Rechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch...
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LEOPOLD FRANZENS UNIVERSITT INNSBRUCK
Institut fr Europarecht und Vlkerrecht
A-6020 Innsbruck, Innrain 52
Tel: (0512) 507 8305; Fax: (0512) 507 2824; E-mail: [email protected]
ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer
Gutachten
Rechtliche Rahmenbedingungen fr den
Erwerb der sterreichischen
Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler*
* Alle Begriffe und Formulierungen in diesem Gutachten sind genderneutral zu verstehen.
erstattet von
ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer
Institut fr Europarecht und Vlkerrecht Universitt Innsbruck Innrain 52 A-6020 Innsbruck
Tel: 0043 512 507 8305
Fax: 0043 512 507 2824
e-mail: [email protected]
Innsbruck, am 24. Mai 2011
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2
Inhalt
I. Ausgangslage und Fragestellung .......................................................................... 4
II. Vlkerrechtliche Rahmenbedingungen ................................................................ 6
1. Europisches bereinkommen ber die Verminderung der Flle
mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in
Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit (1963) EmStA .............................. 6
a) Verminderung mehrfacher Staatsangehrigkeit .............................................. 7
b) Militrdienstpflicht.......................................................................................... 9
c) Geltungsdauer und Kndigung des bereinkommens .................................. 12
2. Europisches bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (1997)
EStA ............................................................................................................ 12
a) Grundstze .................................................................................................... 13
b) Mehrfache Staatsangehrigkeit ..................................................................... 14
c) Militrdienstpflicht........................................................................................ 15
d) Verhltnis zum bereinkommen von 1963 .................................................. 16
3. Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) StV St-Germain ........................... 17
4. Pariser Vertrag (1946) PV ............................................................................ 18
III. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen .............................................................. 19
1. Staatsbrgerschaftsrecht als Zustndigkeit der Mitgliedstaaten ...................... 20
2. Unionsrechtliche Grenzen fr den Erwerb und den Verlust der
Staatsangehrigkeit ........................................................................................ 23
3. Wirkungen von Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit im
Unionsrecht .................................................................................................... 29
IV. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in sterreich ............................................ 32
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen .................................................................. 32
2. Staatsbrgerschaftsrecht .................................................................................. 34
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3
V. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in Italien .................................................. 34
VI. Rechtliche Mglichkeiten und Grenzen sowie Rechtsfolgen des Erwerbs
der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler ............................... 35
1. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft .............................................. 36
a) Erwerb durch Verleihung .............................................................................. 37
b) Erwerb durch Anzeige ................................................................................... 37
c) Zulssigkeit der Doppelstaatsbrgerschaft .................................................... 38
d) Verlust der italienischen Staatsbrgerschaft? ............................................... 39
e) Verfahren und Kosten fr den Erwerb der sterreichischen
Staatsbrgerschaft ......................................................................................... 42
2. Auswirkungen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft in
sterreich am Beispiel ausgewhlter Bereiche .............................................. 43
a) Staatsbrgerrechte ......................................................................................... 44
b) Wahlrecht ...................................................................................................... 45
c) Zugang zu ffentlichen mtern .................................................................... 46
d) Wehrpflicht ................................................................................................... 46
3. Auswirkungen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft in
Italien .............................................................................................................. 48
4. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft als Instrument des
Minderheitenschutzes ..................................................................................... 50
a) Strkung der Schutzfunktion sterreichs? .................................................... 50
b) Ausbung des diplomatischen Schutzrechts durch sterreich
gegenber Italien? ......................................................................................... 51
VII. Rechtliche Rahmenbedingungen fr die Festlegung der Gruppe der
begnstigten Sdtiroler ................................................................................... 52
VIII. Beantwortung der Frage ..................................................................................... 55
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4
I. Ausgangslage und Fragestellung
Nachdem Italien im Jahre 2006 mit einer nderung seines
Staatsbrgerschaftsgesetzes die Mglichkeit geschaffen hatte, dass Staatsbrger der
Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, die vor Inkrafttreten des
Friedensvertrages vom 10. Februar 1947 italienische Staatsbrger waren und im
Gebiet des damaligen Italien ihren Wohnsitz hatten, sowie deren Nachkommen mit
italienischer Sprache und Kultur die italienische Staatsbrgerschaft erwerben
knnen,1 entstanden auch in Sdtirol auf politischer Ebene Bestrebungen, den in
Sdtirol lebenden italienischen Staatsbrgern deutscher und ladinischer
Muttersprache den Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft zu ermglichen.
Die sterreichische Staatsbrgerschaft so die kolportierten Begrndungen soll
zum einen die geistig-kulturelle Verbindung zum Vaterland sterreich strken und
festigen und zum anderen die auf dem Pariser Vertrag (1946) beruhende
Schutzfunktion sterreichs zustzlich absichern.
Am 12. Mrz 2009 brachten die FP-Abgeordneten Neubauer, Knigshofer und
Gartlgruber im Nationalrat in Wien einen Entschlieungsantrag betreffend
Verleihung der sterreichischen Staatsbrgerschaft an Altsterreicher mit einer
fremden Staatsangehrigkeit, die vor den Pariser Vorortevertrgen auf dem Gebiet
Sdtirols und Trentino samt Cortina D`Ampezzo gelebt haben, sowie deren
Nachfahren ein. Dem folgend soll der Nationalrat beschlieen, die Bundesregierung
aufzufordern, eine Regierungsvorlage vorzulegen, die vorsieht, Altsterreichern mit
einer fremden Staatsangehrigkeit, die vor den Pariser Vorortevertrgen auf dem
Gebiet Sdtirols und Trentino samt Cortina D`Ampezzo gelebt haben, sowie deren
Nachfahren auf Antrag die sterreichische Staatsbrgerschaft zu verleihen.2
Dieser Initiative folgten unter anderem eine Unterschriftenaktion der Sd-Tiroler
Freiheit in ganz Tirol, ein Dringlichkeitsantrag betreffend Doppelstaatsbrgerschaft
1 Vgl Art 1 Gesetz vom 8. 3. 2006, Nr 124, GA vom 28. 3. 2006, Nr 73.
2 532/A(E) XXIV. GP.
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5
fr Sdtiroler3 der FP im Tiroler Landtag im September 20104 sowie zuletzt eine
parlamentarische Brgerinitiative des Gesamttiroler Schtzenbundes. Sie alle zielen
auf den Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler ab.
Zustzlichen Rckenwind erhielten die gegenstndlichen Bestrebungen durch
vergleichbare Regelungen, die in jngster Vergangenheit in einzelnen EU-
Mitgliedstaaten in Kraft traten. So wurde im Mai 2010 in Ungarn ein Gesetz
verabschiedet, das den insgesamt 2,5 Mio im Ausland lebenden Personen ungarischer
Herkunft und mit ungarischer Sprache die Mglichkeit einrumt, in einem
Eilverfahren die ungarische Staatsbrgerschaft zu erwerben. Rumnien hatte kurz
zuvor den in der benachbarten Republik Moldau lebenden Landsleuten den Erwerb
der rumnischen Staatsbrgerschaft angeboten.5
Im Jahr 2008 erwarben in der EU insgesamt 59.449 Brger eines EU-Mitgliedstaates
(zustzlich) die Staatsbrgerschaft eines anderen EU-Mitgliedstaates. Die grten
Gruppen unter diesen Doppelunionsbrgern waren Portugiesen, die die franzsische
Staatsbrgerschaft erhielten (7.778 Personen), Rumnen, die ungarische Staatsbrger
wurden (5.535 Personen), und Polen, die die deutsche Staatsbrgerschaft erwarben
(4.245 Personen).6
Vor diesem Hintergrund soll im Auftrag der Sdtiroler Volkspartei die Frage
beantwortet werden, ob ein Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch
Sdtiroler rechtlich mglich ist, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dabei
beachtet werden mssen und welche Rechtswirkungen der Erwerb der
sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler in sterreich und in Italien
htte.
3 Tiroler Landtag, Dok 404/10.
4 Vgl Tiroler Tageszeitung vom 23. 9. 2010, 3.
5 Vgl Die Presse vom 5. 1. 2011, 4.
6 Vgl Bericht der Kommission an das Europische Parlament, den Rat und den Europischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss gem Artikel 25 AEUV: Fortschritte auf dem Weg zu einer
effektiven Unionsbrgerschaft 2007 2010, KOM(2010) 602 endg vom 27. 10. 2010, 4.
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6
In Beantwortung dieser Frage werden zunchst die vlkerrechtlichen
Rahmenbedingungen dargestellt (II.). Im Anschluss daran werden die
unionsrechtlichen Rahmenbedingungen skizziert (III.). In der Folge werden die
innerstaatlichen Rahmenbedingungen in sterreich (IV.) und in Italien (V.) behandelt.
Darauf aufbauend werden die rechtlichen Mglichkeiten und Grenzen sowie die
Rechtsfolgen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler
beschrieben (VI.). Auf der Grundlage aller Rahmenbedingungen wird der Frage
nachgegangen, ob und inwieweit sich daraus Vorgaben fr die Festlegung der Gruppe
der begnstigten Sdtiroler ergeben (VII.). Eine zusammenfassende Antwort auf die
eingangs gestellte Frage schliet das Gutachten ab (VIII.).
II. Vlkerrechtliche Rahmenbedingungen
Die Republik sterreich und die Republik Italien sind Vertragsparteien mehrerer
vlkerrechtlicher Abkommen, die das Staatsbrgerschaftsrecht betreffen. Von
besonderer Relevanz sind in gegenstndlichem Zusammenhang zwei im Schoe des
Europarates ausgearbeitete bereinkommen: (1.) das Europische bereinkommen
ber die Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die
Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit und (2.) das
Europische bereinkommen ber Staatsangehrigkeit. Zu prfen ist auch, ob (3.)
aus dem Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) oder (4.) aus dem Pariser Vertrag
(GruberDe Gasperi-Abkommen) (1946) einschlgige Vorgaben resultieren.
1. Europisches bereinkommen ber die Verminderung der Flle
mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen
mehrfacher Staatsangehrigkeit (1963) EmStA
Das Europische bereinkommen ber die Verminderung der Flle mehrfacher
Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher
Staatsangehrigkeit (EmStA)7 zielt wie sich bereits aus seinem Titel ergibt auf
eine mglichst weitgehende Verringerung mehrfacher Staatsangehrigkeit ab.
7 BGBl 1975/471.
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7
Gleichzeitig regelt es nur das wichtigste Problem mehrfacher Staatsangehrigkeit,
nmlich die Wehrdienstpflicht. Dieses bereinkommen ist fr sterreich am 1.
September 1975 in Kraft getreten;8 es wurde als gesetzndernd genehmigt und nicht
unter Erfllungsvorbehalt gestellt. Dem folgend sind seine Bestimmungen in
sterreich grundstzlich unmittelbar anwendbar.9 In Italien gilt das gegenstndliche
bereinkommen bereits seit 28. Mrz 1968;10 es wurde mit Gesetz vom 4. Oktober
1966, Nr 87611 innerstaatlich genehmigt und ab seinem (vlkerrechtlichen)
Inkrafttreten fr anwendbar erklrt.
a) Verminderung mehrfacher Staatsangehrigkeit
Zur Erreichung des Ziels einer mglichst weitgehenden Verringerung mehrfacher
Staatsangehrigkeit sieht das bereinkommen vor, dass bei Erwerb einer neuen
Staatsangehrigkeit die bisherige Staatsangehrigkeit verloren gehen soll
(Verpflichtung zur Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit).12
Im Einzelnen wird normiert, dass volljhrige Staatsangehrige der Vertragsparteien,
die infolge einer ausdrcklichen Willenserklrung durch Einbrgerung, Abgabe einer
Erklrung oder Wiedererlangung die Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei
erwerben, ihre frhere Staatsangehrigkeit verlieren; die Beibehaltung ihrer frheren
Staatsangehrigkeit ist ihnen nicht zu bewilligen (Art 1 Abs 1 EmStA). Dasselbe
gilt fr minderjhrige Staatsangehrige der Vertragsparteien, wenn sie
ordnungsgem ermchtigt oder vertreten gewesen sind und sofern die
Rechtsvorschriften ihres Heimatstaates bei Erwerb der Staatsangehrigkeit einer
anderen Vertragspartei durch ausdrckliche Willenserklrung den mglichen Verlust
der Staatsangehrigkeit vorsehen (Art 1 Abs 2 EmStA). Minderjhrige, die im
8 BGBl 1976/145.
9 Vgl. Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft, Band I Historische Entwicklung und
vlkerrechtliche Grundlagen (1989), 167.
10 Vgl BGBl 1975/471; 1987/424.
11 GA vom 31. 10. 1966, Nr 272.
12 Vgl RV 1438 BlgNR 13. GP.
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8
Zeitpunkt und infolge der Einbrgerung, Abgabe einer Erklrung oder
Wiedererlangung der Staatsangehrigkeit ihrer Eltern von Gesetzes wegen die
Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, verlieren gleichfalls ihre
frhere Staatsangehrigkeit. Verliert nur der Vater oder nur die Mutter die frhere
Staatsangehrigkeit, so bestimmt sich nach den Rechtsvorschriften derjenigen
Vertragspartei, deren Staatsangehrigkeit der Minderjhrige besa, welchem
Elternteil er in seiner Rechtsstellung folgt; in letzterem Fall knnen die genannten
Gesetze vorsehen, dass der Verlust der Staatsangehrigkeit von der vorherigen
Zustimmung des anderen Elternteils oder des gesetzlichen Vertreters zum Erwerb der
neuen Staatsangehrigkeit abhngig gemacht wird. Diejenige Vertragspartei, deren
Staatsangehrigkeit der Minderjhrige besa, kann besondere Bedingungen festlegen,
unter denen der Minderjhrige nach Erreichung der Volljhrigkeit diese
Staatsangehrigkeit auf Grund einer ausdrcklichen Willenserklrung
wiedererwerben kann (Art 1 Abs 3 EmStA).13
Sowohl sterreich als auch Italien haben zur Verpflichtung der Vermeidung
mehrfacher Staatsangehrigkeit in Art 1 EmStA einen Vorbehalt angebracht (Art 8
Abs 1 iVm Anlage EmStA). Whrend sterreich sich lediglich gem Pkt 3 der
Anlage das Recht vorbehalten hat, einem seiner Staatsangehrigen zu bewilligen,
seine bisherige Staatsangehrigkeit beizubehalten, wenn die Vertragspartei, deren
Staatsangehrigkeit er gem Art 1 EmStA zu erwerben beantragt, dem vorher
zugestimmt hat,14 machte Italien vom Vorbehaltsregime der Anlage zum
bereinkommen umfassend Gebrauch. Es behielt es sich unter anderem das Recht
vor, den in Art 1 EmStA vorgesehenen Verlust der Staatsangehrigkeit von der
Voraussetzung abhngig zu machen, dass die betreffende Person ihren ordentlichen
Wohnsitz gewhnlich auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes hat oder dort zu
irgendeinem Zeitpunkt ihren ordentlichen Wohnsitz begrndet, es sei denn, dass im
Falle des Erwerbs einer fremden Staatsangehrigkeit kraft ausdrcklicher
13 Siehe dazu ausfhrlich Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 191.
14 Vgl Erklrung der Republik sterreich betreffend den in Pkt 3 der Anlage zum bereinkommen
vorgesehenen Vorbehalt, BGBl 1975/471.
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9
Willenserklrung die betreffende Person durch die zustndige Behrde von der
Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im Ausland befreit wird.15
Art 2 EmStA verpflichtet die Vertragsparteien, einem Mehrstaater die Mglichkeit
einzurumen, auf die Staatsangehrigkeit zu verzichten. Die Bewilligung dieses
Verzichts darf nicht verwehrt werden, wenn der betreffende Mehrstaater seit ber
zehn Jahren seinen ordentlichen Wohnsitz auerhalb des Hoheitsgebietes der
Vertragspartei hat, auf deren Staatsangehrigkeit er verzichten mchte, und im
Zeitpunkt der Antragstellung in jenem Vertragsstaat wohnt, dessen
Staatsangehrigkeit er behalten will. Gem Art 3 EmStA ist die Erhebung von
besonderen Gebhren oder Abgaben anlsslich des Verzichts auf die
Staatsangehrigkeit verboten.
Art 4 EmStA enthlt eine salvatorische Klausel zugunsten innerstaatlicher
Rechtsvorschriften oder anderer vlkerrechtlicher bereinkommen, die geeignet sind,
die Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit in strkerem Mae zu verringern.
b) Militrdienstpflicht
Wer die Staatsangehrigkeit von zwei oder mehreren Vertragsparteien besitzt, braucht
seine Militrdienstpflicht nur gegenber einer dieser Vertragsparteien zu erfllen
(Grundsatz der einmaligen Militrdienstpflicht) (Art 5 Abs 1 EmStA). Dabei ist
der Betreffende grundstzlich zur Leistung des Militrdienstes gegenber derjenigen
Vertragspartei verpflichtet, in deren Hoheitsgebiet er seinen ordentlichen Wohnsitz
hat. Bis zum Alter von 19 Jahren steht es ihm jedoch frei, seine Militrdienstpflicht
bei jeder anderen Vertragspartei zu erfllen, deren Staatsangehrigkeit er ebenfalls
besitzt, indem er als Freiwilliger einen Militrdienst von mindestens der gleichen
tatschlichen Gesamtdauer ableistet, wie sie fr den aktiven Militrdienst der
erstgenannten Vertragspartei vorgesehen ist (Art 6 Abs 1 EmStA). Wer seinen
ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, deren
Staatsangehrigkeit er nicht besitzt, oder im Hoheitsgebiet eines Nichtvertragsstaates
15 Vgl Erklrung Italiens abgegeben gem Art 8 des bereinkommens, BGBl 1975/471, idF BGBl
1987/424.
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10
hat, kann whlen, bei welcher Vertragspartei, deren Staatsangehrigkeit er besitzt, er
seinen Militrdienst ableisten will (Art 6 Abs 2 EmStA).
Hat ein Mehrstaater seine Militrdienstplicht nach Art 6 Abs 1 oder Abs 2 EmStA
gegenber einer Vertragspartei im Einklang mit deren Rechtsvorschriften erfllt, so
gilt die Militrdienstpflicht auch gegenber der oder den Vertragsparteien als erfllt,
deren Staatsangehrigkeit der Mehrstaater ebenfalls besitzt (Art 6 Abs 3 EmStA).
Diese Befreiungsregel ist unmittelbar anwendbar.16
Abgerundet wird die Militrdienstpflichtregelung durch die Vorgabe, dass ihre
Anwendung nicht die Staatsangehrigkeit der betroffenen Personen berhrt (Art 6
Abs 6 EmStA). Diese Unberhrtheitsklausel bedeutet, dass ein Staatsangehriger
eines Vertragsstaates, der freiwillig in den Militrdienst eines anderen
Vertragsstaates, dessen Staatsangehrigkeit er ebenfalls besitzt, eintritt, nicht erstere
Staatsangehrigkeit verlieren darf.17
Das gegenstndliche Regelungsregime bezieht sich nach seinem Wortlaut zwar nur
auf die Militrdienstpflicht und nimmt nicht Bezug auf eventuelle Ersatzdienste, wie
etwa den Zivildienst nach sterreichischem Recht. Dennoch ist davon auszugehen,
dass die Ableistung eines solchen Ersatzdienstes der Ableistung eines Militrdienstes
gleichzuhalten ist, wenn damit die militrischen Verpflichtungen gegenber dem
betroffenen Staat erfllt sind. Dies resultiert primr daraus, dass im authentischen
englischen und franzsischen Text nur von militrischen Verpflichtungen und
deren Erfllung die Rede ist, nicht aber von der Ableistung eines militrischen
Dienstes (Militrdienstpflicht).18
Vom gegenstndlichen Regelungsregime nicht erfasst sind hingegen jene
Fallkonstellationen, in denen die Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der
betreffende Mehrstaater seinen ordentlichen Wohnsitz hat, berhaupt keine
16 So auch Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 169.
17 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 168.
18 So mit umfassender Begrndung Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 169.
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11
Wehrpflicht vorsieht. Dies trifft beispielsweise auf Italien zu, das die
Wehrdienstpflicht mit 1. Juli 2005 ausgesetzt hat.19
Schlielich gilt das gegenstndliche Regelungsregime nur vorbehaltlich von
Sonderabkommen zwischen den beteiligten Vertragsparteien (Art 5 Abs 2 und Art 6
Abs 1 Satz 1 EmStA). Ein derartiges Sonderabkommen wre das Protokoll ber
militrische Pflichten in gewissen Fllen doppelter Staatsangehrigkeit (1930).20
Dieses bestimmt in seinem Art 1 Abs 1, dass Doppelstaater, wenn sie im Gebiet eines
Heimatstaates ihren gewhnlichen Aufenthalt haben und mit diesem tatschlich am
meisten verbunden sind, in allen anderen Heimatstaaten von allen militrischen
Pflichten befreit sind. Diese unmittelbar anwendbare Bestimmung schliet die
Wehrpflicht in einem Heimatstaat dann aus, wenn der betroffene Doppelstaater in
einem anderen Heimatstaat seinen Wohnsitz und die faktisch engste Beziehung hat.
Ob er dort seine Wehrpflicht erfllt hat, ist nicht von Relevanz. Andererseits ist ein
Doppelstaater, der in keinem seiner Heimatstaaten diese Voraussetzungen erfllt,
davon nicht erfasst und kann somit von jedem dieser Staaten zum Militrdienst
herangezogen werden.21 Das gegenstndliche Sonderabkommen gilt allerdings nur fr
sterreich; fr diesen Staat ist es am 26. Oktober 1958 in Kraft getreten. Italien ist
hingegen nicht (mehr) Vertragspartei dieses Protokolls.22
19 Gesetz vom 23. 8. 2004, Nr 226, GA vom 31. 8. 2004, Nr 204; aufgehoben durch Art 2268 Abs 1
Legislativdekret vom 15. 3. 2010, Nr 66.
20 BGBl 1958/214.
21 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft I, 165.
22 Vgl RIS
http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR11005
336&ResultFunctionToken=e9278156-3314-468a-add7-
78c5353a5496&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArt
ikel=&VonParagraf=&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=
&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=04.01.2011&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=10
0&Suchworte=Protokoll+Staatsangeh%c3%b6rigkeit (abgerufen am 4. 1. 2011).
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c) Geltungsdauer und Kndigung des bereinkommens
Das bereinkommen ber die Verminderung der Flle mehrfacher
Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher
Staatsangehrigkeit gilt auf unbestimmte Zeit (Art 12 Abs 1 EmStA).
Jede Vertragspartei kann das bereinkommen jedoch durch eine an den
Generalsekretr des Europarates gerichtete Notifikation kndigen (Art 12 Abs 2
EmStA). Die Kndigung wird ein Jahr nach dem Eingang dieser Notifikation beim
Generalsekretr wirksam (Art 12 Abs 3 EmStA).
Die Kndigung muss nach einer Auslegungsvereinbarung vom 2. April 2007 nicht
das gesamte bereinkommen zum Gegenstand haben, sondern kann auch auf Kapitel
I EStA beschrnkt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland, die mit 18. Dezember 1969 Vertragspartei
geworden war, hat das gegenstndliche bereinkommen am 20. Dezember 2001
gekndigt. Diese Kndigung wurde mit 21. Dezember 2002 wirksam.23
2. Europisches bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (1997) EStA
Das Europische bereinkommen ber Staatsangehrigkeit (EStA) soll mglichst
alle Aspekte der Staatsangehrigkeit regeln und in einem einzigen Dokument
zusammenfassen. Dem folgend werden darin alle wichtigen Aspekte der
Staatsangehrigkeit angesprochen: Grundstze, Erwerb, Beibehaltung, Verlust,
Wiedererwerb, Verfahrensrechte, mehrfache Staatsangehrigkeit, Staatsangehrigkeit
im Zusammenhang mit Staatennachfolge, Wehrpflicht und Zusammenarbeit zwischen
den Staaten.24 In der Frage der Mehrstaatigkeit basiert das bereinkommen in
Anbetracht der unterschiedlichen Haltung der Staaten auf der Erkenntnis, dass es
jedem Staat freisteht, zu entscheiden, welche Folgen er in seinem innerstaatlichen
Recht an die Tatsache knpft, dass ein Staatsangehriger eine andere
23 Vgl Von Mnch, Die deutsche Staatsangehrigkeit. Vergangenheit Gegenwart Zukunft (2007),
164.
24 Vgl EB RV 1089 BlgNR, 20. GP.
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13
Staatsangehrigkeit erwirbt oder besitzt (Erwgr 7 EStA). Damit weicht es in
diesem Punkt wesentlich vom Europischen bereinkommen ber die Verminderung
der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen
mehrfacher Staatsangehrigkeit ab. Diese neue Ausrichtung ist primr darauf
zurckzufhren, dass der in den Jahrzehnten zuvor gefhrte Kampf gegen die
Mehrfachstaatsangehrigkeit einerseits nicht mit Erfolg gefhrt werden konnte und
andererseits nicht mehr zeitgem scheint.25 So hatte beispielsweise innerhalb der
EU-Mitgliedstaaten ein Umdenkprozess eingesetzt, der dazu fhrte, dass inzwischen
die Mehrheit dieser Mitgliedstaaten Mehrfachbrgerschaften zulsst.26
Das gegenstndliche bereinkommen wurde sowohl von sterreich als auch von
Italien am 6. November 1997 unterzeichnet. Bislang hat es allerdings nur sterreich
ratifiziert; fr sterreich ist das bereinkommen am 1. Mrz 2000 in Kraft getreten.
a) Grundstze
Das gegenstndliche bereinkommen beinhaltet Grundstze und Vorschriften, die die
Staatsangehrigkeit natrlicher Personen betreffen, und Vorschriften zur Regelung
der Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit, nach denen sich das
innerstaatliche Recht richten soll (Art 1 EStA).
Fr die Zwecke dieses bereinkommens bedeutet Staatsangehrigkeit das
rechtliche Band zwischen einer Person und einem Staat und weist nicht auf die
Volkszugehrigkeit einer Person hin (Art 2 lit a EStA). Unter mehrfacher
Staatsangehrigkeit ist der gleichzeitige Besitz zweier oder mehrerer
Staatsangehrigkeiten durch eine Person zu verstehen (Art 2 lit b EStA).
Einem Grundsatz des Vlkerrechts folgend sieht Art 3 Abs 1 EStA vor, dass jeder
Staat nach eigenem Recht bestimmt, wer seine Staatsangehrigen sind. Dieses
Recht ist von den anderen Staaten anzuerkennen, soweit es mit anwendbaren
25 Vgl Valchars, Defizitre Demokratie. Staatsbrgerschaft und Wahlrecht im Einwanderungsland
sterreich (2006), 34.
26 Vgl Wiederin, Staatsbrgerschaftsrecht in Europa: Elemente und Entwicklungen, ZR 2009, 421
(429).
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14
internationalen bereinkommen, vlkerrechtlichem Gewohnheitsrecht und den in
Bezug auf die Staatsangehrigkeit allgemein anerkannten Rechtsgrundstzen in
Einklang steht (Art 3 Abs 2 EStA).
b) Mehrfache Staatsangehrigkeit
Kapitel V EStA beinhaltet mehrere Bestimmungen zur mehrfachen
Staatsangehrigkeit.
Art 14 EStA regelt Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit kraft Gesetzes.
Demnach gestattet ein Vertragsstaat a) Kindern, die bei der Geburt automatisch
unterschiedliche Staatsangehrigkeiten erworben haben, die Beibehaltung dieser
Staatsangehrigkeiten sowie b) seinen Staatsangehrigen den Besitz einer weiteren
Staatsangehrigkeit, wenn die weitere Staatsangehrigkeit durch Eheschlieung
automatisch erworben wird. Die Beibehaltung der Staatsangehrigkeiten in diesen
beiden Fllen (Erwerb ex lege) steht dem Verlust der Staatsangehrigkeit bei
willentlichem Austritt aus dem Treueband (Art 7 EStA), zB bei freiwilligem Erwerb
einer anderen Staatsangehrigkeit, nicht entgegen.
Art 15 EStA beinhaltet andere mgliche Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit.
Er sieht vor, dass die Bestimmungen dieses bereinkommens nicht das Recht eines
Vertragsstaates beschrnken, in seinem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, ob a)
seine Staatsangehrigen, die die Staatsangehrigkeit eines anderen Staates erwerben
oder besitzen, seine Staatsangehrigkeit behalten oder verlieren, sowie b) der Erwerb
oder die Beibehaltung seiner Staatsangehrigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust
einer anderen Staatsangehrigkeit abhngt.
Dem folgend schrnkt das gegenstndliche bereinkommen wertneutral das
Recht der Vertragsstaaten, Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit zuzulassen, nicht ein.
Diese Mglichkeit kann allerdings durch anders lautende vlkerrechtliche
Verpflichtungen beschrnkt sein, wie sie zB im Europischen bereinkommen ber
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15
die Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die
Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit normiert sind.27
Art 16 EStA sieht unter dem Titel Beibehaltung der bisherigen
Staatsangehrigkeit vor, dass ein Vertragsstaat den Erwerb oder die Beibehaltung
seiner Staatsangehrigkeit nicht von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen
Staatsangehrigkeit abhngig machen darf, wenn die Aufgabe oder der Verlust
unmglich oder unzumutbar ist.
Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass eine Person nicht am Erwerb
oder Besitz einer Staatsangehrigkeit gehindert wird, weil es unmglich oder
schwierig ist, eine andere Staatsangehrigkeit zu verlieren. Ob unzumutbare faktische
oder rechtliche Anforderungen bestehen, ist in jedem Einzelfall von den
innerstaatlichen Behrden des Vertragsstaates zu beurteilen, dessen
Staatsangehrigkeit die Person erwerben mchte.28
Art 17 EStA schlielich regelt Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit
mehrfacher Staatsangehrigkeit. Als Grundregel gilt, dass die Staatsangehrigen eines
Vertragsstaates, die eine weitere Staatsangehrigkeit besitzen, in dem Hoheitsgebiet
des Vertragsstaates, in dem sie ansssig sind, dieselben Rechte und Pflichten wie
andere Staatsangehrige dieses Vertragsstaates haben (Art 17 Abs 1 EStA).
Die Regelungen des bereinkommens ber mehrfache Staatsangehrigkeit lassen
unter anderem die vlkerrechtlichen Vorschriften ber den diplomatischen oder
konsularischen Schutz durch einen Vertragsstaat fr einen seiner Staatsangehrigen,
der gleichzeitig eine weitere Staatsangehrigkeit besitzt, unberhrt (Art 17 Abs 2 lit a
EStA).
c) Militrdienstpflicht
Kapitel VII EStA regelt die Erfllung der Militrdienstpflicht in Fllen
mehrfacher Staatsangehrigkeit. Dabei wurden die einschlgigen Bestimmungen des
27 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.a).
28 Vgl EB RV 1089 BlgNR, 20 GP.
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Europischen bereinkommens ber die Verminderung der Flle mehrfacher
Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher
Staatsangehrigkeit29 im Wesentlichen bernommen (Art 21 EStA). Gleichzeitig
wurden sie um die Bestimmungen ber den Zivilersatzdienst und die Ausnahme von
der Militrdienstpflicht ergnzt (Art 22 EStA). Letztere Bestimmung sieht vor, dass
bei Personen, die von der Militrdienstpflicht ausgenommen wurden oder die
gegenber einem Vertragsstaat ersatzweise Zivildienst geleistet haben, davon
ausgegangen wird, dass sie ihre Militrdienstpflicht auch gegenber dem anderen
Vertragsstaat erfllt haben, dessen Staatsangehrigkeit sie ebenfalls besitzen.
Auerdem ist vorgesehen, dass bei Personen, die ihren gewhnlichen Aufenthalt in
einem Vertragsstaat haben, dessen Staatsangehrigkeit sie besitzen, und der keine
Militrdienstpflicht vorsieht, davon ausgegangen wird, dass sie diese auch
gegenber dem anderen Vertragsstaat erfllt haben, dessen Staatsangehrigkeit sie
ebenfalls besitzen und der eine Militrdienstpflicht auferlegt. Diese Befreiungsregel
bei Fehlen einer Militrdienstpflicht im Vertragsstaat des gewhnlichen Aufenthalts
gilt gegenber einem anderen Vertragsstaat, dessen Staatsangehrigkeit die
betreffende Person ebenfalls besitzt, jedoch nur dann, wenn der gewhnliche
Aufenthalt bis zu einem bestimmten Alter aufrechterhalten wurde, das jeder
betroffene Vertragsstaat bei der Unterzeichnung oder der Ratifikation notifiziert.
sterreich hat dieses Alter in einer Erklrung zu Art 22 lit b EStA mit der
Vollendung des 35. Lebensjahres festgelegt.30
d) Verhltnis zum bereinkommen von 1963
Gem Art 26 Abs 2 lit a EStA hat dieses bereinkommen keinen Einfluss auf die
Anwendung des bereinkommens aus dem Jahre 1963 ber die Verminderung der
Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen
mehrfacher Staatsangehrigkeit und seiner Protokolle. Daraus resultiert zunchst,
dass das sptere bereinkommen das frhere bereinkommen auch zwischen
29 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.b).
30 BGBl III 2000/39.
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denselben Vertragsparteien nicht ersetzt. Des Weiteren folgt daraus, dass im Falle
einer Kollision zwischen beiden bereinkommen nicht das sptere bereinkommen
dem frheren bereinkommen derogiert, sondern das frhere bereinkommen
unberhrt bleibt und weiter anzuwenden ist.
Andere verbindliche vlkerrechtliche Instrumente sind im Verhltnis zwischen den
Vertragsstaaten dieser Instrumente hingegen nur noch insoweit anwendbar, als sie mit
diesem bereinkommen vereinbar sind (Art 26 Abs 2 lit b EStA).
Art 26 Abs 1 EStA beinhaltet als allgemeinen Grundsatz ein Gnstigkeitsprinzip.
Demnach stehen die Bestimmungen dieses bereinkommens Bestimmungen des
innerstaatlichen Rechts und verbindlichen Vlkerrechtsinstrumenten nicht entgegen,
die bereits in Kraft sind oder mglicherweise in Kraft treten und den Personen im
Bereich der Staatsangehrigkeit gnstigere Rechte gewhren oder gewhren wrden.
3. Staatsvertrag von Saint-Germain (1919) StV St-Germain
Mit dem Staatsvertrag von Saint-Germain (1919),31 unterzeichnet zwischen den
alliierten und assoziierten Mchten einerseits und Deutsch-sterreich andererseits am
10. September 1919, wurde Sdtirol von sterreich abgetrennt und Italien
zugesprochen (Art 27 StV St-Germain).32 Mit der Grenzverschiebung und dem damit
verbundenen Gebietsbergang wurde gleichzeitig auch die Staatsbrgerschaft der
davon betroffenen Personen geregelt. Art 70 StV St-Germain sieht diesbezglich vor,
dass alle Personen, die das Heimatrecht (pertinenza) in einem Gebiete besitzen, das
frher zu den Gebieten der ehemaligen sterreichisch-ungarischen Monarchie
gehrte, ohne weiteres und unter Ausschlu der sterreichischen
Staatsangehrigkeit die Staatsangehrigkeit desjenigen Staates, der auf dem
genannten Gebiete die Souvernitt ausbt, (erwerben) (automatischer Erwerb der
neuen Staatsangehrigkeit). Abweichend von dieser Regel konnten Personen ber
31 StGBl 1920/303.
32 Vgl zB Hummer, Der internationale Status sterreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer
(Hrsg), sterreichisches Handbuch des Vlkerrechts4 (2004), Rz 3033.
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18 Jahren fr die Zugehrigkeit zu dem Staat optieren, in dem sie heimatberechtigt
waren, bevor sie das Heimatrecht in dem bertragenen Gebiet erworben hatten.
Dieses Optionsrecht bestand fr den Zeitraum eines Jahres ab Inkrafttreten des
Staatsvertrages und war mit der Verpflichtung verbunden, in den folgenden zwlf
Monaten den Wohnsitz in den Staat zu verlegen, fr den optiert wurde (Art 78 StV
St-Germain). Zustzlich wurde sterreich verpflichtet, die neue Staatsangehrigkeit
anzuerkennen und die neuen Staatsangehrigen der alliierten und assoziierten
Mchte von jeder Pflicht gegenber ihrem ursprnglichen Heimatstaate zu
entbinden (Art 230 StV St-Germain).
Die gegenstndlichen Bestimmungen sind sowohl nach ihrem Wortlaut als auch in
ihrem Kontext auf den Gebietsbergang von der sterreichisch-ungarischen
Monarchie auf alliierte und assoziierte Mchte, vorliegend Italien, bezogen. Dem
folgend wurden sie mit ihrer Erfllung inhaltlich obsolet.
Fr die Zeit danach normiert Art 70 StV St-Germain kein Verbot der
Doppelstaatsbrgerschaft im Verhltnis zwischen sterreich und Italien. Ebenso
kann aus Art 230 StV St-Germain nicht abgeleitet werden, dass allfllige
Doppelstaatsbrger Italiens und sterreichs in sterreich von jeder Pflicht zu
entbinden sind.
4. Pariser Vertrag (1946) PV
Der Pariser Vertrag vom 5. September 1946 (GruberDe Gasperi-Abkommen,
PV)33 gewhrt den deutschsprachigen Bewohnern der Provinz Bozen und der
benachbarten zweisprachigen Gemeinden der Provinz Trient eine
Territorialautonomie. Auf die Staatsbrgerschaft wird nur in zwei Bestimmungen
Bezug genommen. Erstens bestimmt Pkt 1 Abs 2 PV, dass den Staatsbrgern
deutscher Sprache besondere Manahmen zu gewhren sind, nmlich (a) Volks- und
Mittelschulunterricht in ihrer Muttersprache, (b) Gleichberechtigung der deutschen
und der italienischen Sprache in ffentlichen mtern und amtlichen Urkunden wie
33 Abgedruckt ua in Autonome Provinz Bozen-Sdtirol (Hrsg), Das neue Autonomiestatut (2003), 9.
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auch in der zweisprachigen Ortsnamengebung, (c) Recht auf Wiedererwerb der
deutschen Familiennamen und (d) Gleichberechtigung beim Zugang zu ffentlichen
mtern. Zweitens sieht Pkt 3 Ziff a PV vor, dass Italien im Geiste der Billigkeit und
Weitherzigkeit die Frage der Staatsbrgerschaftsoptionen innerhalb eines Jahres ab
Unterzeichnung des Vertrages neu zu regeln hat.
Whrend in Pkt 1 Ziff 2 PV der Verweis auf die Staatsbrger nur dazu dient, die
Begnstigten zu definieren, kann aus der in Pkt 3 Ziff a PV enthaltenen Verpflichtung
Italiens, die Frage der Staatsbrgerschaftsoption im Geiste der Billigkeit und
Weitherzigkeit zu regeln, implizit abgeleitet werden, dass Italien allen in Sdtirol
lebenden deutschsprachigen Bewohnern den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft
ermglichen soll. Eine eindeutige Verpflichtung resultiert daraus aber nicht. Dem
folgend knnte sich ein Sdtiroler, dem Italien wegen des Erwerbs einer
auslndischen Staatsangehrigkeit die italienische Staatsbrgerschaft entzieht, sich
nicht unter Berufung auf den Pariser Vertrag mit Erfolg dagegen wehren.
Andererseits verbietet der Pariser Vertrag aber auch nicht, dass die in Sdtirol
lebenden italienischen Staatsbrger deutscher und ladinischer Muttersprache die
Staatsbrgerschaft eines anderen Staates, konkret die der Schutzmacht sterreich,
erwerben.
III. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen
Das Staatsbrgerschaftsrecht fllt beim derzeitigem Stand des Unionsrechts34 in die
(ausschlieliche) Zustndigkeit der Mitglie
dstaaten.35 Dies gilt auch dann, wenn diese die Staatsangehrigkeit fr die Zwecke
des Unionsrechts festlegen. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts sind ihnen
jedoch unionsrechtliche Grenzen gesetzt.
34 Zum Unionsrecht nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon vgl zB Obwexer, Die
Rechtsstellung Einzelner in der Union nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, JZ 2010, 101
(103).
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1. Staatsbrgerschaftsrecht als Zustndigkeit der Mitgliedstaaten
Bereits vor dem Inkrafttreten des EU-Vertrages (1992) hatten einzelne
Mitgliedstaaten wiederholt fr sich die Befugnis in Anspruch genommen, den Kreis
der eigenen Staatsangehrigen auch fr die Zwecke des (damaligen)
Gemeinschaftsrechts zu definieren.36
So hat etwa die Bundesrepublik Deutschland bei der Unterzeichnung der Rmer
Vertrge am 25. Mrz 1957 eine eigene Erklrung37 abgegeben, wonach als
Staatsangehrige der Bundesrepublik Deutschland alle Deutschen im Sinne des
Grundgesetzes gelten. Damit wurde auf Art 116 GG Bezug genommen, der neben
den deutschen Staatsangehrigen unter bestimmten Voraussetzungen auch die
Flchtlinge und Vertriebenen deutscher Volkszugehrigkeit aber fremder
Staatsangehrigkeit erfasst.38
Im Gegensatz dazu hat das Vereinigte Knigreich den Kreis der britischen
Staatsangehrigen fr die Zwecke des Gemeinschaftsrechts anders definiert als fr
das innerstaatliche Recht und den vlkerrechtlichen Verkehr. Entsprechend der der
Schlussakte des Beitrittsvertrages vom 12. Jnner 1972 beigefgten39 und 1982
erneuerten Erklrung40 gelten als Staatsangehrige des Vereinigten Knigreiches
Grobritannien und Nordirland (a) britische Brger, (b) Personen, die britische
Untertanen sind und im Vereinigten Knigreich das Aufenthaltsrecht besitzen, sowie
35 Vgl zuletzt EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht,
Rdnr 39.
36 Vgl Schnberger, Unionsbrger. Europas fderales Brgerrecht in vergleichender Sicht (2005),
276, mwN.
37 dBGBl 1957 II, 764.
38 Vgl zB Schulz, Freizgigkeit fr Unionsbrger (1996), 72.
39 ABl 1972 L 73, 196.
40 ABl 1983 L 23, 1. Diese Erklrung trat am 1. 1. 1983 an die Stelle der Erklrung von 1972.
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(c) Brger der British Dependent Territories, die ihre Staatsangehrigkeit aufgrund
einer Verbindung mit Gibraltar erwerben.41
Diese unwidersprochen gebliebene Praxis wurde in der Erklrung zur
Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaats in der Schlussakte des EU-Vertrages42
ausdrcklich anerkannt.43 Demnach wird bei Bezugnahmen des Vertrags zur
Grndung der Europischen Gemeinschaft auf die Staatsangehrigen der
Mitgliedstaaten die Frage, welchem Mitgliedstaat eine Person angehrt, allein durch
Bezug auf das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats geregelt. Die
Mitgliedstaaten knnen zur Unterrichtung in einer Erklrung gegenber dem Vorsitz
angeben, wer fr die Zwecke der Gemeinschaft als ihr Staatsangehriger anzusehen
ist, und ihre Erklrung erforderlichenfalls ndern.44 Diese von der
Regierungskonferenz ber die Politische Union akkordierte und von beiden
Regierungskonferenzen angenommene Erklrung bildet zwar keinen
(integrierenden) Bestandteil der die EU begrndenden Vertrge, ist aber gem Art 31
Abs 2 lit a des Wiener bereinkommens ber das Recht der Vertrge vom 23. Mai
1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention, WVK)45 bei der Auslegung der
einschlgigen Vertragsbestimmungen, insbesondere zur Abgrenzung ihres
persnlichen Anwendungsbereiches, als Auslegungshilfe zu bercksichtigen.46 Nach
stndiger Rechtsprechung des EuGH sind ein- oder mehrseitige Erklrungen als eine
41 Vgl Sauerwald, Die Unionsbrgerschaft und das Staatsangehrigkeitsrecht in den Mitgliedstaaten
der Europischen Union (1996), 87.
42 ABl 1992 C 191, 98.
43 Vgl Antwort des Rates vom 7. 4. 1998 auf die Schriftliche Anfrage E-190/98 von Christiana
Muscardini (NI), ABl 1998 C 196, 120; Antwort der Kommission vom 23. 3. 1998 auf die
Schriftliche Anfrage E-198/98 von Kirsten Jensen (PSE), ABl 1998 C 223, 136.
44 Ende 1997 hatte noch kein Mitgliedstaat eine derartige Erklrung gegenber dem Vorsitz
abgegeben. Vgl Antwort des Rates vom 19. 1. 1998 auf die Schriftliche Anfrage E-3588/97 von
Brendan Donnelly (PPE), ABl 1998 C 158, 159.
45 BGBl 1980/40.
46 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 40.
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sich auf den Vertrag beziehende Urkunde zu dessen Auslegung (...) heranzuziehen.47
Demnach ist insbesondere der persnliche Geltungsbereich der unionsrechtlichen
Vorschriften fr das Vereinigte Knigreich entsprechend der Erklrung von 1972 bzw
der Erklrung von 1982 zu bestimmen.48 Ein- oder mehrseitige Erklrungen drfen
bei der Auslegung einer Bestimmung allerdings nicht bercksichtigt werden, wenn
ihr Inhalt (...) im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag gefunden hat und
ihm somit keine rechtliche Bedeutung zukommt.49
Die in der Erklrung zur Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaats vorgegebene
Auslegung der auf die Staatsangehrigkeit bezogenen Bestimmungen des EG-
Vertrages wurde im Rahmen der Tagung des Europischen Rates vom 11./12.
Dezember 1992 in Edinburgh50 unter ausdrcklicher Bezugnahme auf die
Unionsbrgerschaft besttigt. Gem Abschnitt A Satz 3 des Beschlusses der im
Europischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs zu bestimmten von
Dnemark aufgeworfenen Problemen betreffend den Vertrag ber die
Europische Union51 wird die Frage, ob eine Person die Staatsangehrigkeit eines
Mitgliedstaates besitzt, einzig und allein auf der Grundlage des innerstaatlichen
Rechts des betreffenden Mitgliedstaats geregelt.52 Dabei handelt es sich nicht um
eine Sonderregelung fr Dnemark, sondern lediglich um eine (zustzliche)
Klarstellung der bestehenden Rechtslage.53
47 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 24.
48 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 23 f.
49 EuGH, Rs C-233/97, KappAhl, Slg 1998, I-8069, Rdnr 23.
50 Europischer Rat von Edinburgh vom 11./12. 12. 1992, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage
1, in Rat der Europischen Gemeinschaften (Hrsg), Europischer Rat von Edinburgh (1992), 49.
51 ABl 1992 C 348, 1.
52 Vgl Schuster, Der Sonderstatus Dnemarks im Vertrag ber die Europische Union, EuZW 1993,
177.
53 Vgl Hilf in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europischen Union. Kommentar (Loseblattausgabe), Art
17 EGV Rz 42.
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2. Unionsrechtliche Grenzen fr den Erwerb und den Verlust der
Staatsangehrigkeit
Die Zustndigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung ihres Staatsbrgerschaftsrechts
garantiert diesen jedoch nicht vllige Ermessensfreiheit. Nach stndiger
Rechtsprechung des EuGH sind die Mitgliedstaaten nmlich auch in den Bereichen
ihrer (ausschlielichen) Zustndigkeit verpflichtet, das Unionsrecht zu beachten.54
So drfen sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts keine Rechtsvorschriften
erlassen, die zu einer Diskriminierung von Personen fhren, denen das Unionsrecht
einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, oder die die vom Unionsrecht
garantierten Grundfreiheiten beschrnken.55
Diese Rechtsprechung wurde vom EuGH Anfang Juli 1992 auch fr den Bereich des
Staatsangehrigkeitsrechts besttigt. In seinem Urteil im Fall Micheletti56 fhrte der
Gerichtshof aus, dass die Festlegung der Voraussetzungen fr den Erwerb und den
Verlust der Staatsangehrigkeit nach dem internationalen Recht der Zustndigkeit der
einzelnen Mitgliedstaaten (unterliegt). Gleichzeitig fgte er in Weiterentwicklung
seiner bisherigen Rechtsprechung57 einschrnkend hinzu, da von dieser
Zustndigkeit unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Gebrauch zu machen (ist).58
54 Vgl zum Staatsangehrigkeitsrecht GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08,
Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9. 2009, noch nicht in der Slg verffentlicht (Rdnr 20 u 28).
55 Vgl zB EuGH, Rs 186/87, Cowan, Slg 1989, 195, Rdnr 19; verb Rs C-6/90 u C-9/90, Francovich
ua, Slg 1991, I-5357, Rdnr 42; Rs C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg 1996, I-4661, Rdnr
12; Rs C-58/98, Corsten, Slg 2000, I-7919, Rdnr 31; Rs C-108/96, Mac Quen ua, Slg 2001, I-837,
Rdnr 24; Rs C-294/00, Grbner, Slg 2002, I-6515, Rdnr 26.
56 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239.
57 Vgl Greenwood, Nationality and Free Movement, 188.
58 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 10. Vgl de Groot, Auf dem Weg zu einer
europischen Staatsangehrigkeit, in Coen/Hlscheidt/Pieper (Hrsg), FS Bleckmann (1993), 87
(100); Sauerwald, Unionsbrgerschaft und Staatsangehrigkeitsrecht, 97; Schulz, Freizgigkeit und
Unionsbrgerschaft, 72; Zimmermann, Europisches Gemeinschaftsrecht und
Staatsangehrigkeitsrecht der Mitgliedstaaten unter besonderer Bercksichtigung des Problems
mehrfacher Staatsangehrigkeit, EuR 1995, 54 (59).
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Diese Rechtsprechung wurde in der Folge mehrfach besttigt59 und ab dem 1.
Dezember 2009 im Unionsrecht weiter gefhrt.60 Demzufolge wre eine nationale
Regelung, wonach ein in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafter Unionsbrger die
Staatsangehrigkeit seines Heimatstaates nur deshalb verliert, weil er nicht in seinem
Heimatstaat wohnt, unionsrechtlich unzulssig. Unionsrechtswidrig wre auch eine
Regelung, die den in einem anderen Mitgliedstaat geborenen Kindern die
Staatsangehrigkeit ihrer Eltern nur aus diesem Grund vorenthlt. In beiden Fllen
wrden nmlich abhngig vom Sachverhalt des Ausgangsverfahrens entweder die
vom Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten beeintrchtigt61 oder das Recht auf
Freizgigkeit in unzulssiger Weise beschrnkt.62
Weiters stellte der Gerichtshof fest, dass es nicht Sache der Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaates ist, die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehrigkeit eines
anderen Mitgliedstaats dadurch zu beschrnken, da eine zustzliche Voraussetzung
fr die Anerkennung dieser Staatsangehrigkeit im Hinblick auf die Ausbung der im
Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten verlangt wird.63 Demzufolge drfen die
Mitgliedstaaten dann, wenn der Staatsangehrige eines Mitgliedstaates gleichzeitig
die Staatsangehrigkeit eines Drittstaates besitzt, die Anerkennung der Eigenschaft
als Unionsbrger nicht von einer weiteren Voraussetzung wie dem gewhnlichen
Aufenthalt des Betroffenen im Hoheitsgebiet des ersten Staates abhngig machen.64
Mit dieser Auslegung des Art 52 E(W)GV (spter Art 43 EGV, nunmehr Art 49
AEUV), die analog fr alle Bestimmungen des Unionsrechts gilt, die auf die
59 EuGH, Rs C-192/99, Kaur, Slg 2001, I-1237, Rdnr 19; Rs C-200/02, Zhu und Chen, Slg 2004, I-
9925, Rdnr 37.
60 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 45.
61 Vgl Schulz, Freizgigkeit und Unionsbrgerschaft, 74.
62 Vgl Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit. Das Recht der Unionsbrger, sich frei zu bewegen und
aufzuhalten, als fnfte Grundfreiheit (2009), 99.
63 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 10.
64 EuGH, Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4239, Rdnr 11.
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Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates verweisen,65 hat der Gerichtshof
klargestellt, dass der vom Internationalen Gerichtshof im Urteil Nottebohm66)
judizierte vlkerrechtliche Grundsatz der effektiven Staatsangehrigkeit67 im
Unionsrecht keine Anwendung findet. Fr die Ausbung der den Staatsangehrigen
der Mitgliedstaaten unionsrechtlich zustehenden Rechte ist demnach bei Vorliegen
der sonstigen Voraussetzungen nur erforderlich, dass die betreffende Person zu dem
Zeitpunkt, zu dem sie sich auf die Bestimmungen des Unionsrechts beruft, die
Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates besitzt.68 Der zu diesem Zeitpunkt
bestehende Wohnsitz ist irrelevant.69 Fr den Nachweis der Staatsangehrigkeit eines
Mitgliedstaates gengt die Vorlage eines gltigen Personalausweises oder
Reisepasses; in Ausnahmefllen knnen auch andere Dokumente als Beweismittel
vorgelegt werden.70 Bei Doppelstaatsbrgern kommt es folglich nicht darauf an, dass
die Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates aufgrund einer nheren tatschlichen
Beziehung als effektive Staatsangehrigkeit im Sinne des Nottebohm-Urteils des
Internationalen Gerichtshofes der Staatsangehrigkeit eines Drittstaates vorgeht. Fr
die Zwecke des Unionrechts ist dieser Vorrang nicht nur nicht erforderlich, sondern
sogar unzulssig, da fr die Inanspruchnahme des Unionsrechts keine zustzlichen
Anknpfungskriterien wie Wohnort oder Aufenthalt herangezogen werden drfen.71
Aus alledem folgt, dass jeder Mitgliedstaat die Verleihung der Staatsangehrigkeit
durch einen anderen Mitgliedstaat anerkennen muss.72 Ferner sind im
65 EuGH, Rs C-122/96, Saldanha und MTS, Slg 1997, I-5325, Rdnr 15; Rs C-148/02, Garcia Avello,
Slg 2003, I-11613, Rdnr 28 f.
66 IGH, Liechtenstein/Guatemala, Urteil vom 6. 4. 1955, ICJ Reports 1955, 15.
67 Vgl Pechstein/Koenig, Die Europische Union3 (2000), 171.
68 Vgl EuGH, Rs 136/78, Auer, Slg 1979, 437, Rdnr 28.
69 EuGH, Rs C-300/04, Eman und Sevinger, Slg 2006, I-8055, Rdnr 27.
70 EuGH, Rs C-376/89, Giagounidis, Slg 1991, I-1069, Rdnr 14 f; Rs C-459/99, MRAX, Slg 2002, I-
6591, Rdnr 58 u 61.
71 GA Giuseppe Tesauro, Schlussantrge in der Rs C-369/90, Micheletti, Slg 1992, I-4253, Rdnr 5.
72 Vgl Hilf in Grabitz/Hilf, Kommentar, Art 17 EGV Rz 47.
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Anwendungsbereich des Unionsrechts Staatsbrger, die die Staatsangehrigkeit eines
EU-Mitgliedstaates und eines Drittstaates besitzen (Doppelstaatsbrger), stets als
Unionsbrger zu behandeln. Dasselbe gilt fr Staatsbrger, die die
Staatsangehrigkeit zweier EU-Mitgliedstaaten besitzen (Doppelunionsbrger), von
denen eine die Staatsangehrigkeit des Aufenthaltsstaates ist.73 Nationale
Rechtsvorschriften, die dem entgegenstehen, sind nicht anwendbar.74
Noch nicht eindeutig geklrt ist hingegen, wo genau die Grenzen verlaufen, die das
Unionsrecht den Mitgliedstaaten bei der Regelung von Erwerb und Verlust ihrer
Staatsangehrigkeit und damit auch der Unionsbrgerschaft zieht. Im Jahre 2008
legte das BVerwG in Deutschland im Fall Rottmann dem EuGH diesbezglich die
Frage vor, ob Gemeinschaftsrecht dem Verlust der Unionsbrgerschaft und der mit
dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten entgegensteht, wenn eine nach
nationalem (deutschem) Recht an sich rechtmige Rcknahme einer durch arglistige
Tuschung erschlichenen Einbrgerung in den Staatsverband eines Mitgliedstaates
(Deutschland) dazu fhrt, dass im Zusammenwirken mit dem nationalen
Staatsangehrigkeitsrecht eines anderen Mitgliedstaates (sterreich) infolge des
Nichtwiederauflebens der ursprnglichen Staatsangehrigkeit (sterreich)
Staatenlosigkeit eintritt.75
In seinem Vorschlag zur Beantwortung dieser Frage fhrte der Generalanwalt unter
anderem aus, dass die Mitgliedstaaten die einschlgigen Grundstze des allgemeinen
Vlkerrechts und des Vlkergewohnheitsrechts als Bestandteil des Unionsrechts
sowie das primre Unionsrecht einschlielich der allgemeinen Rechtsgrundstze zu
beachten haben. Zu letzteren Vorgaben zhlte er den Grundsatz der Unionstreue in
Art 4 Abs 3 EUV, der etwa dann berhrt sein knnte, wenn ein Mitgliedstaat auf
massive Weise die Einbrgerung von Drittstaatsangehrigen betriebe, ohne zuvor die
73 EuGH, Rs C-148/02, Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rdnr 28; Rs 292/86, Gullung, Slg 1988,
11, Rdnr 12; Rs C-419/92, Scholz, Slg 1994, I-505, Rdnr 8 f.
74 Vgl Zimmermann, Gemeinschaftsrecht und Staatsangehrigkeitsrecht, 65.
75 Rs C-135/08, Rottmann. Vgl Obwexer, Diskriminierungsverbot und Unionsbrgerschaft, in
Eilmansberger/Herzig (Hrsg), Jahrbuch Europarecht 2009 (2009), 47 (77).
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Kommission oder die anderen Mitgliedstaaten zu konsultieren.76 Ebenso wre eine
staatliche Regelung, die den Verlust der Staatsangehrigkeit fr den Fall der
Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat vorshe, zweifellos ein
Versto gegen das jedem Unionsbrger nach Art 21 AEUV zustehende
Freizgigkeitsrecht.77 Daraus leitete der Generalanwalt ab, dass das Unionsrecht der
Rechtsfolge des Verlusts der Unionsbrgerschaft (und der mit dieser verbundenen
Rechte und Grundfreiheiten) nicht entgegensteht, der sich daraus ergibt, dass die
Rcknahme der Einbrgerung in den Staatsverband eines Mitgliedstaates dazu fhrt,
dass im Zusammenwirken mit dem nationalen Staatsangehrigkeitsrecht eines
anderen Mitgliedstaates infolge des Nichtwiederauflebens der ursprnglichen
Staatsangehrigkeit Staatenlosigkeit eintritt, wenn die Rcknahme der Einbrgerung
weder durch die Ausbung der aus dem Vertrag flieenden Rechte und Freiheiten
begrndet noch auf einen vom Gemeinschaftsrecht verbotenen Grund gesttzt ist.78
Begrndet wurde dieser Antwortvorschlag im Wesentlichen damit, dass Erwerb und
Verlust der Staatsangehrigkeit und damit auch der Unionsbrgerschaft zwar nicht als
solche vom Unionsrecht geregelt werden, doch die Voraussetzungen dafr mit den
Vorgaben des Unionsrechts vereinbar sein und die Rechte der Unionsbrger beachtet
werden mssen.79 Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Entzug der
Staatsangehrigkeit fr den Fall vollkommen unzulssig wre, dass er auch den
Verlust der Unionsbrgerschaft bedeutete. Diese Auslegung wrde nmlich den
Mitgliedstaaten die Zustndigkeit fr die Regelung des eigenen
Staatsangehrigkeitsrechts groteils entziehen und trfe deren Autonomie in diesem
76 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 30.
77 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 32.
78 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 35.
79 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 23.
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Bereich unter Missachtung von Art 20 Abs 1 AEUV im Kern.80 Dies zeige sich
insbesondere daran, dass die Beibehaltung der Unionsbrgerschaft es erlauben wrde,
die Beibehaltung der Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates zu fordern. Ein
solches Ergebnis wrde nicht nur Art 20 Abs 2 AEUV widersprechen, sondern auch
der Verpflichtung der Union aus Art 4 Abs 2 EUV zuwiderlaufen, die nationale
Identitt ihrer Mitgliedstaaten zu achten,81 die offenkundig zu einem wesentlichen
Teil durch die Zusammensetzung des nationalen Gemeinwesens bestimmt wird.82
Der EuGH stellte in seinem Urteil klar, dass die Entscheidung, eine Einbrgerung
wegen betrgerischer Handlungen zurckzunehmen, einem im Allgemeininteresse
liegenden Grund entspricht und mit dem geltenden Vlkerrecht Art 8 Abs 2
bereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (1961)83 und Art 7 Abs 2 und
Abs 3 EStA im Einklang steht. Dies gilt grundstzlich auch dann, wenn eine
solche Einbrgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehrigkeit
des Mitgliedstaates der Einbrgerung auch die Unionsbrgerschaft verliert. In jedem
Einzelfall muss allerdings geprft werden, ob die Rcknahmeentscheidung
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen
den Grundsatz der Verhltnismigkeit wahrt.84 Daher sind angesichts der
Bedeutung, die das Unionsrecht dem Unionsbrgerstatus beimisst, die mglichen
Folgen zu bercksichtigen, die die Rcknahmeentscheidung fr den Betroffenen und
gegebenenfalls fr seine Familienangehrigen in Bezug auf den Verlust der Rechte,
die jeder Unionsbrger geniet, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prfen, ob
dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhltnis zur Schwere des vom Betroffenen
begangenen Verstoes, zur Zeit, die zwischen der Einbrgerunsgsentscheidung und
80 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 24.
81 Vgl Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht. Das Recht der Europischen Union (2007), Rz 83.
82 GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom 30. 9.
2009, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 25.
83 BGBl 1974/538.
84 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 55.
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der Rcknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Mglichkeit fr den Betroffenen,
seine ursprngliche Staatsbrgerschaft wiederzuerlangen.85 Hinsichtlich des
letztgenannten Gesichtspunktes ist ein Mitgliedstaat nicht nach Art 20 Abs 1 AEUV
verpflichtet, von der Rcknahme der Einbrgerung allein deshalb abzusehen, weil der
Betroffene die Staatsangehrigkeit seines Herkunftslandes nicht wiedererlangt hat.
Der Grundsatz der Verhltnismigkeit verlangt allerdings, dass dem Betroffenen vor
Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung ber die Rcknahme der
Einbrgerung eine angemessene Frist eingerumt wird, damit er versuchen kann, die
Staatsangehrigkeit seines Herkunftsmitgliedstaates wiederzuerlangen.86
3. Wirkungen von Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit im
Unionsrecht
Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates entfalten ihre
rechtlichen Wirkungen nicht nur im nationalen Recht des betreffenden
Mitgliedstaates, sondern wirken gleichzeitig auch im Unionsrecht.87 Dabei sind
Zeitpunkt und Form des Erwerbs fr die Anwendung des Unionsrechts unerheblich.
Es kommt lediglich darauf an, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt der
Berufung auf das Unionsrecht die Staatsangehrigkeit eines Mitgliedstaates besitzt.88
Der Genuss der unionsrechtlich garantierten Rechte setzt auch kein Mindestalter
voraus. So kann sich selbst ein Kind im Kleinkindalter auf die (unions)rechtlich
gewhrleisteten Rechte auf Freizgigkeit und Aufenthalt berufen. Die Fhigkeit des
Angehrigen eines Mitgliedstaats, Inhaber der durch den Vertrag und das abgeleitete
Recht auf dem Gebiet der Freizgigkeit gewhrleisteten Rechte zu sein, kann nicht
von der Bedingung abhngen, dass der Betreffende das Alter erreicht hat, ab dem er
rechtlich in der Lage ist, diese Rechte selbst auszuben.89
85 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 56.
86 EuGH, Rs C-135/08, Rottmann, Urteil vom 2. 3. 2010, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 57 f.
87 Vgl Bleckmann, Der Vertrag ber die Europische Union, DVBl 1992, 335 (336).
88 EuGH, Rs 136/78, Auer, Slg 1979, 437, Rdnr 28 f; Rs C-419/92, Scholz, Slg 1994, I-505, Rdnr 8 f.
89 EuGH, Rs C-200/02, Zhu und Chen, Slg 2004, I-9925, Rdnr 20.
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ber das Unionsrecht wirken sich Erwerb und Verlust der Staatsangehrigkeit eines
Mitgliedstaates auch auf die anderen Mitgliedstaaten aus. Seit Inkrafttreten des EU-
Vertrages ist dies sogar verstrkt der Fall. Die durch die nationale Staatsangehrigkeit
vermittelte Unionsbrgerschaft verleiht den Unionsbrgern nmlich eine Reihe von
Rechten, die insbesondere fr die anderen EU-Mitgliedstaaten (rechtlich) relevant
sind.90
Diese Konsequenzen sind von der Regierungskonferenz ber die Politische Union
bewusst in Kauf genommen worden.91 Sie fhren allerdings dazu, dass ein
Mitgliedstaat, der beabsichtigt, einer sehr groen Gruppe von Personen, die nicht
Staatsangehrige eines EU-Mitgliedstaates sind, die eigene Staatsangehrigkeit zu
verleihen, dies zuvor mit den EU-Organen und den anderen EU-Mitgliedstaaten
beraten muss (Konsultationspflicht). Tut er dies nicht, wrde er die in Art 4 Abs 3
EUV verankerte Loyalittspflicht92 verletzen.93
Die gegenstndliche Konsultationspflicht gilt jedoch nicht, wenn die begnstigten
Personen bereits Unionsbrger sind und zustzlich zur Staatsbrgerschaft eines EU-
Mitgliedstaates noch die Staatsbrgerschaft eines zweiten EU-Mitgliedstaates
erhalten.
Derartige Doppelunionsbrger genieen im Unionsrecht nach stndiger
Rechtsprechung des EuGH eine besondere Stellung. Sie knnen sich auch dem
Heimatmitgliedstaat gegenber, in dem sie ihren Wohnsitz haben, stets auf die
Grundfreiheiten des Binnenmarktes und das allgemeine Freizgigkeitsrecht sttzen.
Dafr reicht es aus, wenn sie sich auf die Staatsbrgerschaft des anderen EU-
90 Vgl Sauerwald, Unionsbrgerschaft und Staatsangehrigkeitsrecht, 77.
91 Vgl Closa, Citizenship of the Union and nationality of Member States, CMLR 1995, 487 (515);
Fischer, Die Unionsbrgerschaft: Ein neues Konzept im Vlker- und Europarecht, in Haller ua
(Hrsg), FS Winkler (1997), 237 (250).
92 Vgl Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Rz 1278.
93 Vgl GA M. Poiares Maduro, Schlussantrge in der Rs C-135/08, Rottmann, Schlussantrge vom
30. 9. 2009, noch nicht in der Slg verffentlicht, Rdnr 30. So auch Schnberger, Unionsbrger,
287; de Groot, Staatsangehrigkeit, 102.
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Mitgliedstaates berufen; ein grenzberschreitendes Element mit physischem
Grenzbertritt94 ist nicht erforderlich. Der EuGH nimmt in seiner Rechtsprechung
nmlich ein grenzberschreitendes Moment selbst dann an, wenn ein
Staatsangehriger eines Mitgliedstaates, der sich dort aufhlt, sich in diesem
Mitgliedstaat auf die ebenfalls vorhandene Staatsangehrigkeit eines anderen
Mitgliedstaates sttzt (Doppelunionsbrger ohne physischen Grenzbertritt).95
In seiner jngsten Rechtsprechung ist der EuGH von dieser Judikatur allerdings
abgewichen.96 In seinem Urteil im Fall McCharty 97stellte der Gerichtshof Anfang
Mai 2011 fest, dass das Freizgigkeitsrecht in Art 21 AEUV und damit auch die
Grundfreiheiten des Binnenmarktes auf einen Unionsbrger, der noch nie von
seinem Recht auf Freizgigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem
Mitgliedstaat, dessen Staatsangehrigkeit er besitzt aufgehalten hat und der sich im
brigen im Besitz der Staatsangehrigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet,
nicht anwendbar (ist), sofern die Situation dieses Brgers nicht von der Anwendung
von Manahmen eines Mitgliedstaates begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der
tatschliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbrgerstatus verliehenen
Rechte verwehrt oder die Ausbung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert wrde.98
94 Zum Erfordernis eines grenzberschreitenden Bezugs fr die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten
des Binnenmarktes und des allgemeinen Freizgigkeitsrechts vgl Obwexer, Grundfreiheit
Freizgigkeit, 317 u 343.
95 ZB EuGH, Rs C-148/02, Garcia Avello, Slg 2003, I-11613, Rdnr 26 ff. Vgl GA E. Sharpston,
Schlussantrge in der Rs C-34/09, Zambrano, Schlussantrge vom 30. 9. 2010, noch nicht in Slg
verffentlicht, Rdnr 75 ff.
96 Vgl GA Juliane Kokott, Rs C-434/09, McCarthy, Schlussantrge vom 25. 11. 2010, noch nicht in
Slg verffentlicht, Rdnr 35 ff.
97 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht.
98 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 56.
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Aus dieser neuesten auf das Urteil im Fall Zambrano99 gesttzten Rechtsprechung
folgt, dass Doppelunionsbrger ihre besondere unionsrechtliche Stellung wieder
verloren haben. Ein Unionsbrger kann sich bei Vorliegen eines rein internen
Sachverhalts, verstanden als Situation, die mit keinem relevanten Element ber die
Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweist, nmlich nur noch dann auf das
Freizgigkeitsrecht in Art 21 AEUV sttzen, wenn ihm der tatschliche Genuss des
Kernbestands der ihm durch den Unionsbrgerstatus verliehenen Rechte verwehrt
oder die Ausbung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu
bewegen und aufzuhalten, behindert wird.100 In diesem Fall reicht die
Staatsbrgerschaft des Aufenthaltsmitgliedstaates fr die Berufung auf das
einschlgige Unionsrecht aus; die Staatsbrgerschaft eines zweiten Mitgliedstaates ist
nicht erforderlich und bringt, selbst wenn sie vorliegt, keine zustzlichen
Rechtswirkungen.
Ob und inwieweit der EuGH bei dieser neuesten Judikaturlinie bleiben oder wieder
zur vorherigen Rechtslage zurckkehren wird, muss erst die Zukunft zeigen.
IV. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in sterreich
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Gem Art 6 Abs 1 B-VG besteht fr die Republik sterreich eine einheitliche
Staatsbrgerschaft. Dem folgend ist der Status eines Staatsbrgers ungeteilt, wird
als solcher erworben bzw geht als solcher verloren und wird nicht durch eine
Landesbrgerschaft vermittelt.101
Art 6 Abs 2 B-VG sieht vor, dass jene Staatsbrger, die in einem Land ihren
Hauptwohnsitz haben, dessen Landesbrger sind. Die Landesgesetze knnen jedoch
vorsehen, dass auch Staatsbrger, die in einem Land einen Wohnsitz, nicht aber den
99 EuGH, Rs C-34/09, Zambrano, Urteil vom 8. 3. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 42.
100 EuGH, Rs C-434/09, McCarthy, Urteil vom 5. 5. 2011, noch nicht in Slg verffentlicht, Rdnr 54.
101 Vgl zB Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 (2007), Rz 200.
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Hauptwohnsitz haben, dessen Landesbrger sind. Die Landesbrgerschaft hat
keinen selbststndigen staatsbrgerschaftsrechtlichen Gehalt. Sie umschreibt lediglich
den Personenkreis, der an der politischen Willensbildung im Land mitzuwirken
berechtigt ist.102
Im Zusammenhang mit der Staatsbrgerschaft beinhaltet das B-VG auch eine
Definition des Begriffes Hauptwohnsitz. Gem Art 6 Abs 3 B-VG ist der
Hauptwohnsitz einer Person dort begrndet, wo sie sich in der erweislichen oder aus
den Umstnden hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt
ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer
Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als
Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das berwiegende Naheverhltnis hat.
Demnach kann eine Person nur einen Hauptwohnsitz haben. Prinzipiell ist fr die
Feststellung des Hauptwohnsitzes die Erklrung eines Meldepflichtigen magebend,
doch kann in einem Reklamationsverfahren nach dem Meldegesetz von der
zustndigen Behrde geprft werden, ob der erklrte Hauptwohnsitz die objektiven
Vorgaben des B-VG erfllt. Dabei muss die ermittelnde Behrde das Grundrecht auf
Achtung des Privatlebens des betroffenen Meldepflichtigen achten.
Die nhere Ausgestaltung der Staatsbrgerschaft obliegt gem Art 11 Abs 1 Z 1 B-
VG dem Bundesgesetzgeber; die Vollziehung des Staatsbrgerschaftsrechts ist
hingegen Landessache. Fr die Erlassung von Bescheiden in
Staatsbrgerschaftsverfahren ist in erster und letzter Instanz die Landesregierung
zustndig.103
102 Vgl zB hlinger, Verfassungsrecht7 (2007), Rz 227.
103 Vgl Holley, Die Staatsbrgerschaftsrechts-Novelle 2005 im berblick, JAP 2/2006-2007, 17.
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2. Staatsbrgerschaftsrecht
Das Staatsbrgerschaftsrecht legt fest, unter welchen Voraussetzungen die
Staatsbrgerschaft erworben wird bzw verloren geht und regelt das dazugehrende
Verfahren.
Das derzeit geltende Staatsbrgerschaftsgesetz 1965 ist am 1. Juli 1966 in Kraft
getreten und wurde 1985 als Staatsbrgerschaftsgesetz 1985 (StbG)
wiederverlautbart.104
Ergnzt werden die gesetzlichen Bestimmungen durch die
Staatsbrgerschaftsverordnung 1985 (StbV)105 und die Staatsbrgerschaftsprfungs-
Verordnung 2006 (StbP-V).106
V. Innerstaatliche Rahmenbedingungen in Italien
In Italien fllt das Staatsbrgerschaftsrecht in die Kompetenz des Zentralstaates.
Erwerb und Verlust der Staatsbrgerschaft sind im Gesetz vom 5. Februar 1992, Nr
91107 geregelt.
Darin ist unter anderem vorgesehen, dass ein italienischer Staatsbrger, der eine
auslndische Staatsbrgerschaft besitzt, erwirbt oder wiedererwirbt, die italienische
Staatsbrgerschaft behlt (Rechtsfolge mehrfache Staatsangehrigkeit). Ein solcher
Mehrstaater kann auf die italienische Staatsbrgerschaft verzichten, allerdings nur
104 Vgl dazu zB Bachmann, Staatsbrgerschaftsrecht, in Bachmann/Baumgartner/Feik/Giese/Jah-
nel/Lienbacher (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht8 (2010), 169; Fessler/Keller/Pommerening-
Schober/Szymanski, Das neue sterreichische Staatsbrgerschaftsrecht7 (2006).
105 Verordnung des Bundesministers fr Inneres vom 31. 7. 1985 zur Durchfhrung des
Staatsbrgerschaftsgesetzes 1985, BGBl 1985/329, idF BGBl II 2010/3.
106 Verordnung der Bundesministerin fr Inneres ber die Prfung zum Nachweis der Grundkenntnisse
der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte sterreichs und des jeweiligen Bundeslandes,
BGBl II 2006/138.
107 GA vom 15. 2. 1992, Nr 38, idgF.
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dann, wenn er seinen Wohnsitz im Ausland hat oder dort zu begrnden beabsichtigt
(Art 11 Gesetz Nr 91/1992).
Ein italienischer Staatsbrger verliert seine Staatsbrgerschaft grundstzlich, wenn er
einen ffentlichen Dienst oder ein ffentliches Amt eines auslndischen Staates oder
einer auslndischen ffentlichen Krperschaft oder einer internationalen
Organisation, der Italien nicht angehrt, annimmt oder den Militrdienst fr einen
auslndischen Staat leistet. Der Verlust tritt allerdings nicht automatisch ein, sondern
erst dann, wenn der Staatsbrger der Aufforderung, die die Italienische Regierung an
ihn richten kann, den Dienst, das Amt oder den Militrdienst zu beenden, nicht
innerhalb der vorgesehenen Frist nachkommt (Art 12 Abs 1 Gesetz Nr 91/1992).
Schlielich ist vorgesehen, dass das Staatsbrgerschaftsgesetz die Bestimmungen in
vlkerrechtlichen Vertrgen unberhrt lsst (Unberhrtheitsklausel) (Art 26 Abs 3
Gesetz Nr 91/1992). Zu Letzteren zhlen unter anderem die Bestimmungen des
Europischen bereinkommens ber die Verminderung der Flle mehrfacher
Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen mehrfacher
Staatsangehrigkeit.108
VI. Rechtliche Mglichkeiten und Grenzen sowie Rechtsfolgen des Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft durch Sdtiroler
Die Staatsbrgerschaft determiniert mit dem Staatsvolk eines der drei konstitutiven
Elemente eines Staates. Sie besteht in einer hervorgehobenen rechtlichen Position, die
die Zugehrigkeit zu einem Staat zum Ausdruck bringt. Die sterreichische
Staatsbrgerschaft ist demnach ein besonderer Status, der die Zugehrigkeit der
betreffenden Personen zur Republik sterreich bezeichnet.109
Rechtlich bedeutsam wird die Staatsbrgerschaft jedoch erst als Anknpfungspunkt
fr Rechte und Pflichten in anderen Rechtsmaterien. So gilt der
108 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.
109 Vgl Thienel, sterreichische Staatsbrgerschaft, Band II Verfassungsrechtliche Grundlagen und
materielles Staatsbrgerschaftsrecht (1990), 20.
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verfassungsrechtlich normierte Gleichheitssatz nur fr Staatsbrger. Nur
Staatsbrgern kommt das Wahlrecht auf Bundes- und auf Landesebene zu. Das Amt
eines Schffen oder Geschworenen ist ebenfalls Staatsbrgern vorbehalten. Nur
Staatsbrger erhalten einen sterreichischen Reisepass. Andererseits unterliegen aber
auch nur Staatsbrger bestimmten Pflichten, insbesondere der Wehrpflicht.110
Innerhalb der Europischen Union hat die Unterscheidung zwischen Staatbrgern
und Fremden wesentlich an Bedeutung verloren. Die Fremden, die Unionsbrger
sind, genieen nmlich ein umfassendes Recht auf Gleichbehandlung mit den
Staatsbrgern eines EU-Mitgliedstaates.111 Dieses Recht gilt allerdings nur im
Anwendungsbereich des Unionsrechts und umfasst demnach nicht alle wenn auch
sehr viele Bereiche staatlicher Souvernitt, so dass dem Erwerb der
Staatsbrgerschaft eines EU-Mitgliedstaates nach wie vor rechtliche Bedeutung
zukommt. Dies gilt insbesondere fr die Teilnahme an Wahlen auf Bundes- und
Landesebene, den Zugang zu Stellen in der ffentlichen Verwaltung (insbesondere
Gericht, Polizei, diplomatischer Dienst, Heer)112 sowie Ansprche auf soziale
Untersttzung ohne Erfordernis einer bestimmten Ansssigkeitsdauer.113
Vor diesem Hintergrund stellt sich auf der Grundlage der dargestellten rechtlichen
Rahmenbedingungen die Frage, ob und wenn ja wie sterreich den Sdtirolern
den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft ermglichen knnte.
1. Erwerb der sterreichischen Staatsbrgerschaft
Die sterreichische Staatsbrgerschaft kann gem 6 StbG durch Abstammung,
Verleihung oder Anzeige erworben werden. In gegenstndlichem Zusammenhang
sind lediglich die Erwerbstatbestnde der Verleihung und der Anzeige von Relevanz.
110 Vgl Bachmann, Staatsbrgerschaftsrecht, 171.
111 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 345, mwN.
112 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 331, mwN.
113 Vgl zB Obwexer, Grundfreiheit Freizgigkeit, 351, mwN.
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a) Erwerb durch Verleihung
Durch Verleihung erwerben vor allem Fremde, die sich in sterreich niedergelassen
haben und sich nun integrieren wollen, die Staatsbrgerschaft. Die Verleihung kann
entweder Ergebnis einer Ermessensentscheidung sein ( 10 StbG) oder auf einem
Rechtsanspruch beruhen ( 11a ff StbG). In beiden Fllen mssen die allgemeinen
Verleihungsvoraussetzungen gegeben sein. Darber hinaus hat der Fremde je nach
Rechtsgrundlage besondere Voraussetzungen fr die Verleihung der
Staatsbrgerschaft zu erfllen.
Ehemalige sterreicher, die die Staatsbrgerschaft anders als durch Entziehung
verloren haben, genieen eine bevorzugte Einbrgerung. Fr sie sieht 10 Abs 4
StbG von bestimmten Voraussetzungen (Aufenthaltsdauer, Nachweis der Sprach- und
Geschichtskenntnisse) und Einbrgerungshindernissen (schwerwiegende
Verwaltungsbertretungen) ab. Anwendung findet diese erleichterte Einbrgerung
unter anderem auf sterreichische Staatsbrger, die aufgrund von Verfolgung in der
NS-Zeit sich ins Ausland begeben haben.
Ein vergleichbarer Erwerbstatbestand knnte auch fr Sdtiroler im
Staatsbrgerschaftsgesetz 1985 verankert werden. Dabei msste allerdings von der
Voraussetzung des Hauptwohnsitzes im Inland abgesehen werden.
b) Erwerb durch Anzeige
Dieser Erwerbstatbestand ist eine Art nachtrgliche Wiedergutmachung fr
ehemalige sterreichische Staatsbrger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.
Gem 58c StbG liegt der Erwerbsakt in einer schriftlichen Anzeige bei der
zustndigen Behrde, nmlich der zustndigen Landesregierung oder der
sterreichischen Vertretungsbehrde im Ausland, dass die betreffende Person vor
dem 9. Mai 1945 als sterreichischer Staatsbrger ins Ausland gegangen ist, weil sie
Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behrden des Dritten Reiches mit
Grund zu befrchten hatte oder erlitten hat oder weil (sie) wegen (ihres) Eintretens fr
die demokratische Republik sterreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu
befrchten hatte. In diesem Fall ist kein Hauptwohnsitz im Inland notwendig, die
Mittel zum Unterhalt sind nicht nachzuweisen, Verwaltungsbertretungen schaden
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nicht und die seitdem erworbene fremde Staatsbrgerschaft kann beibehalten werden;
die brigen allgemeinen Verleihungsvoraussetzungen sind allerdings zu erfllen. Die
Landesregierung erlsst einen schriftlichen Feststellungsbescheid darber, dass die
Staatsbrgerschaft mit Einlangen der Anzeige bei ihr wiedererworben wurde.
Ein vergleichbarer Erwerbstatbestand knnte zumindest rechtlich auch fr
Sdtiroler vorgesehen werden. In diesem Fall msste der
Staatsbrgerschaftserwerb wohl als Wiedergutmachung des Diktats von Saint-
Germain 1919 Abtrennung Sdtirols von sterreich (Art 27 StV St-Germain)114
ausgestaltet werden. Das wrde allerdings erfordern, die begnstigten Sdtiroler auf
ehemalige Staatsangehrige (Deutsch-)sterreichs und deren Nachkommen zu
beschrnken.115
c) Zulssigkeit der Doppelstaatsbrgerschaft
Sollte sterreich den Sdtirolern den Erwerb seiner Staatsbrgerschaft durch
Verleihung (in einer erleichterten Form) oder allenfalls durch Anzeige ermglichen,
wrde dies zunchst einmal dazu fhren, dass jene Sdtiroler, die von dieser
Mglichkeit Gebrauch machen, neben der italienischen auch die sterreichische
Staatsbrgerschaft besen und somit zu Doppelstaatsbrgern wrden.
Dies wrde allerdings der im Europischen bereinkommen ber die Verminderung
der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die Militrdienstpflicht in Fllen
mehrfacher Staatsangehrigkeit enthaltenen Verpflichtung zur Vermeidung
mehrfacher Staatsangehrigkeit zuwiderlaufen. Art 1 Abs 1 EmStA sieht nmlich
vor, dass Staatsangehrige einer Vertragspartei (hier Italiens), die infolge einer
ausdrcklichen Willenserklrung (Antrag auf Verleihung der Staatsbrgerschaft oder
allenfalls Anzeige) die Staatsangehrigkeit einer anderen Vertragspartei (hier
sterreichs) erwerben, ihre frhere Staatsangehrigkeit (nmlich die Italiens)
114 Vgl zB Hummer, Der internationale Status sterreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer,
sterreichisches Handbuch des Vlkerrechts, Rz 3285.
115 Siehe dazu nachstehend Pkt VII.
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verlieren; die Beibehaltung der frheren Staatsangehrigkeit (nmlich der Italiens)
darf ihnen nicht bewilligt werden.
Diese vlkerrechtliche Verpflichtung trfe im gegenstndlichen Fall primr die
Vertragspartei Italien, die im Falle des aufgrund einer ausdrcklichen
Willenserklrung erfolgten Erwerbs der sterreichischen Staatsbrgerschaft den
Verlust der eigenen Staatsbrgerschaft vorsehen msste und deren Beibehaltung nicht
genehmigen drfte.
Die Vertragspartei sterreich, die den Sdtirolern ihre Staatsbrgerschaft verleiht,
wre von der gegenstndlichen Verpflichtung, den Verlust der frheren
Staatsbrgerschaft vorzusehen und deren Beibehaltung nicht zu genehmigen, nicht
direkt betroffen. Die Bestimmung in Art 1 EmStA richtet sich nmlich an die
Vertragspartei der frheren Staatsangehrigkeit, konkret Italien. Dem folgend msste
sterreich im Zuge der Verleihung der eigenen Staatsbrgerschaft an Sdtiroler
nicht zwingend den Nachweis der Entlassung aus dem Staatsverband Italiens
verlangen.
d) Verlust der italienischen Staatsbrgerschaft?
Die Verpflichtung Italiens zur Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit wurde
allerdings mit einem Vorbehalt eingeschrnkt.116
Demnach behielt sich Italien unter anderem das Recht vor, den in Art 1 EmStA
vorgesehenen Verlust der Staatsangehrigkeit von der Voraussetzung abhngig zu
machen, dass die betreffende Person ihren ordentlichen Wohnsitz gewhnlich
auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes hat oder dort zu irgendeinem Zeitpunkt
ihren ordentlichen Wohnsitz begrndet, es sei denn, dass im Falle des Erwerbs einer
fremden Staatsbrgerschaft kraft ausdrcklicher Willenserklrung die betreffende
Person durch die zustndige Behrde von der Voraussetzung des ordentlichen
Wohnsitzes im Ausland befreit wird.
116 Siehe dazu vorstehend Pkt II.1.a).
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Dieser Vorbehalt wrde im Falle der Verleihung der sterreichischen
Staatsbrgerschaft an Sdtiroler allerdings nicht greifen. sterreich msste in
diesem Fall nmlich von der Aufenthaltsvoraussetzung im Bundesgebiet ( 10 Ziff 1
StbG) absehen. Dem folgend wrden die Sdtiroler von der Voraussetzung des
ordentlichen Wohnsitzes im Ausland befreit. Zudem wrde der Erwerb der
sterreichischen Staatsbrgerschaft kraft ausdrcklicher Willenserklrung erfolgen
(Erwerb auf Antrag oder allenfalls nach Anzeige).117 Dem folgend htte Italien
trotz angebrachten Vorbehalts in diesen Fllen nicht das Recht, vom Verlust seiner
Staatsangehrigkeit abzusehen, obwohl die betreffenden Personen ihren
gewhnlichen Wohnsitz nicht auerhalb des italienischen Hoheitsgebietes haben oder
dort zu irgendeinem Zeitpunkt begrnden wollen.
Davon abweichend sieht Art 11 Gesetz Nr 91/1992 vor, dass italienische
Staatsbrger, die eine auslndische Staatsangehrigkeit besitzen, erwerben oder
wiedererwerben, die italienische Staatsbrgerschaft behalten. Sie knnen zwar darauf
verzichten, jedoch nur dann, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland haben oder dort
begrnden wollen. Die gegenstndliche Regelung, die Doppelstaatsbrgerschaften
grundstzlich zulsst, steht allerdings im Widerspruch zur vlkerrechtlichen Vorgabe
aus Art 1 EmStA, die solange sie Italien vlkerrechtlich verpflichtet auch
innerstaatlich gilt und die Bewilligung zur Beibehaltung der frheren
Staatsangehrigkeit untersagt. Diese Kollision wird von Art 26 Abs 3 Gesetz Nr
91/1992 dahingehend gelst, dass vom gegenstndlichen Gesetz abweichende
Bestimmungen in vlkerrechtlichen Vertrgen davon unberhrt bleiben
(Unberhrtheitsklausel). Dem folgend drften die zustndigen italienischen
Behrden den Sdtirolern, die durch ausdrckliche Willenserklrung die
sterreichische Staatsbrgerschaft erwerben, die Beibehaltung der italienischen
Staatsbrgerschaft nicht bewilligen. Die anders lautende Bestimmung in Art 11
Gesetz Nr 91/1992 ist infolge der Unberhrtheitsklausel in Art 26 Abs 3 Gesetz Nr
91/1992 so lange nicht anwendbar, als Art 1 EmStA Italien vlkerrechtlich bindet.
117 Siehe dazu vorstehend Pkt VI.1.a) und Pkt VI.1.b).
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Um den Sdtirolern, die die sterreichische Staatsbrgerschaft erwerben,
Rechtssicherheit hinsichtlich der Beibehaltung ihrer italienischen Staatsbrgerschaft
zu geben, msste eine der von dieser Einbrgerung betroffenen Vertragsparteien,
nmlich Italien oder sterreich, das Europische bereinkommen ber die
Verminderung der Flle mehrfacher Staatsangehrigkeit und ber die
Militrdienstpflicht im Fllen mehrfacher Staatsangehrigkeit dem Beispiel
Deutschlands folgend kndigen. Dabei ist es vlkerrechtlich unerheblich, welche
der beiden Vertragsparteien das bereinkommen kndigt. Die Verpflichtung zur
Vermeidung mehrfacher Staatsangehrigkeit gilt nmlich nur zwischen den
Vertragsparteien. Dies resultiert sowohl aus dem Wortlaut von Art 1 EmStA als
auch aus dem allgemeinen vlkerrechtlichen Grundsatz der Reziprozitt.118 Wrde
Italien das bereinkommen kndigen, so wre es zweifelsfrei nicht mehr an die
Verpflichtung aus Art 1 Em