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RECHT AKTUELL 02 2019

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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, Sie mit dieser jüngsten Ausgabe von Recht Aktuell über aktuelle Rechtsprechung, anstehende Termine und Neuigkeiten aus der Kanzlei zu informieren.

Erneut dürfen wir Ihnen einige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vorstellen, die Ihnen seit Juli / August bei LUTZ | ABEL zur Verfügung stehen:

Mit Frank Hahn haben wir einen erfahrenen Kollegen für Venture Capital / M&A in Hamburg gewonnen. Er war zuvor bereits sechs Jahre als Rechtsanwalt in einer internationalen Großkanzlei im Bereich Gesellschaftsrecht und M&A tätig. Fabian Sturm verstärkt das Hamburger Team im IP-, IT- und Datenschutzrecht. Vor seinem Wechsel zu LUTZ | ABEL war er als Rechtsan-walt für Marken-, Wettbewerbs- und IT-Recht in einer Rechtsanwalts-, Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkanzlei tätig. Ute Schenn unterstützt unser Stuttgarter Team in den Bereichen Commercial, Gesellschaftsrecht und Litigation. Zuletzt war sie Rechtsanwältin in einer im Gesellschaftsrecht spezialisierten Kanzlei, zuvor in einer führenden deutschen Großkanzlei im Kartellrecht. Sabine Neumann ist zu unserem Arbeitsrechts-Team in Hamburg hinzugekommen und war in den zwei Jahren davor als Rechtsanwältin in einer in diesem Bereich spezialisierten Wirtschaftskanzlei tätig.

Sie sind herzlich eingeladen, die neuen Kolleginnen und Kollegen u.a. im Rahmen unserer Veranstaltungen persönlich kennen-zulernen. Eine Übersicht finden Sie auf den nachfolgenden Seiten.

Besonders möchten wir Sie auf den folgenden Termin hinweisen:

LUTZ | ABEL AKADEMIE – Fremdpersonaleinsatz7. November 2019 | 9.00 bis 17.00 Uhr in Hamburg

Schließlich gratulieren wir noch den 22 Anwälten von LUTZ | ABEL, welche in diesem Jahr in insgesamt 12 Kategorien im Ranking von Handelsblatt und Best Lawyers unter Deutschlands Besten Anwälten aufgeführt wurden.

Wie immer wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihre Anwälte von LUTZ | ABEL

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VERANSTALTUNGEN

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Fremdpersonaleinsatz 2019 – Neue Entwicklungen und Best PracticesLUTZ | ABEL AKADEMIE7. November 2019 in HamburgReferenten: Dr. Henning Abraham, Claudia Knuth, Dr. Claus Asbeck, LL.M. Hull (Richter am Arbeitsgericht Hamburg)

Erste praktische Erfahrungen im Beschäftigtendatenschutz mit der DSGVORechtsanwaltskammer München5. November 2019 in MünchenReferent: Dr. Philipp Byers

Arbeitnehmerdatenschutz-FachtagungTÜV NORD Akademie26. November 2019 in MünchenReferent: Dr. Philipp Byers u.a.

Der neue BeschäftigtendatenschutzBECK Akademie Seminare5. Dezember 2019 in MünchenReferent: Dr. Philipp Byers

NEW WORK: Arbeitsrecht & Datenschutz im HomeofficeFORUM Institut für Management GmbH10. März 2020 in BerlinReferenten: Claudia Knuth, Dr. André Schmidt

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Gesellschafterstreit: Typische KonfliktfelderBECK Akademie Seminare21. November 2019 in MünchenReferenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert

Gesellschafterstreit im ProzessBECK Akademie Seminare22. November 2019 in MünchenReferenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert

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Störungen im BauablaufVerlag Dashöfer13. November 2019 in BerlinReferent: Dr. Daniel Junk

Einkauf von BauleistungenManagement Forum Starnberg13.-14. November 2019 in Frankfurt am Main9.-10. Dezember 2019 in MünchenReferent: Dr. Rainer Kohlhammer u.a.

Kostentreiber Bau- und AbbruchabfälleVDI Wissensforum22.-23. April 2020 in MünchenReferent: Dr. Rainer Kohlhammer u.a.

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Für Fragen zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung stehen Ihnen die Referenten sowie Ilona Wiens (Telefon: +49 89 544 147-0, E-Mail: [email protected]) gerne zur Verfügung.

Weitere Informationen unter www.lutzabel.com/termine

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Fremdpersonal „richtig“ beschaffenDVNW Akademie GmbH7. November 2019 in München29. Januar 2020 in BerlinReferent: Dr. Christian Kokew

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A 1. Start-up und UnternehmensforumFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit21. November 2019 in MeppenReferent: Dr. Lorenz Jellinghaus u.a.

NachprüfungsverfahrenFORUM Institut für Management GmbH30. Januar 2020 in MünchenReferent: Tobias Osseforth, Mag. rer. publ.

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INHALTSVERZEICHNIS

01 ARBEITSRECHT

Scheinselbstständigkeit wird immer teurer!Claudia Knuth

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COMPLIANCE

Update Compliance – Was Unternehmen jetzt wissen müssen in Bezug auf das Ge-schäftsgeheimnisgesetz und Whistleblowing Dr. Kilian K. Eßwein

GESELLSCHAFTSRECHT

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Einziehung eines Geschäftsanteils und Grenzen der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG Dr. Bernd Fluck

REAL ESTATE

Kosten im Bauwesen – Bedeutung der neuen DIN 276Ulrich Eix

Vernichtung als stärkste Form der Beeinträchtigung eines WerkesIris Burkhart

Gewerkeschutz vor Abnahme – Eigenzweck oder vertragliche Pflicht?Iris Burkhart

Vorsicht Falle: Der Widerruf des „Haustür-Architektenvertrags“ und sonstiger Werk-verträge unterhalb der Schwelle des VerbraucherbauvertragsKatrin Reißenweber Einzug des Beweises des ersten Anscheins ins MängelrechtNiklas Kröger

Verkehrssicherungspflichten: Risiko des Bauherrn?Steffen Krämer

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05 VENTURE CAPITAL / M&A

Liquidationspräferenzen in Venture Capital-Beteiligungsverträgen: Marktstandards im Wandel? Dr. Sebastian Sumalvico

GmbH: Kein notariell beurkundeter Gesellschafterbeschluss zum Verkauf des ganz wesentlichen Vermögens erforderlichPhilipp Hoene

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SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT WIRD IMMER TEURER!

Die Beschäftigung von selbstständigen Mitarbeitern führt zu mehr Flexibilität im Unternehmen. Die Auftragslage ent-scheidet über den Einsatz, es entsteht nicht die Gefahr von Zahlungsansprüchen ohne Gegenleistung, und langfristige Verpflichtungen bestehen nur, solange man sie will. So reiz-voll die Beschäftigung von selbstständigen Mitarbeitern ist, so groß ist jedoch auch die damit verbundene Gefahr.

RAin Claudia Knuth | [email protected]

ARBEITSRECHT

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Zahlungsverpflichtungen des Unterneh-mers

Die Annahme einer Scheinselbstständigkeit führt nicht nur zu Rückzahlungsansprüchen gegenüber der Deutschen Rentenversicherung. Nach einer neuen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) kann der Scheinselbstständige auch sämtliche Urlaubs- und Entgelt-fortzahlungsansprüche für Krankheitszeiten rückwirkend geltend machen.

Beitragsnachzahlungen

Alle vier Jahre überprüfen die Träger der Rentenversicherung die Erfüllung der Meldepflichten und Beitragszahlungen. Beitragsschuldner ist allein der Arbeitgeber. Etwaige Rück-zahlungen bei der Annahme einer Scheinselbstständigkeit können nur für die letzten drei Monate beim Arbeitnehmer zurückgefordert werden. Die restlichen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge von gegebenenfalls vier Jahren trägt der Arbeitgeber allein.

Bei vorsätzlicher Nichtabführung verjährt der Anspruch der Deutschen Rentenversicherung auf Nachforderung erst 30 Jahre nach Fälligkeit. Ausreichend ist hierfür bereits be-dingter Vorsatz – das heißt, die Beteiligten haben es für möglich gehalten, dass das Vertragsverhältnis ein Arbeits-verhältnis ist, und haben dies billigend in Kauf genommen.

Neben der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen haftet der Arbeitgeber auch für die nicht abgeführte Lohn-steuer sowie für sämtliche Aufwendungen der Unfallversi-cherungsträger, sofern ein Versicherungsfall eintritt.

Urlaubsansprüche und Entgeltfortzahlung

Wird die Scheinselbstständigkeit festgestellt, ist der Be-schäftigte rückwirkend wie ein Mitarbeiter zu vergüten. Das betrifft insbesondere Urlaubsansprüche und Entgeltfort-zahlung im Krankheitsfall. Der EuGH hat durch die Beant-wortung der vorgelegten Fragen einem Scheinselbststän-digen rückwirkend Urlaubsansprüche für die letzten 13  (!) Jahre zugesprochen, und dies in einem Umfang von über 24 Wochen. Der EuGH verdeutlichte, dass seine Rechtspre-chung zur begrenzten Übertragung von Ansprüchen auf be-zahlten Jahresurlaub bei Arbeitnehmern, die diesen krank-heitsbedingt nicht nehmen konnten, nicht übertragbar sei. Die Interessen des Arbeitgebers seien im vorliegenden Fall nicht schutzwürdig. Das bedeutet, dass scheinselbstständi-ge Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs haben. Ließe man in diesen Fällen ein Erlöschen des Anspruchs auf unbezahlten Jahresurlaub zu, würde ein Verhalten bestätigt werden, das zu einer unrecht-mäßigen Bereicherung des nicht schutzwürdigen Arbeitge-bers führt.

Vorkehrungen

Um daher weitreichende Zahlungsansprüche von sich abzu-wenden, sollten Betroffene ein paar Grundsätze beachten. Bei der Überprüfung, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit vorliegt, ist neben den vertraglichen Besonderheiten insbesondere die tatsächliche Durch-führung entscheidend, also ob die bestehenden Vertrags-verhältnisse in der Praxis tatsächlich so gelebt wurden. Demnach ist stets darauf zu achten, dass die vertraglichen Regelungen auch entsprechend umgesetzt werden.

Weisungen und höchstpersönliche Leistungser-bringung

Der Einsatz von selbstständigen Mitarbeitern unterscheidet sich gegenüber dem abhängig Beschäftigter insbesondere dahingehend, dass selbstständige Mitarbeiter weisungs-frei arbeiten. Dies bezieht sich vor allem auf die Anwei-sungen hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit. Diese sollten in Dienst- oder Werkverträgen ausdrücklich ausgeschlossen werden. Entsprechende Vorgaben ergeben sich vielmehr aus der Leistungsbeschreibung des Dienst- oder Werkvertrags. Die Kontrolle der Leistung übernimmt das Gewährleistungsrecht. Daneben kann im Dienst- oder Werkvertrag ein Ansprechpartner vereinbart werden, um die vertraglichen Verpflichtungen zu konkretisieren, ohne über Berichtslinien in einen Rechtfertigungszwang zu geraten.

Auch die Vorgabe, die Dienste bzw. das Werk höchstper-sönlich zu erbringen, kann schnell zur Annahme einer ab-hängigen Beschäftigung führen. Denn es ist der Arbeit-nehmereigenschaft gerade eigen, dass keine Vertretung des Mitarbeiters zulässig ist. Eine Ausnahme macht das Bundessozialgericht nur dann, wenn die höchstpersönliche Leistungserbringung den Eigenheiten und besonderen Erfor-dernissen des Auftragsverhältnisses geschuldet ist. Gerade bei Tätigkeiten, deren Erfolg ein besonderes Vertrauen über einen ggf. längeren Zeitraum oder aber eine besondere Ex-pertise voraussetzt, sei die Leistungserbringung durch eine bestimmte Person als zulässiger Vertragsinhalt anzusehen.

Dieselbe Tätigkeit sollte außerdem nicht bereits zuvor von abhängig Beschäftigten ausgeführt worden sein oder gar zeitgleich von unselbstständig beschäftigten Mitarbeitern ausgeführt werden. Auch hier liegt die Annahme eines ab-hängigen Beschäftigungsverhältnisses nahe. Hinsichtlich der Art der Tätigkeit sollte auf eine Unterscheidbarkeit zwi-schen selbstständigen und unselbstständigen Mitarbeitern geachtet werden.

Arbeitsplatz und IT

Die Frage nach einem eigenen Arbeitsplatz, IT-Zubehör so-wie anderen Arbeitsmitteln wird oft als Abgrenzungsmerk-mal herangezogen. So besteht häufig noch das klassische Bild des Selbstständigen, der alles Notwendige auch selbst vorrätig hat. Auch wenn die Rechtsprechung mittlerweile

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eine fehlende Betriebsstätte als zwingendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung abgelehnt hat, sollte weiterhin darauf verzichtet werden, Büroräume inklusive sämtlicher Ausstattung zur Verfügung zu stellen. Kann das aus daten-schutzrechtlichen Gründen nicht vermieden werden, sollte zumindest eine Mietgebühr in das Vertragsverhältnis auf-genommen werden.

Arbeitszeit und Arbeitsumfang

Auch der Umfang der Arbeitszeit und die Vorgabe, zu be-stimmten Zeiten arbeiten zu müssen, stellen Abgrenzungs-merkmale dar. Es sollte zwingend darauf geachtet werden, dass im Dienst- oder Werkvertrag keine Arbeitszeiten ver-einbart werden. Empfehlenswert ist es auch, eine Regelung in den Vertrag mitaufzunehmen, die ausdrücklich darauf hinweist, dass der selbstständige Mitarbeiter Lage und Um-fang der Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Die Arbeitszeit sollte, sofern nicht betrieblich erforderlich, nicht durch Weisungen nach Vertragsschluss weiter konkretisiert wer-den.

Der Umfang der Arbeitszeit, die der selbstständige Mitarbei-ter eigenverantwortlich bestimmt, ist gerade aufgrund der gebotenen Zurückhaltung hinsichtlich etwaiger Restriktio-nen nur schwer zu überprüfen. Sofern es dem Mitarbeiter aber faktisch durch extensive Inanspruchnahme seiner Ar-beitskraft nicht möglich ist, auch für andere Auftraggeber tätig zu sein, und der Mitarbeiter wie ein Vollzeitarbeitneh-mer beschäftigt wird, kann auch dies ein Indiz für das Vor-liegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sein.

Höhe der Vergütung

Die Höhe der Vergütung kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Beschäftigung sein, sofern die Vergütung deutlich über dem Bruttoverdienst eines ähnlich qualifi-zierten Angestellten liegt und dadurch eine Eigenversor-gung zulässt.

Die Festlegung eines Stundensatzes spricht zwar nicht grundsätzlich für eine unabhängige Beschäftigung, dennoch ist es empfehlenswert, den Mitarbeiter erfolgs- bzw. ergeb-nisorientiert zu vergüten, um eine deutliche Abgrenzung zu abhängig Beschäftigten zu fördern.

Eingliederung in die Arbeitsorganisation

Ferner ist auch entscheidend, ob der Mitarbeiter in die Ar-beitsorganisation des Betriebes eingegliedert ist. Insbeson-dere können hier die Teilnahme an Meetings, Jour Fixes und sonstigen Besprechungen, die Teilnahme an Fortbildungs-maßnahmen, eine Einladung zur Weihnachts- oder Betriebs-feier oder die Eingliederung des Mitarbeiters in Dienst- bzw. Schichtpläne für eine unselbstständige Beschäftigung sprechen.

Fazit

Die Beschäftigung von selbstständigen Mitarbeitern unter-liegt weiterhin großen Unsicherheiten und stellt für den Arbeitgeber oftmals eine Gratwanderung dar. So ist es auf-grund des undurchsichtigen und durch die Rechtsprechung stetig weiterentwickelten Kriterienkataloges kaum mög-lich, eine eindeutige Abgrenzung zwischen selbstständi-gen und unselbstständigen Mitarbeitern vorzunehmen. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Ratsam ist es jedenfalls, die zuvor beschriebenen Vorkehrungen zu treffen und keine Indizien für das Vorliegen eines abhängi-gen Beschäftigungsverhältnisses zu schaffen, um die weit-reichenden Beitragsnachzahlungen und Zahlungsansprüche zu vermeiden.

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RA Dr. Kilian K. Eßwein | [email protected]

UPDATE COMPLIANCE – WAS UNTERNEHMEN JETZT WISSEN MÜSSEN IN BEZUG AUF DAS GESCHÄFTSGEHEIMNIS-

GESETZ UND WHISTLEBLOWING

Die Aufregungen und Anstrengungen rund um die DSGVO klingen gerade erst ab, die Ordnungsbehörden fangen ge-rade erst an, eine Überwachungs- und Bebußungspraxis im Hinblick auf datenschutzrelevante Verstöße zu entwickeln, da sehen sich Unternehmen schon mit den nächsten He- rausforderungen konfrontiert.

Das Geschäftsgeheimnis-Schutzgesetz, kurz GeschGehG und im Folgenden auch „Geschäftsgeheimnisgesetz“, und die sogenannte „Whistleblower-Richtlinie“ sind Grund für weitere Maßnahmen. Hinzu kommt, und dieser Aspekt taucht auch auf der Haftungsseite immer öfter auf, dass Geschäftsführer und Vorstände von Unternehmen sowie sonstige Verantwortliche die Pflicht haben, auch im Rahmen der Sicherstellung der Regeltreue im Unternehmen (Com-pliance) dafür zu sorgen, dass gesetzgeberische Anforde-rungen ab dem Zeitpunkt ihrer Geltung erfüllt werden. Die Verfolgungspraxis von Aufsichtsbehörden hat sich in den letzten Jahren verschärft, und ein daraus resultierendes Bewusstsein auf Unternehmensseite wird mittlerweile als selbstverständlich erwartet.

Im Folgenden wird dementsprechend ein Überblick über die neuen bzw. bevorstehenden Regelungen gegeben.

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Geschäftsgeheimnis-Schutzgesetz

Das GeschGehG ist am 26.04.2019 in Kraft getreten und be-ruht seinerseits auf einer EU-Richtlinie.

In einem allgemeinen Teil werden im GeschGehG Begriffs-definitionen und erlaubte Handlungen sowie Handlungsver-bote definiert, in Abschnitt 2 (Ansprüche bei Rechtsverlet-zungen) werden besondere Ansprüche bei Verletzungen von Geschäftsgeheimnissen statuiert, in Abschnitt 3 (Verfahren in Geschäftsgeheimnisstreitsachen) sind besondere ver-fahrensmäßige Vorschriften verankert, und in Abschnitt 4 (Strafvorschriften) finden sich neu geregelte Strafbarkeits-vorschriften im Zusammenhang mit der Verletzung von Ge-schäftsgeheimnissen.

Aus Unternehmenssicht besonders bedeutsam ist zunächst der Umstand, dass die früher unterschiedlich definierten „Betriebsgeheimnisse“ einerseits und „Geschäftsgeheim-nisse“ andererseits nunmehr unter eine einheitliche Defi-nition fallen, was allerdings bei den Geheimhaltungsmaß-nahmen (dazu sogleich) evtl. weiterhin eine Unterscheidung erforderlich macht.

Rechtswidrige Geheimnisse geschützt?

Im Rahmen der Gesetzgebungsgeschichte wurde diskutiert, ob auch Informationen über Rechtsverstöße Schutz nach dem GeschGehG genießen. Man stelle sich nur den einfa-chen Fall vor, dass ein Unternehmen in seinen eigenen Rei-hen einen Vorfall von Korruption, Steuerhinterziehung oder auch sonstigen Straftaten aus dem Unternehmen heraus aufdeckt. Nach geltender Rechtslage ist es in derartigen Fällen jedenfalls die Pflicht der Unternehmensleitung, die Vorfälle intern (sofern sie noch laufen) sofort abzustellen und aufzuklären sowie Maßnahmen umzusetzen, um der-artige Vorfälle in der Zukunft zu verhindern. Abgesehen von Spezialfällen gibt es indessen keine Pflicht der Unterneh-mensleitung, solche Rechtsverstöße auch zur Anzeige bei den Ermittlungsbehörden zu bringen. Aus Sicht der Unter-nehmensleitung kann vielmehr ein erhebliches Interesse daran bestehen, die Informationen über Rechtsverstöße zum Schutz des Unternehmens geheim zu halten.

Festzuhalten dürfte sein, dass die Frage, ob auch Informa-tionen über Rechtsverstöße den Schutz als Geschäftsge-heimnis genießen, noch nicht abschließend geklärt ist. Für beide Positionen lassen sich derzeit noch Argumente ins Feld führen, wobei die Tendenz eher dahin geht, dass sol-chen Informationen ein Geheimnisschutz nicht zukommen kann. Unternehmen sollten sich indessen dieses Umstands bewusst sein und gegebenenfalls besondere (rechtliche) Vorkehrungen treffen, insbesondere prüfen lassen, ob und wie etwaige Informationen über Rechtsverstöße geschützt werden können.

Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen

Aufgrund der (neuen) Definition des Geschäftsgeheimnis-ses ist es unter anderem erforderlich, dass „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ durch den rechtmäßigen Inha-ber einer geheimen Information getroffen werden, § 2 Nr.  1 lit. b) GeschGehG.

Dieser Umstand ist neu. Die Bedeutung dieser Voraussetzung darf keinesfalls unterschätzt werden. Anders als früher be-deutet dies nämlich, dass nunmehr Geschäftsgeheimnisse nur dann den Schutz des Gesetzes genießen und bei Verstö-ßen durch Mitarbeiter, Vertragspartner oder Wettbewerber korrespondierende Ansprüche geltend gemacht werden können, wenn das jeweilige Unternehmen den Geheimnis-schutz durch diese angemessenen Geheimhaltungsmaß-nahmen „aktiviert“. Für die meisten Unternehmen wird das bedeuten, dass ein Schutzsystem etabliert werden muss, welches mit verschiedenen Mechanismen bewirkt, dass In-formationen den Schutz als Geschäftsgeheimnis genießen. Große Unternehmen werden eher auf bereits bestehende Strukturen zurückgreifen können; für kleinere Unterneh-men besteht hier in den meisten Fällen noch erheblicher Handlungsbedarf. Dies kann über Kennzeichnungen, strikte Umsetzung von „need-to-know“-Grundsätzen, technische Schutzmaßnahmen und andere Schritte erfolgen. Gelebte Praktiken, wie etwa die des „bring your own device“, wer-den sehr kritisch zu überdenken sein, weil Unternehmen dadurch riskieren, den eigentlich angestrebten Geheim-nisschutz faktisch zu unterlaufen. Anders gesagt: Selbst wenn ein Unternehmen detaillierte Richtlinien und Kenn-zeichnungen sowie sonstige Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen hat, gleichzeitig den Mitarbeitern aber im Rahmen des „bring your own device“ erlaubt, mit ihren eigenen Geräten auf die „Geheimnisse“ zuzugreifen, so liegt es nahe, dass die „angemessenen Geheimhaltungs-maßnahmen“ auf den eigenen Geräten (own devices) nicht im erforderlichen Umfang kontrolliert werden können. Das Risiko, dass ein Gericht deshalb den Geheimnisschutz ab-erkennt, ist dementsprechend nicht von der Hand zu weisen.

Unternehmen sollten ferner ihre Arbeitsverträge prüfen lassen, ob diese den Anforderungen des GeschGehG ent-sprechen, sowie sonstige Richtlinien implementieren, um dessen Anforderungen Rechnung zu tragen.

Keinesfalls aus dem Blick verlieren sollten Unternehmen auch Kooperationspartner, Lizenznehmer sowie ihre Rah-menverträge. Gerade auch die nachvertraglichen Verpflich-tungen bei Beendigung von Verträgen können das Zünglein an der Waage sein, wenn es darum geht, ob der Geheimnis-schutz aktiviert ist – oder eben nicht.

Whistleblowing

In § 5 Nr. 2 GeschGehG ist es nunmehr unter gewissen Um-ständen möglich, ein Geschäftsgeheimnis zu erlangen, zu nutzen oder auch offenzulegen, sofern dies zum Schutz ei-

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nes „berechtigten Interesses“ erfolgt. Das GeschGehG nennt dabei insbesondere den Fall, dass dies zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sons-tigen Fehlverhaltens geschieht, wenn die Erlangung, Nut-zung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffent-liche Interesse zu schützen.

An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass Whistle-blowing hier erstmals seinen gesetzlichen Niederschlag in einem allgemein gültigen, deutschen Gesetz gefunden hat. Ob daraus bereits die Verpflichtung für Unternehmen folgt, Whistleblower-Stellen einzurichten, ist noch nicht ab-schließend geklärt. Indes kann festgehalten werden, dass Unternehmen gut daran tun, Whistleblower-Einrichtungen bereit zu halten, um so die Mitteilung von Rechtsverstößen zumindest zunächst in geordnete Kanäle zu lenken und Hin-weisgeber nicht dazu zu „nötigen“, sofort an die Öffentlich-keit zu gehen – unter Berufung auf die vorgenannte Rege-lung. Hinzu kommt aus Unternehmenssicht Folgendes: Ob ein Whistleblower bei Existenz eines funktionierenden und rechtskonformen Hinweisgebersystems jedwede Art von Verstößen direkt öffentlich machen darf, dürfte strenger zu bewerten sein als bei Fehlen eines solchen Systems.

Weiterer Handlungsbedarf zum Schutz vor Haftung

Im GeschGehG sind zudem Haftungsregelungen verankert, die Unternehmen für Rechtsverstöße ihrer Mitarbeiter haf-ten lassen. Aus diesem Grund sollte – nicht nur aus der Compliance-Perspektive – darüber nachgedacht werden, hier angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Unterneh-men vor Haftung zu schützen und Mitarbeiter für die Risiken des neuen GeschGehG zu sensibilisieren.

Whistleblower-Richtlinie

2018 wurde der Entwurf einer Whistleblower-Richtlinie vor-gelegt, der in den Mitgliedstaaten und auch in Deutschland sehr viel Aufmerksamkeit erhalten hat. Es geht hierbei zen-tral um den Schutz von Hinweisgebern, die Rechtsverstöße offenlegen und die in der Vergangenheit häufig mit (ins-besondere) arbeitsrechtlichen Repressalien konfrontiert waren. Das Ziel der Richtlinie ist es, Hinweisgeber besser zu schützen. Am 12.03.2019 haben sich das Europaparlament und die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten über letzte Streit-punkte geeinigt. So war insbesondere noch strittig, inwie-weit es ein „Eskalationsschema“ für Whistleblower geben sollte:

• In manchen Mitgliedstaaten wurde vertreten, dass es Hinweisgebern stets offenstehen sollte, Verstöße sofort nicht nur unternehmensintern zu melden, sondern auch an unternehmensexterne Dritte heranzutreten, also Ver-stöße etwa gegenüber Ermittlungsbehörden oder der Presse bekannt zu machen.

• Demgegenüber haben einige Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, die These vertreten, dass es einen Vor-rang der unternehmensinternen Meldungen geben sollte.

Die am 12.03.2019 erreichte Einigung geht dahin, dass grund-sätzlich sämtliche Meldekanäle gleichberechtigt sind; jedoch ist nach jetzigem Stand eine sofortige externe Mel-dung nur ausnahmsweise, etwa bei ausbleibender Reaktion auf interne Meldungen oder bei einer unmittelbaren Gefahr für die Öffentlichkeit oder bei drohenden Vergeltungsmaß-nahmen zulässig. Die detaillierte Ausgestaltung der Eskala-tion bleibt abzuwarten.

Die Whistleblower-Richtlinie hat insbesondere Hinweisge-ber im Sinn, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Es kann aber bereits jetzt festgehalten werden, dass sowohl der Schutz für Hinweisgeber als auch der Anwendungsbe-reich der Whistleblower-Richtlinie relativ weitgehend sind.

Privatunternehmen wie auch öffentliche Einrichtungen ab bestimmten Größen bzw. Kennzahlen sind verpflichtet, Whistleblower-Meldekanäle einzurichten. Bei Privatunter-nehmen sind die Grenzen wie folgt: 50 oder mehr Beschäf-tigte oder ein Jahresumsatz bzw. eine Jahresbilanzsumme von über EUR 10 Mio.

Unternehmen, die im Finanzdienstleistungsbereich tätig oder im Sinne bestimmter unionsrechtlicher Vorschriften für Geldwäsche- bzw. Terrorfinanzierungstätigkeiten anfäl-lig sind, sind größen- und umsatzunabhängig verpflichtet, derartige Richtlinien einzuführen.

Bei öffentlichen Einrichtungen sind die Definitionen etwas anders; hier sind staatliche Verwaltungsstellen, regionale Verwaltungen und Dienststellen sowie Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern sowie sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, Meldekanäle einzurichten.

Entscheidend bei der Einrichtung der vorgeschriebenen Mel-dekanäle ist, dass die Vertraulichkeit gesichert sein muss.

Die Whistleblower-Richtlinie bedarf nach ihrer förmlichen Billigung durch das Europäische Parlament und den Rat noch der Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. Unternehmen tun indessen gut daran, bereits jetzt die Ent-wicklungen genau im Auge zu behalten und sich rechtzeitig auf die Implementierung von Hinweisgebersystemen vorzu-bereiten, zumal auch nach dem GeschGehG eine solche Ein-richtung bereits jetzt zu empfehlen sein kann.

Zusammenfassung

Sowohl das GeschGehG als auch die Whistleblower-Richt-linie bringen massive Neuerungen im Bereich des Geheim-nisschutzes und des Schutzes von Hinweisgebern, also

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von Personen, die Rechtsverstöße im Unternehmen sowie gegenüber Externen (also Medien, Ermittlungsbehörden) offenlegen. Unternehmen sollten sich frühzeitig darauf einstellen und sich neben der Implementierung der vorge-schriebenen Maßnahmen auch überlegen, wie sie sich ge-genüber Hinweisgebern positionieren. Freiwillige Selbstver-pflichtungen zählen mittlerweile zur guten Praxis und sind nicht mehr nur etwas für Großkonzerne. Hierbei sollte man allerdings mit dem nötigen Augenmaß vorgehen, weil sich eine ungeschickt formulierte Selbstverpflichtung schnell zum Bumerang in arbeitsgerichtlichen Verfahren und ande-ren Bereichen entwickeln kann.

Geschäftsleiter sollten zum Schutz des Unternehmens und zum Schutz vor eigener Haftung die nötigen Maßnahmen umsetzen. Gerade für den deutschen Mittelstand ist das Know-how oftmals das höchste Gut, das ohne die angemes-senen Vorkehrungen nunmehr schutzlos dazustehen droht.

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GESELLSCHAFTSRECHT

EINSTWEILIGER RECHTSSCHUTZ GEGEN DIE EINZIEHUNG EINES GESCHÄFTSANTEILS UND GRENZEN DER

LEGITIMATIONSWIRKUNG DES § 16 ABS. 1 GMBHG

Einführung

Maßgeblich für die Geltendmachung von Gesellschafter-rechten gegenüber einer GmbH ist gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG grundsätzlich alleine die Eintragung in die beim Handelsregister hinterlegte Gesellschafterliste. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise im Zusammenhang mit der Einberufung und der Durchführung von Gesellschaf-terversammlungen nur diejenigen Personen Einberufungs- oder Stimmrechte ausüben können, die mit einer entspre-chenden Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft in die beim Handelsregister hinterlegte Gesellschafterliste eingetragen sind.

Im Regelfall führt daher die Eintragung in die Gesellschaf-terliste zu einer unwiderleglichen Vermutung bezüglich der Inhaberschaft an den ausgewiesenen Geschäftsanteilen mit entsprechender Beteiligungsquote. Im Umkehrschluss gilt also derjenige, der nicht in die Liste eingetragen ist, un-abhängig von seiner materiellen Berechtigung nicht als Ge-sellschafter und ist auch von der Ausübung seiner Gesell-schafterrechte ausgeschlossen. Im juristischen Schrifttum werden Grenzen dieser weitreichenden Legitimationswir-kung lediglich in krassen Missbrauchsfällen angenommen.

Die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste mit der daraus folgenden Vermutung der Gesellschafterstellung im Hinblick auf die Ausübung von Gesellschafterrechten wird insbesondere in streitigen Konstellationen und häufig im

RA Dr. Bernd Fluck | [email protected]

Zusammenhang mit Einziehungen von Geschäftsanteilen relevant. Gemäß § 34 Abs. 2 GmbHG können die Gesellschaf-ter bei Existenz einer entsprechenden Satzungsregelung und Vorliegen eines wichtigen Grundes über die Einziehung eines Geschäftsanteils eines unerwünscht gewordenen Ge-sellschafters beschließen.

Nach der Aufgabe der „Bedingungslösung“ durch den Bun-desgerichtshof, wonach die Einziehung grundsätzlich erst dann wirksam wurde, wenn die dem „Störenfried“ geschul-dete Abfindung vollständig geleistet wurde, wird der Einzie-hungsbeschluss nach nun geltender Rechtslage bereits mit der Mitteilung gegenüber dem betroffenen Gesellschafter wirksam. Dies bedeutet, dass nach einem Einziehungsbe-schluss und dessen Bekanntgabe gegenüber dem betroffe-nen Gesellschafter die Gesellschaft grundsätzlich jederzeit den Inhalt der Gesellschafterliste in der Weise modifizieren kann, dass der ausgeschlossene Gesellschafter nicht mehr darin eingetragen ist und er folglich auch keine Gesell-schafterrechte mehr geltend machen kann.

Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG obliegt die Gestaltung des Inhalts der Gesellschafterliste dem Geschäftsführer. Steht der Geschäftsführer demnach im Lager des oder der verbleibenden Gesellschafter, so können diese nach der Fassung des Einziehungsbeschlusses die Beteiligungsver-hältnisse in formeller Hinsicht und mit absoluter Wirkung auf die Ausübung der Gesellschafterrechte ohne Weiteres in ihrem Sinne modifizieren. Gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG

ist neben dem Geschäftsführer auch der Notar befugt, eine geänderte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzu-reichen, wenn er an den entsprechenden Änderungen im Ge-sellschafterbestand selbst mitgewirkt hat. Als Konsequenz dieser Regelung können sogar Minderheitsgesellschafter im Anschluss an durch sie gefasste Einziehungsbeschlüs-se unabhängig von deren Wirksamkeit über den Notar eine geänderte Gesellschafterliste zum Handelsregister ein-reichen, wenn sie den Einziehungsbeschluss notariell be-urkunden lassen haben.

Nachdem die verbleibenden Gesellschafter nach der Lö-schung des Betroffenen aus der Gesellschafterliste die Gesellschaft nach Belieben umgestalten können, indem sie beispielsweise die Satzung in ihrem Sinne modifizieren oder die Geschäftsführung neu besetzen, und Rechtsschutz in einer Hauptsacheklage, die üblicherweise circa zwei bis drei Jahre bis zur Entscheidung dauert, zu spät käme, ist der betroffene Gesellschafter in solchen Konstellationen in be-sonderer Weise auf Eilrechtsschutz im Wege einstweiliger Verfügungsverfahren angewiesen.

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich in jüngerer Vergangenheit hinsichtlich der Gewährung von Eilrechts-schutz im Zusammenhang mit der Einziehung von Ge-schäftsanteilen und der Korrektur von Gesellschafterlisten äußerst zurückhaltend positioniert (siehe etwa KG Berlin, Urteil vom 10.12.2015, Az.: 23 U 99/15; OLG Jena, Urteil vom 24.08.2016, Az.: 2 U 168/16). Der Verfasser hat sich hiergegen kritisch ausgesprochen (GmbHR 2017, 67 ff.).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nunmehr in einer jüngeren Entscheidung (Urteil vom 02.07.2019, Az.: II ZR 406/17) klar-gestellt, dass gerade in Einziehungskonstellationen und in Bezug auf die Gesellschafterliste dem Eilrechtsschutz besondere Bedeutung zuzukommen hat und sich hierbei ausdrücklich der Auffassung des Verfassers angeschlos-sen. Zudem hat das Gericht entschieden, dass die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG dort ihre Grenzen findet, wo sich die Gesellschaft mit Blick auf den Inhalt der Gesellschafterliste in besonderer Weise treuwid-rig verhält.

Sachverhalt

Der der Entscheidung des BGH zugrunde liegende Sachver-halt stellt sich vereinfacht und – soweit vorliegend von Re-levanz – wie folgt dar:

An der beklagten GmbH waren der klagende A als Minder-heitsgesellschafter und B als Mehrheitsgesellschafter be-teiligt. Geschäftsführer der beklagten GmbH waren jeden-falls bis zum Jahr 2014 der Kläger A und einer der Söhne des B.

Am 07.12.2014 beschloss der Aufsichtsrat der GmbH die Ab-berufung des Klägers als Geschäftsführer und die sofortige

Kündigung seines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund. Am 21.12.2014 beschloss der Aufsichtsrat der GmbH erneut die Kündigung des Anstellungsvertrags zwischen der GmbH und A.

Bei Gesellschafterversammlungen der beklagten GmbH vom 06.01.2015 und vom 07.01.2015, zu denen A eingeladen hatte, wurde die Einziehung des Geschäftsanteils des B beschlos-sen. Gegen die Einziehungsbeschlüsse hat B anschließend Klage in der Hauptsache erhoben, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Auf Antrag des B untersagte das Landgericht Berlin mit Be-schlüssen vom 07.01.2015 und vom 08.01.2015 der Beklagten und dem A im Wege einer einstweiligen Verfügung, aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse vom 06.01.2015 und vom 07.01.2015 neue Gesellschafterlisten beim Handelsregister einzureichen, die den B nicht mehr als Gesellschafter der GmbH ausweisen. Gleichwohl reichte der die Einziehungsbe-schlüsse der Gesellschafterversammlungen vom 06.01.2015 und vom 07.01.2015 beurkundende Notar eine Gesellschaf-terliste beim Handelsregister ein, die den B nicht mehr als Gesellschafter der Beklagten auswies. Diese Gesellschaf-terliste wurde am 06.08.2015 in den Registerordner bezüg-lich der Gesellschaft aufgenommen. Auf Antrag des B ord-nete das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 24.08.2015 an, dass der Gesellschafterliste ein Widerspruch zuzuord-nen sei. Am 01.09.2015 reichte derselbe Notar wie zuvor wie-derum eine Gesellschafterliste zum Handelsregister ein, die den B nicht mehr als Gesellschafter auswies und die auch keinen Widerspruch mehr enthielt.

Am 06./07.08.2015 – wohlgemerkt zu einer Zeit, zu der B nicht mehr als Gesellschafter in die Gesellschafterliste eingetragen war – fasste A im Umlaufverfahren Beschlüsse über die Unwirksamkeit seiner Abberufung als Geschäfts-führer sowie vorsorglich über seine Wiederbestellung zum Geschäftsführer sowie die Abberufung des Sohnes des B als Geschäftsführer der GmbH. Anschließend beschloss A meh-rere Änderungen der Satzung der GmbH. Mit einem weite-ren Umlaufbeschluss vom 12.10.2017 bestellte A gemäß § 46 Nr.  8 GmbHG einen besonderen Vertreter zur Vertretung der Gesellschaft in bestimmten Rechtsstreitigkeiten.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Obwohl die vorgenannten Beschlüsse vom 06./07.08.2015 und vom 12.10.2017 zu einer Zeit gefasst wurden, während der A als alleiniger Gesellschafter in die Gesellschafterliste der GmbH eingetragen war, kam der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis, dass diese Beschlüsse – entgegen der formellen Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG – unwirk-sam waren, da B daran beteiligt hätte werden müssen. Dies gelte ungeachtet des Umstands, dass B im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht mehr in die im Handelsregister auf-genommene Gesellschafterliste der GmbH eingetragen war. Die Nichtladung eines Gesellschafters beziehungsweise die

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Nichtbeteiligung eines Gesellschafters an einem Umlauf-beschluss führe gemäß der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 1 AktG zur Nichtigkeit der in der Versammlung beziehungs-weise im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse. B hätte an den Umlaufbeschlüssen beteiligt werden müssen, ob-wohl er am 06./07.08.2015 und am 12.10.2017 nicht mehr als Gesellschafter in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen war.

Die Gesellschaft könne sich – so der BGH – gemäß § 242 BGB nicht auf den Inhalt der Gesellschafterliste berufen, weil die Liste entgegen der gerichtlichen Untersagungs-verfügung eingereicht wurde und die Beklagte nicht nach ihrer Aufnahme im Handelsregister für eine Korrektur ge-sorgt habe. Werde einer GmbH nach Einziehung eines Ge-schäftsanteils durch eine einstweilige Verfügung untersagt, eine neue Gesellschafterliste, die den von der Einziehung Betroffenen nicht mehr als Gesellschafter ausweist, beim Amtsgericht zur Aufnahme im Handelsregister einzurei-chen, ist die Gesellschaft nach Treu und Glauben daran gehindert, sich auf die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG zu berufen, wenn entgegen der ge-richtlichen Anordnung eine veränderte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und in den Registerordner aufgenommen worden ist.

Ein Gesellschafter, der nicht in die im Handelsregister auf-genommene Gesellschafterliste eingetragen sei, müsse – so der BGH weiter – nach § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG an einem Umlaufbeschluss grundsätzlich nicht beteiligt werden. Dies gelte jedoch nicht für die beklagte GmbH, da ihr durch eine einstweilige Verfügung untersagt worden sei, eine neue Ge-sellschafterliste beim Amtsgericht zur Aufnahme ins Han-delsregister einzureichen. Aus diesem Grund sei sie gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf die formelle Legitima-tionswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG zu berufen.

Der BGH stellt weiterhin klar, dass einem von einer Einzie-hung betroffenen Gesellschafter der Eilrechtsschutz offen-stehen müsse, da er auf ein besonders schnelles Verfahren dringend angewiesen sei. Das Gericht führt aus, dass der von einer möglicherweise fehlerhaften Einziehung betroffene Gesellschafter zwar gegen den Einziehungsbeschluss in der Hauptsache Klage erheben könne, er dadurch aber nicht verhindern könne, dass eine die Einziehung vollziehende Gesellschafterliste, das heißt eine Gesellschafterliste, die ihn nicht mehr als Gesellschafter ausweist, zum Handels-register eingereicht und in den Registerordner aufgenom-men werde. Während der Dauer des Rechtsstreits könnten demnach die übrigen Gesellschafter das Unternehmen nach ihrem Belieben umgestalten, da die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG den von der Einziehung betrof-fenen Gesellschafter an der Ausübung seiner Gesellschaf-terrechte hindere. Insbesondere, wenn wie im vorliegenden Fall der Anteil eines Mehrheitsgesellschafters betroffen sei, führe die Änderung der Gesellschafterliste zu einem unmittelbaren Kontrollwechsel. Die veränderten Macht-

verhältnisse ermöglichten plötzlich dem Minderheitsge-sellschafter, weitreichenden Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen beziehungsweise die Geschäftsführerposition zu seinen Gunsten zu besetzen und folglich die Gesellschaft dauerhaft umzugestalten. Diese Umstrukturierungen könne der betroffene Gesellschafter nach Wiedererlangung seiner Gesellschafterposition nach Abschluss des Hauptsachever-fahrens häufig nicht oder wenn überhaupt nur mit unver-hältnismäßigem Aufwand rückgängig machen.

Der BGH stellt daher klar, dass dem betroffenen Gesell-schafter begleitend zur Anfechtungs- und Nichtigkeits-klage gegen den Einziehungsbeschluss bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit zustehen müsse, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die insoweit passivlegitimierte Gesellschaft das Verbot zu erwirken, eine neue Gesellschafterliste, in die er nicht mehr als Gesellschafter eingetragen ist, bei dem Registergericht einzureichen.

Anmerkung und Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zu begrüßen. Sie stellt klar, dass die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG nicht grenzenlos ist. Insbesondere im Zusammenhang mit krassen Missbrauchsfällen wäre es unbillig, der aus § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG folgenden Vermu-tung gleichwohl Geltung zuzusprechen. Die verbleibenden Gesellschafter können sich insbesondere dann nicht auf ihre Stellung als Alleingesellschafter berufen, wenn eine gerichtliche Entscheidung vorliegt, die besagt, dass der Be-troffene vorerst in der Gesellschafterliste zu verbleiben hat.

In einem weiteren Punkt verdient die Entscheidung des Bun-desgerichtshofs Zustimmung: Der BGH stellt die Wichtigkeit des Eilrechtsschutzes im Zusammenhang mit Einziehungs-beschlüssen bei Gesellschaften mbH heraus. Die oberge-richtliche Rechtsprechung, die sich in der Vergangenheit bei der Gewährung von Eilrechtsschutz im Zusammenhang mit Einziehungsbeschlüssen äußerst zurückhaltend verhalten hat, hat diesbezüglich zu erheblicher Rechtsunsicherheit und sogar zu Rechtsschutzlücken geführt. Mit der hier be-sprochenen Entscheidung hat sich der BGH der diesbezüg-lich ausgesprochenen Kritik des Verfassers ausdrücklich angeschlossen (Fluck, GmbHR 2017, 67 (70)) und den Ober-gerichten hoffentlich eine Richtungsweisung an die Hand gegeben, damit diese künftig in Einziehungskonstellationen den Gesellschafterrechten des betroffenen Gesellschaf-ters im Wege des Eilrechtsschutzes hinreichend Rechnung tragen.

Für die Praxis bleibt festzuhalten, dass im Zusammenhang mit der Beratung von GmbH-Gesellschaftern, die (mög-licherweise) von Einziehungsbeschlüssen betroffen sein können, aus anwaltlicher Sicht stets versucht werden muss, im Wege einstweiliger Verfügungen eine Veränderung der

Gesellschafterliste, die den Mandanten nicht mehr als Ge-sellschafter ausweist, zu verhindern. Sobald eine solche gerichtliche Entscheidung vorliegt, kommt es nach der Ent-scheidung des Bundesgerichtshofs auf den Inhalt der Ge-sellschafterliste nicht mehr an, sondern ist es vielmehr den verbleibenden Gesellschaftern aufgrund der Rechtspre-chung des BGH nicht mehr möglich, alleine die Gesellschaf-terrechte auszuüben und Beschlüsse über weitreichende Umstrukturierungen an der Gesellschaft zu fassen.

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KOSTEN IM BAUWESEN – BEDEUTUNG DER NEUEN DIN 276

RA Ulrich Eix | [email protected]

Die DIN 276 „Kosten im Bauwesen“ ist ein Regelwerk vom Verein „Deutsches Institut für Normung“ für die Kosten-planung bei Bauprojekten, insbesondere für die Ermittlung und Gliederung von Projektkosten. Durch Regelungen in der HOAI für die Ermittlung von anrechenbaren Kosten, die auf die DIN-Norm verweisen, stellt sie nebenbei eine wesent-liche Grundlage für die Berechnung der Honorare der Archi-tekten und Ingenieure dar. Vor einigen Monaten wurde die DIN 276 überarbeitet und ist mit dem Ausgabedatum 2018-12 erschienen. Für manche möglicherweise überraschend ist, welche Bedeutung DIN-Normen (nur) haben, klingt doch der Titel des Vereins im ersten Moment offiziell. Auch ist das Verhältnis zwischen der DIN 276 und der HOAI bzw. deren Leistungsbildern höchst interessant. Beide Aspekte sollen mit diesem Artikel beleuchtet werden.

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Die überarbeitete DIN 276:2018-12 hat die Kostenermitt-lungsstufen neu geordnet und neue Detaillierungsgrade festgelegt. Der bisherige Kostenanschlag, der der Entschei-dung über die Ausführungsplanung und der Vorbereitung der Vergaben dienen soll, wird nunmehr als sogenannter „Kos-tenvoranschlag“ bezeichnet. Der Kostenvoranschlag dient als neue zusätzliche Ermittlungsstufe der Entscheidung über die Vergaben und die Ausführung. Bei der Kostenschät-zung muss bis zur zweiten statt bisher nur zur ersten Ebene der Kostengliederung sowie bei der Kostenberechnung bis zur dritten statt bisher zur zweiten Ebene der Kostenglie-derung vorgegangen werden. Neu ist die Kostengruppe 800 „Finanzierung“, die bislang Bestandteil der Kostengruppe 700 war.

Durch die Neufassung der DIN 276 hat sich an der HOAI je-doch nichts geändert. Insbesondere die Leistungsbilder verweisen bei Kostenermittlungen nach wie vor allgemein auf die DIN 276, ohne die anzuwendende Fassung der Norm festzulegen. Die Vorgaben von § 4 HOAI heranzuziehen, der in Absatz 1 Satz 3 ausdrücklich auf die DIN 276 in der (alten) Fassung von 2008 verweist, wäre zu kurz gesprungen, denn § 4 regelt ausschließlich die Ermittlung von anrechenbaren Kosten – also die Herleitung des Planerhonorars („bei der Ermittlung der anrechenbaren Kosten zugrunde zu legen“) – und hat nichts damit zu tun, welche Leistungen ein Planer erbringen muss. Auch eine Orientierung an den Begriffsde-finitionen von § 2, der in den Absätzen 10 und 11 Kostener-mittlungen erläutert, wäre gefährlich, denn für die Kosten-berechnung (Absatz 11) wird nichts zur DIN-Fassung gesagt. Auch die Aussagen zur Kostenschätzung (Absatz 10) enthal-ten streng genommen keine Vorgabe zur Anwendung einer bestimmten Norm, sondern regeln nur die Gliederungstiefe, sofern die Kostenschätzung nach § 4 über die DIN 276 in der Fassung von 2008 ermittelt wird.

Daher stellt sich die spannende Frage, ob der Planer et-was falsch macht, wenn er sich vertraglich zu den Arbeiten laut HOAI-Leistungsbild verpflichtet und die Projektkosten nach der DIN 276 in der Fassung von 2008 ermittelt. Nach-dem in diesem Fall die ausdrückliche Vereinbarung zu den Leistungspflichten des Planers unergiebig ist, kommt es maßgeblich auf die anerkannten Regeln der Technik an. Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen Regeln, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind sowie in der Praxis durchweg bekannt und aufgrund fortlaufender praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig angesehen werden. Förmliche Regelwerke wie DIN-Normen können zwar, müs-sen aber nicht den anerkannten Regeln der Technik ent-sprechen. Da solche Regelwerke auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen sind und die sie erstellenden Institutionen keine hoheitlichen Befugnisse haben, sind die Normen als solche auch keine Rechtsnormen. Bestes Bei-spiel ist der Schallschutz im Hochbau, bei dem jedenfalls bis zur Neufassung der DIN 4109 Ende letzten Jahres die anerkannten Regeln der Technik teilweise strenger waren als die DIN-Norm. Allerdings tragen DIN-Normen die – wi-

derlegbare – Vermutung in sich, dass sie den Stand der all-gemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben (BGH, Urteil vom 24.5.2013, Az.: V ZR 182/12).

Architekten und Ingenieure sind nach der hier vertretenen Auffassung gut beraten, im Zweifel die aktuelle Fassung der DIN 276, also die DIN 276:2018-12 anzuwenden. Dies kann zwar zu dem skurrilen Ergebnis führen, dass für die Kosten-ermittlung im Projekt eine andere Fassung der DIN-Norm an-gewendet wird als für die Honorarermittlung, sofern – was in der juristischen Wissenschaft umstritten ist – in § 4 Abs. 1 HOAI ein jedenfalls teilweise statischer Verweis auf die DIN-Norm von 2008 gesehen wird. Die (widerlegbare) Vermutung, dass es sich bei der aktuellen DIN-Fassung um anerkannte Regeln der Technik handelt, schafft aber die größtmögli-che Sicherheit. Ob die neue DIN-Fassung tatsächlich schon den anerkannten Regeln der Technik entspricht, ist eine schwierige Frage, die letztendlich primär nicht durch Juris-ten, sondern durch Sachverständige ermittelt werden muss. Jedenfalls der Umstand, dass die DIN-Regeln erst seit einem halben Jahr novelliert sind, lässt zweifeln, ob die Neufassung schon „in der Praxis durchweg bekannt“ und „aufgrund fort-laufender praktischer Erfahrung“ anerkannt ist. Insofern ist es wie so oft im juristischen Bereich: Bestenfalls regeln der Bauherr und der Architekt im Vertrag ausdrücklich, welche DIN-Fassung für die Kostenplanung herangezogen wird.

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REAL ESTATE

VERNICHTUNG ALS STÄRKSTE FORM DER BEEINTRÄCHTIGUNG EINES WERKES

RAin Iris Burkhart | [email protected]

Eine höchstrichterliche Entscheidung darüber, ob bei Ver-nichtung oder Zerstörung eines Werkes Rechte des Urhebers beeinträchtigt werden, gab es bislang nicht. Insbesondere für Architekten ist diese Frage von besonderer Bedeutung, wenn Bauwerke abgerissen werden sollen.

Zur rechtlichen Bewertung solcher Fälle ging die herrschen-de Auffassung davon aus, dass man dem Eigentümer die Vernichtung im Regelfall nicht versagen könne, und stützte dies auf ein obiter dictum aus einem Urteil des Reichsge-richts aus dem Jahr 1912 (Urteil vom 08.06.1912, Az.: I 382/11).

Gestritten wurde nur darüber, ob bei Vernichtung eines Werkes denn überhaupt die Rechte des Urhebers berührt seien. Schließlich sei das Werk nach Vernichtung nicht be-einträchtigt, sondern schlicht gar nicht mehr wahrnehmbar. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Februar dieses Jah-res Stellung bezogen. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 21.02.2019 (Az.: I ZR 98/17) erstmals überhaupt klarge-stellt, dass bei der Zerstörung eines Werkes eine Interes-senabwägung zwischen den Interessen des Eigentümers und des Urhebers stattzufinden hat. Beim Abriss von Gebäuden und sonstigen Bauwerken sind nunmehr also auch die Inter-essen des Architekten zu berücksichtigen.

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Sachverhalt

Im Fall „HHole (for Mannheim)“ ging es um eine Rauminstal-lation, die sich vom Erdgeschoss über mehrere Stockwerke – durch Löcher in der jeweiligen Raumdecke – vertikal bis zum Dach des Museumsgebäudes erstreckte. Dieser Gebäu-detrakt sollte in einen zwölf Meter hohen Raum ohne Zwi-schendecken umgebaut werden. Zwangsläufig musste die Rauminstallation entfernt und damit zerstört werden. Hier-gegen klagte die Künstlerin. Gestützt auf das Entstellungs-verbot (§ 14 UrhG) und auch auf vertragliche Ansprüche aus einer permanenten Dauerleihgabe, begehrte sie Unterlas-sung und Wiederherstellung sowie Zahlung des seinerzeit vereinbarten Honorars.

Entscheidung

Die Klägerin hat zwar kein Recht bekommen, da die Ver-nichtung im konkreten Fall zulässig war. Das Gericht nutz-te jedoch die Gelegenheit, um klarzustellen, dass auch die „Vernichtung“ eines Werkes nach Wortlaut und Systematik von § 14 UrhG erfasst sei. Damit hat nach der neuen Recht-sprechung des BGH schon nach der einfachgesetzlichen Regelung eine Interessenabwägung bei Vernichtung eines Werkes zu erfolgen. Eine andere Bewertung darf sich nach Auffassung des Gerichts aber schon allein wegen der die betroffenen Parteien schützenden Grundrechte nicht er-geben.

Denn der private Eigentümer kann sich auf sein Grundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen, wenn er mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren (§ 903 S. 1 BGB), es beispielsweise vernichten möchte.

Die öffentliche Hand kann sich zwar nicht auf den Grund-rechtsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG berufen. Soweit das Ei-gentum Gegenstand und Grundlage kommunaler Betätigung ist, genießt gemeindliches Eigentum aber den verfassungs-rechtlichen Schutz der Garantie der kommunalen Selbst-verwaltung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.

Für den Urheber streitet die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verbürgte Kunstfreiheit, die nicht nur den Schaffensprozess („Werk-bereich“), sondern auch die für die Begegnung mit der Kunst erforderliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks („Wirkbereich“) schützt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.02.1971, Az.: 1 BvR 435/68 – Mephisto; Be-schluss vom 13.06.2007, Az.: 1 BvR 1783/05 – Esra, m.w.N.).

Um die kollidierenden Grundrechte für alle Beteiligten in Ausgleich zu bringen, hat deswegen eine Interessenabwä-gung zu erfolgen.

Diesen grundrechtlichen Wertungen kann im Falle der Ver-nichtung eines Werkes Rechnung getragen werden, wenn die Vernichtung als Beeinträchtigung des Werkes von § 14 UrhG erfasst und damit die im Tatbestandsmerkmal der „be-

rechtigten geistigen oder persönlichen Interessen“ des Ur-hebers angelegte Interessenabwägung eröffnet ist.

Praxishinweis

Bei der im Rahmen des § 14 UrhG vorzunehmenden Inter-essenabwägung ist auf Seiten des Urhebers/Architekten insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dem ver-nichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werkes handelte, oder ob von dem Werk weitere Verviel-fältigungsstücke existieren. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst ist oder als angewand-te Kunst einem Gebrauchszweck dient. Weiter kann sich auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder – wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werkes nicht möglich ist – Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen.

Auf Seiten des Eigentümers können, etwa wenn ein Bauwerk oder Kunst in oder an einem solchen betroffen ist, bautech-nische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsände-rung von Bedeutung sein. Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Inte-ressen des Urhebers am Erhalt des Werkes in der Regel vor-gehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergibt.

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REAL ESTATE

GEWERKESCHUTZ VOR ABNAHME – EIGENZWECK ODER VERTRAGLICHE PFLICHT?

Einleitung

Eine Verpflichtung des Auftragnehmers zum Schutz des ei-genen Gewerks ist im BGB nicht ausdrücklich normiert. Der Auftragnehmer trägt jedoch vom Beginn der Ausführungs-arbeiten bis zur Abnahme das Risiko von Beschädigungen an den eigenen Leistungen. Im Bauablauf ist dies kein un-erhebliches Risiko, da es oftmals zu Beschädigungen durch gleichzeitig tätige Unternehmer (im Folgenden „Neben- oder Folgeunternehmer“) kommt, die parallel Gewerke auf der jeweiligen Baustelle errichten. Spätestens dann, wenn der Auftraggeber das Werk abnehmen möchte und Beschä-digungen feststellt, stellt sich die Frage, wer die Gefahr trägt und ob und in welchem Umfang der Auftraggeber den Auftragnehmer wegen fehlender oder nicht ausreichender Schutzmaßnahmen in Anspruch nehmen kann.

Grundlage hierfür ist die Annahme, dass der Auftragnehmer als echte vertragliche Nebenpflicht zum Schutz der eige-nen Leistungen und der seiner Nachunternehmer durch zu-mutbare Maßnahmen verpflichtet ist. Dies ergibt sich für den VOB/B-Vertrag ausdrücklich aus § 4 Abs. 5 VOB/B. Das Merkmal der Zumutbarkeit, das den Umfang der Schutz-pflichten bestimmt, ist nach dem Einzelfall zu bestimmen und kann aus dem Verhältnis zwischen Nebenleistungen und Besonderen Leistungen in den jeweils anwendbaren DIN-Vorschriften abgeleitet werden.

Der Auftragnehmer trägt jedoch auch bei Ergreifung zu-mutbarer Schutzmaßnahmen die Gefahr der zufälligen Be-

RAin Iris Burkhart | [email protected]

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schädigung – also der Beschädigung, die keine der Parteien verschuldet. Dies gilt auch für den Fall der Beschädigung des Gewerks durch Neben- oder Folgeunternehmer. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern Schutzmaßnahmen dem Auftragnehmer überhaupt dienlich sind und ob eine ande-re Beurteilung dann angebracht ist, wenn der Auftraggeber risikoerhöhende Maßnahmen ergriffen hat, die zu einer Be-schädigung des Gewerks führen.

Stellungnahme

Verpflichtung zum Schutz der eigenen Leistung

Das BGB enthält keine ausdrücklichen Regelungen zu Schutzpflichten einzelner Gewerke, weder durch den Auf-traggeber noch durch den Auftragnehmer. In der VOB/B, die im unternehmerischen Bereich und insbesondere bei Ver-trägen mit der öffentlichen Hand zur Anwendung kommt, ist hingegen in § 4 Abs. 5 VOB/B geregelt, dass der Auftragneh-mer die von ihm ausgeführten Leistungen und die ihm für die Ausführung übergebenen Gegenstände bis zur Abnahme vor Beschädigung und Diebstahl zu schützen hat.

Diese Verpflichtung korrespondiert mit den Regeln in § 644 BGB und § 12 Abs. 6 VOB/B, die bestimmen, dass der Auftrag-nehmer bis zur Abnahme die Gefahr des zufälligen Unter-gangs trägt. Für den Werk-/Bauvertrag nach BGB wird daher zurecht davon ausgegangen, dass sich die Schutzpflicht des Auftragnehmers als vertragliche Nebenpflicht bereits aus

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den allgemeinen Regeln zur Gefahrverteilung gem. § 644 BGB ergibt, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Gesetz ge-regelt ist. Der in § 4 Abs. 5 VOB/B umgesetzte Rechtsgedan-ke ist auf den BGB-Bauvertrag anzuwenden (vgl. OLG Celle, Urteil vom 26.09.2002, Az.: 22 U 109/01).

Da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, ist es umso wich-tiger, den Umfang der (einklagbaren!) Nebenpflicht zu be-stimmen. Verletzt der Auftragnehmer die echte vertragliche Nebenpflicht, hat er nicht nur die eigene Leistung wieder-herzustellen, sondern muss auch Schadensersatz wegen der Verletzung bauvertraglicher Nebenpflichten leisten.

In zeitlicher Hinsicht beginnt diese Schutzpflicht mit Beginn der Ausführungsleistung und endet erst mit der Abnahme. In sachlicher Hinsicht gestaltet sich die Bestimmung des Um-fangs schwieriger:

Stellt man auf die allgemeine Vorschrift des § 4 Abs. 5 VOB/B ab, so findet eine Konkretisierung der Auffangrege-lung durch die ausdrücklich geregelten, als Nebenleistun-gen niedergelegten Schutzpflichten in den ATV der VOB/C statt.

Bestimmte Schutzmaßnahmen sind in den DIN-Vorschrif-ten hingegen als Besondere Leistungen ausgestaltet, die in Abgrenzung zu den Nebenleistungen vergütungspflichtig sind. Hierbei handelt es sich um aufwändige Schutzmaßnah-men, die vom Auftraggeber vergütungspflichtig angeordnet werden müssen. Diese Besonderen Leistungen begrenzen den Umfang der zumutbaren Schutzpflichten des Auftrag-nehmers. Denn die Besonderen Leistungen sind ja gerade nicht mehr ohne Vergütung als vertragliche Nebenpflicht zu erbringen, sondern erst nach Beauftragung und nur gegen Vergütung. Insoweit wird deutlich, dass nur solche Schutz-maßnahmen, die ohne zusätzliche Vergütung zumutbar sind, vom Auftragnehmer als vertragliche Nebenpflicht erwartet werden können und dürfen.

In der baurechtlichen Rechtsprechung wurde die Schutz-pflicht des Auftragnehmers bisher nicht eingehender betrachtet. Um den Umfang der Gefahrtragung des Auf-tragnehmers zu bestimmen, ist das vom Auftragnehmer er-wartete Zusammenspiel zwischen Schutzpflichten und Ge-fahrtragung und den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen zu betrachten.

Gefahrtragung

a) Gesetzliche Regelung:

Grundsätzlich gilt im Werkvertragsrecht nach § 644 BGB, dass der Unternehmer, der die Werkleistung erbringt, also der Auftragnehmer, die Gefahr bis zur Abnahme des Werkes trägt. Bis zur Abnahme trägt der Unternehmer mithin das Risiko, dass das von ihm erstellte Werk ganz oder teilwei-se beschädigt, unbrauchbar, gestohlen oder ganz vernichtet

wird, ohne dass dies eine Partei zu vertreten hat (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 3.12.2014, Az.: 1 U 49/14).

Die Leistungspflicht des Unternehmers bleibt davon grund-sätzlich unberührt. Der Unternehmer muss die notwendigen Leistungen erbringen, um das Werk mangelfrei wiederher-zustellen. Das kann je nach Ausmaß der Beeinträchtigung bedeuten, dass das Werk ganz oder teilweise neu herzustel-len ist. Nach der Abnahme hingegen trägt der Auftraggeber die Gefahr, da der Vertrag erfüllt ist.

Auch Eingriffe Dritter, die durch zumutbare oder geschul-dete Schutzmaßnahmen nicht abwendbar waren, sind von dieser Gefahrverteilung erfasst. Dazu gehören insbesondere Eingriffe anderer Unternehmer, die während ihrer Arbeiten bereits vorhandene Leistungen beschädigen. Solche Be-schädigungen können trotz sorgfältiger Schutzmaßnahmen durch den Unternehmer oder den Auftraggeber nicht voll-ständig verhindert werden. Die gleichzeitige Beauftragung verschiedener Bauhandwerker kann für sich allein im Re-gelfall die Verschiebung der Gefahr auf den Auftraggeber nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 06.11.1980, Az.: VII ZR 47/80). Der Neben- oder Folgeunternehmer ist nämlich kein Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers, dessen Verhalten dem Auftraggeber zuzurechnen wäre (vgl. OLG Celle, Urteil vom 18.03.2010, Az.: 6 U 108/09).

Der Unternehmer trägt das Risiko dieser Beschädigungen vor der Abnahme, der Auftraggeber nach der Abnahme. Der Auftraggeber kann vor der Abnahme die (erneute) Leistung des Unternehmers fordern. Gleiches gilt grundsätzlich für den Diebstahl von im Bauobjekt eingelagerten Materialien (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 03.12.2014, Az.: 1 U 49/14).

Begrenzt wird die Gefahrtragung durch § 645 BGB, wonach die Gefahr auf den Auftraggeber übergeht, wenn dieser für die Ausführung der Leistung eine Anweisung erteilt hat, in deren Folge das Gewerk untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden ist. Die Rechtsprechung hat im Lau-fe der Zeit den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle erweitert, in denen die Risikolage vergleichbar ist, also die Leistung des Unternehmers aus Umständen beschädigt wird, untergeht oder unausführbar wird, die in der Person des Auftraggebers liegen, oder auf Handlungen des Auftragge-bers zurückgehen, ohne dass es hierfür auf ein Verschulden ankäme (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.1963 - VII ZR 43/62).

Bei Beschädigungen vor Abnahme durch andere Unterneh-mer, die gleichzeitig mit dem Auftragnehmer arbeiten, han-delt es sich nach der Rechtsprechung des BGH jedoch gera-de um eine Risikolage, wie sie für das Bauvorhaben typisch ist, so dass es nicht gerechtfertigt ist, dem Auftraggeber ein besonderes Gefahrtragungsrisiko aufzuerlegen. § 645 BGB kommt daher nicht zur Anwendung, wenn ohne eine beson-dere Veranlassung des Auftraggebers ein Unternehmer die bereits von einem anderen Unternehmer hergestellte, je-doch noch nicht abgenommene Leistungen beschädigt (vgl.

BGH, Urteil vom 06.11.1980, Az.: VII ZR 47/80; OLG Naumburg, Urteil vom 30.11.2000, Az.: 2 U 104/00; BGH, Beschluss vom 24.01.2002, Az.: VII ZR 20/01 – Revision nicht angenommen).

Anders hat das OLG Bremen (Urteil vom 23.02.1996, Az.: 4 U 7/95) für den Fall entschieden, bei dem der Auftraggeber für die Durchführung von Nachfolgegewerken anordnete, auf einem Flachdach ein Gerüst aufzubauen. Das Gericht argu-mentiert wie folgt:

„Erteilt – wie hier – der Auftraggeber dem nachfolgenden Unterneh-

mer bestimmte Weisungen, die dazu führen, daß die Leistung des Auf-

tragnehmers gefährdet und schließlich beschädigt oder zerstört wird

(…) trifft ihn die alleinige Verantwortlichkeit für diesen Bereich der

Baumaßnahmen. Fälle, in denen ein einseitiges Handeln oder Unter-

lassen des Auftraggebers vorliegt, das vom Auftragnehmer mit von

ihm vernünftigerweise zu verlangenden Maßnahmen nicht verhindert

werden kann, stehen den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen darin

nahe, daß der Besteller selbst die Gefahr für den Untergang des Werks

erhöht hat und daß ohne die Erhöhung dieser Gefahr das Werk nicht

untergegangen wäre. Vorliegend lag die Durchführung der Arbeiten der

Nachunternehmer und die Organisation der zu treffenden Maßnahmen

allein im Verantwortungsbereich der [Auftraggeberin], ohne daß die

[Auftragnehmerin] hierauf hätte Einfluß nehmen können.“

Dieses Urteil wird gestützt durch eine darauf folgende Ent-scheidung des OLG Celle, in der die entsprechende Anwen-dung des § 645 BGB auch im Bereich des VOB-Bauvertrages bestätigt und darauf hingewiesen wird, dass der Kern der Gefährdung und die Ursache der Beschädigung auf der Ko-ordination und den Weisungen des Auftraggebers beruhte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 09.06.1999, Az.: 13 U 291/98).

Den vorstehenden Urteilen fehlt jedoch eine dogmatische Begründung, die die Abweichung von der Rechtsprechung des BGH, wonach allein die Beauftragung weiterer Gewer-ke nicht für eine entsprechende Anwendung des § 645 BGB ausreicht, rechtfertigt. Vielmehr schließen die zitierten Oberlandesgerichte aus der Beauftragung der weiteren Ge-werke auf die Haftung. Diese Rechtsprechung der Oberlan-desgerichte geht aus Sicht der Verfasserin zu weit – auch wenn das Ergebnis in den konkret entschiedenen Fällen richtig sein mag –, so dass man sich zur Ablehnung einer Haftung nicht zuverlässig auf diese Urteile berufen kann.

Denn nach den vorstehenden Ausführungen kann das Risi-ko anderer Gewerke allenfalls dann auf den Auftraggeber übergehen, wenn eine Beeinträchtigung durch risikoer-höhende Maßnahmen – insbesondere in Fällen objektiver Pflichtverletzungen des Auftraggebers – in Betracht kommt, beispielsweise bei einer nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/B genügenden Koordinierung der ver-schiedenen Unternehmer oder der Nichtbeachtung öffent-lich-rechtlicher Vorschriften wie etwa den Regelungen der Baustellenverordnung.

Unter diesem Aspekt hat das OLG Celle im Jahr 2010 ent-schieden, dass bei Verschlechterung des Werkes aufgrund

des Verhaltens des Auftraggebers der Auftragnehmer vor Abnahme zwar das Risiko für die Leistung trägt, die hierfür erforderlichen Aufwendungen jedoch als Schadensersatz vom Auftraggeber nur verlangen kann, wenn sich das Ver-halten des Auftraggebers als schuldhafte Pflichtverlet-zung darstellt (vgl. OLG Celle, Urteil vom 18.03.2010, Az.: 6 U 108/09).

Dies entspricht der herrschenden Auffassung in der Lite-ratur, wonach allein die gleichzeitige Beauftragung und Erstellung weiterer Gewerke für den Risikoübergang nicht ausreicht.

Hinzukommen muss eine risikoerhöhende Maßnahme oder Anordnung des Auftraggebers, in deren Folge eine Beschä-digung der Leistung des Auftragnehmers eintritt. Wenn eine solche risikoerhöhende Maßnahme des Auftraggebers oder die Voraussetzungen des § 645 BGB analog vorliegen, be-deutet dies zwar nicht, dass der Auftragnehmer das beschä-digte Gewerk nicht wiederherstellen muss. Er kann jedoch eine entsprechende Vergütung dafür als Schadensersatz verlangen.

b) Ergänzende Regelungen der VOB/B:

Auch im VOB-Bauvertrag gilt, dass der Unternehmer bis zur Abnahme die Leistungsgefahr trägt, § 12 Abs. 6 VOB/B. Dar-über hinaus hat die VOB/B aus Gründen der Billigkeit in § 7 eine Regelung getroffen, die für höhere Gewalt, Krieg, Auf-ruhr oder andere vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände eine Ausnahme schafft. Die ersten drei Merkma-le (höhere Gewalt, Krieg und Aufruhr) scheiden für die hier behandelte Fallgestaltung der Beschädigung durch einen Neben- oder Folgeunternehmer ohne Weiteres aus.

Nach Auffassung des BGH sind Ereignisse im Sinne des § 7 Abs. 1 VOB/B dann unabwendbare, vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände, wenn sie nach menschlicher Ein-sicht und Erfahrung in dem Sinne unvorhersehbar sind, dass sie oder ihre Auswirkungen trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder in ihren Wirkungen bis auf ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden können. Danach ist ein Ereignis nicht schon dann unvorher-sehbar, wenn es für den Auftragnehmer unabwendbar ist. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 VOB/B sind nach Meinung des BGH nur dann erfüllt, wenn das Ereignis objektiv, und zwar unabhängig von der konkreten Situation des betrof-fenen Auftragnehmers unvorhersehbar und unvermeidbar war (vgl. BGH, Urteil vom 21.08.1997, Az.: VII ZR 17/96, [Schür-mannbau I]; Urteil vom 16.10.1997, Az.: VII ZR 64/96, [Schür-mannbau II]).

Damit sind von vornherein solche Beschädigungen von ei-nem Gefahrübergang auf den Auftraggeber ausgenommen, die entstanden sind, weil der Auftragnehmer sein Gewerk nicht ausreichend nach § 4 Abs. 5 VOB/B geschützt hat, und solche, die durch nachfolgende Gewerke entstanden sind,

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weil die Beschädigung durch Nachfolgegewerke jedenfalls nicht unvorhersehbar oder unabwendbar ist.

c) Regelungen zur Schutz- und Erhaltungspflicht in DIN-Normen:

An vorgenannter Rechtslage ändern auch die in Bezug ge-nommenen DIN-Vorschriften zu Schutz- und Erhaltungs-pflichten Dritter nichts. Diese gelten, wie oben bereits beschrieben, nur im Verhältnis zwischen Auftraggeber und dem jeweiligen Dritten (Neben- oder Folgeunterneh-mer), dessen vertragliche Nebenpflicht die Einhaltung der Schutzpflichten darstellt, nicht jedoch gegenüber dem Her-steller des betroffenen Werkes, da zwischen den einzelnen Unternehmern kein Vertragsverhältnis besteht.

Rechtsfolgen

Aus der Zusammenschau zwischen Schutzpflichten und Ge-fahrtragung ergibt sich daher folgende Systematik:

Soweit der Unternehmer die als vertragliche Nebenpflicht geforderten – zumutbaren – Schutzmaßnahmen ergreift und der Auftraggeber keine risikoerhöhenden Anordnungen trifft, gilt die gesetzliche Gefahrtragung bis zur Abnahme, wonach das Risiko der Beschädigung beim Auftragnehmer liegt. Der Auftragnehmer muss die Beschädigung also bis hin zur Neuherstellung beseitigen. Ein darüber hinaus ge-hender Schadensersatz aus Mangelfolgeschäden steht dem Auftraggeber hingegen nur dann zu, wenn der Auftragneh-mer die zumutbaren Schutzmaßnahmen nicht ausgeführt hat.

Die Gefahrtragung endet dort, wo der Auftraggeber Anord-nungen trifft, die die ihm gegenüber dem Auftragnehmer obliegenden Vertragspflichten verletzen. Dann hat der Auf-tragnehmer zwar trotzdem die eingetretenen Schäden zu beseitigen. Allerdings hat er aus der Pflichtverletzung des

Auftraggebers einen Schadensersatzanspruch in Höhe der für die Beseitigung der Schäden anfallenden Vergütung.

Hat der Auftragnehmer Kenntnis davon, dass neben oder nach ihm noch weitere Gewerke ausgeführt werden müs-sen, hat er zu prüfen, ob gegebenenfalls weitere, zusätz-liche Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Geht der Auf-tragnehmer davon aus, dass zur Erhaltung seines Gewerkes Schutzmaßnahmen erforderlich sind, die über die in den DIN-Vorschriften geregelten Nebenleistungen hinausgehen, insbesondere also die Besonderen Leistungen oder unzu-mutbare Schutzmaßnahmen, so hat der Auftragnehmer den Auftraggeber entsprechend seiner Bedenkenmitteilungs-pflicht, die im VOB-Bauvertrag in § 4 Abs 3 VOB/B verankert ist, darauf hinzuweisen. Folgt der Auftraggeber dieser Mit-teilung und beauftragt die besonderen Schutzmaßnahmen, kommt erneut die gesetzliche Gefahrtragungsregelung zur Anwendung. Treten Schäden ein, trägt der Auftragnehmer die Gefahr.

Beauftragt der Auftraggeber entgegen der Mitteilung des Auftragnehmers die besonderen Schutzmaßnahmen nicht, so verletzt er seine vertragliche Obliegenheit, und die Ge-fahr geht auf ihn über.

Empfehlungen

Für die beschriebenen verschiedenen Situationen sollte der Auftragnehmer entsprechende Musterschreiben bereit halten, mit denen in der jeweiligen Fallgestaltung die Situa-tion richtig dargestellt und von Anfang an Klarheit über er-brachte oder notwendige Schutzmaßnahmen sowie die Ver-gütungspflicht für die Beseitigung von Schäden geschaffen werden kann.

Insbesondere sollte zeitnah nach Fertigstellung der Arbei-ten eine Abnahme erreicht werden. Problematisch ist hieran insbesondere, dass der Auftraggeber die Abnahme wegen wesentlicher Mängel verweigern kann. Der Auftragnehmer trägt die Beweislast dafür, dass keine wesentlichen Mängel bestehen. Eine Erleichterung besteht seit Einführung des neuen Bauvertragsrechts zum 01.01.2018, wenn nach § 650g BGB nach verweigerter Abnahme eine Zustandsfeststellung durchgeführt wird. Rechtsfolge ist nach § 650g Abs. 3 BGB, dass hinsichtlich des offenkundigen Mangels, der in der Zu-standsfeststellung nicht angegeben ist, vermutet wird, dass dieser erst nachträglich, beispielsweise durch Dritte, ent-standen ist und der Auftraggeber hierfür das Risiko trägt.

Die Konstellation, in der der Auftragnehmer die Gefahr trotz Durchführung der zumutbaren Schutzmaßnahmen bis zur Abnahme trägt, führt dazu, dass der Auftraggeber zwar gegebenenfalls gegenüber dem schädigenden Dritten (z.B. dem Nebenunternehmer) einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vertraglichen Pflichten, so zum Bei-spiel aus einer DIN-Norm, innehat, aber keinen Schaden. Den Schaden hat der Auftragnehmer, dessen Gewerk vor Abnah-

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me beschädigt wurde, und der daher das Risiko trägt und nachbessern muss. Der Auftragnehmer hat jedoch selbst keinen Anspruch gegenüber dem Dritten. In diesem Zusam-menhang hat die Rechtsprechung das Institut der „Dritt-schadensliquidation“ entwickelt. Danach kann der Auftrag-geber gegenüber dem Dritten den Schaden geltend machen, der dem Auftragnehmer entstanden ist, und den Schaden-ersatz dann weiterleiten.

Da dieses Rechtskonstrukt in der Handhabung recht kom-pliziert ist, ist die in der praktischen Anwendung gewählte Lösung die, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer sei-

ne Ansprüche gegen den jeweiligen Dritten, der das Gewerk beschädigt hat, abtritt. Problem an dieser Lösung ist, dass zum einen in den meisten Fällen gar nicht feststellbar sein wird, wer das Gewerk beschädigt hat, zum anderen aber der Auftragnehmer damit das Insolvenzrisiko des Dritten trägt. Trotzdem wird empfohlen, dies entweder bereits bei Beauf-tragung vertraglich zu regeln oder die Nachbesserung bei Beschädigung an die zuvor erfolgte Abtretung zu knüpfen.

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VORSICHT FALLE: DER WIDERRUF DES „HAUSTÜR-ARCHITEKTENVERTRAGS“

UND SONSTIGER WERKVERTRÄGEUNTERHALB DER SCHWELLE DES

VERBRAUCHERBAUVERTRAGS

RAin Katrin Reißenweber | [email protected]

Architekten haben es in vielerlei Hinsicht nicht leicht. Häufig sind sie schon aufgrund ihrer guten Absicherung durch eine Berufshaftpflichtversicherung im Hinblick auf Planungs- oder Bauleitungsfehler und des dadurch kaum gegebenen Insolvenzrisikos des Bauherrn liebster Prozessgegner, den zudem noch eine gesamtschuldnerische Haftung mit ande-ren Baubeteiligten trifft.

Auf der anderen Seite muss mancher Architekt bei dem Ver-such, sein seitens des Bauherrn nicht bezahltes Honorar einzuklagen, erfahren, dass seine Leistungen dem Bereich der Akquise zuzuordnen und damit nicht zu vergüten sind.

Jedenfalls die bereits länger am Markt tätigen Architektur-büros dürften – oft aufgrund eigener unliebsamer Erfahrun-gen – im Hinblick auf diese Themenbereiche sensibilisiert sein. Aus Sicht der Architekten droht aber durch die Mög-lichkeit des Widerrufs des „Haustür-Architektenvertrages“ eine vielleicht noch nicht ausreichend zur Kenntnis genom-mene Falle, wie eine Entscheidung des OLG Stuttgart vom 17.07.2018 (Az.: 10 U 143/17) verdeutlicht. Die Lektüre dieses Urteils ist auch den Unternehmern zu empfehlen, die „klei-nere“ Werkverträge unterhalb der Schwelle des Verbrau-cherbauvertrags gegenüber Verbrauchern erbringen.

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Sachverhalt

Mit seiner Klage begehrte ein Architekt die Verurteilung eines privaten Bauherrn zur Bezahlung eines Honorars für Planungsleistungen. Der Beklagte vertrat den Standpunkt, eine vergütungspflichtige Beauftragung des Architekten habe nicht stattgefunden. Nach dem Vorbringen des Archi-tekten war er bei der Abendeinladung im Hause einer Zeugin seitens des Beklagten mit der Erbringung von Planerleistun-gen beauftragt worden. Dies sei am darauffolgenden Tag im Rahmen einer Autofahrt nochmals bestätigt worden.

Entscheidung des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart qualifiziert das behauptete Vertragsver-hältnis als Verbrauchervertrag. Es liege zudem ein außer-halb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag im Sinne des § 312 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB vor.

Rechtsfolge sei gemäß § 312 g Abs. 1 BGB, dass dem Verbrau-cher ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zustehe. Überdies habe der Unternehmer den Verbraucher gemäß § 312 d Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB nach Maßgabe der Art. 246 a und 246 b EGBGB über seine Rechte zu informieren. Das Bestehen des Widerrufsrechts sei nicht vom tatsächlichen Vorliegen einer Überrumpelungssituation oder sonstiger Voraussetzungen abhängig.

Der Beklagte hatte nach Ansicht des OLG seine auf den Ab-schluss des behaupteten Vertrags gerichtete Willenserklä-rung fristgerecht widerrufen. Aus der Erklärung müsse der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Eine Begründung sei dabei ebenso wenig notwendig wie die Verwendung des Wortes „Wider-ruf“. Es genüge eine eindeutige Äußerung des Verbrauchers, aus der erkennbar werde, dass er den Vertrag nicht mehr gegen sich gelten lassen wolle.

Die Widerrufsfrist betrage nach § 355 Abs. 2 S. 1 BGB zwar lediglich 14 Tage. Sie beginne aber gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher ent-sprechend den Anforderungen des Art. 246 a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder Art. 246 b § 2 Abs. 1 EGBGB unterrichtet habe. Da vorliegend eine solche Unterrichtung des Beklagten durch den Kläger nicht erfolgt sei, habe die 14-Tage-Frist nicht zu laufen begonnen. Allerdings erlösche das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss, §  356 Abs. 3 S. 2 BGB. Diese Regelung stelle eine wesentli-che Änderung gegenüber der älteren Rechtslage dar, da die-se absolute Frist auch dann zum Tragen kommt, wenn eine Widerrufsbelehrung unterblieben oder nicht ordnungsge-mäß sei. Vorliegend sei diese absolute Frist aber noch nicht abgelaufen gewesen.

Rechtsfolge des Widerrufs sei gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 BGB, dass die Parteien nicht mehr an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen gebunden seien.

Gemäß § 357 Abs. 1 BGB seien die empfangenen Leistungen spätestens nach 14 Tagen zurückzugewähren. Bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen schulde der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung gemäß § 357 Abs. 8 S. 1 und 2 BGB, aber nur, wenn der Verbraucher vom Unternehmer ausdrücklich verlangt habe, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginne, und der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246 a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 3 EGBGB ordnungsgemäß informiert habe.

§ 357 Abs. 8 BGB sei als europarechtlich geprägte Norm weit auszulegen und erfasse mit dem Begriff „Dienstleistungen“ Werk- und Dienstleistungen jeder Art, deren Rückgewähr in Natur ausgeschlossen sei, also auch Architektenleistungen.Da der Kläger den Beklagten nicht über die Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs-rechts sowie die mögliche Wertersatzpflicht unterrichtet habe, habe er keinen Anspruch auf Wertersatz. Auch Berei-cherungsansprüche gem. §§ 812 ff. BGB kämen nicht in Be-tracht (vgl. § 361 Abs. 1 BGB).

Übertragbarkeit der Entscheidung auf andere Verträge

Das Urteil des OLG Stuttgart ist noch zur alten Rechtslage vor Inkrafttreten des neuen Bauvertragsrechts ergangen. Das neue Bauvertragsrecht hat aber keinen Einfluss auf die hier maßgeblichen Regelungen. Die Entscheidung ist also nach wie vor von Relevanz.

Im Rahmen der Neuregelung des Bauvertragsrechts wurde mit § 650 Abs. 1 BGB ein eigenständiges gesetzliches Wi-derrufsrecht für Verbraucherbauverträge zugunsten des Verbrauchers eingeführt. Auf den Architektenvertrag ist §  650 Abs. 1 BGB nicht anzuwenden, vielmehr muss ein Ver-braucherbauvertrag im Sinne von § 650 i BGB vorliegen. Das Widerrufsrecht ist also beschränkt auf Verträge, durch die der Unternehmer von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude verpflichtet wird. Für dieses Widerrufsrecht, das unabhängig davon besteht, wo bzw. in welcher Situation der Vertrag abgeschlossen wurde, gelten eigene Regeln. Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist in-soweit nicht auf den Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650 i BGB übertragbar, als nach § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein Widerrufsrecht nach den §§ 312 ff. BGB ausdrücklich nicht vorgesehen ist.

Ein solches kommt aber sehr wohl bei Verträgen über die Ausführung von Bauleistungen unterhalb der Schwelle des Verbraucherbauvertrags in Betracht (vgl. hierzu z.B. auch das Urteil des BGH vom 30.08.2018, Az.: VII ZR 243/17, zum Einbau eines „Senkrechtlifts“).

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Fazit und Ausblick

Architekten und Unternehmer, die gegenüber Verbrauchern Architekten- bzw. Bauleistungen unterhalb der Schwelle des Verbraucherbauvertrags anbieten, sollten bei Verträgen, die nicht in ihren Geschäftsräumen unterzeichnet werden, große Sorgfalt auf die Unterrichtung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht verwenden und sich insoweit im Zwei-fel fachkundig beraten lassen. Ansonsten droht der Verlust nicht nur sämtlicher Honorar- bzw. Werklohnforderungen, sondern auch jeglichen Anspruchs auf Wertersatz, obwohl möglicherweise bereits erhebliche Leistungen erbracht wurden.

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EINZUG DES BEWEISES DES ERSTEN ANSCHEINS INS MÄNGELRECHT

RA Niklas Kröger | [email protected]

Das Kammergericht hat in seinem Urteil vom 25.11.2016 (Az.: 21 U 31/14) mit dem Beweis des ersten Anscheins eine eher aus dem Straßenverkehrsrecht bekannte Beweisfigur im privaten Baurecht angewandt. Trotz des Aufschreis so man-cher Kommentatoren hat es dabei nicht die Linie der ein-schlägigen Rechtsprechung verlassen. Die in der Literatur angeklungene Auffassung zur Anwendbarkeit des Beweises des ersten Anscheins im Mängelrecht wurde damit durch ein obergerichtliches Urteil bestätigt. Mit Beschluss vom 07.11.2018 (Az.: VII ZR 310/16) hat der BGH die Nichtzulas-sungsbeschwerde in dieser Sache zurückgewiesen – das Urteil ist damit rechtskräftig.

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Sachverhalt

Der beklagte Auftraggeber (AG) und der klagende Auftrag-nehmer (AN) sind durch einen Werkvertrag unter Zugrunde-legung der VOB/B miteinander verbunden.

Der Auftragnehmer war u.a. verpflichtet, die insgesamt 18 Klappen der Strahlventilatoren mit je einem Schild mit dem Schriftzug „Schwere Klappe. Vorsicht beim Öffnen!“ zu ver-sehen. Die Klappen befanden sich auf Augenhöhe.

Der AN nahm die Beschriftung vor. Das Wort „Öffnen“ schrieb er dabei jedoch klein. Bei der Abnahme wurden diese Mängel nicht vorbehalten. Später verlangte der AG Nachbesserung.

Ohne Nachbesserungen durchgeführt zu haben, verlangte der AN den Werklohn für die Schilder. Der AG verweigerte die Zahlung unter Geltendmachung eines Zurückbehaltungs-rechts, welches er auf seinen Nacherfüllungsanspruch stützte.

Entscheidung

Dem AN wurde der Werklohn zugesprochen. Das Kammer-gericht sah in diesem Fall keinen Nacherfüllungsanspruch des AG, auf den er ein Zurückbehaltungsrecht hätte stützen können.

Auch wenn die Schilder mangelhaft waren, bestehe kein Nacherfüllungsanspruch. Der AG hatte den Mangel, nach Überzeugung des Kammergerichts, bei Abnahme gekannt. Weil er keinen Vorbehalt erklärt hat, führt dies zum Verlust des Nacherfüllungsanspruchs gem. § 12 Abs. 5 Nr. 3 VOB/B (bei einem BGB-Werkvertrag gem. § 640 Abs. 3 BGB).

Anders als in manchem Kommentar zu diesem Urteil be-hauptet (so z.B. Bolz in IBR 2019, 2713), stellt das Kammer-gericht gerade nicht nur auf ein „Kennenmüssen“ des Auf-traggebers ab.

Aus Sicht des Kammergerichts lagen ausreichende Anhalts-punkte vor, um positive Kenntnis der streitgegenständlichen Mängel auf Seiten des AG anzunehmen.

Es führte aus, dass bei einem sachkundigen AG trotz gebo-tener Vorsicht und Zurückhaltung bei einem klar erkennba-ren und auch gravierenden Mangel die Überlegung zulässig ist, dass er diesen Mangel nicht übersehen haben kann. In solchen Fällen kann dem AN der Beweis des ersten An-scheins zugutekommen.

Auch wenn es sich in diesem Fall nur um geringfügige Mängel gehandelt hat, ergab sich für das Gericht aus der Tatsache, dass der Mangel 18 Mal in gleicher Form aufgetreten war, die Klappen der Strahlventilatoren im Einzelnen Gegenstand der Begutachtung anlässlich der Abnahme waren – wie sich aus der Anlage 8 zum Abnahmeprotokoll ergab – und sich die

Schilder für die Klappen der Strahlventilatoren auf Augen-höhe befanden, genügend Anknüpfungspunkte, um auf den Beweis des ersten Anscheins zurückgreifen zu können.

Nach Ansicht des Kammergerichts hätte der Fehler in der Schreibweise auch im Rahmen der Abnahme eines großen Bauvorhabens auffallen müssen. Dieser vom darlegungs- und beweispflichtigen AN erbrachte Anscheinsbeweis wurde im Folgenden nicht durch den AG widerlegt. Dieser behaup-tete lediglich fehlende Kenntnis bei Abnahme, ohne Näheres zu den Umständen der Abnahme vorzutragen. Dieser Vortrag war bereits vom Landgericht im erstinstanzlichen Urteil als nicht ausreichend bezeichnet worden.

Auch dem Kammergericht genügten diese Ausführungen nicht. Im Urteil stellte es klar, dass es zur Widerlegung des Beweises des ersten Anscheins notwendig ist, Tatsachen darzulegen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden (atypischen) Ablaufs ergibt.

Hintergrund

Das Kammergericht hat auf die schon lange im Zivilprozess bekannte und etablierte Figur des Beweises des ersten An-scheins zurückgegriffen. Speziell im Mängelrecht kam die-se bis jetzt jedoch nur sehr selten zur Anwendung.

Der Beweis des ersten Anscheins stützt sich auf die Erfah-rung, dass bei typischen Geschehensabläufen regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden kann und umgekehrt. Die Gestaltung des Falles muss so sein, dass sich der Schluss gerade-zu aufdrängt (BGH, Urteil vom 20.12.1963, Az.: VI ZR 289/62; Urteil vom 14.06.2005, Az.: VI ZR 179/04).

Weil der Beweis des ersten Anscheins seiner Natur gemäß nur auf Erfahrungswerten beruht, kann er entkräftet wer-den. Geschieht dies, ist vom ursprünglich Beweispflichtigen wieder der volle Beweis zu fordern.

Zur Widerlegung des Anscheinsbeweises müssen Umstän-de dargelegt werden, die die ernsthafte Möglichkeit da-für begründen, dass die Ereignisse tatsächlich einen ganz bestimmten, vom ersten Anschein abweichenden (atypi-schen) Verlauf genommen haben könnten (BGH, Urteil vom 18.10.1988, Az.: VI ZR 223/87; Urteil vom 20.12.1963, Az.: VI ZR 289/62).

Es genügt nicht, dass nur die bloße Möglichkeit eines an-deren Geschehensablaufs behauptet wird. Es kommt gerade darauf an, dass eine Tatsache dargelegt und bewiesen wird, die die Abweichung im Geschehensablauf möglich erschei-nen lässt (BGH, Urteil vom 13.12.2016, Az.: VI ZR 32/16).

Insbesondere durch seine Widerlegbarkeit grenzt sich der Beweis des ersten Anscheins vom Kennenmüssen ab. Würde dieses genügen, käme es überhaupt nicht darauf an, ob der

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AG in diesem Fall hätte darlegen können, keine Kenntnis ge-habt zu haben.

Einordnung

Das Kammergericht hat einen Erfahrungssatz zugrunde gelegt, nachdem ein sachkundiger AG klar erkennbare und gravierende Mängel unter typischen Umständen als solche erkennt, wenn er die immer gleich mangelhaften Gegen-stände vielfach (18-mal) begutachtet hat.

Wegen der Qualifikation des AG, der Offensichtlichkeit der Mängel und der Anzahl der Möglichkeiten, bei denen die Mängel hätten erkannt werden können, drängte sich laut Kammergericht der Schluss auf die Kenntnis des AG auf.

Folgerungen für die Praxis

Das Urteil hat Folgen für alle im Baugewerbe tätigen Auf-traggeber. Soweit diese bei mehrfach gleichförmig auftre-tenden, klar erkennbaren Mängeln keinen Vorbehalt gem. § 12 Abs. 5 VOB/B bzw. § 640 Abs. 3 BGB erklärt haben, be-steht das Risiko, dass ein Gericht die Kenntnis des Auftrag-gebers durch den Beweis des ersten Anscheins unterstellt.

Ein einfaches Bestreiten der Kenntnis genügt in diesen Fällen nicht. Jeder juristische Berater muss daher dieses Rechtsinstitut kennen und anwenden können.

Der vom Kammergericht aufgestellte Erfahrungssatz wird sicher dazu führen, dass der Beweis des ersten Anscheins häufiger im privaten Baurecht anzutreffen sein wird und Auftragnehmer von Beweiserleichterungen profitieren.

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VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHTEN: RISIKO DES BAUHERRN?

RA Steffen Krämer | [email protected]

Auf einer Baustelle ist in erster Linie der einzelne Bau-unternehmer verkehrssicherungspflichtig. Einen mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragten Architekten trifft – ebenso wie den ihn beauf-tragenden Bauherrn – lediglich eine sogenannte sekundäre Verkehrssicherungspflicht, wenn Anhaltspunkte dafür vor-liegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht ge-nügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahren-quellen erkannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können.

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Problem/Sachverhalt

Wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten begehrt der Kläger sowohl von der Bauherrin als auch von deren Architekten Schadensersatz sowie die Feststellung ihrer Ersatzpflicht. Der Kläger war am Unfalltag mit den Innenausbauarbeiten beim Umbau eines Gebäudes der Bau-herrin (Beklagte zu 2) beschäftigt. Der Architekt (Beklagter zu 1) hatte das Bauvorhaben im Auftrag der Bauherrin ge-plant und führte die Bauaufsicht.

Als der Kläger Arbeiten im Treppenhaus ausführte, brach er durch eine Holzabdeckung über dem Treppenauge, stürzte 4m in die Tiefe und zog sich erhebliche Verletzungen zu.

Der Kläger wirft der Bauherrin und deren Architekten die Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten vor. Er be-hauptet, die Holzabdeckung sei unfachmännisch durch ein nicht qualifiziertes Unternehmen errichtet worden. Die Be-klagten hätten die Konstruktion in Kenntnis dieser Tatsache über Monate geduldet, ohne sich der Tragfähigkeit zu ver-gewissern.

Entscheidung

Während das Landgericht den klägerseitigen Anträgen im Wesentlichen stattgab und das OLG die Berufungen der Be-klagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies, stellte der BGH auf die Nichtzulassungsbeschwerden in seinem Beschluss vom 18.12.2018 (Az.: VI ZR 34/17) klar, dass dem Bauherrn eine Verkehrssicherungspflichtverletzung derzeit nicht vorzu-werfen sei.

Grundlage dieser Entscheidungsfindung ist die ständige Rechtsprechung des BGH zu den Verkehrssicherungspflich-ten (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31.10.2006, Az.: VI ZR 223/05).

Danach ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich wel-cher Art – schafft, verpflichtet, die notwendigen und zumut-baren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.

In Erweiterung dieser allgemeingültigen und auf nahezu sämtliche vorstellbaren Lebenssituationen anwendbaren Definition nimmt der BGH nun instruktiv zu den unterschied-lichen Ebenen der Verkehrssicherungspflichten sowie deren Anforderungen an die jeweils am Bauablauf beteiligten Par-teien Stellung.

Hiernach ist während der Bauausführung grundsätzlich je-der Bauunternehmer primär selbst zur Verkehrssicherung verpflichtet. Einen mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragten Architekten trifft  – ebenso wie den ihn beauftragenden Bauherrn – lediglich eine sekundäre Verkehrssicherungspflicht. Das bedeutet, dass beide nur dann dazu verpflichtet sind, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung

anderer zu vermeiden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Bauunternehmer nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er selbst Gefahrenstellen erkannt hat oder bei Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können.

Allerdings hat der BGH bereits mehrfach entschieden (BGH, Urteil vom 31.05.1994, Az.: VI ZR 233/93; Urteil vom 09.03.1982, Az.: VI ZR 220/80), dass der Bauherr von seiner Verantwor-tung für die verkehrssichere Errichtung eines Bauwerks weitgehend dadurch befreit wird, dass er einen Architekten mit der Planung und Bauleitung beauftragt hat. Das gilt nur dann nicht, wenn er bei einer von ihm selbst erkannten oder erkennbaren Gefahrenlage keine Abhilfe schafft.

Für die Kenntnis bzw. Erkennbarkeit trägt nach allgemei-nen Grundsätzen zunächst der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Dieser Nachweis gelang dem Kläger im zu entscheidenden Fall nicht. Ebenso konnte sich der Kläger nicht auf die Annahme einer sogenannten sekundären Dar-legungslast berufen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 01.03.2016, Az.: VI ZR 34/15) setzt die Anwendbar-keit der sekundären Darlegungslast voraus, dass die nähere Darlegung der beweisbelasteten Partei schlichtweg nicht möglich bzw. zumutbar ist, während die Gegenseite alle we-sentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Auch wenn die eigentliche Beweislast hiervon unberührt bleibt, so begründet die sekundäre Dar-legungslast die Pflicht der dem Grunde nach nicht beweis-belasteten Partei zur Auskunft.

Diese Voraussetzungen waren im zu entscheidenden Fall nicht gegeben, denn es lagen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bauherrin konkret wusste, wer die Konstruktion errichtet hatte. Vielmehr durfte sie sich darauf verlassen, dass der von ihr mit der Bauleitung und -aufsicht beauf-tragte Architekt Sorge dafür trägt, dass die Gewerke auf der Baustelle allesamt von qualifizierten Fachunternehmen durchgeführt werden.

Praxishinweis

Die Entscheidung stellt die Verkehrssicherungspflichten der am Bau Beteiligten ins Verhältnis. Zudem behandelt sie die Frage, wer die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Kenntnis oder Erkennbarkeit einer Gefahrenlage trägt. Solange keine Anhaltspunkte für die Kenntnis oder Erkenn-barkeit einer Gefahrenlage beim Bauherrn bestehen, kann er sich hinter dem von ihm beauftragten bauüberwachenden Architekten „verstecken“. Dessen Anforderungen an die Be-achtung etwaiger Verkehrssicherungspflichten sind im Ver-hältnis höher einzustufen. Gleichwohl ist auch in Zukunft keine pauschale Einordnung möglich. Die konkrete Bewer-tung bleibt eine Frage des Einzelfalls.

Dass es dennoch oder gerade deswegen auch in Zukunft weiterhin zu zum Teil kuriosen und unzutreffenden Ent-

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scheidungen bei der rechtlichen Bewertung der Verkehrssi-cherungspflichten kommen kann, zeigt ein aktuelles Urteil des LG Wuppertal (Urteil vom 19.02.2019, Az.: 1 O 173/18).

Das Landgericht begrenzt hierin die Reichweite der Ver-kehrssicherungspflichten erstmalig durch den vertragli-chen Pflichtenkreis der Beteiligten. Demnach soll derjenige, der im Rahmen eines Bauvertrages mit einer bestimmten Tätigkeit beauftragt ist, deliktisch nur dann für die daraus resultierenden Gefahren verantwortlich sein, wenn die Leis-tungen, die zur Beseitigung der Gefahr erforderlich sind, auch vertraglich in sein Gewerk fallen.

Die Entscheidung des Landgerichts kann nicht richtig sein. Zumindest ist sie mit der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht vereinbar. Denn hiernach kommt es alleine darauf

an, wer die Gefahrenlage geschaffen hat. Es findet also eine tatsächliche Betrachtung der Gesamtumstände statt und nicht, wie vom Landgericht angenommen, eine Begrenzung durch die Vertragspflichten.

Diese Rechtsprechung birgt ein erhebliches Konfliktpoten-zial. Sie beeinflusst die Bauausführung nicht nur praktisch; auch bei der Gestaltung neuer Bauverträge könnte sie eine entscheidende Rolle spielen. Insoweit bleibt abzuwarten, ob weitere Gerichte diese Rechtsprechung aufgreifen werden.

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VENTURE CAPITAL / M&A

LIQUIDATIONSPRÄFERENZENIN VENTURE CAPITAL-

BETEILIGUNGSVERTRÄGEN: MARKTSTANDARDS IM WANDEL? 1

RA Dr. Sebastian Sumalvico | [email protected]

Liquidationspräferenzen sind zentraler Bestandteil von Ven-ture Capital (VC)-Beteiligungsverträgen. Sie sichern dem Investor eine Präferenz hinsichtlich der Erlösverteilung zu, um dessen Investitionsrisiken abzusichern. Je nach techni-scher Ausgestaltung solcher Liquidationspräferenzen kön-nen sich erhebliche Unterschiede bei der Erlösverteilung ergeben. VC-Transaktionen der jüngeren Vergangenheit in Deutschland zeigen, dass als Marktstandards etablierte Liquidationspräferenzen zunehmend durch US-Standards beeinflusst werden.

1 Beitrag in Kurzform bereits im VC Magazin 8/2019 veröffentlicht.

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Begriff und Zweck von Liquidationsprä-ferenzen

Entgegen ihrem Wortlaut regeln Liquidationspräferenzen (Liquidation Preferences) nicht nur die Verteilung von Über-schüssen aus der Liquidation einer Gesellschaft, sondern auch die Erlösverteilung im Falle eines Unternehmensver-kaufs (Exit) oder sonstiger wirtschaftlich vergleichbarer Maßnahmen (Liquiditätsereignis).

Liquidationspräferenzen dienen primär dem Investitions-schutz: In VC-finanzierten Unternehmen trägt der Investor die hauptsächliche Finanzierung des Start-ups, obwohl er meist nur eine Minderheitsbeteiligung hält. Sind keine Li-quidationspräferenzen vereinbart, erfolgt die Verteilung der Erlöse aus einem Liquiditätsereignis grundsätzlich zwischen den Gesellschaftern pro rata nach deren Beteili-gungsquoten.

Ausgangsfall: Die Gründer sind mit 25.000,00 Geschäfts-anteilen investiert, die sie zum Nennwert von je EUR 1,00 übernommen haben. Ein Investor investiert EUR 5 Mio. Da-nach hält der Investor 25 % und die Gründer 75 % bei einer Post-money-Bewertung von EUR 20 Mio. Sämtliche Anteile am Unternehmen werden später für EUR 10 Mio. veräußert (Exit-Erlös). Entsprechend ihren Beteiligungsquote erhalten die Gründer EUR 7,5 Mio. bei einem ursprünglichen Invest-ment von EUR 25.000,00. Der Investor erhält EUR 2,5 Mio., also nicht einmal sein Investment zurück.

Diesem Ungleichgewicht zwischen Investment und Erlös-beteiligung begegnen Liquidationspräferenzen. Abweichend von der Verteilung pro rata der Beteiligungsverhältnisse weist die Liquidationspräferenz den Erlös aus dem Liquidi-tätsereignis vorrangig dem Investor in bestimmter Höhe zu.Im aktuell gründerfreundlichen und für Investoren kompe-titiven Marktumfeld entspricht der Präferenzbetrag meist der Höhe des ursprünglich pro Anteil geleisteten Invest-ments. Möglich ist es auch, einen prozentualen Zuschlag, eine feste Verzinsung oder einen sog. „Multiple“ auf das In-vestment zu vereinbaren. Im aktuellen Marktumfeld spielen diese Varianten jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

Vor dem Exit durchläuft ein Start-up in der Regel mehrere Finanzierungsrunden. Investoren, die in späteren Finanzie-rungsrunden investieren, erhalten regelmäßig eine Liquida-tionspräferenz auf erster Stufe vor den früher investierten Investoren (last in, first out). Dadurch entstehen Liquida-tionspräferenzen mit mehreren Stufen (Wasserfall). Das „last in, first out“-Prinzip ist gängige Marktpraxis und wird dadurch gerechtfertigt, dass spätere Investoren im Normal-fall auf einer höheren Bewertung investieren, wohingegen frühere Investoren für den gleichen Betrag eine höhere Be-teiligung am Stammkapital erworben haben.

Arten von Liquidationspräferenzen

Im Wesentlichen wird zwischen zwei Ausprägungen von Liquidationspräferenzen unterschieden: der Participating Liquidation Preference, im deutschen Markt auch nicht-anrechenbare Liquidationspräferenz genannt, und der Non-Participating Liquidation Preference, im deutschen Markt nach ihrer gängigsten Variante auch anrechenbare Liquidationspräferenz genannt.

Deutsche und englische Termini werden hierzulande gleich-berechtigt verwendet. Die Tatsache, dass die jeweils ver-neinende Bezeichnung im Deutschen wie im Englischen die jeweils entgegengesetzte Bedeutung hat, sorgt nicht selten für Verwirrung. Bei der Verhandlung des Beteiligungsver-trags ist daher besondere Sorgfalt geboten.

Die englischen Termini haben sich aus dem Umstand ent-wickelt, dass zwischen der tatsächlichen Präferenz und der Pro-rata-Verteilung auf letzter Stufe zu unterscheiden ist: Abhängig davon, ob der Investor nach Erhalt der Liqui-dationspräferenz auch noch an der Pro-rata-Verteilung der den Präferenzbetrag übersteigenden Beträge partizipiert, ist er entweder „participating“ oder „non-participating“. Die deutschen Begrifflichkeiten haben sich hingegen aus der rechtstechnischen Umsetzung der jeweiligen Liquidations-präferenz auf dem deutschen Markt entwickelt.

Participating Liquidation Preference

Bei der Participating Liquidation Preference partizipiert der Investor, nachdem er vorrangig den vollen Präferenzbetrag erhalten hat, zusätzlich auf der letzten Stufe vollständig an der Pro-rata-Verteilung der verbliebenen Erlöse gemäß seiner Beteiligungsquote (daher „participating“). Dieser sog. „Double Dip“ (aus Sicht der übrigen Beteiligten) dient über den Zweck des Investitionsschutzes hinaus dazu, den Inves-tor gegenüber den Gründern besser zu stellen und ihm so höhere Renditechancen zu sichern.

In Deutschland erfolgt die technische Umsetzung dadurch, dass die Präferenzbeträge in der abschließenden Pro-ra-ta-Verteilung nicht angerechnet werden (daher „nicht an-rechenbare“ Liquidationspräferenz).

Abwandlung 1: In Abweichung zum Ausgangfall enthält der Beteiligungsvertrag eine nicht anrechenbare Liquidations-präferenz zugunsten des Investors in Höhe seines Invest-ments. Von dem Exit-Erlös in Höhe von EUR 10 Mio. erhält der Investor zunächst EUR 5 Mio. als Präferenz. Die restlichen EUR 5 Mio. werden zwischen Investor und übrigen Beteilig-ten nach den Beteiligungsquoten verteilt, d.h. der Investor erhält zusätzlich EUR 1,25 Mio. Die Gründer erhalten insge-samt EUR 3,75 Mio.

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„Klassische“ Non-Participating Liquidation Pre-ference

Der Double Dip wird durch Vereinbarung einer Non-Partici-pating Liquidation Preference vermieden. Nach ursprüngli-cher US-amerikanischer Version bekommt der Investor das Recht, anstatt den vorrangigen Präferenzbetrag zu erhal-ten, nur an der abschließenden Pro-rata-Verteilung teilzu-nehmen. Entscheidet er sich für die Präferenz, partizipiert er nicht an der Pro-rata-Verteilung (daher „non-participa-ting“).

In Deutschland erfolgt die technische Umsetzung dieser Präferenz nicht durch eine Option für den Investor, sondern meist dadurch, dass der zuvor erhaltene Präferenzbetrag bei der Pro-rata-Verteilung unter allen Gesellschaftern auf letzter Stufe angerechnet wird (daher „anrechenbare“ Liquidationspräferenz). Das heißt, der Pro-rata-Betrag, den der Investor auf letzter Stufe rechnerisch erhalten würde, wird um den Präferenzbetrag reduziert. Abwandlung 2a: In Abweichung zum Ausgangfall enthält der Beteiligungsvertrag eine „klassische“ (anrechenbare) Non-Participating Liquidation Preference. Der Investor er-hält zunächst EUR 5 Mio. als Präferenz. Er partizipiert aber nicht mehr an der Erlösverteilung auf Pro-rata-Stufe, da der Präferenzbetrag angerechnet wird und die gedachte Pro-ra-ta-Beteiligung in Höhe von EUR 1,25 Mio. (25 % der verblei-benden EUR 5 Mio.) übersteigt. Die Gründer erhalten somit EUR 5 Mio.

Soweit also der Präferenzbetrag des Investors gleich oder höher ist als seine rechnerische Pro-rata-Beteiligung an den nach Zuteilung der Präferenz verbleibenden Erlösen, er-hält der Investor keine weitere Zuteilung. Nur soweit die An-rechnung des Präferenzbetrages dazu führt, dass noch nicht verteilte Erlöse verbleiben, partizipiert der Investor wieder. In diesem Fall wird die Pro-rata-Verteilung auf die noch nicht verteilten Erlöse so lange wiederholt (Iterationen), bis die komplette Präferenz angerechnet ist und sämtliche Er-löse verteilt sind. Im Ergebnis werden auf diese Weise sämt-liche Gesellschafter grundsätzlich so gestellt, als wären sie von Anfang an pro rata am Gesamterlös beteiligt.

Abwandlung 2b: In Abweichung zu Abwandlung 2a beträgt der Exit-Erlös EUR 30 Mio. Der Investor erhält zunächst EUR 5 Mio. als Präferenz. Auf Pro-rata-Stufe würde der Investor rechnerisch weitere EUR 6,25 Mio. erhalten. Nach Anrech-nung seiner Präferenz erhält er jedoch nur EUR 1,25 Mio. und es verbleiben EUR 5 Mio. nicht verteilte Erlöse, welche iterativ pro rata verteilt werden. Hieraus erhält der Investor weitere EUR 1,25 Mio. (25 %), insgesamt also EUR 7,5 Mio. Die Gründer erhalten EUR 22,5 Mio. Diese Verteilung entspricht den jeweiligen Beteiligungsquoten am Gesamterlös.

Die Non-Participating Liquidation Preference führt daher einerseits zu einem echten Investitionsschutz für Investo-ren, wenn der Exit nicht den erwarteten wirtschaftlichen

Erfolg bringt. Andererseits stellt sie die Investoren nicht in jedem Fall besser. Die Non-Participating Liquidation Prefe-rence bildet somit gegenüber der Participating Liquidation Preference die gründerfreundlichere Variante und hat sich im aktuellen Marktumfeld als gängige Marktpraxis etabliert.

„Higher-of“-Non-Participating Liquidation Prefe-rence

Die ursprüngliche US-Spielart der Non-Participating Liqui-dation Preference, wonach der Investor, anstatt den Präfe-renzbetrag zu erhalten, für die Pro-rata-Verteilung optie-ren darf, führt zu einer Art Planspiel: Der Investor wird sich nur für die Pro-rata-Beteiligung entscheiden, wenn der zu erwartende Pro-rata-Betrag höher ist als sein Präferenz-betrag. Da die Höhe des zu erwartenden Pro-rata-Betrags jedoch auch davon abhängig ist, ob die anderen Präfe-renzberechtigten ihre Option nutzen, kann der Investor im schlechtesten Fall durch Ausübung seiner Option weniger als seinen Präferenzbetrag erhalten.

Um dem Investor diese Ungewissheit zu nehmen, hat sich in den USA eine abweichende Non-Participating-Variante eta-bliert: Der Investor erhält als Präferenz den höheren Betrag aus dem durch ihn geleisteten Investment und dem Betrag, den er erhalten würde, würde der gesamte Erlös zwischen allen Gesellschaftern nach ihrer Beteiligungsquote ohne Anwendung von Präferenzen verteilt (Higher-of-Prinzip). Eine weitere Erlösbeteiligung auf den folgenden Stufen findet nicht statt. Dieser Mechanismus wiederholt sich auf jeder Stufe des Wasserfalls mit den jeweils verbleibenden Erlösen.

Liquidationspräferenzen nach dem Higher-of-Prinzip sind zunehmend auch in deutschen Transaktionen zu finden. Der Mechanismus führt dazu, dass auf letzter Stufe betragsmä-ßig weniger Erlös zur Verteilung zur Verfügung steht als bei der anrechenbaren Liquidationspräferenz, der verbleibende Erlös aber nur noch zwischen den jeweils verbleibenden Ge-sellschaftern verteilt wird.

Ist der in einer gedachten, reinen Pro-rata-Verteilung zu erwartende Exit-Erlös pro Anteil höher als das höchste pro Anteil geleistete ursprüngliche Investment, ist dieses Sys-tem im Ergebnis neutral gegenüber der anrechenbaren Li-quidationspräferenz.

Abwandlung 3a: Wie Abwandlung 2b, nur enthält der Be-teiligungsvertrag eine „Higher-of“-Non-Participating Li-quidation Preference. Der Investor erhält auf erster Stufe des Wasserfalls die Pro-rata-Beteiligung in Höhe von EUR 7,5 Mio. (25 % von EUR 30 Mio.), da diese höher ist als sein ursprüngliches Investment. Die Gründer erhalten den ver-bleibenden Exit-Erlös von EUR 22,5 Mio.

Es besteht somit im Ergebnis kein Unterschied zur „klassi-schen“ Non-Participating Liquidation Preference.

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Greift aber auf einer Stufe, die durch das Investment be-stimmte Präferenz, so tragen die Lasten daraus die Gesell-schafter, die auf den nachfolgenden Stufen des Wasserfalls stehen. Investoren, die in oder nach einer Down Round (eine Finanzierungsrunde, in der ein geringerer Preis pro Anteil gezahlt wird als in der vorhergehenden Finanzierungsrunde) investieren, werden nach diesem System begünstigt. Ihre Gesamtbeteiligung am Erlös bleibt davon unbeeinträchtigt, ob in einer nachfolgenden Stufe eine durch das Investment bestimmte Präferenz greift: Liegt der Erlös pro Anteil über dem darauf geleisteten Investment des Down-Round-Inves-tors, aber unter dem eines oder mehrerer früherer Investo-ren, erhält der Down-Round-Investor die Pro-rata-Beteili-gung und der auf nachfolgender Stufe stehende Investor die durch sein Investment bestimmte, über dem Erlös pro Anteil liegende Präferenz. Diese überproportionale Erlösbeteili-gung führt für die auf den nachfolgenden Stufen stehenden Gesellschafter, jedenfalls für die Gründer auf letzter Stufe, im Vergleich zur anrechenbaren Liquidationspräferenz zu einer Schlechterstellung.

Abwandlung 3b: In Abweichung zum Ausgangsfall enthält der Beteiligungsvertrag eine „Higher-of“-Non-Participa-ting Liquidation Preference. Investor A hat insgesamt mit EUR  5  Mio. zum Preis von EUR 1.000,00 pro Anteil investiert und hält 10 % der Anteile (entspricht 5.000 Anteilen). In-vestor B hat darauf ebenfalls insgesamt EUR 5 Mio. inves-tiert, jedoch zu einem Preis von EUR 500,00 pro Anteil (Down Round) und hält 20 % der Anteile (entspricht 10.000 Antei-len). Die Gründer halten 70 %. Das Stammkapital besteht aus 50.000 Anteilen. Investor B besitzt die höchste Präferenz. Im Exit, in dem 100  % der Anteile verkauft werden, zahlt der Käufer EUR 750,00 pro Anteil, d.h. insgesamt EUR 37,5 Mio.

Auf erster Stufe des Wasserfalls steht der volle Exit-Er-lös zur Verfügung. Für Investor B ist die pro rata Beteili-gung höher als sein ursprüngliches Investment, er erhält EUR  7,5  Mio. (20 % von EUR 37,5 Mio.). Auf zweiter Stufe des Wasserfalls stehen daraufhin nur noch EUR 30 Mio. zur Verteilung zur Verfügung. Allerdings ist für die Pro-rata-Be-rechnung nur noch auf die Anteile von Investor A und den Gründern abzustellen, d.h. die 5.000 Anteile von Investor A entsprechen nun 12,5 %. Für Investor A ist seine gedachte Pro-rata-Beteiligung – lediglich EUR 3,75 Mio. (12,5 % von 30 Mio.) – niedriger als sein ursprüngliches Investment. Er erhält daher EUR 5 Mio. als Präferenz. Auf die Gründer ent-fallen daher auf letzter Stufe EUR 25 Mio.

Vergleich: Wäre eine anrechenbare Liquidationspräferenz vereinbart worden, erhielten die Investoren zunächst je-weils ihre Präferenz von EUR 5 Mio., und die verbleibenden EUR 27,5 Mio. wären pro rata zwischen allen Gesellschaftern zu verteilen. Nach Anrechnung der Präferenzbeträge und Durchführung der Pro-rata-Iterationen erhielte Investor B insgesamt nur rund EUR 7,22 Mio., Investor A EUR 5 Mio. und die Gründer EUR 25,28 Mio. Die Gründer stünden mithin bes-ser als bei der Higher-of-Variante.

Fazit

Liquidationspräferenzen sichern die ökonomischen Belan-ge der Beteiligten und sind zentrales Element eines jeden VC-Beteiligungsvertrages. Auch wenn sich die Klauseln äh-neln, führen sie in bestimmten Szenarien zu unterschiedli-chen ökonomischen Ergebnissen. Die Auswirkungen solcher Klauseln sind daher in der Praxis genau zu prüfen. Gängige Marktpraxis scheint derzeit die anrechenbare Liquidations-präferenz zu sein. In deutschen Transaktionen finden sich jedoch zunehmend „US-Style“-Non-Participating Liquida-tion Preferences nach dem Higher-of-Prinzip. Solche Klau-seln können in einem Down-Round-Szenario einerseits zu einer Schlechterstellung der Gründer führen, andererseits einen besseren Investitionsschutz für Down-Round-In-vestoren herstellen. Ob sie sich im aktuellen Marktumfeld durchsetzen, bleibt abzuwarten.

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GMBH: KEIN NOTARIELL BEURKUNDETER GESELL-SCHAFTERBESCHLUSS ZUM VERKAUF DES GANZ

WESENTLICHEN VERMÖGENS ERFORDERLICH

Lange Zeit war es umstritten. Nunmehr hat der Bundesge-richtshof (BGH) entschieden: Die Wirksamkeit eines Kauf-vertrags über den Verkauf des ganz wesentlichen Vermö-gens einer GmbH erfordert keinen notariell beurkundeten Gesellschafterbeschluss der GmbH. Gleichzeitig stellt der BGH jedoch fest: Ein Geschäftsführer hat vor dem Ab-schluss eines Kaufvertrags über das wesentliche Vermögen der GmbH seinen Gesellschaftern das Geschäft anzuzeigen und einen Gesellschafterbeschluss einzuholen. Das gilt un-abhängig davon, ob in der Satzung oder in einer Geschäfts-ordnung für die Geschäftsführung ein entsprechender aus-drücklicher Zustimmungsvorbehalt vorgesehen ist.

Holt der Geschäftsführer vor Abschluss des Geschäfts kei-nen Gesellschafterbeschluss ein, so verstößt er gegen sei-ne Geschäftsführerpflichten. Dies wird in der Regel einen Grund zur Kündigung und Abberufung aus wichtigem Grund darstellen und kann, sollte es z.B. ein besseres Angebot für einen Verkauf geben, eine Schadensersatzpflicht des Ge-schäftsführers gegenüber der GmbH auslösen.

Die Wirksamkeit des Kaufvertrages bleibt vom Fehlen des Gesellschafterbeschlusses grundsätzlich unberührt. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Käufer das Fehlen eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses kennt oder sich ihm das Fehlen aufdrängen muss. In diesen Fällen ist der Kaufvertrag unwirksam, und die GmbH kann das bereits ge-leistete Vermögen zurückfordern.

RA Philipp Hoene | [email protected]

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Kein notariell beurkundeter Gesellschaf-terbeschluss erforderlich

Lange Zeit war umstritten, ob die Regelung des § 179a AktG nicht nur auf die Aktiengesellschaft, sondern auch ent-sprechende Anwendung auf die GmbH findet. Nach dieser Regelung ist ein durch eine AG geschlossener Kaufvertrag über ihr ganz wesentliches Vermögen schwebend unwirk-sam, wenn und solange ihre Hauptversammlung nicht dem Verkauf zugestimmt hat. Der Beschluss bedarf bei einer Ak-tiengesellschaft der notariellen Form.

Verfügt eine Aktiengesellschaft etwa lediglich über ein ein-zelnes Grundstück oder eine einzelne Beteiligung an einer anderen Gesellschaft und sonst über kein nennenswertes Vermögen, so kann sie diesen Vermögensgegenstand nur wirksam verkaufen, wenn die Hauptversammlung dem Ab-schluss des Vertrages zustimmt und ein Notar eine Nieder-schrift über den Beschluss anfertigt.

Die meisten Stimmen in der juristischen Literatur gingen bisher davon aus, dass die Regelung Ausdruck eines allge-meinen Prinzips des Gesellschaftsrechts ist und daher auch auf die GmbH entsprechende Anwendung findet. Begründet wurde das unter anderem damit, dass Übertragungen des gesamten Vermögens der Gesellschaft nach dem Umwand-lungsgesetz (z.B. durch Verschmelzung) eines notariell be-urkundeten Beschlusses bedürfen.

Diese Ansicht hat der BGH aus den folgenden Gründen ab-gelehnt:

(1) Den Vertragspartnern ist grundsätzlich nicht ersichtlich, ob ein Gesellschafterbeschluss gefasst wurde oder nicht. Der Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs auf die Wirk-samkeit des Vertrages ist hier wichtiger als der Schutz der Gesellschafter der GmbH vor der wirtschaftlichen Entwer-tung ihrer Beteiligung an der GmbH.

Nach dem BGH ist es ein Grundprinzip des Handelsrechts, dass der Rechtsverkehr auf die Vertretungsbefugnis des Geschäftsleiters vertrauen darf. Hiervon stellt § 179a AktG eine Ausnahme dar und ist daher nicht Ausdruck einer all-gemeinen Regel des Rechts. So ist die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers gegenüber Dritten nach § 37 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar.

(2) Gesellschafter einer GmbH sind weniger schutzbedürftig als die einer Aktiengesellschaft.

Aktionäre haben über die Hauptversammlung nur be-schränkte Informations- und Einwirkungsmöglichkeiten. Dagegen haben Gesellschafter einer GmbH grundsätzlich ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber der Geschäfts-führung und können der Geschäftsführung durch Beschluss der Gesellschafterversammlung Weisungen erteilen und Kompetenzen entziehen. Aus der Kombination dieser Rechte haben sie die Möglichkeit, einen Verkauf zu verhindern. Die-

se Möglichkeit stünde den Aktionären ohne die Reglung des § 179a AktG nicht offen.

Schutz der Gesellschafter durch Haf-tungsregime innerhalb der GmbH

Da der Vertrag über den Verkauf des ganz wesentlichen Ver-mögens der GmbH von der fehlenden Zustimmung der Ge-sellschafterversammlung unberührt bleibt, stellt sich die Frage, wie die Gesellschafter einer GmbH davor geschützt werden, dass der Geschäftsführer das Vermögen der GmbH veräußert. Ein solches Verhalten könnte im Extremfall die Beteiligung der Gesellschafter vollständig entwerten.

Diese Frage beantwortet der BGH mit einem Verweis auf das grundsätzliche Haftungsregime der GmbH.

Zunächst stellt das Urteil fest, dass ein Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet ist, vor einem Verkauf des wesent-lichen Vermögens einen zustimmenden Beschluss der Ge-sellschafter einzuholen. Dies gilt grundsätzlich und unab-hängig davon ob – etwa in der Satzung der GmbH oder einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung – ein entspre-chender Zustimmungsvorbehalt vorgesehen ist.

Entscheidende Unterschiede zu § 179a AktG sind hier die Folgenden:

(1) Der Kaufvertrag bleibt grundsätzlich auch ohne Be-schluss wirksam. Der Geschäftsführer begeht jedoch eine Pflichtverletzung gegenüber der GmbH. Diese ist so we-sentlich, dass sie regelmäßig zumindest einen wichtigen Grund für seine Abberufung als Geschäftsführer sowie für die Kündigung seines Dienstvertrages begründen wird. Zu-dem könnte, wenn das Geschäft einen Schaden der GmbH begründet, sein Verhalten eine Pflicht zum Ausgleich des Schadens auslösen.

Vorstellbar wäre ein Schaden der GmbH – unter vielen an-deren Möglichkeiten – zum Beispiel dann, wenn ein anderes, besseres Angebot zum Verkauf des Vermögens vorliegt.

(2) Der zustimmende Gesellschafterbeschluss bedarf – an-ders als bei entsprechender Anwendung des § 179a AktG vertreten – jedoch keiner notariellen Form.

Ausnahmsweise dennoch Unwirksam-keit des Kaufvertrages

Schließlich stellt der BGH klar, dass sich die Unwirksamkeit des Kaufvertrags in besonderen Fällen dennoch aus allge-meinen Grundsätzen ergeben kann.

Es ist zwar ein allgemeines Prinzip des Vertretungsrechts, dass von der fehlenden Erlaubnis, ein Geschäft im Innenver-hältnis abzuschließen, die Wirksamkeit des Geschäftes im

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Außenverhältnis unberührt bleibt. Von diesem Prinzip wird aber ebenso prinzipiell eine Ausnahme für Fälle des sog. Missbrauchs der Vertretungsmacht gemacht.

Bezogen auf die GmbH und den Verkauf der ganz wesent-lichen Vermögensgegenstände liegt ein solcher Missbrauch nach dem BGH vor, wenn der Vertragspartner das Fehlen des Gesellschafterbeschlusses kennt oder sich das Fehlen des Gesellschafterbeschlusses aufdrängen muss. In diesen Ausnahmefällen ist der Käufer nicht schutzwürdiger als die verkaufende GmbH, die durch den Kaufvertrag auf der ande-ren Seite gebunden würde. Das rechtfertigt in diesen Fällen die Unwirksamkeit des Kaufvertrages.

Unsicherheit im Einzelfall

Nicht abschließend geklärt wurde durch die Entscheidung, wann sich das Fehlen eines zustimmenden Gesellschafter-beschlusses aufdrängen muss. Der BGH führt lediglich aus, dass den Käufer eine Erkundigungsobliegenheit treffen kann, etwa wenn der Käufer erfährt, dass ein maßgebender Gesellschafter mit dem Verkauf nicht einverstanden ist. Ob darin eine allgemeine Pflicht zur Nachfrage zu sehen ist, wird nicht abschließend geklärt.

Durch das vom BGH gebildete Beispiel lässt sich zumindest jedoch vermuten, dass der Käufer nicht grundsätzlich nach-zufragen hat, ob die Gesellschafter der GmbH dem Geschäft auch zugestimmt haben. Wenn aber Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies nicht der Fall sein könnte, sollte grund-sätzlich nachgefragt werden.

Fazit

Die Ungewissheit bezüglich der entsprechenden Anwendung der Regelung des § 179a AktG ist beseitigt.

Für den Verkauf des ganz wesentlichen Vermögens einer GmbH braucht ein Geschäftsführer zwar immer einen zu-

stimmenden Gesellschafterbeschluss. Der Beschluss be-darf jedoch nicht der notariellen Form. Hierdurch verringern sich die Kosten der Transaktion erheblich.

Liegt kein zustimmender Gesellschafterbeschluss vor, ist der Kaufvertrag grundsätzlich dennoch wirksam. Zur Ver-meidung von persönlichen Haftungen sowie Abberufung und Kündigung aus wichtigem Grund sollte der Geschäftsführer solche Geschäfte jedoch nicht ohne zustimmenden Gesell-schafterbeschluss tätigen.

Ausnahmsweise ist der Kaufvertrag aufgrund des Fehlens des Gesellschafterbeschlusses unwirksam, wenn der Käu-fer das Fehlen kennt oder das Fehlen sich aufdrängen muss. Zumindest bei Bestehen nachhaltiger Anhaltspunkte für das Fehlen der Zustimmung der Gesellschafter der GmbH kann sich der Käufer nicht darauf berufen, dass er keine Kenntnis vom Fehlen des Beschlusses hatte, wenn er keine diesbe-züglichen Nachforschungen anstellt. Bereits erhaltene Ver-mögensgegenstände können dann zurückgefordert werden.

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Fragen, Anmerkungen und Wünsche zu Recht Aktuell?

Wir freuen uns über Ihre Fragen, Anmerkungen und Wünsche bezüglich unserer Informationsschrift Recht Aktuell. Sie können uns gerne eine

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