Rechtfertigung I. Einwilligung II. Überblick über Notrechte III. Notwehr.

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Rechtfertigung I. Einwilligung II. Überblick über Notrechte III. Notwehr

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Rechtfertigung

I. EinwilligungII. Überblick über Notrechte

III. Notwehr

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Aufbau in der Klausur

I. Tatbestand

1) Objektiver TB

2) Subjektiver TB

II. Rechtswidrigkeit

Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor?

III. Schuld

IV. Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen

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Rechtfertigung

Definition: Ein Verhalten, das im Normalfall strafrechtlich verboten ist, ist in einer konkreten (Ausnahme-)Situation um höherer Interessen willen erwünscht oder jedenfalls gestattet.

Wirkung: Das Verhalten des Täters ist rechtlich erlaubt. Es kann daher weder Strafe noch Maßregel verhängt werden. Es gibt keine strafbare Beteiligung an gerechtfertigten Handlungen.

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Wiederholung

1) Können sich Rechtfertigungsgründe auch aus dem Zivilrecht ergeben?

Auch Normen außerhalb des Strafrechts können die Verwirklichung von Straftatbeständen rechtfertigen („Einheit der Rechtsordnung“).

Bsp..: § 904 BGB, § 127 StPO (Festnahme von Tatverdächtigen)

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Wiederholung

2) Gibt es neben den objektiven auch ein subjektives Rechtfertigungselement?

JA!

Rechtfertigung nur, wenn der Täter weiß, dass die rechtfertigende Situation besteht.

Andernfalls bleibt das Handlungsunrecht bestehen (evtl. Versuchsstrafbarkeit).

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Einwilligung und Einverständnis

Einverständnis Einwilligung

Knüpft an Tatbestandsmerk

mal an

Tatbestandsmäßigkeit wird verneint

Ungeschriebener, gewohnheitsrechtlich

anerkannter Rechtfertigungsgrund

Rechtswidrigkeit wird verneint (ganz h.M.)

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Einwilligung und Einverständnis

P: Wann wird ein Tatbestand durch ein Einverständnis ausgeschlossen?

§ 248b I StGB: Wer ein Kraftfahrzeug oder ein Fahrrad gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch nimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (...)

§ 242 I StGB: Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (...).

§ 123 I StGB: Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen (...) widerrechtlich eindringt (...) wird bestraft.

Unrecht wird nur durch entgegenstehenden Willen indiziert!

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Einwilligung und Einverständnis

Fall 1:

T betritt einen Supermarkt, mit der einzigen Absicht, dort ein paar Flaschen Bier zu stehlen.

Fall 1a):

T betritt den Supermarkt maskiert und mit vorgehaltener Waffe, um sich die Tageseinnahmen zu holen.

§ 123 I StGB ? : Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen (...) widerrechtlich eindringt (...) wird bestraft.

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Einwilligung und Einverständnis

P: Liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Ladeninhaberin vor, so dass

es bereits am „widerrechtlichen Eindringen“ fehlt?

Es besteht ein „generelles Einverständnis“ der Ladeninhaberin.

• Es bezieht sich auf alle Personen, die den Laden „äußerlich korrekt“ betreten.

• Denn dem äußerlich korrekt auftretenden T hätte die Ladeninhaberin in Fall 1 auf eine entsprechende Frage hin auch ausdrücklich Zutritt gewährt.

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Einwilligung und Einverständnis

Fall 1:

Äußerlich korrektes Verhalten: tatbestandsausschließendes Einverständnis (+)

§ 123 I StGB (-)

Fall 1a):

Äußerlich nicht korrektes Verhalten: tatbestandsausschließendes Einverständnis (-)

§ 123 I StGB (+)

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Einwilligung und Einverständnis

ABER: Das Einverständnis in Fall 1 beruht auf einer Täuschung

(T erweckt den Anschein, ein normaler Kunde zu sein)

MERKE:Das Einverständnis schließt den Tatbestand auch aus, wenn es

erschlichen wurde und auf Willensmängeln beruht!

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Verortung der Einwilligung im Gutachten

Begründung:• Zugriff auf Rechtsgut mit

Willen des Rechtsgutsinhabers ist kein Rechtsgutsangriff

• Einwilligung ist Zeichen von Autonomie. TBe schützen Autonomie; sie sind dann nicht verwirklicht

Tatbestandslösung

(m.M.)

Rechtfertigungslösung

(ganz h.M.)

Begründung:• Allgemeines Rechtsgut (z.B.

„Körper“) und Dispositionsbefugnis des konkreten Inhabers sind zu trennen.

• TB beschreibt typischen Fall, Einwilligung ist atypische Ausnahme

Bedeutung des Streits im Gutachten? : Keine! Aufbaufragen werden nicht thematisiert.

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Aufbau im Gutachten

Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung1) Dispositionsbefugnis des Einwilligenden

• Individualrechtsgut

• Alleinige Inhaberschaft des Einwilligenden

• Besonderheit für KöV: Keine Sittenwidrigkeit, § 228 StGB

2) Einwilligungserklärung

• Kundgabe nach außen vor der Tat

• Fortbestehen im Zeitpunkt der Tat

3) Wirksamkeit der Einwilligung

• Einwilligungsfähigkeit

• Keine Willensmängel

• Handeln bewegt sich im Rahmen der Einwilligung

4) Subjektives Rechtfertigungselement

• Handeln in Kenntnis der Einwilligung

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Dispositionsbefugnis

Grundsätzlich wirksame Einwilligung

(+) in Verletzung eigene Rechtsgüter (Bsp.: Sachen)

Ausnahme: keine Einwilligung in die eigene Tötung, s. § 216 StGB

Grundsätzlich keine wirksame Einwilligung

(-) in die Verletzung von Gemeinschaftsinteressen (z.B. Umwelt, Rechtspflege)

(-) in die Verletzung fremder Rechtsgüter

Einwilligung ist nur wirksam, wenn der Einwilligende über das betroffene Interesse

disponieren darf.

Rechtsgutsbegriff

wichtig!

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Dispositionsbefugnis

Problemfälle am Beispiel des § 340 StGB

Geschütztes Rechtsgut?

Einwilligung ist nur wirksam, wenn der Einwilligende über das betroffene Interesse

disponieren darf.

Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit

Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Amtes

PRO Disponibilität: § 340 Abs. 3 verweist auf § 228 ! Systematisches Argument

Lösung: Kumulative Schutzstruktur – beide Rechtsgüter müssen beeinträchtigt sein. Durch Einwilligung entfällt die

Individualgutsverletzung.

§ 340 (-)

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Dispositionsbefugnis: Grenze des § 228 StGB

§ 228 StGB: Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

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Dispositionsbefugnis: Grenze des § 228 StGB

Fall „Irene“ (BGHSt 49, 166):

Irene (I) verschafft sich - anders als ihr Lebensgefährte T - über außergewöhnliche Praktiken sexuelle Befriedigung; sie bevorzugt es, sich durch Würgen erregen zu lassen. I bittet T, sie mit einem Metallrohr zu würgen. T äußert im Hinblick auf die von ihm erkannte Lebensgefährlichkeit des Vorgehens Bedenken, stellt diese Bedenken jedoch in Folge des Drängens von I zurück. I verstirbt in Folge des erbetenen Würgeverfahrens.

Wie hat sich T strafbar gemacht?

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Dispositionsbefugnis: Grenze des § 228 StGB

I. § 212

(-) Kein Vorsatz!

II. §§ 223 I, 224 I 1 Nr. 2, 227 I StGB?

1) KöV (+)

2) Einwilligung?

P: Grenze des § 228 StGB?

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§ 228 StGB

§ 228 StGB: Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

P: „Guten Sitten“

Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG?

(-) Begriff wird auch in der Verfassung verwendet, Art. 2 GG

(-) Mittlerweile hinreichend präzisiert (so Rspr.)

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§ 228 StGB

P: Wann verstößt eine KöV gegen die „guten Sitten“?

Rechtswidriger Zweck(m.M.)

Bsp.: Verstümmelung, um Versicherungssumme zu erlangen(-) Dann kommt es im Ergebnis auf andere Rechtsgüter an (kein Zusammenhang zu KöV)

Schwere des Rechtsgutseingriffs

(h.M.)

„Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblicher Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.“

MERKE: Nicht relevant sind Moralvorstellungen! In Fall 2: Keine Bewertung der sexuellen Praktiken

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§ 228 StGB

PRO:

(+) Nähe zu § 216 StGB – Wertung des Gesetzgebers, dass keine Einwilligung in die Aufgabe des Rechtsgutes Leben erfolgen darf

(+) „Paternalistisches Argument“: Übereilungsschutzes vor massiv selbstschädigenden Verfügungen

Ausnahme:Einwilligender hat bei objektiver Betrachtung sinnvolle Gründe, in die Lebensgefahr einzuwilligen.Bsp..: Einwilligung in lebensgefährdende OP bei medizinischer Indikation

Schwere des Rechtsgutseingriffs(H.M.)

Grenze: Einwilligender wird in konkrete Todesgefahr gebracht

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§ 228 StGB

Lösung für Fall „Irene“:

BGH (BGHSt 49, 166: )„Das über einen Zeitraum von mindestens drei Minuten andauernde, intervallartig – also unter abwechselnder Verstärkung und Verringerung des Drucks – ausgeführte Würgen des Tatopfers mit Hilfe eines starken, sich nicht den Konturen des Halses anpassenden Metallrohrs brachte das Tatopfer für den Angeklagten erkennbar nicht nur in eine abstrakte Lebensgefahr (...), sondern in eine konkrete Gefahr. Denn bei der hier gewählten Vorgehensweise war das Risiko, durch die Handlung unmittelbar den Tod seiner Lebensgefährtin herbeizuführen, für den Angeklagten weder kalkulierbar noch beherrschbar.“

Einwilligung wegen § 228 StGB (-) Nicht wegen des sadomasochistischen Hintergrundes! Wohl aber wegen der erheblichen Lebensgefahr (Sicht ex ante) Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 I StGB

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§ 228 StGB

Für besonders Interessierte:

? Sittenwidrigkeit auch bei Gefahr schwerer Körperverletzungen?

? Sittenwidrigkeit stets bei abstrakten Eskalationsgefahren?

Entscheidung:

BGH: NStZ 2013,  342

Anmerkungen:

Jäger, JA 2013, 634

Hardtung, NStZ 2014, 267

Meden, HRRS 2013, 158 

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Einwilligung in Lebensgefahr?

Fall (etwas vereinfacht nach BGHSt 53, 55):

T1, T2 und O lieben es, auf öffentlichen Straßen Autorennen durchzuführen. Die beschließen, einen von ihnen so genannten Beschleunigungstest durchzuführen. O fährt als Beifahrer bei T1 mit, T2 steuert seinen eigenen Wagen. T1 und T2 befahren nebeneinander eine zweispurige Bundesstraße und dies zunächst in der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Auf das Startsignal von O hin, beschleunigen T1 und T2 ihre Fahrzeuge auf 200 km/h. Bald wird vor T1 und T2 der Wagen von A sichtbar, den dieser auf dem rechten Fahrstreifen mit ca. 120 km/h steuert. T1 und T2 setzen ihr entsprechend der für einen solchen Fall zuvor getroffenen Vereinbarung Rennen fort und setzen in einer Geschwindigkeit von 240 km/h dazu an, A zu überholen. Beim Überholen gerät das Fahrzeug des T1 ins Schleudern, überschlägt sich und prallt gegen ein Verkehrszeichen. O kommt dabei zu Tode. Alle Beteiligten nahmen die mit dem Überholmanöver verbundene Gefährlichkeit bewusst in Kauf.

Hat sich T1 wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht, § 222 StGB?

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Einwilligung in Lebensgefahr?

Hat sich T1 nach § 222 I StGB strafbar gemacht?

1. Frage: Objektiv zurechenbar?

(-) Bei eigenverantwortliche Selbstgefährdung

Erinnern Sie sich an den Heroin-Fall in Lehreinheit § 13!

Vor.: Tatherrschaft muss beim Verletzten liegen

Hier: (-), T1 hatte als Fahrzeugführer die Herrschaft über die Gefahrenlage

Es liegt keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sondern eine einverständliche Fremdgefährdung vor!

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Einwilligung in Lebensgefahr?

Verortung des Problems der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung:

Tatbestandsebene: objektive Zurechnung

(Roxin)

Gleichstellung von Selbst- und Fremdgefährdung, - wenn Opfer für das Risiko gleichermaßen verantwortlich ist; Opfer übersieht das Risiko ebenso wie der Täter

Hier: § 222 StGB (-)

Rechtfertigungsebene: Einwilligung ?

P: Ist eine Einwilligung in die das Leben gefährdende Handlung zulässig?

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Einwilligung in Lebensgefahr?

P: Ist eine Einwilligung in die das Leben gefährdende Handlung zulässig?

1. Einwand: O hat in ein Risiko eingewilligt, nicht in den Erfolg. § 222 StGB ist aber ein Erfolgsdelikt!

Contra: Im Erfolg realisiert sich nur das Risiko, in das eingewilligt wurde der Erfolg ist der Einwilligung „zurechenbar“

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Einwilligung in Lebensgefahr?

P: Ist eine Einwilligung in die das Leben gefährdende Handlung zulässig?

2. Einwand: Aus § 216 StGB ergibt sich, dass das Opfer nicht über sein Leben disponieren kann (so frühere Rspr., z.B. BGHSt 4, 88, 93)

Contra: Das Opfer willigt nicht in seine vorsätzliche Tötung, sondern nur in seine Gefährdung ein (Lebensgefahr, nicht Leben)!

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Einwilligung in Lebensgefahr?

P: Ist eine Einwilligung in die das Leben gefährdende Handlung zulässig?

3. Einwand: Eine Einwilligung scheitert (wegen der Todesgefahr) an § 228 StGB!

CONTRA:

§ 228 StGB ist explizit nur auf KöV anwendbar, nicht auf § 222 StGB

Unzulässige Analogie(Aber: Einwilligung ist ungeschriebener RF-Grund, daher weniger strenge Anforderungen)

PRO (BGH und hL):

§ 228 würde eine Einwilligung in die KöV ausschließen. Dann erst recht, wenn sich die Gefahr der KöV in der Tötung realisiert hat.

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Einwilligung in Lebensgefahr?

Ergebnis:

Eine Einwilligung in eine lebensgefährdenden Handlung ist stets unzulässig, wenn nicht objektiv nachvollziehbare Gründe vorliegen (§ 228 StGB).

Ergebnis für den Fall:

T1 hat sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 I StGB strafbar gemacht.

LESEN:BGHSt 53, 55 = NJW 2009, 1155

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

1) Dispositionsbefugnis

2) Einwilligungserklärung

3) Wirksamkeit der Einwilligung

• Einwilligungsfähigkeit

• Keine Willensmängel

4) Subjektives Rechtfertigungselement

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Einwilligungserklärung

Voraussetzung der Einwilligungserklärung

1) Form der Äußerung

hM: Kundgabelösung

Kundgabe nach außen vor der Tat; ausdrücklich oder konkludent

BGHSt 4, 88, 90: „Erforderlich ist, dass der Träger des Rechtsguts unmissverständlich zu erkennen gibt, er wolle das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Einwirkung eines Anderen preisgeben und insoweit auf strafrechtlichen Rechtsgüterschutz verzichten.“

mM: Willensrichtungstheorie Es genügt der innere Wille, ohne Manifestation nach außen

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Einwilligungserklärung

Voraussetzung der Einwilligungserklärung

2) Zeitpunkt der Kundgabe: VOR der Tat Keine nachträgliche Billigung

3) Fortbestehen im Zeitpunkt der Tat Die Einwilligung ist jederzeit frei widerruflich

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Wirksamkeit der Einwilligungserklärung

1) Einwilligungsfähigkeit

Natürlicher Wille (-)

Geschäftsfähigkeit nach BGB

(-)

Konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit

Kinder (-): Vertretung durch Eltern § 1629 BGBJugendliche (+) / (-): nach Entwicklungsstand

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Wirksamkeit der Einwilligungserklärung

2) Keine Willensmängel

a) Drohung und Nötigung

schließt nach allen Auffassungen wirksame Einwilligung aus

b) Irrtümer Rechtsgutsbezogenen Irrtümer (über Art, Ausmaß

und Gefährlichkeit der Rechtsgutspreisgabe): Einwilligung (-)

Außertatbestandliche Irrtümer? (+) / (-)

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Wirksamkeit der EinwilligungserklärungP: Irrtum über außertatbestandliche Zwecke

Fall: T erzählt O wahrheitswidrig, er würde für eine Blutspende 100 € bekommen. O erklärt sich aus diesem Grunde dazu bereit. T nimmt dem O Blut ab. Wirksame Einwilligung?

eA: (+), nicht rechtsgutsbezogene Irrtümer sind stets irrelevant

aA: (-), jeder kausale Irrtum ist relevant

vermittelnde Meinung: Irrtum ist relevant, wenn sich die Einwilligung nicht mehr als „Verwirklichung der Handlungsfreiheit“ verstehen lässt; z.B. (-) bei Täuschung über eine Notlage

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Wirksamkeit der Einwilligungserklärung

P: Irrtum über außertatbestandliche Zwecke

Folgefrage: Muss der Eingreifende für den Irrtum verantwortlich sein?

hM: (-), nein. Ein (relevanter) Irrtum lässt die Einwilligung objektiv entfallen. Lösung über das subjektive Element (Erlaubnistatbestandsirrtum).

vermittelnder Ansatz:

(-) für rechtsgutsbezogene Irrtümer muss der Eingreifende nicht verantwortlich sein

(+) sonstige Irrtümer sind nur relevant, wenn der Eingreifende sie verursacht hat

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Subjektives Element

Voraussetzung:

Kenntnis des Handelnden von der Einwilligung.

Mögliche Probleme:

T handelt ohne Kenntnis von der bestehenden Einwilligung

T nimmt irrig eine in Wahrheit nicht bestehende Einwilligung an

Rechtfertigung (-) subjektive Voraussetzungen fehlen!

Lösung: Ggf. nur Versuch

Rechtfertigung (-)objektive Voraussetzungen fehlen!Lösung: Erlaubnistatbestandsirrtum

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Mutmaßliche Einwilligung

Fall: O wird bewusstlos in die Notaufnahme des Krankenhauses eingeliefert. T erkennt, dass O ohne eine sofortige Notoperation sterben wird und operiert den O.

Hat sich T wegen Körperverletzung nach § 223 I StGB strafbar gemacht?

I. Tatbestand

- Nach der Rspr. (+) auch bei kunstgerechtem ärztlichen Heileingriff

II. Rechtswidrigkeit

1) Einwilligung ?

(-) O hat seine Einwilligung nicht erklärt.

Und nun?

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Mutmaßliche Einwilligung

Lösung über die „mutmaßliche Einwilligung“

Voraussetzungen:

1) Subsidiarität Einholung einer wirklichen Einwilligung nach Lage der

Dinge ausgeschlossen Hier: (+), O war nicht ansprechbar

2) Eine Einwilligung wäre grds. zulässig Hier: (+)

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Mutmaßliche Einwilligung

Lösung über die „mutmaßliche Einwilligung“

Voraussetzungen:

3) Handeln entspricht dem mutmaßlichen Willen des Rechtsgutsträgers Entscheidend ist der subjektive Wille des O aus ex ante Sicht: maßgeblich

sind persönliche Umstände des Betroffenen, individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen

Ein entgegenstehender Wille kann nicht durch objektive Vernünftigkeit ersetzt werden.

Objektive Faktoren sind nur relevant, wenn kein entgegenstehender subjektiver Wille erkennbar ist (BGHSt 35, 246, 249 f):

„Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Patient anders entschieden hätte, wird allerdings davon auszugehen sein, dass sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird.“ Hier: Wahrscheinlichkeitsurteil (+) Keine Anhaltspunkte für eine Ablehnung

des Eingriffs durch O. Einwilligung wäre vernünftig.

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Mutmaßliche Einwilligung

4) Ausschluss?: T handelt (auch) im eigenen Interesse?

Bsp.: T will die OP auch deshalb durchführen, weil er sich von seinem Einsatz eine Beförderung verspricht.

eA: Rechtfertigung (-); T handelt dann nicht im mutmaßlichen Willen des O

aA: Rechtfertigung (+), solange ein mutmaßlicher Wille zu bejahen ist und T hiervon „Kenntnis“ hat liegen alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen vor.

PRO: Auch bei der Einwilligung ist es egal, ob T allein aufgrund der Einwilligung handelt

Lösung des Falles: T ist durch die mutmaßliche Einwilligung des O gerechtfertigt, § 223 I StGB (-)

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Hypothetische Einwilligung

Fall: Arzt T hat bei einer Operation des O eine Gabel in dessen Brustkorb „vergessen“. Als er dies bemerkt, sagt er am Tag nach der Operation zu O, es habe sich leider eine Komplikation ergeben und er müsse erneut operieren (ohne die wahre Ursache zu nennen). O erklärt sich einverstanden. § 223?

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Hypothetische Einwilligung

Fall: Arzt T hat bei einer Operation des O eine Gabel in dessen Brustkorb „vergessen“. Als er dies bemerkt, sagt er am Tag nach der Operation zu O, es habe sich leider eine Komplikation ergeben und er müsse erneut operieren (ohne die wahre Ursache zu nennen). O erklärt sich einverstanden. § 223?

I. Einwilligung?(-) scheitert an Willensmangel: Täuschung!

II. Mutmaßliche Einwilligung? (-) Subsidiarität; Einwilligung wäre einzuholen gewesen

III. Neue Rechtsfigur: hypothetische Einwilligung„Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“ (BGH NStZ-RR 2004, 16) Lit.: zT kritisch; Eingriff in Selbstbestimmungsrecht (Otto, Jura 2004, 679)

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Einwilligung

Was besprechen wir?

I. Abgrenzung Einwilligung – Einverständnis

II. Einwilligung im Gutachten

III. Dispositionsbefugnis: Wer darf worein einwilligen?

IV. Weitere Voraussetzungen der Einwilligung

V. Mutmaßliche Einwilligung

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Exkurs: Einwilligungslösung bei freiverantwortlicher Selbstgefährdung

Fall: T hat ein fremdes Haus in Brand gesetzt. Passant P kommt zu Tode, nachdem er sich in das brennende Haus begeben hat, um das dort befindliche und um Hilfe rufende Kind K zu retten. K wird gerettet.

Hat sich T (auch) wegen § 222 StGB strafbar gemacht?

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Exkurs: Einwilligungslösung bei freiverantwortlicher Selbstgefährdung

Tatbestandsmäßigkeit

1. Erfolgseintritt : P ist tot (+)

2. Kausalität: psychisch vermittelt (+)

3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung

a) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung (+) Brand

b) Objektive Vorhersehbarkeit (+) Naheliegend

4. Objektive Zurechnung des Erfolges ?

P: Hat sich P hier freiverantwortlich selbstgefährdet?

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Exkurs: Einwilligungslösung bei freiverantwortlicher Selbstgefährdung

Wann liegt eine freiverantwortliche Selbstgefährdung vor?Eigenverantwortliche Selbstgefährdung

Das Opfer handelt im eigenen Verantwortungsbereich. Der Risikozusammenhang entfällt.

EntschuldigungslösungZurechnung (+), wenn sich Person in einem die Schuld ausschließenden Zustand (hier § 35 StGB?) befindet.

EinwilligungslösungZurechnung (+), wenn die Einwilligung in eine entsprechende Fremdgefährdung aufgrund von Willensmängeln zu verneinen wäre

Hier: Einwilligung wäre wegen Nötigungssituation nicht frei und damit nicht wirksam gewesen § 222 (+)

Hier: Kein Näheverhältnis iSd § 35 § 222 (-)