Rechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch...

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Gutachten: Rechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch „Südtiroler“erstattet vonao. Univ.-Prof. Dr. Walter ObwexerInstitut für Europarecht und VölkerrechtUniversität InnsbruckInnrain 52A-6020 Innsbruck

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  • LEOPOLD FRANZENS UNIVERSITT INNSBRUCK

    Institut fr Europarecht und Vlkerrecht

    A-6020 Innsbruck, Innrain 52

    Tel: (0512) 507 8305; Fax: (0512) 507 2824; E-mail: [email protected]

    ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer

    Gutachten

    Rechtliche Rahmenbedingungen fr den

    Erwerb der sterreichischen

    Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler*

    * Alle Begriffe und Formulierungen in diesem Gutachten sind genderneutral zu verstehen.

    erstattet von

    ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer

    Institut fr Europarecht und Vlkerrecht Universitt Innsbruck Innrain 52 A-6020 Innsbruck

    Tel: 0043 512 507 8305

    Fax: 0043 512 507 2824

    e-mail: [email protected]

    Innsbruck, am 24. Mai 2011

  • 2

    Inhalt

    I. Ausgangslage und Fragestellung .......................................................................... 4

    II. Vlkerrechtliche Rahmenbedingungen ................................................................ 6

    1. Europisches bereinkommen ber die Verminderung der Flle

    mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in

    Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit (1963) EmStA .............................. 6

    a) Verminderung mehrfacher Staatsangehrigkeit .............................................. 7

    b) Militrdienstpflicht.......................................................................................... 9

    c) Geltungsdauer und Kndigung des bereinkommens .................................. 12

    2. Europisches bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (1997)

    EStA ............................................................................................................ 12

    a) Grundstze .................................................................................................... 13

    b) Mehrfache Staatsangehrigkeit ..................................................................... 14

    c) Militrdienstpflicht........................................................................................ 15

    d) Verhltnis zum bereinkommen von 1963 .................................................. 16

    3. Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) StV St-Germain ........................... 17

    4. Pariser Vertrag (1946) PV ............................................................................ 18

    III. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen .............................................................. 19

    1. Staatsbrgerschaftsrecht als Zustndigkeit der Mitgliedstaaten ...................... 20

    2. Unionsrechtliche Grenzen fr den Erwerb und den Verlust der

    Staatsangehrigkeit ........................................................................................ 23

    3. Wirkungen von Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit im

    Unionsrecht .................................................................................................... 29

    IV. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in sterreich ............................................ 32

    1. Verfassungsrechtliche Grundlagen .................................................................. 32

    2. Staatsbrgerschaftsrecht .................................................................................. 34

  • 3

    V. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in Italien .................................................. 34

    VI. Rechtliche Mglichkeiten und Grenzen sowie Rechtsfolgen des Erwerbs

    der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler ............................... 35

    1. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft .............................................. 36

    a) Erwerb durch Verleihung .............................................................................. 37

    b) Erwerb durch Anzeige ................................................................................... 37

    c) Zulssigkeit der Doppelstaatsbrgerschaft .................................................... 38

    d) Verlust der italienischen Staatsbrgerschaft? ............................................... 39

    e) Verfahren und Kosten fr den Erwerb der sterreichischen

    Staatsbrgerschaft ......................................................................................... 42

    2. Auswirkungen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft in

    sterreich am Beispiel ausgewhlter Bereiche .............................................. 43

    a) Staatsbrgerrechte ......................................................................................... 44

    b) Wahlrecht ...................................................................................................... 45

    c) Zugang zu ffentlichen mtern .................................................................... 46

    d) Wehrpflicht ................................................................................................... 46

    3. Auswirkungen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft in

    Italien .............................................................................................................. 48

    4. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft als Instrument des

    Minderheitenschutzes ..................................................................................... 50

    a) Strkung der Schutzfunktion sterreichs? .................................................... 50

    b) Ausbung des diplomatischen Schutzrechts durch sterreich

    gegenber Italien? ......................................................................................... 51

    VII. Rechtliche Rahmenbedingungen fr die Festlegung der Gruppe der

    begnstigten Sdtiroler ................................................................................... 52

    VIII. Beantwortung der Frage ..................................................................................... 55

  • 4

    I. Ausgangslage und Fragestellung

    Nachdem Italien im Jahre 2006 mit einer nderung seines

    Staatsbrgerschaftsgesetzes die Mglichkeit geschaffen hatte, dass Staatsbrger der

    Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, die vor Inkrafttreten des

    Friedensvertrages vom 10. Februar 1947 italienische Staatsbrger waren und im

    Gebiet des damaligen Italien ihren Wohnsitz hatten, sowie deren Nachkommen mit

    italienischer Sprache und Kultur die italienische Staatsbrgerschaft erwerben

    knnen,1 entstanden auch in Sdtirol auf politischer Ebene Bestrebungen, den in

    Sdtirol lebenden italienischen Staatsbrgern deutscher und ladinischer

    Muttersprache den Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft zu ermglichen.

    Die sterreichische Staatsbrgerschaft so die kolportierten Begrndungen soll

    zum einen die geistig-kulturelle Verbindung zum Vaterland sterreich strken und

    festigen und zum anderen die auf dem Pariser Vertrag (1946) beruhende

    Schutzfunktion sterreichs zustzlich absichern.

    Am 12. Mrz 2009 brachten die FP-Abgeordneten Neubauer, Knigshofer und

    Gartlgruber im Nationalrat in Wien einen Entschlieungsantrag betreffend

    Verleihung der sterreichischen Staatsbrgerschaft an Altsterreicher mit einer

    fremden Staatsangehrigkeit, die vor den Pariser Vorortevertrgen auf dem Gebiet

    Sdtirols und Trentino samt Cortina D`Ampezzo gelebt haben, sowie deren

    Nachfahren ein. Dem folgend soll der Nationalrat beschlieen, die Bundesregierung

    aufzufordern, eine Regierungsvorlage vorzulegen, die vorsieht, Altsterreichern mit

    einer fremden Staatsangehrigkeit, die vor den Pariser Vorortevertrgen auf dem

    Gebiet Sdtirols und Trentino samt Cortina D`Ampezzo gelebt haben, sowie deren

    Nachfahren auf Antrag die sterreichische Staatsbrgerschaft zu verleihen.2

    Dieser Initiative folgten unter anderem eine Unterschriftenaktion der Sd-Tiroler

    Freiheit in ganz Tirol, ein Dringlichkeitsantrag betreffend Doppelstaatsbrgerschaft

    1 Vgl Art 1 Gesetz vom 8. 3. 2006, Nr 124, GA vom 28. 3. 2006, Nr 73.

    2 532/A(E) XXIV. GP.

  • 5

    fr Sdtiroler3 der FP im Tiroler Landtag im September 20104 sowie zuletzt eine

    parlamentarische Brgerinitiative des Gesamttiroler Schtzenbundes. Sie alle zielen

    auf den Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler ab.

    Zustzlichen Rckenwind erhielten die gegenstndlichen Bestrebungen durch

    vergleichbare Regelungen, die in jngster Vergangenheit in einzelnen EU-

    Mitgliedstaaten in Kraft traten. So wurde im Mai 2010 in Ungarn ein Gesetz

    verabschiedet, das den insgesamt 2,5 Mio im Ausland lebenden Personen ungarischer

    Herkunft und mit ungarischer Sprache die Mglichkeit einrumt, in einem

    Eilverfahren die ungarische Staatsbrgerschaft zu erwerben. Rumnien hatte kurz

    zuvor den in der benachbarten Republik Moldau lebenden Landsleuten den Erwerb

    der rumnischen Staatsbrgerschaft angeboten.5

    Im Jahr 2008 erwarben in der EU insgesamt 59.449 Brger eines EU-Mitgliedstaates

    (zustzlich) die Staatsbrgerschaft eines anderen EU-Mitgliedstaates. Die grten

    Gruppen unter diesen Doppelunionsbrgern waren Portugiesen, die die franzsische

    Staatsbrgerschaft erhielten (7.778 Personen), Rumnen, die ungarische Staatsbrger

    wurden (5.535 Personen), und Polen, die die deutsche Staatsbrgerschaft erwarben

    (4.245 Personen).6

    Vor diesem Hintergrund soll im Auftrag der Sdtiroler Volkspartei die Frage

    beantwortet werden, ob ein Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch

    Sdtiroler rechtlich mglich ist, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dabei

    beachtet werden mssen und welche Rechtswirkungen der Erwerb der

    sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler in sterreich und in Italien

    htte.

    3 Tiroler Landtag, Dok 404/10.

    4 Vgl Tiroler Tageszeitung vom 23. 9. 2010, 3.

    5 Vgl Die Presse vom 5. 1. 2011, 4.

    6 Vgl Bericht der Kommission an das Europische Parlament, den Rat und den Europischen

    Wirtschafts- und Sozialausschuss gem Artikel 25 AEUV: Fortschritte auf dem Weg zu einer

    effektiven Unionsbrgerschaft 2007 2010, KOM(2010) 602 endg vom 27. 10. 2010, 4.

  • 6

    In Beantwortung dieser Frage werden zunchst die vlkerrechtlichen

    Rahmenbedingungen dargestellt (II.). Im Anschluss daran werden die

    unionsrechtlichen Rahmenbedingungen skizziert (III.). In der Folge werden die

    innerstaatlichen Rahmenbedingungen in sterreich (IV.) und in Italien (V.) behandelt.

    Darauf aufbauend werden die rechtlichen Mglichkeiten und Grenzen sowie die

    Rechtsfolgen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler

    beschrieben (VI.). Auf der Grundlage aller Rahmenbedingungen wird der Frage

    nachgegangen, ob und inwieweit sich daraus Vorgaben fr die Festlegung der Gruppe

    der begnstigten Sdtiroler ergeben (VII.). Eine zusammenfassende Antwort auf die

    eingangs gestellte Frage schliet das Gutachten ab (VIII.).

    II. Vlkerrechtliche Rahmenbedingungen

    Die Republik sterreich und die Republik Italien sind Vertragsparteien mehrerer

    vlkerrechtlicher Abkommen, die das Staatsbrgerschaftsrecht betreffen. Von

    besonderer Relevanz sind in gegenstndlichem Zusammenhang zwei im Schoe des

    Europarates ausgearbeitete bereinkommen: (1.) das Europische bereinkommen

    ber die Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die

    Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit und (2.) das

    Europische bereinkommen ber Staatsangehrigkeit. Zu prfen ist auch, ob (3.)

    aus dem Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) oder (4.) aus dem Pariser Vertrag

    (GruberDe Gasperi-Abkommen) (1946) einschlgige Vorgaben resultieren.

    1. Europisches bereinkommen ber die Verminderung der Flle

    mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen

    mehrfacher Staatsangehrigkeit (1963) EmStA

    Das Europische bereinkommen ber die Verminderung der Flle mehrfacher

    Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher

    Staatsangehrigkeit (EmStA)7 zielt wie sich bereits aus seinem Titel ergibt auf

    eine mglichst weitgehende Verringerung mehrfacher Staatsangehrigkeit ab.

    7 BGBl 1975/471.

  • 7

    Gleichzeitig regelt es nur das wichtigste Problem mehrfacher Staatsangehrigkeit,

    nmlich die Wehrdienstpflicht. Dieses bereinkommen ist fr sterreich am 1.

    September 1975 in Kraft getreten;8 es wurde als gesetzndernd genehmigt und nicht

    unter Erfllungsvorbehalt gestellt. Dem folgend sind seine Bestimmungen in

    sterreich grundstzlich unmittelbar anwendbar.9 In Italien gilt das gegenstndliche

    bereinkommen bereits seit 28. Mrz 1968;10 es wurde mit Gesetz vom 4. Oktober

    1966, Nr 87611 innerstaatlich genehmigt und ab seinem (vlkerrechtlichen)

    Inkrafttreten fr anwendbar erklrt.

    a) Verminderung mehrfacher Staatsangehrigkeit

    Zur Erreichung des Ziels einer mglichst weitgehenden Verringerung mehrfacher

    Staatsangehrigkeit sieht das bereinkommen vor, dass bei Erwerb einer neuen

    Staatsangehrigkeit die bisherige Staatsangehrigkeit verloren gehen soll

    (Verpflichtung zur Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit).12

    Im Einzelnen wird normiert, dass volljhrige Staatsangehrige der Vertragsparteien,

    die infolge einer ausdrcklichen Willenserklrung durch Einbrgerung, Abgabe einer

    Erklrung oder Wiedererlangung die Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei

    erwerben, ihre frhere Staatsangehrigkeit verlieren; die Beibehaltung ihrer frheren

    Staatsangehrigkeit ist ihnen nicht zu bewilligen (Art 1 Abs 1 EmStA). Dasselbe

    gilt fr minderjhrige Staatsangehrige der Vertragsparteien, wenn sie

    ordnungsgem ermchtigt oder vertreten gewesen sind und sofern die

    Rechtsvorschriften ihres Heimatstaates bei Erwerb der Staatsangehrigkeit einer

    anderen Vertragspartei durch ausdrckliche Willenserklrung den mglichen Verlust

    der Staatsangehrigkeit vorsehen (Art 1 Abs 2 EmStA). Minderjhrige, die im

    8 BGBl 1976/145.

    9 Vgl. Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft, Band I Historische Entwicklung und

    vlkerrechtliche Grundlagen (1989), 167.

    10 Vgl BGBl 1975/471; 1987/424.

    11 GA vom 31. 10. 1966, Nr 272.

    12 Vgl RV 1438 BlgNR 13. GP.

  • 8

    Zeitpunkt und infolge der Einbrgerung, Abgabe einer Erklrung oder

    Wiedererlangung der Staatsangehrigkeit ihrer Eltern von Gesetzes wegen die

    Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, verlieren gleichfalls ihre

    frhere Staatsangehrigkeit. Verliert nur der Vater oder nur die Mutter die frhere

    Staatsangehrigkeit, so bestimmt sich nach den Rechtsvorschriften derjenigen

    Vertragspartei, deren Staatsangehrigkeit der Minderjhrige besa, welchem

    Elternteil er in seiner Rechtsstellung folgt; in letzterem Fall knnen die genannten

    Gesetze vorsehen, dass der Verlust der Staatsangehrigkeit von der vorherigen

    Zustimmung des anderen Elternteils oder des gesetzlichen Vertreters zum Erwerb der

    neuen Staatsangehrigkeit abhngig gemacht wird. Diejenige Vertragspartei, deren

    Staatsangehrigkeit der Minderjhrige besa, kann besondere Bedingungen festlegen,

    unter denen der Minderjhrige nach Erreichung der Volljhrigkeit diese

    Staatsangehrigkeit auf Grund einer ausdrcklichen Willenserklrung

    wiedererwerben kann (Art 1 Abs 3 EmStA).13

    Sowohl sterreich als auch Italien haben zur Verpflichtung der Vermeidung

    mehrfacher Staatsangehrigkeit in Art 1 EmStA einen Vorbehalt angebracht (Art 8

    Abs 1 iVm Anlage EmStA). Whrend sterreich sich lediglich gem Pkt 3 der

    Anlage das Recht vorbehalten hat, einem seiner Staatsangehrigen zu bewilligen,

    seine bisherige Staatsangehrigkeit beizubehalten, wenn die Vertragspartei, deren

    Staatsangehrigkeit er gem Art 1 EmStA zu erwerben beantragt, dem vorher

    zugestimmt hat,14 machte Italien vom Vorbehaltsregime der Anlage zum

    bereinkommen umfassend Gebrauch. Es behielt es sich unter anderem das Recht

    vor, den in Art 1 EmStA vorgesehenen Verlust der Staatsangehrigkeit von der

    Voraussetzung abhngig zu machen, dass die betreffende Person ihren ordentlichen

    Wohnsitz gewhnlich auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes hat oder dort zu

    irgendeinem Zeitpunkt ihren ordentlichen Wohnsitz begrndet, es sei denn, dass im

    Falle des Erwerbs einer fremden Staatsangehrigkeit kraft ausdrcklicher

    13 Siehe dazu ausfhrlich Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 191.

    14 Vgl Erklrung der Republik sterreich betreffend den in Pkt 3 der Anlage zum bereinkommen

    vorgesehenen Vorbehalt, BGBl 1975/471.

  • 9

    Willenserklrung die betreffende Person durch die zustndige Behrde von der

    Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im Ausland befreit wird.15

    Art 2 EmStA verpflichtet die Vertragsparteien, einem Mehrstaater die Mglichkeit

    einzurumen, auf die Staatsangehrigkeit zu verzichten. Die Bewilligung dieses

    Verzichts darf nicht verwehrt werden, wenn der betreffende Mehrstaater seit ber

    zehn Jahren seinen ordentlichen Wohnsitz auerhalb des Hoheitsgebietes der

    Vertragspartei hat, auf deren Staatsangehrigkeit er verzichten mchte, und im

    Zeitpunkt der Antragstellung in jenem Vertragsstaat wohnt, dessen

    Staatsangehrigkeit er behalten will. Gem Art 3 EmStA ist die Erhebung von

    besonderen Gebhren oder Abgaben anlsslich des Verzichts auf die

    Staatsangehrigkeit verboten.

    Art 4 EmStA enthlt eine salvatorische Klausel zugunsten innerstaatlicher

    Rechtsvorschriften oder anderer vlkerrechtlicher bereinkommen, die geeignet sind,

    die Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit in strkerem Mae zu verringern.

    b) Militrdienstpflicht

    Wer die Staatsangehrigkeit von zwei oder mehreren Vertragsparteien besitzt, braucht

    seine Militrdienstpflicht nur gegenber einer dieser Vertragsparteien zu erfllen

    (Grundsatz der einmaligen Militrdienstpflicht) (Art 5 Abs 1 EmStA). Dabei ist

    der Betreffende grundstzlich zur Leistung des Militrdienstes gegenber derjenigen

    Vertragspartei verpflichtet, in deren Hoheitsgebiet er seinen ordentlichen Wohnsitz

    hat. Bis zum Alter von 19 Jahren steht es ihm jedoch frei, seine Militrdienstpflicht

    bei jeder anderen Vertragspartei zu erfllen, deren Staatsangehrigkeit er ebenfalls

    besitzt, indem er als Freiwilliger einen Militrdienst von mindestens der gleichen

    tatschlichen Gesamtdauer ableistet, wie sie fr den aktiven Militrdienst der

    erstgenannten Vertragspartei vorgesehen ist (Art 6 Abs 1 EmStA). Wer seinen

    ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, deren

    Staatsangehrigkeit er nicht besitzt, oder im Hoheitsgebiet eines Nichtvertragsstaates

    15 Vgl Erklrung Italiens abgegeben gem Art 8 des bereinkommens, BGBl 1975/471, idF BGBl

    1987/424.

  • 10

    hat, kann whlen, bei welcher Vertragspartei, deren Staatsangehrigkeit er besitzt, er

    seinen Militrdienst ableisten will (Art 6 Abs 2 EmStA).

    Hat ein Mehrstaater seine Militrdienstplicht nach Art 6 Abs 1 oder Abs 2 EmStA

    gegenber einer Vertragspartei im Einklang mit deren Rechtsvorschriften erfllt, so

    gilt die Militrdienstpflicht auch gegenber der oder den Vertragsparteien als erfllt,

    deren Staatsangehrigkeit der Mehrstaater ebenfalls besitzt (Art 6 Abs 3 EmStA).

    Diese Befreiungsregel ist unmittelbar anwendbar.16

    Abgerundet wird die Militrdienstpflichtregelung durch die Vorgabe, dass ihre

    Anwendung nicht die Staatsangehrigkeit der betroffenen Personen berhrt (Art 6

    Abs 6 EmStA). Diese Unberhrtheitsklausel bedeutet, dass ein Staatsangehriger

    eines Vertragsstaates, der freiwillig in den Militrdienst eines anderen

    Vertragsstaates, dessen Staatsangehrigkeit er ebenfalls besitzt, eintritt, nicht erstere

    Staatsangehrigkeit verlieren darf.17

    Das gegenstndliche Regelungsregime bezieht sich nach seinem Wortlaut zwar nur

    auf die Militrdienstpflicht und nimmt nicht Bezug auf eventuelle Ersatzdienste, wie

    etwa den Zivildienst nach sterreichischem Recht. Dennoch ist davon auszugehen,

    dass die Ableistung eines solchen Ersatzdienstes der Ableistung eines Militrdienstes

    gleichzuhalten ist, wenn damit die militrischen Verpflichtungen gegenber dem

    betroffenen Staat erfllt sind. Dies resultiert primr daraus, dass im authentischen

    englischen und franzsischen Text nur von militrischen Verpflichtungen und

    deren Erfllung die Rede ist, nicht aber von der Ableistung eines militrischen

    Dienstes (Militrdienstpflicht).18

    Vom gegenstndlichen Regelungsregime nicht erfasst sind hingegen jene

    Fallkonstellationen, in denen die Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der

    betreffende Mehrstaater seinen ordentlichen Wohnsitz hat, berhaupt keine

    16 So auch Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 169.

    17 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 168.

    18 So mit umfassender Begrndung Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 169.

  • 11

    Wehrpflicht vorsieht. Dies trifft beispielsweise auf Italien zu, das die

    Wehrdienstpflicht mit 1. Juli 2005 ausgesetzt hat.19

    Schlielich gilt das gegenstndliche Regelungsregime nur vorbehaltlich von

    Sonderabkommen zwischen den beteiligten Vertragsparteien (Art 5 Abs 2 und Art 6

    Abs 1 Satz 1 EmStA). Ein derartiges Sonderabkommen wre das Protokoll ber

    militrische Pflichten in gewissen Fllen doppelter Staatsangehrigkeit (1930).20

    Dieses bestimmt in seinem Art 1 Abs 1, dass Doppelstaater, wenn sie im Gebiet eines

    Heimatstaates ihren gewhnlichen Aufenthalt haben und mit diesem tatschlich am

    meisten verbunden sind, in allen anderen Heimatstaaten von allen militrischen

    Pflichten befreit sind. Diese unmittelbar anwendbare Bestimmung schliet die

    Wehrpflicht in einem Heimatstaat dann aus, wenn der betroffene Doppelstaater in

    einem anderen Heimatstaat seinen Wohnsitz und die faktisch engste Beziehung hat.

    Ob er dort seine Wehrpflicht erfllt hat, ist nicht von Relevanz. Andererseits ist ein

    Doppelstaater, der in keinem seiner Heimatstaaten diese Voraussetzungen erfllt,

    davon nicht erfasst und kann somit von jedem dieser Staaten zum Militrdienst

    herangezogen werden.21 Das gegenstndliche Sonderabkommen gilt allerdings nur fr

    sterreich; fr diesen Staat ist es am 26. Oktober 1958 in Kraft getreten. Italien ist

    hingegen nicht (mehr) Vertragspartei dieses Protokolls.22

    19 Gesetz vom 23. 8. 2004, Nr 226, GA vom 31. 8. 2004, Nr 204; aufgehoben durch Art 2268 Abs 1

    Legislativdekret vom 15. 3. 2010, Nr 66.

    20 BGBl 1958/214.

    21 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 165.

    22 Vgl RIS

    http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR11005

    336&ResultFunctionToken=e9278156-3314-468a-add7-

    78c5353a5496&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArt

    ikel=&VonParagraf=&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=

    &Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=04.01.2011&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=10

    0&Suchworte=Protokoll+Staatsangeh%c3%b6rigkeit (abgerufen am 4. 1. 2011).

  • 12

    c) Geltungsdauer und Kndigung des bereinkommens

    Das bereinkommen ber die Verminderung der Flle mehrfacher

    Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher

    Staatsangehrigkeit gilt auf unbestimmte Zeit (Art 12 Abs 1 EmStA).

    Jede Vertragspartei kann das bereinkommen jedoch durch eine an den

    Generalsekretr des Europarates gerichtete Notifikation kndigen (Art 12 Abs 2

    EmStA). Die Kndigung wird ein Jahr nach dem Eingang dieser Notifikation beim

    Generalsekretr wirksam (Art 12 Abs 3 EmStA).

    Die Kndigung muss nach einer Auslegungsvereinbarung vom 2. April 2007 nicht

    das gesamte bereinkommen zum Gegenstand haben, sondern kann auch auf Kapitel

    I EStA beschrnkt werden.

    Die Bundesrepublik Deutschland, die mit 18. Dezember 1969 Vertragspartei

    geworden war, hat das gegenstndliche bereinkommen am 20. Dezember 2001

    gekndigt. Diese Kndigung wurde mit 21. Dezember 2002 wirksam.23

    2. Europisches bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (1997) EStA

    Das Europische bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (EStA) soll mglichst

    alle Aspekte der Staatsangehrigkeit regeln und in einem einzigen Dokument

    zusammenfassen. Dem folgend werden darin alle wichtigen Aspekte der

    Staatsangehrigkeit angesprochen: Grundstze, Erwerb, Beibehaltung, Verlust,

    Wiedererwerb, Verfahrensrechte, mehrfache Staatsangehrigkeit, Staatsangehrigkeit

    im Zusammenhang mit Staatennachfolge, Wehrpflicht und Zusammenarbeit zwischen

    den Staaten.24 In der Frage der Mehrstaatigkeit basiert das bereinkommen in

    Anbetracht der unterschiedlichen Haltung der Staaten auf der Erkenntnis, dass es

    jedem Staat freisteht, zu entscheiden, welche Folgen er in seinem innerstaatlichen

    Recht an die Tatsache knpft, dass ein Staatsangehriger eine andere

    23 Vgl Von Mnch, Die deutsche Staatsangehrigkeit. Vergangenheit Gegenwart Zukunft (2007),

    164.

    24 Vgl EB RV 1089 BlgNR, 20. GP.

  • 13

    Staatsangehrigkeit erwirbt oder besitzt (Erwgr 7 EStA). Damit weicht es in

    diesem Punkt wesentlich vom Europischen bereinkommen ber die Verminderung

    der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen

    mehrfacher Staatsangehrigkeit ab. Diese neue Ausrichtung ist primr darauf

    zurckzufhren, dass der in den Jahrzehnten zuvor gefhrte Kampf gegen die

    Mehrfachstaatsangehrigkeit einerseits nicht mit Erfolg gefhrt werden konnte und

    andererseits nicht mehr zeitgem scheint.25 So hatte beispielsweise innerhalb der

    EU-Mitgliedstaaten ein Umdenkprozess eingesetzt, der dazu fhrte, dass inzwischen

    die Mehrheit dieser Mitgliedstaaten Mehrfachbrgerschaften zulsst.26

    Das gegenstndliche bereinkommen wurde sowohl von sterreich als auch von

    Italien am 6. November 1997 unterzeichnet. Bislang hat es allerdings nur sterreich

    ratifiziert; fr sterreich ist das bereinkommen am 1. Mrz 2000 in Kraft getreten.

    a) Grundstze

    Das gegenstndliche bereinkommen beinhaltet Grundstze und Vorschriften, die die

    Staatsangehrigkeit natrlicher Personen betreffen, und Vorschriften zur Regelung

    der Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit, nach denen sich das

    innerstaatliche Recht richten soll (Art 1 EStA).

    Fr die Zwecke dieses bereinkommens bedeutet Staatsangehrigkeit das

    rechtliche Band zwischen einer Person und einem Staat und weist nicht auf die

    Volkszugehrigkeit einer Person hin (Art 2 lit a EStA). Unter mehrfacher

    Staatsangehrigkeit ist der gleichzeitige Besitz zweier oder mehrerer

    Staatsangehrigkeiten durch eine Person zu verstehen (Art 2 lit b EStA).

    Einem Grundsatz des Vlkerrechts folgend sieht Art 3 Abs 1 EStA vor, dass jeder

    Staat nach eigenem Recht bestimmt, wer seine Staatsangehrigen sind. Dieses

    Recht ist von den anderen Staaten anzuerkennen, soweit es mit anwendbaren

    25 Vgl Valchars, Defizitre Demokratie. Staatsbrgerschaft und Wahlrecht im Einwanderungsland

    sterreich (2006), 34.

    26 Vgl Wiederin, Staatsbrgerschaftsrecht in Europa: Elemente und Entwicklungen, ZR 2009, 421

    (429).

  • 14

    internationalen bereinkommen, vlkerrechtlichem Gewohnheitsrecht und den in

    Bezug auf die Staatsangehrigkeit allgemein anerkannten Rechtsgrundstzen in

    Einklang steht (Art 3 Abs 2 EStA).

    b) Mehrfache Staatsangehrigkeit

    Kapitel V EStA beinhaltet mehrere Bestimmungen zur mehrfachen

    Staatsangehrigkeit.

    Art 14 EStA regelt Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit kraft Gesetzes.

    Demnach gestattet ein Vertragsstaat a) Kindern, die bei der Geburt automatisch

    unterschiedliche Staatsangehrigkeiten erworben haben, die Beibehaltung dieser

    Staatsangehrigkeiten sowie b) seinen Staatsangehrigen den Besitz einer weiteren

    Staatsangehrigkeit, wenn die weitere Staatsangehrigkeit durch Eheschlieung

    automatisch erworben wird. Die Beibehaltung der Staatsangehrigkeiten in diesen

    beiden Fllen (Erwerb ex lege) steht dem Verlust der Staatsangehrigkeit bei

    willentlichem Austritt aus dem Treueband (Art 7 EStA), zB bei freiwilligem Erwerb

    einer anderen Staatsangehrigkeit, nicht entgegen.

    Art 15 EStA beinhaltet andere mgliche Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit.

    Er sieht vor, dass die Bestimmungen dieses bereinkommens nicht das Recht eines

    Vertragsstaates beschrnken, in seinem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, ob a)

    seine Staatsangehrigen, die die Staatsangehrigkeit eines anderen Staates erwerben

    oder besitzen, seine Staatsangehrigkeit behalten oder verlieren, sowie b) der Erwerb

    oder die Beibehaltung seiner Staatsangehrigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust

    einer anderen Staatsangehrigkeit abhngt.

    Dem folgend schrnkt das gegenstndliche bereinkommen wertneutral das

    Recht der Vertragsstaaten, Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit zuzulassen, nicht ein.

    Diese Mglichkeit kann allerdings durch anders lautende vlkerrechtliche

    Verpflichtungen beschrnkt sein, wie sie zB im Europischen bereinkommen ber

  • 15

    die Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die

    Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit normiert sind.27

    Art 16 EStA sieht unter dem Titel Beibehaltung der bisherigen

    Staatsangehrigkeit vor, dass ein Vertragsstaat den Erwerb oder die Beibehaltung

    seiner Staatsangehrigkeit nicht von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen

    Staatsangehrigkeit abhngig machen darf, wenn die Aufgabe oder der Verlust

    unmglich oder unzumutbar ist.

    Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass eine Person nicht am Erwerb

    oder Besitz einer Staatsangehrigkeit gehindert wird, weil es unmglich oder

    schwierig ist, eine andere Staatsangehrigkeit zu verlieren. Ob unzumutbare faktische

    oder rechtliche Anforderungen bestehen, ist in jedem Einzelfall von den

    innerstaatlichen Behrden des Vertragsstaates zu beurteilen, dessen

    Staatsangehrigkeit die Person erwerben mchte.28

    Art 17 EStA schlielich regelt Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit

    mehrfacher Staatsangehrigkeit. Als Grundregel gilt, dass die Staatsangehrigen eines

    Vertragsstaates, die eine weitere Staatsangehrigkeit besitzen, in dem Hoheitsgebiet

    des Vertragsstaates, in dem sie ansssig sind, dieselben Rechte und Pflichten wie

    andere Staatsangehrige dieses Vertragsstaates haben (Art 17 Abs 1 EStA).

    Die Regelungen des bereinkommens ber mehrfache Staatsangehrigkeit lassen

    unter anderem die vlkerrechtlichen Vorschriften ber den diplomatischen oder

    konsularischen Schutz durch einen Vertragsstaat fr einen seiner Staatsangehrigen,

    der gleichzeitig eine weitere Staatsangehrigkeit besitzt, unberhrt (Art 17 Abs 2 lit a

    EStA).

    c) Militrdienstpflicht

    Kapitel VII EStA regelt die Erfllung der Militrdienstpflicht in Fllen

    mehrfacher Staatsangehrigkeit. Dabei wurden die einschlgigen Bestimmungen des

    27 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.a).

    28 Vgl EB RV 1089 BlgNR, 20 GP.

  • 16

    Europischen bereinkommens ber die Verminderung der Flle mehrfacher

    Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher

    Staatsangehrigkeit29 im Wesentlichen bernommen (Art 21 EStA). Gleichzeitig

    wurden sie um die Bestimmungen ber den Zivilersatzdienst und die Ausnahme von

    der Militrdienstpflicht ergnzt (Art 22 EStA). Letztere Bestimmung sieht vor, dass

    bei Personen, die von der Militrdienstpflicht ausgenommen wurden oder die

    gegenber einem Vertragsstaat ersatzweise Zivildienst geleistet haben, davon

    ausgegangen wird, dass sie ihre Militrdienstpflicht auch gegenber dem anderen

    Vertragsstaat erfllt haben, dessen Staatsangehrigkeit sie ebenfalls besitzen.

    Auerdem ist vorgesehen, dass bei Personen, die ihren gewhnlichen Aufenthalt in

    einem Vertragsstaat haben, dessen Staatsangehrigkeit sie besitzen, und der keine

    Militrdienstpflicht vorsieht, davon ausgegangen wird, dass sie diese auch

    gegenber dem anderen Vertragsstaat erfllt haben, dessen Staatsangehrigkeit sie

    ebenfalls besitzen und der eine Militrdienstpflicht auferlegt. Diese Befreiungsregel

    bei Fehlen einer Militrdienstpflicht im Vertragsstaat des gewhnlichen Aufenthalts

    gilt gegenber einem anderen Vertragsstaat, dessen Staatsangehrigkeit die

    betreffende Person ebenfalls besitzt, jedoch nur dann, wenn der gewhnliche

    Aufenthalt bis zu einem bestimmten Alter aufrechterhalten wurde, das jeder

    betroffene Vertragsstaat bei der Unterzeichnung oder der Ratifikation notifiziert.

    sterreich hat dieses Alter in einer Erklrung zu Art 22 lit b EStA mit der

    Vollendung des 35. Lebensjahres festgelegt.30

    d) Verhltnis zum bereinkommen von 1963

    Gem Art 26 Abs 2 lit a EStA hat dieses bereinkommen keinen Einfluss auf die

    Anwendung des bereinkommens aus dem Jahre 1963 ber die Verminderung der

    Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen

    mehrfacher Staatsangehrigkeit und seiner Protokolle. Daraus resultiert zunchst,

    dass das sptere bereinkommen das frhere bereinkommen auch zwischen

    29 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.b).

    30 BGBl III 2000/39.

  • 17

    denselben Vertragsparteien nicht ersetzt. Des Weiteren folgt daraus, dass im Falle

    einer Kollision zwischen beiden bereinkommen nicht das sptere bereinkommen

    dem frheren bereinkommen derogiert, sondern das frhere bereinkommen

    unberhrt bleibt und weiter anzuwenden ist.

    Andere verbindliche vlkerrechtliche Instrumente sind im Verhltnis zwischen den

    Vertragsstaaten dieser Instrumente hingegen nur noch insoweit anwendbar, als sie mit

    diesem bereinkommen vereinbar sind (Art 26 Abs 2 lit b EStA).

    Art 26 Abs 1 EStA beinhaltet als allgemeinen Grundsatz ein Gnstigkeitsprinzip.

    Demnach stehen die Bestimmungen dieses bereinkommens Bestimmungen des

    innerstaatlichen Rechts und verbindlichen Vlkerrechtsinstrumenten nicht entgegen,

    die bereits in Kraft sind oder mglicherweise in Kraft treten und den Personen im

    Bereich der Staatsangehrigkeit gnstigere Rechte gewhren oder gewhren wrden.

    3. Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) StV St-Germain

    Mit dem Staatsvertrag von Saint-Germain (1919),31 unterzeichnet zwischen den

    alliierten und assoziierten Mchten einerseits und Deutsch-sterreich andererseits am

    10. September 1919, wurde Sdtirol von sterreich abgetrennt und Italien

    zugesprochen (Art 27 StV St-Germain).32 Mit der Grenzverschiebung und dem damit

    verbundenen Gebietsbergang wurde gleichzeitig auch die Staatsbrgerschaft der

    davon betroffenen Personen geregelt. Art 70 StV St-Germain sieht diesbezglich vor,

    dass alle Personen, die das Heimatrecht (pertinenza) in einem Gebiete besitzen, das

    frher zu den Gebieten der ehemaligen sterreichisch-ungarischen Monarchie

    gehrte, ohne weiteres und unter Ausschlu der sterreichischen

    Staatsangehrigkeit die Staatsangehrigkeit desjenigen Staates, der auf dem

    genannten Gebiete die Souvernitt ausbt, (erwerben) (automatischer Erwerb der

    neuen Staatsangehrigkeit). Abweichend von dieser Regel konnten Personen ber

    31 StGBl 1920/303.

    32 Vgl zB Hummer, Der internationale Status sterreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer

    (Hrsg), sterreichisches Handbuch des Vlkerrechts4 (2004), Rz 3033.

  • 18

    18 Jahren fr die Zugehrigkeit zu dem Staat optieren, in dem sie heimatberechtigt

    waren, bevor sie das Heimatrecht in dem bertragenen Gebiet erworben hatten.

    Dieses Optionsrecht bestand fr den Zeitraum eines Jahres ab Inkrafttreten des

    Staatsvertrages und war mit der Verpflichtung verbunden, in den folgenden zwlf

    Monaten den Wohnsitz in den Staat zu verlegen, fr den optiert wurde (Art 78 StV

    St-Germain). Zustzlich wurde sterreich verpflichtet, die neue Staatsangehrigkeit

    anzuerkennen und die neuen Staatsangehrigen der alliierten und assoziierten

    Mchte von jeder Pflicht gegenber ihrem ursprnglichen Heimatstaate zu

    entbinden (Art 230 StV St-Germain).

    Die gegenstndlichen Bestimmungen sind sowohl nach ihrem Wortlaut als auch in

    ihrem Kontext auf den Gebietsbergang von der sterreichisch-ungarischen

    Monarchie auf alliierte und assoziierte Mchte, vorliegend Italien, bezogen. Dem

    folgend wurden sie mit ihrer Erfllung inhaltlich obsolet.

    Fr die Zeit danach normiert Art 70 StV St-Germain kein Verbot der

    Doppelstaatsbrgerschaft im Verhltnis zwischen sterreich und Italien. Ebenso

    kann aus Art 230 StV St-Germain nicht abgeleitet werden, dass allfllige

    Doppelstaatsbrger Italiens und sterreichs in sterreich von jeder Pflicht zu

    entbinden sind.

    4. Pariser Vertrag (1946) PV

    Der Pariser Vertrag vom 5. September 1946 (GruberDe Gasperi-Abkommen,

    PV)33 gewhrt den deutschsprachigen Bewohnern der Provinz Bozen und der

    benachbarten zweisprachigen Gemeinden der Provinz Trient eine

    Territorialautonomie. Auf die Staatsbrgerschaft wird nur in zwei Bestimmungen

    Bezug genommen. Erstens bestimmt Pkt 1 Abs 2 PV, dass den Staatsbrgern

    deutscher Sprache besondere Manahmen zu gewhren sind, nmlich (a) Volks- und

    Mittelschulunterricht in ihrer Muttersprache, (b) Gleichberechtigung der deutschen

    und der italienischen Sprache in ffentlichen mtern und amtlichen Urkunden wie

    33 Abgedruckt ua in Autonome Provinz Bozen-Sdtirol (Hrsg), Das neue Autonomiestatut (2003), 9.

  • 19

    auch in der zweisprachigen Ortsnamengebung, (c) Recht auf Wiedererwerb der

    deutschen Familiennamen und (d) Gleichberechtigung beim Zugang zu ffentlichen

    mtern. Zweitens sieht Pkt 3 Ziff a PV vor, dass Italien im Geiste der Billigkeit und

    Weitherzigkeit die Frage der Staatsbrgerschaftsoptionen innerhalb eines Jahres ab

    Unterzeichnung des Vertrages neu zu regeln hat.

    Whrend in Pkt 1 Ziff 2 PV der Verweis auf die Staatsbrger nur dazu dient, die

    Begnstigten zu definieren, kann aus der in Pkt 3 Ziff a PV enthaltenen Verpflichtung

    Italiens, die Frage der Staatsbrgerschaftsoption im Geiste der Billigkeit und

    Weitherzigkeit zu regeln, implizit abgeleitet werden, dass Italien allen in Sdtirol

    lebenden deutschsprachigen Bewohnern den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft

    ermglichen soll. Eine eindeutige Verpflichtung resultiert daraus aber nicht. Dem

    folgend knnte sich ein Sdtiroler, dem Italien wegen des Erwerbs einer

    auslndischen Staatsangehrigkeit die italienische Staatsbrgerschaft entzieht, sich

    nicht unter Berufung auf den Pariser Vertrag mit Erfolg dagegen wehren.

    Andererseits verbietet der Pariser Vertrag aber auch nicht, dass die in Sdtirol

    lebenden italienischen Staatsbrger deutscher und ladinischer Muttersprache die

    Staatsbrgerschaft eines anderen Staates, konkret die der Schutzmacht sterreich,

    erwerben.

    III. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen

    Das Staatsbrgerschaftsrecht fllt beim derzeitigem Stand des Unionsrechts34 in die

    (ausschlieliche) Zustndigkeit der Mitglie

    dstaaten.35 Dies gilt auch dann, wenn diese die Staatsangehrigkeit fr die Zwecke

    des Unionsrechts festlegen. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts sind ihnen

    jedoch unionsrechtliche Grenzen gesetzt.

    34 Zum Unionsrecht nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon vgl zB Obwexer, Die

    Rechtsstellung Einzelner in der Union nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, JZ 2010, 101

    (103).

  • 20

    1. Staatsbrgerschaftsrecht als Zustndigkeit der Mitgliedstaaten

    Bereits vor dem Inkrafttreten des EU-Vertrages (1992) hatten einzelne

    Mitgliedstaaten wiederholt fr sich die Befugnis in Anspruch genommen, den Kreis

    der eigenen Staatsangehrigen auch fr die Zwecke des (damaligen)

    Gemeinschaftsrechts zu definieren.36

    So hat etwa die Bundesrepublik Deutschland bei der Unterzeichnung der Rmer

    Vertrge am 25. Mrz 1957 eine eigene Erklrung37 abgegeben, wonach als

    Staatsangehrige der Bundesrepublik Deutschland alle Deutschen im Sinne des

    Grundgesetzes gelten. Damit wurde auf Art 116 GG Bezug genommen, der neben

    den deutschen Staatsangehrigen unter bestimmten Voraussetzungen auch die

    Flchtlinge und Vertriebenen deutscher Volkszugehrigkeit aber fremder

    Staatsangehrigkeit erfasst.38

    Im Gegensatz dazu hat das Vereinigte Knigreich den Kreis der britischen

    Staatsangehrigen fr die Zwecke des Gemeinschaftsrechts anders definiert als fr

    das innerstaatliche Recht und den vlkerrechtlichen Verkehr. Entsprechend der der

    Schlussakte des Beitrittsvertrages vom 12. Jnner 1972 beigefgten39 und 1982

    erneuerten Erklrung40 gelten als Staatsangehrige des Vereinigten Knigreiches

    Grobritannien und Nordirland (a) britische Brger, (b) Personen, die britische

    Untertanen sind und im Vereinigten Knigreich das Aufenthaltsrecht besitzen, sowie

    35 Vgl zuletzt EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht,

    Rdnr 39.

    36 Vgl Schnberger, Unionsbrger. Europas fderales Brgerrecht in vergleichender Sicht (2005),

    276, mwN.

    37 dBGBl 1957 II, 764.

    38 Vgl zB Schulz, Freizgigkeit fr Unionsbrger (1996), 72.

    39 ABl 1972 L 73, 196.

    40 ABl 1983 L 23, 1. Diese Erklrung trat am 1. 1. 1983 an die Stelle der Erklrung von 1972.

  • 21

    (c) Brger der British Dependent Territories, die ihre Staatsangehrigkeit aufgrund

    einer Verbindung mit Gibraltar erwerben.41

    Diese unwidersprochen gebliebene Praxis wurde in der Erklrung zur

    Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaats in der Schlussakte des EU-Vertrages42

    ausdrcklich anerkannt.43 Demnach wird bei Bezugnahmen des Vertrags zur

    Grndung der Europischen Gemeinschaft auf die Staatsangehrigen der

    Mitgliedstaaten die Frage, welchem Mitgliedstaat eine Person angehrt, allein durch

    Bezug auf das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats geregelt. Die

    Mitgliedstaaten knnen zur Unterrichtung in einer Erklrung gegenber dem Vorsitz

    angeben, wer fr die Zwecke der Gemeinschaft als ihr Staatsangehriger anzusehen

    ist, und ihre Erklrung erforderlichenfalls ndern.44 Diese von der

    Regierungskonferenz ber die Politische Union akkordierte und von beiden

    Regierungskonferenzen angenommene Erklrung bildet zwar keinen

    (integrierenden) Bestandteil der die EU begrndenden Vertrge, ist aber gem Art 31

    Abs 2 lit a des Wiener bereinkommens ber das Recht der Vertrge vom 23. Mai

    1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention, WVK)45 bei der Auslegung der

    einschlgigen Vertragsbestimmungen, insbesondere zur Abgrenzung ihres

    persnlichen Anwendungsbereiches, als Auslegungshilfe zu bercksichtigen.46 Nach

    stndiger Rechtsprechung des EuGH sind ein- oder mehrseitige Erklrungen als eine

    41 Vgl Sauerwald, Die Unionsbrgerschaft und das Staatsangehrigkeitsrecht in den Mitgliedstaaten

    der Europischen Union (1996), 87.

    42 ABl 1992 C 191, 98.

    43 Vgl Antwort des Rates vom 7. 4. 1998 auf die Schriftliche Anfrage E-190/98 von Christiana

    Muscardini (NI), ABl 1998 C 196, 120; Antwort der Kommission vom 23. 3. 1998 auf die

    Schriftliche Anfrage E-198/98 von Kirsten Jensen (PSE), ABl 1998 C 223, 136.

    44 Ende 1997 hatte noch kein Mitgliedstaat eine derartige Erklrung gegenber dem Vorsitz

    abgegeben. Vgl Antwort des Rates vom 19. 1. 1998 auf die Schriftliche Anfrage E-3588/97 von

    Brendan Donnelly (PPE), ABl 1998 C 158, 159.

    45 BGBl 1980/40.

    46 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 40.

  • 22

    sich auf den Vertrag beziehende Urkunde zu dessen Auslegung (...) heranzuziehen.47

    Demnach ist insbesondere der persnliche Geltungsbereich der unionsrechtlichen

    Vorschriften fr das Vereinigte Knigreich entsprechend der Erklrung von 1972 bzw

    der Erklrung von 1982 zu bestimmen.48 Ein- oder mehrseitige Erklrungen drfen

    bei der Auslegung einer Bestimmung allerdings nicht bercksichtigt werden, wenn

    ihr Inhalt (...) im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag gefunden hat und

    ihm somit keine rechtliche Bedeutung zukommt.49

    Die in der Erklrung zur Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaats vorgegebene

    Auslegung der auf die Staatsangehrigkeit bezogenen Bestimmungen des EG-

    Vertrages wurde im Rahmen der Tagung des Europischen Rates vom 11./12.

    Dezember 1992 in Edinburgh50 unter ausdrcklicher Bezugnahme auf die

    Unionsbrgerschaft besttigt. Gem Abschnitt A Satz 3 des Beschlusses der im

    Europischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs zu bestimmten von

    Dnemark aufgeworfenen Problemen betreffend den Vertrag ber die

    Europische Union51 wird die Frage, ob eine Person die Staatsangehrigkeit eines

    Mitgliedstaates besitzt, einzig und allein auf der Grundlage des innerstaatlichen

    Rechts des betreffenden Mitgliedstaats geregelt.52 Dabei handelt es sich nicht um

    eine Sonderregelung fr Dnemark, sondern lediglich um eine (zustzliche)

    Klarstellung der bestehenden Rechtslage.53

    47 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 24.

    48 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 23 f.

    49 EuGH, Rs C-233/97, KappAhl, Slg 1998, I-8069, Rdnr 23.

    50 Europischer Rat von Edinburgh vom 11./12. 12. 1992, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage

    1, in Rat der Europischen Gemeinschaften (Hrsg), Europischer Rat von Edinburgh (1992), 49.

    51 ABl 1992 C 348, 1.

    52 Vgl Schuster, Der Sonderstatus Dnemarks im Vertrag ber die Europische Union, EuZW 1993,

    177.

    53 Vgl Hilf in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europischen Union. Kommentar (Loseblattausgabe), Art

    17 EGV Rz 42.

  • 23

    2. Unionsrechtliche Grenzen fr den Erwerb und den Verlust der

    Staatsangehrigkeit

    Die Zustndigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung ihres Staatsbrgerschaftsrechts

    garantiert diesen jedoch nicht vllige Ermessensfreiheit. Nach stndiger

    Rechtsprechung des EuGH sind die Mitgliedstaaten nmlich auch in den Bereichen

    ihrer (ausschlielichen) Zustndigkeit verpflichtet, das Unionsrecht zu beachten.54

    So drfen sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts keine Rechtsvorschriften

    erlassen, die zu einer Diskriminierung von Personen fhren, denen das Unionsrecht

    einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, oder die die vom Unionsrecht

    garantierten Grundfreiheiten beschrnken.55

    Diese Rechtsprechung wurde vom EuGH Anfang Juli 1992 auch fr den Bereich des

    Staatsangehrigkeitsrechts besttigt. In seinem Urteil im Fall Micheletti56 fhrte der

    Gerichtshof aus, dass die Festlegung der Voraussetzungen fr den Erwerb und den

    Verlust der Staatsangehrigkeit nach dem internationalen Recht der Zustndigkeit der

    einzelnen Mitgliedstaaten (unterliegt). Gleichzeitig fgte er in Weiterentwicklung

    seiner bisherigen Rechtsprechung57 einschrnkend hinzu, da von dieser

    Zustndigkeit unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Gebrauch zu machen (ist).58

    54 Vgl zum Staatsangehrigkeitsrecht GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08,

    Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9. 2009, noch nicht in der Slg verffentlicht (Rdnr 20 u 28).

    55 Vgl zB EuGH, Rs 186/87, Cowan, Slg 1989, 195, Rdnr 19; verb Rs C-6/90 u C-9/90, Francovich

    ua, Slg 1991, I-5357, Rdnr 42; Rs C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg 1996, I-4661, Rdnr

    12; Rs C-58/98, Corsten, Slg 2000, I-7919, Rdnr 31; Rs C-108/96, Mac Quen ua, Slg 2001, I-837,

    Rdnr 24; Rs C-294/00, Grbner, Slg 2002, I-6515, Rdnr 26.

    56 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239.

    57 Vgl Greenwood, Nationality and Free Movement, 188.

    58 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 10. Vgl de Groot, Auf dem Weg zu einer

    europischen Staatsangehrigkeit, in Coen/Hlscheidt/Pieper (Hrsg), FS Bleckmann (1993), 87

    (100); Sauerwald, Unionsbrgerschaft und Staatsangehrigkeitsrecht, 97; Schulz, Freizgigkeit und

    Unionsbrgerschaft, 72; Zimmermann, Europisches Gemeinschaftsrecht und

    Staatsangehrigkeitsrecht der Mitgliedstaaten unter besonderer Bercksichtigung des Problems

    mehrfacher Staatsangehrigkeit, EuR 1995, 54 (59).

  • 24

    Diese Rechtsprechung wurde in der Folge mehrfach besttigt59 und ab dem 1.

    Dezember 2009 im Unionsrecht weiter gefhrt.60 Demzufolge wre eine nationale

    Regelung, wonach ein in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafter Unionsbrger die

    Staatsangehrigkeit seines Heimatstaates nur deshalb verliert, weil er nicht in seinem

    Heimatstaat wohnt, unionsrechtlich unzulssig. Unionsrechtswidrig wre auch eine

    Regelung, die den in einem anderen Mitgliedstaat geborenen Kindern die

    Staatsangehrigkeit ihrer Eltern nur aus diesem Grund vorenthlt. In beiden Fllen

    wrden nmlich abhngig vom Sachverhalt des Ausgangsverfahrens entweder die

    vom Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten beeintrchtigt61 oder das Recht auf

    Freizgigkeit in unzulssiger Weise beschrnkt.62

    Weiters stellte der Gerichtshof fest, dass es nicht Sache der Rechtsvorschriften eines

    Mitgliedstaates ist, die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehrigkeit eines

    anderen Mitgliedstaats dadurch zu beschrnken, da eine zustzliche Voraussetzung

    fr die Anerkennung dieser Staatsangehrigkeit im Hinblick auf die Ausbung der im

    Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten verlangt wird.63 Demzufolge drfen die

    Mitgliedstaaten dann, wenn der Staatsangehrige eines Mitgliedstaates gleichzeitig

    die Staatsangehrigkeit eines Drittstaates besitzt, die Anerkennung der Eigenschaft

    als Unionsbrger nicht von einer weiteren Voraussetzung wie dem gewhnlichen

    Aufenthalt des Betroffenen im Hoheitsgebiet des ersten Staates abhngig machen.64

    Mit dieser Auslegung des Art 52 E(W)GV (spter Art 43 EGV, nunmehr Art 49

    AEUV), die analog fr alle Bestimmungen des Unionsrechts gilt, die auf die

    59 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 19; Rs C-200/02, Zhu und Chen, Slg 2004, I-

    9925, Rdnr 37.

    60 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 45.

    61 Vgl Schulz, Freizgigkeit und Unionsbrgerschaft, 74.

    62 Vgl Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit. Das Recht der Unionsbrger, sich frei zu bewegen und

    aufzuhalten, als fnfte Grundfreiheit (2009), 99.

    63 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 10.

    64 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 11.

  • 25

    Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates verweisen,65 hat der Gerichtshof

    klargestellt, dass der vom Internationalen Gerichtshof im Urteil Nottebohm66)

    judizierte vlkerrechtliche Grundsatz der effektiven Staatsangehrigkeit67 im

    Unionsrecht keine Anwendung findet. Fr die Ausbung der den Staatsangehrigen

    der Mitgliedstaaten unionsrechtlich zustehenden Rechte ist demnach bei Vorliegen

    der sonstigen Voraussetzungen nur erforderlich, dass die betreffende Person zu dem

    Zeitpunkt, zu dem sie sich auf die Bestimmungen des Unionsrechts beruft, die

    Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates besitzt.68 Der zu diesem Zeitpunkt

    bestehende Wohnsitz ist irrelevant.69 Fr den Nachweis der Staatsangehrigkeit eines

    Mitgliedstaates gengt die Vorlage eines gltigen Personalausweises oder

    Reisepasses; in Ausnahmefllen knnen auch andere Dokumente als Beweismittel

    vorgelegt werden.70 Bei Doppelstaatsbrgern kommt es folglich nicht darauf an, dass

    die Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates aufgrund einer nheren tatschlichen

    Beziehung als effektive Staatsangehrigkeit im Sinne des Nottebohm-Urteils des

    Internationalen Gerichtshofes der Staatsangehrigkeit eines Drittstaates vorgeht. Fr

    die Zwecke des Unionrechts ist dieser Vorrang nicht nur nicht erforderlich, sondern

    sogar unzulssig, da fr die Inanspruchnahme des Unionsrechts keine zustzlichen

    Anknpfungskriterien wie Wohnort oder Aufenthalt herangezogen werden drfen.71

    Aus alledem folgt, dass jeder Mitgliedstaat die Verleihung der Staatsangehrigkeit

    durch einen anderen Mitgliedstaat anerkennen muss.72 Ferner sind im

    65 EuGH, Rs C-122/96, Saldanha und MTS, Slg 1997, I-5325, Rdnr 15; Rs C-148/02, Garcia Avello,

    Slg 2003, I-11613, Rdnr 28 f.

    66 IGH, Liechtenstein/Guatemala, Urteil vom 6. 4. 1955, ICJ Reports 1955, 15.

    67 Vgl Pechstein/Koenig, Die Europische Union3 (2000), 171.

    68 Vgl EuGH, Rs 136/78, Auer, Slg 1979, 437, Rdnr 28.

    69 EuGH, Rs C-300/04, Eman und Sevinger, Slg 2006, I-8055, Rdnr 27.

    70 EuGH, Rs C-376/89, Giagounidis, Slg 1991, I-1069, Rdnr 14 f; Rs C-459/99, MRAX, Slg 2002, I-

    6591, Rdnr 58 u 61.

    71 GA Giuseppe Tesauro, Schlussantrge in der Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4253, Rdnr 5.

    72 Vgl Hilf in Grabitz/Hilf, Kommentar, Art 17 EGV Rz 47.

  • 26

    Anwendungsbereich des Unionsrechts Staatsbrger, die die Staatsangehrigkeit eines

    EU-Mitgliedstaates und eines Drittstaates besitzen (Doppelstaatsbrger), stets als

    Unionsbrger zu behandeln. Dasselbe gilt fr Staatsbrger, die die

    Staatsangehrigkeit zweier EU-Mitgliedstaaten besitzen (Doppelunionsbrger), von

    denen eine die Staatsangehrigkeit des Aufenthaltsstaates ist.73 Nationale

    Rechtsvorschriften, die dem entgegenstehen, sind nicht anwendbar.74

    Noch nicht eindeutig geklrt ist hingegen, wo genau die Grenzen verlaufen, die das

    Unionsrecht den Mitgliedstaaten bei der Regelung von Erwerb und Verlust ihrer

    Staatsangehrigkeit und damit auch der Unionsbrgerschaft zieht. Im Jahre 2008

    legte das BVerwG in Deutschland im Fall Rottmann dem EuGH diesbezglich die

    Frage vor, ob Gemeinschaftsrecht dem Verlust der Unionsbrgerschaft und der mit

    dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten entgegensteht, wenn eine nach

    nationalem (deutschem) Recht an sich rechtmige Rcknahme einer durch arglistige

    Tuschung erschlichenen Einbrgerung in den Staatsverband eines Mitgliedstaates

    (Deutschland) dazu fhrt, dass im Zusammenwirken mit dem nationalen

    Staatsangehrigkeitsrecht eines anderen Mitgliedstaates (sterreich) infolge des

    Nichtwiederauflebens der ursprnglichen Staatsangehrigkeit (sterreich)

    Staatenlosigkeit eintritt.75

    In seinem Vorschlag zur Beantwortung dieser Frage fhrte der Generalanwalt unter

    anderem aus, dass die Mitgliedstaaten die einschlgigen Grundstze des allgemeinen

    Vlkerrechts und des Vlkergewohnheitsrechts als Bestandteil des Unionsrechts

    sowie das primre Unionsrecht einschlielich der allgemeinen Rechtsgrundstze zu

    beachten haben. Zu letzteren Vorgaben zhlte er den Grundsatz der Unionstreue in

    Art 4 Abs 3 EUV, der etwa dann berhrt sein knnte, wenn ein Mitgliedstaat auf

    massive Weise die Einbrgerung von Drittstaatsangehrigen betriebe, ohne zuvor die

    73 EuGH, Rs C-148/02, Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rdnr 28; Rs 292/86, Gullung, Slg 1988,

    11, Rdnr 12; Rs C-419/92, Scholz, Slg 1994, I-505, Rdnr 8 f.

    74 Vgl Zimmermann, Gemeinschaftsrecht und Staatsangehrigkeitsrecht, 65.

    75 Rs C-135/08, Rottmann. Vgl Obwexer, Diskriminierungsverbot und Unionsbrgerschaft, in

    Eilmansberger/Herzig (Hrsg), Jahrbuch Europarecht 2009 (2009), 47 (77).

  • 27

    Kommission oder die anderen Mitgliedstaaten zu konsultieren.76 Ebenso wre eine

    staatliche Regelung, die den Verlust der Staatsangehrigkeit fr den Fall der

    Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat vorshe, zweifellos ein

    Versto gegen das jedem Unionsbrger nach Art 21 AEUV zustehende

    Freizgigkeitsrecht.77 Daraus leitete der Generalanwalt ab, dass das Unionsrecht der

    Rechtsfolge des Verlusts der Unionsbrgerschaft (und der mit dieser verbundenen

    Rechte und Grundfreiheiten) nicht entgegensteht, der sich daraus ergibt, dass die

    Rcknahme der Einbrgerung in den Staatsverband eines Mitgliedstaates dazu fhrt,

    dass im Zusammenwirken mit dem nationalen Staatsangehrigkeitsrecht eines

    anderen Mitgliedstaates infolge des Nichtwiederauflebens der ursprnglichen

    Staatsangehrigkeit Staatenlosigkeit eintritt, wenn die Rcknahme der Einbrgerung

    weder durch die Ausbung der aus dem Vertrag flieenden Rechte und Freiheiten

    begrndet noch auf einen vom Gemeinschaftsrecht verbotenen Grund gesttzt ist.78

    Begrndet wurde dieser Antwortvorschlag im Wesentlichen damit, dass Erwerb und

    Verlust der Staatsangehrigkeit und damit auch der Unionsbrgerschaft zwar nicht als

    solche vom Unionsrecht geregelt werden, doch die Voraussetzungen dafr mit den

    Vorgaben des Unionsrechts vereinbar sein und die Rechte der Unionsbrger beachtet

    werden mssen.79 Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Entzug der

    Staatsangehrigkeit fr den Fall vollkommen unzulssig wre, dass er auch den

    Verlust der Unionsbrgerschaft bedeutete. Diese Auslegung wrde nmlich den

    Mitgliedstaaten die Zustndigkeit fr die Regelung des eigenen

    Staatsangehrigkeitsrechts groteils entziehen und trfe deren Autonomie in diesem

    76 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 30.

    77 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 32.

    78 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 35.

    79 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 23.

  • 28

    Bereich unter Missachtung von Art 20 Abs 1 AEUV im Kern.80 Dies zeige sich

    insbesondere daran, dass die Beibehaltung der Unionsbrgerschaft es erlauben wrde,

    die Beibehaltung der Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates zu fordern. Ein

    solches Ergebnis wrde nicht nur Art 20 Abs 2 AEUV widersprechen, sondern auch

    der Verpflichtung der Union aus Art 4 Abs 2 EUV zuwiderlaufen, die nationale

    Identitt ihrer Mitgliedstaaten zu achten,81 die offenkundig zu einem wesentlichen

    Teil durch die Zusammensetzung des nationalen Gemeinwesens bestimmt wird.82

    Der EuGH stellte in seinem Urteil klar, dass die Entscheidung, eine Einbrgerung

    wegen betrgerischer Handlungen zurckzunehmen, einem im Allgemeininteresse

    liegenden Grund entspricht und mit dem geltenden Vlkerrecht Art 8 Abs 2

    bereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (1961)83 und Art 7 Abs 2 und

    Abs 3 EStA im Einklang steht. Dies gilt grundstzlich auch dann, wenn eine

    solche Einbrgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehrigkeit

    des Mitgliedstaates der Einbrgerung auch die Unionsbrgerschaft verliert. In jedem

    Einzelfall muss allerdings geprft werden, ob die Rcknahmeentscheidung

    hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen

    den Grundsatz der Verhltnismigkeit wahrt.84 Daher sind angesichts der

    Bedeutung, die das Unionsrecht dem Unionsbrgerstatus beimisst, die mglichen

    Folgen zu bercksichtigen, die die Rcknahmeentscheidung fr den Betroffenen und

    gegebenenfalls fr seine Familienangehrigen in Bezug auf den Verlust der Rechte,

    die jeder Unionsbrger geniet, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prfen, ob

    dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhltnis zur Schwere des vom Betroffenen

    begangenen Verstoes, zur Zeit, die zwischen der Einbrgerunsgsentscheidung und

    80 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 24.

    81 Vgl Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht. Das Recht der Europischen Union (2007), Rz 83.

    82 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.

    2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 25.

    83 BGBl 1974/538.

    84 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 55.

  • 29

    der Rcknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Mglichkeit fr den Betroffenen,

    seine ursprngliche Staatsbrgerschaft wiederzuerlangen.85 Hinsichtlich des

    letztgenannten Gesichtspunktes ist ein Mitgliedstaat nicht nach Art 20 Abs 1 AEUV

    verpflichtet, von der Rcknahme der Einbrgerung allein deshalb abzusehen, weil der

    Betroffene die Staatsangehrigkeit seines Herkunftslandes nicht wiedererlangt hat.

    Der Grundsatz der Verhltnismigkeit verlangt allerdings, dass dem Betroffenen vor

    Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung ber die Rcknahme der

    Einbrgerung eine angemessene Frist eingerumt wird, damit er versuchen kann, die

    Staatsangehrigkeit seines Herkunftsmitgliedstaates wiederzuerlangen.86

    3. Wirkungen von Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit im

    Unionsrecht

    Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates entfalten ihre

    rechtlichen Wirkungen nicht nur im nationalen Recht des betreffenden

    Mitgliedstaates, sondern wirken gleichzeitig auch im Unionsrecht.87 Dabei sind

    Zeitpunkt und Form des Erwerbs fr die Anwendung des Unionsrechts unerheblich.

    Es kommt lediglich darauf an, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt der

    Berufung auf das Unionsrecht die Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates besitzt.88

    Der Genuss der unionsrechtlich garantierten Rechte setzt auch kein Mindestalter

    voraus. So kann sich selbst ein Kind im Kleinkindalter auf die (unions)rechtlich

    gewhrleisteten Rechte auf Freizgigkeit und Aufenthalt berufen. Die Fhigkeit des

    Angehrigen eines Mitgliedstaats, Inhaber der durch den Vertrag und das abgeleitete

    Recht auf dem Gebiet der Freizgigkeit gewhrleisteten Rechte zu sein, kann nicht

    von der Bedingung abhngen, dass der Betreffende das Alter erreicht hat, ab dem er

    rechtlich in der Lage ist, diese Rechte selbst auszuben.89

    85 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 56.

    86 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 57 f.

    87 Vgl Bleckmann, Der Vertrag ber die Europische Union, DVBl 1992, 335 (336).

    88 EuGH, Rs 136/78, Auer, Slg 1979, 437, Rdnr 28 f; Rs C-419/92, Scholz, Slg 1994, I-505, Rdnr 8 f.

    89 EuGH, Rs C-200/02, Zhu und Chen, Slg 2004, I-9925, Rdnr 20.

  • 30

    ber das Unionsrecht wirken sich Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit eines

    Mitgliedstaates auch auf die anderen Mitgliedstaaten aus. Seit Inkrafttreten des EU-

    Vertrages ist dies sogar verstrkt der Fall. Die durch die nationale Staatsangehrigkeit

    vermittelte Unionsbrgerschaft verleiht den Unionsbrgern nmlich eine Reihe von

    Rechten, die insbesondere fr die anderen EU-Mitgliedstaaten (rechtlich) relevant

    sind.90

    Diese Konsequenzen sind von der Regierungskonferenz ber die Politische Union

    bewusst in Kauf genommen worden.91 Sie fhren allerdings dazu, dass ein

    Mitgliedstaat, der beabsichtigt, einer sehr groen Gruppe von Personen, die nicht

    Staatsangehrige eines EU-Mitgliedstaates sind, die eigene Staatsangehrigkeit zu

    verleihen, dies zuvor mit den EU-Organen und den anderen EU-Mitgliedstaaten

    beraten muss (Konsultationspflicht). Tut er dies nicht, wrde er die in Art 4 Abs 3

    EUV verankerte Loyalittspflicht92 verletzen.93

    Die gegenstndliche Konsultationspflicht gilt jedoch nicht, wenn die begnstigten

    Personen bereits Unionsbrger sind und zustzlich zur Staatsbrgerschaft eines EU-

    Mitgliedstaates noch die Staatsbrgerschaft eines zweiten EU-Mitgliedstaates

    erhalten.

    Derartige Doppelunionsbrger genieen im Unionsrecht nach stndiger

    Rechtsprechung des EuGH eine besondere Stellung. Sie knnen sich auch dem

    Heimatmitgliedstaat gegenber, in dem sie ihren Wohnsitz haben, stets auf die

    Grundfreiheiten des Binnenmarktes und das allgemeine Freizgigkeitsrecht sttzen.

    Dafr reicht es aus, wenn sie sich auf die Staatsbrgerschaft des anderen EU-

    90 Vgl Sauerwald, Unionsbrgerschaft und Staatsangehrigkeitsrecht, 77.

    91 Vgl Closa, Citizenship of the Union and nationality of Member States, CMLR 1995, 487 (515);

    Fischer, Die Unionsbrgerschaft: Ein neues Konzept im Vlker- und Europarecht, in Haller ua

    (Hrsg), FS Winkler (1997), 237 (250).

    92 Vgl Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Rz 1278.

    93 Vgl GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom

    30. 9. 2009, noch nicht in der Slg verffentlicht, Rdnr 30. So auch Schnberger, Unionsbrger,

    287; de Groot, Staatsangehrigkeit, 102.

  • 31

    Mitgliedstaates berufen; ein grenzberschreitendes Element mit physischem

    Grenzbertritt94 ist nicht erforderlich. Der EuGH nimmt in seiner Rechtsprechung

    nmlich ein grenzberschreitendes Moment selbst dann an, wenn ein

    Staatsangehriger eines Mitgliedstaates, der sich dort aufhlt, sich in diesem

    Mitgliedstaat auf die ebenfalls vorhandene Staatsangehrigkeit eines anderen

    Mitgliedstaates sttzt (Doppelunionsbrger ohne physischen Grenzbertritt).95

    In seiner jngsten Rechtsprechung ist der EuGH von dieser Judikatur allerdings

    abgewichen.96 In seinem Urteil im Fall McCharty 97stellte der Gerichtshof Anfang

    Mai 2011 fest, dass das Freizgigkeitsrecht in Art 21 AEUV und damit auch die

    Grundfreiheiten des Binnenmarktes auf einen Unionsbrger, der noch nie von

    seinem Recht auf Freizgigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem

    Mitgliedstaat, dessen Staatsangehrigkeit er besitzt aufgehalten hat und der sich im

    brigen im Besitz der Staatsangehrigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet,

    nicht anwendbar (ist), sofern die Situation dieses Brgers nicht von der Anwendung

    von Manahmen eines Mitgliedstaates begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der

    tatschliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbrgerstatus verliehenen

    Rechte verwehrt oder die Ausbung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der

    Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert wrde.98

    94 Zum Erfordernis eines grenzberschreitenden Bezugs fr die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten

    des Binnenmarktes und des allgemeinen Freizgigkeitsrechts vgl Obwexer, Grundfreiheit

    Freizgigkeit, 317 u 343.

    95 ZB EuGH, Rs C-148/02, Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rdnr 26 ff. Vgl GA E. Sharpston,

    Schlussantrge in der Rs C-34/09, Zambrano, Schlussantrge vom 30. 9. 2010, noch nicht in Slg

    verffentlicht, Rdnr 75 ff.

    96 Vgl GA Juliane Kokott, Rs C-434/09, McCarthy, Schlussantrge vom 25. 11. 2010, noch nicht in

    Slg verffentlicht, Rdnr 35 ff.

    97 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht.

    98 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 56.

  • 32

    Aus dieser neuesten auf das Urteil im Fall Zambrano99 gesttzten Rechtsprechung

    folgt, dass Doppelunionsbrger ihre besondere unionsrechtliche Stellung wieder

    verloren haben. Ein Unionsbrger kann sich bei Vorliegen eines rein internen

    Sachverhalts, verstanden als Situation, die mit keinem relevanten Element ber die

    Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweist, nmlich nur noch dann auf das

    Freizgigkeitsrecht in Art 21 AEUV sttzen, wenn ihm der tatschliche Genuss des

    Kernbestands der ihm durch den Unionsbrgerstatus verliehenen Rechte verwehrt

    oder die Ausbung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu

    bewegen und aufzuhalten, behindert wird.100 In diesem Fall reicht die

    Staatsbrgerschaft des Aufenthaltsmitgliedstaates fr die Berufung auf das

    einschlgige Unionsrecht aus; die Staatsbrgerschaft eines zweiten Mitgliedstaates ist

    nicht erforderlich und bringt, selbst wenn sie vorliegt, keine zustzlichen

    Rechtswirkungen.

    Ob und inwieweit der EuGH bei dieser neuesten Judikaturlinie bleiben oder wieder

    zur vorherigen Rechtslage zurckkehren wird, muss erst die Zukunft zeigen.

    IV. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in sterreich

    1. Verfassungsrechtliche Grundlagen

    Gem Art 6 Abs 1 B-VG besteht fr die Republik sterreich eine einheitliche

    Staatsbrgerschaft. Dem folgend ist der Status eines Staatsbrgers ungeteilt, wird

    als solcher erworben bzw geht als solcher verloren und wird nicht durch eine

    Landesbrgerschaft vermittelt.101

    Art 6 Abs 2 B-VG sieht vor, dass jene Staatsbrger, die in einem Land ihren

    Hauptwohnsitz haben, dessen Landesbrger sind. Die Landesgesetze knnen jedoch

    vorsehen, dass auch Staatsbrger, die in einem Land einen Wohnsitz, nicht aber den

    99 EuGH, Rs C-34/09, Zambrano, Urteil vom 8. 3. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 42.

    100 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 54.

    101 Vgl zB Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 (2007), Rz 200.

  • 33

    Hauptwohnsitz haben, dessen Landesbrger sind. Die Landesbrgerschaft hat

    keinen selbststndigen staatsbrgerschaftsrechtlichen Gehalt. Sie umschreibt lediglich

    den Personenkreis, der an der politischen Willensbildung im Land mitzuwirken

    berechtigt ist.102

    Im Zusammenhang mit der Staatsbrgerschaft beinhaltet das B-VG auch eine

    Definition des Begriffes Hauptwohnsitz. Gem Art 6 Abs 3 B-VG ist der

    Hauptwohnsitz einer Person dort begrndet, wo sie sich in der erweislichen oder aus

    den Umstnden hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt

    ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer

    Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen

    Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als

    Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das berwiegende Naheverhltnis hat.

    Demnach kann eine Person nur einen Hauptwohnsitz haben. Prinzipiell ist fr die

    Feststellung des Hauptwohnsitzes die Erklrung eines Meldepflichtigen magebend,

    doch kann in einem Reklamationsverfahren nach dem Meldegesetz von der

    zustndigen Behrde geprft werden, ob der erklrte Hauptwohnsitz die objektiven

    Vorgaben des B-VG erfllt. Dabei muss die ermittelnde Behrde das Grundrecht auf

    Achtung des Privatlebens des betroffenen Meldepflichtigen achten.

    Die nhere Ausgestaltung der Staatsbrgerschaft obliegt gem Art 11 Abs 1 Z 1 B-

    VG dem Bundesgesetzgeber; die Vollziehung des Staatsbrgerschaftsrechts ist

    hingegen Landessache. Fr die Erlassung von Bescheiden in

    Staatsbrgerschaftsverfahren ist in erster und letzter Instanz die Landesregierung

    zustndig.103

    102 Vgl zB hlinger, Verfassungsrecht7 (2007), Rz 227.

    103 Vgl Holley, Die Staatsbrgerschaftsrechts-Novelle 2005 im berblick, JAP 2/2006-2007, 17.

  • 34

    2. Staatsbrgerschaftsrecht

    Das Staatsbrgerschaftsrecht legt fest, unter welchen Voraussetzungen die

    Staatsbrgerschaft erworben wird bzw verloren geht und regelt das dazugehrende

    Verfahren.

    Das derzeit geltende Staatsbrgerschaftsgesetz 1965 ist am 1. Juli 1966 in Kraft

    getreten und wurde 1985 als Staatsbrgerschaftsgesetz 1985 (StbG)

    wiederverlautbart.104

    Ergnzt werden die gesetzlichen Bestimmungen durch die

    Staatsbrgerschaftsverordnung 1985 (StbV)105 und die Staatsbrgerschaftsprfungs-

    Verordnung 2006 (StbP-V).106

    V. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in Italien

    In Italien fllt das Staatsbrgerschaftsrecht in die Kompetenz des Zentralstaates.

    Erwerb und Verlust der Staatsbrgerschaft sind im Gesetz vom 5. Februar 1992, Nr

    91107 geregelt.

    Darin ist unter anderem vorgesehen, dass ein italienischer Staatsbrger, der eine

    auslndische Staatsbrgerschaft besitzt, erwirbt oder wiedererwirbt, die italienische

    Staatsbrgerschaft behlt (Rechtsfolge mehrfache Staatsangehrigkeit). Ein solcher

    Mehrstaater kann auf die italienische Staatsbrgerschaft verzichten, allerdings nur

    104 Vgl dazu zB Bachmann, Staatsbrgerschaftsrecht, in Bachmann/Baumgartner/Feik/Giese/Jah-

    nel/Lienbacher (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht8 (2010), 169; Fessler/Keller/Pommerening-

    Schober/Szymanski, Das neue sterreichische Staatsbrgerschaftsrecht7 (2006).

    105 Verordnung des Bundesministers fr Inneres vom 31. 7. 1985 zur Durchfhrung des

    Staatsbrgerschaftsgesetzes 1985, BGBl 1985/329, idF BGBl II 2010/3.

    106 Verordnung der Bundesministerin fr Inneres ber die Prfung zum Nachweis der Grundkenntnisse

    der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte sterreichs und des jeweiligen Bundeslandes,

    BGBl II 2006/138.

    107 GA vom 15. 2. 1992, Nr 38, idgF.

  • 35

    dann, wenn er seinen Wohnsitz im Ausland hat oder dort zu begrnden beabsichtigt

    (Art 11 Gesetz Nr 91/1992).

    Ein italienischer Staatsbrger verliert seine Staatsbrgerschaft grundstzlich, wenn er

    einen ffentlichen Dienst oder ein ffentliches Amt eines auslndischen Staates oder

    einer auslndischen ffentlichen Krperschaft oder einer internationalen

    Organisation, der Italien nicht angehrt, annimmt oder den Militrdienst fr einen

    auslndischen Staat leistet. Der Verlust tritt allerdings nicht automatisch ein, sondern

    erst dann, wenn der Staatsbrger der Aufforderung, die die Italienische Regierung an

    ihn richten kann, den Dienst, das Amt oder den Militrdienst zu beenden, nicht

    innerhalb der vorgesehenen Frist nachkommt (Art 12 Abs 1 Gesetz Nr 91/1992).

    Schlielich ist vorgesehen, dass das Staatsbrgerschaftsgesetz die Bestimmungen in

    vlkerrechtlichen Vertrgen unberhrt lsst (Unberhrtheitsklausel) (Art 26 Abs 3

    Gesetz Nr 91/1992). Zu Letzteren zhlen unter anderem die Bestimmungen des

    Europischen bereinkommens ber die Verminderung der Flle mehrfacher

    Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher

    Staatsangehrigkeit.108

    VI. Rechtliche Mglichkeiten und Grenzen sowie Rechtsfolgen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler

    Die Staatsbrgerschaft determiniert mit dem Staatsvolk eines der drei konstitutiven

    Elemente eines Staates. Sie besteht in einer hervorgehobenen rechtlichen Position, die

    die Zugehrigkeit zu einem Staat zum Ausdruck bringt. Die sterreichische

    Staatsbrgerschaft ist demnach ein besonderer Status, der die Zugehrigkeit der

    betreffenden Personen zur Republik sterreich bezeichnet.109

    Rechtlich bedeutsam wird die Staatsbrgerschaft jedoch erst als Anknpfungspunkt

    fr Rechte und Pflichten in anderen Rechtsmaterien. So gilt der

    108 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.

    109 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft, Band II Verfassungsrechtliche Grundlagen und

    materielles Staatsbrgerschaftsrecht (1990), 20.

  • 36

    verfassungsrechtlich normierte Gleichheitssatz nur fr Staatsbrger. Nur

    Staatsbrgern kommt das Wahlrecht auf Bundes- und auf Landesebene zu. Das Amt

    eines Schffen oder Geschworenen ist ebenfalls Staatsbrgern vorbehalten. Nur

    Staatsbrger erhalten einen sterreichischen Reisepass. Andererseits unterliegen aber

    auch nur Staatsbrger bestimmten Pflichten, insbesondere der Wehrpflicht.110

    Innerhalb der Europischen Union hat die Unterscheidung zwischen Staatbrgern

    und Fremden wesentlich an Bedeutung verloren. Die Fremden, die Unionsbrger

    sind, genieen nmlich ein umfassendes Recht auf Gleichbehandlung mit den

    Staatsbrgern eines EU-Mitgliedstaates.111 Dieses Recht gilt allerdings nur im

    Anwendungsbereich des Unionsrechts und umfasst demnach nicht alle wenn auch

    sehr viele Bereiche staatlicher Souvernitt, so dass dem Erwerb der

    Staatsbrgerschaft eines EU-Mitgliedstaates nach wie vor rechtliche Bedeutung

    zukommt. Dies gilt insbesondere fr die Teilnahme an Wahlen auf Bundes- und

    Landesebene, den Zugang zu Stellen in der ffentlichen Verwaltung (insbesondere

    Gericht, Polizei, diplomatischer Dienst, Heer)112 sowie Ansprche auf soziale

    Untersttzung ohne Erfordernis einer bestimmten Ansssigkeitsdauer.113

    Vor diesem Hintergrund stellt sich auf der Grundlage der dargestellten rechtlichen

    Rahmenbedingungen die Frage, ob und wenn ja wie sterreich den Sdtirolern

    den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft ermglichen knnte.

    1. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft

    Die sterreichische Staatsbrgerschaft kann gem 6 StbG durch Abstammung,

    Verleihung oder Anzeige erworben werden. In gegenstndlichem Zusammenhang

    sind lediglich die Erwerbstatbestnde der Verleihung und der Anzeige von Relevanz.

    110 Vgl Bachmann, Staatsbrgerschaftsrecht, 171.

    111 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 345, mwN.

    112 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 331, mwN.

    113 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 351, mwN.

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    a) Erwerb durch Verleihung

    Durch Verleihung erwerben vor allem Fremde, die sich in sterreich niedergelassen

    haben und sich nun integrieren wollen, die Staatsbrgerschaft. Die Verleihung kann

    entweder Ergebnis einer Ermessensentscheidung sein ( 10 StbG) oder auf einem

    Rechtsanspruch beruhen ( 11a ff StbG). In beiden Fllen mssen die allgemeinen

    Verleihungsvoraussetzungen gegeben sein. Darber hinaus hat der Fremde je nach

    Rechtsgrundlage besondere Voraussetzungen fr die Verleihung der

    Staatsbrgerschaft zu erfllen.

    Ehemalige sterreicher, die die Staatsbrgerschaft anders als durch Entziehung

    verloren haben, genieen eine bevorzugte Einbrgerung. Fr sie sieht 10 Abs 4

    StbG von bestimmten Voraussetzungen (Aufenthaltsdauer, Nachweis der Sprach- und

    Geschichtskenntnisse) und Einbrgerungshindernissen (schwerwiegende

    Verwaltungsbertretungen) ab. Anwendung findet diese erleichterte Einbrgerung

    unter anderem auf sterreichische Staatsbrger, die aufgrund von Verfolgung in der

    NS-Zeit sich ins Ausland begeben haben.

    Ein vergleichbarer Erwerbstatbestand knnte auch fr Sdtiroler im

    Staatsbrgerschaftsgesetz 1985 verankert werden. Dabei msste allerdings von der

    Voraussetzung des Hauptwohnsitzes im Inland abgesehen werden.

    b) Erwerb durch Anzeige

    Dieser Erwerbstatbestand ist eine Art nachtrgliche Wiedergutmachung fr

    ehemalige sterreichische Staatsbrger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.

    Gem 58c StbG liegt der Erwerbsakt in einer schriftlichen Anzeige bei der

    zustndigen Behrde, nmlich der zustndigen Landesregierung oder der

    sterreichischen Vertretungsbehrde im Ausland, dass die betreffende Person vor

    dem 9. Mai 1945 als sterreichischer Staatsbrger ins Ausland gegangen ist, weil sie

    Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behrden des Dritten Reiches mit

    Grund zu befrchten hatte oder erlitten hat oder weil (sie) wegen (ihres) Eintretens fr

    die demokratische Republik sterreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu

    befrchten hatte. In diesem Fall ist kein Hauptwohnsitz im Inland notwendig, die

    Mittel zum Unterhalt sind nicht nachzuweisen, Verwaltungsbertretungen schaden

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    nicht und die seitdem erworbene fremde Staatsbrgerschaft kann beibehalten werden;

    die brigen allgemeinen Verleihungsvoraussetzungen sind allerdings zu erfllen. Die

    Landesregierung erlsst einen schriftlichen Feststellungsbescheid darber, dass die

    Staatsbrgerschaft mit Einlangen der Anzeige bei ihr wiedererworben wurde.

    Ein vergleichbarer Erwerbstatbestand knnte zumindest rechtlich auch fr

    Sdtiroler vorgesehen werden. In diesem Fall msste der

    Staatsbrgerschaftserwerb wohl als Wiedergutmachung des Diktats von Saint-

    Germain 1919 Abtrennung Sdtirols von sterreich (Art 27 StV St-Germain)114

    ausgestaltet werden. Das wrde allerdings erfordern, die begnstigten Sdtiroler auf

    ehemalige Staatsangehrige (Deutsch-)sterreichs und deren Nachkommen zu

    beschrnken.115

    c) Zulssigkeit der Doppelstaatsbrgerschaft

    Sollte sterreich den Sdtirolern den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft durch

    Verleihung (in einer erleichterten Form) oder allenfalls durch Anzeige ermglichen,

    wrde dies zunchst einmal dazu fhren, dass jene Sdtiroler, die von dieser

    Mglichkeit Gebrauch machen, neben der italienischen auch die sterreichische

    Staatsbrgerschaft besen und somit zu Doppelstaatsbrgern wrden.

    Dies wrde allerdings der im Europischen bereinkommen ber die Verminderung

    der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen

    mehrfacher Staatsangehrigkeit enthaltenen Verpflichtung zur Vermeidung

    mehrfacher Staatsangehrigkeit zuwiderlaufen. Art 1 Abs 1 EmStA sieht nmlich

    vor, dass Staatsangehrige einer Vertragspartei (hier Italiens), die infolge einer

    ausdrcklichen Willenserklrung (Antrag auf Verleihung der Staatsbrgerschaft oder

    allenfalls Anzeige) die Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei (hier

    sterreichs) erwerben, ihre frhere Staatsangehrigkeit (nmlich die Italiens)

    114 Vgl zB Hummer, Der internationale Status sterreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer,

    sterreichisches Handbuch des Vlkerrechts, Rz 3285.

    115 Siehe dazu nachstehend Pkt VII.

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    verlieren; die Beibehaltung der frheren Staatsangehrigkeit (nmlich der Italiens)

    darf ihnen nicht bewilligt werden.

    Diese vlkerrechtliche Verpflichtung trfe im gegenstndlichen Fall primr die

    Vertragspartei Italien, die im Falle des aufgrund einer ausdrcklichen

    Willenserklrung erfolgten Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft den

    Verlust der eigenen Staatsbrgerschaft vorsehen msste und deren Beibehaltung nicht

    genehmigen drfte.

    Die Vertragspartei sterreich, die den Sdtirolern ihre Staatsbrgerschaft verleiht,

    wre von der gegenstndlichen Verpflichtung, den Verlust der frheren

    Staatsbrgerschaft vorzusehen und deren Beibehaltung nicht zu genehmigen, nicht

    direkt betroffen. Die Bestimmung in Art 1 EmStA richtet sich nmlich an die

    Vertragspartei der frheren Staatsangehrigkeit, konkret Italien. Dem folgend msste

    sterreich im Zuge der Verleihung der eigenen Staatsbrgerschaft an Sdtiroler

    nicht zwingend den Nachweis der Entlassung aus dem Staatsverband Italiens

    verlangen.

    d) Verlust der italienischen Staatsbrgerschaft?

    Die Verpflichtung Italiens zur Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit wurde

    allerdings mit einem Vorbehalt eingeschrnkt.116

    Demnach behielt sich Italien unter anderem das Recht vor, den in Art 1 EmStA

    vorgesehenen Verlust der Staatsangehrigkeit von der Voraussetzung abhngig zu

    machen, dass die betreffende Person ihren ordentlichen Wohnsitz gewhnlich

    auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes hat oder dort zu irgendeinem Zeitpunkt

    ihren ordentlichen Wohnsitz begrndet, es sei denn, dass im Falle des Erwerbs einer

    fremden Staatsbrgerschaft kraft ausdrcklicher Willenserklrung die betreffende

    Person durch die zustndige Behrde von der Voraussetzung des ordentlichen

    Wohnsitzes im Ausland befreit wird.

    116 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.a).

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    Dieser Vorbehalt wrde im Falle der Verleihung der sterreichischen

    Staatsbrgerschaft an Sdtiroler allerdings nicht greifen. sterreich msste in

    diesem Fall nmlich von der Aufenthaltsvoraussetzung im Bundesgebiet ( 10 Ziff 1

    StbG) absehen. Dem folgend wrden die Sdtiroler von der Voraussetzung des

    ordentlichen Wohnsitzes im Ausland befreit. Zudem wrde der Erwerb der

    sterreichischen Staatsbrgerschaft kraft ausdrcklicher Willenserklrung erfolgen

    (Erwerb auf Antrag oder allenfalls nach Anzeige).117 Dem folgend htte Italien

    trotz angebrachten Vorbehalts in diesen Fllen nicht das Recht, vom Verlust seiner

    Staatsangehrigkeit abzusehen, obwohl die betreffenden Personen ihren

    gewhnlichen Wohnsitz nicht auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes haben oder

    dort zu irgendeinem Zeitpunkt begrnden wollen.

    Davon abweichend sieht Art 11 Gesetz Nr 91/1992 vor, dass italienische

    Staatsbrger, die eine auslndische Staatsangehrigkeit besitzen, erwerben oder

    wiedererwerben, die italienische Staatsbrgerschaft behalten. Sie knnen zwar darauf

    verzichten, jedoch nur dann, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland haben oder dort

    begrnden wollen. Die gegenstndliche Regelung, die Doppelstaatsbrgerschaften

    grundstzlich zulsst, steht allerdings im Widerspruch zur vlkerrechtlichen Vorgabe

    aus Art 1 EmStA, die solange sie Italien vlkerrechtlich verpflichtet auch

    innerstaatlich gilt und die Bewilligung zur Beibehaltung der frheren

    Staatsangehrigkeit untersagt. Diese Kollision wird von Art 26 Abs 3 Gesetz Nr

    91/1992 dahingehend gelst, dass vom gegenstndlichen Gesetz abweichende

    Bestimmungen in vlkerrechtlichen Vertrgen davon unberhrt bleiben

    (Unberhrtheitsklausel). Dem folgend drften die zustndigen italienischen

    Behrden den Sdtirolern, die durch ausdrckliche Willenserklrung die

    sterreichische Staatsbrgerschaft erwerben, die Beibehaltung der italienischen

    Staatsbrgerschaft nicht bewilligen. Die anders lautende Bestimmung in Art 11

    Gesetz Nr 91/1992 ist infolge der Unberhrtheitsklausel in Art 26 Abs 3 Gesetz Nr

    91/1992 so lange nicht anwendbar, als Art 1 EmStA Italien vlkerrechtlich bindet.

    117 Siehe dazu vorstehend Pkt VI.1.a) und Pkt VI.1.b).

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    Um den Sdtirolern, die die sterreichische Staatsbrgerschaft erwerben,

    Rechtssicherheit hinsichtlich der Beibehaltung ihrer italienischen Staatsbrgerschaft

    zu geben, msste eine der von dieser Einbrgerung betroffenen Vertragsparteien,

    nmlich Italien oder sterreich, das Europische bereinkommen ber die

    Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die

    Militrdienstpflicht im Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit dem Beispiel

    Deutschlands folgend kndigen. Dabei ist es vlkerrechtlich unerheblich, welche

    der beiden Vertragsparteien das bereinkommen kndigt. Die Verpflichtung zur

    Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit gilt nmlich nur zwischen den

    Vertragsparteien. Dies resultiert sowohl aus dem Wortlaut von Art 1 EmStA als

    auch aus dem allgemeinen vlkerrechtlichen Grundsatz der Reziprozitt.118 Wrde

    Italien das bereinkommen kndigen, so wre es zweifelsfrei nicht mehr an die

    Verpflichtung aus Art 1 Em