellschaft Marburg-Biedenkopf DCM-Beobachtungen durchzuführen oder auch strittige Kodierungen zu besprechen. Dieses Angebot wurde nach Angaben der Pro-jektkoordination nicht im wünschenswerten Umfang genutzt.

Als Vorbereitung für die umfangreiche Auswertung der gesammelten DCM-Daten erhielten alle Mapper eine Schulung im Umgang mit dem EDV-Auswertungsprogramm. Nicht wenige mussten sich innerhalb kürzester Zeit mit der Arbeit am Computer vertraut machen. Ansprechpartnerin für dabei auftretende Probleme war hier ebenfalls die externe Mapperin aus dem Vor-stand der Alzheimer Gesellschaft. Auch die regelmäßigen Mapper-Treffen mit der Projektkoordination können als Unterstützung und Qualifizierung für die DCM-Anwendung gewertet werden. Hier erhielten die Beteiligten einen Rahmen, Erfahrungen auszutauschen, Probleme zu besprechen und Wün-sche zu äußern. Rückblickend lässt sich sagen, dass insbesondere die Map-per der „ersten Stunde“ eine beachtliche Sicherheit in der Anwendung der Methode entwickelt haben.

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Aufgaben der Mapper

Beobachten, Daten aufzeichnen, Daten auswerten, und die Ergebnisse im Feedback übermitteln - diese Handlungsschritte sind auch in der Wahrneh-mung der Mapper im Marburger Modellprojekt ihre zentralen Kernaufgaben. Dabei stellte für die meisten Mapper der Umgang mit dem DCM-Verfahren zunächst eine große Herausforderung dar.

Die Beobachtung Allein die ungewohnte Situation, viele Stunden lang als Beobachter in einer fremden Einrichtung zu sitzen, nicht aktiv in Kontakt mit Bewohnern treten zu können und im 5-Minuten-Takt Eintragungen zu machen, führte zu erheb-lichem Stress. „Sechs Stunden zu sitzen ist für mich das Schlimmste“, sagt eine Mapperin. Mit dieser Aussage steht sie nicht allein. Vielen fällt das stille Beobachten über diese „verdammt lange Zeit“ hinweg schwer. Sie sind da-her froh, dass sie im Modellprojekt zu zweit im Einsatz sind und zwischen-durch auch kurz Eintragungen vergleichen, Unsicherheiten besprechen kön-nen. Dennoch bedeutete es jedes Mal eine große Umstellung für sie, in die Rolle des Mappers zu wechseln.

Denn traditionell sind Pflegekräfte in ihrem üblichen Berufsalltag ständig in Bewegung. Ein kontinuierlich wahrnehmbares Bild in Heimen sind Mitarbei-ter, die in hohem Arbeitstempo unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen haben. Auch die Pflegenden selbst sehen sich in ihrer Arbeit „nur am Lau-fen, am Rennen.“ Dem sozialpflegerischen Anspruch (u.a. Normalität als Grundprinzip der Gestaltung des Tagesablaufs) steht oftmals eine Wirklich-keit gegenüber, die geprägt ist von einer zeitintensiven körperbezogenen Grundversorgung. Erst in den letzten Jahren hat sich durch die steigende Zahl Demenzkranker in stationären Einrichtungen eine Verschiebung erge-ben. Alltags- und lebensweltnahe Betreuungsleistungen, die sich nicht un-mittelbar auf die Grund- und Behandlungspflege richten, werden zunehmend als legitim und wichtig angesehen. Allerdings ist dabei auch deutlich gewor-den, dass nicht jede Person für die Versorgung von Menschen mit Demenz geeignet ist und spezifische Kompetenzen für den personfördernden Um-gang mit Demenzkranken erforderlich sind. Entsprechend geschultes Per-sonal steht aber längst nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung, auch nicht in Modelleinrichtungen.

Die Mapper müssen daher einen Pflegealltag abbilden, der durchaus nicht immer den fachspezifischen Standards entspricht. Daraus resultieren Ängs-

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te, sich und andere durch die detaillierte Darstellung einer Lebenswelt zu beschädigen. Für die Mapper sind die in den Partnereinrichtungen gewon-nenen Daten wie ein Einblick in die „Privatsphäre“ der jeweiligen Institution. Ihnen ist bewusst, dass sie durch ihre Beobachtungen auch hinter die Kulis-sen schauen, dass eine Scheinwelt vor ihren Augen keinen Bestand hat. Vor allem, weil sie als Pflegekräfte die strukturellen Bedingungen nur zu genau kennen, „können die uns nichts vormachen“, bringt es eine Mapperin auf den Punkt. Die Organisation wird durchsichtig, auch wenn - wie in der Kon-zeption des Dementia Care Mapping verankert - zum Schutz der Privatsphä-re der Demenzkranken nur das Geschehen in öffentlichen Räumen aufge-zeichnet wird. „Manchmal ist es schwer zu ertragen, was da schief läuft“, beschreibt eine Mapperin ihre Situation. Es ist also nicht nur das ruhige Be-obachten an sich, das den Mappern zu schaffen macht. Auch das, was sich vor ihren Augen abspielt, wird zum Teil als anstrengend und belastend er-lebt. Nicht zuletzt daher rührt die innere Unruhe beim Mappen, die von eini-gen geschildert wird.

Auf der anderen Seite haben viele das „Hinschauen“ als ihre Stärke erkannt. Sie erleben die dadurch gewonnenen Einblicke in die Befindlichkeit anderer Menschen und in die Arbeitswelt von Kollegen als Chance zur eigenen Wei-terentwicklung. Mit geschärftem Blick gehen sie in ihre Einrichtungen zurück und betrachten sich und ihr eigenes Handeln vor dem Hintergrund einer veränderten Perspektive. Das gezielte, einfühlsame Beobachten - dieser Teilbereich des Mappings sollte ihrer Meinung nach auch ein Bestandteil der normalen, täglichen Arbeit sein. Auch wenn klar ist, dass es nicht in der glei-chen Intensität möglich ist.

Die Datenaufzeichnung und Datenauswertung Das lange Sitzen beim Beobachten und Datenaufzeichnen in den Einrich-tungen findet eine Fortsetzung bei der Datenauswertung. Vor allem die Ein-gabe der Daten am Computer kostet in der Wahrnehmung der Mapper viel Zeit. Einige sind im Projektzusammenhang das erste Mal mit elektronischer Datenverarbeitung in Kontakt gekommen, so dass für sie der Umgang mit dem PC neu ist und auch ganz allgemeine Berührungsängste mit diesem Medium die Arbeit erschweren. Wieder andere berichten davon, dass Gerä-te in den Einrichtungen nur zu bestimmten Zeiten und nach vorheriger An-meldung zu nutzen sind. Aus unterschiedlichen Gründen, z.B. um solchen Engpässen zu entgehen, aber auch, „weil es auf dem Wohnbereich meis-

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tens hektisch ist und man sich dann doch nicht konzentrieren kann“, nehmen etliche das Datenmaterial mit nach Hause und übertragen dort ihre von Hand gemachten Aufzeichnungen in einen PC. Sitzen die Mapper dagegen stundenlang über ihre Daten gebeugt im Dienstzimmer, lernen ihre Kollegen in der eigenen Einrichtung auch diesen Arbeitsschritt im DCM-Verfahren kennen: Das Bild von der Arbeit und vom „Handwerk“ eines Mappers ver-vollständigt sich.

Bei allgemeinen EDV-Fragen greifen viele auf einrichtungsinterne Fachkräf-te oder auf „Experten“ aus dem privaten Umfeld zurück. Doch es sind nicht nur technische Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, einige Mapper ha-ben ganz allgemein ihre Probleme damit, „Menschen in Kategorien einzu-ordnen.“ Auch die Tatsache, dass sie lediglich eine Momentaufnahme abbil-den, die eben nur ein Puzzlestück eines Gesamttableaus sein kann, bereitet ihnen Unbehagen. Sie sehen eine Diskrepanz zwischen ihrem Anspruch, einen Menschen „ganz“ kennen zu wollen, und der punktuellen Datenauf-zeichnung beim DCM. Deswegen sind sie froh, dass die lange Projektlauf-zeit und das Cross-Over-Verfahren es ihnen ermöglicht haben, die gleichen Personen in bestimmten Abständen immer wieder zu beobachten, und so die jeweilige Tagesform besser einschätzen zu können. „Objektivität“ der Beobachtung ist für viele nur dann gewährleistet, wenn sich ihnen der Ge-samtkontext erschließt und möglichst viele Zusatzinformationen ihr Bild des Geschehens abrunden.

Hilfestellung bei der Datenauswertung, die mit einem Bericht abzuschließen ist, erhielten die Mapper auch von den Supervisoren, die im DCM-Verfahren als Basic-User geschult sind. Sie diskutierten mit den Mappern z.B. Fragen der Kodierung und besprachen die Abfassung der Mappingberichte. Nach Angaben der Supervisoren sind die Berichte oft zu unpräzise und allgemein oder zu knapp gehalten. Dies mag zum einen darin begründet sein, dass für die meisten Mapper die Berichterstellung Neuland ist und sich entsprechend schwierig gestaltet. Darüber hinaus stehen viele Pflegekräfte nach wie vor Schreibarbeiten grundsätzlich eher ablehnend gegenüber und betrachten sie als notwendiges Übel. Erschwerend kommt im Rahmen des Modellprojektes hinzu, dass auch beim Abfassen der Berichte Ängste vor möglicher Provo-kation der Partnereinrichtung handlungsleitend sind. Dies spiegelt sich wider in großer Vorsicht bei der inhaltlichen Auswahl der Beobachtungen und Zu-rückhaltung in der sprachlichen Darstellung. Die eigene Kompetenz im Hin-blick auf eine strukturierte Analyse der Daten und eine verantwortungsvolle

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Bewertung der Ergebnisse wird von den Befragten wohl gesehen, aber sie ist für die Mapper stets gekoppelt an die Situation der Ergebnisvermittlung, dem Feedback. Diese soziale Situation wird bei der Berichterstellung immer mit gedacht.

Das Feedback Die Mapper sind auf die Inneneinsichten, die sie aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz gewonnen haben und die eben auch Defizite deutlich machen können, nicht immer stolz, vielmehr werden sie gerade beim Feedback als Belastung erlebt. Voller Scham erkennen die Mapper im Spiegel der ande-ren die eigenen Schwächen, fühlen sich „ertappt“ und teilweise sogar als „Nestbeschmutzer“, wenn sie das Team der Partnereinrichtung auf proble-matische Situationen aufmerksam machen sollen. „Das ist sicherlich das Schwierigste an der ganzen Geschichte, gerade auch, weil man selber weiß, dass man nicht fehlerfrei ist.“ Die Angst, sich ein Urteil über andere anzu-maßen, wohl wissend, dass man selbst im Glashaus sitzt, hat vor allem zu Beginn des Projektes viele Feedbacksituationen geprägt.

Hier erwies sich die Unterstützung durch die Supervisoren als besonders hilfreich. Sie werden von den Mappern in der Mehrzahl als ausgleichendes Regulativ wahrgenommen. Von ihnen haben sie z.B. nach und nach gelernt, das richtige Maß zu finden: einerseits klar die eigene Meinung zu vertreten, andererseits aber auch „nicht besserwisserisch mit der Tür ins Haus zu fal-len“, sondern den Teams, an die die Rückmeldung gerichtet ist, Zeit zu las-sen für die notwendigen Veränderungen. „Deshalb ist so ein Modellprojekt von drei Jahren im Endeffekt auch was sehr Schönes, weil man die Teams langsam heranführen kann an neue Verhaltensweisen“, resümiert ein Map-per. Zeit braucht es aber auch, um ungeschicktes Vorgehen beim Feedback, wie z.B. „den Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun haben“, ohne das Po-tenzial im Team selbst aufzugreifen, wieder auszubügeln. Das dauert oft lange. Alle müssen lernen, sich durch kritische Äußerungen „nicht gleich auf den Schlips getreten zu fühlen.“

Vor allem die so genannten personalen Detraktionen (PDs) sind nach Anga-ben der Mapper immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen beim Feedback. Sie anzusprechen, kostete die Mapper insbesondere zu Projekt-beginn große Überwindung. Aber auch nach mehreren Mappingrunden be-stehen noch Ängste vor Ablehnung und Unmut. Diese emotionalen Reaktio-nen richten sich nicht nur gegen die Mapper selbst, sondern es kommt auch

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im Team, dem solche missglückten Interaktionen rückgemeldet werden, zu persönlichen Schuldzuweisungen, so dass u.a. der Dienstplan herangezo-gen wird, um festzustellen, wer einen „Fehler“ begangen hat.

Die oben angesprochene Identifikation mit den Kollegen der Partnereinrich-tungen und die Befürchtung, schlechte WIB-Werte oder PDs könnten dazu führen, dass in der eigenen Einrichtung besonders streng beurteilt und so-zusagen „Gleiches mit Gleichem“ vergolten wird, ließen die Feedbackrunden mitunter als unüberwindbare Hindernisse erscheinen. Durch vermeintlich falsche Rückmeldungen entstanden Verletzungen, die nicht nur die persönli-che Beziehungsebene tangierten, sondern sich auch auf das Verhältnis zwi-schen den Partnereinrichtungen als quasi konkurrierende Organisationen auswirkten.

In solchen Situationen trugen die Supervisoren viel dazu bei, die Konflikte auf eine systematischere Ebene zu heben und Hintergründe offen zu legen. Im Wissen um diesen Rückhalt beim Feedback wagten sich die Mapper mehr, sie konnten kritische Momente eher zulassen und aushalten. Ganz eindeutig hat die enge Begleitung durch die Supervisoren den Mappern Si-cherheit gegeben. Rollenspiele ermöglichten es, potenzielle Kontroversen vorwegzunehmen, konfliktentschärfende Vorgehensweisen einzuüben bzw. zu lernen, Konflikte sachlich auszutragen.

Gegen Ende der Modelllaufzeit haben sich die Mapper jedoch „freige-schwommen“. Sie melden mehrheitlich zurück, dass sie sich jetzt darauf freuen, ihr professionelles Know-how alleine unter Beweis stellen zu können. Sie vertreten selbstsicher ihre Einschätzungen zur Befindlichkeit von de-menzkranken Menschen und haben Vertrauen gewonnen in ihre fachliche Kompetenz. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass eine Feedbacksituation sowohl von Seiten der Mapper als auch von Seiten des Teams immer wie-der einmal mit Angst besetzt sein kann. Den Mappern ist bewusst, dass sie auch in Zukunft mit Teams konfrontiert sein werden, die mauern, keine Lust haben und DCM für „Firlefanz“ halten. Darauf sind sie eingestellt und ken-nen mittlerweile Handlungsvarianten, um solche Situationen aufzulösen. Nur ein motiviertes Team als Gegenüber kann ihrer Meinung nach aber die posi-tiven Effekte des DCM-Verfahrens voll nutzen, nur so ist es möglich, dass die Leistung eines Mappers adäquate Anerkennung findet. „Dann denke ich, sagt das Team auch, gut, dass Sie das gesehen haben, das bringt uns wei-ter. Wir haben monatelang gesucht, und das nicht erkannt, weil wir so nahe

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dran waren. Da musste jemand von außen kommen und dieses Problem lösen.“

Im Verlauf des Projektes haben alle Mapper an Sicherheit in den Feedback-situationen gewonnen. Sicherheit bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem: Die eigenen Wahrnehmungen ernst nehmen, sie reflektieren und souverän im Team vertreten zu können. Für die Mapper ist dies ein großer Zugewinn an persönlicher Reife und fachlicher Kompetenz, der sich am wirkungsvollsten dort entfaltete, wo sie auf verlässliche Unterstützung durch die Leitung bauen konnten.

Status der Mapper im eigenen Team

In ihren eigenen Teams galten die Mapper überwiegend als Experten des DCM-Verfahrens und als besonders kompetent im Umgang mit den de-menzkranken Bewohnern. Dadurch sahen sie sich auch in herausragender Weise mit in die Verantwortung genommen für einen erfolgreichen Verlauf des gesamten Modellvorhabens. Vor allem zu Modellbeginn waren sie für ihre Teamkollegen wichtige Ansprechpartner, wenn die Mapper aus der Partnereinrichtung zum Einsatz kamen. „Was machen die da?“ wurde ge-fragt, aber auch: „Was müssen wir machen?“. Die Verhaltensunsicherheit in den Einrichtungen war groß, und die Mapper, die sozusagen beide Seiten des Prozesses kennen, konnten viel zur Klärung und Beruhigung beitragen.

Teilweise wurde ihnen als interne „DCM-Beauftragte“ die Terminkoordination des Mappingprozesses übertragen. In dieser Rolle sicherten sie Verbindlich-keit und Informationstransfer, waren jedoch auch einer doppelten Belastung ausgesetzt. Daher wählten manche Einrichtungen auch ganz bewusst eine andere Variante. Sie delegierten die Verpflichtung zur Informationsweiterga-be und Organisation der Terminplanung nicht an die Mapper, sondern an andere Kollegen aus dem Team. Wesentlich mitbeteiligt an der Terminkoor-dination waren selbstverständlich auch die Supervisoren, nicht zuletzt des-halb, weil ihr enger zeitlicher Spielraum zu vereinbaren war mit der Teilnah-me an nahezu allen Verfahrensschritten.

Die Verantwortung für die Umsetzung der geplanten Maßnahmen oblag offiziell dem gesamten Projektteam, aber die Mapper verfügten durch ihre Vernetzung mit den Kollegen aus anderen Einrichtungen über die neuesten Informationen und die aktuellsten Good-Practice-Tipps, und waren daher oft auch in diesem Bereich die „Agenten“ der Veränderung. Viele wertvolle An-

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regungen für den Umgang mit dementen Menschen wurden von den Map-pern aufgenommen und verbreitet. Sie waren damit sozusagen der personi-fizierte Transfer von Good-Practice-Beispielen. Sie wussten auch, welche Fortbildungen und welche Dozenten gut „ankamen“, und machten Vorschlä-ge für die Auswahl der Fortbildungsschwerpunkte.

Die angebotenen fachthematischen Fortbildungen für alle Teammitglieder wurden von den Mappern als äußerst hilfreich angesehen, um mit ihrem eigenen Wissen aus dem Basic-User-Kurs und den Mappingeinsätzen „nicht so gegen den Strom schwimmen zu müssen“, wie es eine Mapperin formu-liert. Vor allem in Einrichtungen mit flachen Hierarchien genossen die Map-per nach der gemeinsamen Fortbildung die Erfahrung, „wie schön es ist, eine Sprache zu sprechen.“ Wenn auf annähernd gleiche Wissenbestände zurückgegriffen werden kann, zieht die Belegschaft eher an einem Strang, ein Zusammenwachsen mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen wird wahr-scheinlicher. Das funktioniert sicherlich dann besonders gut, wenn möglichst viele Mitarbeiter den DCM-Grundkurs besucht haben, bei dem die perso-nenzentrierte Arbeit im Mittelpunkt steht und zentrale Begrifflichkeiten vor-gestellt werden. Aber auch Mitarbeiter, die nicht an der DCM-Basis-Qualifikation teilnehmen können, profitieren vom direkten Austausch mit den Mappern, der vor allem in kleinen Einrichtungen viel eher abteilungsüber-greifend möglich ist. Unabdingbar für eine solche Entwicklung ist auf jeden Fall, dass die Leitung die inhaltliche Ausrichtung voll akzeptiert und die not-wendige Vermittlungsarbeit nicht ausschließlich auf den Schultern der Map-per ruht.

Besonders in motivierten Teams, die sich nicht durch exponierte Rollen Ein-zelner bedroht fühlten, hatten die Mapper im Modellprojekt ein gutes „Stan-ding“. Die Bereitschaft, von DCM und dem Know-how der Mapper zu profi-tieren, war hier am deutlichsten ausgeprägt. Die Zuschreibung besonderer Verantwortung beinhaltete jedoch auch die Gefahr, dass sich die Mapper teilweise auf dem Prüfstand fühlten, was nicht selten mit einem Gefühl der Überforderung einherging. In solchen Situationen war es wichtig, durch Auf-gaben- und Rollenklärung Entlastung und Feiräume zu ermöglichen. Die Mapper kamen den an sie gestellten Erwartungen vor allem dann gerne nach, wenn sie eingebunden waren in ein allgemeines „Klima der Verände-rungsbereitschaft“, das von allen mitgetragen wurde.

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Rollenkonflikte

Die Mapper im Modellprojekt sind Beobachter mit „Feldkompetenz“. Das bedeutet, dass die Beobachtungen auf der Hintergrundfolie „Wie würde ich handeln, wie würde in unserer Einrichtung gehandelt?“ erfolgen und entsprechend bewertet werden. Hier entstanden teilweise „blinde Fle-cken“ bei den Mappern, wenn beobachtetes Verhalten der eigenen All-tagspraxis entsprach und damit nur bedingt kritisch reflektiert werden konnte.

Pflegekräfte sind meist in „geschwisterlicher Solidarität“ verbunden und entschuldigen Fehler der Kollegen oft mit Mängeln im System. So wur-den z.B. vor allem zu Beginn des Projektes personale Detraktionen wäh-rend des Mappings nicht aufgezeichnet, weil sie lediglich als Ausdruck der widrigen Verhältnisse und nicht als Beleg für eine mangelhafte Pfle-geinteraktion bewertet wurden. Mapper, die einer anderen Berufsgruppe angehörten, wie z.B. die Ergotherapeuten, hatten hingegen weniger Hemmungen, kritische Rückmeldungen zu geben. Hier waren die Be-fürchtungen, aus der Gruppe „Gleicher“ ausgegrenzt zu werden, nicht so ausgeprägt vorhanden.

Das Cross-Over-Verfahren nährte die Befürchtung, dass eine kritische Bewertung des Pflegealltags der beobachteten Partnereinrichtung die Mapper dieser Partnereinrichtung umgekehrt auch zu einer explizit kriti-schen Bewertung verleiten könnte. Mapper und Team der Partnerein-richtung waren also wechselseitig abhängig, und die Mapper gerieten in die Gefahr‚ „unfrei“ für objektive Beobachtungen zu werden, insbesonde-re dann, wenn es auf verschiedenen Ebenen zu Konkurrenz oder Kon-flikten mit der Partnereinrichtung kam.

Die Mapper sahen sich mit vielfältigen Rollenerwartungen konfrontiert. Zum einen hatten sie den Auftrag, neutral zu beobachten, zum anderen fühlten sie die Verpflichtung, in ihrer eigenen Einrichtung dafür Sorge zu tragen, dass personzentrierte Pflege möglich wird. Gab es Hindernisse auf diesem Weg, waren sie die ersten, die meinten, sich rechtfertigen zu müssen, oder aber tatsächlich von der Leitung zur Rechenschaft gezo-gen wurden. Sie mussten lernen, Diskrepanzen zwischen den Anforde-rungen an eine „gute Pflege“ und der beobachteten Realität in den Ein-richtungen auszuhalten bzw. konstruktiv damit umzugehen.

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Entwicklung der Mapper

Es ist festzuhalten, dass die Gruppe der Mapper im Modellverlauf die weit-reichendsten Entwicklungen vollzogen hat. Die umfassende Qualifizierung befähigte sie nicht nur zum Umgang mit dem DCM-Instrumentarium. Sie lernten darüber hinaus Pflegeprozesse zu analysieren und das eigene Han-deln deutend zu reflektieren, wie die Aussage eines Mappers veranschau-licht: „Ich sehe bei der Arbeit der Kollegen zu und denke oft, das mache ich genauso falsch und ich merke es dann auch nicht. Ich frage mich dann, wie das kommt, dass man was macht, obwohl man eigentlich weiß, dass es falsch ist. Ob das dann mit mir, oder mit den Bewohnern, oder mit den Kol-legen zu tun hat, oder weil das Wetter schlecht ist?“ Über die erhöhte Wert-schätzung im Team hinaus hat die DCM-Fortbildung für einige Teilnehmer auch ganz neue Perspektiven für die eigene Karriereplanung eröffnet. Sei es, dass sie selbst Zutrauen in eigene Kompetenzen gewonnen und Lust auf Veränderung bekommen haben, sei es, dass Führungskräfte ihre anschei-nend hinlänglich bekannten Mitarbeiter in einem anderen Licht gesehen und neue Potenziale entdeckt haben.

Trotz der vielschichtigen Rollenkonflikte und der damit verbundenen Belas-tungen und Krisen betrachten die meisten Mapper ihre Tätigkeit rückbli-ckend als großen Gewinn für sich selbst und ihre Arbeit. Sie bescheinigen sich mehr Selbstsicherheit und eine gestärkte Berufsidentität. Vor allem die Einblicke in die anderen Enrichtungen erlebten die Mapper als Bereicherung - auf einer fachlichen und einer persönlichen Ebene. Auch aus Sicht der Leitungen sind die Mapper zum Ende des Projektes selbstbewusster, sen-sibler, kritischer und fachkompetenter. Qualifikation und Engagement ließen die Mapper zu Katalysatoren des Veränderungsprozesses und zu „Schalt-stellen“ von damit zusammenhängenden Abstimmungsprozessen werden. Denn sie waren es, die die notwendigerweise mit einem Projekt verbunde-nen Unzulänglichkeiten frühzeitig wahrgenommen haben und die Korrektur von Fehlentwicklungen anregen konnten. Sie waren es, die durch ihr sozia-les Gespür dazu beigetragen haben, dass die Begegnungen mit den Be-wohnern und Mitarbeitern der Partnereinrichtungen einen guten Verlauf nahmen. Und sie waren es auch, die in ihren eigenen Einrichtungen die Modellidee „hochgehalten“ und weiter getragen haben. Eine erfolgreiche Implementierung von DCM ist vor allem auf Veränderungsbereitschaft an-gewiesen. Für die Mapper galt und gilt dies in besonderer Weise. Einrich-

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tungen, die die „neuen“ Kompetenzen ihrer Mapper gezielt zu nutzen wis-sen, werden in Zukunft maßgeblich von ihnen profitieren können.

4.1.2 Die Teams

Team- und Mitarbeiterstruktur

Die Teamstrukturen in den projektbeteiligten Einrichtungen waren unter-schiedlich. So gab es Teams aus „freiwilligen“ Mitarbeitern, die sich eigens für das DCM-Projekt gebildet hatten, sowie Teams, die in ihrer Grundstruktur bereits seit längerem bestanden. Natürlich hatten Erstgenannte - bedingt durch ein einheitlich hohes Motivationsniveau - einen Startvorteil. Sie waren mitunter aber auch verstärkt Neid und Abgrenzungen durch Kollegen in der Einrichtung ausgesetzt: „Die sind was Besonderes.“

Grundsätzlich lässt sich sagen: Die Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbei-ter, sich auf den Lernprozess einzulassen, war dort am stärksten ausge-prägt, wo im Vorfeld eine intensive Informations- und Motivationsarbeit durch die Leitung stattgefunden hatte. Während die „Informierten und Motivierten“ eine Chance sahen, die gemeinsame Zukunft nach ihrem Pflegeverständnis neu zu gestalten („Jetzt kann ich endlich so arbeiten, wie ich es mir immer gewünscht habe“), dominierten bei den uninformierten und unmotivierten Skeptikern eher Befürchtungen, die Sicherheit der gewohnten Routine zu verlieren. Damit wird deutlich, dass das Gefühl der Sicherheit im Team ein entscheidender Entwicklungsfaktor ist.

Die Berufsgruppe der Ergotherapeuten stellte eine besondere Mitarbeiter-gruppe im Projekt dar. Ergotherapeuten galten in der Regel nicht als Mitglie-der der Teams, aber als wichtige Betreuungspersonen für die demenzkran-ken Bewohner. Sie agierten allerdings eher als therapeutische Experten und begaben sich weniger auf die Ebene der Bewohner im Sinne einer person-zentrierten Arbeit. Auch wenn die ergotherapeutischen Mitarbeiter im DCM-Verfahren gute Werte produzierten, mussten sie sich im Laufe des Projektes ein personzentriertes Demenzverständnis erst erarbeiten. Sie handelten häufiger mit einem Demenzverständnis, welches die kognitiven Einbußen in den Mittelpunkt stellt. Dementsprechend förderten sie eher diejenigen Per-sonen mit Demenz, die noch viele kognitive Fähigkeiten besaßen. Schwer-kranke, die insbesondere Einzelbetreuung im Sinne von Bindung, Trost und Identität benötigten, standen bei ihrer Arbeit nicht im Zentrum.

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Bezogen auf die Zusammenarbeit zwischen ergotherapeutischen und pfle-gerischen Mitarbeitern wurden teilweise Schnittstellenprobleme deutlich, die den Entwicklungsprozess verzögerten (siehe dazu auch Kap. 4.4.2.1).

Umgang mit dem Instrument DCM

Mapping Vor allem zu Projektbeginn stellten Mappings für die Teams eine ungewohn-te, zum Teil belastende Situation dar, in der sie sich „auf dem Präsentiertel-ler“ beobachtet, unangemessen beschaut und zugleich bewertet fühlten. Die Mitarbeiter der beobachteten Teams wiesen immer wieder darauf hin, dass sie in der Mappingsituation kontrollierter arbeiteten, um möglichst gute DCM-Ergebnisse zu produzieren. Gleichzeitig formulierten alle Teams an sich den Anspruch, das Mapping ohne Beeinflussung der Situation zu bestehen, um realistische Ergebnisse zu erhalten. Dieser Anspruch fand in der Praxis nicht immer seine Entsprechung.

So wurden Beobachtungssituationen z.B. in einigen Einrichtungen dahinge-hend „verzerrt“, dass am Mapping-Tag Personal aufgestockt wurde oder geplant jene Mitarbeiter Dienst hatten, die aufgrund ihrer personzentrierten Pflegehaltung zu guten Gesamtergebnissen beitrugen. Es gab andererseits auch Teams, die vorzugsweise Praktikanten oder Zivis das „Feld“ überlie-ßen. Schlechte Ergebnisse konnten so gerechtfertigt werden, ohne sich selbst einer Reflexion der eigenen Arbeit und der damit verbundenen Ver-antwortung stellen zu müssen.

Der Lernerfolg litt bei einem solchen „Selbstbetrug“ erheblich. Bereits Kit-wood wies darauf hin, dass es eine weitaus stärkere Herausforderung ist, sich der Realität zu stellen und bislang gemiedenen Themen ins Auge zu blicken, als eine Bestätigung inszenierter Szenen zu erhalten.29 Eine realisti-sche Diskussions- und Planungsgrundlage zur Verbesserung der Pflege schließt letzteres aus.

Aufgrund dieser Erfahrungen erfolgten die letzten Mappings ohne vorherige Ankündigung. Dies führte jedoch insgesamt nicht zu nennenswert anderen Ergebnissen und Interpretationen als zuvor.

29 vgl. Kitwood, T. (2000).

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Feedback Grundsätzlich sollten alle Teammitglieder am Feedback teilnehmen, zumin-dest aber alle Mitarbeiter, die am Tag des Mappings gearbeitet hatten. Logi-scherweise war ihre Anwesenheit Voraussetzung dafür, dass sie von den Mappern Rückmeldung über ihren Umgang mit den demenzkranken Be-wohnern erhielten und Anregungen für ihre weitere Arbeit entwickeln konn-ten. Die Teilnahme an den Feedbacks lag bei 60 bis 80%. Die Beteiligungs-kultur in den Teams korrespondierte stark mit der jeweiligen Akzeptanz und Ernsthaftigkeit gegenüber dem DCM-Verfahren. Als vorteilhaft erwies es sich, Standards für Feedbacksitzungen gemeinsam festzulegen. In einem solchen verbindlichen Rahmen entwickelte sich leichter eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der wertvolle Erkenntnisse über Bewohner, Arbeitsabläufe und eigenes Verhalten gewonnen werden konnten.

Kritische Momente, in denen sich Mitarbeiter angegriffen, unverstanden und in ihren Bemühungen um die Bewohner nicht gewürdigt fühlten, gab es im-mer mal wieder. „Hier wird nicht gemappt, hier wird gemobbt“, mit diesen Worten verdeutlichte ein Teammitglied seine Verletztheit und die Angst, durch kritische Rückmeldungen ausgegrenzt zu werden. In der Regel gelang es aber, Missverständnisse und Gefühlsausbrüche gemeinsam zu verste-hen, zu bearbeiten und solidarisch nach Lösungen zu suchen.

Beispiel: „Zum vereinbarten Feedbacktermin erscheinen aus diversen Gründen nur drei Mitarbeiter. Es wird angeführt, dass man zu spät davon erfahren habe, einige krank oder in Urlaub seien. … Unter den Anwesenden ist eine Schü-lerin und eine neue Kollegin, die mit dem Begriff DCM nichts anzufangen weiß. Nur eine Mitarbeiterin hat während des Mappings gearbeitet. Das Feedback der Mapper fällt insgesamt sehr positiv aus. Sie haben beo-bachtet, dass die Bewohner aktiv und fröhlich an den angebotenen Aktivitä-ten teilnahmen. Kritisch angemerkt wird lediglich, dass die Angebote zu viel-fältig waren und zu schnell wechselten. Darüber hinaus schildern die Map-per zwei Situationen, in denen sich die Mitarbeiterin nicht personzentriert verhielt und zwei personale Detraktionen produzierte. In der nachfolgenden Diskussion wird deutlich, dass die Mitarbeiterin sich kaum anders verhalten konnte, da sie allein für zehn Bewohner zuständig war. In der Sitzung wurde nicht deutlich, wie sehr sich die Mitarbeiterin durch das Feedback angegrif-fen und in Frage gestellt gefühlt hatte.

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Erst im Nachhinein konnte sie ihre Kränkung und das Gefühl der Abwertung formulieren. Aus Solidarität mit der Kollegin entwickelte sich im Team eine Dynamik gegen das DCM-Verfahren und alles, was damit zusammenhing. Erst in der folgenden Supervisionssitzung mit dem gesamten Team und der Leitung gelang es, die Kollegin vom Druck ihrer einsamen Position zu ent-lasten. Sie hatte sich doppelt verlassen gefühlt, in der Arbeitssituation selbst und im Feedback.“ (Auszug aus einem Sitzungsprotokoll)

In den Feedbacksitzungen wurde zunehmend mit Rückmeldungen positiver Pflegeereignisse (PEs) gearbeitet. Solche Good-Practice-Beispiele ermög-lichten über Bestätigung und Identifikation ein „Lernen am Erfolg“; sie wür-digten die Mitarbeiter gleichzeitig als die „wahren Experten“ in der Pflege, denen mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen ist. Dieser Weg förder-te Motivation und Bereitschaft, sich mit dem Pflegealltag konstruktiv ausein-ander zu setzen, und bereitete das Feld bei der Entwicklung neuer Denk- und Handlungsmuster.

Maßnahmeplanung Die Maßnahmeplanung fand in den meisten Einrichtungen unter reger Betei-ligung der Mitarbeiter der verschiedenen Professionen statt. In der Regel war auch die Leitung vertreten. Ihre Anwesenheit sollte gewährleisten, dass gewünschte organisatorische und strukturelle Veränderungen oder aber Neuanschaffungen entscheidungsnah besprochen werden können.

Die Bereitschaft, sich in der Maßnahmeplanung aktiv einzubringen, hing von der allgemeinen Teamatmosphäre und selbstverständlich auch von dem Binnenverhältnis zwischen Leitung und Mitarbeitern ab. In Teams, in denen Ängste vor Entwertung oder sogar möglichen Sanktionen durch Kollegen oder Leitung dominierten, fiel es einzelnen Mitarbeitern häufig schwer, sich zu beteiligen und eigenständig Ideen zu entwickeln. Dagegen verliefen die Maßnahmeplanungen in Teams mit einem hohen Vertrauenslevel beeindru-ckend lebhaft. Unterschiedliche Positionen und Ideen von allen Beteiligten konnten hier geäußert und zusammengetragen werden, so dass sich ein Puzzlestück nach dem anderen zusammenfügte und als Ergebnis eine um-fassende Betreuungsplanung für Bewohner konzipiert werden konnte.

Nicht immer einfach gestaltete sich die Umsetzung der geplanten Maßnah-men. Gemeinsam beschlossene Vorhaben wurden Opfer des Vergessens oder des Widerstands einzelner Kollegen, auch gingen manche geplanten Maßnahmen im Alltagsgeschäft „lautlos“ unter. Es bedurfte einiger Zeit und

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auch verbindlicher Absprachen und Verantwortlichkeiten, bis alle Teilnehmer vorbereitet in die Sitzungen kamen, d.h. den Mappingbericht gelesen hatten und sich schon einmal gedanklich mit dem einen oder anderen Bewohner auseinander gesetzt hatten.

Entwicklungen im Team

Alle Teams erlebten im Verlauf des Projektes Phasen der Ernüchterung und der Selbstzweifel, aber auch Phasen des Aufbruchs und der Konsolidierung. Die interessierten und motivierten Mitarbeiter lernten schnell und zeigten eine hohe Bereitschaft, Erlerntes in die Praxis umzusetzen. Sie waren dieje-nigen, die sich durch DCM weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht stärker belastet fühlten. Hier traf eher das Gegenteil zu: Durch erste sichtba-re Erfolge stieg die Motivation und damit die Freude an der vielfältigeren und abwechslungsreicheren Arbeit, in die sie sich mit Eigeninitiative einbringen konnten.

Bei vielen Mitarbeitern zeigten sich erfreuliche Veränderungen in der Hal-tung gegenüber den Menschen mit Demenz. In den Dienstübergaben wurde zunehmend mehr über die besonderen Bedürfnisse der Bewohner geredet. Dabei nahmen die Mitarbeiter vermehrt biographische und bewohnerzent-rierte Perspektiven ein. Sie konnten sich besser in die Situation der Bewoh-ner hineinversetzen, deren Gefühlswelt nacherleben und zum Gegenstand ihrer Reflexion machen. Die während einer Sitzung des „Runden Tisches“ zum Projektende gesammelten und in einem Protokoll dokumentierten „neu-en Arbeitsprinzipien“ zeigen beispielhaft den Wandel und die Einstellungs-veränderungen in den Teams.

Unsere Überzeugungen Ein zurzeit geführtes Gespräch ist wichtiger als ein gut gemachtes Bett. (Nicht der Inhalt, aber das Gespräch ist wichtig.)

Wir gehen so mit den Bewohnern um, wie wir wollen, dass mit uns umgegangen wird.

Wir fragen, bevor wir eine Dienstleistung/eine Hilfe anbieten. Wir interessieren uns für die Lebensgeschichte. Wir sehen die Menschen nicht als „Fall“, sondern als Person. Wir gestehen unseren Bewohnern größtmögliche Bewegungsfreiheit zu. Wo ist der Bewohner? Wo und wie muss ich ihn „abholen“? Unsere Ziele: Das Wohlbefinden der Bewohner.

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Demenz wurde in Folge nicht mehr nur als ein schicksalhafter Zustand der Bewohner beschrieben, sondern als Anlass für einen veränderten Umgang mit den Bewohnern betrachtet. Der personzentrierte Ansatz bei Demenz etablierte sich zum „Standard“, und Diskussionen fanden auch in Bereichen statt, wo dieses Denken noch nicht Routine war.

Erfahrungen, als Person für die Bewohner wichtig zu sein und in ihrer Rolle als Pflegekraft zugleich erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Lebens-bedingungen zu haben, führten zu einem neuen Selbstbewusstsein vieler Mitarbeiter. Es zeigte sich durchweg, dass es eine Korrelation zwischen eigenem Zutrauen und Wohlfühlen einerseits und dem Wohlbefinden der Bewohner andererseits gab. Je mehr sich die Mitarbeiter (zu-)trauten, desto intensiver brachten sie sich mit ihren Gefühlen und Ideen ein, experimentier-ten mit kleinen und wenig aufwändigen Handlungen, die sehr schnell Freude bei den Bewohnern auslösten. Die Stärkung des Selbstwertgefühls der Mit-arbeiter führte zu mehr Eigeninitiative und selbstverantwortlichem Handeln im gesamten Prozess. Verloren gegangene Ideale über eine „gute Pflege“ wurden reaktiviert und gelebt; DCM half, sie zu legitimieren und selbstbe-wusst zu vertreten. Die Beziehungsgestaltung wirkte sich auf beide Seiten positiv aus: Für viele Mitarbeiter bekam die eigene Arbeit wieder einen Sinn, die Bewohner vermittelten den Mitarbeitern bestätigende Rückmeldungen für ihr Engagement.

Voraussetzung für diese erfreulichen Entwicklungen waren Freiräume zum Experimentieren und ein grundsätzliches Gefühl der Wertschätzung durch Leitung und Kollegen. Entsprechende Arbeitsbedingungen standen zugleich in engem Zusammenhang mit einer besseren Kommunikation im Team. Sie zeigten sich in intensiveren Übergaben sowie in einer kollegialen Ge-sprächsatmosphäre, in der sich einzelne Mitarbeiter vermehrt trauten, die eigene Meinung zu äußern, fachliche Dialoge zu führen und in kontroversen Auseinandersetzungen eine eigene Position zu entwickeln. Dass es mit Blick auf berufliches Handeln gelungen ist, Einvernehmen herzustellen und eine gemeinsame Werthaltung zu entwickeln, auch wenn es dabei zu Abgren-zungen einzelner Kollegen kam, spiegelt das Resümee eines Teams wider, das in einem Sitzungsprotokoll festgehalten wurde:

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Unsere eigene Entwicklung

Wir berücksichtigen Bewohnerwünsche stärker und fragen nach.

Wir sind mutiger geworden! Wir gestehen uns mehr Freiräume zu.

Wir können mehr erreichen, als wir dachten! Alle Fixierungen sind beendet.

Wir unterstützen uns gegenseitig und tauschen unsere Erfahrungen offener aus.

Wir denken neu und anders über Demenz nach.

Allerdings können wir feststellen, dass über das Bekenntnis zu DCM auch einige Kollegen ausgeschieden sind bzw. im Haus gewechselt haben.

Dort, wo sich solch positive Entwicklungen manifestierten, kam es nach Aussagen der Heimleitungen zugleich zu einer deutlichen Verminderung krankheitsbedingter Ausfälle. In diesem Zusammenhang entstand eine quali-tativ bessere Dialogebene auch zwischen examinierten und nicht examinier-ten Mitarbeitern, da alle am Prozess beteiligt waren.

Trotz dieser mehrheitlich positiven Entwicklungen blieben in einigen Teams die erreichten (Einstellungs-)Veränderungen und damit auch personzentrier-te Interaktionen hinter den Erwartungen zurück. Dies war insbesondere dort der Fall, wo Ängste vor Entwertung durch Leitungskräfte und Arbeitskollegen dominierten, wo unklare und ungeklärte Beziehungen Neid und Missgunst förderten, wo gespaltene Teams aus DCM-Befürwortern und -Gegnern nicht zusammenfanden, wo Veränderungswille an starren Strukturen scheiterte und darüber „erlosch“ und schließlich dort, wo Teams so erschöpft und aus-gebrannt waren, dass keine Ressourcen für Veränderungen mehr vorhan-den waren.

Es zeigte sich, dass diese Teams ihre negativen Gefühle häufig äußerten, ohne dass die Situation sich dadurch ändern konnte. Die Äußerung negati-ver Gefühle stand in engem Zusammenhang mit der Überforderung, sich über die Bewohner Gedanken zu machen. In Teams mit positiven Einstel-lungen (Sicherheit und Motivation) gab es insgesamt weniger Gefühlsäuße-rungen, hier wurde schnell über die konkreten Bewohner gesprochen.

Probleme bereitete bis zum Schluss auch die gezielte Biographiearbeit. Inte-resse an der Biographie der Bewohner wurde - von Angehörigen und Pfle-gekräften gleichermaßen - nicht selten als grenzüberschreitende Neugier betrachtet. Die Fähigkeit, die Erhebung biographischer Informationen (vor

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sich selbst und anderen) fachlich zu begründen, musste häufig erst erwor-ben werden.

Ähnlich problematisch gestaltete sich die Integration der individuellen Maß-nahmeplanung in die Pflegedokumentation. Dies ist nicht nur als zusätzli-cher Beleg für allgemein bekannte „Dokumentations-Widerstände“ zu sehen, sondern zeugt zugleich von einem nach wie vor wenig ausgeprägten ganz-heitlichen, prozesshaften Pflegeverständnis. Im Verlauf kam es darüber zu interessanten Auseinandersetzungen in den Teams. In einigen Einrichtun-gen wurden zu diesem Thema eigene Arbeitsgruppen gebildet.

Ob der erreichte Entwicklungsstand bei der Verinnerlichung einer person-zentrierten Pflegehaltung erhalten, ausgebaut und verstetigt werden kann, wird entscheidend von den Freiräumen und Arbeitsbedingungen, die den Mitarbeitern in den jeweiligen Institutionen in Zukunft gewährt wird, abhän-gen. Das resignative Fazit einer Mitarbeiterin: „Wenn Sie nur zu zweit auf Station sind, sind sie nicht mehr neugierig auf DCM“ macht deutlich, dass das zarte Pflänzchen „personzentrierte Pflege und DCM“ schnell im Alltags-stress untergehen und an institutionellen Routinen scheitern kann.

4.1.3 Die Leitungskräfte der Einrichtungen

Aufgaben der Leitung

DCM forderte allen Leitungskräften30 im Projekt eine große Bereitschaft zu Transparenz und Kooperation ab und zwar nicht nur mit Blick auf die jeweili-ge Partnereinrichtung und den begleitenden Supervisor. Transparenz wurde auch in Zusammenarbeit mit den anderen projektbeteiligten Einrichtungen, der Koordinatorin und ganz besonders gegenüber den eigenen Mitarbeitern gefordert.

Die Leitung hatte dafür Sorge zu tragen, dass Verantwortlichkeiten für die hausinterne Planung und Durchführung des DCM-Prozesses delegiert und festgelegt wurden. Dies war Voraussetzung für die Sicherstellung von Infor-mationstransfer, Terminabsprachen, Sitzungsvorbereitung, Personalplanung und Protokollführung. Einige Einrichtungsleiter benannten gleich zu Projekt-

30 Wenn hier von Leitung gesprochen wird, sind die verschiedenen Leitungsebenen - Heimlei-

tung, Pflegedienstleitung und Wohnbereichsleitung - mit ihren jeweiligen Verantwortlichkei-ten gemeint.

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beginn einen internen DCM-Beauftragten, was sich rückblickend als sehr empfehlenswert erwies. Gleichwohl reichte es nicht, Verantwortlichkeiten durch Delegation festzulegen. Erst eine zuverlässige und großzügige Unter-stützung durch die Leitung gewährleisteten ein sinnvolles Agieren des DCM-Beauftragten während des Prozesses. Zu dieser Unterstützung zählten die Nähe zum Team, ein kooperativer Führungsstil und offensichtliches Interes-se an personzentrierter Pflege und DCM.

Die verbindliche Teilnahme an den Sitzungen zur Maßnahmeplanung und am „Runden Tisch“ gehörte ebenfalls zu den „Pflichten“ der Leitung. Eine regelhafte Beteiligung der Führungskräfte wurde von den Mitarbeitern nicht nur als Wertschätzung ihrer Arbeit honoriert, sie war zugleich Garant für strukturelle Veränderungen: Leitung muss Beschlüsse mittragen und umset-zen helfen, z.B. wenn es um erforderliche Neuanschaffungen, Baumaßnah-men oder Veränderungen in der Personal- und Ablauforganisation (z.B. Fle-xibilisierung von Essenszeiten, Freizeitgestaltung) geht.

Leitung sollte auch Vorbildfunktion übernehmen bei der Entwicklung einer vertrauensvollen Kommunikationskultur, die Freiräume für Ideen und Expe-rimente schafft. Ein solch wertschätzender Umgang der Leitung mit den Mitarbeitern ist die „Seele“ des Verfahrens und Voraussetzung für eine per-sonzentrierte Pflege. Entsprechend besteht die Rolle der Leitung nach Kit-wood „mehr im Befähigen und Erleichtern als im Kontrollieren“.31 Gleichzeitig müssen die Führungskräfte behutsam darauf achten, dass ein Zuviel an Freiheit und Privilegien beim Personal nicht ein Gefühl des Alleinseins und der Überforderung weckt, denn die latent vorhandenen „turbulenten“ Ele-mente im DCM-Prozess können auch rasch eine destruktive Dynamik entwi-ckeln, z.B. wenn es zur Verunsicherung in alten Rollen kommt, ohne dass Neues entwickelt werden kann. Leitung muss im Prozess immer dahinge-hend klar sein, dass sie die Gesamtentwicklung steuert und diese Steue-rungsfunktion nicht delegiert werden kann. Mitarbeiter können nur im Rah-men der von der Leitung gesetzten Vorgaben agieren. Hier sind eine offene Kommunikation und das Interesse von Leitung am Team wesentlich.

Die Leitungskräfte im Marburger DCM-Projekt gingen mit den an sie gerich-teten Erwartungen recht unterschiedlich um: Wo Leitung sich nicht hinrei-chend mit DCM identifizierte, fehlte eine wichtige Antriebsfeder. Das Perso-

31 Kitwood, T. (2000): 153.

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nal wurde dann von den Ambivalenzen auf der Führungsebene „angesteckt“, was zu Handlungsunsicherheit und Frustration führte. Größere Umset-zungsprobleme zeigten sich in Einrichtungen mit weitgehend unklaren Ver-antwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Personal- und Organisationsbe-reich. Dies erschwerte z.B. die Klärung interdisziplinärer Fragen, verzögerte wichtige Entscheidungen und führte zu allgemeinen Lähmungserscheinun-gen mit der Gefahr, dass der Veränderungsprozess zwischen den Sitzungen weitgehend „einfror“. Mitarbeiter auf allen Ebenen wurden dann schnell „DCM-müde“.

In zwei Einrichtungen behinderte eine ausgeprägte Machtzentrierung auf der oberen Ebene in Verbindung mit einem Leitungsvakuum im mittleren Mana-gement den DCM-Prozess erheblich. Hier war die Leitung zu „weit weg“, DCM blieb auf der Agenda ein eher nachgeordneter Punkt. Zur Prestige- und Qualitätssicherung lag die Präferenz bei den vorwiegend „technischen“ Qualitätsentwicklungsverfahren. Hier wurde DCM für die Teams nicht „das, was noch fehlte“, sondern „das, was uns gerade noch gefehlt hat“. Die Mit-arbeiter empfanden die Beteiligung am DCM-Verfahren auf der einen Seite als Zumutung, auf der anderen Seite als Chance, auf das eigene „Elend“ hinzuweisen. Es tauchte die Frage auf „Was haben wir davon?“ und nicht „Was haben die Bewohner davon?“. Infolgedessen formierte sich eine ver-deckt operierende Widerstandskultur gegen die Leitung und das Projekt, die den DCM-Befürwortern im Team kaum eine Chance ließ. In diesen Einrich-tungen äußerten Mitarbeiter ihre Überforderung und ihre Ängste in den Sit-zungen, die Ebene der Personen mit Demenz wurde dementsprechend we-nig thematisiert.

An den Beispielen zeigte sich deutlich, dass in Einrichtungen, in denen DCM eher „verwaltet“ oder „pflegegemanagt“ wurde, d.h., in denen die Leitung vorrangig auf Normierung und Standardisierung von Pflegeabläufen und -produkten setzte, kaum eine Veränderungsdynamik im Sinne von Leben-digkeit, Experimentierfreudigkeit, Unvorhersehbarkeit und Toleranz entste-hen konnte.

Aus diesen Erfahrungen lassen sich entscheidende Faktoren für eine gelin-gende DCM-gestützte Qualitätsentwicklung identifizieren, nämlich:

eine flache hierarchische Struktur einer Einrichtung,

ein „personzentriertes“ Leitungs- bzw. Mitarbeiterverständnis und schließlich

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die identifikatorische Haltung der Leitung zu DCM.32

Entwicklung der Leitung

„Ich habe das Personal mehr schätzen gelernt“, sagte eine Heimleiterin. Eine andere resümierte, „bei den Mitarbeitern bisher nicht erkannte Potenzi-ale entdeckt“ zu haben. Beide Äußerungen lassen Rückschlüsse auf eine sensiblere Wahrnehmung der Arbeitsinhalte und -abläufe und auf mehr An-erkennung der geleisteten Teamarbeit zu. Bei der Mehrzahl der Heimleiter stieg zugleich das Verständnis für die Bedeutung einer ganzheitlichen Per-sonal- und Organisationsentwicklung. Dies zeigte sich u.a. in einer bewuss-teren Personalauswahl. So wurden beispielsweise gezielt Familienpflegerin-nen in Pflegeteams aufgenommen und Mitarbeiter mit unzureichenden Deutschkenntnissen in andere Bereiche versetzt, um die Entwicklung einer person- und bedürfnisorientierten Pflegekultur zu fördern.

Abgesehen von diesen insgesamt erfreulichen Entwicklungen zeigten sich während des Projektes auch Schwachstellen in der Leitungskompetenz, so z.B. im Hinblick auf Kommunikation/Interaktion, auf Strukturgebung und -sicherung sowie Personalentwicklung. Auf der Basis dieser Erkenntnis ent-wickelten die begleitenden Supervisoren einen „Leitfaden für Führungskräf-te“33 als Angebot, das eigene Führungsverhalten einschätzen und Entwick-lungen in der Einrichtung sensibel wahrnehmen zu können. Das Angebot wurde von der Mehrheit der Führungskräfte genutzt, was einen engagierten und verantwortungsvollen Umgang mit diesem Themenbereich offenbarte.

Mit Blick auf die Leitung kann zusammenfassend festgehalten werden: DCM ist ein beteiligungsorientierter Entwicklungsprozess „von unten“ mit dem Ziel, gemeinsam eine neue Pflegekultur zu realisieren. Vor diesem Hintergrund stellt die Implementierung von DCM als Qualitätsentwicklungsverfahren an die Leitungskräfte besondere Anforderungen, die weit über „klassische“, eher personal- und organisationsorientierte Leitungsaufgaben hinausgehen. Es genügt nicht, DCM zu „verordnen“ und die Mitarbeiter darauf „einzu-schwören“. Die Führungsebene muss - im Sinne eines Kultur- und Bezie-hungsmanagements - ein Bekenntnis zu DCM abgeben und dieses Bündnis

32 Zur Bedeutung der Leitung bei der Implementierung einer personzentrierten Pflege siehe

auch Kap. 6. 33 Landkreis Marburg-Biedenkopf (Hg.) (2003): Gräßle, R.; Hofmann-Eimer, G.; Müller, N.;

Rosenkötter, J.: Leitfaden für Führungskräfte im Modellprojekt „DCM-gestützte Qualitäts-entwicklung in Einrichtungen der Altenhilfe im Landkreis Marburg-Biedenkopf“. Marburg.

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zwischen Leitung und Mitarbeitern pflegen und ggf. immer wieder erneuern. Die Unterstützung der Pflege- und Betreuungsteams auf allen Ebenen ist daher eine Kernaufgabe der Leitung.

4.1.4 Die externen Berater

Rolle und Aufgaben

Die Rolle der Beratung wurde definiert als eine Art „Reisebegleitung“, die sowohl Moderation und Förderung des Veränderungsprozesses, als auch Weichenstellung und Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten angesichts erwartbarer Hürden und Stolpersteine beinhaltete. Dabei sollten die Berater auf allen Ebenen der Institution begleiten und unterstützen, aber auch kri-tisch hinterfragen. Das Aufgabenfeld der Berater im Projekt umfasste im Wesentlichen die

Unterstützung der Mapper bei der Feedbackvorbereitung,

Moderation von Feedback, Maßnahmeplanung und „Rundem Tisch“,

Teamsupervision und Fallbesprechungen,

Krisenintervention und

Leitungsberatung.

Zu Projektbeginn gestaltete sich das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern und Beratern eher zögerlich und abwartend. Mitarbeiter waren es nicht ge-wohnt, mit externen Personen/Beratern das alltägliche Handeln zu reflektie-ren, fühlten sich leicht kontrolliert und verunsichert. Vereinzelt gründete die-se Skepsis auf zurückliegenden negativen Erfahrungen mit Supervision, in der man sich „bloßgestellt und angegriffen gefühlt“ hatte und nach der „alles nur noch schlimmer“ geworden war. Diese Haltung veränderte sich im Pro-zess, in dessen Verlauf sich zunehmend gegenseitiges Vertrauen, Anerken-nung und ein produktives Arbeitsbündnis entwickelte.

In „Sachen DCM“ wurde den Beratern zunächst eine Expertenrolle zuge-schrieben. Sie waren es, von denen Antworten auf technische Fragen zur DCM-Anwendung, wie z.B. Kodieren, Berichte schreiben und Feedback geben erwartet wurden. In den Vorbereitungssitzungen für das Feedback ging es darum, Mappingergebnisse zu analysieren, die „richtige“ Bewertung anhand der Regeln des Instruments DCM zu eruieren und die wichtigsten

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Inhalte für die Rückmeldung festzulegen. In gemeinsamer Reflexion lernten die Mapper zu trennen zwischen „objektiver“ Beobachtung und persönlicher Interpretation, in die eigene Werte, eigene Vorstellungen von Fachkompe-tenz und eigene institutionelle Erfahrungen einfließen.

In den Feedbacksitzungen selbst übernahmen die Berater strukturierende Aufgaben. Dazu gehörten in erster Linie das Aufgreifen, Sammeln und Zu-sammenfassen von Themen. Die Berater legten großen Wert auf erfah-rungsorientiertes Lernen. Rollenspiele erwiesen sich als eine passende Me-thode, um z.B. die Folgen personaler Detraktionen aufzuzeigen und sich in die Situation der Bewohner einzufühlen. Diese Form der Rückmeldung und Szenenbearbeitung eignete sich zugleich, die Gefahren von Kränkungen und Widerstand, die einen Lern- und Veränderungsprozess behindert hät-ten, möglichst gering zu halten.

Die Berater waren „Geburtshelfer“, wenn es darum ging, Unaussprechliches besprechbar zu machen. Die Mapper mussten lernen, Verantwortung für ihre Rolle zu übernehmen und den Teams kritische Beobachtungen zurück-zumelden. So wurden Lernprozesse bei den Mitarbeitern angeregt, durch die gelerntes Pflegeverhalten und persönliche Haltung reflektiert und verin-nerlicht werden konnten. Mit einem so begründeten „Auftrag“ konnten sich die Mapper identifizieren.

In schwierigen Situationen ging es darum, zu unterstützen und zu schützen, z.B. wenn Kränkungen, Verlassenheitsgefühle oder Konflikte die gemeinsa-me Arbeit zu blockieren drohten. Mit Unterstützung konnten die Mitarbeiter lernen, Ärger und Unverständnis zu äußern und gemeinsam mit dem Berater Bewältigungsstrategien für Konflikte zu entwickeln. Dabei erfuhren die Mit-arbeiter, wie wichtig es ist, für sich selbst zu sorgen. Eine Mitarbeiterin be-schrieb ihre Erkenntnis mit den Worten: „In der Pflege und Betreuung werde ich als ganze Person gebraucht, nicht nur als Pflegekraft. Ich kann nur spü-ren, was die Bewohner brauchen, wenn ich mich selbst spüre, wenn’s mir gut geht.“

Zur Klärung der Gruppendynamik gab es immer wieder das Angebot zur Teamsupervision. Dieses Angebot nahmen vor allem Teams mit geringem Angst- und Konfliktpotenzial in Anspruch, mit dem Ergebnis, dass die Ko-operation im Team, Arbeitszufriedenheit und Qualität der Arbeit sichtbar stiegen.

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Fallbesprechungen waren häufig eng verknüpft mit der individuellen Maß-nahmeplanung. In der Auseinandersetzung über einzelne Bewohner kam es am ehesten zu Diskussionen über Pflegekultur, Pflegeethik und innerer Hal-tung. Die Beteiligten schätzten diese Diskussionen, weil im Alltag zu wenig Raum für diese Gespräche war. Getragen waren diese Gespräche in allen Einrichtungen von einer tiefen Wertschätzung für die Bewohner und von einem Bemühen um gegenseitiges Verständnis. Mittels Übungen zur Einfüh-lung in sich selbst und andere erkundeten, entwickelten und vertieften die Beteiligten ihr individuelles und ihr kollektives Pflegeselbstverständnis.

Im Verlauf des DCM-initiierten Lern- und Reflexionsprozesses wurden zwangsläufig auch (verdeckte) Probleme offensichtlich. Ungünstige Rah-menbedingungen, starre, kontraproduktive Routinen, aber auch ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit kamen an die Oberfläche und gerieten in den Blick. Solche Situationen wurden von den Mitarbeitern mitunter als sehr krisenhaft und belastend erlebt. Sie erforderten nicht selten eine konstruktive Begleitung durch die Berater, um eine sich entwickelnde destruktive Dyna-mik rechtzeitig aufzufangen.

Sitzungen ohne Beteiligung der Berater zeigten deutliche Qualitätsunter-schiede in Struktur und Inhalt. Personale Detraktionen wurden wesentlich seltener angesprochen, inhaltliche Diskurse kaum geführt, auch kamen Re-flexion und Planung zu kurz. Diese Erfahrungen zeigen, dass ein Feedback geübt und begleitet werden sollte, damit verwertbare und verbindliche Er-gebnisse für die weitere Maßnahmeplanung erzielt werden können, eine Erkenntnis, die sich insbesondere auf Einrichtungen mit einer nicht hinrei-chend entwickelten Gesprächs- und Reflexionskultur bezieht.

Erfahrungen

Als Verbindungsglied zwischen Mitarbeitern, Mappern, Leitern und anderen Akteuren im Projekt waren die Berater vielfältigen Erwartungen, Wünschen, aber auch Vorbehalten ausgesetzt, die selbst für erfahrene Berater eine große Herausforderung an ihre professionelle Rolle darstellten. So war es für sie manchmal mit erheblichen Anstrengungen verbunden, angesichts sich zum Teil überlagernder Konflikte DCM selbst nicht aus dem Auge zu verlieren. Zeitweise kamen in einzelnen Einrichtungen Auseinandersetzun-gen in Gang, die mit der Geschichte des Hauses, mit Regeln, Werten und Konventionen zu tun hatten. Diese hingen nicht ursächlich mit dem DCM-

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Verfahren zusammen, wurden aber dadurch deutlich oder/und an die Ober-fläche getragen. Angesichts dessen war es für die Prozessbegleiter manch-mal nicht leicht, sich abzugrenzen und sich lediglich auf die Begleitung des DCM-Prozesses zu konzentrieren.

Auch war die Verführung groß, in Institutionen mit wenig ausgeprägter Lei-tungs- und Kommunikationsstruktur als Berater die Verantwortung zu über-nehmen und sich von den Mitarbeitern als Sprachrohr instrumentalisieren zu lassen, z.B. wenn es darum ging, gegenüber der Leitung Missstände aufzu-zeigen. Spannungen gab es teilweise auch bei der Abwägung unterschiedli-cher, gegensätzlicher oder gar unvereinbarer Interessenslagen von Leitung, Mitarbeitern und Bewohnern. Wenn die Leitung mehr an einer „intakten Fas-sade“ interessiert war, die Mitarbeiter fehlerfrei zu „funktionieren“ versuchten und die Bewohner sich mehr oder weniger selbst überlassen blieben, stellte dies eine schwierige Gemengelage für die Berater dar.

Die Arbeit erforderte eine kontinuierliche Abklärung der Zuständigkeit als DCM-Prozessbegleiter einerseits und - bezogen auf „allgemeine Probleme“ - der Eigenverantwortung von Einrichtungen andererseits. Notwendig war eine kontinuierliche Selbstreflexion, die die Berater im Rahmen kollegialer Supervision und Beratung leisteten. Die regelmäßigen Treffen dienten vor-nehmlich dem Erfahrungsaustausch und der Abstimmung von Interventions- und Planungsschritten.

Insgesamt betrachtet hat die Arbeit der Berater die Etablierung des DCM-Verfahrens in den Einrichtungen maßgeblich unterstützt und gefördert. Die vielfältigen Beratungs- und Reflexionsangebote im Prozess hatten auch eine aktiv personalentwickelnde Komponente, da sie fachliche Kompetenz, Selbstbewusstsein, Kritik- und Konfliktfähigkeit beförderten. Die damit ein-hergehende Verinnerlichung neuer Handlungs- und Denkmuster waren wichtige Schritte hin zu einer personzentrierten Pflegehaltung der Mitarbei-ter.

Die gesammelten Erfahrungen zeigen, dass eine Prozessbegleitung durch einen externen Berater unverzichtbar ist. In welcher Intensität diese letztend-lich erfolgen sollte, ist unter verschiedenen Gesichtspunkten abzuwägen. Wie viel Beratung ist förderlich, um die Einrichtungen zu befähigen, eigen-verantwortlich einen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang zu setzen und zu erhalten? Ab wann kann ein Zuviel an Beratung die Entwicklung von Ei-genverantwortung und Selbständigkeit einer Einrichtung behindern? Und

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nicht zuletzt: Wie viel Beratung ist - auf der Grundlage der ausgehandelten Pflegesätze - finanzierbar? All dies sind Fragen, die es für jede Einrichtung individuell zu beantworten gilt.

4.1.5 Die Projektleitung

Die Verantwortung für die Gesamtorganisation des Modellprojektes lag bei der Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Die Aufgabe der Projektleitung war es, die regionale Verbundarbeit der projektbeteiligten Einrichtungen zu koordinieren und einen abgestimmten Lern- und Entwick-lungsprozess zu moderieren. Im Einzelnen gehörten dazu:

die „Geschäftsführung“ der regelmäßigen Arbeitstreffen aller Leitungs-kräfte;

die Organisation und Moderation der Treffen aller DCM-Beobachter;

die inhaltliche und organisatorische Zusammenarbeit mit den Superviso-ren;

die Unterstützung der Einrichtungen bei der Organisation der Fortbil-dungen;

die Teilnahme an überregionalen Projekttreffen im Kuratorium Deutsche Altershilfe;

die Verwaltung der Projektmittel;

die Berichterstattung und Ergebnissicherung;

die Öffentlichkeitsarbeit in Form von Vortragstätigkeit, Veröffentlichun-gen und Pressekontakten.

Die Projektleiterin pflegte in ihrer Rolle als Moderatorin, Koordinatorin und Verantwortliche des Gesamtprozesses Kontakt zu allen Beteiligten auf den unterschiedlichen Handlungsebenen. Sie fungierte als Schaltstelle für pro-jektrelevante Informationen, als „Klärungs- und Schlichtungsstelle“ bei auf-tretenden Problemkonstellationen und als Entscheidungsinstanz in finanziel-len Fragen.

Intensiv gestaltete sich die Arbeitsbeziehung zu den Einrichtungsleitern. In den insgesamt 22 Arbeitstreffen mit den Leitungskräften wurden Berichte und Informationen über den aktuellen Stand der Implementierung von DCM gegeben und weitere Planungsschritte abgestimmt, Informationen zu Fort-

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bildungen weitergeleitet, Zeitpläne für Mappingeinsätze festgelegt, Fragen zur Dokumentation geklärt und andere projektrelevante Aspekte bespro-chen. Insgesamt verlief die Arbeit in diesem Gremium konstruktiv und har-monisch, für einige Heimleiter manchmal „zu harmonisch“. Rückblickend hätte man sich untereinander „mehr Ehrlichkeit“ gewünscht, weil es „jeden von uns weiter gebracht hätte“, so fassten einige Heimleiter ihre Einschät-zung über das Klima in den Sitzungen zusammen. Ängste, vor der „ver-sammelten Mannschaft“ von Kollegen, die - trotz des gemeinsamen Anlie-gens „DCM“ - zugleich auch als Konkurrenten gesehen wurden, Probleme und Schwächen einräumen zu müssen, erschwerten einen offenen, vorbe-haltlosen Kontakt untereinander. Sicherlich kamen aber nicht nur entspre-chende Unsicherheiten gegenüber den Kollegen zum Tragen. Auch das Wissen, dass die Projektkoordinatorin als Mitarbeiterin des Landkreises gleichzeitig auf der Seite eines Kostenträgers zu verorten war, mag zu den einen oder anderen Vorbehalten beigetragen haben, die eine offene Kom-munikation schwerer machten.

Die Kontakte zu den Mappern beschränkten sich auf insgesamt vier Arbeits-treffen. Den Mappern boten diese Treffen Gelegenheit, mit der Projektleitung ins Gespräch zu kommen, gemeinsame Erfahrungen auszutauschen und allgemeine Fragen zum Verfahren und zur Projektorganisation zu stellen. Die auf den ersten Blick gering erscheinende Zahl der Sitzungen stellte sich rückblickend als vollkommen ausreichend dar, hatten die Mapper doch über die gesamte Projektphase hinweg intensiven Kontakt zu „ihren“ Beratern, mit denen sie direkt alle Fragen und Probleme klären konnten.

Die Arbeitsbeziehung zu den externen Beratern gestaltete sich im Rahmen regelmäßig stattfindender Sitzungen. Sie dienten in erster Linie dem Infor-mationsaustausch und der Abstimmung von einzelnen Projektschritten und ggf. notwendigen Interventionen. In den Sitzungen wurde das Dilemma deut-lich, das sich aus der Schweigepflicht der Berater gegenüber den Einrich-tungen einerseits und der Berichtspflicht der Supervisoren gegenüber der Projektleitung andererseits ergab. Für die Berater bedeutete dies eine ver-antwortungsvolle Gratwanderung. Der Projektleitung forderte es Respekt vor der Beratungsarbeit ab und eine zurückhaltende Abwägung projektrelevan-ter Informationserfordernisse mit Blick auf die eigene Berichtspflicht gegen-über den Auftraggebern.

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Die Projektleitung unterstützte die Einrichtungen bei der Organisation der Fortbildungen. Dabei ging es insbesondere um Kontaktaufnahme und Ver-mittlung von Referenten und allgemeine Planungshilfen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurden neben regelmäßigen Pressekontakten (siehe Anhang 12) auch Einladungen zu Tagungen genutzt, um die Arbeit im DCM-Projekt vorzustellen. Die Vortragstätigkeit fand auch in Veröffentlichungen ihren Niederschlag.

Schließlich gehörte die Teilnahme an den insgesamt zehn vom KDA organi-sierten überregionalen Projekttreffen zu den Aufgaben der Projektleitung. Hier trafen sich Vertreter der anderen Projektregionen Main-Kinzig-Kreis, Aachen, Brandenburg sowie Vertreter des Bundesministeriums, des Mein-werk-Instituts und des iso-Instituts zum Erfahrungsaustausch. Unterschied-liche Strategien in den Projektstandorten kamen ebenso zur Sprache, wie fachpolitische Fragestellungen.

Die hier eher fragmentarische Beschreibung der Leitungs- und Koordinati-onsaufgaben macht dennoch ihre Komplexität deutlich. Die Arbeit der Pro-jektleiterin erforderte Verständnis für die Belange Einzelner, ohne den Pro-jektauftrag als Ganzes aus dem Auge zu verlieren. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Interessenlagen und Sichtweisen verlangte strikte Neut-ralität, Verschwiegenheit, Verständnis und Loyalität. Wenn es um „die Sa-che“ ging, waren auch unliebsame Entscheidungen zu treffen und zu vertre-ten. Die „Positionierung“ zwischen den vielfältigen Rollenerwartungen einer-seits und der eigenen Wahrnehmung, als Projektbeteiligte quasi auch „Ver-bündete“ zu sein, andererseits, war letztendlich nur durch eine stetige Refle-xion zu handhaben. Die Kompetenz als ausgebildete Supervisorin erwies sich dabei als äußerst hilfreich. Rollendiffusität konnte so weitgehend ver-mieden werden.

Die dargestellten Aufgaben des Projektmanagements verdeutlichen, dass eine verantwortliche und neutrale Instanz immer dort unverzichtbar ist, wo mehrere Einrichtungen im Rahmen einer DCM-Qualitätsentwicklung part-nerschaftlich zusammenwirken möchten.

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4.2 Fachtheoretische Fortbildungen

Bereits zu Projektbeginn war offensichtlich, dass die Verinnerlichung einer personzentrierten Pflegehaltung nicht allein durch das DCM-Verfahren ge-leistet werden kann. Mitarbeiter benötigen ergänzend zu diesem Prozess fachliche Fortbildungen, die sie in diesem Lernprozess unterstützen. Eine ergänzende Basisschulung der Mitarbeiter wurde als wesentliche Voraus-setzung gesehen, den gewünschten „Kulturwandel“ in der Pflege von Men-schen mit Demenz zu erreichen.

Die Konzipierung der Fortbildungen erfolgte in dem Wissen, dass viele Pfle-gekräfte niemals zuvor eine angemessene Schulung im Umgang mit De-menzkranken erfahren hatten. Aus diesem Grund wurden für die Basisquali-fizierung schwerpunktmäßig Themen ausgewählt, die - entsprechend Kit-woods Theorie der „positiven Personenarbeit“ - Verständnis, Empathie und Sicherheit im praktischen Umgang mit demenzkranken Menschen fördern helfen. Dazu zählten insbesondere:

Validation,

Biographie-,/Reminiszenzarbeit,

Basale Stimulation,

Kinästhetik,

Bewegung/10-Minuten-Aktivierung und

medizinische Grundkenntnisse.

Die Einrichtungen organisierten die Fortbildungen teambezogen, in Abspra-che auch einrichtungsübergreifend, um Synergieeffekte zu nutzen und Be-lastungen der Teams in Grenzen zu halten. Für die Planung stand eine Liste mit empfohlenen Referenten zur Verfügung.

Die Möglichkeit zur Teilnahme erhielten alle Mitarbeiter, die als Pflege- oder Hauswirtschaftskräfte, als Therapeuten oder Reinigungskräfte regelmäßigen Kontakt zu Bewohnern hatten. Die Mitarbeiter wünschten sich vor allem konkretes „Handwerkszeug“ für ihre Arbeit mit demenzkranken Bewohnern, und so fanden besonders die praxisnahen Fortbildungsthemen großen An-klang. Die Praxisnähe der Seminare und das gemeinsame Lernen im Team motivierten zur Umsetzung des Gelernten in den gemeinsamen Alltag und vermittelten Erfolgserlebnisse entsprechend der Erkenntnis: „Es klappt ja wirklich.“

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Das Lernen im Team erleichterte auch den kollegialen Austausch über fach-liche und persönliche Sichtweisen. So führte die Auseinandersetzung mit biographischen Themen und deren Auswirkungen auf das Erleben und Ver-halten der Bewohner nicht nur zu höherer Sensibilität und Toleranz, sondern auch zur persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Rolle als Professioneller im Pflegeprozess. All dies förderte die fachliche und persönliche Kompetenz der Mitarbeiter, was für sie selbst von Nutzen war und sich zum Teil eindrucksvoll im Kontakt mit den Bewohnern zeigte. Die Fortbildungsangebote wurden von den meisten Mitarbeitern rückbli-ckend als sehr nützlich und hilfreich beschrieben.

Ergänzend zu den formalen Fortbildungen hatten auch informelle Kontakte Qualifizierungswert: Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen tauschten un-tereinander Good-Practice-Lösungen aus oder initiierten Projekte, wie z.B. die systematische Integration eigener Hobbys in den Pflege- und Betreu-ungsalltag. Solche Versuche regten „neugierige“ Kollegen an und führten mitunter zu internen Fortbildungsangeboten, von denen letztlich alle profitier-ten.

Um neu erworbenes Wissen nachhaltig in das Pflegehandeln zu integrieren, musste der Qualifizierungsprozess in all seinen Ausformungen von der Lei-tung begleitet und unterstützt werden. Freiräume waren zu schaffen, damit die Teams die Chance hatten, zu experimentieren und auch zwischen den offiziellen DCM-Sitzungen an Fortbildungs- und Projektthemen arbeiten zu können. Wo diese Freiräume nicht zur Verfügung standen, verloren sich neu erworbene Kompetenzen im Nichts, entstanden Frustration und Demotivati-on bei den sonst engagierten Mitarbeitern.

Trotz dieser insgesamt positiven Bilanz der Fortbildungen ist kritisch anzu-merken, dass keine spezielle Lerneinheit zum Thema „personzentrierte Pflege“ angeboten wurde. Es stellte sich nämlich heraus, dass es - entgegen der ursprünglichen Annahme - nicht zu einer automatischen Internalisierung personzentrierter Haltung kam, sondern einer zusätzlichen systematisch-theoretischen Fundierung bedurft hätte.

Auch Fortbildungen zum Thema „non-verbale Kommunikation“ mit schwer demenzkranken Bewohnern fanden - rückblickend betrachtet - nicht hinrei-chend Berücksichtigung. Bezüglich dieser Gruppe kam es bis zum Projekt-ende immer wieder zu größeren Differenzen in den Teams: Während die Innovationsfreudigen auch hier Neuland beschreiten und nach Wegen su-

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chen wollten, um diese Bewohner zu „erreichen“, bremsten andere Kollegen den Elan mit der alt bekannten Argumentation: „Da ist doch nichts mehr zu machen...“.

Intensiver Schulungsbedarf besteht nach wie vor auch im Bereich Kinästhe-tik. So kamen die externen Mapper in ihren Abschlussbefundungen häufiger zu dem Ergebnis, dass personale Detraktionen in Transfersituationen (vom Rollstuhl in den Sessel etc.) vorkamen, insbesondere im Kontakt mit schwer demenzkranken Bewohnern ohne Sprachverständnis.

Die Ergebnisse bestätigen einerseits die unterstützende Wirkung von Fort-bildung auf dem Weg zu personzentrierter Arbeit bzw. zur Professionalisie-rung im Allgemeinen. Sie machen aber auch deutlich, dass einmalige Schu-lungen häufig nicht ausreichen, das neu erworbene Wissen automatisch in praktisches Handeln zu „übersetzen“. Dafür bedarf es stetiger Vertiefung durch Nachschulungen.

Mit Blick auf die zukünftigen Aufgaben der Mapper bei der internen Steue-rung des DCM-Prozesses in den Einrichtungen wäre es zudem sicherlich vorteilhaft gewesen, den Mappern, aufbauend auf dem DCM-Basic-User-Kurs, eine weiterführende Qualifizierung zum DCM-Advanced-Anwender zu ermöglichen.

4.3 Maßnahmen der Milieugestaltung

„Unter armseligen Umständen wird vorzügliche Beziehungsarbeit geleistet, weil das ´innere Team` gute Beziehung miteinander lebt und weitergibt; und umgekehrt: unter vorzüglichen äußeren Bedingungen und exzellenten Struk-turen wird ´kalt` gepflegt.“34 Diese Feststellung Müller-Hergls weist darauf hin, dass ein adäquates räumliches Milieu nicht zwingende Voraussetzung für eine gute Pflege und Betreuung ist. Unstrittig ist jedoch, dass ein räumli-ches Milieu, welches den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit De-menz nach Orientierung, Sicherheit und Wärme gerecht wird, zur Steigerung von Wohlbefinden und Lebensqualität beiträgt. Aus diesem Grund sollten alle am Projekt beteiligten Einrichtungen bei der Gestaltung eines demenz-gerechten Wohnumfeldes fachlich und finanziell unterstützt werden.35 34 Müller-Hergl, C. (2002): „Vorläufige Papiere“ zu DCM. Stand Juli 2002. URL: www.dcm-

international.de. 35 vgl. Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001).

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Voraussetzung für die Bewilligung des zur Verfügung stehenden Förderbe-trags (siehe dazu Kap. 3.3) durch die Projektkoordinatorin war die Vorlage eines Gesamtkonzeptes mit

Empfehlungen zur Um- bzw. Neugestaltung, die sich aus den DCM-Beobachtungen ergaben,

einer entsprechenden fachlichen Begründung,

einer nachweislichen Beteiligung der Mitarbeiter bei der Konzeptentwick-lung und

der Kalkulation eines Eigenanteils von rund 10% der Fördersumme.

Von den insgesamt zwölf projektbeteiligten Einrichtungen nutzten elf Einrich-tungen die Chance, entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Dabei han-delte es sich im Wesentlichen um Wohnraumgestaltung, Wohnraumausstat-tung und die Gestaltung von Außenanlagen.

Vor allem Einrichtungen, die aufgrund ihrer baulichen Historie bislang über keinerlei adäquate Aufenthaltsmöglichkeiten für eine Gruppe verfügten und in denen sich die Bewohner in ihren Zimmern, im Treppenhaus oder aber auf dem Flur aufhalten mussten, profitierten von baulichen Veränderungen. Das galt auch für Einrichtungen mit sehr beengten Räumlichkeiten, in denen ein Umherlaufen, ein Wechsel der Sitzplätze oder gar ein Rückzug vom Gruppengeschehen unmöglich war; hier mussten die Bewohner den ganzen Tag am selben Tisch verbringen.

Durch bauliche Maßnahmen, wie z.B. Wanddurchbrüche, Nutzungsände-rung von Räumlichkeiten, Integration von Flurraum etc., konnten Verbesse-rungen erreicht werden. In einigen Einrichtungen verhalf der Einbau von Küchenzeilen den Wohngruppen zu mehr Autonomie, z.B. bei der Organisa-tion der Mahlzeiten; gleichzeitig konnten dadurch Bewohner zur Mitarbeit aktiviert werden. Die Anschaffung von kombinierbaren Tisch- und Sitzmö-beln oder bequemen Sofas und Sesseln förderte andernorts eine wohnliche Atmosphäre und Kontakte untereinander. Wieder andere Einrichtungen nutzten die Möglichkeit, vorhandene, bislang brachliegende Außenflächen für Bewohner begeh- und nutzbar zu machen, indem ein spezieller Zugang, eine Terrassenfläche oder Gartenanlage geschaffen bzw. gestaltet wurden.

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Situation nach dem „ersten Schritt“: Vergrößerung nach Wanddurchbruch.

Entstanden ist ein gemütlicher Wohn-/Essraum für alle Bewohner.

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Früher lebten die Bewohner tagsüber im Flur.

Heute steht ein eigener Aufenthaltsraum mit Küchenzeile zur Verfügung.

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Leitung und Mitarbeiter nahmen die Herausforderung engagiert an. In eini-gen Einrichtungen bildeten sich Projektgruppen, die Vorschläge zur räumli-chen Gestaltung erarbeiteten. Für viele Mitarbeiter war es die Gelegenheit, sich selbst verantwortlich einzubringen, eigene kreative Ideen zu entwickeln und diese gemeinsam mit dem Team umzusetzen. Zum Teil flossen dabei Anregungen aus den Fortbildungen mit ein. Nicht selten waren die Projekte zur Milieugestaltung Ausgangspunkt für weitergehendes Engagement. So entschieden sich mehrere Träger und Mitarbeiter zu ergänzenden Eigenleis-tungen, die weit über das geforderte Maß hinausgingen.

Ideen und Engagement stießen jedoch auch an ihre Grenzen: Probleme bereiteten zuweilen die Gleichzeitigkeit von Projektmaßnahmen und die damit bedingten hohen Belastungen für Bewohner und Mitarbeiter. Die Fra-ge kam auf: Wie viel Innovation können Bewohner und Mitarbeiter (ver-)tra-gen? Auch die Heimaufsicht machte der einen oder anderen Maßnahme einen „Strich durch die Rechnung“, was zu Frustrationen führte: Verände-rungen mussten zurückgenommen und Einrichtungsgegenstände abgebaut werden. Grenzen gab und gibt es nicht zuletzt durch die vorhandenen räum-lichen Gegebenheiten, die wünschenswerte Verbesserungen teilweise un-möglich machen. So konnte das „Optimale“ nicht immer erreicht, mussten Kompromisse eingegangen werden. Insgesamt aber hat jede Einrichtung das Beste aus dem gemacht, was ihr möglich war.

Es stellte sich schnell heraus, dass die größeren und kleineren Milieuverän-derungen offensichtlich positive Auswirkungen auf die Bewohner und die Arbeit der Mitarbeiter hatten und mit einem Zugewinn an Lebensqualität verbunden waren. Durch die größere Bewegungsfreiheit und neu sich eröff-nende Betätigungsfelder sind die Bewohner nach Angaben der Mitarbeiter zum einen ruhiger und entspannter, zum anderen aber auch kommunikativer geworden. So hat sich über die Projektarbeit „Milieugestaltung“ in allen Ein-richtungen ein Bewusstsein und eine Sensibilität darüber entwickelt, welche Auswirkungen das räumliche Milieu auf das Wohlbefinden der Bewohner und nicht zuletzt auf die Qualität der Arbeit haben kann. Dieses neue Be-wusstsein, verbunden mit den „sichtbaren“ Ergebnissen und der Erfahrung, dass Veränderungen Spaß machen und nicht zwangsläufig mit hohen Kos-ten verbunden sein müssen, ist eine gute Grundlage für weitergehende Ent-wicklungen in diesem Bereich, zu denen sich die meisten Einrichtungen auch nach Projektende verpflichtet fühlen.

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Einen Überblick über die einzelnen Maßnahmen, deren Auswirkungen, das Fördervolumen und die finanziellen Eigenleistungen der Träger liefert nach-stehende Auflistung:

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Maßnahmen der Milieugestaltung und ihre Auswirkungen

36 Nach Angaben der Einrichtung/Mitarbeiter.

Einrich-tung Trägerschaft Maßnahmen/Anschaffungen Auswirkungen36 Förder-

volumen Eigen-

beteiligung

1 privat - Ausbau und Gestaltung der Gartenanlage Aktivierung Bewegungsfreiheit 9.130,00 € 6.052,00 €

2 privat

- Schaffung eines Gemeinschaftsraumes (Wohnküche Rosengarten)

- Gestaltung eines demenzgerechten Gartens - Zugang zur Gartenanlage

Zusammenführung der Bewohner gemeinsame Mahlzeiten Entlastung der Mitarbeiter 9.130,00 € 5.000,00 €

3 gemeinnützig - Anschaffung von Möbeln, Raumausstattung - Anschaffung von Beleuchtungssystemen - Raumvergrößerung

Bewegungsfreiheit, „Aufenthaltsinseln“ Wohnlichkeit Entlastung der Mitarbeiter

7.577,00 € 15.000.00 €

4 gemeinnützig - Raumausstattung zur Förderung der Wohnlichkeit - Beschäftigungsmaterialien für Erinnerungsarbeit und

aktivierende Betreuung

Wohnlichkeit Aktivierung 7.998,20 € 788,63 €

5 konfessionell - Umgestaltung des Wohnbereiches - Abgrenzung des Aufenthaltsraumes zum Flur - Wohlfühlbad

Wohnlichkeit, „Aufenthaltsinseln“ Überschaubarkeit durch Raumteilung Förderung der Kontakte

7.660,00 € 4.860,00 €

6 privat - Bau einer Gartenanlage, Rundlauf um das Haus - Küchenzeile - Raumausstattungs- und Beschäftigungsgegenstände

Wohnlichkeit Aktivierung 9.130,00 € 2.921,00 €

7 konfessionell - Schaffung eines Gemeinschaftsraumes durch bauliche

Zusammenführung von zwei Zimmern - Wohnliche Ausgestaltung des Raumes

Zusammenführung der Bewohner gemeinsame Mahlzeiten Entlastung der Mitarbeiter

9.675,00 € 1.008,00 €

8 gemeinnützig

- Flurabtrennung zur Schaffung eines geschützten, wohn-lichen Aufenthaltsraumes

- Anschaffung von Ausstattungs- und Beschäftigungsma-terialien

Wohnlichkeit Aktivierung Motivierung der Mitarbeiter 8.388,00 € 766,00 €

9 privat - Schaffung einer Gartenanlage für demenzkranke Be-

wohner - Umgestaltung des Aufenthaltsraumes

Flexible Sitzordnung Bewegungsfreiheit Rückzugsmöglichkeit, Freiheit, Mobilität, Aktivität

7.002,19 € 850,00 €

10 gemeinnützig - Anschaffung von Möbeln und anderen Einrichtungsge-genständen zur Entwicklung eines wohnlichen Milieus

Wohnlichkeit Entlastung der Mitarbeiter 7.660,00 € 979,00 €

11 gemeinnützig - Anschaffung von Möbeln und anderen Einrichtungsge-genständen zur Entwicklung eines wohnlichen Milieus

Bewegungsfreiheit Wohnlichkeit Förderung der Kontakte 7.660,00 € 28.000,00 €

91.010,39 € 66.224,63 €

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4.4 Veränderungen der institutionellen Pflegekultur

Der dreijährige DCM-Prozess hat in der Mehrzahl der Einrichtungen Verän-derungen auf unterschiedlichen Ebenen bewirkt. Diese resultieren aus den Erkenntnissen der DCM-Beobachtungen und aus dem Wissenserwerb der Mitarbeiter in den Fortbildungen. Ebenfalls wirkten die Ergebnisse der inten-siven Überlegungen zu Milieuveränderungen und nicht zuletzt die stetigen Analysen und Reflexionen im Rahmen der externen Beratung. Die Verbin-dung all dieser Interventionen führte dazu, dass personelle, strukturelle und räumliche Schwachstellen mehr oder weniger offen zu Tage traten und da-durch einer Bearbeitung zugänglich wurden.

Die erreichten Veränderungen in den Projekteinrichtungen sind im Hinblick auf Umfang und Qualität sehr unterschiedlich. So gibt es zwei Einrichtungen, in denen sich - außer der Erkenntnis, dass „sich etwas verändern muss“ - kaum etwas getan hat, während andere Einrichtungen sich auf den Weg gemacht haben, eine personzentrierte Pflegekultur umzusetzen: Traditionel-les Pflegehandeln durchmischt sich hier mit Ansätzen der „neuen Pflegekul-tur“, wie es in einem Protokoll zur Abschlussbefundung durch externe Map-per heißt. Und schließlich ist es einigen Einrichtungen gelungen, bereits während der Projektlaufzeit eine Kultur der personzentrierten Pflege zu etab-lieren, die es jedoch in Zukunft durch weiterführende Maßnahmen zu sichern und zu verstetigen gilt.

Exemplarisch für viele weitere Alltagsbereiche werden im Folgenden Verän-derungen bei den „Mahlzeiten“ und der „Sozialen Betreuung“ beschrieben, da diese im stationären Setting eine herausragende Bedeutung für die Le-bensqualität der Bewohner haben. Als Nachweis der Veränderungen werden Zitate aus Mappingberichten und unterschiedlichen Sitzungsprotokollen (z.B. über Feedback und Maßnahmeplanungen) sowie statistische Ergebnisse der DCM-Daten angeführt.

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4.4.1 Lebensbereich „Mahlzeiten“

4.4.1.1 Defizite der Mahlzeitenkultur zu Projektbeginn

Gemäß dem Ansatz der personzentrierten Pflege ist Essen und Trinken mehr als eine biologische Energiezufuhr. Es ist ein außerordentlich intensi-ves soziales und körperliches Ereignis: es „nährt“ Personsein. Mit anderen Mahlzeiten einzunehmen, schenkt das Gefühl der Gemeinsamkeit, ist ein Beschäftigen mit sich selbst und anderen und kann etwas sehr Sinnliches sein. Eine genussvolle Mahlzeit ist mit einer positiv besetzten Wahrnehmung der eigenen Person verbunden und hat dadurch eine große Wirkung auf das Wohlbefinden des Menschen mit Demenz.

Überdies sind Mahlzeiten in Altenpflegeheimen ein strukturierendes Element im Verlaufe eines Tages und nehmen zeitlich einen großen Raum ein. Wie kaum ein anderer Lebensbereich lässt die Gestaltung der Mahlzeiten Rück-schlüsse auf die Gesamtkultur und den Entwicklungsstand einer Einrichtung zu.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die Mahlzeitenkultur im Rah-men des Veränderungsprozesses immer wieder thematisiert wurde. In den Mappingberichten und Sitzungsprotokollen konnten eine Vielzahl von Defizi-ten und entsprechende Veränderungen identifiziert werden, die nun kurz benannt und daran anschließend anhand von Protokollauszügen verdeut-licht werden:

Defizite der Mahlzeitenkultur Veränderungen der Mahlzeitenkultur

Mangelnde Begleitung während der Mahlzeiten

Personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten

Mahlzeiten ohne Bezug zur Lebenswelt Orientierung an der Lebenswelt (Renorma-lisierung der Mahlzeiten)

Enges zeitliches Korsett der Mahlzeiten Öffnung des zeitlichen Korsetts Mangelnde berufsgruppenübergreifende

Kooperation und Koordination Berufsgruppenübergreifende Kooperation

und Koordination während der Mahlzeiten Verlust des Blicks für den Einzelnen Rückgewinnung des Blicks für den Einzel-

nen Hemmendes oder störendes Milieu wäh-

rend der Mahlzeiten Förderliches Milieu während der Mahlzeiten

Fehlende Transparenz und Verantwort-lichkeiten während der Mahlzeiten

Ritualisierung und Strukturierung der Mahl-zeiten

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Mangelnde Begleitung während der Mahlzeiten

Gerade zu den Mahlzeiten benötigen viele Bewohner kontinuierliche persön-liche Betreuung und Assistenz. Aufgrund der Aufgabendichte einerseits und personeller Engpässe andererseits können die vielfältigen Möglichkeiten, dabei Beziehung zum Bewohner zu gestalten, häufig nicht im wünschens-werten Umfang genutzt werden. Dies führt mitunter zu Missverständnissen, zu Unruhe und Irritationen bei allen Beteiligten, wie im Fall von Herrn Schön:

„Sein Impuls zu gehen ist stärker als der zu essen. Immer wieder führt man ihn zum Tisch. Er setzt sich, die Pflegekraft entfernt sich, er steht wieder auf und geht ..., wird wieder ´eingefangen` etc. Dies erscheint wenig sinnvoll: Entweder bleibt man bei ihm, oder man versorgt ihn mit Speisen ´fliegend`. Alleine kann er seine Handlung nicht zu Ende zu füh-ren.“

Auch im Beispiel von Frau Ost stellt das Essen unter solchen Bedingungen für sie ein Problem dar:

„Sie will die Suppe nicht, bekommt sie dann gereicht, dann wieder wird sie weggenommen. Die Unterstützung beim Essen ist zu kurz und zu fragmentiert.“

Mahlzeiten ohne Bezug zur Lebenswelt

Häufig wird „übersehen“, dass gerade Mahlzeiten vielfältige Chancen für vertraute Alltagserfahrungen bieten:

„Das Mittagessen kommt im Schöpfsystem auf dem Servierwagen. Das Essen wird von den Betreuenden portioniert. Es fallen die wenig geeig-neten Portionsteller mit Unterteilung auf. Einige Bewohner haben Prob-leme, das Essen über den hohen Tellerrand zu bekommen. Zudem wir-ken die weißen Teller sehr nach Krankenhaus, besitzen wenig Alltags-charakter.“

Enges zeitliches Korsett der Mahlzeiten

Die Kultur der Mahlzeiten wird häufig durch zeitliche Vorgaben des Küchen- bzw. Hauswirtschaftsbereichs beeinflusst. Sehr oft kommt es dadurch zu großem Zeitdruck und Stress für Bewohner und Mitarbeiter. Bei den Map-pern drängte sich der Eindruck von „Abfertigung“ auf. Eine Atmosphäre von

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Ruhe und Gelassenheit, in der sich Genuss, Eigenaktivität und soziales Miteinander hätten entwickeln können, konnte so kaum entstehen:

„Die Essenssituation stellte sich für uns als äußerst unruhig dar, wobei unserer Ansicht nach viel Unruhe und Hektik von den Mitarbeitern verur-sacht wird. Rückfragen bei den Kolleginnen ergaben, dass das Geschirr bis spätestens 13.00 Uhr wieder in der Küche sein muss, weil das Kü-chenpersonal um ... Uhr Dienstschluss hat.“

Mangelnde berufsgruppenübergreifende Kooperation und Koordination

Eine problematische Mahlzeitenkultur liegt nicht allein im Verantwortungsbe-reich einer Berufsgruppe, geschweige denn einzelner Mitarbeiter. Sie ist in hohem Maße auf Schwächen in der Ablauf- und Personalorganisation und auf mangelnde Absprachen zwischen den einzelnen Professionen zurückzu-führen. Dadurch kann es zu Engpässen in der Versorgung kommen:

„Zu wenig Essen, - Essensausgabe nicht organisiert, - Abläufe sind un-klar. Auch scheint sich die Küche nicht hinreichend auf die Bedürfnisse und Essgewohnheiten der Bewohner einzustellen (passierte Kost), und es gibt Probleme, die sich aus der Verzahnung von pflegerischen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beim Essen ergeben.“

Wichtig ist darüber hinaus ein weitgehend professionsunabhängiger „Blick fürs Ganze“, verbunden mit der Bereitschaft „berufsfremde“ Aufgaben zu übernehmen. Gelingt ein solch ganzheitliches Denken und Handeln nicht, bleiben die Interessen und Belange der demenzkranken Bewohner weitge-hend unberücksichtigt:

„Die Mitarbeiterzuständigkeit der verschiedenen Berufsgruppen scheint traditionellen Regelungen zu unterliegen: Mitarbeiter der Pflege geben ihre Verantwortung an der Stelle ab, wo der Bewohner an seinem Platz ist. Das Anheben des Warmhaltedeckels, der auf dem Teller liegt, gehört nicht mehr zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Der Bewohner muss warten, bis Betreuungsmitarbeiter diesen abhebt. Mitarbeiter der Hauswirtschaft ignorieren hingegen völlig, dass sich Menschen im Raum befinden.“

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Verlust des Blicks für den Einzelnen

Des Weiteren besteht die Gefahr einer mangelhaften Berücksichtigung indi-vidueller Fähigkeiten und Ressourcen, wenn es zu einer mehr oder weniger unreflektierten „Abfertigung“ kommt:

„Die Verteilung der passierten Kost scheint unreflektiert zu erfolgen. Die gleichen Bewohner, die passierte Kost essen müssen, können nachmit-tags unproblematisch ihren Kuchen selbständig essen.“

Hemmendes oder störendes Milieu während der Mahlzeiten

Nicht selten schließt das räumliche Milieu von vornherein aus, dass die Mahlzeiten in einer gemütlichen Atmosphäre stattfinden und das Essen ent-spannt eingenommen werden kann:

„Der Raum, in dem sich die Bewohner aufhalten und die Mahlzeiten ein-nehmen, ist zugig und kalt. Weiter ist der Raum sehr klein, so dass die Bewohner an ihren Esstischen sitzen bleiben. Andere Sitzgelegenheiten sind nicht vorhanden. Die Stühle sind größtenteils eher Sessel, so dass das Essen für einige Teilnehmer nicht direkt auf dem Tisch stehend ein-genommen werden kann; sie müssen die Teller und Schalen auf den Schoß nehmen.“

Fehlende Transparenz und Verantwortlichkeiten während der Mahlzei-ten

Sind im Team grundsätzliche Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Hand-lungsabläufe nicht hinreichend geklärt, fehlt ein überschaubarer und verläss-licher Rahmen, der Orientierung und Kontinuität für Bewohner und Mitarbei-ter gleichermaßen bewirkt:

„Obwohl Frau H. mehrfach auf sich aufmerksam zu machen versuchte, wurde sie in der allgemeinen Hektik lange übersehen. Sie hatte ihr Ge-biss in die Suppe gelegt und wusste nicht mehr weiter. ... Es fehlten kla-re Abläufe und Absprachen, die mehr Ruhe reingebracht hätten. Keiner wusste recht, für was er zuständig war.“

4.4.1.2 Veränderungen der Mahlzeitenkultur im Projektverlauf

So umfangreich die beobachteten Schwächen bei der Gestaltung der Mahl-zeiten auch waren, so ist dies zugleich der Bereich mit der offensichtlichsten

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und vielleicht auch konkretesten Entwicklung im Projektverlauf. Entspre-chend konzentrierten sich darauf viele Überlegungen, Ideen und konkrete Maßnahmen der Mitarbeiter:

Personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten

Entgegen alter Gepflogenheiten nehmen einige Mitarbeiter nun an den Mahlzeiten teil und fungieren als „Gastgeber“. Bewohnern mit Assistenzbe-darf wird das Essen in sitzender Haltung, auf Augenhöhe gereicht. Dafür schafften einige Einrichtungen eigens leicht transportable Hocker an, die einen unauffälligen Wechsel zu den bedürftigen Bewohnern ermöglichen. Die sitzende Begleitung durch Mitarbeiter, aber auch eine bewusst gestalte-te Sitzordnung, die bestehende Sympathien und Fähigkeiten der Bewohner berücksichtigt, tragen zu einer familiäreren Atmosphäre bei den Mahlzeiten bei:

„Verlässliche Assistenz/Begleitung beim Essen sicherstellen: Mitarbeiter haben ´Gastgeberfunktion`, sitzen mit am Tisch und essen möglichst mit. Konzentration und (personelle) Kontinuität im Kontakt.“

Orientierung an der Lebenswelt (Renormalisierung der Mahlzeiten)

Statt das Essen portioniert auf Tellern zu verteilen, ist man in einigen DCM-Wohngruppen dazu übergegangen, Schüsseln auf den Tisch zu stellen, so dass sich jeder Bewohner, der dazu fähig ist, selbst bedienen kann:

„Nach angeregter Diskussion wurde beschlossen, an einem oder zwei Tischen mit ´fitteren` Bewohnern Frühstück und Abendessen nicht mehr portioniert auf den Tellern zu reichen, sondern so, dass sich die Bewoh-ner selbst bedienen können.“

Auch folgende Empfehlungen wurden aufgegriffen und realisiert: „Tischde-cken und Tischschmuck sollen einer wohnlichen Atmosphäre dienen“; „bun-tes Geschirr macht wohnlich und ist besser zu erkennen“; „bunte Haushalts-schürzen (statt ´Lätzchen`) können Alltagsnähe und Normalität verstärken.“

Die Orientierung am Vertrauten, am Alltag vor dem Einzug in das Altenpfle-geheim zeigt sich auch in den folgenden zwei Maßnahmen: - „Frühstück wie zu Hause arrangieren“; - „Immer etwas Kaltes zum Trinken zusätzlich zum Kaffee.“

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Der „normalen“ Situation, dass zumeist alle Anwesenden am Tisch etwas zu sich nehmen, wurde durch die nachstehende Maßnahme Rechnung getra-gen: „Ein Mitarbeiter soll regelmäßig am Tisch sitzen und auch selbst Kaf-fee/Tee trinken.“

Öffnung des zeitlichen Korsetts

Der Zeitkorridor für die Mahlzeiten konnte in einigen Einrichtungen nach Absprache mit dem Küchenpersonal ausgeweitet werden:

„Die Frühstückszeiten sind flexibilisiert worden, obgleich das harte Aus-einandersetzungen mit der ´Küche` bedeutete. Es kann jetzt zwischen 8.00 und 11.00 Uhr gefrühstückt werden. Dazu mussten Abläufe neu de-finiert und geregelt werden. Das Personal hat dadurch ein Stück Entlas-tung erlebt, da ´Waschzwänge` und andere ritualisierte Abläufe in Frage gestellt wurden. Das wird als Errungenschaft für Bewohner und Mitarbei-ter erlebt.“

Neben der organisatorischen Öffnung wurde auch eine personelle Auswei-tung während der Mahlzeiten vorgenommen, auf deren Notwendigkeit die Mapper hingewiesen haben: „Ausreichend Personalressourcen sicherstel-len, z.B. durch flexible Dienstplangestaltung oder die Einbindung von (exter-nen) Helfern.“

Berufsgruppenübergreifende Kooperation und Koordination während der Mahlzeiten

In einigen Einrichtungen konnte Hauswirtschafts- und Küchenpersonal aktiv in die Überlegungen zur Veränderung der Mahlzeitenkultur einbezogen wer-den. Wo dies funktionierte, fühlten sich die Mitarbeiter aufgewertet und zeig-ten sich entsprechend engagiert. So lässt sich in einem Protokoll lesen:

„Der Küchenchef und die Hauswirtschaftskräfte erweisen sich als kom-petent darin, den personzentrierten Ansatz mit den eigenen Arbeitsbe-reichen zu verbinden. Die Küche fühlt sich in der eigenen Professionali-tät gefordert und aufgewertet, hat Spaß daran, auf die besonderen Be-dürfnisse der dementen Bewohner einzugehen. Es entwickeln sich ei-genständige Gedanken, wie man Bewohner mit einbeziehen kann.“

Eine hauswirtschaftliche Mitarbeiterin berichtet: „Wir haben immer furchtbar viel zu tun, es bleibt wenig Zeit,…aber ab und zu kann ich mal eine Bewoh-

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nerin validieren und das freut mich dann, das möchte ich in Zukunft öfter hinkriegen.“ Auch andere Mitarbeiter aus dem Hauswirtschafts- und Kü-chenbereich nehmen jetzt einzelne Bewohner „unter ihre Fittiche“ und integ-rieren sie bei den täglich anfallenden Arbeiten.

Umgekehrt übernehmen Pflegemitarbeiter Aufgaben des Hauswirtschafts-personals, z.B. bei der Versorgung verspäteter Frühstücksgäste, oder bei der Vorbereitung des Mittagessens. In einigen Einrichtungen liegt die Zube-reitung von Frühstück und Abendessen nun ganz im Verantwortungsbereich der Wohngruppen.

Rückgewinnung des Blicks für den Einzelnen

Es wurde erkannt, dass die Auswahl des Essens und Trinkens nicht pau-schal erfolgen darf. Zu individuell sind die Vorlieben und Abneigungen; zu bedeutend ist die sinnliche und körperliche Erfahrung während der Mahlzei-ten:

„Das Essen wird mit persönlicher Ansprache gereicht: Wahlmöglichkeit gewähren, Vorlieben beachten, Ressourcen fördern.“

Die hohe Komplexität in Altenpflegesettings scheint dazu beizutragen, nur noch Ausschnitte jedes Bewohners wahrnehmen zu können. Die Reflexio-nen aufgrund der DCM-Beobachtungen führten dazu, dass Selbständig-keitsbereiche von einzelnen Bewohnern wieder gesehen werden konnten:

„So kam beispielsweise die Anregung, dass einige Bewohner durchaus in der Lage wären, allein zu essen, bzw. sich selbst ihr Essen zurecht zu machen, Brote zu schmieren etc.“

Förderliches Milieu während der Mahlzeiten

Im Projektverlauf wurde deutlich, wie stark sich die soziale Umgebung und deren „Geschwindigkeit“ auf das Wohlbefinden während des Essens auswir-ken: Fast-Food oder Gourmet-Dinner? Nach einem Feedbackgespräch wur-de festhalten, dass es förderlich sei, „eine ruhige und entspannte Atmosphä-re zu schaffen“ und eine positive „Rahmung des Essens“ zu gewährleisten. Auch anderswo sind Veränderungen spürbar:

„Die Mahlzeiten werden im Essraum eingenommen. Es läuft kein Fern-seher oder das Radio. Der Raum ist hell und freundlich.“

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Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten

Einzelne Teams trafen Regelungen zur Strukturierung der Mahlzeiten: ein klarer Beginn, ein klarer Abschluss z.B. durch ein gemeinsames Gebet oder ein Lied. Dies brachte mehr Ruhe in eine bislang oft hektische Veranstal-tung. Es gab Vereinbarungen, die Mahlzeitengänge in abgegrenzter Abfolge und von möglichst immer den gleichen Personen anzubieten:

„Den Ablauf der Mahlzeiten klar regeln: Die Mahlzeitengänge nachein-ander servieren; Nachtisch kommt erst auf den Tisch, wenn die Bewoh-ner ihre Hauptmahlzeit beendet haben; Medikamente werden erst zum Nachtisch gereicht.“

4.4.1.3 Positive Ereignisse während der Mahlzeiten

Während der DCM-Beobachtungen werden auch so genannte positive Er-eignisse (PEs) notiert (siehe dazu Kap. 2.2). Dabei sollen besonders gelun-gene Ereignisse der Beziehungsgestaltung zwischen einem Mitarbeiter und einer Person mit Demenz beschrieben werden. PEs enthalten somit wichtige Informationen für das Team, sie spiegeln die eigenen Ressourcen wider. Anders als bei den personalen Detraktionen (PDs), die ein Verhalten oder Handlungen charakterisieren, die das Personsein von Menschen mit De-menz untergraben, sind für die Aufzeichnung der PEs keine Kategorien fest-gelegt. Allerdings gibt das DCM-Verfahren einen Rahmen dafür vor, was als positives Ereignis zu verstehen ist. Demnach sind solche Episoden guter Pflegepraxis als PEs auszuweisen, die z.B. dem Menschen mit Demenz eine positive Selbstwahrnehmung ermöglichen oder die ein bisher unerkann-tes Potenzial erkennen lassen.37 Die Aufzeichnung der PEs im Projekt folgt dieser Fokussierung auf die Qualität der Beziehungsgestaltung nicht immer. Die Mapper in diesem Projekt bestimmten oftmals aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung und Wertungen, was ein positives Ereignis ist, und hielten sich nur zum Teil an die Vorgaben. So dokumentierten sie z.B. auch positive Entwicklungen bei den organisatorischen Abläufen als PEs. Das heißt, im Projekt geben PEs verschiedene Entwicklungen wieder, die auch eine pas-sendere Milieugestaltung oder eine bessere Versorgung der Bewohner betreffen, z.B. wenn berichtet wird, dass regelmäßig Getränke gereicht wer-den.

37 vgl. Bradford Dementia Group (1997).

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Die folgende Analyse bezieht sich auf die „Definition“ von PEs, wie sie von den Mappern im Projekt vorgenommen wurde. Insgesamt lagen 120 Map-pingberichte zur Auswertung vor. Es ließen sich 537 Situationen identifizie-ren, die von den Mappern in der dreijährigen Projektlaufzeit als positive Er-eignisse dokumentiert worden waren (siehe dazu auch Kap. 5.2.4). Davon bezogen sich 29 auf die Mahlzeitenkultur (dies entspricht ca. 5% aller PEs).

Selbsttätigkeit und Autonomie im Kontext der Mahlzeiten

In 15 Berichten über positive Ereignisse wurden Situationen aufgezeigt, in denen sich die Menschen mit Demenz selbsttätig und autonom während der Mahlzeiten empfinden konnten. Die Beobachter stellten dabei unterschiedli-che Aspekte als bedeutsam für die Förderung der Selbsttätigkeit und Auto-nomie im Kontext der Mahlzeiten heraus.

Zunächst ist ein ausreichender zeitlicher Rahmen für die Mahlzeiten wichtig:

- „viel Zeit für selbständiges Frühstück“;

- „benötigte Zeit wurde beim Essen eingeräumt“;

- „Zeit beim Essenanleiten“.

Des Weiteren bedürfen die Mitarbeiter einer entsprechenden Haltung, die dem selbständigen Essen und Trinken einen hohen Wert beimisst:

- „Bewohner erhält die Möglichkeit, selbständig zu essen“;

- „selbständiges Essen wurde trotz Schwierigkeiten gewährt“;

- „Bewohner werden gefördert bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens (z.B. Kaffee einschütten; Abendbrot schmieren)“.

Darüber hinaus entscheidet die Art und Weise, wie der Kontakt zwischen dem Bewohner und dem Mitarbeiter während der Mahlzeiten gestaltet ist, mit über die Motivation des Bewohners:

- „liebevolle und geduldige Motivation zur selbständigen Nahrungsaufnah-me“;

- „liebevolles Anreichen des Essens mit stetiger Anleitung zum selbständi-gen Essen“;

- „aktivierende Anleitung beim Essen“;

- „Trinkanreiz durch Zurufen von Trinkspruch: Mitarbeiter streichelt einer Bewohnerin liebevoll lange die Hand“.

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Und schließlich müssen die Bewohner auch bei den Mahlzeiten so unter-stützt werden, dass sie in die Lage versetzt werden, etwas zu tun, was sie ansonsten nicht tun könnten:

- „Bewohner erhält Mithilfe und Anleitung beim Essen, später dann selb-ständig“;

- „Anbieten von Hilfsmitteln zum leichteren Essen“;

- „blindem Bewohner wird erklärt, wo der Teller steht und was es zum Frühstück gibt“.

Gestaltung der Mahlzeiten

Zwei weitere positive Ereignisse bezogen sich auf die Gestaltung der Mahl-zeiten. So wurde in einem Bericht betont, dass das Mittagessen und auch die passierte Kost appetitlich angerichtet waren. Ein positives Ereignis war auch die „Rahmung des Mittagessens“.

Häufigkeit des Getränkeangebots und der Zwischenmahlzeiten

Die Versorgung der Bewohner mit Getränken und Zwischenmahlzeiten wur-de insgesamt zwölfmal als positives Ereignis bewertet. Dabei zeigten sich die Attribute „häufig“ und „immer wieder“ als dominant:

- „häufiges Angebot von Getränken“;

- „stetiges Getränkeangebot“;

- „immer wieder Obst-, Getränke und Snacks-Angebot“;

- „immer wieder Angebot von Saft und Tee“;

- „immer wieder Aufforderung zum Trinken“;

- „häufiges Angebot von Getränken und Zwischenmahlzeiten“.

Interpretation

Die Analyseergebnisse der Berichte über positive Ereignisse lassen kein generelles Bild der Projekteinrichtungen entstehen, denn es ist anzuneh-men, dass nicht alle positiven Ereignisse wahrgenommen oder dokumentiert wurden. Darüber hinaus haben die Mapper - wie bereits erwähnt - Situatio-nen als positive Ereignisse klassifiziert, die im DCM-Verfahren nicht als sol-che zu benennen sind. Daher wird an dieser Stelle keine direkte Interpretati-on der PEs vorgenommen, sondern eine Interpretation dessen, was die

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Mapper als positiv herausstellen wollten. Denn gerade die Auswahl und Kennzeichnung dieser speziellen Situationen als positiv lässt Rückschlüsse auf die Sensitivitäten der Mapper zu, die wiederum durch die bestehende Pflegekultur mitgeprägt wurden. Die beschriebenen positiven Situationen können quasi als Blaupause, als indirekter Hinweis auf die derzeitige Pfle-gekultur verstanden werden. Beispielsweise zeigt das Benennen des häufi-gen Getränkeangebots deutlich, dass dies etwas Besonderes ist, etwas, das es hervorzuheben gilt. Zusammenfassend kann bezüglich der Mahlzeiten-kultur auf gemeinsame Grundannahmen aller Mapper geschlossen werden: Zum einen besteht eine zu geringe Fokussierung auf die Selbsttätigkeit und Autonomie von Menschen mit Demenz während der Mahlzeiten und zum anderen ist die Versorgung mit Getränken und Zwischenmahlzeiten defizitär. Vor diesem Hintergrund wurden die oben benannten Situationen als positiv bewertet, obwohl sie eigentlich als etwas Selbstverständliches angesehen werden müssten.

4.4.1.4 Statistische Analyse der DCM-Daten bezogen auf die Mahlzeiten

Wie in Kapitel 2.2 dargelegt, wird beim DCM-Verfahren das Verhalten von Menschen mit Demenz 24 verschiedenen Kategorien zugeordnet. Kodiert wird in 5-Minuten-Takten. Die Kategorie F=Food bezieht sich explizit auf das Essen und Trinken. In der nachstehenden Graphik wird anhand des Kurven-verlaufs deutlich, welchen prozentualen Anteil das Verhalten F (Essen und Trinken) bei den Mappings im Verhältnis zu den restlichen 23 Kategorien hatte.

Im Verlauf des dreijährigen Projekts wurde zu elf verschiedenen Zeitpunkten in zwölf Einrichtungen beobachtet. Der Anteil, den die Kategorie F (Essen und Trinken) dabei am Gesamtverhalten hatte, schwankt zwischen 18,2% (Mapping 2) und 24,3% (Mapping 4). Der durchschnittliche Anteil liegt bei 21,1%. Der Kurvenverlauf zeigt keine auffällige Veränderung der Anteile von F (Essen und Trinken) im Verlauf des Projekts.

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Auffallend ist der hohe Anteil, den die Kategorie F während des Tages ein-nimmt. Die Bewohner der Projekteinrichtungen beschäftigen sich etwa ein Viertel der Tageszeit mit Essen und Trinken. Bei der Interpretation der Häu-figkeit der Kategorie F müssen die Kodierungsregeln 1 und 2 mit bedacht werden (siehe Kap. 2.2). Zum einen hat F als Typ 1-Kategorie Vorrang, zum anderen wird in einem fünfminütigen Zeitabschnitt auch dann F kodiert, wenn nur sehr kurz gegessen oder getrunken wurde, in der übrigen Zeit dieses Zeitabschnitts aber keine andere Typ 1-Kategorie beobachtet wurde, die mehr Zeit beansprucht hätte. Die Häufigkeit der Kategorie F sagt dem-nach entweder aus, dass im ganzen fünfminütigen Zeitabschnitt gegessen oder getrunken wurde, oder dass keine andere zeitlich umfangreichere Typ 1-Kategorie vorkam.

In einer weiteren Berechnung wurde die Veränderung des Wohlbefindens während des Essen und Trinkens im Projektverlauf überprüft. Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, wird beim DCM-Verfahren gleichzeitig mit dem Kodieren der Verhaltenskategorien alle fünf Minuten auch das relative Wohlbefinden von Menschen mit Demenz kodiert. In der nachstehenden Graphik wird deutlich, wie sich das durchschnittliche Wohlbefinden während des Essens und Trinkens im Verlauf über die elf Beobachtungszeitpunkte hinweg verän-derte:

F = Food (Essen und Trinken)

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

Ant

eil i

n %

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So wurde für alle beobachteten Bewohner beispielsweise zum Zeitpunkt 1 ein durchschnittliches Wohlbefinden von 1,22, zum Zeitpunkt 6 von 1,06 und zum Zeitpunkt 11 von 1,71 während des Essen und Trinkens ermittelt. Die Kurve zeigt eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens ab dem siebten Erhebungszeitpunkt, demnach etwa nach der Hälfte des Projektverlaufs. Diese Entwicklung, die mit dem sechsten Mapping beginnt, ist statistisch signifikant, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird:

Variable Zeit-punkte

N38 Mittelwert

(AM) Standardab-

weichung (SD) Signifikanz-niveau (p)

>= 6,00 358 1,4478 0,63217 ØWIB/F < 6,00 294 1,1551 0,53271

0,000

Die Tabelle gibt an, welches durchschnittliche Wohlbefinden (arithmetischer Mittelwert, AM) die Bewohner vor und nach dem sechsten Mapping (Zeit-punkt) beim Essen und Trinken (F) zeigten. So betrug das Wohlbefinden vor dem sechsten Mapping 1,1551 und danach 1,4478. Die Standardabwei-chung (SD) ist das Maß für die Streuung der Werte einer Variablen um die-

38 N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser

Berechnung wurden die Ergebnisse für F (Essen und Trinken) von 294 Personen vor dem sechsten Mapping mit 358 Personen ab dem sechsten Mapping verglichen.

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sen Mittelwert (hier: ~0,53 bzw. ~0,63). Die Veränderung zeigt sich statis-tisch signifikant39 auf einem Signifikanzniveau (p) von 0,000. Demnach kann eine zufällige Veränderung sicher ausgeschlossen werden.

Interpretation

Die aufgetretenen Schwankungen der Anteile von F (Essen und Trinken) am Gesamtverhalten können unterschiedliche Ursachen haben, wie z.B.:

Die Beobachtungen fanden unterschiedlich lange statt, so dass an man-chen Zeitpunkten beispielsweise das Abendessen nicht mehr beobach-tet wurde.

Es wurden verschiedene Bewohner beobachtet, deren Ess- und Trink-verhalten sich unterschieden hat.

Die allgemein hohen Anteile von F (Essen und Trinken) am Gesamtverhal-ten sagen zunächst noch nichts über die Bedeutung dieser Verhaltenskate-gorie für die Bewohner aus. Einerseits könnten diese Ergebnisse ein Beleg dafür sein, dass die Chance besteht, Essen und Trinken zu einer Quelle des Wohlbefindens für Menschen mit Demenz werden zu lassen. Andererseits wäre es aber auch möglich, dass die beobachtete Häufigkeit der Kategorie F Kennzeichen einer totalen Institution ist, die die Essenszeiten zur eigenen Strukturierung braucht.

Welchen Stellenwert Essen und Trinken für Menschen mit Demenz hat, kann anhand der WIB-Werte erfasst werden. Die Untersuchung dieses As-pekts zeigte, dass sich das durchschnittliche Wohlbefinden im Verlauf des Projekts nach dem sechsten Mapping statistisch signifikant erhöht hat. Die Ursachen für diese erfreuliche Entwicklung sind im beschriebenen Wandel der Mahlzeitenkultur zu finden, der im Verlauf des Projektes stattgefunden hat.

Ganz allgemein ist zur Veränderung der Mahlzeitenkultur in Einrichtungen die Beobachtung der Mahlzeiten zu empfehlen, um so auf Defizite und Res-

39 Signifikanz: Begriff aus der Statistik, mit dem die Sicherheit einer statistischen Aussage

charakterisiert wird. Eine Veränderung ist dann statistisch signifikant, wenn rechnerisch ausgeschlossen werden kann, dass sie auf einem Zufall beruht. Das bedeutet, dass nicht nachgewiesen wird, wie wahrscheinlich etwas ist, sondern wie stark ein Zufall ausgeschlos-sen werden kann. Ein Signifikanzniveau von 0,01 schließt zu 99% aus, dass die Ergebnisse aus einem Zufall resultieren. In diesem Bericht wird ein Signifikanzniveau von 0,05 (= 95%) verwandt.

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sourcen aufmerksam zu werden. Auf dieser Basis sollte ein Konzept erarbei-tet werden, das die Verantwortlichkeiten regelt und zugleich bewohnerzent-rierte Standards für Gestaltung, Ablauf und Rahmen festlegt. Dies sollte unter Einbindung von Mitarbeitern aus allen betroffenen Abteilungen erfol-gen. Ein solches hausinternes „Projekt“ könnte Katalysator für weitergehen-de Veränderungsprozesse in der Einrichtung sein. Einen Überblick über die Kriterien, welche zur Beobachtung der Mahlzeitensituationen herangezogen werden könnten, liefert die folgende Tabelle:

Kriterien zur Beobachtung der jeweiligen Mahlzeitenkultur

Personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten

Orientierung an der Lebenswelt (Renormalisierung der Mahlzeiten)

Öffnung des zeitlichen Korsetts

Berufsgruppenübergreifende Kooperation und Koordination während der Mahl-zeiten

Rückgewinnung des Blicks für den Einzelnen

Förderliches Milieu während der Mahlzeiten

Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten

4.4.2 Lebensbereich „Soziale Betreuung“

4.4.2.1 Defizite in der sozialen Betreuung zu Projektbeginn

Durch das DCM-Verfahren entsteht ein Fremdblick auf die bestehende Betreuungskultur. Diese umfasst sowohl die Interaktion zwischen den Men-schen mit und ohne Demenz, als auch die Beschäftigungsangebote, welche die Interaktionen einrahmen. Ausgelöst durch stetig kritische Rückmeldun-gen über nicht hinreichend personzentrierte Kontakt- und Betreuungsange-bote, wurde auch der Lebensbereich „Soziale Betreuung“ ein intensives Feld von Diskussionen, Auseinandersetzungen und Planungen in diesem Projekt.

Zu Projektbeginn gab es Einrichtungen, in denen Beschäftigungsangebote noch weitgehend abgetrennt vom „Stationsalltag“ stattfanden, sozusagen als „Sonderprogramme“. Die Verantwortung für deren Gestaltung wurde meist Ergotherapeuten, Praktikanten/Zivildienstleistenden oder externen Betreu-

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ungskräften, wie z.B. Referenten oder Ehrenamtlichen, übertragen. Die un-terschiedlichen Settings brachten ihre jeweils eigenen Probleme mit sich. Einerseits galten die Ergotherapeuten bei den Pflegemitarbeitern als „Exper-ten“ in Sachen Therapie und Beschäftigung, andererseits hatten diese zu Projektbeginn jedoch nicht immer hinreichend Wissen über angemessene Beschäftigungsformen für Personen mit Demenz. Die „externen“ Mitarbeiter für Beschäftigung brachten in der Regel gar keine Erfahrungen im Umgang mit demenzkranken Bewohnern mit. Darüber hinaus fiel es in den Einrich-tungen mit einer tradierten Aufgabenteilung zwischen Pflege und Betreuung den Pflegekräften grundsätzlich schwerer, Mitverantwortung für soziale Betreuung zu übernehmen, sich entsprechend einbinden zu lassen und eine personzentrierte Pflegehaltung zu verinnerlichen. Soziale Betreuung gehörte ihrem beruflichen Selbstverständnis nach nicht zu ihrem Aufgabenbereich.

Auch wenn sich die Einrichtungen und die mit Betreuungsaufgaben befass-ten Mitarbeiter - insbesondere während der DCM-Beobachtungen - große Mühe gaben, ein vielfältiges und umfangreiches Angebot zu realisieren, konnten diese Anstrengungen nicht über Schwachstellen im Hinblick auf Umfang und Angemessenheit der Beschäftigungsangebote hinwegtäuschen.

Zu den typischen Problemen in der Anfangsphase des Projektes gehörte, dass

Bewohner über lange Strecken sich selbst überlassen waren,

sehr ruhige Bewohner schnell „übersehen“ wurden und keinerlei Auf-merksamkeit durch die Mitarbeiter erfuhren,

Fernsehsendungen zufällig gewählt waren oder als „Dauerberieselung“ dargeboten wurden,

das Musikprogramm eher an den Bedürfnissen der Mitarbeiter als an denen der Bewohner ausgerichtet war,

Spiele und Vorlesetexte oft zu kompliziert oder zu umfangreich waren und den Bewohnern eher Stress als Spaß bereiteten.

Es mangelte insgesamt an Angeboten, die die Bewohner tatsächlich „er-reichten“, die situativ gestaltet und entsprechend in den Alltag integriert wer-den konnten.

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Die Problematik der sozialen Betreuung von Menschen mit Demenz in Ein-richtungen wird im Folgenden an Protokollauszügen beispielhaft verdeut-licht.

Fehlendes offenes Angebot

Auch wenn die Verwirklichung einer stetigen Präsenz bei der Betreuung von Menschen mit Demenz angestrebt wird, können immer wieder Zeiträume entstehen, in denen es keine Begleitung gibt. Sollte zudem kein offenes Angebot (z.B. greifbare Zeitungen, Kataloge oder sinnliches Material, wie Stoffe, Kuscheltiere) in dieser Zeit vorhanden sein, wirkt dies verstärkt nega-tiv auf Menschen mit Demenz:

„Während der Mitarbeiterbesprechung waren die Bewohner über eine ¾ Stunde alleine und ohne Kontakt. Sie hatten nichts, womit sie sich be-schäftigen konnten. Ein Buch, mit Bildern, eine Zeitschrift oder etwas zu spielen wäre sinnvoll.“

Fehlende Berücksichtigung der ruhigen Bewohner

Tom Kitwood weist darauf hin, dass oft diejenigen Menschen mit Demenz am wenigsten bekommen, die am meisten brauchen.40 Sehr deutlich wird dies anhand der folgenden Protokollauszüge:

„Einige Bewohner sind sehr still und sie können schwer selbständig Kon-takt aufnehmen bzw. so für sich sorgen, dass sie die nötige Zuwendung bekommen. Hier sollte man immer wieder genau hinschauen und dafür Sorge tragen, dass man entsprechende Bedürfnisse erspürt und diesen Menschen positive Reize von außen zuführt und ihnen schöne Erlebnis-se bereitet, wenn möglich mehrmals über den Tag verteilt.“

„Bei den Gruppenaktivitäten kommen nur die sozial aktiven, in der Regel mittelschwer dementen Menschen zum Zuge. Besonders ruhige und schwer demenzkranke Bewohner könnten von gezielten Kontakten profi-tieren.“

Verengte Sichtweise

Zu Anfang des Projekts war der Blick vieler Mitarbeiter noch nicht geöffnet für die Möglichkeiten und Chancen verschiedenster Angebote, die insbe-

40 vgl. Kitwood, T. (2000).

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sondere dazu beitragen können, dass sich Menschen mit Demenz selbst spüren können:

„Es gibt einige Beschäftigungsideen, aber es fehlen grundlegende Ideen für kreative Impulse im Erfahrungsfeld Körpererfahrung, Wahrnehmung, gemeinsames Tun, Bewegung, Entspannung etc. Ideen zur Beschäfti-gung im Einzelkontakt sind nur in Ansätzen vorhanden.“)

„Aktivitäten wie Spielen, Werken, aber auch Arbeit und Auseinanderset-zung mit sinnenhaft anregendem Material kommt nicht, oder nur selten vor. Die Arbeit mit den Sinnen, mit Bewegung, mit Objekten zum Betas-ten sollte weiter entwickelt werden. Die Bandbreite von Tätigkeiten und Kontakte gilt es zu weiten.“

Pauschale und unreflektierte Angebote

Alle Angebote für Menschen mit Demenz bedürfen eines individuellen Zu-schnitts. In der Anfangsphase des Projekts wurden häufig pauschale und darüber hinaus unreflektierte Angebote gemacht, die nicht nur an den Be-dürfnissen der Menschen mit Demenz vorbei gingen, sondern zusätzlich einen potenziell negativen Einfluss hatten:

„Um 14.15 Uhr wurde, ohne das Einverständnis der Bewohner einzuho-len, der Fernseher angestellt. In dieser Zeit lief der Kriegsbericht über den Irak. Es wurden erschreckende Bilder gezeigt, man hörte Sirenen und Schussgeräusche. Vielleicht sollte man bedenken, dass alte Men-schen alle den Krieg, Not, Leid erlebten. Wir meinen, dass man beson-ders demente Bewohner in dieser Zeit des Krieges nicht allein vor dem Fernseher sitzen lassen darf.“

„Das Fernsehprogramm am Vormittag erschien zufällig gewählt, es könnte sogar unangemessen erscheinen, denn in der gezeigten Talk-show wird u.a. über Sexualität und Brustvergrößerungen bei Frauen ge-sprochen.“

„Die Mitarbeiterin begann die Runde mit dem Vorlesen aus der Tages-zeitung, sie las einen Reisebericht und anschließend einen Artikel über Recyclingverfahren vor. Im Folgenden wurden Todesanzeigen und die Wettervorhersage verlesen. Ein großer Teil der anwesenden Bewohner schlief während dieser Zeit ein.“

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Fehlendes Wissen und fehlende Fertigkeiten

Wie erwähnt, ist die Betreuung von Menschen mit Demenz nach Kitwood eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die unsere Gesellschaft zu vergeben hat.41 Diesem Anspruch wurden zu Anfang nur wenige Einrichtungen ge-recht, da häufig Mitarbeiter ohne entsprechendes Wissen und entsprechen-de Fertigkeiten die soziale Betreuung übernahmen:

„Die Betreuung entspricht nicht den Anforderungen einer Demenzgrup-pe. Die Mitarbeiter (BSHG-Kräfte und eine FSJlerin), die dauerhaft an-wesend sind, haben keine angemessene Qualifikation und keine ausrei-chenden Informationen.“

„Später kam eine Praktikantin, die im Umgang mit Demenzkranken au-genscheinlich keine Erfahrungen hatte und mit der Situation völlig über-fordert war.“

Überfordernde Abfolge der Angebote

Beschäftigungsangebote müssen inhaltlich („was“) und in der Form („wie“) auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen mit Demenz abgestimmt sein. Das folgende Beispiel zeigt deutlich, dass eine gut gemeinte lückenlose Aneinanderreihung von Angeboten Menschen mit Demenz eher überfordert und das normale Bedürfnis nach Ruhe aus dem Blick geraten kann:

„Im Anschluss an die Zeitungsrunde wurde gesungen und danach fand ein Tanz im Sitzen statt. Dann wurde mit einem großen Gymnastikball ´Fußball` gespielt, im direkten Anschluss folgte wieder ein Sitztanz."

4.4.2.2 Veränderungen in der sozialen Betreuung im Projektverlauf

Im Verlauf der Projektarbeit führten Diskussionen, Reflexionen und Maß-nahmeplanungen zu einer neuen Sensibilität hinsichtlich der Bedeutung von sozialer Betreuung. Es entstanden vielfältige Veränderungen auf unter-schiedlichen Ebenen der sozialen Betreuung, die nun skizziert werden:

„Weniger ist manchmal mehr“

Viele Mitarbeiter entwickelten ein neues Bewusstsein dafür, dass nicht das „große Programm“ an sich zählt, sondern erst eine passgenaue Ausrichtung

41 vgl. Kitwood, T. (2000).

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auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner Betreu-ungsqualität garantiert:

„Zusammenfassend fiel auf, dass kein großes Programm zum Wohlbe-finden der Bewohner beitrug, sondern viele kleine Interaktionen - Ansprache, Singen, Bücher reichen, Basale Stimulation. Mitarbeiter strichen Bewohnern über Arme, Schulter. Normaler Umgang mit den Bewohnern, keine übertriebene Freundlichkeit.“

Nach der Devise „Weniger ist manchmal mehr – Hauptsache, ich erreiche die Bewohner“ entschied sich eine Einrichtung, das zweite große „Unterhal-tungsangebot“ des Tages abzusagen zugunsten kleiner Gruppen. Dadurch wurden Gespräche, gemeinsames Singen, Erzählrunden etc. unter Beglei-tung eines Mitarbeiters und in wechselnder Verantwortung möglich. Die Mit-arbeiter sammelten Erfahrungen dahingehend, dass es anstelle von großen Runden sinnvoller ist, sich zu einem Bewohner zu setzen, ihm die Hand zu halten, gemeinsam ein Buch anzuschauen oder die Katze zu betrachten, einen kurzen Spaziergang zu machen oder ihn in die täglich anfallenden Arbeit einzubeziehen.

Reflektierte Angebote mit individuellem Bezug

Die neue Sensibilität bei der Planung von Betreuungsangeboten zeigte sich z.B. auch in einer sorgsameren Auswahl von Musik- und Filmprogrammen. So wurden Videogeräte und -kassetten angeschafft, um die Angebote ge-zielter präsentieren zu können. Ein Team investierte in eine Fernseh-Programmzeitschrift, um die Programme vorausschauend auszuwählen.

Personzentrierte Haltung

Insgesamt nahmen zum Projektende mehr Mitarbeiter eine personzentrierte Haltung ein, die sowohl Raum für „aktives Mitmachen“ als auch Toleranz gegenüber denjenigen, die sich Gruppenaktivitäten verweigerten, zuließ:

„Der Beobachtungstag ist geprägt von Präsenz der Betreuenden, die die vielfältigen Bedürfnisse der Bewohner wahrnehmen. Die Kontakte zu den Bewohnern werden überwiegend personzentriert gestaltet. Auf die Bedürfnisse der Bewohner wird immer wieder zugewandt eingegangen. Zum Beispiel äußert eine Bewohnerin ihren Unwillen zum Mitmachen. Nachdem der Betreuer sich zu ihr gesetzt hat, ihre Hand hält und ein

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paar freundliche Wort mit ihr gewechselt hat, ist auch sie motiviert zum Mitmachen.“

Allgemein zeichnete sich gegen Projektende die Tendenz ab, die soziale Betreuung zum integrierten Bestandteil der Alltagsgestaltung zu machen – einem Alltag, in dem für die Bewohner sinnentleerte Angebote keinen Platz mehr haben:

„Die Anerkennung und Wertschätzung der Betreuenden bestärken die Bewohner in ihrer Freude/Wohlbefinden; es wird viel zusammen gelacht und geredet. Sehr positiv fallen die guten Ideen zur Beschäftigung und zur Einbeziehung der Bewohner auf. Auch auf die ruhigeren Personen wird personfördernd eingegangen. Die Betreuungssituation hat sich an-nähernd zur ´neuen Pflegekultur` entwickelt, die den personzentrierten Ansatz als Grundlage der gerontopsychiatrischen Pflege verinnerlicht hat.“

„Der Kontakt zu den Personen wirkt immer freundlich, angemessen, zu-vorkommend, höflich, respektvoll. Es gibt eine Reihe unspektakulärer positiver Ereignisse und eine spürbare Sicherheit im Umgang mit den demenzkranken Bewohnern. Insgesamt wirkt das Team ruhig, zuge-wandt, ´weich`: es werden keine harten Grenzen gesetzt, es wird nicht insistiert, es gibt keine eisernen Prinzipien, kein aufgeregtes, hysterisch anmutendes Getue. Der Tag wirkt auf den Beobachter wie ein Fluss, in dem das eine sanft ins andere gleitet. Insgesamt kann die Betreuung der Bewohner als gut bis sehr gut bezeichnet werden.“

Verbunden war diese Haltung mit der Erkenntnis, dass die besten Ideen und Angebote bedeutungslos sind, wenn sie nicht zum Wohlbefinden der Be-wohner beitragen.

Die in den Protokollen immer wieder zur Sprache kommenden Empfehlun-gen zur Verbesserung der sozialen Betreuung sind insbesondere:

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Empfehlungen zur Entwicklung der sozialen Betreuung:

Bewusste und gezielte Kontaktaufnahme in Alltagssituationen („Bienchendienste“);

besonderes Augenmerk richten auf die „stillen“ Bewohner; Wünsche und Bedürf-nisse erforschen und „erfühlen“;

Sofaecke/Rückzugsräume schaffen zur Förderung der Kommunikation untereinan-der;

Beschäftigungsmaterial auslegen: Zeitschriften, Bücher, Postkarten, Materialien aus Stoff, Holz, Plüsch, Samt, Leder etc.;

individuelle Angebote in Anlehnung an Biographie;

Bewegungsangebote;

Themenecken einrichten bzw. Themenkisten anschaffen;

gezieltes Einbeziehen in Alltagsaktivitäten (Tisch decken, Wäsche legen etc.);

Nachtcafé für spätaktive Bewohner;

Videorekorder und Videokassetten für gezielte Angebote;

Musik gezielt als atmosphärisches Element und zur Tagesstrukturierung einsetzen;

„dosierte“ und auf Fähigkeiten der Bewohner abgestimmte Angebote;

Beschäftigung mit biographischen Daten;

Schulung in Basaler Stimulation, Kinästhetik.

4.4.2.3 Positive Ereignisse im Rahmen der Betreuungskultur

Von den insgesamt 537 Situationen, die die Mapper im Projektverlauf als positive Ereignisse (PEs) identifizierten, ließen sich 55% der Betreuungskul-tur zuordnen. Diese 298 PEs wurden verschiedenen Unterkategorien zuge-ordnet, die nachfolgend dargestellt und beispielhaft anhand von Zitaten aus Berichten über positive Ereignisse beschrieben werden:

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Betreuungskultur 298 Allgemeine Beziehungsarbeit 20 Bedürfnisorientiertes Handeln 39 Wahrnehmung von Bedürfnissen 21 Körperbezogene Beziehungsarbeit 22 Wertschätzung 32 Bienchendienste 24 Validation 20 Interaktionsstil 18 Anerkennung 14 Personzentriertheit 14 Biographiearbeit 10 Motivation 9 Facilitation/Erleichterung 6 Care 9 Sensibilität 4 Allgemeine Freundlichkeit 4 Abwesenheit von personalen Detraktionen 11 Konfliktinterventionen 6 Miteinbeziehen 4 Beziehungsunterstützung: Bewohner - Bewohner 2 Non-verbale Kommunikation 3 Flirten 2 Vertrautheit 2 Geborgenheit 2

Allgemeine Beziehungsarbeit

Unter allgemeiner Beziehungsarbeit wurden PEs zusammengefasst, die allgemeine positive Situationen widerspiegeln (20-mal). So wurde während eines Mappings beispielsweise der „Kontakt des Teams zu den Bewohnern als liebevoll, körpernah, aufmerksam und natürlich“ beschrieben und ein anderes Mal ein „guter persönlicher Zugang“ gesehen.

Bedürfnisorientiertes Handeln

Sehr häufig wurde auch ein bedürfnisorientiertes Handeln der Mitarbeiter (39-mal) als positives Ereignis geschildert. Die Bewohner bekamen dabei

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z.B. „viel Zeit zum Essen“, einer Bewohnerin wurde die „vergessene Hand-tasche besorgt“ oder es konnten insgesamt „viele unterschiedliche Wünsche während des Frühstücks erfüllt werden“.

Wahrnehmung von Bedürfnissen

Auch die Wahrnehmung von Bedürfnissen wurde oft als positives Ereignis gedeutet (21-mal), wie die folgenden zwei Beispiele belegen:

- „zittrig und sich schwach fühlende Bewohnerin wird schnell bemerkt“;

- „aufmerksames Beobachten und Erkennen von Bedürfnissen“.

Körperbezogene Beziehungsarbeit

Eine eher körperbezogene Beziehungsarbeit wurde insgesamt 22-mal als positiv zurückgemeldet. Darunter finden sich Situationen, in denen „auf Wunsch herzlicher Körperkontakt dem Bewohner“ zuteil wurde oder dem Team bescheinigt wurde, dass es eine „ausgeprägte Fähigkeit zum non-verbalen und körperlichen Kontakt“ besitzt.

Wertschätzung

Sehr häufig wurde auch das wertschätzende Handeln (32-mal) der Mitarbei-ter herausgestellt, z.B.:

- „dass Bewohner die Spülmaschine ausräumt, wird gelobt und bestätigt“;

- „Kontakt ist zugewandt und wertschätzend“.

Bienchendienste und Validation

Als eine besonders gelungene Form der Beziehungsgestaltung fanden auch die so genannten Bienchendienste (24-mal) Erwähnung, die für häufige kur-ze Kontakte stehen, bei denen die Menschen mit Demenz stimuliert werden. 20-mal werteten die Mapper ein validierendes Verhalten als positives Ereig-nis. Darunter ist z.B. eine Situation, in der ein „Bewohner nach seiner Toch-ter ruft und daraufhin ein Telefonat mit ihr ermöglicht wird“.

Interaktionsstil und Anerkennung

Auch im Hinblick auf den Interaktionsstil (18-mal) konnten vielfältige Situati-onen als positiv zurückgemeldet werden: „Umgang miteinander in familiärem Ton“ und „Mitarbeiter haben oft passende Redewendungen parat“. Situatio-

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nen, in denen „ die Bewohner herzlich und persönlich begrüßt“ werden, oder das „geduldige und erklärende Anreichen der Medikamente“ wurden als Momente der Anerkennung (14-mal) gedeutet.

Personzentriertheit und Biographiearbeit

Eine Personzentriertheit (14-mal), wie es dem Ansatz von Kitwood ent-spricht, wurde in folgenden beispielhaften Formulierungen deutlich: „unbe-achteter Bewohner erfährt auf liebevolle Weise Zuwendung“ und „hohe Kon-taktbereitschaft, sehr personenzugewandt“. Insgesamt 10-mal wurde Bio-graphiearbeit als positives Ereignis erkannt:

- „Bewohnerin wird persönliches Bilderbuch angeboten und gemeinsam angesehen“;

- „sehr positives Gespräch mit Bewohner über seinen Beruf“.

Motivation und Facilitation/Erleichterung

Die Motivation (9-mal) der Bewohner erfolgte in unterschiedlichen Berei-chen. Beispielhaft stehen dafür folgende zwei PEs: „liebevolle und geduldige Motivation zur selbständigen Nahrungsaufnahme“ und „immer wieder freundliche Aktivierung zum Mitmachen“. Auch die Facilitation/Erleichterung fand 6-mal als positives Ereignis Erwähnung. Damit ist ein unterstützendes Verhalten gemeint, das dem Menschen mit Demenz ein Handeln erleichtert, zu dem er sonst nicht mehr fähig wäre.

Care, Sensibilität und allgemeine Freundlichkeit

Situationen, in denen die Mitarbeiter körperbezogen intervenierten, wurden in der Kategorie Care (9-mal) zusammengefasst. Darin finden sich z.B. fol-gende Beispiele: „das Aufwärmen von kalten Füßen“ oder „Schmerzen im Knie, die direkt wahrgenommen und mit Kühlkissen bedacht wurden“. Eine allgemeine Sensibilität (4-mal) der Mitarbeiter wurde in Notizen wie z.B. „behutsamer Umgang“ deutlich. Eher generelle Eindrücke zeigten sich auch in anderen positiven Ereignissen, die mit allgemeiner Freundlichkeit (4-mal) umschrieben wurden.

Abwesenheit von personalen Detraktionen

Auch die Abwesenheit von personalen Detraktionen (11-mal) wurde als posi-tives Ereignis gedeutet. Beispiele hierfür sind:

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- „Fehlen der Prothese wurde nicht angemahnt, sondern gefragt, ob sie geholt werden soll“;

- „es werden keine harten Grenzen gesetzt, nicht insistiert, keine eisernen Prinzipien, kein aufgeregtes hysterische Getue“.

Konfliktinterventionen

Beim Zusammenleben von Menschen entstehen notwendigerweise Konflik-te, denn unterschiedliche Bedürfnisse müssen ausgehandelt werden. Positiv wurden während der Mappings verschiedene Konfliktinterventionen (6-mal) seitens der Mitarbeiter erkannt. So wurde z.B. ein „sensibles Eingreifen in eine Krisensituation (Bewohner schlägt einen anderen)“ oder eine „geschick-te Konfliktintervention (eine Bewohnerin in Arbeit miteinbezogen)“ dokumen-tiert.

Miteinbeziehen und Beziehungsunterstützung: Bewohner - Bewohner

Das gemeinsame Handeln oder auch Miteinbeziehen (4-mal) ist für Men-schen mit Demenz besonders bedeutend. Daher wurden auch solche Situa-tionen als positive Ereignisse hervorgehoben: „Miteinbeziehen der Bewoh-ner (Kaffee eingießen; Tisch decken)“ oder „selbstverständliches Einbezie-hen der Bewohner in tägliche Arbeiten“. Im Hinblick auf die Beziehung Be-wohner - Bewohner wurden zwei positive Beobachtungen zurückgemeldet: „zwei Bewohner werden in die Sitzrunde aufgenommen“ und „Ressourcen werden erkannt und dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt (Bewohner schiebt Rollstuhl einer anderen)“.

Non-verbale Kommunikation und Flirten

Besonders positive non-verbale Kommunikation wurde dreimalig von den Mappern als positives Ereignis notiert. Flirten (2-mal), als eine wunderbare Form des sozialen „so tun als ob“, verbirgt sich in den folgenden PEs: „männlicher Mitarbeiter begeistert weibliche Bewohnerinnen“ und „Bewohne-rinnen flirten mit zulassendem Mitarbeiter“.

Vertrautheit und Geborgenheit

Die besondere Vertrautheit (2-mal) zwischen Bewohnern und Mitarbeitern wurde zweimal in Berichten über positive Ereignisse explizit benannt. Ein weiterer wichtiger Aspekt einer personzentrierten Betreuungskultur zeigte

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sich nach Ansicht der Mapper im Geben von Geborgenheit (2-mal), z.B.: „Mitarbeiter strahlen Ruhe aus und geben dadurch Sicherheit und Gebor-genheit“.

Interpretation

In den Berichten der Mapper werden die positiven Ereignisse als nachah-menswerte Beispiele hervorgehoben. Die unterschiedlichen PEs im Rahmen der Betreuung von Menschen mit Demenz zeigen die vielfältigen Facetten auf, die zu einer personzentrierten Betreuungskultur gehören. Betreuung, die eine positive Wirkung erzielen möchte, ist auf die Wahrnehmung der individuellen Eigenheiten jedes Einzelnen angewiesen (z.B. bedürfnisorien-tiertes Handeln, Biographiearbeit), sie muss in einer bestimmten Haltung erfolgen (z.B. Wertschätzung, Personzentriertheit) und dabei grundlegende Bedürfnisse des Menschen zu verwirklichen suchen (z.B. Geborgenheit, Vertrautheit). Betreuung kann dabei besondere Wege der Interaktion be-schreiten (z.B. Flirten, Motivation, körperbezogene Beziehungsarbeit), so-fern bestimmte Kompetenzen (z.B. Sensibilität, Wahrnehmung von Bedürf-nissen) vorhanden sind.

Die Ergebnisse der Analyse der PEs im Kontext der Betreuungskultur lassen wiederum das geschulte, hoch sensitive und differenzierende Auge der Mapper deutlich werden. Die grundlegende Voraussetzung für diese Wahr-nehmungsleistung ist das passive Beobachten, das die Mapper befähigt, ganz offen und ohne den Handlungsdruck der täglichen Praxis wahrnehmen zu können.

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4.4.3 Veränderungen der Organisationen am Beispiel der Lebensbe-reiche „Mahlzeiten“ und „Soziale Betreuung“

Die oben beschriebenen Veränderungen in den Lebensbereichen „Mahlzei-ten“ und „Soziale Betreuung“ konnten sich zum einen auf der Basis einer sich langsam entwickelnden Einstellungsänderung und einer damit verbun-denen Kompromissbereitschaft bei den Mitarbeitern vollziehen. Zum ande-ren waren aber auch organisatorische und strukturelle Weichenstellungen erforderlich, die insbesondere im Verantwortungsbereich der Leitung lagen.

Um hinreichende Rahmenbedingungen zugunsten einer personzentrierten Pflegekultur schaffen zu können, ging es insbesondere um die Bündelung und Reorganisation von Personalressourcen. Einrichtungen erprobten neue Dienstplan- und Arbeitsmodelle, trafen Absprachen zur integrierten Zusam-menarbeit verschiedener Abteilungen oder machten sich auf den Weg, Kon-zepte für die Gewinnung und regelhafte Einbindung von Laien zu erstellen.

Die Neuordnung der Arbeitszeit, wie z.B. die Verlängerung der Dienstzeiten in den Abendstunden, geteilte Dienste oder die Neuregelung von Pausen, ermöglichten eine bewohnerorientierte flexiblere Tagesstruktur und zusätzli-che Angebote. Durch die Flexibilisierung konnte den Bewohnern ein eigenes Tempo, eine „Eigenzeit“ zugestanden werden, die nicht zwingend mit den Abläufen eines weitgehend institutionell durchgeplanten Alltags synchron sein musste. Aufgehoben wurden z.B. starre Aufsteh- und Nachtzeiten. Mit-arbeiter gingen dazu über, die Bewohner morgens ausschlafen zu lassen und das Frühstück bis mindestens 10.30 Uhr oder gar unbegrenzt anzubie-ten. Einige Einrichtungen setzten sich erstmals mit Möglichkeiten einer A-bendbetreuung für spätaktive Bewohner auseinander und gestalteten ein Nachtcafé. Dadurch entstanden Freiräume, die Bewohner und Mitarbeiter gleichermaßen ein Stück von Zeitdruck und Stress befreien konnten.

Durch eine verbesserte systematische Abstimmung und Zusammenarbeit der an der Alltagsgestaltung beteiligten Abteilungen Pflege, Betreuung und Hauswirtschaft bemühten sich die Einrichtungen, weitere Voraussetzungen für personzentrierte Pflege zu schaffen. Dabei ging es häufig um eine Neu-definition von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Rollen mit dem Ziel, dass alle Abteilungen zum Wohlbefinden der Bewohner beitragen können und müssen. Unterstützt wurden diese Bemühungen durch den Versuch, Ehren-amtliche in die alltägliche Arbeit zu integrieren und dadurch zusätzliche per-

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sonelle Ressourcen zur Verfügung zu haben. So entstanden teilweise multi-professionelle Teams, in denen die speziellen professionellen Kenntnisse und Fertigkeiten ineinander fließen.

Wo Mitarbeiter Einsicht in die fachliche Notwendigkeit von Veränderungen gewinnen konnten und neue Dienstplanmodelle, Verantwortlichkeiten und Aufgaben gemeinsam mit der Leitung aushandelten, wurden die Umstruktu-rierungsmaßnahmen solidarisch getragen, ja vielfach sogar als Gewinn be-trachtet, ermöglichten sie doch zugleich auch Entspannung, Entlastung, mehr Autonomie und Eigenverantwortung bei der Arbeitsbewältigung. Viele Mitarbeiter entwickelten im Verlauf des DCM-Projektes einen Blick fürs Gan-ze und begannen, auch in diesem Sinne mehr ressourcenorientiert auf die Bewohner zu schauen.

Selbstverständlich gingen nicht alle Umstrukturierungsmaßnahmen lautlos „über die Bühne“. Widerstand formierte sich anfangs dort, wo lieb gewonne-ne Privilegien und vertraute Routinen zur Disposition standen, oder wo sich Mitarbeiter in ihrer „Kompetenz und Berufsehre“ in Frage gestellt fühlten. War es doch für einen Küchenchef ungewohnt, von Kollegen aus dem Pfle-gebereich Vorschläge zur Aufbereitung von Speisen entgegen zu nehmen. Genauso schwer war es anfangs für „die Pflege“, Vorschläge für Beschäfti-gungs- und Betreuungsangebote durch das Betreuungspersonal zu akzep-tieren. Allerdings bedurfte es nur in Einzelfällen zur Durchsetzung neuer Absprachen und Arbeitsformen klarer (Dienst-)Anweisungen durch die Lei-tung.

Der „Runde Tisch“ erwies sich in dem Veränderungsprozess als hilfreiches Gremium, in dem die Möglichkeit gegeben war, innerhalb eines geschützten Rahmens schwierige institutionelle und interaktive Fragestellungen zu klä-ren. Für Mitarbeiter aller Abteilungen innerhalb einer Einrichtung war der „Runde Tisch“ eine gute Gelegenheit, tiefere Einblicke in Zusammenhänge, Kooperationen, Störfaktoren und Befindlichkeiten zu gewinnen. Auch als Möglichkeit einer regelmäßigen Bestandsaufnahme und des Monitorings der Fortschritte im Projektverlauf war dieses Gremium eine wichtige Instanz. Thematisch ging es beim „Runden Tisch“ oft um eine Ausweitung des DCM-Themas auf größere organisatorische Zusammenhänge. Es wurden gewis-sermaßen Metathemen reflektiert und diskutiert, kulturelle Veränderungen wahrgenommen, Bewertungs- und Interpretationsmuster abgeglichen, Selbst- und Fremdwahrnehmung überprüft. Es liegt die Vermutung nahe,

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dass - aus der Gesamtsicht der Einrichtungen - die Organisationen hier die interessantesten Erkenntnisse über sich selbst gewinnen konnten.

Insgesamt führten die exemplarisch dargestellten Entwicklungen zu „Klima-veränderungen“ in den meisten Einrichtungen, die auch von Außenstehen-den wahrgenommen wurden. Vor allem die Angehörigen waren Repräsen-tanten einer kritischen „Außen-Sicht“, da sie Veränderungen aus der Nähe, zugleich aber mit der notwendigen Distanz miterlebten. Rückmeldungen, wie z.B.: „Hier geht es aber lebendig zu, hier ist ja richtig was los, die Stimmung hat sich verändert, es wirkt leichter“, motivierten die Mitarbeiter. Das positive Feedback war das Ergebnis vorausgegangener Einbindung und Information der Angehörigen in das DCM-Projekt. Dies versetzte sie in die Lage zu tole-rieren, dass ihre Väter, Mütter, Großmütter, Onkel oder Geschwister auch einmal mit den Fingern aßen, vormittags im Nachthemd herumliefen, stärker in die Aktivitäten des Alltags einbezogen und mit kleinen Arbeiten und Auf-gaben im Dienste der Gruppe betraut wurden. Es machte ihnen zudem mög-lich, das dadurch entstehende höhere Aktivitätsniveau schätzen zu lernen.

Neben den Angehörigen waren es die externen Mapper, die im Zusammen-hang mit der Abschlussbefundung allen Einrichtungen zum Projektende eine Rückmeldung über den erreichten Entwicklungsstand gaben. Als Indikatoren einer sich entwickelnden neuen Pflegekultur werden in den Abschlussbefun-dungen genannt:

sehr wenige negative WIB-Werte; Schwerpunkt liegt auf Werten von +3, bedeutsamer Anteil von +5;

geringer Anteil von Typ 2-Kategorien, hoher Anteil von Typ 1-Kate-gorien;

wenige personale Detraktionen;

viele positive Ereignisse;

alltagsbezogene Ansätze in der Biographiearbeit;

eine positive Entwicklung des Teams hin zu personzentrierter Grundhal-tung;

ein Mehr an spontanen Kontakten zu Bewohnern („Bienchendiensten“);

die Tagesstruktur ist abwechslungsreich, die Fähigkeiten der Bewohner werden mit eingebunden;

Vertiefung des Wissens über Demenz;

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Veränderung des Milieus.

Auch die Teams haben Fortschritte erkannt - bezogen auf ihr professionelles Handeln, auf die kollegiale Zusammenarbeit und nicht zuletzt bezogen auf die Lebensqualität der Bewohner. Dies zeigt sich an Äußerungen der Mitar-beiter, die im Rahmen einer rückblickenden Selbsteinschätzung gesammelt wurden:

Einschätzung der Mitarbeiter bezogen

auf die Entwicklung der Teamarbeit:

Der Zeitdruck verteilt sich gleichmäßiger auf das ganze Team.

Das Team hat gelernt, selbstverantwortlich zu planen und Strategien zu entwi-ckeln.

DCM hinterlässt Spuren auf der Teamebene: die Chaostoleranz ist größer gewor-den.

Die Solidarität untereinander hat zugenommen.

Das Team ist experimentierfreudiger geworden.

Es besteht ein Interesse an gemeinsamer Reflexion.

Die Situation ist durch DCM turbulenter und chaotischer geworden, dadurch aber auch lebendiger, weniger starr und schematisch.

Es gibt weniger Regeln und mehr Risikobereitschaft.

Mitarbeiter sind gelassener, können mehr zulassen.

Ideenreichtum und Phantasie haben zugenommen.

Die Interaktion ist verbessert, die Absprachen sind klarer, Arbeitsteilung funktio-niert besser.

Die Atmosphäre ist angstfreier (Leitung).

Das Stresspotenzial ist durch DCM nicht geringer geworden. Es wird aber aufge-wogen durch eine klare Fokussierung und entsprechende Erfolge. Es gibt flexible-re Arbeitszeit, entspanntere Atmosphäre im Alltag der Gruppe.

DCM schlägt weite Wellen bzw. zieht weite Kreise in der Organisation.

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Einschätzung der Mitarbeiter bezogen

auf den Umgang mit den Bewohnern:

Wir entdecken neue Fähigkeiten an den Bewohnern, indem wir sie stärker fordern.

Der Umgang mit den Bewohnern ist grundsätzlich zwangloser, bedürfnisorientier-ter, wärmer und liebevoller.

Frühere Maxime: Waschen und Pflege – heute verbunden mit der Frage: Fühlen Sie sich wohl dabei, so wie wir das machen?

Wir fördern Selbstbestimmung und Aktivitäten, gehen größere Risiken ein.

Die Kontakte sind weniger „professionell“, dafür menschlicher gestaltet.

Wir gewinnen mehr Eigenverantwortlichkeit und stehen nicht mehr so unter „Pro-duktionsdruck“ im Sinne der Produktion pflegerischer Dienstleistungen.

Wir gehen stärker in den Körperkontakt, arbeiten weniger manipulativ.

Es gibt mehr „Begegnungen im Unscheinbaren“, kleine, aber wichtige Gesten.

Einschätzung der Mitarbeiter bezogen

auf die Entwicklung der Bewohner:

Die Bewohner sind ausgeglichener geworden und beziehen sich stärker aufeinan-der.

Die Bewohner haben mehr Bewegungsfreiheit, Fixierungen sind überflüssig ge-worden.

Die Bewohner sind stärker einbezogen in die Gestaltung der Alltagssituation (Ein-beziehung in Hausarbeiten, Essensvorbereitung, Service etc.).

Stille Bewohner beteiligen sich stärker, sind aktiver und kontaktfreudiger gewor-den.

Die Bewohner haben mehr Lust am Essen.

Ob diese Entwicklungsansätze erhalten und weiter ausgebaut werden kön-nen, liegt nicht zuletzt im Entscheidungs- und Verantwortungsbereich der Einrichtungsleiter und an deren Fähigkeiten, das Personal „mitzunehmen“ auf den Weg zu einem gemeinsamen Ziel: der Steigerung des Wohlbefin-dens der Bewohner verbunden mit einer erhöhten Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter.

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5. Evaluation der DCM-Daten 5.1. Darstellung der Datengrundlage

Die Evaluation der im Rahmen des Projektverlaufs erhobenen DCM-Daten basiert auf Datenmaterial, das vom 07.02.2002 bis 18.01.2005 erhoben wurde. Die nachstehende Übersicht dokumentiert die Zeiträume und Zeitab-stände, in denen die DCM-Beobachtungen (Mappings) durchgeführt wurden. Insgesamt fanden in jeder der zwölf Einrichtungen elf Mappings statt (= 132). Die Zeitabstände zwischen den einzelnen Mappings, die im Mittel zwi-schen zwei und fünf Monaten schwankten, boten dabei den nötigen Raum, um das Veränderungspotenzial von DCM wirksam werden zu lassen. Ent-wicklungen in den Einrichtungen konnten sich entfalten und damit abbildbar werden.

Mapping Zeiträume Abstand im Mittel zum

nächsten Mapping (Monate)

1 07.02.2002 - 07.03.2002 2 2 15.04.2002 - 29.04.2002 4 3 06.08.2002 - 22.08.2002 3 4 21.10.2002 - 14.11.2002 5 5 04.03.2003 - 21.03. 2003 3 6 05.06.2003 - 26.06.2003 4 7 23.09.2003 - 15.10.2003 4 8 03.02.2004 - 10.03.2004 3 9 16.04.2004 - 15.06.2004 4 10 08.09.2004 - 05.10.2004 4 11 05.01.2005 - 18.01.2005

Jede Beobachtung zog einen dreischrittigen Prozess nach sich (siehe auch Kap. 3.7.2.1): Zunächst wurden die Beobachtungsergebnisse jedes einzel-nen Mappings in einem Mappingbericht dokumentiert und zeitnah in einem Feedback42 mit den Mitarbeitern besprochen. Auf der Grundlage der Ergeb-nisse aus dem Feedback wurde nach ca. zwei Wochen eine Maßnahmepla-

42 Die Inhalte des Feedbacks wurden ebenfalls protokolliert. Diese Protokolle wurden nicht

gesondert ausgewertet, sondern dienten als Ergänzung der Analyse der Mappingberichte.

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nung durchgeführt. In einer weiteren Besprechung, ebenfalls ein paar Wo-chen später, wurden die Ergebnisse der Maßnahmeplanung während des so genannten „Runden Tischs“43 erörtert. Insgesamt konnten folgende Doku-mente in die Analyse einbezogen werden:

Mappingberichte (darin enthalten sind auch Daten über positive Ereig-nisse und personale Detraktionen). Es konnten 120 von 132 Mappingbe-richten analysiert werden (= 91%).

Maßnahmeplanungen. Für die Analyse waren 103 von insgesamt 108 Maßnahmeplanungen zugänglich (= 95%).

Des Weiteren wurden alle Beobachtungsdaten, die während der Map-pings erhoben wurden - Verhaltenskategorien (BCC) und Angaben zum relativen Wohlbefinden (WIB-Werte) - analysiert. Allerdings lagen nicht von allen zwölf Einrichtungen die vollständigen Datensätze vor, so dass nur 123 Mappings in die Auswertung eingehen konnten. Dies entspricht 93% aller bei der Beobachtung ermittelten Verhaltenskategorien und WIB-Werte.

Das breit gefächerte Datenmaterial lieferte somit eine fundierte Basis, um ein repräsentatives Bild für alle Einrichtungen zu zeichnen.

Da beim DCM-Verfahren das Verhalten und das Wohlbefinden/Nicht-Wohlbefinden von Menschen mit Demenz im Abstand von fünf Minuten do-kumentiert werden, ergaben sich für die Auswertung insgesamt 76.682 Ein-zeldaten (je 38.341 BCC und WIB). Die nachfolgende Tabelle weist den Umfang der Einzeldaten für jede der zwölf Projekteinrichtungen aus. Es wird deutlich, dass der Datenumfang stark schwankt. Beispielsweise wurden in Einrichtung 4 lediglich 1.893 Daten erhoben (minimales Ergebnis), in Ein-richtung 6 dagegen 4.829 (maximales Ergebnis). Die anderen zehn Einrich-tungen schwanken zwischen diesen beiden Extremwerten. Im Durchschnitt wurden über die dreiährige Projektlaufzeit hinweg pro Einrichtung 3.195 Daten aus 10,3 Mappings generiert.

Der unterschiedliche Datenumfang in den einzelnen Einrichtungen hat ver-schiedene Ursachen. So unterscheidet sich z.B. Einrichtung 4 von allen anderen Einrichtungen dadurch, dass sie als Tagespflege wesentlich kürze-re Betreuungszeiträume hat. Somit konnten in Einrichtung 4 schon aufgrund dieser strukturellen Bedingungen weniger Daten erhoben werden. 43 Die Protokolle des “Runden Tischs” wurden nicht in diesen Teil der Analyse einbezogen.

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Einrichtung Beobachtungsdaten

(BCC und WIB) Anzahl der analy-sierten Mappings

Einrichtung 1 2.570 9

Einrichtung 2 3.216 10

Einrichtung 3 3.004 9

Einrichtung 4 1.893 11

Einrichtung 5 3.951 11

Einrichtung 6 4.829 11

Einrichtung 7 3.380 11

Einrichtung 8 3.433 10

Einrichtung 9 2.912 9

Einrichtung 10 2.887 10

Einrichtung 11 3.166 11

Einrichtung 12 3.100 11

Gesamt: 38.341 123 min. 1.893 9

Ø 3.195 10,3

max. 4.829 11

Die Unterschiede in der Datenquantität bei den anderen elf stationären Ein-richtungen lassen sich folgendermaßen begründen:

Die Mapper fühlten sich unterschiedlich sicher in der Anwendung des DCM-Verfahrens und beobachteten demnach kürzer oder länger und mehr oder weniger Bewohner.

Die Atmosphäre in den Einrichtungen war nicht immer freundlich gegen-über den Mappern. Eine unfreundliche Atmosphäre während der Map-pings in manchen Einrichtungen reduzierte die Bereitschaft der Mapper, besonders lange zu beobachten.

Die folgende Tabelle verdeutlicht, dass der Umfang der Daten auch bei den einzelnen Beobachtungen sehr differierte. In einem Mapping wurden ledig-lich 51 Daten (Minimalwert), in einem anderen dagegen 604 (Maximalwert) erhoben. Im Durchschnitt konnten 309 Daten während eines Mappings an einem Beobachtungstag generiert werden.

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118

Ø- Daten pro Beobachtungstag 309 min. 51 max. 604

Grundsätzlich waren die Mappings zu Anfang des Projekts weniger umfang-reich, da zum einen erst eine Eingewöhnung in die Methode stattfinden und zum anderen die Beobachtungsfähigkeit geschult werden musste, so dass zunächst nur wenige Bewohner gleichzeitig beobachtet werden konnten. Die geringste Anzahl an Daten (51) wurde während einer zweiten Beobach-tungsrunde44 erreicht, die maximale Zahl von 604 Daten wurde während eines Mappings gegen Ende des Projekts erhoben. Insgesamt zeigten die Mapper im Projektverlauf einen deutlichen Kompetenzgewinn in der Anwen-dung des DCM-Verfahrens: Sie beobachteten nach und nach mehr Bewoh-ner und dies auch über größere Zeiträume hinweg.

5.2 Allgemeine Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation

5.2.1 Analyse der WIB-Werte

Wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, wird während einer DCM-Beobachtung sowohl das Verhalten einer Person mit Demenz als auch deren relatives Wohlbefin-den ermittelt. Das Kodieren der so genannten WIB-Werte erfolgt anhand einer sechsstufigen Skala. Den einzelnen Stufen sind Werte von +5 bis –5 zugeordnet. Bei der Evaluation der DCM-Daten wurden diese Werte ver-schiedenen statistischen Berechnungen zugrunde gelegt. Um die Interpreta-tion der Ergebnisse besser nachvollziehbar zu machen, wird die inhaltliche Bedeutung der einzelnen Werte nachfolgend in einer Übersicht präsentiert:45

44 Das erste und das letzte Mapping in einer Einrichtung wurden in diesem Projekt durch

erfahrene externe Mapper durchgeführt. 45 vgl. Bradford Dementia Group (1997).

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119

+5 außerordentliches Wohlbefinden - etwas besseres ist kaum vorstellbar; sehr hoher Ausdruck von Beteiligung, Selbstausdruck oder sozialer Interaktion

+3 erhebliche Anzeichen des Wohlergehens; z.B. in Bezug auf Beteiligung, Inter-aktion oder Aufnahme von Sozialkontakten

+1 der/die Beobachtete wird mit der gegenwärtigen Situation ganz gut fertig; gelegentliche Kontakte zu den anderen gegeben; Zeichen des Unwohlseins nicht vorhanden

- 1 leichtes Unwohlsein sichtbar; z.B. Langeweile; Rastlosigkeit oder Frustration

- 3 beträchtliche Anzeichen von Unwohlsein; z.B. Traurigkeit, Angst oder nach-haltiger Ärger; allmähliches Abstürzen in Apathie und Rückzug: anhaltende Vernachlässigung über eine halbe Stunde hinaus

- 5 Extreme (erhebliche) Zustände von Apathie, Rückzug, Wut, Trauer oder Ver-zweiflung; anhaltende Vernachlässigung für mehr als eine Stunde

5.2.1.1 Einrichtungsübergreifende Ergebnisse

Die erste Berechnung ermittelte das durchschnittliche relative Wohlbefinden aller Personen mit Demenz in allen Einrichtungen. Die folgende Graphik bildet den Verlauf der durchschnittlichen WIB-Werte aller Einrichtungen ab - verteilt über die elf verschiedenen Zeitpunkte, an denen Mappings stattfan-den:

0,000

0,200

0,400

0,600

0,800

1,000

1,200

1,400

1,600

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

WIB

-Wer

t

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120

Die Kurve zeigt ein relativ moderates Wohlbefinden (1,2) zu Beginn des Projekts, eine Absenkung bis zum sechsten Mapping und eine Erhöhung des Wohlbefindens ab dem siebten, mit einem geringen Einbruch im neun-ten Mapping. Bis zum sechsten Mapping schwankte das durchschnittliche Wohlbefinden der Bewohner aller Einrichtungen zwischen 1,20 und 0,97. Nach dem siebten bis zum elften Mapping differierte das Wohlbefinden zwi-schen 1,18 und 1,42. Die Entwicklung des Wohlbefindens ist signifikant46 (p= 0,000), wie ein Vergleich der Ergebnisse vor und nach dem siebten Mapping zeigt:

Variable Zeit-

punkte N47

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 56 1,3270 0,29867 Ø-WIB

< 7 65 1,0605 0,21630 0,000

Interpretation

Die hier ermittelten Ergebnisse bezogen auf die WIB-Werte sind hoch ab-strakt. Das bedeutet, dass keine Aussagen über den einzelnen Bewohner getroffen werden können und die Ergebnisse nur auf Gruppen von Men-schen mit Demenz oder auf die jeweiligen Einrichtungen zu beziehen sind. Ob sich das Wohlbefinden eines einzelnen Bewohners verändert hat, war aufgrund der anonymisierten Datenanalyse nicht zu eruieren. Die Ergebnis-se zeigen aber, dass sich das Wohlbefinden der Menschen mit Demenz in den Projekteinrichtungen im Verlauf des Projekts positiv verändert hat. Dies kann statistisch signifikant ab dem siebten Mapping (p = 0,000) belegt wer-den kann.48 Die Modifikationen können nur multikausal erklärt werden, d.h. dass nicht einzelne, sondern vielfältige Ursachen diese Veränderungen be-wirkt haben, die auf unterschiedlichen Ebenen darstellbar sind:

46 Wie bereits in Kapitel 4.4.1.4 dargelegt, wird in diesem Bericht ein Signifikanzniveau von

0,05 (= 95%) verwandt. 47 N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser

Berechnung wurden die Ergebnisse für das durchschnittliche relative Wohlbefinden von 65 Mappings vor der siebten Beobachtungsrunde mit 56 Mappings ab der siebten Beobach-tungsrunde verglichen.

48 Während der Mappings entstanden zwar nachweisbare Kodierungsfehler (siehe dazu Kap. 5.3.3), die aber durch ihre geringe Anzahl die Gültigkeit der Gesamtergebnisse nicht ge-fährden.

Page 123: Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen durch … · der Anteil von Menschen mit Demenz in den letzten Jahren stark angestie-gen ist, stellt sich immer drängender die Frage:

121

Ebene - Bewohner:

Die Veränderungen des Milieus wurden nach und nach vorgenommen, wodurch sich das Wohlbefinden der Bewohner auch erst sukzessive steigern konnte.

Ebene - Mitarbeiter:

Die Inhalte der Fortbildungen konnten nur langsam eine Haltungsände-rung bei den Mitarbeitern bewirken und daher auch erst nach und nach für die Menschen mit Demenz spürbar werden. Ab dem sechsten Map-ping empfanden die Mitarbeiter mehr Sicherheit im personzentrierten Arbeiten und der Transfer des theoretischen Konzepts in die Praxis machte Fortschritte.

Menschen ändern sich nur langsam. Jede Haltung ist durch Erfahrungen entstanden, die unverzichtbar sind „für eine halbwegs stabile Identität und Lebensgeschichte - und gleichzeitig sind Erfahrungen Barrieren für neue innovative Problemlösungen.“49 Solche Barrieren mussten auch im Verlaufe des Projekts von Mitarbeitern und Leitungspersonen überwun-den werden.

Ebene - Mapper/Mapping:

Zum sechsten Mapping fand eine Nachschulung der Mapper (ein so genanntes Follow-Up) statt, durch die zum einen eine veränderte Wahr-nehmung bewirkt wurde als auch ein anderes Vorgehen bei der Kodie-rung, insbesondere der Verhaltenskategorien N (Schlaf), W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen). Die Mapper deuteten diese Verhaltenskategorien ab diesem Zeitpunkt weniger generell als gefährdend für das Personsein, sondern erkannten auch deren mögliche, das Personsein nährende Wirkung.

Ab dem neunten Beobachtungszyklus wurden die Mappings nicht mehr angekündigt, sondern sie fanden unangemeldet statt. Dies bewirkte ei-nen „Überraschungseffekt“, der zum einen die Mitarbeiter verunsicherte. Zum anderen war den Einrichtungen die Möglichkeit genommen, sich beispielsweise durch eine quantitativ und qualitativ verbesserte Per-sonalbesetzung auf das Mapping vorzubereiten.

49 Siebert, H. (Hg.) (1996): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Berlin: 109.

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122

Ebene - Organisation:

Organisationen sind auf Stabilität und Kontinuität ausgelegt, sie wollen sich selbst erhalten. Veränderungen können demnach notwendigerwei-se nur kleinschrittig bewirkt werden.

5.2.1.2 Einrichtungsbezogene Ergebnisse

Durchschnittliches relatives Wohlbefinden für die gesamte Projektlaufzeit - bezogen auf jede Einrichtung

Die nachstehende Graphik zeigt den durchschnittlichen Wohlbefindenswert aller Bewohner über alle Beobachtungsrunden hinweg bezogen auf die zwölf Projekteinrichtungen. Dabei wird deutlich, dass die durchschnittlichen WIB-Werte bezogen auf die gesamte dreijährige Projektlaufzeit stark differieren. So zeigten die Bewohner in Einrichtung 8 ein durchschnittliches relatives Wohlbefinden von 0,839 (minimaler Durchschnittswert). In Einrichtung 4 hingegen konnte ein wesentlich höheres durchschnittliches Wohlbefinden von 1,436 (maximaler Durchschnittswert) beobachtet werden. Die Werte für die anderen Einrichtungen schwanken zwischen 0,97 und 1,36.

1,436

0,839

0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6

Einrichtung 1

Einrichtung 2

Einrichtung 3

Einrichtung 4

Einrichtung 5

Einrichtung 6

Einrichtung 7

Einrichtung 8

Einrichtung 9

Einrichtung 10

Einrichtung 11

Einrichtung 12

WIB-Wert

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123

Interpretation

Mit den hier ermittelten Gesamtwerten für jede Einrichtung werden die ko-dierten WIB-Werte von einer Vielzahl unterschiedlicher Bewohner zusam-mengefasst, die an unterschiedlichen Tagen und über eine Zeitspanne von drei Jahren beobachtet wurden. Dementsprechend abstrakt ist die Aussage-kraft. Hervorzuheben ist Einrichtung 4 als teilstationäre Tagespflegeeinrich-tung mit einem erwartbaren50 höheren Durchschnittswert von 1,436. Ver-sprachlicht bedeutet dieser Wohlbefindenswert, dass die Bewohner über die Projektlaufzeit hinweg mit ihrer Situation ganz gut fertig werden (WIB-Wert +1), weniger Anzeichen von Unwohlsein zeigen und dass anteilig höheres Wohlbefinden kodiert wurde (WIB-Werte +3 und +5). Begründet werden kann dieses Ergebnis mit den strukturellen Unterschieden von teilstationären und stationären Einrichtungen. So ist z.B. die Gruppengröße in Tagespfle-geeinrichtungen häufig geringer als in stationären Einrichtungen, was eine das Wohlbefinden steigernde Wirkung auf die Gäste haben kann. Darüber hinaus sind die körperpflegerischen Bedarfe der Tagesgäste oftmals nicht so groß, so dass die Betreuung im Vordergrund stehen kann.

Dass nicht nur in Tagespflegeeinrichtungen höhere Wohlbefindenswerte erreicht werden, sondern dass dies auch in stationären Einrichtungen mög-lich ist, verdeutlichen die positiven Ergebnisse von Einrichtung 3 (1,37) und 6 (1,29). In diesen Einrichtungen zeigten die vielfältigen Interventionen des DCM-Projekts - z.B. Fortbildungen, Milieuveränderungen, Mappings, Maß-nahmen der Organisationsentwicklung - eine Wirkung, die durch eine Erhö-hung des relativen Wohlbefindens von Menschen mit Demenz wahrnehmbar wurde.

Den geringsten durchschnittlichen Wohlbefindenswert erzielte Einrichtung 8 (0,839). Dieser Wert bedeutet, dass die Bewohner grundsätzlich mit der Situation fertig werden (WIB-Wert +1), aber auch Tendenzen des Nicht-Wohlbefindens zeigen (WIB-Werte -1 und -3). Anzeichen eines höheren Wohlergehens (WIB-Werte +3 und +5) sind eine Seltenheit.

50 Kitwood und sein Team gehen allgemein von höheren WIB-Werten in teilstationären Ein-

richtungen aus (vgl. Bradford Dementia Group (1997)).

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124

Durchschnittliches relatives Wohlbefinden im Projektverlauf - bezogen auf jede Einrichtung

Im Folgenden wird die Entwicklung der durchschnittlichen WIB-Werte bezo-gen auf jede einzelne Einrichtung und im Verlauf über die elf Erhebungszeit-punkte hinweg dargestellt. In jeder der drei nachfolgenden Graphiken sind die Ergebnisse von jeweils vier Einrichtungen zu ersehen:51

Der Verlauf der Kurve von Einrichtung 1 ist nach einem kurzen Abfallen zu Anfang des Projekts kontinuierlich und langsam ansteigend mit einer Aus-nahme während des neunten Mappings. Die Verlaufskurve von Einrichtung 2 ist stark schwankend: Es zeigt sich sowohl eine Erhöhung, als auch eine Reduzierung des durchschnittlichen relativen Wohlbefindens, das sich aber im Verlauf des Projekts insgesamt steigert. Einrichtung 3 dagegen zeigt eine schnelle und intensive Erhöhung des Wohlbefindens bis zum vierten Map-ping, danach ein Einpendeln auf einem etwas geringeren WIB-Wert, der zum neunten und zehnten Mapping etwas mehr abfällt und sich während des Abschlussmappings deutlich erhöht. Das Wohlbefinden der Bewohner in Einrichtung 4 liegt zu Anfang des Projekts sehr hoch, fällt danach jedoch stark ab bis zum sechsten Mapping. Nach diesem sechsten Mapping erhöht

51 Fehlende Punkte in den Kurven zeigen jeweils die fehlenden Datensätze auf.

0,000

0,500

1,000

1,500

2,000

2,500

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mappings

Gru

ppen

-WIB

-Wer

t

Einrichtung 1

Einrichtung 2

Einrichtung 3

Einrichtung 4

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125

sich das Wohlbefinden wieder sehr. Allerdings kann diese Tendenz beim abschließenden elften Mapping nicht bestätigt werden.

Die Kurve für Einrichtung 5 zeigt eine gewisse Kontinuität des Wohlbefin-dens der Bewohner bis zum siebten Mapping auf, erhöht sich danach stark bis zum zehnten Mapping und fällt beim Abschlussmapping wieder ab. Ein-richtung 6 zeigt leichte Schwankungen des WIB-Wertes bis zum sechsten Mapping und danach eine sehr starke Erhöhung des Wohlbefindens. Zum neunten Mapping hin fällt das Wohlbefinden wieder, steigert sich noch ein-mal und fällt dann im letzten Mapping wieder ab. Eine kontinuierliche Redu-zierung des Wohlbefindens bis zum sechsten Mapping zeigt sich in Einrich-tung 7. Anschließend steigert sich das Wohlbefinden zunächst leicht, pen-delt sich bei einem Wert um 1,0 ein, bevor es eine sehr starke Wohlbefin-denssteigerung im letzten Mapping gibt. In Einrichtung 8 zeigt sich eine stark schwankende Veränderung im Wohlbefinden der Bewohner, bevor eine Steigerung des Wohlbefindens ab dem achten Mapping beginnt, mit einer kleinen Unterbrechung während des neunten Mappings.

0,000

0,500

1,000

1,500

2,000

2,500

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mappings

Gru

ppen

-WIB

-Wer

t

Einrichtung 5

Einrichtung 6

Einrichtung 7

Einrichtung 8

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126

In Einrichtung 9 zeigt sich ein relativ kontinuierlicher Verlauf des Wohl-befindens der Bewohner bis zum fünften Mapping. Daran anschließend ist zunächst eine sanfte, dann stärkere Erhöhung des Wohlbefindens zu ver-zeichnen, das sich dann wiederum im achten und neunten Mapping redu-ziert, um während der letzten beiden Mappings anzusteigen. Eine sukzessi-ve Abnahme nach einem relativ hohen Wohlbefinden zu Anfang des Pro-jekts verzeichnet Einrichtung 10. Ab dem sechsten Mapping folgt eine leich-te Steigerung, dann eine stärkere bis zum Abschlussmapping, mit einem kleineren Einbruch bei der neunten Beobachtung. Die Kurve für Einrichtung 11 beginnt mit einem Wert um 1,2, fällt leicht ab, pendelt sich dann auf dem Anfangswert ein, bevor das Wohlbefinden während des sechsten Mappings wieder abfällt. Danach steigt das Wohlbefinden der Bewohner noch einmal an, bleibt auf einem gleich hohen Niveau während des achten und neunten Mappings, und fällt anschließend sogar unter den Anfangswert zurück (1,08). Einen relativ konstanten Wohlbefindenswert um 1,0 zeigt Einrichtung 12 bis zum fünften Mapping. Anschließend steigt das Wohlbefinden bis zum siebten Mapping, fällt wieder ab bis zum neunten und steigt in den letzten beiden Mappings wieder an.

0,000

0,500

1,000

1,500

2,000

2,500

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mappings

Gru

ppen

-WIB

-Wer

t

Einrichtung 9

Einrichtung 10

Einrichtung 11

Einrichtung 12

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127

Interpretation

Zunächst ist festzuhalten, dass die Verläufe der WIB-Werte in allen Einrich-tungen insgesamt sehr heterogen sind und sich kaum generelle Entwicklun-gen abzeichnen lassen. Lediglich eine leichte Tendenz der Erhöhung der WIB-Werte ab dem sechsten Mapping ist in der Gesamtbetrachtung der drei Graphiken zu erkennen.

Um die Ergebnisse der durchschnittlichen WIB-Werte besser deuten zu können, haben Kitwood und sein Team eine Tabelle zur Interpretation der individuellen und gruppenbezogenen WIB-Punktzahlen entwickelt. Aus die-ser Tabelle wird ersichtlich, dass die durchschnittlichen WIB-Werte während eines Mappings für stationäre Einrichtungen und Einrichtungen der Tages-pflege unterschiedlich zu interpretieren sind, da angenommen wird, dass Gäste einer Tagespflege eher in der Lage sind, ihr eigenes Wohlergehen durch Interaktion (mit) zu erzeugen. Beispielsweise würde ein durchschnittli-cher Wohlbefindenswert aller beobachteten Menschen von 1,5 ein gutes Ergebnis für eine stationäre und ein befriedigendes Ergebnis für eine Ta-gespflege bedeuten.

Tabelle für individuelle und gruppenbezogene WIB-Punktzahlen52

Interpretation WIB-Wert stationäre Pflege

WIB-Wert Tagespflege

exzellent 2,7 und mehr 3,0 und mehr sehr gut 2,1 – 2,6 2,4 – 2,9

gut 1,5 – 2,0 1,8 – 2,3 befriedigend 0,9 – 1,4 1,2 – 1,7

viel Verbesserung nötig weniger als 0,9 weniger als 1,2

Betrachtet man die durchschnittlichen WIB-Werte bezogen auf alle stationä-ren Einrichtungen im Verlauf des DCM-Projekts - die Tagespflegeeinrichtung wurde hier nicht berücksichtigt - vor dem Hintergrund der obigen Tabelle, so ergibt sich folgendes Bild:

52 vgl. Bradford Dementia Group (1997).

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128

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

Inte

rpre

tatio

n na

ch d

er T

abel

le

für W

IB-P

unkt

zahl

en in

%

exzellent sehr gut gut befriedigend viel Verbesserung notwendig

Das Säulendiagramm zeigt auf, dass kein einrichtungsbezogener WIB-Wert über die gesamte Projektlaufzeit im „exzellenten“ oder „sehr guten“ Bereich lag. Die Ergebnisse aller stationären Einrichtungen bewegten sich demnach in den Bereichen „gut“, „befriedigend“ bis hin zu „viel Verbesserung nötig“, in jeweils unterschiedlichen Anteilen. Beispielsweise lag der Anteil der Einrich-tungen, deren durchschnittlicher WIB-Wert die Notwendigkeit zu „viel Ver-besserung“ deutlich macht, vom ersten bis zum siebten Mapping zwischen 9% und 30%. Eine positive Entwicklung ist dadurch belegt, dass sich keine Einrichtung ab dem achten Mapping - mit Ausnahme des elften Mappings - in einem Bereich befand, der viel Verbesserungen notwendig erscheinen lässt. Weiterhin bemerkenswert ist, dass erst ab dem siebten Mapping - mit Ausnahme des ersten Mappings - Einrichtungen in einem guten WIB-Wert-Bereich lagen. Klar wird, dass es keine Garantie für gute Ergebnisse gibt, sondern dass vielmehr eine stetige Entwicklungsbereitschaft und Anpassung an die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz gefragt ist.

Für die Tagespflegeeinrichtung im Projekt hat sich ergeben, dass bis auf Ausnahmen während des sechsten Mappings („viel Verbesserung nötig“) und des zehnten Mappings („gut“) alle anderen durchschnittlichen WIB-Werte ein „befriedigendes“ Niveau erreichten.

Auch hier gilt, dass Ursachen, die zu den abgebildeten Ergebnissen geführt haben, vielfältig sein können:

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Ebene - Bewohner:

Es wurden in jedem Mapping andere Bewohner beobachtet.

Einzelne Bewohner mit besonders geringen oder besonders hohen WIB-Werten senkten bzw. erhöhten das durchschnittliche Wohlbefinden.

Ebene - Mitarbeiter:

Einzelne Mitarbeiter und auch manche Teams zeigten sich vornehmlich in der Mitte des Projekts geringer motiviert, was die Supervisoren in ih-ren Protokollen mit „es ist Luft raus“ umschrieben. Erklärt werden kann dies durch überhöhte Erwartungen an die Effekte der Fortbildungen und Milieuveränderungen, an DCM allgemein und vor allem an das eigene Wirken. Dies führte zu Enttäuschungen.

Andere Mitarbeiter und Teams hingegen spürten im Verlauf des Projekts (insbesondere in der zweiten Hälfte) die Wirkung der unterschiedlichen Maßnahmen, was motivierend wirkte und „neuen Mut“ entstehen ließ.

Die Personalbesetzung an den Beobachtungstagen variierte in Quantität und Qualität.

Ein kooperatives und koordiniertes Team ist die bedeutendste Kraftquel-le für jeden Mitarbeiter. In den Teams der zwölf Projekteinrichtungen gab es unterschiedliche Prozesse und Zeitverläufe bei der „Teamfin-dung“.

Ebene - Organisation:

In einzelnen Einrichtungen wurden tief greifende Umstrukturierungs-maßnahmen durchgeführt, wie z.B. ein Umzug in ein anderes Gebäude oder auch eine Reduzierung des Personals.

Die Organisation forderte an den Beobachtungstagen zusätzliche Leis-tungen der Mitarbeiter (z.B. Fortbildung, Feste, Vorbereitung auf externe Qualitätsprüfungen).

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5.2.2 Analyse der Verhaltenskategorien

Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, wird beim DCM-Verfahren das Verhalten von Menschen mit Demenz in 24 Kategorien eingeordnet. Dabei wird innerhalb dieser 24 Kategorien noch einmal differenziert. So werden Typ 1-Kategorien ausgewiesen, die dem Verständnis der personzentrierten Pflege nach das Potenzial haben, das Personsein von Menschen mit Demenz zu nähren. Des Weiteren gibt es Typ 2-Kategorien, die das Personsein gefährden kön-nen. Daneben gibt es zwei Sonderkategorien: K (unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen) und N (Schlaf). Die nachstehenden Schaubilder geben Aufschluss darüber, wie sich das Verhalten der Bewohner aller Ein-richtungen bezogen auf alle Verhaltenskategorien über die gesamte dreijäh-rige Projektlaufzeit hinweg verändert hat.

Die Häufigkeiten der Verhaltenskategorien E (kreative Tätigkeit), G (Spiele), H (handwerkliche Tätigkeit) und I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähig-keiten konzentriert) bewegen sich zwischen 0 und 5% aller beobachteten Verhaltenskategorien während der einzelnen Mappings. Verhaltenskategorie A (verbale und non-verbale Interaktion) zeigt sich bis zum sechsten Mapping relativ konstant um einen Wert von 14%. Danach steigert sich der Anteil von

Veränderung Typ 1-Kategorien (1. Teil)

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

in %

alle

r Kat

egor

ien

A

E

F

G

H

I

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131

A (verbale und non-verbale Interaktion), fällt bis zum neunten Mapping leicht ab und steigt bis zum elften Mapping wieder an. Das Verhalten F (Essen und Trinken) nimmt einen relativ großen Teil am Gesamtverhalten ein (zwi-schen 18% und 24%). Der Verlauf von F (Essen und Trinken) ist zunächst stark wellenförmig und pendelt sich ab dem neunten Mapping auf einem Niveau von etwa 20% ein.

Die Verhaltenskategorien J (sportliche oder gymnastische Übung), L (Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeit), M (Beschäftigung mit Medien), O (Selbst-pflege), P (praktische, physische oder personale Pflege erfahren), T (Be-schäftigung mit sinnlicher Wahrnehmung) und X (Ausscheidung) zeigen nur leichte Veränderungen während der dreijährigen Projektlaufzeit. Ihr Anteil an allen Verhaltenskategorien bewegt sich zwischen 0% und 5%.

Veränderung Typ 1-Kategorien (2. Teil)

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

in %

alle

r Kat

egor

ien

J

L

M

O

P

T

X

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132

Der Verlauf von B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) zeigt sich relativ konstant bis zum neunten Mapping bei einem Wert von etwa 25% und fällt während der letzten beiden Mappings ab.

Zur besseren Verdeutlichung werden die Kategorien C (sozial nicht mitein-bezogen sein, in sich gekehrt), D (Stress ohne Begleitung), U (Kommunizie-ren ohne Antwort), W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen), die prozentual nur sehr gering auftraten (1% und 2,8%) in einer weiteren Graphik aufgezeigt, die ein ande-res Skalenniveau besitzt:

Veränderung Typ 2-Kategorien (1)

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

in %

alle

r Ka

tgor

ien

B

C

D

U

W

Y

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133

Deutlich wird, dass mit Ausnahme der Kategorie U (Kommunizieren ohne Antwort), die Verläufe aller anderen Kategorien stark schwankend sind. Für die Verhaltenskategorie C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) ist eine sichtbare Abnahme in den letzten Mappings zu verzeichnen. Bei Kategorie D (Stress ohne Begleitung) war im Projektverlauf ein Anteil zwi-schen 0,1 und 0,6% zu beobachten, mit Ausnahme des sechsten Mappings, bei dem in 1,9% das Verhalten D augenscheinlich wurde. Kategorie U (Kommunizieren ohne Antwort) zeigte sich im Projektverlauf relativ konstant mit einer leicht abnehmenden Tendenz während der letzten Mappings. Ebenfalls eine Reduzierung erfuhr das Verhalten W (repetitive Selbststimu-lation), auf einen Wert von etwa 0,8% ab dem siebten Mapping. Eine Steige-rung des Anteils von Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person spre-chen) am Gesamtverhalten ist vor und nach dem achten Mapping zu erse-hen.

Veränderung Typ 2-Kategorien (2)

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

in %

alle

r Ka

tego

rien

C

D

U

W

Y

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134

Die Verhaltenskategorie K (unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewe-gen) zeigt sich über die elf Mappings relativ konstant bei einem Wert von 5%. Verhalten N (Schlaf) war zu Beginn des Projekts häufiger zu beobach-ten (10 bis 11%), senkte sich dann auf ein Niveau um 5% und stieg im letz-ten Mapping wieder bis auf 8% an.

Statistische Berechnungen

Aus den nun folgenden fünf Tabellen geht hervor, welche dieser Verhaltens-veränderungen ab welchem Zeitpunkt innerhalb des Projektzeitraums statis-tisch signifikant waren. D.h. es wurde rechnerisch ausgeschlossen, dass die Veränderungen auf einem Zufall beruhen. Dabei sind in den Tabellen53 je-weils unterschiedliche Arten von Veränderungen dargestellt:

53 In den folgenden Tabellen steht N für die Anzahl der Datensätze, die miteinander verglichen

wurden. Hier ist es die jeweilige Anzahl der Mappings, deren Ergebnisse verglichen wur-den. Es wird ein Signifikanzniveau von 0,05 (= 95%) verwandt.

Veränderung Sonderkategorien

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

in %

alle

r Kat

egor

ien

K

N

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135

Tabelle 1: Positive Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhal-tens, das Personsein nährt

Tabelle 2: Positive Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhal-tens, das Personsein gefährdet

Tabelle 3: Negative Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhal-tens, das Personsein nährt

Tabelle 4: Negative Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhal-tens, das Personsein gefährdet

Tabelle 5: Neutrale Veränderung der Sonderkategorie N

Tabelle 1: Positive Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein nährt

BCC Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 56 17,225 6,6872 A

< 7 67 13,388 7,8331 0,05

>= 8 44 2,439 3,6278 I

< 8 79 0,970 2,2195 0,006

Anhand der Tabelle wird deutlich, dass sich die Häufigkeit von zwei Verhal-tenskategorien, die das Potenzial haben, Personsein zu nähren, im Verlauf des Projektes signifikant steigerte. Die Häufigkeit des Verhaltens A (verbale und non-verbale Interaktion) veränderte sich im Vergleich der Zeiten vor und ab dem siebten Mapping statistisch signifikant (p = 0,05). Vor dem siebten Mapping ergab sich ein Mittelwert von 13,388% (N = 67) bei einer Standard-abweichung von 7,8331% und ab dem siebten Mapping ein Mittelwert von 17,225 bei einer Standardabweichung von 6,6872% (N = 56). Die weitere positive und statistisch signifikante Entwicklung ist die Steigerung des Ver-haltens I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) von 0,97% (AM) vor dem achten auf 2,439% (AM) ab dem achten Mapping (p = 0,006).

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Tabelle 2: Positive Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein gefährdet

BCC Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 56 0,889 1,1553 W

< 7 67 2,088 3,4453 0,014

>= 8 44 0,609 1,2173 C

< 8 79 2,000 2,9112 0,03

>= 9 32 21,969 7,3520 B

< 9 91 25,149 7,5210 0,041

Die Häufigkeit der Verhaltenskategorien W (repetitive Selbststimulation), C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) und B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise), die alle das Potenzial haben, das Personsein von Menschen mit Demenz zu gefährden, reduzierte sich erfreulicherweise im Projektverlauf. Verhalten W (repetitive Selbststimulati-on) war vor dem siebten Mapping zu 2,088% (AM) und danach nur noch zu 0,889% (AM) zu beobachten. Diese Veränderung ist statistisch signifikant mit einem Signifikanzniveau von 0,014 (p), bei Standardabweichungen von 3,4453% (N = 67) vor dem siebten und ab dem siebten Mapping von 1,1553% (N = 56). Eine weitere signifikante Veränderung (p = 0,03) ergab sich für das Verhalten C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt). Der Anteil der Verhaltenskategorie C am Gesamtverhalten änderte sich von 2,000% (AM) auf 0,609% (AM) ab dem achten Mapping. Auch der prozentu-ale Anteil von Verhalten B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) nahm ab. So zeigten die Bewohner vor dem neunten Map-ping noch zu 25,149% und danach zu 21,969% das Verhalten B. Diese Ver-änderung ist ebenfalls statistisch signifikant (p = 0,041).

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137

Tabelle 3: Negative Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein nährt

BCC Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standard-abweichung

(SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 56 0,711 1,6106 G

< 7 67 2,709 4,7591 0,003

Tabelle 3 zeigt die Berechnung des Signifikanzniveaus der Veränderung der Verhaltenskategorie G (Spiele) auf (p = 0,003). Zu 99,7% kann hier ein Zu-fall der Veränderung von 2,709% (SD = 4,7591) vor dem siebten Mapping auf 0,711% danach (SD = 1,6106) ausgeschlossen werden. Die Abnahme des Auftretens von G (Spiele) ist negativ zu bewerten, da diese Verhaltens-kategorie potenziell Personsein nähren kann.

Tabelle 4: Negative Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhal-tens, das Personsein gefährdet

BCC Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standard-abweichung

(SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 9 32 0,931 1,5930 Y

< 9 91 0,362 0,6743 0,006

Eher negativ ist zu beurteilen, dass sich das Verhalten Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen) im Verlauf des Projekts häufiger zeigte. Vor dem neunten Mapping betrug der Anteil am Gesamtverhalten 0,362% (AM), danach stieg er auf 0,931% (AM). Auch diese Veränderung ist statistisch signifikant (p = 0,006).

Tabelle 5: Neutrale Veränderung der Sonderkategorie N

BCC Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standard-abweichung

(SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 4 91 5,515 3,9822 N

< 4 32 8,778 8.0918 0,004

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Eine neutrale Veränderung ist für das Verhalten N (Schlaf) vor (AM = 8,778%) und ab dem vierten Mapping (AM = 5,515) festzuhalten. Die Verän-derung ist zwar statistisch signifikant (p = 0,004), aber in der Bewertung ist sie neutral. Denn das Schlafen oder Schlummern (N) kann etwas Positives für den Menschen mit Demenz sein, im Sinne von Ausruhen und Kräfte sammeln, aber auch negativ wirken, wenn dies ein Ausdruck dafür ist, dass sich die Person selbst verliert oder sich nicht mehr spürt.

Interpretation

Insgesamt zeigten fünf Verhaltenskategorien eine positive und statistisch signifikante Veränderung im Projektverlauf über elf Beobachtungsrunden hinweg:

Das Auftreten der Verhaltenskategorie A (verbale und non-verbale Inter-aktion) hat sich gesteigert, was in erster Linie durch zwei Aspekte zu begründen ist. Zum einen wurde das Präsenzprinzip mehr und mehr verwirklicht, das eine kontinuierliche Betreuung der Menschen mit De-menz und beständigen Kontakt möglich macht. Zum anderen wurden die Beziehungen der Bewohner untereinander häufiger in den Blick ge-nommen. Dadurch konnten positive Kontakte gefördert werden, die die Interaktion anregten.

Des Weiteren konnte im Projektverlauf vermehrt das Verhalten I (Aktivi-tät, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) beobachtet wer-den. Auch dies ist positiv zu werten, da diese Kategorie den Menschen mit Demenz in einer Weise fordert, dass er sich selbst dabei spüren und als kompetent erfahren kann. Als Begründung für das Ansteigen kann das durch Fortbildungen und Reflexionsprozesse erweiterte Verständnis und Handlungsrepertoire der Mitarbeiter angeführt werden.

Eine statistisch signifikante Abnahme des Verhaltens W (repetitive Selbststimulation) ist ebenfalls als wertvoll für Menschen mit Demenz zu betrachten. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass die Kategorie W (repetitive Selbststimulation) zwar grundsätzlich eher eine Gefährdung des Personseins beinhaltet, dass sie aber auch mit Wohlbefinden be-setzt sein kann. Für eine abschließende Bewertung müssen daher die WIB-Werte mit einbezogen werden (siehe dazu auch Kap. 5.3.3).

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Wenn Menschen mit Demenz sozial nicht miteinbezogen und in sich gekehrt sind (C), ist dies nach dem personzentrierten Ansatz negativ zu deuten. Erfreulich ist demnach die Abnahme der Verhaltenskategorie C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) im dreijährigen Pro-jektverlauf. Die Ursachen hierfür sind wiederum in der Umsetzung des Präsenzprinzips und der veränderten Wahrnehmung der Mitarbeiter zu finden. Diese erkannten auf Grundlage eines personzentrierten Ver-ständnisses die destruktive Kraft des Verhaltens C und waren um einen vermehrten Kontakt zu den Bewohnern bemüht (u.a. durch so genannte Bienchendienste).

Ebenfalls positiv ist die Reduzierung des Verhaltens B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) über die elf Map-pings hinweg zu beurteilen. Das aktive Handeln ist für Menschen mit Demenz sehr bedeutend, geht es doch einher mit einer intensiven Selbstwahrnehmung des eigenen Personseins, welche der Kraft der Demenz entgegentreten kann. Erklärt werden kann diese Entwicklung durch eine intensivere Hinwendung zu bedürfnisorientierten Angeboten für Menschen mit Demenz in den Einrichtungen. Die Mitarbeiter wurden dazu durch die Fortbildungen sowie die regelmäßigen Feedbacks befä-higt.

Eine statistisch signifkante negative Veränderung ergab sich in zwei Verhal-tenskategorien:

So zeigte sich leider im Projektverlauf eine Reduzierung der Verhaltens-kategorie G (Spiele). An einem Spiel teilzunehmen, ist etwas sehr Sozia-les und beinhaltet das Potenzial, Personsein zu nähren. Gründe für das Abnehmen dieses Verhaltens können nur vermutet werden. Einerseits könnten die Anteile von G (Spiele) am Gesamtverhalten durch größere Anteile z.B. von A (verbale und non-verbale Kommunikation) oder von I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) ersetzt worden sein. Aufgrund vieler anderer positiver Veränderungen während des Projekts können eine vermehrte Arbeitsbelastung, ein sich wieder reduzierendes personzentriertes Verständnis oder eine Abkehr vom Präsenzprinzip nicht als Begründungen für die Abnahme von G (Spiele) herangezogen werden.

Eine weitere Entwicklung, die eher negativ betrachtet werden muss, ist die Zunahme des Verhaltens Y (mit sich selber oder einer imaginierten

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Person sprechen). Dieses Verhalten kann zwar nach dem DCM-Verfahren auch mit Wohlbefinden besetzt sein, dennoch zeigt es grund-sätzlich eher eine Vernachlässigung von Menschen mit Demenz oder eine Abkehr in eine nicht reale Welt. Auch hier muss daher geprüft wer-den, welches Wohlbefinden/Nicht-Wohlbefinden während des Verhal-tens Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen) Men-schen mit Demenz empfinden, um eine abschließende Bewertung der Zunahme geben zu können.

Ähnliches gilt für das Verhalten N (Schlaf). Im Verlauf des Projekts zeigte sich eine Abnahme von (N) innerhalb der Beobachtungszeiträume. Wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, erkennt das DCM-Verfahren einen „angemessenem Schlaf“54 während des Tages an, der jedoch, wenn er zeitlich überschritten wird, als negativ für den Menschen mit Demenz erachtet wird. Demnach kann die Entwicklung der Abnahme des Verhaltens N (Schlaf) nicht bewertet werden, da nur ein Blick auf jeden einzelnen Bewohner eine Antwort darauf geben könnte, ob der Schlaf der jeweiligen Person noch angemessen war.

Insgesamt können die Veränderungen im Verhalten der Bewohner als posi-tiv gedeutet werden. Die negative Entwicklung der Kategorie G (Spiel) wirkt nicht dominant. Zum größten Teil hat sich eine Verschiebung von Anteilen eines Typ 2-Verhaltens in Richtung eines Typ 1-Verhaltens gezeigt, gleich-bedeutend einer prozentualen Abnahme von W (repetitive Selbststimulati-on), C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) und B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) und einer Zunahme von A (verbale und non-verbale Interaktion) und I (Aktivität, die sich auf intellek-tuelle Fähigkeiten konzentriert).

5.2.3 Analyse der Maßnahmeplanungen

Anhand des Verfahrens der strukturierten Inhaltsanalyse nach Mayring55 wurden insgesamt 103 Protokolle von Maßnahmeplanungen analysiert und 440 einzelne Maßnahmen identifiziert. In einem weiteren Schritt wurden die Einzelmaßnahmen acht Überkategorien zugeordnet. Wie viele einzelne

54 Angemessener Schlaf ist zeitlich definiert mit 1½ Stunden für die stationäre Pflege und mit

einer Stunde für die Tagespflege innerhalb eines Zeitrahmens von zehn Stunden nach dem ersten Erscheinen in den Gemeinschaftsräumen (vgl. Bradford Dementia Group (1997)).

55 vgl. Mayring, P. (2000): Qualitative Inhaltsanalyse. 7. Aufl. Weinheim.

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Maßnahmen in Prozent unter die acht Bereiche subsumiert werden konnten, ist anhand nachstehender Graphik zu erkennen:

Interpretation

Die Graphik veranschaulicht, wie groß der Anteil der Maßnahmen ist, die für einzelne Bewohner geplant wurden (64%). Darüber hinaus bezogen sich 11% der Maßnahmen auf Milieuveränderungen, weitere 8% auf die Organi-sationsentwicklung und 6% auf die Personalentwicklung. Maßnahmen, die auf eine Gruppe von Menschen mit Demenz oder die ganze Bewohnerschaft bezogen waren, hatten einen Anteil von 8%. Der Blick für die soziale Umwelt der Bewohner zeigt sich in den 2% der Maßnahmen auf Angehörigenebene. Zu kleinen Anteilen wurden Maßnahmen der Qualitätssicherung (1%) und der Kooperation mit anderen Einrichtungen (0,4%) geplant.

Sehr deutlich wird hier das Potenzial, das DCM besitzt: Es fordert dazu auf, am einzelnen Menschen mit Demenz anzusetzen und individuelle Maßnah-men für die Bewohner anzubieten. Allzu oft werden in der gängigen Praxis der Altenhilfe Konzepte oder Ideen implementiert, die keine Wirkung auf den Einzelnen haben, weil sie so abstrakt sind und damit den Bezug zum Indivi-

Maßnahmeplanungen

8%

64%

11%

8% 6% 0,4%2%1%

Kooperation mit anderen EinrichtungenAngehörigenebene: Maßnahmen für/mit AngehörigenGruppenebene: Maßnahmen für die Bewohnerschaftindividuelle Ebene: Maßnahmen für BewohnerMilieuveränderungenOrganisationsentwicklungPersonalentwicklungQualitätssichernde Maßnahmen

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duum verloren haben. Sie bleiben „Papiertiger“, die den Weg der Konkreti-sierung nicht bewältigen können. In Kapitel 5.3.1 wird näher auf verschiede-ne Beispiele von Einzelmaßnahmen, die im Projektverlauf entwickelt wur-den, eingegangen, um so die eher abstrakte Ebene der acht vorgestellten Überkategorien um eine anschaulichere Darstellung zu ergänzen.

5.2.4 Analyse der positiven Ereignisse

Während der Beobachtungszeiträume notierten die Mapper positive Ereig-nisse (PEs), die sie den Mitarbeitern zurückmeldeten und im Mappingbericht dokumentierten. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Betreuende vor allem durch die Unterstützung ihrer Stärken im Sinne der personzentrierten Pflege weiterentwickeln können. Anders als bei den personalen Detraktio-nen (PDs) werden für die PEs keine festen Kategorien vorgegeben (siehe dazu Kap. 2.2). Dennoch gibt es im DCM-Verfahren schriftlich festgehaltene Richtlinien, welche Situationen als positive Ereignisse zu bewerten sind, z.B. „Fähigkeiten eines Teilnehmers werden hervorgelockt“ oder „ein so genann-tes ´Problemverhalten` wird umgewandelt.“56 Dagegen sind positive Aspekte beispielsweise der Organisation oder der Versorgung nicht als PEs im Sinne des DCM zu verstehen. Die Beobachter in diesem Projekt hielten sich aber nur zum Teil an die Vorgaben (siehe dazu auch Kap. 4.4.1.3). Bei der fol-genden Analyse wurden die spezifischen Interpretationen der Mapper mit berücksichtigt.

Insgesamt lagen 120 Mappingberichte zur Auswertung vor. Darin ließen sich 537 als positive Ereignisse erachtete Situationen identifizieren. In der fol-genden Graphik wird deutlich, wie viele dieser Situationen sich z.B. auf die Betreuungskultur und auf andere Bereiche bezogen.

56 Bradford Dementia Group (1997): 70.

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Der Anteil der positiven Ereignisse (PEs) im Bereich Betreuungskultur be-trug 55%. Weitere 6% bezogen sich auf Interventionen, die speziell auf die Bewältigung der Demenzsymptomatik bezogen waren. Die PEs, die explizit die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der Bewohner fokussierten, hatten einen Anteil von 4%. Angebote, die einen positiven Effekt auf die Menschen mit Demenz hatten (16%), wurden gleichfalls zurückgemeldet. Ebenso wur-den Ereignisse im Hinblick auf die Organisation und das Personal (7%) so-wie in Bezug auf das Milieu und die Architektur (4%) als positiv empfunden. In einigen Berichten über PEs wurde eine positive allgemeine Atmosphäre (5%) herausgestellt. Auch Situationen, in denen Angehörige oder Besucher (1%) etwas Positives bewirkten, wurden als PEs dokumentiert. Unter „Sons-tige“ (2%) wurden PEs zusammengefasst, die keinem anderen Bereich zu-geordnet werden konnten und nur sehr selten benannt wurden.

Interpretation

In dieser Gesamtsicht auf alle PEs des dreijährigen Projektverlaufs wird deutlich, was von den Mappern als positiv erachtet und an die Mitarbeiter

Positive Ereignisse

55%

6%4%

16%

7%4% 5% 1%2%

BetreuungskulturBesondere Interventionen für Menschen mit DemenzSelbstbestimmung und SelbsttätigkeitAngeboteOrganisation und PersonalMilieu und ArchitekturAllgemeine AtmosphäreAngehörige und BesucherSonstige

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zurückgemeldet wurde. PEs sind demnach einerseits ein Beleg für positive Momente der Praxis im Sinne der personzentrierten Pflege und andererseits geben sie auch einen Hinweis auf die „Brille“, durch die die Mapper diese Praxis betrachten.

Auffallend ist, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen Positives stattgefun-den hat. Es wurde quasi ein ökologischer Blick auf die Bewohner gerichtet, der vielfältige Umweltbedingungen (z.B. Milieu, Architektur, Angehörige) mit umfasst, die alle eine direkte oder indirekte positive Wirkung auf den Men-schen mit Demenz haben können.

Die starke Fokussierung der Betreuung durch die Mapper wird anhand der PEs zur Betreuungskultur deutlich, die mehr als die Hälfte aller PEs betru-gen (siehe dazu auch Kap. 4.4.2.3). DCM bewirkt demnach bei den Map-pern, dass sie sich speziellen Bereichen der Wirklichkeit zuwenden, insbe-sondere der Betreuung von Menschen mit Demenz bzw. den Angeboten, die sich darauf beziehen. Dies sind PEs im Sinne der personzentrierten Pflege. Andere PEs, die die Mapper z.B. im Bereich von Organisation und Personal wahrgenommen haben, sind keine PEs, auf die in den DCM-Schulungen hingewiesen wurde, sondern sie sind Beleg für eine spezielle Sichtweise der Mapper, die sie über andere Wege erworben haben.

5.2.5 Analyse der personalen Detraktionen

Personale Detraktionen (PDs) bezeichnen ein Verhalten oder Handlungen des sozialen Umfelds, die das Personsein von Menschen mit Demenz un-tergraben, demnach negativ wirken (siehe dazu auch Kap. 2.2). Im DCM-Verfahren werden 17 personale Detraktionen unterschieden, die in jeweils vier Schweregraden kodiert werden. Im Folgenden wird dargestellt, wie häu-fig welche PDs zu beobachten waren und welche Schweregrade vorherrsch-ten. Weiterhin wird ersichtlich, wie sich die Anzahl der PDs über den Pro-jektzeitraum hinweg verändert hat.

Art und Häufigkeit der personalen Detraktionen

Die PDs wurden von den Mappern in den Feedback- und Mappingberichten dokumentiert. Insgesamt konnten in 120 Berichten genau 300 personale Detraktionen identifiziert werden, was einer durchschnittlichen Anzahl von 2,5 PDs pro Mapping entspricht. Die nachstehende Graphik verdeutlicht die

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Häufigkeit des Auftretens der 17 unterschiedlichen PDs bezogen auf die gesamte Projektlaufzeit.

Aus der Graphik geht hervor, dass das Ignorieren (52-mal) die häufigste aller personalen Detraktionen darstellt. Am zweithäufigsten konnte das Ü-berholen (44-mal) beobachtet werden. Ebenfalls sehr oft wurden das zum Objekt machen (40-mal) und das Entmächtigen (33-mal) als PDs dokumen-tiert. Menschen mit Demenz etwas vorzuenthalten (24-mal) oder sie zu et-was zu zwingen (19-mal), sind weitere PDs, die während der dreijährigen Projektlaufzeit auftraten. Jeweils 15-mal wurden das Betrügen, das Unter-brechen und das Invalidieren als PDs beobachtet. Jemanden in der Interak-tion wie ein Kind zu behandeln (Infantilisieren) wurde 14-mal als eine perso-nale Detraktion benannt. Weniger häufig nahmen die Mapper ein Spotten (9-mal), Anklagen (6-mal) oder ein Herabsetzen und verächtlich Machen (6-mal) wahr. Sehr selten zeigten sich personale Detraktionen des Verbannens (2-mal), des Stigmatisierens (2-mal) und des Etikettierens (1-mal). Eine Ein-schüchterung wurde über die ganze Projektlaufzeit hinweg nicht beobachtet.

Schweregrad der personalen Detraktionen

Zusätzlich zur Art der personalen Detraktion wird beim DCM-Verfahren auch der Schweregrad der jeweiligen PD dokumentiert. Unterschieden werden

0

1

2

2

6

6

9

14

15

15

15

19

24

33

40

44

52

0 10 20 30 40 50 60 Einschüchtern

Etikettieren Stigmatisieren

Verbannen Herabsetzen und verächtlich machen

Anklagen Spotten

Infantilisieren Invalidieren

Unterbrechen Betrügen Zwingen

Vorenthalten Entrmächtigen

Zum Objekt machen Überholen Ignorieren

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vier Grade: mild (a), mäßig (b), schwer (c) und sehr schwer (d). Anhand der nachstehenden Graphik wird ersichtlich, wie sich die im DCM-Projekt beo-bachteten Schweregrade darstellen:

Fast zwei Drittel aller personalen Detraktionen waren in ihrer Intensität mild einzustufen (64,6%). Weitere 27,6% aller PDs zeigten den Schwergrad mä-ßig. Schwere Detraktionen wurden in 7,4% aller Fälle beobachtet. Lediglich eine personale Detraktion wurde als sehr schwer eingestuft (0,3%).

Zeitliche Effekte der personalen Detraktionen

Hier wurde die Anzahl der beobachteten PDs pro Mapping auf zeitliche Ef-fekte hin untersucht, d.h. es wurde berechnet, ob sich die Anzahl der PDs über den Projektzeitraum hinweg signifikant veränderte. Dabei blieb der Schweregrad der personalen Detraktionen unberücksichtigt.

In der Betrachtung jeder einzelnen der zwölf Einrichtungen zeigten sich kei-ne signifikanten Veränderungen in der Anzahl der beobachteten personalen Detraktionen, aufgrund der geringen Daten je Einrichtung. In der Gesamt-sicht auf alle Einrichtungen ergibt sich jedoch folgendes statistisch signifi-kantes (p = 0,002) Ergebnis:

64,6%

27,6%

7,4%

0,3%mild

mäßig

schwer

sehr schwer

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Variable Zeit-

punkte N57

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 6 60 1,6667 2,36977 PD

< 6 60 3,3333 3,26079 0,002

Vor der sechsten Beobachtungsrunde wurden durchschnittlich 3,3333 per-sonale Detraktionen pro Mapping und danach durchschnittlich 1,6667 PDs beobachtet. Die Standardabweichungen betrugen vor dem sechsten Map-ping 3,26079 und ab dem sechsten Mapping 2,36977.

Im folgenden Schaubild wird die Veränderung der Anzahl der beobachteten PDs im zeitlichen Verlauf sichtbar.

Die Kurve zeigt, dass beim ersten Mapping zu Anfang des Projekts viele PDs in allen Einrichtungen beobachtet werden konnten, die sich daraufhin etwas reduzierten, um dann im dritten Mapping auf den höchsten Wert an-zusteigen. Nach dem dritten Mapping reduzierte sich die Anzahl der PDs allmählich bis zum sechsten Mapping und blieb dann über zwei weitere Be-obachtungsrunden relativ konstant. Im neunten Mapping stieg die Anzahl

57 N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser

Berechnung wurden die Ergebnisse für die Anzahl der PDs von 60 Mappings vor der sechs-ten Beobachtungsrunde mit 60 Mappings ab der sechsten Beobachtungsrunde verglichen.

0

10

20

30

40

50

60

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Mapping

Anza

hl d

er P

Ds

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148

noch einmal, bevor sie auf ein paar wenige PDs während der beiden letzten Mappings zurückfiel.

Interpretation

Die Analyse hat gezeigt, dass die Häufigkeit des Auftretens der beobachte-ten PDs stark differiert. Die beiden Extremwerte waren das Ignorieren, das 52-mal auftrat, und das Etikettieren, das nur 1-mal beobachtet wurde. Die personale Detraktion des Einschüchterns wurde gar nicht nachgewiesen. Die Gründe für die unterschiedlichen Häufigkeiten sind nicht eindeutig zu erschließen, jedoch lassen sich Vermutungen darüber anstellen. Denkbar ist, dass insbesondere die PDs Ignorieren, Überholen und Unterbrechen eine Folge des engen zeitlichen Korsetts sind, in das die Mitarbeiter in der Altenpflege tagtäglich eingebunden sind. Einen Menschen mit Demenz zu einem Objekt zu machen, ihm etwas vorzuenthalten, ihn zu entmächtigen, zu betrügen, zu invalidieren oder zu infantilisieren, könnte auf ein lückenhaf-tes sozialpsychologischen Verständnis von Demenz hindeuten. Handlungen des Zwingens, Spottens, Anklagens, Betrügens, Verbannens, Etikettierens, Stigmatisierens, Herabsetzens und verächtlich Machens können als Reakti-on auf eine starke psychische Belastung der Mitarbeiter in der Altenpflege gedeutet werden.58

Die Ergebnisse bezüglich der Schweregrade der PDs lassen sich nicht in-terpretieren, da hierzu eine Vergleichsmöglichkeit bestehen müsste. D.h. es kann nicht beurteilt werden, ob im Vergleich bestimmte Schweregrade in diesem Projekt besonders häufig oder selten zu beobachten waren.

Eine monokausale Erklärung der positiv zu bewertenden und statistisch signifikanten Reduzierung (p = 0,002) der PDs über den Projektzeitraum hinweg kann nicht gegeben werden. Wahrscheinlich ist jedoch, dass vielfäl-tige Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung ihren Beitrag dazu geleistet haben. Einfluss auf die Reduzierung der PDs im Projektlauf hatten z.B.:

die Sensibilisierung der Mitarbeiter für die destruktive Wirkung von PDs durch die Fortbildungen und die Feedbackgespräche;

58 vgl. u.a. Schwartze, G. (1998): Beziehungen und Gefühle in der Pflege. München, Wien,

Baltimore.

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die Reduktion der Komplexität der täglichen Arbeit durch klare Verant-wortungszuweisungen (z.B. Präsenzprinzip), wodurch auch die Arbeits-belastung gemindert wurde.

Fraglich ist, ob alle stattgefundenen PDs wahrgenommen und des Weiteren, ob alle wahrgenommenen PDs auch dokumentiert wurden. Einige Berichte lassen dies vermuten. Vor diesem Hintergrund können die oben beschriebe-nen zeitlichen Effekte nur bedingt als valide (gültig) angesehen werden. Im Hinblick auf den Anspruch von DCM, ein Abbild der Demenzpflege in teilsta-tionären und stationären Einrichtungen zu erstellen, muss eine lückenhafte Dokumentation der PDs kritisch gesehen werden. Wird jedoch die erhoffte Wirkung von DCM - eine Veränderung der Pflegekultur - betrachtet, so kann das exemplarische Dokumentieren von PDs durchaus sinnvoll sein. Die dabei leitenden „Hintergedanken“ sind der Wunsch, die Mitarbeiter bei der Rückmeldung der PDs nicht zu beschämen, und das Wissen darüber, dass auch exemplarische PDs einen Reflexions- und Veränderungsprozess be-wirken können.

5.3 Spezifische Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation

5.3.1 Individuelle Maßnahmen

In den Protokollen der Maßnahmeplanungen wurden 440 Maßnahmen iden-tifiziert (siehe dazu auch Kap. 5.2.3), von denen 279 einen individuellen Zuschnitt hatten (64%). Diese wurden nochmals in 25 Untergruppen zu-sammengefasst. Um zu belegen, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen individuelle Maßnahmen entwickelt wurden, die alle eine Steigerung des Wohlbefindens zum Ziel hatten, werden diese im Folgenden beschrieben und exemplarisch verdeutlicht:

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Maßnahme Anzahl Beobachten der Bewohner zur Abklärung 3 Bewusste Unterlassung von Maßnahmen 5 Arztbesuche/Konsultationen 5 Organisation von therapeutischen Maßnahmen 4 Medikationsmaßnahmen 5 Individuelle Tagesstrukturierung 2 Maßnahmen zum Schlaf-/Wach-/ Ruherhythmus 7 Räumliche Positionierung 2 Hauswirtschaftliche Angebote 7 Medien 3 Externe Aktivitäten 10 Ästhetik 3 Musische Angebote 12 Religiöse Maßnahmen 2 Validation 11 Biographiearbeit/ Erinnerungspflege 49 Sterbebegleitung 2 Interaktions-/Kommunikationsregeln 7 Motivierende Maßnahmen 3 Mobilisation und Bewegungsbedürfnisse 15 Ernährung 4 Beschäftigungsangebote 24 Hochindividuelle Maßnahmen 29 Körperstimulierende Maßnahmen 28 Köperpflegebezogene Maßnahmen 5

In einigen Sitzungen zur Maßnahmeplanung waren gewisse Aspekte über die Bewohner unklar, so dass ein weiteres Beobachten der Bewohner zur Abklärung (3-mal) vereinbart wurde, wie aus den folgenden Beispielen her-vorgeht: „weiterhin genaues Beobachten einer affektierten Bewohnerin“; Abklärung der Impulse, die zu aggressivem Verhalten einer Bewohnerin führen“. Geplant wurde darüber hinaus, zukünftig gewisse Maßnahmen be-wusst zu unterlassen (5-mal), z.B.: „für sehr aktive und selbständige Bewoh-ner wird keine Maßnahme der Aktivierung getroffen“ oder „Bewohnerin wird nicht an einen anderen Tisch gesetzt, da die Veränderung zu groß wäre“.

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Es wurde ein „Augenarztbesuch für eine Bewohnerin“ geplant oder ein „Ex-perte geholt, um über einen Rollstuhl zu entscheiden“, was Maßnahmen unter der Rubrik Arztbesuche/Konsultationen (5-mal) entspricht. Weiterhin wurden therapeutische Maßnahmen organisiert (4-mal), wie z.B. die „Bean-tragung“ oder das „Einfordern von Ergotherapie“ für bestimmte Bewohner. Auch die Medikation einiger Bewohner wurde während der Besprechungen thematisiert und Maßnahmen davon abgeleitet (5-mal). Bei einer Bewohne-rin wurden z.B. „Medikamente abgesetzt, um mehr Wachheit zu erreichen“, in einem anderen Fall wurde „geprüft, ob Medikament abgesetzt werden soll“.

In zwei Maßnahmeplanungen wurden individuelle Tagesstrukturierungen geplant, so sollte beispielsweise eine „Bewohnerin, die früh aufsteht und alleine im Flur sitzt, nun schon früher in die Gruppe des Ergotherapeuten“ gehen können. Um den Schlaf-/Wach-/Ruherhythmus zu fördern oder um ihn entsprechend zu beachten, wurden 7-mal Interventionen geplant:

- „auf Anzeichen von Müdigkeit bei ihr achten und reagieren“;

- „Bewohnerin ist morgens müde: deshalb länger schlafen lassen“;

- „Bewohnerin wird in Nachtcafé-Angebot integriert“.

Während der Maßnahmeplanungen entschieden sich die Mitarbeiter auch für zwei Interventionen, die einer veränderten räumlichen Positionierung einzelner Bewohner galt. So wurde ein „neuer Sitzplatz für eine Bewohnerin geplant, um ihr größere Beobachtungsmöglichkeiten“ zu schenken und in einem anderen Fall wurde dazu aufgefordert, einem „Bewohner einen ande-ren Platz am Tisch zu ermöglichen, um mehr Überblick zu geben“. Ingesamt sieben Maßnahmen wurden beschlossen, die ein hauswirtschaftliches An-gebot für bestimmte Menschen mit Demenz vorsahen. So sollte „ein Bewoh-ner in den Haushalt: backen, Marmelade kochen“ eingebunden werden. Eine andere Bewohnerin sollte „vermehrt beim Abtrocknen helfen und mit-gehen, wenn Wäsche ausgeteilt wird“. Besondere Maßnahmen für einzelne zur Beschäftigung mit Medien (3-mal) waren zum Beispiel:

- „verschiedene Zeitschriften für eine Bewohnerin (Mode/Tageszeitungen)“ bereitlegen;

- „Medium Fernsehen für eine Bewohnerin stärker und spezifischer nut-zen“.

Angebote an die Bewohner wurden jedoch nicht nur auf den begrenzten

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Bereich der Altenpflegeeinrichtung bezogen, sondern auch auf externe Akti-vitäten (10-mal). Mehrmals wurde geplant, mit einer „Bewohnerin Eis essen zu gehen“, „ein Gast soll einmal in der Woche mit Zivi einkaufen gehen“ oder es soll „ab und zu mal mit Bewohnern auf den Markt gegangen“ werden. Das Ästhetikbedürfnis wurde durch drei Maßnahmen zu befriedigen gesucht, z.B.: „Bewohnerin schöne Kleider anziehen, Schmuck anziehen, Kompli-mente bekommen“ oder „schöne Kleider und Schmuck ansehen und anzie-hen“. Weiterhin wurde eine Vielzahl von Maßnahmen geplant, um den Be-wohnern musische Angebote (12-mal) machen zu können:

- „mit Bewohnerin Lied singen, im Takt der Musik bewegen“;

- „Hörspielkassetten anbieten“;

- „Freude einer Bewohnerin an Musik mehr aufgreifen“;

- „Bewohner sollen neue Lieder und Gedichte zur Verfügung gestellt be-kommen“.

Zweimal wurden während der Maßnahmeplanungen Ideen entwickelt, um religiösen Bedürfnissen zu entsprechen: „Bewohnerin wenn möglich wö-chentlich zum Gottesdienst begleiten“ oder „Bewohnerin in den Gottesdienst mitnehmen und bekannte Kirchen aufsuchen“. Der Ansatz der Validation und deren Wirkungsweise sind den Mitarbeitern der Projekteinrichtungen bekannt, denn insgesamt elf Maßnahmen wurden dahingehend geplant:

- „Bewohnerin viel direkte und validierende Ansprache geben“;

- „diese Dame weiterhin validieren“;

- „aufgrund von Angstattacken viele kleine validierende Kontakte ermögli-chen".

Im Kontext der Validation stehen auch die Konzepte der Biographiearbeit und Erinnerungspflege, wozu eine große Zahl von individuellen und kreati-ven Maßnahmen geplant wurde (49-mal). So wurden z.B. „Angehörige um Alben mit Fotos gebeten; „eine Stickkarte“, „eine Schreibmaschine“ oder „ein Stenoblock besorgt“ sowie „ein „Dackelbesuch organisiert“. Zweimal wurden Maßnahmen der Sterbegleitung geplant. Beispielsweise wurde die „Entwick-lung von Ideen für eine Sterbebegleitung: wenig alleine lassen, schöne Ge-fühle vermitteln“ als Maßnahme benannt oder auch „mit Angehörigen soll besprochen werden, ob einer sterbenden Bewohnerin ein religiöses Angebot gemacht werden soll“. Des Weiteren wurden individuelle Interaktions-/Kommunikationsregeln (7-mal) während der Maßnahmeplanungen entwor-

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fen, wie z.B. „langsamer mit Bewohnerin reden; einfach klare Sätze“ oder „häufiger Platt mit Bewohnerin sprechen“. Auch um die Bewohner zu moti-vieren, wurden neue Wege gesucht (3-mal). So sollte „mit Bewohnerin beim Essen geredet werden, um zu motivieren; langsames Anreichen im gleich-mäßigem Rhythmus des Löffels“. Bei einer anderen Bewohnerin wurde vor-geschlagen: „Bewohnerin soll ein Stück in den Arm genommen und dann in die Gruppe geführt werden“.

Dem Bewegungsbedürfnis wurde durch vielfältige Maßnahmen der Mobilisa-tion (15-mal) entsprochen. So wurde ein beispielsweise ein „Angebot an Ballspielen geplant, um aggressive Stimmungen abzubauen“; einer anderen Bewohnerin sollten „kleine Spaziergänge über den Wohnbereich ermöglicht werden“ und „ein Mitarbeiter schützend hinter ihr sein“. Im Hinblick auf die Ernährung einzelner Menschen mit Demenz wurden insgesamt vier Maß-nahmen geplant, die unterschiedliche Schwerpunkte hatten: Beispielsweise sollte eine „Bewohnerin aufgrund hohen Kalorienverbrauchs immer etwas zu essen bekommen, wenn sie es verlangt (Kekse und Joghurt)“; einer anderen sollte „trotz Sondennahrung weiterhin konventionelles Essen ermöglicht werden“.

Bei den zahlreichen Beschäftigungsangeboten (24-mal) gab es viele verein-zelte Ideen, wie z.B.:

- „Bewohnerin Umgang mit Tieren ermöglichen“;

- „Puzzle mit größeren Teilen anbieten“;

- „ihr Beschäftigung mit Wolle ermöglichen“;

- „Angebot von handwerklichen Tätigkeiten (z.B. Hausmeistertätigkeit)“.

Die Fruchtbarkeit der Maßnahmeplanungen zeigt sich deutlich in den 29 Maßnahmen, die einen so starken hochindividuellen Zuschnitt haben, dass sie in keine der anderen Kategorien eingebunden werden konnten, z.B.:

- „umgebundene störende Serviette wird durch Anklammern befestigt“;

- „Bewohnerin mit geringem Sehvermögen das Essen von links anreichen“;

- „jeden Morgen Tasse Kaffee ans Bett“;

- „Bewohner, der langsam isst, erhält einen Wärmeteller;

- „mit Bewohnerin über Puppe Paul kommunizieren“.

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Ein Wohlfühlen der Menschen mit Demenz über körperstimulierende Maß-nahmen wurde ebenfalls sehr häufig geplant (28-mal): „Ansprache einer Bewohnerin über leichte Massagen“; „Bewohnerin olfaktorische Angebote machen: Gerüche, schminken“; „Angebote mit Körperkontakt für Bewohnerin sowie Snoezelangebot“. Auch Beispiele für Maßnahmen, die eher in den körperpflegebezogenen Bereich (5-mal) zu integrieren sind, ließen sich fin-den: „Bewohner häufiger von Rollstuhl auf wirkliche Sitzmöbel setzen“ oder „Schamgefühl beachten: zu zweit arbeiten, schnell bedecken, ablenken, besondere Ansprache“.

Interpretation

Dieser große Anteil der individuellen Maßnahmen (64%) an allen Maßnah-men zeigt deutlich das Potenzial von DCM: Der Fremdblick und der Aus-tausch darüber stimulieren eine Hinwendung zu individuellen Lösungen und Maßnahmen, ganz im Sinne einer personzentrierten Pflege. Die Vielzahl von individuellen Maßnahmen ist des Weiteren ein Nachweis der Unterschied-lichkeit der Menschen mit Demenz, denen lediglich Symptome gemeinsam sind. Jedes Angebot, jede Kommunikation, jeder Kontakt benötigt einen individuellen Zuschnitt, um die einzelne Person zu berühren und so zu einer positiv besetzten Subjektwahrnehmung beizutragen.

5.3.2 Entwicklung des Verhaltens, das Personsein nährt

Das DCM-Verfahren weist eine ganze Reihe von Verhaltenskategorien aus, die das Potenzial besitzen, das Personsein von Menschen mit Demenz zu nähren (siehe auch Kap. 2.2 und 5.2.2). Diese werden als Typ 1-Kategorien bezeichnet. Bei der Evaluation der DCM-Daten wurde auch untersucht, wie sich das durchschnittliche Wohlbefinden während einer bestimmten Verhal-tenskategorie im Projektverlauf geändert hat und ob diese Veränderungen der WIB-Werte statistisch signifikant59 sind. Die Ergebnisse für die Kategorie F (Essen und Trinken) wurden bereits im Kapitel 4.4.1.4 dargestellt. Nach-folgend werden die Ergebnisse für die anderen Typ 1-Kategorien präsentiert. Zusätzlich wird hier auch die Sonderkategorie K mitberücksichtigt.

59 Wie bereits an anderen Stellen erwähnt, wird in diesem Bericht ein Signifikanzniveau von

0,05 (= 95%) verwandt.

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Verhaltenskategorie A (verbale und non-verbale Interaktion)

Der Verlauf der Kurve ist zunächst sehr schwankend. Nach einem relativ hohen Wohlbefinden zu Anfang des Projekts (Zeitpunkt 1) reduziert sich das Wohlbefinden bis zum dritten Zeitpunkt, steigt dann an, um bis zum sechs-ten Mapping wieder abzufallen. Deutlich ist der stetige Anstieg des Wohlbe-findens während des Verhaltens A (verbale und non-verbale Kommunikati-on) ab dem siebten Mapping zu ersehen.

Die nachstehende Tabelle dokumentiert die statistische Berechnung dieser Entwicklung, die sich hoch signifikant zeigt (p = 0,000). Verglichen wurden die Mittelwerte von 317 (N) Daten vor dem siebten Mapping (AM = 1,1956) mit 313 Daten (N) ab dem siebten Mapping (AM = 1,4997).

Variable Zeit-

punkte N60

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 313 1,4997 0,57982 ØWIB/A

< 7 317 1,1956 0,53614 0,000

60 In den folgenden Tabellen steht N für die Anzahl der Datensätze, die miteinander verglichen

wurden. Hier wurden die Ergebnisse für die verschiedenen Verhaltenskategorien für eine bestimmte Anzahl von Personen vor und nach dem siebten (A, E, G, I, L, M, P), sechsten (O), fünften (X) oder achten Mapping (K) verglichen.

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Verhaltenskategorie E (mit einer kreativen Tätigkeit beschäftigt sein)

Die Verlaufskurve zeigt keine durchgehende Systematik. Das Wohlbefinden während des Verhaltens E (kreative Tätigkeit) zeigt während des ersten Erhebungszeitpunkts einen Wert von 1,80, steigt danach leicht an, bevor sich das Wohlbefinden in Abstufungen bis zum sechsten Zeitpunkt reduziert. Danach ergibt sich eine starke Steigerung des Wohlbefindens, mit einem nochmaligen deutlichen Absinken während des neunten Zeitpunkts. Die letzten beiden Mappings (Zeitpunkt 10 und 11) zeigen wieder einen Anstieg des Wohlbefindens. Durch die nachfolgende Berechnung wird deutlich, dass die Veränderungen ab dem siebten Mapping statistisch signifikant sind (p = 0,047). Es wurden die Mittelwerte von 136 Daten vor dem siebten und von 131 Daten ab dem siebten Mapping miteinander verglichen. Die Standard-abweichungen betrugen ~0,90 bzw. ~0,92.

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 131 1,8145 0,92313 ØWIB/E

< 7 136 1,5912 0,90484 0,047

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Verhaltenskategorie G (Spiele)

Das Wohlbefinden während des Verhaltens G (Spiele) änderte sich im Ver-lauf des Projektes stark. Nach einem relativ hohen Wohlbefinden zu Projekt-beginn, reduzierte es sich in Stufen bis zum sechsten Mapping, mit Aus-nahme einer kleinen Steigerung während des vierten Erhebungszeitpunktes. Danach steigt das Wohlbefinden zunächst sehr stark, dann ein wenig, dann wieder stärker an, bevor es sich im zehnten Mapping noch einmal reduziert. Das letzte Mapping zeigt eine erneute Steigerung bis zu einem WIB-Wert von 2,2. Berechnet man die entsprechenden Daten, so ergibt sich ein durch-schnittliches Wohlbefinden von 1,2992 (AM) vor dem siebten Mapping und von 2,0049 (AM) danach. Die Veränderung erweist sich als statistisch signi-fikant (p = 0,000).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 47 2,0049 1,12755 ØWIB/G

< 7 111 1,2992 0,67960 0,000

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Verhaltenskategorie I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert)

Die Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens I verläuft im Zickzack, mit größer werdenden Amplituden. Auf eine Erhöhung des Wohl-befindens folgt immer wieder eine Reduzierung. Nach dem sechsten Erhe-bungszeitpunkt kommt es zu einer deutlichen Wohlbefindenssteigerung, die allerdings während des neunten Mappings wieder deutlich abnimmt. Trotz des diffusen Verlaufs der Kurve zeigt sich die Berechnung der Veränderung statistisch hoch signifikant (p = 0,000). Es wurden dabei 60 Daten (N) mit einem Mittelwert von 1,4498 mit 100 Daten (N) mit einem Mittelwert von 1,9765 verglichen.

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 100 1,9765 0,88836 ØWIB/I

< 7 60 1,4498 0,81563 0,000

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Verhaltenskategorie L (Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeit)

Während die Menschen mit Demenz arbeiteten oder sich mit Pseudo-Arbeit (L) beschäftigten, empfanden sie stark unterschiedlich ausgeprägtes Wohl-befinden. Zunächst ergibt sich ein WIB-Wert von ~1,3, der dann sinkt, sich wieder steigert und dann zweistufig abnimmt bis zum sechsten Mapping. Im Anschluss steigert sich das Wohlbefinden während der Verhaltenskategorie L sehr stark und bleibt auf einem hohen Niveau, mit einer kleinen Absen-kung während des zehnten Mappings. Auch hier lässt sich die Veränderung im Wohlbefinden als statistisch hoch signifikant berechnen (p = 0,000). Das durchschnittliche Wohlbefinden während der ersten sechs Mappings betrug 1,0889 (AM), bei einer Standardabweichung von ~0,54. Für die Mappings 7 bis 11 errechnete sich ein mittlerer Wohlbefindenswert von 1,4176 (AM), bei einer Standardweichung von ~0,72.

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 159 1,4176 0,71366 ØWIB/L

< 7 153 1,0889 0,54430 0,000

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Verhaltenskategorie M (sich mit Medien beschäftigen)

Der Anfangswert des Wohlbefindens während des Verhaltens M liegt bei etwa 1,20, fällt dann ab, steigert sich wieder, bevor er auf den geringsten durchschnittlichen Wohlbefindenswert abrutscht (~0,9). Danach steigt er stark an bis zum achten Mapping. In den letzten drei Mappings reduziert sich das Wohlbefinden dann wieder sukzessive bis zu einem Wert von ~1,28. Der Vergleich der Ergebnisse vor und ab dem siebten Mapping ergibt eine statistisch hoch signifikante Veränderung (p = 0,000). Der Mittelwert der 119 Daten vor dem siebten Mapping lag bei 1,1286 (AM), ab dem siebten Mapping lag der Mittelwert der 135 Daten bei 1,4459 (AM).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 135 1,4459 0,68062 ØWIB/M

< 7 119 1,1286 0,64966 0,000

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Verhaltenskategorie O (sich unabhängig selber pflegen)

Die Menschen mit Demenz zeigten im Verlauf des Projekts sehr unter-schiedliche durchschnittliche Wohlbefindenswerte während des Verhaltens O (Selbstpflege). Zunächst lag das Wohlbefinden bei etwa 0,9, steigerte sich danach auf einen kurz stabilen Wert von 1,0 und fiel dann in zwei Stufen ab bis zum fünften Mapping. Danach zeigt sich eine intensive Steigerung des Wohlbefindens bis zum siebten Zeitpunkt auf einen Wert von ca. 1,23. An-schließend reduziert sich das Wohlbefinden wieder, bevor es dann im zehn-ten und elften Mapping erneut steigt. Die Mittelwerte vor dem sechsten Map-ping (AM = 0,9363) wurden mit denen ab dem sechsten Mapping (AM = 1,0843) verglichen. Diese Veränderung zeigte sich statistisch signifikant (p = 0,008).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 6 178 1,0843 0,51997 ØWIB/O < 6 135 0,9363 0,43838

0,008

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Verhaltenskategorie P (praktische, physische oder personale Pflege erfahren)

Die Verlaufskurve des Wohlbefindens während des Verhaltens P ist sehr diffus. Stetige Schwankungen zwischen dem ersten und sechsten Mapping werden durch eine starke und tendenzielle Steigerung des Wohlbefindens unterbrochen, die zwischen dem neunten und zehnten Mapping ein wenig geringer ist, aber dennoch auf einem deutlich höheren Niveaus als zu An-fang des Projekts liegt. Das durchschnittliche Wohlbefinden (AM) vor dem siebten Mapping lag bei 1,1183 (N = 208) und ab dem siebten Mapping bei 1,4805 (N = 200). Die Berechnung des Signifikanzniveaus ergab ein hoch signifikantes Ergebnis (p = 0,000).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 200 1,4805 0,83116 ØWIB/P

< 7 208 1,1183 0,80015 0,000

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Verhaltenskategorie X (Ausscheidung)

Aus der Abbildung geht hervor, dass bei dieser Verhaltenskategorie jeder Senkung des durchschnittlichen Wohlbefindens eine Steigerung folgt, mit abnehmenden Amplituden. Ab dem fünften Mapping zeigt sich eine generel-le Tendenz der Wohlbefindenssteigerung während der Beschäftigung mit der Ausscheidung (X), mit Absenkungen während des siebten und zehnten Mappings. Das durchschnittliche Wohlbefinden steigerte sich im Vergleich der Mappings 1 bis 4 (AM = 0,4444) und 5 bis 11 (AM = 0,9068). Die Be-rechnungen ergaben eine statistisch signifikante Veränderung (p = 0,029).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardabwei-chung (SD)

Signifikanz- niveau (p)

>= 5 73 0,9068 1,09295 ØWIB/X

< 5 45 0,4444 1,12423 0,029

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Verhaltenskategorie K (unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen)

Das durchschnittliche Wohlbefinden während des Verhaltens K fällt vom ersten bis zum sechsten Mapping. Danach steigt es bis zum letzten Mapping relativ stark an, mit einer kleinen Ausnahme während des zehnten Map-pings. Im Vergleich der Mittelwerte der 231 Daten vor dem achten Mapping (AM = 1,1017) mit den 152 Daten ab dem achten Mapping (AM = 1,3737) ergibt sich eine hoch signifikante statistische Entwicklung (p = 0,000).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab- weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 8 152 1,3737 0,67311 ØWIB/K

< 8 231 1,1017 0,56206 0,000

_____________________________________________________________

Für folgende Typ 1-Kategorien konnten bei der Evaluation der DCM-Daten keine statistischen Signifikanzen nachgewiesen werden:

H (handwerkliche Tätigkeit), J (sportliche oder gymnastische Übung), R (an einer religiösen Aktivität teilnehmen), S (Tätigkeit mit explizit sexuellem Selbstausdruck) und T (Beschäftigung mit sinnlicher Wahrnehmung).

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Interpretation

Alle Typ1-Kategorien besitzen das Potenzial, Menschen mit Demenz eine positive Wahrnehmung ihrer selbst zu ermöglichen. Die Ergebnisse in Bezug auf das durchschnittliche Wohlbefinden bei Tätigkeiten, die zu den Typ 1-Kategorien zählen, zeigen eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens im Verlauf des Projekts. D.h. es konnte nachgewiesen werden, dass nicht nur die Häufigkeit eines bestimmten Verhaltens zugenommen hat, sondern auch die Qualität desselben.

So ist insbesondere die Erhöhung des durchschnittlichen Wohlbefindens während der verbalen und non-verbalen Kommunikation (Verhaltenskatego-rie A) sehr positiv zu bewerten. Kommunikation bedeutet immer, sozial ein-bezogen zu sein, gleich ob im Kontakt mit anderen Bewohnern, Angehörigen oder Mitarbeitern. Anhand der Auszüge aus den Protokollen der Maßnah-meplanungen wurde deutlich, auf welch unterschiedlichen Ebenen Kommu-nikation auf das Gegenüber, in diesem Fall auf Menschen mit Demenz, an-gepasst werden muss: Kontaktaufnahme, Wortwahl, Sprachgeschwindigkeit, Sprachstil.

Die Gründe für die Steigerung des Wohlbefindens während der Verhaltens-kategorien A, E, G, I, L, M, O, P, X und K als Sonderkategorie, sind vielfältig:

Die bereits gemachten Angebote an die Menschen mit Demenz (z.B. Spielen, Arbeiten und Pseudo-Arbeit) wurden feiner auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt, was den Menschen eine posi-tivere Wahrnehmung ihrer selbst ermöglichte.

Über Wege der Biographie-Erforschung und durch die DCM-stimulierten Beobachtungsergebnisse wurden alternative Angebote gefunden, die eine größere individuelle Passung zeigten.

Durch die Verwirklichung des Präsenzprinzips und andere organisatori-sche Veränderungen wurde es möglich, mit den Bewohnern intensiver und kontinuierlicher Kontakt zu halten.

Die Haltung und Wahrnehmung der Mitarbeiter wurde durch Fortbildun-gen und den DCM-Prozess im Sinne eines Paradigmenwechsels verän-dert, was eine andere Qualität der Begleitung bei den unterschiedlichen Beschäftigungen ermöglichte.

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5.3.3 Entwicklung des Verhaltens, das Personsein gefährdet

In diesem Teil des Berichts werden die Typ 2-Kategorien näher betrachtet, die, dem Ansatz der personzentrierten Pflege nach, das Personsein des Menschen mit Demenz gefährden oder untergraben können (siehe auch Kap. 2.2 und 5.2.2). Zu diesen zählen: B (Beobachten, auf passive Weise sozial einbezogen sein), C (sozial unbeteiligt und zurückgezogen sein), D (Stress ohne Begleitung, vernachlässigter Distress), U (Kommunizieren oh-ne Antwort), W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen).

Für die Typ 2-Kategorien U (Kommunizieren ohne Antwort) und Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen) konnten aufgrund der we-nigen Daten keine statistischen Berechnungen angestellt werden. Für das Wohlbefinden während der Sonderkategorie N (Schlaf) wurde keine statis-tisch signifikante Veränderung erkennbar. Die Veränderung des Wohlbefin-dens bei den Kategorien B, C und D konnte aufgrund von Kodierungsfehlern nicht berechnet werden. Bei der Evaluation der DCM-Daten war deutlich geworden, dass die Mapper beim Kodieren bestimmte Regeln des DCM-Verfahrens nicht beachtet hatten. So ist u.a. festgelegt, dass es für die Ver-haltenskategorie B keine negativen Wohlbefindenswerte geben kann und umgekehrt gilt für die Kategorien C und D, dass sie nicht mit positiven Wer-ten belegt werden können.61 Die Mapper haben ausweislich des vorliegen-den Datenmaterials aber offensichtlich einige Zeiteinheiten fälschlicherweise mit B -1, C +1 und D +1 kodiert. Durch diese Kodierungsfehler ist keine durchgängige Glaubwürdigkeit der erhobenen Daten bezogen auf diese Verhaltenskategorien gegeben. Demnach wurden in diesem Bericht keine statistischen Untersuchungen hierzu angestellt.

Insgesamt konnte nur für das Verhalten W (repetitive Selbststimulation) eine statistisch signifikante Veränderung des durchschnittlichen Wohlbefindens festgestellt werden (p = 0,039). Die nachstehende Graphik verdeutlicht den Verlauf des Wohlbefindens während repetitiver Selbststimulation (W) über die dreijährige Projektphase hinweg.

61 vgl. Bradford Dementia Group (1997).

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Verhaltenskategorie W (repetitive Selbststimulation)

Deutlich wird ein sehr heterogener Verlauf. Zu Beginn zeigten die Menschen mit Demenz ein sehr geringes Wohlbefinden von etwa 0,2, das sich im dar-auf folgenden Mapping erhöht, dann wieder zweistufig abfällt, um wieder auf einen Wert von 0,68 anzusteigen. Der weitere Verlauf innerhalb der letzten sechs Mappings ist ebenfalls wieder durch ein Steigen und Fallen geprägt, aber auf einem grundsätzlich höheren Niveau, verglichen mit den Werten der ersten fünf Mappings. Das mittlere Wohlbefinden (AM) betrug vor dem siebten Mapping 0,4383 und danach 0,7229. Vergleicht man diese Werte auf der Grundlage der Datensätze (N = 60 und 48) ergibt sich eine statis-tisch signifikante Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens W (p = 0,039).

Variable Zeit-

punkte N

Mittelwert (AM)

Standardab-weichung (SD)

Signifikanz-niveau (p)

>= 7 48 0,7229 0,63589 ØWIB/W

< 7 60 0,4383 0,75399 0,039

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Interpretation

Die Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens W (repetitive Selbststimulation) hin zu höheren Wohlbefindenswerten ist erfreulich. Denn obwohl dieser Verhaltenskategorie nach dem Ansatz der personzentrierten Pflege eher eine destruktive Wirkung auf Menschen mit Demenz zugespro-chen wird, hat dieses Verhalten mit einem im Projekt erreichten Mittelwert von 0,72 (AM) kaum noch das Potenzial, Personsein zu gefährden. Eine Erklärung für das Ansteigen der WIB-Werte könnte sein, dass eine mit Un-wohlsein besetzte repetitive Selbststimulation (W) im Verlauf des Projekts durch die Mitarbeiter vermehrt wahrgenommen und entsprechend interve-niert werden konnte (z.B. durch Beschäftigungsangebote). Dagegen wurden die repetitiven Selbststimulationen, die von einem Wohlbefinden begleitet waren, als nicht veränderungsnotwendig erachtet. Diese These kann durch die Ergebnisse über die Veränderung der Quantität von W im Verlauf des Projekts gestützt werden, da sich die Häufigkeit von W von durchschnittlich ~2,1% vor dem siebten auf ~0,9% ab dem siebten Mapping statistisch signi-fikant reduzierte (siehe Kap. 5.2.2).

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6. Organisationsentwicklung im DCM-Projekt: vier Fallbeispiele

Im Rahmen einer Masterarbeit der Pflegewissenschaft mit dem Titel „Die Entwicklung personzentrierter Pflege im Rahmen eines Modellprojekts“ an der Universität Witten/Herdecke62 wurden vier ausgewählte Einrichtungen des Projektverbundes Marburg-Biedenkopf intensiver untersucht.

Die zugrunde liegende Forschungsfrage dieser Evaluationsstudie lautete: Welche Entwicklungsaspekte werden in ausgewählten Einrichtungen des Projektverbundes Marburg-Biedenkopf durch die prozesshaften DCM-Eva-luationen und durch die schriftlich dokumentierten Diskussionen verschiede-ner Akteure ersichtlich?

Methodisches Vorgehen

Alle beteiligten stationären Einrichtungen63 des Modellprojekts wurden über den Wunsch, die Entwicklung personzentrierter Pflege zu evaluieren, infor-miert und um ihr Einverständnis gebeten, auf ihre Daten zugreifen zu dürfen. Alle angeschriebenen Einrichtungen gaben die Einwilligung zur Nutzung ihrer Daten, die in anonymisierter Form erfolgte. Ausgewertet wurden die digitalisierten Daten der DCM-Beobachtungen und die prozessbegleitenden Sitzungsniederschriften. Zu Beginn dieser Evaluationsstudie lagen die Daten von neun bis zehn DCM-Beobachtungszyklen vor.

Die Auswahl von Einrichtung I und II erfolgte zufällig. Die dort erhobenen DCM-Daten wurden bezogen auf die Entwicklung der WIB-Werte und der Verhaltenskategorien analysiert. Bei der Auswahl von Einrichtung III und IV wurden gezielt Einrichtungen mit DCM-Beobachtungen gesucht, die anders verliefen als in Einrichtung I und II, um einen kontrastierenden Verlauf in die Analyse einbeziehen zu können. So entstanden vier „DCM-Verlaufstypen“, welche das Verlaufsspektrum der DCM-Daten aller beteiligten stationären Einrichtungen repräsentierten.

Die Analyse der DCM-Daten aus den Einrichtungen umfasste folgende Schritte: 62 vgl. Riesner, C. (2005). 63 Im Projekt war auch eine teilstationäre Einrichtung beteiligt, die für diese Evaluation aller-

dings ausgeschlossen wurde. Der Auftrag und die Tagesstruktur in einer teilstationären Ein-richtung unterscheiden sich von denen in stationären Einrichtungen, so dass kein linearer Vergleich möglich ist.

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Eine Quartilsberechnung der WIB-Werte jeder Beobachtung von Einrich-tung I bis IV: die Berechnung des Streuungsmaßes der WIB-Werte für jede Beobachtung in jeder Einrichtung.

Die individuellen und gruppenbezogenen WIB-Punktzahlen: die Berech-nung des Durchschnitts der WIB-Werte für eine Person/für eine Gruppe von Personen.

Das WIB-Wert-Profil: die Berechnung der sechs Stufen der WIB-Werte als proportionale Anteile.

Das Gitter der Verhaltenskategorien: die Auszählung aller vorgekomme-nen Verhaltenskategorien.

Das Gruppenverhaltensprofil: die Berechnung des WIB-Wert-Durch-schnitts in jeder Verhaltenskategorie.

Zusätzlich wurden die jeweilige Beobachtungszeit und die Anzahl der beobachteten Teilnehmer festgehalten.

Nach der Analyse der DCM-Daten der vier Einrichtungen wurden die Nie-derschriften von Sitzungen analysiert, die im Projektverlauf stattgefunden haben. Diese Sitzungsprotokolle, die der Projektkoordinatorin vorlagen, wa-ren von den jeweils zuständigen externen Beratern der Einrichtung erstellt worden. Sie dokumentierten Diskussionen, Befindlichkeiten, Entwicklungen und Einschätzungen im Projektverlauf. Damit gab dieses Material Auf-schluss über die konkreten Themen der Organisationsentwicklung jeder Einrichtung. Das gesamte Textmaterial wurde zuerst gesichtet, um einem Überblick über die enthaltenen Themen zu erhalten. Die Seitenzahl der Tex-te lag zwischen 70 und 110 Seiten. Für eine intensivere Analyse dieser Textmaterialien erfolgte eine Auswahl von 20% bis 25% der Seiten, die den Diskussionsverlauf repräsentierten. Das ausgewählte Material wurde an-hand der qualitativen Inhaltsanalyse von Philip Burnard analysiert, wobei ein Kategoriensystem gebildet wird, um ein tieferes Verständnis über den Inhalt der Texte zu erhalten.64

Im Folgenden werden Aussagen von Tom Kitwood zu fördernden und hem-menden Faktoren der Organisationsstruktur für personzentrierte Pflege bei Demenz skizziert. Es folgt ein komprimierter Überblick über die Entwick-lungsmerkmale von Einrichtung I bis IV, die mit Kitwoods Thesen zur Orga-

64 vgl. Burnard, P. (1991): A method of analysing interview transcripts in qualitative research.

In: Nurse Education Today 11.1991.6: 461-466.

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nisationsstruktur verbunden werden. Abschließend wird der Zusammenhang zwischen Merkmalen des Wohlbefindens für Personen mit Demenz und für Mitarbeiter hergestellt.

Personzentrierte Pflege und Organisationsstruktur

Für das Dementia Care Mapping wurde Kitwoods Theorie des Wohlbefin-dens operationalisiert. Mit DCM, das als prozesshaftes Instrument der Pra-xisevaluation konzipiert ist, wird das relative Wohlbefinden von Menschen mit Demenz ermittelt (siehe Kap. 2). Dabei stellte Kitwood folgende Glei-chung auf: Relatives Wohlbefinden entspricht guter Pflegequalität.65 Diesen Zusammenhang spezifizierte er mit der Aussage, dass es in jeder Organisa-tion, die einen Dienst am Menschen leistet, Parallelen gibt zwischen der Art, wie Mitarbeiter behandelt werden, und der Art, wie diese die Klienten be-handeln.66

Kitwood geht davon aus, dass Organisationsstil und -struktur die Entwick-lung personzentrierter Pflege beeinflussen. Er entwarf zwei Typen von Pfle-ge-Settings, die unterschiedliche Organisationsmerkmale aufweisen. Wäh-rend die Typ A-Organisation sich für die Entwicklung personzentrierter Pfle-ge nicht eignet, fördern die Organisationsmerkmale bei Typ B die Entwick-lung personzentrierter Pflege.

Zwei Arten des Pflege-Settings67

Typ A Typ B Rolle des Managers autoritär, distanziert beispielhaft, zugänglich Statusunterteilungen unter dem Personal

groß, rigide gering, flexibel

Status der Klienten am niedrigsten von allen dem Personal gleichge-stellt

Kommunikation in eine Richtung, unpersönlich

in beide Richtungen, zwischenmenschlich

Gefühle und Verletzlichkei-ten

verborgen, unverarbeitet offen zutage liegend, bearbeitet

Machtgefälle hoch gering

65 vgl. Bradford Dementia Group (1997). 66 vgl. Kitwood, T. (2000). 67 vgl. Kitwood, T. (2000).

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6.1 Fallbeispiel I

Analyse der DCM-Daten

Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung I ergab, dass sich das Wohlbe-finden der Personen mit Demenz im Prozessverlauf hauptsächlich im WIB-Wert +1 bewegte. Der WIB-Wert +1 besagt, dass keine Anzeichen für Un-wohlsein vorhanden sind, aber auch keine Anzeichen für deutliches Wohlbe-finden. Ein gesteigertes Wohlbefinden wurde selten kodiert, negative WIB-Werte sind in fast allen Beobachtungen ebenfalls in geringer Zahl vertreten. Die deutlichste Entwicklung auf der WIB-Wert-Ebene zeigt sich in der relati-ven Anhebung der niedrigsten individuellen WIB-Punktzahlen von minimal 0,5 auf maximal 1,0.

Gruppenbezogenes WIB-Wert Profil in Einrichtung I (absolute Häufigkeit)

Auf der Ebene der Verhaltenskategorien tritt außer F (Essen und Trinken = 571 Kodierungen) und P (physische Pflege erfahren = 118 Kodierungen) von den erwartbaren Kategorien nur A (verbale und non-verbale Interaktion = 360 Kodierungen) quantitativ in den Vordergrund. Die Typ 1-Kategorie M (Beschäftigung mit Medien = 79 Kodierungen) findet sich fast kontinuierlich. Dies kann durch Fernsehen, Beschäftigung mit Zeitschriften oder Ähnlichem geschehen sein. Andere Typ 1-Kategorien (siehe Kap. 2.2) treten in einzel-nen Beobachtungen auf. Gerade in diesen Kategorien kommt es jedoch zu häufigeren Steigerungen des WIB-Wertes +3, so bei der Kategorie E (kreati-ve Tätigkeit = 35 Kodierungen), G (Spiele = 82 Kodierungen) und J (Gym-nastik = 8 Kodierungen). Allerdings wurde im vierten Beobachtungszyklus einmal Unwohlsein in der Kategorie I (intellektuelle Aktivität = 31 Kodierun-gen) kodiert (WIB-Wert-Durchschnitt: –1,7).

DCM-Beobachtung 2 3 4 5 6 7 8 9

+5 0 0 2 0 0 0 0 0

+3 0 6 8 19 18 36 48 24

+1 51 124 152 362 344 310 349 335

-1 0 19 11 9 15 20 10 10

-3 0 0 1 0 0 0 3 1

WIB

-Wer

t

-5 0 0 0 0 0 0 0 0

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Analyse der Sitzungsprotokolle

Die Analyse der Sitzungsprotokolle zeigt einen interessierten und kreativen Beginn des Projektes. Verschiedene Professionen sind beteiligt, es entste-hen Diskussionen um die Selbständigkeit beim Essen und Beschäftigungs-angebote werden ausgeweitet. Ebenso dokumentieren die Textmaterialien, dass insbesondere zu Beginn des Projektes Kommunikations- und Koopera-tionsprobleme im Team vorhanden waren. Nach einer Intervention scheint eine kurze Entspannung einzutreten, die Stimmung verbessert sich und Zuständigkeiten sind geregelt. Im weiteren Verlauf des Projektes nehmen die Kommunikations- und Kooperationsprobleme allerdings wieder zu.

Nach der Anfangsphase des Projekts tritt eine räumliche Umstrukturierung in den Vordergrund. Mitarbeiter machen sich nun Sorgen über die Personalsi-tuation nach der Umstrukturierung und sind später unzufrieden mit der Per-sonalaufteilung. Es entsteht ein Erschöpfungszustand, der dazu beiträgt, dass DCM eher als Belastung empfunden wird. Erschöpfung wird hier paral-lel auf der Leitungsebene geäußert. Weiter ist die Leitung in Besprechungen nicht mehr anwesend und wird von den Mitarbeitern vermisst. Die Mitarbei-ter fühlen sich vernachlässigt. Während die Leitung zum Beginn des Pro-zesses gemeinsam mit den Mitarbeitern Themen bearbeitet, kommt es spä-ter zu Forderungen der Leitung gegenüber den Mitarbeitern. Sie erwartet mehr kreative Eigenverantwortung und die Umsetzung des Ziels, Bewohner so zu pflegen, wie man es sich für sich selbst und seine Familie wünscht. Die Mitarbeiter können diese Erwartung der Leitung nicht erfüllen, sie erhof-fen sich hier mehr Anleitung und positive Kritik. Möglich ist, dass die Leitung mit anderen belastenden Inhalten beschäftigt ist und deswegen die selb-ständige Übernahme der Entwicklung personzentrierter Pflege durch das Team fordert. Die Leitung zeigt sich mehr und mehr distanziert.

Die Gruppe der Mitarbeiter agiert nicht geschlossen. Die Aussagen in den Protokollen zeigen, dass trotz der zwischenzeitlichen kurzen Entspannung die Kooperationsprobleme im Team während des gesamten Prozesszeit-raums bestehen bleiben. Es wird aber auch festgehalten, dass es integrative Mitarbeiter gibt, die mit allen gut zurechtkommen.

Die Befindlichkeit der Personen mit Demenz wird im Prozess nur zu Beginn thematisiert, im weiteren Prozessverlauf sind die Ebenen der Mitarbeiter und Leitung dominant.

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Die Analyse der Entwicklung personzentrierter Pflege in Einrichtung I zeigt, dass notwendige Veränderungen der Arbeitsroutinen nicht vollzogen wur-den. Fördernde Faktoren der Entwicklung personzentrierter Pflege konnten daher nicht identifiziert werden. Dagegen wurden hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung in Einrichtung I deutlich:

Die Beziehungsebene der Mitarbeiter lässt keine sicheren Absprachen bei der Entwicklung neuer Arbeitsformen zu.

Die Entwicklungen bestehen in den Anforderungen personzentrierter Pflege und parallel dazu in der organisatorischen Umstrukturierung auf räumlicher Ebene. Die Mitarbeiter sind verunsichert, weil sie die räumli-chen Veränderungen bezogen auf ihre Tätigkeiten nicht hinreichend ein-schätzen können und in diese Entwicklung nicht genug eingebunden sind. Die Inhalte personzentrierter Pflege treten dadurch in den Hinter-grund.

Während die Leitung zu Beginn des Prozesses beteiligt war, fehlte sie im letzten Drittel des Prozesses. Das Fehlen der Leitung bewirkt Unsi-cherheit, die Mitarbeiter erwarten Anleitung. Sie fordern auch positive Kritik im Sinne einer Antwort auf die Frage „Was machen wir richtig?“

Die Leitung erwartet eigenständiges, begründetes Handeln der Mitarbei-ter. Ideen und Kreativität sollen von den Mitarbeitern ausgehen. Die Verantwortung der Mitarbeiter soll sich nach eigenen familiären Ge-sichtspunkten richten. Diese Erwartung könnte eine Übertragung der Leitungsrolle an die Mitarbeiter darstellen.

Die Ebene der Personen mit Demenz, die den eigentlichen Fokus des DCM-Projektes darstellen, konnte nicht ausreichend bewusst gemacht werden. Sie sind in Einrichtung I nicht in die Rolle von aktiv Beteiligten gehoben worden, weil Themen, die die Unsicherheit, die Abhängigkeit und die Verlassenheit der Mitarbeiter betrafen, zu mächtig waren, um sich auch die Abhängigkeit der Personen mit Demenz bewusst machen zu können.

Merkmale der Organisationsstruktur

In Einrichtung I wird der Prozessverlauf durch strukturelle Veränderungen belastet, die auch dazu führen, dass die Leitung in der zweiten Hälfte des Prozesses abwesend ist, aber nicht im Sinne einer autoritär distanzierten Haltung, wie sie Kitwood bei einer Typ A-Organisation beschreibt. Die Sta-

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tusunterteilungen der Mitarbeiter sind in Einrichtung I nicht groß. Am deut-lichsten werden hier die nicht verarbeiteten Gefühle und Verletzlichkeiten (Überforderung, Frustration, Unsicherheit und Unzufriedenheit, Erschöp-fung), die einer Typ A-Organisation entsprechen. Die Kommunikation im Team ist gestört und zeigt sich durch mangelnde Kooperation und Abwe-senheit von Mitarbeitern auf Sitzungen. Zusammengefasst entspricht der Beginn des Projektes in Einrichtung I eher der Typ B-Organisation, denn Leitung und Mitarbeiter agieren hier noch gemeinsam. Während der zweiten Hälfte des Prozesses treten durch Strukturveränderungen und Abwesenheit der Leitung eher Merkmale einer Typ A-Organisation auf.

In Einrichtung I wirken sich die Strukturveränderungen als Krise für die Mit-arbeiter aus, der sie sich hilflos ausgesetzt fühlen. Die Abwesenheit der Leitung und deren Forderung an die Mitarbeiter, nun den Prozess selbst in die Hand zu nehmen, erinnert an ein krisenhaftes Familiengeschehen, in der die Kinder plötzlich sich selbst überlassen sind. Die Situation legt nahe, an eine Familienkonstellation zu denken, die durch fordernde und abwesende Eltern (Leitung) einerseits und sich ungeliebt und verlassen fühlende Kinder (Mitarbeiter) andererseits repräsentiert wird. Es muss hier betont werden, dass der Familienvergleich nicht infantilisierend verstanden werden darf, sondern die Beziehungsebenen und Abhängigkeiten zwischen Leitung und Mitarbeitern zum Ausdruck bringen soll. Mitarbeiter in Unternehmen sind gemäß Rechtsstatus abhängig Beschäftigte. Anhaltspunkte für eine Be-schäftigung in einem Arbeitsverhältnis sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.68 Dieser Sachverhalt wirft interessante Fragen auf, wenn die Arbeitsorganisa-tion verändert werden soll, wie es im Rahmen des DCM-Projektes der Fall war.

Die täglich zu erbringende Leistung der Beschäftigten verändert sich teilwei-se grundlegend, wenn personzentrierte Kriterien eingeführt werden. So kann z.B. die definierte Leistung einer Ganzwaschung aus personzentrierter Sicht ggf. nicht standardisiert erbracht werden, wenn die Person mit Demenz sich nicht waschen lassen möchte. Dieser Wunsch muss respektiert werden, weil die Person mit Demenz als wichtigstes Prinzip Anerkennung erfahren muss, um sich wohl zu fühlen. Hier wird deutlich, dass personzentrierte Pflege bei Demenz eine grundlegende Anpassung der Arbeitsorganisation erfordert

68 vgl. Ströer, H. (Hg.) (2005): Sozialgesetzbuch (SGB). 33. Auflage. München.

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und nicht nur als betreuerische Aufgabe zwischen den traditionellen pflege-rischen Versorgungszeiten verstanden werden kann. Das Beobachtungsin-strument DCM bringt ein personzentriertes Verständnis in das Team, wel-ches über die im öffentlichen Bereich der Einrichtung gemachte Beobach-tung hinausgeht.

Die Beziehung zwischen abhängig Beschäftigten und Leitung mit einer Fa-milienkonstellation zu vergleichen, bedeutet unter diesem Gesichtspunkt, dass bei einer grundlegenden Umstrukturierung der organisatorische Rah-men nur durch die Leitung geschaffen werden kann. Die Leitung ist wei-sungsgebend und legt damit unternehmerische Handlungsfreiräume und Grenzen fest. Im übertragenen Sinn nimmt sie die Rolle der Eltern in einer Familie ein. Geschieht dies nicht eindeutig genug, so sind die abhängig be-schäftigten Mitarbeiter nicht in der Lage zu erkennen, was unter diesen neu-en Bedingungen erlaubt-gefordert oder verboten-unerwünscht ist. Die Über-tragung der Rolle der Beschäftigten ist die von Kindern, die abhängig vom familiären Rahmen sind, den die Eltern vorgeben. Dieser Rahmen muss in der Familie wie auch im Beschäftigungsverhältnis verstanden werden, um sicher ausgefüllt werden zu können. Dies wird nicht allein durch Anweisun-gen erreicht, sondern muss auf der Beziehungsebene gestaltet werden.

Allerdings gestalten sich die Beziehungen in Einrichtungen der Altenhilfe selten ausschließlich nach einem „Top-Down“-Prinzip. Mitarbeiter haben hier durchaus die Möglichkeit, ihren Arbeitsbereich kreativ zu gestalten und im Team eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Hier ist die Bezie-hungsebene der Mitarbeiter zueinander und zwischen Mitarbeitern und Lei-tung entscheidend, denn gemeinsam muss eine Einigung über Handlungen erzielt werden. Die Pflegemitarbeiter erbringen eine Teamleistung und keine abgrenzbare Einzelleistung, wie die Erstellung und Umsetzung jeder Pflege-planung deutlich macht.

6.2 Fallbeispiel II

Analyse der DCM-Daten

Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung II ergab, dass sich eine negative Entwicklung der WIB-Werte abzeichnete. Der sechste und siebte Beobach-tungszyklus enthielt besonders niedrige individuelle und gruppenbezogene WIB-Punktzahlen. Die Tabelle des WIB-Wert-Profils zeigt, dass in diesen

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Beobachtungen jeweils 67-mal WIB-Werte von –1 kodiert wurden. Eine deutliche Steigerung des WIB-Wertes +3 gab es nicht. Die Streuung der WIB-Werte lag bezogen auf den Gesamtprozess bei +1.

Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung II (absolute Häufigkeit)

DCM-Beobachtung 2 3 4 5 6 7 8 9

+5 0 0 1 0 0 0 0 0

+3 27 19 16 15 6 31 23 5

+1 184 300 232 323 223 262 314 316

-1 4 16 17 22 67 67 0 7

-3 0 1 0 4 3 6 0 0

WIB

-Wer

t

-5 0 0 0 0 0 5 0 0

Die höchste Anzahl der Nennungen bei den Verhaltenskategorien wurde in der Kategorie F (Essen und Trinken = 678) verzeichnet. Kategorie B (Beo-bachten = 650) folgt an zweiter Stelle. Die Kategorie A (verbale und non-verbale Interaktion = 273) steht an dritter Stelle, gefolgt von N (Schlaf im öffentlichen Bereich = 240). Andere Typ 1-Kategorien wurden gelegentlich kodiert, lassen jedoch keine Entwicklung erkennen. Verschiedene Typ 1-Kategorien sind nicht vertreten. So kommen G (Spiele), I (intellektuelle Akti-vität) und R (Religion) nicht vor.

Insgesamt zeigt sich in Einrichtung II ein negativer Entwicklungsverlauf. Auf der Ebene des Wohlbefindens der Personen mit Demenz entsteht keine Verbesserung. Die Anzahl der negativen WIB-Werte nimmt in der sechsten und siebten Beobachtung zu, die WIB-Werte +3 und +5 sind kaum vertreten. Die Beschäftigung der Personen mit Demenz findet überwiegend durch Es-sen und Trinken und passives Beobachten statt. Auch diese Beschäftigun-gen könnten mit gesteigertem Wohlbefinden erlebt werden, dies wird in Ein-richtung II jedoch nicht erreicht.

Analyse der Sitzungsprotokolle

Die Analyse der Sitzungsprotokolle ergab ein bedrückendes Bild der Hilfs- und Hoffnungslosigkeit. Negative Gefühle und Stimmungen werden in den Kategorien Bedrückung, Hemmung, Misstrauen, Stress, Angst und Hoff-nungslosigkeit geäußert. Positive Gefühlsäußerungen kommen nicht vor.

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Die Kommunikation zwischen Leitung und Mitarbeitern wie auch innerhalb der Mitarbeitergruppe ist stark gestört. Die Betreuung der Personen mit De-menz wird eher durch junge Praktikanten und Zivildienstleistende übernom-men und stellt keinen qualifizierten Anteil der Leistungen dar. Die Befindlich-keit von Personen mit Demenz wird nicht thematisiert. Auch wenn im Pro-zessverlauf Verbesserungen geplant sind, so z.B. die Übernahme von Betreuungsaufgaben durch pflegerische Mitarbeiter oder die Verbesserung der Einhaltung von Absprachen, so können diese doch nicht wirkungsvoll umgesetzt werden.

Fördernde Faktoren der Entwicklung personzentrierter Pflege fanden sich nicht. Die Gründe für hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung in Einrichtung II konnten in der Analyse der Textmaterialien erarbeitet werden:

Die Mängel in Einrichtung II entstehen durch den autoritären Führungs-stil der Leitung, durch ständig wechselnde Mitarbeiter und durch nicht verbindlich erfolgende Absprachen hinsichtlich der durchzuführenden Tätigkeiten.

In Bezug auf die Leitung konnte festgestellt werden, dass deren Ent-scheidungen zu Orientierungslosigkeit führen. Mitarbeiter wissen nicht, welchen Weg sie gehen sollen. Der konkrete Kontakt zur Leitung wirkt sich bedrohlich für die Mitarbeiter aus.

Die fehlende Orientierung der Mitarbeiter führt zu Angst und Unsicher-heit. Es existiert ein Tabu, über Fehler und Schwächen nicht sprechen zu dürfen.

Der Leitung fehlen durch das Verschweigen von Fehlern und Schwä-chen entscheidende Informationen, denn Prozesssteuerung ohne Offen-legung von Schwächen im System kann nicht gelingen.

Der Kommunikationsstil ist zwischen den Mitarbeitern und zwischen Leitung und Mitarbeitern eher verletzend als verstehend. Unter diesem Klima leiden auch die Ablaufprozesse in Einrichtung II.

Merkmale der Organisationsstruktur

Die Evaluationsergebnisse belegen, dass Einrichtung II alle Merkmale einer Typ A-Organisation zeigt. Die Leitung agiert autoritär und distanziert. Sie bewirkt dadurch negative Gefühle bei den Mitarbeitern, wie z.B. Anspan-nung, Hemmung, Kontrolle, Misstrauen und Orientierungslosigkeit.

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Die Statusunterteilungen bei den Mitarbeitern sind in Einrichtung II bezogen auf das DCM-Projekt zu finden. Die Verantwortung für die Übernahme der DCM-Entwicklung ist nicht Teamaufgabe, sondern wird delegiert. Der Status der Mitarbeiter zueinander ist eher diffus. Hier ist keine Weisungsstruktur vorhanden. Dementsprechend kämpfen einzelne Individuen im Team ge-geneinander. Es entsteht eine offene und verdeckte Konkurrenz der Mitar-beiter. Gegenseitiges Misstrauen kennzeichnet die Atmosphäre und das Aufgabenvolumen führt zu Rollen- und Arbeitsüberlastung.

Der Status der Klienten ist am niedrigsten von allen. Deren Befindlichkeit hat in Einrichtung II keine nachweisliche Bedeutung. Bei den Diskussionen geht es nicht um die Bewohner, sondern um Strukturen, Zuständigkeiten, Ar-beitsorganisation. Das Team kommuniziert nicht häufig mit den Bewohnern, eher untereinander.

Die Kommunikation ist unpersönlich und geht nur in eine Richtung. Die Lei-tung in Einrichtung II kommuniziert unpersönlich und weisungsgebend an die Mitarbeiter, Mitarbeiter delegieren die Betreuung für Personen mit De-menz, deren wesentlicher Faktor die Kommunikation ist, an Praktikanten. Personen mit Demenz haben im System keine Stimme. Die Mitarbeiter kommunizieren ebenso wenig mit der Leitung. Versäumnisse, Irrtümer und Fehler der Mitarbeiter können nicht thematisiert werden, weil Konsequenzen der Leitung befürchtet werden. Die Anwesenheit der Leitung bedeutet Ver-doppelung der Kontrolle. Das Machtgefälle ist hoch, Gefühle und Verletz-lichkeiten bleiben verborgen und unverarbeitet. Das Team hat eine lange Geschichte der Kränkungen und enttäuschten Hoffnungen, es bestehen ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit.

Bereits 1996 weist Buckland darauf hin, dass die Furcht vor Kritik, vor Ver-änderung und Verlust des Arbeitsplatzes hemmende Faktoren sind. In ei-nem furchtsamen Klima kann DCM, wenn es aggressiv und unreflektiert eingesetzt wird, sogar die Furcht verstärken und demotivierend wirken.69 Rahmenbedingungen wie in Einrichtung II machen die Praktizierung person-zentrierter Pflege unmöglich. Packer hält DCM unter solchen Voraussetzun-gen nur für eine Pflichtübung, die aus marktstrategischen Überlegungen

69 vgl. Buckland, S. (1996): Dementia Care Mapping: looking a bit deeper. In: Signpost

32.1996: 5-7.

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durchgeführt wird.70 Dies könnte auch hier zutreffend sein, denn vor dem Hintergrund der regionalen Entwicklung der Pflegequalität ist eine Teilnah-meentscheidung vermutlich auch aus marktstrategischen Überlegungen heraus getroffen worden.

Aus dem Datenmaterial für Einrichtung II treten die organisatorischen Be-dingungen und die negativen Gefühle der Mitarbeiter deutlich zu Tage. Sie drücken sich in insgesamt 16 Kategorien negativer Stimmungen und organi-satorischer Missstände aus, dem steht keine Kategorie mit positiven Gefüh-len gegenüber. Des Weiteren ist keine Kategorie vorhanden, die Kodes der inhaltlichen Beschäftigung mit Bewohnern beinhaltet.

Die Inhalte von DCM, die ja das Erleben der Personen mit Demenz in den Mittelpunkt stellen, können unter den geschilderten Bedingungen nicht auf-genommen werden. Die Mitarbeiter sind nicht in der Lage, sich den Perso-nen mit Demenz zuzuwenden. Das persönliche Unwohlsein der Mitarbeiter bewirkt in der Regel, dass man sich nicht empathisch und offen anderen Menschen nähern kann, insbesondere keinen Menschen mit Demenz, die eine gesteigerte empathisch offene Haltung benötigen.

Allein der Umstand, dass in der Regel recht junge Menschen, die keinerlei Erfahrung in der professionellen Betreuung von Menschen haben und einen klar begrenzten Zeitraum in einer Einrichtung verbringen, diejenigen sind, die Schlüsselpositionen in der personzentrierten Pflege bei Personen mit Demenz übernehmen, spiegelt die fehlende Wertschätzung, die diesen Auf-gaben im Unternehmen zukommt. Vergleicht man die Pflege als Dienstleis-tungsunternehmen im Gesundheitssektor zum Beispiel mit einer Massage-praxis, so würde es niemandem in den Sinn kommen, einem Praktikanten die Massage bei einem Klienten mit Bandscheibenvorfall zu übertragen.

6.3 Fallbeispiel III

Analyse der DCM-Daten

In Einrichtung III zeigt sich eine typische Entwicklung personzentrierter Pfle-ge. Während zu Beginn des Prozesses noch relativ viele negative WIB-

70 vgl. Packer, T. (2000): Does person-centred care exist? In: Journal of Dementia Care

8.2000.3: 19-21.

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Werte auftreten, die im WIB-Wert –1 hier einmal ein Quartil71 bilden, steigert sich das beobachtete Wohlbefinden später deutlich in Richtung des WIB-Wertes +3. Auch hier bildet dieser Wert einmal ein Quartil. In der zweiten Beobachtung ist das Wohlbefinden besonders niedrig, hier ist ein quantifi-zierbarer Anteil im WIB-Wert –1 vorhanden. In der achten Beobachtung steigert sich das Wohlbefinden auf einen quantifizierbaren Anteil der +3 WIB-Werte.

Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung III (absolute Häufigkeit)

Die häufigste kodierte Verhaltenskategorie in Einrichtung III ist B (Beobach-ten = 1067), die Kategorie F (Essen und Trinken = 621) wurde als zweithäu-figste Kategorie kodiert und als dritthäufigste Kategorie steht A (verbale und non-verbale Interaktion = 431). Andere Typ 1-Kategorien wie L (arbeitsähnli-che Tätigkeiten = 85), O (Selbstpflege = 62) und T (sinnliche Wahrnehmung = 149) sind regelmäßig in allen Beobachtungen kodiert worden. Dies ist ein positives Zeichen personzentrierter Pflege. Damit wird deutlich, dass Perso-nen mir Demenz unterschiedlichen Beschäftigungen nachgehen und ihnen dazu die Möglichkeit gegeben wird. Kategorien wie E (kreative Beschäfti-gung = 65), G (Spiele = 136), H (handwerkliche Tätigkeit = 24) und I (intel-lektuelle Aktivität= 65) wurden nicht regelmäßig kodiert. Hier ist zu vermuten, dass es sich um organisierte Beschäftigungen handelte, die nicht in jeder Beobachtung angeboten wurden. Außer bei der Typ 1-Kategorie R werden verschiedene Typ 1-Beschäftigungen beobachtet, die sich abwechseln und eine Vielfalt verschiedener Angebote darstellen.

71 Ein Quartil ist eine statistische Einheit, die hier besagt, dass ein Viertel der Werte vom WIB-

Wert –1 gebildet wurde.

DCM-Beobachtung 1 2 3 4 5 6 7 8 9

+5 1 0 0 0 0 0 0 1 0 +3 39 13 34 45 27 12 20 133 43 +1 353 188 215 281 355 293 357 306 220 -1 43 64 38 3 24 20 9 12 17 -3 12 5 6 0 1 0 6 0 2

WIB

-Wer

t

-5 4 0 0 0 0 0 9 0 0

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Analyse der Sitzungsprotokolle

Aus der Textanalyse gehen die Schwierigkeiten hervor, welche die Entwick-lung personzentrierter Pflege in Einrichtung III hemmen. Ebenso können die positiven Entwicklungen benannt werden. Die Pflege- und Betreuungsauf-gaben werden in Einrichtung III durch verschiedene Professionen ausge-führt. Zu Beginn des Prozesses sind pflegerische Mitarbeiter ausschließlich für körperbezogene Pflegeleistungen verantwortlich, während Betreuungs-aufgaben von ergotherapeutischen Mitarbeitern wahrgenommen werden. Das Pflegesystem ist zu Beginn des Prozesses funktional ausgerichtet und wird im Prozessverlauf auf ein Bezugspflegesystem umgestellt. Pflegerische Mitarbeiter sind nur teilweise motiviert, personzentrierte Pflege anzunehmen. Besonders langjährige Mitarbeiter können ihr somatisches Pflegeverständnis nur schwer überwinden.

Insgesamt zeigten sich folgende hemmende Faktoren der Organisations-entwicklung in Einrichtung III:

Besonders in der Gruppe der pflegerischen Mitarbeiter gibt es DCM-Be-fürworter und DCM-Bremser. Letztere bestehen eher aus examinierten Mitarbeitern, die in Einrichtung III für Pflegeplanungen zuständig sind. Weiter gibt es eine Gruppe langjähriger Mitarbeiter in der Pflege, denen die psychosoziale Betreuung auch gegen Ende des Prozesses noch schwer fällt.

Die Organisation, insbesondere die der Pflege, erfolgt zu Beginn des Prozesses in einer traditionellen, funktionsgeleiteten Weise. Die somati-schen Verrichtungen werden als Auftrag verstanden und die Abarbei-tung dieser Tätigkeiten ist zwischen den Schichten eindeutig geregelt. Die bestehende Ordnung verhindert Flexibilität. Auch die Aufgabenver-teilung zwischen examinierten Pflegemitarbeitern und ungelernten Kräf-ten zeigt sich als Hemmnis, weil wichtige Aufgaben in der Pflegeplanung von Mitarbeitern geleistet werden, die DCM kritisch gegenüber stehen. Dieses starre System bewirkt, dass die Umstellung auf personzentrierte Pflege und damit verbunden die Einführung eines Bezugspflegesystems starke Widerstände bei den Mitarbeitern hervorruft, die sich im beste-henden System sicher fühlen.

Erschwerend kommt in Einrichtung III hinzu, dass die Kommunikation unter den Mitarbeitern nicht offen stattfindet. Es wird eher übereinander als miteinander gesprochen. Die DCM-Kritiker entziehen sich der Dis-

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kussion durch Fernbleiben. Sie nehmen nur teil, wenn sie eine Dienst-anweisung erhalten.

Daneben lassen sich in Einrichtung III aber auch fördernde Faktoren der Entwicklung personzentrierter Pflege finden:

Die Leitung vermittelt Sicherheit und Kontinuität im Entwicklungspro-zess.

Die Leitung sorgt für Verantwortungstransparenz und stellt kompetente Mitarbeiter ein.

Die Erwartung der Leitung, dass die Pflegemitarbeiter eigenverantwort-lich Betreuungsangebote wahrnehmen, wird erfüllt. Die Pflegemitarbeiter erleben diesen Erfolg positiv.

Die Gruppe der DCM-Bremser wird kleiner, mehr und mehr wird von der gemeinsamen Verantwortung gesprochen.

Ungelernte Pflegemitarbeiter, die sich durch die Umstellung eine Ver-besserung ihrer Arbeitssituation erhoffen, unterstützen die Entwicklung.

Merkmale der Organisationsstruktur

In Einrichtung III fungiert die Leitung wie die in einer Typ B-Organisation, wohingegen die Statusunterteilungen der Mitarbeiter Merkmale der Typ A- Organisation zeigen. Unterschiede gibt es zwischen Ergotherapie und Pfle-ge, der besondere Umgang mit dementen Personen wird an die „Familien-gruppe“ delegiert. Statusunterschiede sind auch im Pflegeteam vorhanden und wirken sich auf DCM aus. Qualifizierte Mitarbeiter sind eher DCM-Bremser, während engagierte DCM-Befürworter keine formale Qualifikation haben und keine Pflegeplanung schreiben dürfen. Im Prozessverlauf verrin-gern sich diese Statusunterschiede durch die qualifiziertere Übernahme betreuerischer Aufgaben durch die Pflegemitarbeiter. Negative Gefühle und Verletzlichkeiten sowie Kommunikationsstörungen sind vorhanden und drü-cken sich in sechs Kategorien aus.

Die Befindlichkeit der Personen mit Demenz wird im Prozessverlauf zuneh-mend diskutiert. Der Umgang der Mitarbeiter mit den Bewohnern wird da-durch zugewandter und aufmerksamer. Es entwickeln sich mehr Diskussio-nen über die Zusammensetzung der Gruppe der Personen mit Demenz und über die Wechselwirkungen der Beziehungen. Wie in Einrichtung I findet in Einrichtung III während des DCM-Projektes ein struktureller Umbruch statt,

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in dem hier das funktionale Pflegesystem durch ein Bezugspflegesystem ersetzt wird. Diese Entwicklung fällt besonders langjährigen Mitarbeitern nicht leicht, die somatische Pflege nur schwer mit psychosozialen Anteilen ergänzen können. Ein Problem für alle pflegerischen Mitarbeiter entsteht durch die klare Zuständigkeit im Bezugspflegesystem, die auch nicht erfüllte Maßnahmen transparent macht. Obwohl diese Veränderungen erheblich sind, zeigt sich insgesamt ein positiver Verlauf. Anders als in Einrichtung I, in der die Veränderung als Krise erlebt wird, steuert die Leitung in Einrichtung III den Prozess.

Aus den in Einrichtung III erhobenen Daten geht die hemmende Wirkung von Veränderungen in der Organisation, die parallel zu DCM erfolgen, deut-lich hervor. Entscheidend für die Bewältigung der Veränderung ist die Lei-tung, die den Prozess steuern und begleiten muss. Zusammenfassend zeigt sich in Einrichtung III, dass es trotz traditionellen Pflegeverständnisses und gestörter Kommunikation im Verlauf des DCM-Projektes möglich ist, das Wohlbefinden der Personen mehr und mehr in den Blick zu nehmen und organisatorische Abläufe auf dieses Ziel auszurichten. Die Steigerung des Wohlbefindens wurde deutlich erreicht.

6.4 Fallbeispiel IV

Analyse der DCM-Daten

Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung IV zeigte, dass es hier im Ver-gleich zu den anderen drei Einrichtungen die größte Menge der Zeiteinhei-ten mit Kodierungen gab, da durchschnittlich mehr Teilnehmer in die Beo-bachtung aufgenommen wurden. Auf der Ebene der WIB-Werte wurde ge-gen Ende des untersuchten Prozesses im siebten und achten Beobach-tungszyklus eine deutliche Steigerung der WIB-Werte +3 festgestellt. Hier bilden die WIB-Werte +3 ein Quartil. In der neunten Beobachtung sanken diese Werte wieder leicht. Insgesamt nehmen negative WIB-Werte im Pro-zess deutlich ab.

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Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung IV (absolute Häufigkeit)

DCM-Beobachtung 2 3 4 5 6 7 8 9 +5 0 0 0 0 0 4 0 3 +3 16 29 51 2 4 141 248 64 +1 176 557 351 366 487 325 279 322 -1 28 18 11 31 13 1 0 7 -3 0 0 2 0 0 0 0 2

WIB

-Wer

t

-5 0 0 0 0 0 0 0 0

Die Analyse der Verhaltenskategorien ergab, dass die Typ 1-Kategorie A (verbale und non-verbale Interaktion = 755) die zweithäufigste Verhaltenska-tegorie nach der Typ 2-Kategorie B (Beobachten = 906) war. Die dritthäu-figste Kategorie wird durch F (Essen und Trinken = 685) gebildet. Die einzi-gen Typ 1-Kategorien, die nicht vorkamen, sind R (Religion) und S (explizit sexueller Selbstausdruck). Im durchschnittlichen Wohlbefinden konnte fest-gestellt werden, dass eine Bandbreite von Typ 1-Kategorien mit Durch-schnitts-WIB-Werten kodiert wurde, die über dem WIB-Wert +1 lagen. Damit zeigt sich auf der Ebene der DCM-Daten eine deutliche Entwicklung person-zentrierter Pflege bei Demenz.

Allerdings wurde auch festgestellt, dass eine Reihe von Kodierungsfehlern vorhanden sind, die nachweislich bei den Typ 2-Kategorien entstanden. Erkennbar waren Kodierungsfehler durch Verwechslung der WIB-Werte +1 und –1 bei einer geringen Zahl von Kodierungen. Inwieweit weitere Fehler vorlagen bzw. wie diese Fehler entstanden, konnte im Nachhinein nicht er-fasst werden.

Analyse der Sitzungsprotokolle

Die Textanalyse in Einrichtung IV ergab, dass bei Leitung und Mitarbeitern ein wertschätzendes, kommunikatives Klima vorhanden war, welches sich deutlich auf die Kommunikationsfreudigkeit der Personen mit Demenz über-trug. Dies wurde auch in den DCM-Daten erfasst. Aus den Materialien geht hervor, dass keine negativen Gefühle thematisiert wurden, sondern positive Gefühle und verschiedene arbeitsbezogene Themen. Ein hoher Anteil der Themen beschäftigt sich mit Bewohnern und Biographie. Negative Gefühle (Stress) finden sich allerdings bei den DCM-Beobachtern in Einrichtung IV.

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In gewissem Umfang mangelt es in dieser Gruppe auch an Kompetenzen bezogen auf die Tätigkeit des DCM-Anwenders.

Hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung konnten in Einrichtung IV nicht identifiziert werden. Bei der Organisation von Pflege und Betreuung kristallisierten sich jedoch verschiedene Ressourcen heraus. Der kooperati-ve Führungsstil der Leitung bewirkte, dass allen Mitarbeitern Wertschätzung entgegengebracht wurde. Dienstzeiten wurden angepasst, um die gemein-same Entwicklung der Pflegeplanungen durch alle Mitarbeiter zu erreichen. Dinge des täglichen Gebrauchs wurden gemeinsam mit Bewohnern vor Ort eingekauft. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter traten deutlich hervor. Insgesamt lassen sich folgende fördernde Faktoren bei der Entwicklung personzentrier-ter Pflege in Einrichtung IV benennen:

Theoretisches Wissen kann in routinierte, zugewandte Kontaktgestal-tungen zu Personen mit Demenz umgesetzt werden. Durch professio-nelles Wissen nimmt die persönliche Betroffenheit der Mitarbeiter ab. Das Nachdenken über Bewohner gelingt nur im Zusammenhang mit dem Nachdenken über sich selbst.

Reflexionen der Rollen der Mitarbeiter in Bezug auf Bewohner ohne Demenz ergeben, dass Mitarbeiter in die Rolle von Ersatzangehörigen schlüpfen und Anzeichen einer beginnenden Demenz nicht annehmen können.

Tiefergehende Auseinandersetzungen mit Biographien führen zu der Erkenntnis, dass die Angaben der Angehörigen nicht die Sicht der Per-son mit Demenz, sondern die Sicht der Angehörigen wiedergeben. Mit beiden Gruppen werden nun Interviews durchgeführt und die eigene Biographie der Mitarbeiter wird erarbeitet.

Ein Haustier zeigt herausforderndes Verhalten, woraufhin ein Teil der Mitarbeiter eine Maßnahmeplanung durchführt. Dadurch wird anerkannt, dass die sozialpsychologische Umfeldgestaltung auch bei Tieren Wohl-befinden oder Unwohlsein bewirkt. Herausforderndes Verhalten ist auch hier ein Kommunikationsversuch.

Merkmale der Organisationsstruktur

Einrichtung IV entspricht dem Organisationstyp B in allen Merkmalen. Die Leitung strebt einen kollegialen Führungsstil an und gibt möglichst viel

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Handlungsspielraum. Sie unterstützt und fördert die Entwicklung und ist damit beispielhaft und zugänglich.

Statusunterteilungen sind bei den Mitarbeitern gering und flexibel. Das Team ermuntert sich gegenseitig, Aufgaben zu übernehmen und sich zu Themen zu äußern. Dies bewirkt auch im Team eine flache Hierarchie. Es finden sich in Einrichtung IV keine Hinweise über Unwohlsein von Mitarbeitern im Team. Der Status der Personen mit Demenz ist den Mitarbeitern gleichgestellt. Die Kommunikation gelingt zwischen Mitarbeitern und Bewohnern und Bewoh-nern untereinander. Die Bewohner profitieren insgesamt von der Kommuni-kationsfreudigkeit.

Die Kommunikation ist zwischenmenschlich und geht in beide Richtungen. Gefühle und Verletzlichkeiten sind offen und bearbeitet. Die Hinwendung zu personzentrierter Pflege hat zuerst viel Unruhe und Verunsicherung ge-bracht, durch das Anstreben von Veränderungen fiel es jedoch leicht, die unruhige Zeit zu überstehen. In Einrichtung IV findet sich keine Kategorie, die negative Gefühle ausdrückt, auch positive Gefühle werden kaum be-nannt. Kategorien, welche auf die inhaltliche Beschäftigung mit Bewohnern und Biographie verweisen, belegen, dass durch eine positive Grundstim-mung auf der Organisationsebene eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Veränderungsprozess erreicht wird.

In Einrichtung IV bestätigen sich Ergebnisse anderer Forscher. So zeigt sich auch hier: der personzentrierte Ansatz muss für alle Beteiligten gepflegt werden;72 die professionellen Kontaktbarrieren zu Personen mit Demenz können durch DCM abgebaut werden;73 Mitarbeiter sind zu Beginn des Pro-zesses ängstlich, machen aber insgesamt lohnende Erfahrungen.74

6.5 Wohlbefinden in Organisationen

Aus den Ergebnissen dieser Evaluation geht hervor, dass ein Zusammen-hang besteht zwischen der Befindlichkeit der Mitarbeiter und deren Zuwen-dung zu den Personen mit Demenz. Wie die DCM-Daten zeigen, bewirkt die Zuwendung eine Steigerung des Wohlbefindens. Die Befindlichkeit der Mit-

72 vgl. Barnett, E. (1995): A window of insight into quality of care. In: Journal of Dementia Care

3.1995.4: 23-26. 73 vgl. Buckland, S. (1996). 74 vgl. Barnett, E. (1995).

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arbeiter lässt sich anhand der Mitschriften ablesen. Je häufiger negative Gefühle der Mitarbeiter geäußert werden, desto weniger Raum ist vorhan-den für die Zuwendung zu Personen mit Demenz. Positive Gefühle hingegen werden wenig benannt, diese äußern sich in einer direkten Aufnahme der Zuwendung zu Personen mit Demenz.

Die obige Graphik zeigt die Zusammenhänge zwischen Wohlbefinden und bestimmten Organisationsmerkmalen auf den Ebenen Leitung, Mitarbeiter und Personen mit Demenz. Wie in Kapitel 2.1 dargelegt, geht Kitwood davon aus, dass die Anerkennung als Person Wohlbefinden bewirkt. Dabei basiert das persönliche Wohlbefinden von Menschen mit und ohne Demenz auf positiven Erfahrungen in den globalen Kategorien Selbstwert, Handlungsfä-higkeit, soziales Vertrauen und Hoffnung.75

Diese Kategorien haben in der gesamten Organisation Bedeutung. Wenn Mitarbeiter Selbstwert, Handlungsfähigkeit, soziales Vertrauen und Hoffnung empfinden, wird dies maßgeblich durch die Führungsqualität der Leitung erreicht. Diese Qualität zeigt sich in

75 vgl. Bruce, E.; Wey, S. (2001).

Leitung

Mitarbeiter

Personen mitDemenz

Leitung

Mitarbeiter

Personen mitDemenz

Autoritärer FührungsstilGestörte KommunikationBreite HierarchieICH - ES Beziehungen

Beispielhafter und zugänglicher FührungsstilGelungene Kommunikation

Flache HierarchieICH - DU Beziehungen

Grafik 1 : Organisation und personzentrierte Pflege bei Demenz

SelbstwertHandlungsfähigkeitSoziales Vertrauen

Hoffnung

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einem kooperativen und beispielhaften Führungsstil,

gelungener Kommunikation auf allen Ebenen,

einer flachen Hierarchie und

Beziehungen, die durch die Anerkennung des gegenseitigen Person-seins (Ich-Du-Beziehungen) geprägt sind.

Treffen diese Voraussetzungen zu, dann können Personen mit Demenz hier ebenso subjektiv wahrgenommen und einbezogen werden.

Sind die globalen Kategorien für Mitarbeiter nicht erfüllt, so spüren sie kei-nen Selbstwert, ihre Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, soziales Vertrauen fehlt und das Klima wird eher als hoffnungslos empfunden. Die Ebenen der Leitung, der Mitarbeiter und der Personen mit Demenz sind separiert und können nicht zueinander finden. Die prägenden Organisati-onsmerkmale sind hier

ein autoritärer Führungsstil,

breite, kaum zu überwindende Hierarchien,

gestörte Kommunikationen auf allen Ebenen und

eine Beziehungsgestaltung, die das Gegenüber zum Objekt macht.

Die Leitung nimmt die Mitarbeiter nicht als Personen wahr, sondern als Ob-jekte, die ein Soll erfüllen müssen. Die Mitarbeiter behandeln Personen mit Demenz ebenfalls als Objekte, an denen dieses Soll erfüllt werden muss. Durch die Separierung der Ebenen in diesem Organisationstyp kann die subjektive Wirklichkeit der Personen mit Demenz nicht wahrgenommen wer-den, weil auch die subjektive Wirklichkeit der Mitarbeiter nicht wahrgenom-men wird.

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7. Zusammenfassung und Fazit

Die Einschätzung des Wohlbefindens der Bewohner durch einen DCM-Beo-bachter erlaubt Aussagen darüber, wie sich das pflegerische und räumliche Milieu sowie organisatorische Abläufe in der Einrichtung auf das Wohlbefin-den der dort lebenden Menschen mit Demenz auswirken. Indem der Mapper das (Er-)Leben im Heim aus der Perspektive eines Bewohners wahrnimmt, geraten diese Umfeldfaktoren in den Blick und werden Gegenstand poten-zieller Veränderungen im Sinne personzentrierter Pflege(-kultur). Vor diesem Hintergrund wurde das DCM-Verfahren im Marburger Modellprojekt in ein ganzheitliches Konzept der Team- und Organisationsentwicklung eingebet-tet und durch Maßnahmen der Fortbildung, Milieugestaltung und externen Beratung ergänzt.

Das Projekt „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatri-schen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreis Marburg-Biedenkopf“ ging der Frage nach, inwieweit das DCM-Verfahren geeignet ist, die personzent-rierte Pflege als Leitbild pflegerischen Handelns in stationären Pflegeeinrich-tungen zu verankern und das Wohlbefinden der Bewohner zu steigern. Wei-terhin sollte in Erfahrung gebracht werden, welche institutionellen Voraus-setzungen bzw. Rahmenbedingungen erforderlich sind, um das DCM als Qualitätsentwicklungsverfahren in Pflegeeinrichtungen wirksam werden zu lassen.

Das systemisch angelegte Projektdesign brachte es mit sich, dass unter-schiedliche Personen und Personengruppen als verantwortlich Agierende und Lernende in ganz unterschiedlichen Handlungszusammenhängen invol-viert waren: Zu nennen sind hier insbesondere die als DCM-Beobachter ausgebildeten Mitarbeiter (Mapper), die Mitarbeiter bzw. Teams, die Lei-tungskräfte und Berater und schließlich die Projektleitung. Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse waren es, die Rückschlüsse auf die Wirkungsweise und die Voraussetzungen von DCM ermöglichten.

Die Anwendung des DCM-Verfahrens - Mapping, Datenauswertung und Feedback - stellte an die Mapper hohe Anforderungen, für die sie, unter-stützt durch begleitende Fortbildung und Beratung, erst sensibilisiert und geschult werden mussten. Der Grad der Motivation und der Konzentration auf den notwendigen Perspektivenwechsel hing maßgeblich davon ab, ob diese Aufgabe freiwillig übernommen und als eine Chance beruflicher Wei-

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terentwicklung erkannt wurde. Die Mapper erlebten ihre Rolle rückblickend als große Herausforderung und zugleich als bereichernd für sich selbst und ihre Arbeit. Mapper mit einem guten Status im eigenen Team wurden als „DCM-Experten“ anerkannt, als Rollenvorbilder für die personzentrierte Pfle-ge geschätzt und damit zu wichtigen Katalysatoren im strukturellen Verände-rungsprozess. Ihre neuen Kompetenzen konnten sie am wirkungsvollsten dort entfalten und für das Team vorteilhaft einbringen, wo ihnen Freiräume und Verantwortlichkeit durch die Leitung zugestanden wurden. Die kontinu-ierliche Begleitung durch die externen Berater bei der Bewältigung der viel-schichtigen Aufgaben und der neuen Rollenidentifikationen erwies sich, ins-besondere in der Anfangsphase, als notwendig und hilfreich. Schwachstel-len und Krisen konnten dadurch bearbeitet und aufgefangen werden, Verän-derungspotenzial identifiziert und für die Einrichtung praxisrelevant „über-setzt“ werden.

Auch mit Blick auf die Mitarbeiter/Teams war das Prinzip der Freiwilligkeit wichtigster Indikator für Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit. Eine be-sonders hohe Motivation zeigten Teams, die von der Leitung von Beginn an in Entscheidungsprozesse und Planungsmaßnahmen mit eingebunden wur-den. Die Beobachtung durch die Mapper löste bei den beobachteten Kolle-gen zumindest anfänglich und nachvollziehbar, Angst vor Bewertung und damit Unsicherheit und Unbehagen aus. Das Feedback der Mapper konfron-tierte die Mitarbeiter/Teams mit ihren eigenen Schwachstellen und „blinden Flecken“. Insbesondere die Rückmeldungen der WIB-Werte und personalen Detraktionen waren problembehaftet. Einige Teams unterlagen der Versu-chung, den Pflegealltag durch geplante Personalaufstockung und aufgesetz-te Programme zu verfälschen, um „gute“ Ergebnisse zu erzielen. Die Mitar-beiter mussten erst lernen, sich von der Fixierung auf die „harten“ DCM-Daten als „Schulnoten“ zu lösen und kritische Rückmeldungen als konstruk-tive Lernchancen zu begreifen. Die Berater setzten dabei auf das Prinzip „Lernen am Erfolg“, das in der Folge zu mehr Sicherheit im Team führen sollte. Die Auseinandersetzung mit Good-Practice-Beispielen erschloss den Weg zum gemeinsamen Nachdenken und zwar sowohl über das Team selbst, seine Arbeit und Arbeitsbedingungen, als auch über die Bewohner und deren Lebensbedingungen in der Einrichtung. Ob die aus diesen Refle-xionen resultierenden Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner tatsächlich realisiert wurden, war stark davon abhängig, inwieweit

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entsprechende Verantwortlichkeiten für deren Umsetzung zuvor abgeklärt worden waren.

In der Auseinandersetzung mit dem DCM-Verfahren und mit den Anforde-rungen einer personzentrierten Pflege, erkannten viele Mitarbeiter die Chan-ce, eigene - häufig verloren gegangene - Ansprüche an eine „gute Pflege“ wieder zu beleben und zu legitimieren. Die im Prozess gewonnene Erkennt-nis, über die Wirksamkeit der eigenen Person wichtig zu sein, stärkten Ei-genverantwortung, Selbstbewusstsein und Motivation der Mitarbeiter. Der Zuwachs an Wissen und Einfühlungsvermögen erleichterte den Perspekti-venwechsel nicht nur für die Mapper, sondern auch für andere Teammitglie-der. Die eigene Arbeit konnte zunehmend mit den Augen der Bewohner betrachtet werden - die eigentliche Grundlage für eine personzentrierte Hal-tung.

Bei der Evaluation wurde festgestellt, dass der angestrebte Umfang der Veränderungen stark mit den Freiräumen und der Wertschätzung korrelierte, die die Mitarbeiter durch die Leitung erfuhren. So waren Mitarbeiter, die sich in ihrem Engagement unterstützt wussten, schneller in der Lage, person-zentrierte Pflege Wirklichkeit werden zu lassen. Teams, denen DCM „von oben“ verordnet worden war und die sich selbst nicht aktiv teilnehmend und mitgestaltend in den Prozess einbringen konnten, erlebten DCM hingegen eher als Zumutung und teilweise als sehr krisenbehaftet und belastend. Es wurde auch deutlich, dass Mitarbeiter, die sich in ihren Arbeitszusammen-hängen unwohl und nicht geachtet fühlten, sich weniger auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz konzentrieren konnten.

Die zentrale Bedeutung der Leitung bei der Implementierung von DCM und der damit verbundenen Entwicklung einer personzentrierten Pflegekultur zeichnete sich im Projekt früh ab. Der Grad der Identifikation mit dem DCM-Verfahren, verbunden mit einem echten Veränderungswillen, entschieden wesentlich darüber, mit welcher Ernsthaftigkeit die Leitungskräfte ihre Steue-rungsaufgaben ausfüllten. Mangelte es an Rückhalt und Wertschätzung als Grundlage für die Mitarbeiter, sich vertrauensvoll und motiviert auf das „Ex-perimentierfeld“ DCM einzulassen, gelang es nur sehr eingeschränkt, Lern- und Entwicklungsschritte in den Heimalltag zu integrieren. Insgesamt bestä-tigte sich auch hier die in anderen Projekten gewonnene Erkenntnis, dass sich steile Hierarchien und eine eher operativ-technokratische Aufgabener-

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füllung seitens der Leitung kontraproduktiv auf den DCM-Entwicklungs-prozess auswirkten.

Waren die Leitungskräfte offen und interessiert, förderten die durch das DCM-Verfahren initiierten Lernprozesse eine realistische Selbsteinschät-zung der eigenen Stärken und Grenzen, eine erhöhte Sensibilität für den „Wert“ ihrer Mitarbeiter und nicht zuletzt eine systemische Sicht- und Denk-weise, wenn es beispielsweise um strukturverändernde Entscheidungen ging. Das begleitende Beratungsangebot der externen Prozessbegleiter wurde von den Leitungen in unterschiedlichem Umfang genutzt. Die Inan-spruchnahme hing nicht selten von der Grundeinstellung zu DCM und von der Beurteilung der eigenen Leitungskompetenz ab; das Angebot nahmen eher souveräne Leitungspersonen in Anspruch, die darin zusätzliche Ent-wicklungschancen sahen.

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Prozessbegleitung durch externe Berater eine zentrale Bedeutung zukam. Die Supervisoren unterstützten die Einrichtungen bei der operativen Umsetzung der DCM-Schritte, moderierten Analyse- und Reflexionsschritte der Mappingergebnis-se und halfen bei der „Übersetzung“ in die Pflegepraxis. Die Prozessbeglei-ter trugen auch entscheidend dazu bei, dass die Teams - neben den ge-wohnten Arbeitsbesprechungen über Pflegeabläufe und -routinen - eine neue Lernebene mit selbstreflexiven Anteilen entwickeln konnten. Eine be-sondere Unterstützung erhielten zudem die Leitungskräfte bei der Imple-mentierung von DCM. Allerdings wäre auch eine intensivere fachliche Be-gleitung durch versiertere DCM-Anwender, wie z.B. DCM-Advanced-User oder DCM-Evaluatoren, für die weitere Entwicklung hilfreich gewesen. So hätten bei der Analyse der DCM-Daten Kodierungsfehler früher erkannt und der Prozess noch effektiver gesteuert werden können.

Fest steht, dass das DCM-Verfahren tief in die Organisations- und Bezie-hungsebenen der Einrichtungen hinein gewirkt und dort Veränderungs- und Entwicklungsperspektiven aufgezeigt hat. Inwieweit diese Möglichkeiten jedoch aufgegriffen wurden, hing sehr stark von der Veränderungsbereit-schaft und der strategischen Kompetenz der jeweiligen Leitungen ab. Im Zentrum aller Modifikationen standen auch Kompetenzzuwachs und Einstel-lungsveränderung bei den Mitarbeitern. Nicht zuletzt als Folge davon waren auf der organisatorisch-strukturellen Ebene zunehmend Veränderungen zu beobachten:

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In den meisten Einrichtungen hat sich eine neue Mahlzeitenkultur entwi-ckelt. So gab es in unterschiedlichen Abteilungen Interventionen, um ei-ne personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten und eine Orien-tierung an bisherigen lebensweltlichen Gepflogenheiten zu erreichen. Auch die Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten sowie das Schaffen eines ansprechenden Milieus haben dazu beigetragen, dass sich im Projektverlauf das durchschnittliche Wohlbefinden der Menschen mit Demenz während des Essens und Trinkens (Verhaltenskategorie F) deutlich erhöhte.

Weiterhin entwickelte sich ein neues Bewusstsein für die Anforderungen an soziale Betreuung und Beschäftigung. Nach dem Motto „Weniger ist manchmal mehr“ wurde deutlich, dass kleine, bewusst eingesetzte Akti-onen, die die Bewohner tatsächlich erreichen, von weit höherem Wert sein können als eine Reihe gut gemeinter Standardangebote. Viele Maßnahmeplanungen belegen die verstärkte Hinwendung zu individuell zugeschnittenen Angeboten, deren positiver Effekt sich in einer Zunah-me des Wohlbefindens bei den Bewohnern zeigte.

In vielen Einrichtungen wurden die organisatorischen Voraussetzungen für eine Flexibilisierung der Alltagsstruktur geschaffen. Dabei wurden Arbeitsabläufe verändert, Verantwortungen neu geregelt sowie berufs-gruppenübergreifend kooperiert und koordiniert. Dadurch konnte zum einen besser den zeitlichen Bedürfnissen der Menschen mit Demenz entsprochen werden, zum anderen sind auch Freiräume für Mitarbeiter entstanden. Von einer überwiegenden Zahl der Einrichtungen wurde das Präsenzprinzip verwirklicht, d.h. eine durchgängige Betreuung der Men-schen mit Demenz war gewährleistet.

Bei der Evaluation der DCM-Daten hat sich gezeigt, dass zum einen die Häufigkeit von zwei Verhaltenskategorien, die das Personsein von Men-schen mit Demenz fördern können, im Projektverlauf signifikant zugenom-men hat (A = verbale und non-verbale Interaktion; I = Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert). Zum anderen konnte eine Abnahme von drei Kategorien nachgewiesen werden, die das Personsein gefährden können (B = Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Wei-se; C = sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt; W = repetitive Selbststimulation). Bei zwei weiteren Verhaltenskategorien kam es zu einer negativen Entwicklung: Abnahme von G (Spiele) und Zunahme von Y (mit

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sich selber oder einer imaginierten Person sprechen). Reduziert haben sich die personalen Detraktionen, d.h. Verhalten oder Handlungen des sozialen Umfelds, die das Personsein beschädigen, sind zurückgegangen. Im Ge-genzug hat sich das durchschnittliche Wohlbefinden bei zehn Verhaltenska-tegorien bzw. Tätigkeiten, die das Potenzial besitzen, Menschen mit De-menz eine positive Wahrnehmung ihrer selbst zu ermöglichen, signifikant erhöht. Trotz teilweise stark differierender Verläufe für die einzelnen Einrich-tungen wurde über den Projektzeitraum hinweg insgesamt ein Ansteigen des relativen Wohlbefindens ermittelt. Mehr Einrichtungen erzielten „gut“ zu interpretierende Wohlbefindenswerte und weniger Einrichtungen ließen „viel Verbesserung nötig“ erscheinen. Beim letzten Mapping gab es einen durch-schnittlichen WIB-Wert bezogen auf alle Einrichtungen von 1,42. Versprach-licht bedeutet dieses Ergebnis, dass die Menschen mit Demenz zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Situation gut zurechtkamen, wenige Momente des Un-wohlseins zeigten und gelegentlich ein höheres Maß an Wohlbefinden zu beobachten war.

Die Mitarbeiter konnten das stärkere Wohlbefinden der Bewohner durch diverse Veränderungen erfahren. So beschreiben sie die von ihnen betreu-ten Menschen als ausgeglichener und ruhiger als früher, zugleich aber auch als aktiver und aufgeschlossener. Auffälliges Verhalten und Krisen sind sel-tener geworden, weil eine gemeinsame „Ursachenforschung“ im Team das Aufzeigen und Umsetzen von Lösungswegen erleichtert. So sind beispiels-weise Fixierungen jeglicher Art weitgehend überflüssig geworden, was nicht nur den Bewohnern zugute kommt, sondern zugleich auch die Pflegekräfte mit Stolz erfüllt, weil sie eine größere Befriedigung durch die Wirksamkeit ihrer Arbeit erfahren.

Zukunft

Rückblickend betrachten die durchführenden Einrichtungen das DCM-Pro-jekt als einen großen Gewinn, den sie nicht missen möchten. Da die Einrich-tungen allerdings auch um die große Gefahr wissen, dass bisher Erreichtes im Pflegealltag leicht wieder „untergeht“, haben sie sich entschlossen, das DCM-Verfahren auch in Zukunft weiter zu praktizieren. Dafür wurden auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung gemeinsam verbindliche Anwen-

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dungsstandards76 vereinbart. Der neu gegründete regionale DCM-Verbund ist für alle interessierten Einrichtungen der Region offen und wird von der Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf moderiert.

Die DCM-Einrichtungen sollen in Zukunft ermutigt werden, gemeinsam ein DCM-basiertes Leistungs- und Personalkonzept zu erarbeiten, um mit Blick auf anstehende Kostenverhandlungen Chancen für eine Refinanzierung der Kosten77 zu nutzen.

Fazit

Das DCM-Verfahren hat in allen projektbeteiligten Einrichtungen Bewusst-seins- und Veränderungsprozesse initiiert, allerdings auf einem jeweils recht unterschiedlichen Niveau. Während sich in einigen Einrichtungen eine per-sonzentrierte Pflegekultur bereits erkennbar etablieren konnte, haben ande-re Einrichtungen dahingehend erste Ansätze oder zumindest eine neue Sicht in Bezug auf ihren weitergehenden Entwicklungsbedarf entwickeln können.

Das Projekt bestätigte DCM als ein voraussetzungsvolles Verfahren, dessen Wirkungsgrad maßgeblich von der Lernbereitschaft aller Beteiligten, von (der Entwicklung) struktureller Flexibilität sowie einer solidarischen und wert-schätzenden Atmosphäre abhängt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, lässt sich die Einschätzung, DCM sei nur etwas für „reife“ Organisationen, erweitern um die Aussage: Organisationen/Teams können mit und durch DCM reifen.

Das Projekt hat insgesamt deutlich gemacht:

DCM initiiert einen Qualitätsentwicklungsprozess in kleinen Schritten, der alle und alles berührt. Es ist ein eher langsamer Lernprozess, der die Leitungs- und Mitarbeiterebene gleichermaßen betrifft. Verände-rungswille, Offenheit und die Bereitschaft aller Beteiligten, solidarisch die damit zunächst verbundenen Belastungen zu tragen, sind entscheiden-de Voraussetzungen dafür, dass ein solcher Prozess gelingen kann.

76 Vereinbarung zur Regelung der Zusammenarbeit und der Sicherstellung von Rahmenbe-

dingungen für eine einheitliche und verbindliche DCM-Qualitätsentwicklung in Einrichtungen der Altenhilfe. Marburg-Biedenkopf. (siehe Anhang 9).

77 In Anhang 8 findet sich ein exemplarischer Kostenplan für eine DCM-gestützte Qualitäts-entwicklung.

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DCM unterstützt die Mitarbeiter bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Einstellung und Haltung und erweist sich als hochgradig effek-tiv, wenn es um eine systematische Sensibilisierung der Mitarbeiter geht. Darüber hinaus bringt DCM Mitarbeiter in die Rolle von verantwort-lich handelnden Personen. Personzentrierte Pflege lässt sich nicht „ver-ordnen“, sondern zeichnet sich durch eine „innere Haltung“ der Mitarbei-ter aus, die es durch geeignete institutionelle Strukturen zu ermöglichen und zu erhalten gilt. Reflexion und Fortbildung fördern persönliche und fachliche Kompetenz, beugen dem Burn-out-Syndrom vor und wirken potenziell emanzipatorisch.

Das DCM-Verfahren benötigt visionäre und mutige Führungskräfte, die Vertrauen in die Lernfähigkeit ihrer Mitarbeiter haben und bereit sind, sich auf einen längeren Entwicklungsprozess einzulassen. Die Leitung muss nah beim Team sein, es in seiner alltäglichen praktischen Arbeit unterstützen und wertschätzen. Zugleich tragen die Leitungskräfte die Gesamtverantwortung für den Veränderungsprozess auf der strukturel-len Ebene. Nicht alle Leitungen bringen von vornherein die strategische Kompetenz mit, Prozesse eigenständig und selbstverantwortlich zu steuern und zum Abschluss zu führen. Diese Kompetenz kann aber jede ausreichend motivierte Leitung durch Unterstützung externer DCM- und Organisationsberater gewinnen.

Die im DCM-Verfahren als Mapper ausgebildeten Mitarbeiter können zu Protagonisten einer neuen Pflegekultur werden und so eine zentrale Rolle im Qualitätsentwicklungsprozess übernehmen. Wenn sie ausrei-chend Unterstützung erfahren, werden sie auch im eigenen Team zu Vorbildern und Katalysatoren für eine personzentrierte Pflege. Beson-ders interessierten Mitarbeitern sollten weitere Ausbildungsschritte (zum DCM-Advanced-User oder DCM-Evaluator) angeboten werden, um die Einrichtungen und die DCM-Basic-User fachlich noch kompetenter be-gleiten zu können.

Damit die Lern- und Entwicklungsschritte auf den verschiedenen Hand-lungsebenen als strukturelle Veränderungen in den Pflegealltag trans-formiert und verstetigt werden können, ist es förderlich, dass DCM in ein Gesamtentwicklungskonzept mit einer prozessbegleitenden Team- und Organisationsberatung und flankierenden Fortbildungsangeboten für die Mitarbeiter eingebettet wird. Mit diesen Voraussetzungen könnte das

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DCM-Verfahren zu einem zukunftweisenden Wegbereiter für einen mo-dellhaften, (pflege-)kulturellen Wandel von Pflegeeinrichtungen werden.

DCM hat das Potenzial, das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz zu erhöhen. Dabei können die Ursachen für die Zunahme vielfältig sein. Das bedeutet, dass nicht linear nachgewiesen werden kann, welche ein-zelne Intervention eine Wohlbefindenssteigerung bewirkt. Es sind meh-rere, aufeinander bezogene und ausgerichtete Interventionen, die zu positiven Veränderungen führen.

Die Etablierung einer personzentrierten Pflegekultur mit DCM ist ein Prozess, der faktisch nie abgeschlossen ist. Da DCM grundlegend an den Haltungen, Routinen und Traditionen ansetzt, sind die damit ver-bundenen Maßnahmen vor allem in der Anfangsphase personal- und zeitintensiv, zuweilen aufdeckend und konfliktträchtig. Gelingt es aber, DCM auf der operativen Ebene zu implementieren und darüber eine Re-flexions- und Kommunikationskultur zu initiieren, können Einrichtungen zu einem selbstlernenden System werden und somit eine konstante, le-bendige Qualitätsentwicklung „aus sich selbst heraus“ schaffen. So ge-sehen ist DCM eine „lohnende Investition“ und langfristig nicht kostenin-tensiver als andere Qualitätsentwicklungsverfahren.

Auch für Kostenträger, Kontrollbehörden und nicht zuletzt Kommunen als Verantwortliche bei der Entwicklung regionaler Altenhilfestrukturen lohnt sich ein Blick in die Pflegeeinrichtungen, die DCM ernsthaft und konstant praktizieren. Hier werden sie auf eine neue, wünschenswerte Lebendigkeit, auf Kreativität und großes Engagement treffen, die in vie-len Einrichtungen durch institutionalisierte Routinen oft auf der Strecke geblieben sind.

Es darf jedoch kein Anspruch an DCM erwachsen, Pflegeeinrichtungen dadurch im Sinne eines Benchmarking vergleichbar zu machen. DCM wurde entwickelt, um die Qualität der Pflege und Betreuung von Men-schen mit Demenz abzubilden und um durch die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen Veränderungsprozesse in Einrichtungen anzusto-ßen, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Bewohner orientie-ren. DCM zielt daher auf eine andere Wirkung ab als das Benchmarking.

Mit Blick auf die Diskussionen über Pflegequalität und auf die Dominanz gängiger Qualitätsentwicklungsverfahren scheinen Träger und Leitun-

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gen, die mit DCM einer personzentrierten Pflegequalität Vorrang ein-räumen, eher eine Minderheit zu sein. Vielleicht werden sie aber per-spektivisch Zeichen setzen für ein in Deutschland sich langsam entwi-ckelndes Bewusstsein dafür, dass Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen mehr ist als (standardisierte) Pflegequalität: Die Menschen, die in den Einrichtungen leben und leben werden, brauchen Respekt, Wertschät-zung, Angenommensein und Geborgenheit (Wohlbefinden). Das konti-nuierlich steigende Interesse der Kostenträger und der politisch verant-wortlichen Akteure an DCM und einer personzentrierten Pflege gibt An-lass zur Hoffnung.

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8. Empfehlungen für die Praxis

Vorbereitung des DCM-Prozesses

Einrichtungen, die eine DCM-gestützte Qualitätsentwicklung für sich in Erwägung ziehen, sollten Veränderungswillen und Lernbereitschaft mit-bringen. Sie müssen auch offen dafür sein, sich in Frage stellen zu las-sen. Eine endgültige Entscheidung sollte nicht nur auch auf der Grund-lage von Informationen über das DCM-Verfahren und seine Implikatio-nen erfolgen, sondern auch unter Einbeziehung der Mitarbeiter aus den verschiedenen Abteilungen. Wichtig ist eine breite Diskussion, die erste Hinweise dafür liefert, welche Erwartungen und ggf. Befürchtungen vor-handen sind. Widerstände, die häufig in der Angst vor Unbekanntem begründet sind, müssen ernst genommen werden, sonst wirken sie sich hemmend auf den Prozess aus. Vor allem bei den Leitungskräften muss ein Bewusstsein über die Komplexität des Entwicklungsprozesses vor-handen sein und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Zur Vorbereitung zählt auch die Frage, ob auf regionaler oder überregi-onaler Ebene gleich gesinnte Partner gefunden werden können. Emp-fehlenswert ist die Gründung eines Netzwerks, in dem DCM-interes-sierte Einrichtungen kooperieren. Durch ein Cross-Over-Verfahren kön-nen in den Einrichtungen entwickelte (Mapper-)Kompetenzen gegensei-tig abgerufen und weitgehend kostenneutral genutzt werden. In einem Verbund lassen sich auch bei Fortbildungen Synergieeffekte nutzen.

Die Zusammenarbeit mehrerer Einrichtungen in einem DCM-Verbund soll auf der Grundlage gemeinsamer Standards erfolgen, durch Rah-menvereinbarungen gesichert sein und von einer verantwortlichen Per-son/Institution koordiniert werden. Die Koordinationsarbeit könnte in ei-nem rotierenden Verfahren von Einrichtungsleitern oder Qualitätsbeauf-tragten übernommen werden. Auch die Heimaufsicht als beratende Insti-tution oder eine kommunale Planungsstelle kommen für diese Aufgabe in Betracht.

In der eigenen Einrichtung ist im Vorfeld abzuklären, ob der DCM-Prozess in der gesamten Institution oder nur in einer speziellen Wohn-gruppe durchgeführt wird. Diese Entscheidung hängt stark von den strukturellen Ausgangsbedingungen ab. Es empfiehlt sich, eine Veran-staltung mit externer Begleitung durchzuführen, um konzeptionelle Ent-

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wicklungspotenziale zu identifizieren. Als nicht sinnvoll hat sich erwie-sen, größere Umstrukturierungsprozesse durchzuführen, die parallel zum DCM-Prozess ablaufen.

Beginn des DCM-Prozesses

Alle relevanten externen Personengruppen im Umfeld der Einrichtung sollten über die Entscheidung, mit DCM personzentrierte Pflege bei De-menz entwickeln zu wollen, informiert werden. Eine strategisch gut ge-plante Öffentlichkeitsarbeit bindet Heimaufsicht und MDK genauso ein wie Angehörige und die Gemeinde.

Damit die Einrichtung Eigenkompetenz für die Reflexions- und Entwick-lungsarbeit aufbauen kann, sollten sich zwei oder drei Personen aus der Gruppe der Mitarbeiter in einem DCM-Basic-User-Kurs als DCM-Beobachter (Mapper) schulen lassen. Auswahlkriterien sind Freiwillig-keit, Lernbereitschaft, Souveränität, Integrität und nicht zuletzt ein gutes „Standing“ im Team. Pflegefachlichkeit ist keine Voraussetzung für eine qualifizierte Anwendung des DCM-Instruments.

Auch Leitungspersonen (Heimleiter, Pflegedienstleiter) sollten einen DCM-Basic-User-Kurs absolvieren, um die Methodik des Verfahrens, die Philosophie personzentrierter Arbeit und die damit zu erwartenden Auf-gaben und Entwicklungen beurteilen zu können. Nur mit entsprechen-den Grundinformationen können sie ihre Mitarbeiter richtig unterstützen, Belastungen abschätzen und den Veränderungsprozess solidarisch be-gleiten. Es ist zu empfehlen, dass Mitarbeiter und Leitung gemeinsam einen Kurs besuchen, da dadurch bereits zu Beginn Diskussionen über DCM gefördert werden.

Angeraten wird die Erarbeitung eines Fortbildungskonzeptes mit praxis-bezogenen gerontopsychiatrischen Themenstellungen, die spezielle Kompetenzen beim Umgang mit demenzkranken Menschen vermitteln. Die Fortbildungen sollten möglichst als In-house-Schulungen teambezo-gen und prozessbegleitend organisiert werden. Ein ein- bis zweitägiges Seminar über theoretische und praktische Aspekte personzentrierter Pflege empfiehlt sich als Einstieg.

Empfohlen wird auch die Verpflichtung eines externen Beraters (Super-visors), der die Einrichtung bei der Entwicklung einer Kommunikations-

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und Reflexionskultur unterstützt und mit dem Team die operative Um-setzung der einzelnen DCM-Schritte einübt. Der Berater sollte selbst im DCM-Verfahren geschult sein. Der Beratungsbedarf ist im Einzelfall ab-zuwägen und hängt von der Reife und strategischen Kompetenz der Einrichtung ab.

Die Leitung sollte den Veränderungsprozess aktiv begleiten und unter-stützen, sie muss Ressourcen zur Verfügung stellen, Rahmenbedingun-gen für Konzeptarbeit sichern und dafür Sorge tragen, dass gewonnene Erkenntnisse in organisatorische und institutionelle Strukturen Eingang finden. Die Leitung trägt die Gesamtverantwortung für den Verände-rungsprozess und muss „gegensteuern“, wenn es sich als notwendig erweist.

Wie in keinem anderen Qualitätsentwicklungsverfahren definiert sich der DCM-Prozess über die fachliche und persönliche Kompetenzerweite-rung der Mitarbeiter, die diese durch Schulungen, Fortbildungen und Re-flexionsarbeit erreichen und die sie strategisch für die eigene Berufskar-riere nutzen können. Hier sollte das Ziel sein, diese Mitarbeiter langfris-tig an die Einrichtung zu binden. Da zusätzliche finanzielle Anreize sel-ten möglich sein werden, sollte kreativ über andere Formen der Aner-kennung nachgedacht werden (z.B. Gutscheine für Freizeitaktivitäten). Gerade wenn es notwendig ist, mit den Mitarbeitern darüber zu verhan-deln, inwieweit diese bereit sind, Eigenleistungen zu erbringen, z.B. in Form einer finanziellen Beteiligung an den Fortbildungskosten, in Form „freiwilliger“ Teilnahme an Sitzungen oder aber durch vertragliche Ver-pflichtung gegenüber dem Arbeitgeber, sind solche Anerkennungen wichtig.

Stabilisierung des DCM-Prozesses

Die praktizierenden DCM-Beobachter sollten ein regelmäßiges Angebot an Nachschulungen in Form von „Follow-ups“ wahrnehmen können, um Sicherheit im Kodierungsverfahren zu erlangen. Das begleitende Ange-bot könnte im Rahmen (über-)regionaler Mappertreffen (ca. zwei Mal im Jahr) organisiert werden oder aber in Form eines Coachings durch einen erfahrenen DCM-Experten erfolgen. Um die Nachhaltigkeit und Effektivi-tät des DCM-Prozesses zu sichern, sollte mindestens einer der Mapper einen DCM-Advanced-Kurs besuchen. Der DCM-Advanced-User über-

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nimmt eine Kontrollfunktion und greift korrigierend ein, wenn die Doku-mentation der DCM-Daten die Leitlinien personzentrierter Pflege verlässt und wenn Kodierungsfehler auftreten.

Es sollte ein Konzept erarbeitet werden, wie die neu gewonnene Kom-petenz der DCM-Beobachter effektiv und nutzbringend für die Einrich-tung einzusetzen ist. Damit der Prozess im „Alltagsgeschäft“ nicht unter-geht oder ins Stocken gerät, ist eine klare Aufgabenbeschreibung für die Verfahrens-Organisation und die Ergebnissicherung unerlässlich. Ob diese Funktion in Personalunion durch einen Mapper oder von einer an-deren Person wahrgenommen werden soll, ist abzuwägen. Idealerweise könnte ein DCM-Advanced-User diesen Aufgabenbereich übernehmen.

Empfehlenswert ist die Konstituierung eines „Runden Tisches“, um ei-nen innerbetrieblichen berufsgruppen-, funktions- und wohnbereichs-übergreifenden Informations- und Erkenntnistransfer zu sichern. Alle Mitarbeiter sollten einmal pro Quartal zum „Runden Tisch“ eingeladen werden, bei dem Erfahrungen, Fragen, Wünsche, „Frust und Lust“ zur Sprache kommen können.

Bei der Zusammenarbeit mehrer Einrichtungen in einem DCM-Verbund müssen regelmäßige, moderierte Treffen für alle Mapper eingerichtet werden. Die DCM-Beobachter nehmen im Prozess eine bedeutende Rolle ein und sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Ein gemeinsa-mer Austausch und die damit verbundene Möglichkeit zur Reflexion und Standortbestimmung sind daher wichtige stabilisierende Faktoren.

Qualitätsentwicklung durch DCM ist für die Einrichtung mit finanziellen Aufwendungen verbunden. Kalkulierbare Kosten, z.B. für die DCM-Basic-User-Schulung, für Fortbildungen und begleitende Beratung/Su-pervision, sollten in ein Gesamtfinanzierungskonzept Eingang finden und im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen gegenüber Kostenträgern genauso geltend gemacht werden, wie dies bei marktgängigen Quali-tätsentwicklungsmaßnahmen bereits praktiziert wird. Eine konzeptionelle Erläuterung der DCM-Entwicklungsschritte und -ziele sollte in der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung (LQV) erfolgen. Hilfreich ist auf je-den Fall die frühzeitige Information und Einbindung von Kostenträgern.

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Autoren

André Hennig

Diplom-Pflegewirt (2000). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhoch-schule Frankfurt am Main (2000-2004). Tätig in der wissenschaftlichen Be-gleitung des Projekts „Wohngemeinschaft psychisch veränderter Menschen im Alter“ (2000–2002) und Entwicklung des Qualifizierungskonzepts: „LiSa“ – Lernen in Strukturen ambulanter Pflege (2003–2004). DCM-Basic-User (2001); DCM-Advanced-User (2002). Gründung von inverso.-Institut für Bil-dung und Entwicklung in der Altenhilfe/Mainz (2004) mit den Weiterbildungs- und Beratungsschwerpunkten: Pflege von Menschen mit Demenz und neue Wohn- und Lebensformen für Menschen mit Demenz. Promotion (2006) in Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit dem Titel: Wirklichkeitskonstruktionen von AltenpflegerInnen.

Kontakt: inverso. Institut für Bildung und Entwicklung in der Altenhilfe Bebelstr. 56 55128 Mainz Tel.: 06131/58 48 078 E-Mail: [email protected]

Christine Riesner

Pflegewissenschaftlerin MScN (2005). Krankenschwester. DCM-Trainerin (2000), DCM-Evaluatorin (2001). Beschäftigt an der Universität Witten/ Herdecke, Institut für Pflegewissenschaft, Dialogzentrum Demenz. Freiberuf-lich tätig in den Bereichen Implementierung von Demenzkonzepten, Organi-sationsentwicklung, Kommunikation mit Menschen mit Demenz, personzent-rierte Pflege bei Demenz. Fortbildung in systemischer Organisationsentwick-lung (2004). Mitarbeit im Programm „Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz“ der Robert Bosch Stiftung.

Kontakt: Universität Witten/Herdecke Institut für Pflegewissenschaft – Dialogzentrum Demenz Stockumer Str. 10 58453 Witten Tel.: 02302/926-306 E-Mail: [email protected] oder [email protected]

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Ruth Schlichting

Dipl. Sozialpädagogin (1975), Dipl. Supervisorin (1989). Ausbildung am In-stitut für Gruppenanalyse Heidelberg e.V. (1985–1989). Mitarbeit im For-schungsprojekt der Robert Bosch Stiftung zur „Lebenssituation älterer Men-schen und ihrer pflegenden Angehörigen auf dem Lande“ (1986–1990). Seit 1990 kommunale Altenhilfeplanung im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Im Rahmen dieser Tätigkeit Initiierung und fachliche Begleitung zahlreicher Modellvorhaben und Projekte zur Weiterentwicklung der regionalen Pflege-infrastruktur, u.a.: Seniorenrat Marburg-Biedenkopf (1992), Bundesmodell-projekt „Mobile ambulante geriatrische Rehabilitation“ (1993–1996), Geron-topsychiatrischer Verbund Marburg-Biedenkopf (1999), Alzheimer Gesell-schaft Marburg-Biedenkopf e.V. (2000), Bundesmodellprojekt: „DCM-ge-stützte Qualitätsentwicklung in stationären Einrichtungen“ (2002–2004), Be-schwerdestelle Altenpflege (2003), Beteiligung am Bundesmodellprojekt der Spitzenverbände der Pflegekassen „Persönliches Pflegebudget“ (seit 2004).

Kontakt: Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf Stabsstelle Altenhilfe Im Lichtenholz 60 35034 Marburg Tel.: 06421/405-1632 E-Mail: [email protected]

Maria Zörkler

Studium der Soziologie, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Tübingen und Wien; Magister Artium (1986); Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Soziologie an der Universität Trier mit dem Schwerpunkt „Sozialpo-litik und Sozialverwaltung/Services, Administration and Management“ (1986-1991). Seit 1992 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialfor-schung und Sozialwirtschaft (iso) in Saarbrücken. Arbeitsschwerpunkte: Soziologie des Alter(n)s und der Pflege, Beratung von Politik und sozialen Dienstleistungsunternehmen. Wissenschaftliche Begleitung des BMG-Mo-dellprogramms zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger (seit 1992). DCM-Basic-User (2001). Seit 2005 wissenschaftliche Begleitung und Auswertung von Modellprojekten zur Verbesserung der Versorgung de-menzkranker Menschen und der Erprobung einer wirksamen Vernetzung der Versorgungsangebote in sechs Regionen im Land Hessen.

Kontakt: Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) Trillerweg 68 66117 Saarbrücken Tel.: 0681/9 54 24-18 E-Mail: [email protected]

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Anhang: Projektmaterialien

Inhalt

1 Kooperationsvereinbarung 213

2 Vertrag über Beratung und Begleitung 216

3 „Erstbefundung“ - Dokumentation für Projektkoordination 219

4 „Mapping“ - Dokumentation für Heimleiter/Projekt- 221 koordination

5 „Feedback-Sitzung“ - Dokumentation 224

6 „Maßnahmeplanung“ - Dokumentation 225

7 „Runder Tisch“ - Dokumentation 226

8 Exemplarischer Kostenplan für eine DCM-gestützte 227 Qualitätsentwicklung

9 Entwurf - Vereinbarung für eine einheitliche und 228 verbindliche DCM-Qualitätsentwicklung

10 Beteiligte Modelleinrichtungen im DCM-Projekt 230

11 Externe Berater im DCM-Projekt 231

12 Pressespiegel (Auswahl) 233

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Anhang 1 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Kooperationsvereinbarung

zwischen dem

Landkreis Marburg-Biedenkopf, vertreten durch den Kreisausschuss,

35034 Marburg, -

- im folgenden: Kreis -

und

Altenpflegeheim „........“ – - im folgenden: Einrichtung -

zur Durchführung des Bundesmodellprojektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“.

1. Vorbemerkung/Zielsetzung

Das Bundesministerium für Gesundheit gewährt dem Landkreis Marburg-Biedenkopf eine zweckgebundene Förderung für die Durchführung des auf drei Jahre angelegten Modellvor-habens „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pfle-geheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“. Die den Beteiligten bekannte Modellbe-schreibung ist Teil der Vereinbarung.

Anliegen des Modellvorhabens ist die praktische Erprobung des in Großbritannien entwickel-ten Verfahrens des Dementia Care Mapping (DCM) in insgesamt zwölf Pflegeheimen im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Das Projekt verfolgt dabei insbesondere das Ziel, die Qualität der Pflege und Betreuung demenzkranker Heimbewohner zu evaluieren und weiter zu entwi-ckeln. Erfahrungen und Ergebnisse der Projektarbeit werden dokumentiert und nach Ab-schluss des Projektes einer breiten Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf übernimmt als Projektträger die Verantwortung für eine fachlich qualifizierte, wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung. Den Beteiligten ist be-kannt, dass der Zuwendungsbescheid, der Anlage dieser Vereinbarung ist, vom Bundesge-sundheitsministerium widerrufen werden kann, wenn das Projekt während der Laufzeit an der mangelnden Bereitschaft der teilnehmenden Pflegeheime zur Zusammenarbeit zu scheitern droht.

Die Vertragsparteien verpflichten sich zur Verschwiegenheit. Die Verschwiegenheitspflicht gilt insbesondere für personen- und institutionsbezogene Daten, die die Schutzbedürfnisse aller Projektbeteiligten berühren.

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Anhang 1 Seite 2 __________________________________________________________________________________________

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2. Leistungen für die projektbeteiligte Einrichtung durch den Projektträger

Im Rahmen der Projektbeteiligung erhält die Einrichtung umfassende Leistungen, die sie in die Lage versetzen wird, die Qualität ihres Pflege- und Betreuungsangebots und damit die Le-bensqualität der Heimbewohner mit Demenz, gezielt weiter zu entwickeln. Insbesondere handelt es sich um folgende Leistungen: 1. Schulung der Heimleitung und Pflegedienstleitung in den Grundlagen des DCM-

Verfahrens, 2. Schulung von zwei von der Einrichtung zu benennenden Mitarbeitern in den Grundlagen

des DCM-Verfahrens, 3. Basisqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im ausgewählten Projektbe-

reich der Einrichtung regelmäßige Kontakte zu den Bewohnerinnen und Bewohner haben, 4. Erst- und Abschlussbefundung durch einen externen DCM-Kundigen, 5. Kontinuierliche Befundung und Datenrückmeldung durch ausgebildete DCM-Kundigen

von Partner-Einrichtungen (3 bis 4 /Jahr), 6. Coaching des Prozesses durch einen qualifizierten Supervisor/Organisationsberater (ins-

bes. Datenrückmeldung und Maßnahmenplanung im Projektteam, Krisenintervention, „Runder Tisch“ in der Gesamteinrichtung),

7. Beratung und Begleitung des im DCM-Verfahren geschulten Personals, 8. Ermöglichung der Teilnahme an projektbezogenen Fachtagungen, 9. Investive Unterstützung für Maßnahmen der Milieugestaltung im Rahmen verfügbarer Pro-

jektmittel, wenn die geplante Maßnahme der Milieugestaltung projektbezogen und kon-zeptionell begründet ist.

3. Aufgaben der projektbeteiligten Einrichtung

Die Einrichtung verpflichtet sich, organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen und zu sichern, um während der dreijährigen Laufzeit eine optimale Projektdurchfüh-rung zu gewährleisten. Dazu gehören insbesondere: 1. die Verpflichtung zur konstruktiven Begleitung und Unterstützung des projektbeteiligten

Teams und seiner Mitarbeiter bei allen projektbezogenen Fragen, 2. die Auswahl und Sicherstellung eines geeigneten „Beobachtungsfeldes“ in der Einrich-

tung für die Evaluation (Erstbefundung, wiederkehrende Datenerhebung, Abschlussbe-fundung),

3. die Verpflichtung, das Personal für alle projektbezogenen Aktivitäten (z.B. Mappen, Team-sitzungen, Fortbildungen) freizustellen und deren verbindliche Teilnahme an diesen Aktivi-täten zu gewährleisten;

4. die gemeinschaftliche Organisation der Basisqualifikation in Absprache mit den Partner-einrichtungen,

5. die Bereitschaft, mit allen projektbeteiligten Einrichtungen vertrauensvoll zusammen zu arbeiten,

6. die Verpflichtung zur Durchführung von einrichtungsübergreifenden Diskussionsrunden („Runder Tisch“), mindestens vier mal pro Jahr,

7. die Einwilligung zur Weitergabe projektrelevanter Informationen zur Dokumentation (Aus-nahme: personenbezogene Informationen), durch z.B. Koordinator, Supervisor, Kuratorium Deutsche Altershilfe,

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Anhang 1 Seite 3 __________________________________________________________________________________________

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8. die Bereitschaft, an im Prozessverlauf sich ergebenden Fragestellungen aktiv mitzuwirken und gewonnene Erkenntnisse zur Verbesserung der Pflegequalität in die Pflegepraxis um-zusetzen.

4. Aufgabe der Koordinatorin

Die Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf übernimmt die Leitung und Koordination des Gesamtprojektes. Dazu gehören insbesondere: 1. die Sicherung von Rahmenbedingungen für eine enge Abstimmung und Kooperation

aller projektbeteiligten Einrichtungen (z.B. AG Heimleiter), 2. die Information der Einrichtungen über alle projektrelevanten Maßnahmen und Entschei-

dungen, 3. die Organisation von Treffen der Mapper zwecks Erfahrungsaustausch und Ergebnissiche-

rung (mind. 2 / Jahr), 4. die Erarbeitung einer Dokumentationssystematik in Abstimmung mit den Einrichtungen,

die Aufbereitung der Dokumentationsergebnisse und die Weiterleitung an die für die Be-gleitforschung verantwortlichen Institutionen,

5. die begleitende und abschließende Öffentlichkeits- und Pressearbeit in Absprache mit den Einrichtungen und dem Bundesgesundheitsministerium,

6. die Verwaltung der Projektmittel.

5. Abschlusserklärung

Die Vereinbarung wird für den Zeitraum der bewilligten Projektmaßnahme geschlossen. Sie gilt vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2004.

Die Vereinbarung ist nur aus wichtigem Grund vorzeitig kündbar. Diese kommt nur in Betracht, wenn einem der Beteiligten die weitere Durchführung der Vereinbarung nicht mehr zuzumu-ten ist. Die Beteiligten verpflichten sich, vor einer Kündigung alle Möglichkeiten auszuschöp-fen, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu umgehen.

Die Kooperationspartner sind sich der Verantwortung, die mit der Projektbeteiligung, der Pro-jektorganisation und der Verwendung der Projektmittel verbunden ist, bewusst. Sie verpflich-ten sich, ihre Entscheidungen und ihr Handeln an dieser Verantwortung auszurichten. Marburg, Februar 2002 Landkreis Marburg-Biedenkopf Altenpflegeheim

_______________________ _______________________ Robert Fischbach Landrat

_________________________ Dr. Karsten McGovern Kreisbeigeordneter

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Anhang 2 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

216

Frau/Herrn - im folgenden: Auftragnehmer -

und

das Altenpflegeheim ... - im folgenden: Einrichtung -

und

der Landkreis Marburg-Biedenkopf, vertreten durch den Kreisausschuss, 35034 Marburg

- im folgenden: Kreis -

schließen folgenden

Vertrag über Beratung und Begleitung

1. Aufgaben und Arbeitsumfang Im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Modellvorhabens „DCM-gestützte Qualitätsent-wicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“ wird der Auftragnehmer mit der Beratung und Begleitung der vertragsbeteiligten Einrichtung für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2004 beauftragt. Begonnene aber noch nicht beendete Aufträge, die innerhalb des vereinbarten Beratungskontingents liegen, werden auch nach dem 31.12.2004 auf der Grundlage dieses Vertrages zu Ende geführt. Der Auf-tragnehmer führt diese Beratung und Begleitung als selbständige/r BeraterIn durch. Durch diese Beratung und Begleitung wird ein Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten nicht be-gründet.

Dabei geht es um die fachliche Unterstützung und Begleitung bei der Implementierung und praktischen Erprobung des DCM-Verfahrens. Insbesondere sind folgende Leistungen zu erbringen:

• Beratung und Begleitung der im DCM-Verfahren ausgebildeten Pflegekräfte bei der: - Vorbereitung ihrer Mapping-Einsätze in Partnereinrichtungen (Zeit- und Ablaufpla-

nung, methodische Beratung, Rollenklärung etc.), - Nachbereitung der Mapping-Einsätze (Sichtung und Interpretation der Mapping-

Ergebnisse, Aufarbeitung schwieriger Situationen), - Vorbereitung der Feedback-Sitzung und Begleitung beim Feedback, - Maßnahmenplanung im Team auf der Grundlage der Mapping-Ergebnisse, - Begleitung bei der Umsetzung,

• Krisenintervention im Team im Zusammenhang mit dem DCM-Verfahren und unverzügli-che Weiterleitung der Dokumentation an die Projektkoordinatorin,

• Begleitung bei der Durchführung des „Runden Tisches“ als gesamtinstitutionelle Maßnah-me,

• Dokumentation der Arbeit nach vereinbartem Dokumentationssystem,

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• Zusammenarbeit mit der Projektkoordinatorin (Erfahrungsaustausch, Beratung, Abstim-mung der Arbeitsschritte).

2. Auftragsrahmen Für diese Tätigkeit wird pro Jahr ein Zeitbudget von 9 Tagen à 8 Std., inklusive Fahrzeit, Vor- und Nacharbeitung sowie Gremienarbeit vereinbart. In diesem Zeitbudget sind die Arbeits-treffen mit der Projektkoordinatorin (4 / Jahr, à 2,0 Std.) enthalten.

Vergütet wird die tatsächlich geleistete Beratung und Begleitung.

3. Organisation der Beratung Die Beratungstermine werden zwischen dem Auftragnehmer und den unter Ziffer 2 Einrich-tungen vereinbart. Eine Durchschrift dieser Vereinbarung erhält die Projektkoordinatorin. Kommt eine vereinbarte Beratung aus Gründen, die die Einrichtung zu vertreten hat, nicht zustande, behält der Auftragnehmer seinen Anspruch auf volle Vergütung.

4. Zusammenarbeit mit der Koordinatorin und im Coach-Team Es finden vierteljährlich Treffen zwischen der Koordinatorin und dem Auftragnehmer bzw. der Gesamtheit der Auftragnehmer statt (s. Punkt 2).

5. Verschwiegenheitspflicht Der Auftragnehmer verpflichtet sich, alle ihr/ihm während seiner/ihrer Tätigkeit bekannt ge-wordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, insbesondere die Daten der DCM - Erhebung, sowie sonstige geschäftliche und betriebliche Tatsachen, nur im Rahmen der Beratungstätig-keit zu verwenden. Personenbezogene Informationen der DCM-Erhebung sind als vertrauliche Daten „Eigentum“ der BewohnerInnen, respektive der Teams der jeweiligen Einrichtung. We-der die Einrichtungsleitung noch die Koordinatorin können gegen deren Willen hierin Einsicht erhalten.

Zur Weitergabe oder Offenbarung einer solchen Information bedarf der Auftragnehmer der Zustimmung der beteiligten Person(en). Diese Pflicht zur Verschwiegenheit besteht über das Vertragsende hinaus.

6. Konzept- und Dokumentenschutz Eine Weitergabe der gemeinsam erarbeiteten Konzepte an Dritte ist ausdrücklich verboten. Konzepte, die von einer der Vertragspartner/innen erarbeitet wurden, dürfen von dem/der anderen VertragspartnerIn nur unter Nennung der Quelle verwendet werden. Jede/r der Ver-tragspartnerInnen ist frei, gemeinsam erarbeitete Konzepte und Materialien für eigene Auf-tragsbearbeitung zu verwenden.

7. Vergütung und Abrechnung Das Honorar für einen Beratungstag (8 Stunden) beträgt 818,07 € (incl. MwSt.). Die Fahrtkosten werden mit 0,30 €/km (incl. MwSt.) vergütet. Die Fahrzeit wird mit 0,30 €/km einer Beratungs-stunde vergütet. Die Vergütung ist jeweils nach Erbringung der Leistung und monatlicher Rechnungsstellung fällig. Die Rechnung geht zu Händen der Projektkoordinatorin.

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8. Vertragsänderung und salvatorische Klausel Eine Änderung dieses Vertrags ist nur schriftlich möglich, mündliche Nebenabreden sind aus-geschlossen. Sollten einzelne Bestimmungen ungültig sein, so wird dadurch die Gültigkeit des gesamten Vertrags im Übrigen nicht berührt. Der Vertrag ist in diesem Falle so zu ergänzen, dass der mit der ungültigen Bestimmung beabsichtigte Zweck erreicht wird.

9. Kündigung Dieser Vertrag kann nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

10. Gerichtsstand Gerichtsstand ist Marburg.

Marburg, den

_______________________________ ____________________________ Landkreis Marburg-Biedenkopf Herr/Frau Robert Fischbach (Landrat)

_______________________________ Dr. Karsten McGovern (Kreisbeigeordneter)

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Landkre i s Marburg-B iedenkopf

„Erstbefundung“

Dokumentation für Projektkoordination

1. Rahmendaten

Einrichtung, in der gemappt wurde: Datum d. Mappens: ______________von: ____________Uhr bis ____________Uhr Ort d. Mappens: (z.B. Flur, Essecke, Wohnbereich; Kurzbeschreibung des Milieus)

Anzahl der dort lebenden Bewohner: _______________

Anzahl der gemappten Bewohner: _______________

Anzahl der MA im Beobachtungsfeld: _______________

Letzte Basisschulung am: __________ Thema:

2. Ergebnisse

WIB-Punktzahl: _______________

Gruppenbez. WIB-Wert Profil: ____________

Gruppenbez. Verhaltensprofil: ____________

Art, Häufigkeit u. Schweregrad der Detraktionen:

Positive Ereignisse:

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3. Bericht (z.B. allgemeine Stimmung/Atmosphäre, Akzeptanz b.d. MA; besondere Vorkomm-nisse; Veränderungen während der Beobachtungszeit; erste Vorschläge zu Verände-rungen, usw.) ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________ ___________________________________________________________________________

________________________ Datum, Unterschrift (Mapper)

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Anhang 4 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Landkre i s Marburg-B iedenkopf

„Mapping“

Dokumentation für Heimleiter/Projektkoordination

1. Rahmendaten

Einrichtung, in der gemappt wurde: Datum d. Mappens: ______________von: ____________ Uhr bis ____________ Uhr Ort d. Mappens: (z.B. Flur, Essecke, Wohnbereich; Kurzbeschreibung des Milieus)

Anzahl der dort lebenden Bewohner: _____________

Anzahl der gemappten Bewohner: _______________

Anzahl der MA im Beobachtungsfeld: _____________

Letzte Basisschulung am: __________ Thema:

2. Ergebnisse

WIB-Punktzahl: _______________

Gruppenbez. WIB-Wert Profil: ________________________________________

Gruppenbez. Verhaltensprofil: _________________________________________

Art, Häufigkeit u. Schweregrad der Detraktionen:

Positive Ereignisse:

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Anhang 4 Seite 2 __________________________________________________________________________________________

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3. Bericht (Inhaltliche Gliederung siehe Anlage)

__________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________

________________________ Datum, Unterschrift (Mapper)

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Anhang 4 Seite 3 __________________________________________________________________________________________

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Anlage zum Mappingbogen: Inhaltliche Gliederung für den Mappingbericht:

1. Allgemeine Stimmung und Atmosphäre von Seiten der MitarbeiterInnen (z.B. Freundlichkeit, Ruhe, Hektik)

2. Örtlichkeit und äußere Gegebenheiten (z.B. Raumbeschreibung und -atmo-sphäre, Geräuschpegel (läuft der Fernseher, das Radio etc.)

3. Aktivitäten der MitarbeiterInnen

- bezüglich der ganzen Gruppe

- bezüglich der einzelnen BewohnerInnen Auswirkungen auf die

- Tätigkeiten ohne Begegnung Befindlichkeit der BW

4. Aktivitäten der BW untereinander

5. Eigenaktivitäten der BW ohne Unterstützung der MA

6. Anwesenheit von MA während der Mapp-Zeit

7. Veränderungen gegenüber dem letzten Mappen

8. PDs und PEs in kurzer szenischer Darstellung

9. Dank an die MA der gemappten Einrichtung

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Anhang 5 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Landkre i s Marburg-B iedenkopf

„Feedback-Sitzung“

Dokumentation

1. Rahmendaten Name der Einrichtung: _________________________________________________________ Datum d. Sitzung: _______________ von: __________Uhr bis ___________Uhr Anzahl der Teilnehmer: ___________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen) Ort und Datum des Mappens: _________________________________________________ Name des Mappers/Supervisors: _______________________________________________ _________________________________________________________________________

Bericht (z.B. Wie ist das Feedback gelaufen? Welche Themen wurden diskutiert? Was lief positiv? Was waren die Probleme? Welche Probleme sind lösbar? Welche Probleme sind nicht lösbar?)

___________________________________________________________________________

___________________________________________________________________________

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___________________________________________________________________________

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________________________ (2. Seite ggf. hinzufügen) Datum, Unterschrift (Mapper/Supervisor)

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Anhang 6 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Landkre i s Marburg-B iedenkopf

„Maßnahmeplanung“

Dokumentation

1. Rahmendaten Name der Einrichtung: _________________________________________________________ Datum der Sitzung: ________________ von: __________Uhr bis ___________Uhr Anzahl der Teilnehmer: ___________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen) Ort und Datum des Mappens: _________________________________________________ Ort und Datum des Feedbacks: ________________________________________________ Name des Mappers/Supervisors: _______________________________________________

_________________________________________________________________________

Bericht (z.B. Welche Themen wurden aufgegriffen, welche zurückgestellt? Welche Problemlösungs-ideen gab es? Welche Maßnahmen wurden geplant? Wer im Team ist verantwortlich für Um-setzung? Welcher Zeitrahmen wurde vereinbart? Allgemeine Stimmung)

___________________________________________________________________________

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___________________________________________________________________________ __________________________ (2. Seite ggf. hinzufügen) Datum, Unterschrift (Mapper/Supervisor)

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Anhang 7 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Landkre i s Marburg-B iedenkopf

„Runder Tisch“

Dokumentation

1. Rahmendaten:

Name der Einrichtung: ________________________________________________________

Datum d. Sitzung: ______________ von: __________Uhr bis: _____________Uhr

Anzahl der Teilnehmer: ________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen)

Moderation durch: HL SVsor Sonst.

__________________________________________________________________________

Bericht (z.B. Wie war die Stimmung/Gruppendynamik; angesprochene Themen; positive Aspekte; besondere Probleme; Ergebnisse; Vereinbarungen; Besonderheiten)

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________________________ (2. Seite ggf. hinzufügen) Datum, Unterschrift (HL/SVsor)

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Anhang 8 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Exemplarischer Kostenplan* für eine

DCM-gestützte Qualitätsentwicklung

Grundannahmen:

Neueinstieg der Einrichtung personzentrierte Pflege soll prozesshaft entwickelt werden Einrichtung möchte auf Dauer DCM-Eigenkompetenz implementieren Aufbau- bzw. Entwicklungsprozess 2 Jahre 3 DCM-Zyklen pro Jahr primär beteiligte Mitarbeiter: 10 Personen ergänzende Fortbildungen der Mitarbeiter (10 Tage) externe Prozessbegleitung durch externen Berater

(2 Sitzungen á 90 Min./DCM-Zyklus)

1. Jahr

Basic-User-Kurs für Leitungsebene (2 Personen/3 Tage) 1.136,00 € Basic-User-Kurs für Mapper (2 Personen/3 Tage) 1.136,00 € Erstbefundung, Kurz-Feedback und Kurz-Bericht durch

einen externen Mapper (1 Person/2 Tage) 1.200.00 € Fortbildung: 10 Tage à 600 € 6.000,00 € Follow-up: 2 Tage/Jahr 1.920,00 € Prozessberatung: ca. 153 €/90 Min., incl. MwSt., Vor- und

Nachbereitung, Berichterstattung mind. 6 Sitzungen/Jahr 918,00 €

Gesamt: 12.310,00 €

2. Jahr

Fortbildung: 10 Tage/à 600 € 6.000,00 € Follow-up: 2 Tage/Jahr 1.920,00 € Ausbildung eines DCM Advanced Users (1 Person/4 Tage) 1.000,00 € Prozessberatung: ca. 155 €/90 Min., incl. MwSt., Vor- und

Nachbereitung, Berichterstattung mind. 6 Sitzungen/Jahr 930,00 €

Gesamt: 9.850,00 €

Gesamtkosten für einen zweijährigen DCM-gestützten Qualitätsentwicklungsprozess: 22.160,00 € _________________________________________ * Die Zahlenangaben beruhen auf derzeit marktüblichen Preisen; sie stellen keine verbindlichen Angaben dar. Fahrtkosten

und -zeiten, Hotelkosten f. Referenten sowie Kosten für Literatur etc. wurden nicht einberechnet. Kalkuliert wurden auch nicht die betriebswirtschaftlichen Kosten für die Personalfreistellung.

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Anhang 9 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

228

E N T W U R F

Vereinbarung

zwischen dem

APH XY

und dem

Landkreis Marburg-Biedenkopf, Stabsstelle Altenhilfe

Vorbemerkung

Von Januar 2002 bis Dezember 2004 nahm o.g. Einrichtung an dem Bundesmodellprojekt „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Pflege in stationären Ein-richtungen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“ teil. Ziel war es, mit dem Verfahren des De-mentia Care Mapping ihr Leistungsangebot für demenzkranke Bewohner zu qualifizieren und stetig weiter zu entwickeln. Ergänzend zu dem DCM-Verfahren wurden zur Vertiefung der gerontopsychiatrischen Kenntnisse teambezogene Fortbildungen und begleitende Supervisi-on durchgeführt.

In einer Abschlussbefundung durch einen externen DCM-Beobachter wurden die Ergebnisse des Entwicklungsprozesses evaluiert. Um die erreichte Ergebnisqualität zu sichern und weiter auszubauen, erklärt die Einrichtung ihren Willen, das DCM-Verfahren im Rahmen einer freiwil-ligen Selbstverpflichtung weiter zu praktizieren. Damit ist die Bereitschaft verbunden, mit allen DCM-praktizierenden Einrichtungen im regionalen DCM-Netzwerk vertrauensvoll und fair zu-sammen zu arbeiten. Dies schließt neu hinzukommende Einrichtungen mit ein, die es in „Pa-tenschaften“ mit DCM-erfahrenen Pflegeheimen zu unterstützen gilt.

Die Stabsstelle Altenhilfe unterstützt die Einrichtungen in ihrer Arbeit und sichert Kooperation und Koordination durch die Moderation der DCM-Netzwerkarbeit.

Die vorliegende Vereinbarung dient der Regelung der Zusammenarbeit und der Sicherstel-lung von Rahmenbedingungen für eine einheitliche und verbindliche DCM-Qualitätsent-wicklung in den DCM-Einrichtungen auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung.

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Verpflichtungen der Einrichtung

Die Einrichtung verpflichtet sich:

1. institutionelle Voraussetzungen zu sichern durch:

• Verbindliche Zusage für einen Zeitraum von einem Jahr • Verbindliche Teilnahme an den Koordinationstreffen der Heimleiter

(4 x / Jahr) • Unterstützung des DCM-Prozesses durch die Leitungsebene • Benennung eines einrichtungsinternen DCM-Beauftragten • Freistellung der Mitarbeiter für die Durchführung des DCM-Verfahrens

(Mapping, Auswertung, Berichterstellung, Feedback/Maßnahmeplanung) • Übernahme der Fahrtkosten für die MapperInnen • Erarbeitung eines Einarbeitungskonzeptes für neue MitarbeiterInnen • Erarbeitung eines Konzeptes zur Integration der Maßnahmeplanung in die Pflegedo-

kumentation • Evaluation der Ergebnisqualität durch einen externen DCM-Beobachter nach zwei

Jahren

2. das DCM-Verfahren nach vereinbarten Standards durchzuführen. Dazu gehören:

• DCM-Beobachtung in einer Partnereinrichtung, die durch Losverfahren ausgewählt wird

• Mapping 2 x im Jahr, mind. 6 Stunden durch einen Mapper • Feedback und Maßnahmeplanung innerhalb 14 Tage nach dem Mapping • Prozessbegleitung und -beratung durch einen DCM-erfahrenen Supervisor • Teambezogene gerontopsychiatrische Fortbildung, mind. 3 Tage im Jahr

Verpflichtungen der Stabsstelle Altenhilfe

• Allgemeine Beratung und Unterstützung der Einrichtungen • Organisation und Moderation der Heimleitersitzungen (4 x / Jahr) • Organisation und Moderation der Mappertreffen (mind. 1 x / Jahr) • Unterstützung und Beratung bei der Organisation der Fortbildungen • Kennzeichnung der DCM-praktizierenden Einrichtungen in dem „Wegweiser für ältere

Menschen und pflegende Angehörige“. • Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit

Marburg, den ........................ __________________________ __________________

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Anhang 10 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Beteiligte Modelleinrichtungen im DCM-Projekt

Einrichtung Telefon/Fax

Altenwohn- und Pflegeheim Hannich GmbH Hainweg 6

35037 Marburg

Tel: (0 64 21) 96 30-54

Fax: (0 64 21) 96 30 46

Altenheim „Haus Tabor“ Dürerstraße 30 35039 Marburg

Tel: (0 64 21) 96 75 00

Fax: (0 64 21) 96 75 01

Altenheim „Tannhäuser“

Am Altenberg 2

35216 Biedenkopf

Tel: (0 64 61) 70 60

Fax: (0 64 61) 70 62 60

St.-Elisabeth-Verein e.V.

Altenhilfe Wetter

Schulstraße 29

35083 Wetter

Tel: (0 64 23) 8 09 11

Tel: (0 64 23) 8 09 47

Fax: (0 64 23) 8 09-30

Alten- und Pflegeheim

„Haus Waldesruh“ Sebastian Kneipp Str. 39 + 41 35080 Bad Endbach

Tel: (0 27 76) 9 15 60

Fax: (0 27 76) 91 56 25

Ev. Alten- und Pflegeheim

„Elisabethenhof“

Rotenberg 60

35037 Marburg

Tel: (0 64 21) 93 50 14

Tel: (0 64 21) 93 50 46

Fax: (0 64 21) 93 50 13

Altenzentrum St. Jakob

Sudetenstr. 24

35037 Marburg

Tel: (0 64 21) 9 51 90

Fax: (0 64 21) 9 51 98 88

Tagespflege AurA e.V.

Simmestraße 30

35043 Marburg

Tel: (0 64 21 ) 4 76 75

Fax: (0 64 21) 48 56 13

Altenwohn- und

Altenpflegeheim

„Haus Maria“ GmbH

Buchenstraße 3 – 5

35236 Breidenbach

Tel: (0 64 65) 17 76

Tel: (0 64 65) 14 74

Fax: (0 64 65) 13 11

Altenhilfezentrum Auf der Weide

Auf der Weide 6

35037 Marburg

Tel: (0 64 21) 1 71 40

Fax: (0 64 21) 1 71 42 24

DRK

Seniorenzentrum Wallau

Alte Straße 14

35216 Biedenkopf

Tel: (0 64 61) 8 82 55

Fax: (0 64 61) 80 87 17

Altenpflegeheim

„Haus Rauschenberg“

Auf dem Flur 38

35282 Rauschenberg

Tel.: (0 64 25) 92 32 11

Fax: (0 64 25) 92 32 50

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Anhang 11 Seite 1 __________________________________________________________________________________________

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Externe Berater im DCM-Projekt

Name Telefon E-Mail

Jochen Rosenkötter Bornbach 1 35096 Weimar

06426-966860 [email protected]

Norbert Müller Im Boden 9 35041 Marburg-Michelbach

06420-1886 [email protected]

Rosemarie Gräßle Deutschhausstraße 36 35037 Marburg

06421-686172 [email protected]

Gabriele Hofmann-Eimer Schwanallee 35 35037 Marburg

06421-14207 [email protected]

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Pressespiegel (Auswahl)