Rechtsgrundlagen zum Studienmodul Notfallmedizin · Lebensende verschriftlicht vorliegen („DNR...

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Rechtsgrundlagen zum Studienmodul Notfallmedizin Med. Uni Graz Wintersemester 2017 / 2018 Dr.iur. Michael HALMICH LL.M.

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Rechtsgrundlagen zum Studienmodul Notfallmedizin Med. Uni Graz Wintersemester 2017 / 2018

Dr.iur. Michael HALMICH LL.M.

Was hat das Recht

in der Medizin

verloren?

Arbeitsweisen in Medizin und der Juristerei

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Medizin Recht

Anamnese

Diagnose

Therapie

Sachverhalt

Tatbestand

Rechtsfolge

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

Grundlagen des Gesundheitswesens

PatientIn Berufsgruppen

Gesundheitssystem

Gesundheitsreformen

Gesundheitssystem

– Verantwortliche Bund, Land, Gemeinden, Sozialversicherungen, Interessensvertretungen

– Versorgung ambulant oder stationär Reform 2013: Ausbau „Primary Health Care“

– Solidaritätsprinzip in Österreich 98 % pflichtversichert!

– Leistungsumfang

Gesundheitsberufe

– Bundeskompetenz

– aktuell: 44 (!) Gesundheitsberufe in Österreich

– Arztvorbehalt Delegationsmöglichkeiten im Einzelfall (an Gesundheitsberuf, Anordnungs-verantwortung, Aufsicht)

– Gesetze nichtärztlicher Gesundheitsberufe Vor- oder Nachteil? Aufdehnung Arztvorbehalt?

Patientenrechte

– abgeleitet von Grundrechten

– Patientencharta als Vereinbarung zw. Bund und Länder

– Auffindungsort: gesamte Rechtsordnung (zB Berufsgesetze, ABGB, StGB, KAKuG, PatVG, ÄsthOpG, OTPG, UbG, HeimAufG, KSchG, Sozialversicherungsgesetze …)

– Weiterentwicklung und Präzisierung durch Rechtsprechung! Haftungsjudikatur

Gesundheitsdiensteanbieter-Patienten-Verhältnis

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Rechtsverhältnis

Patient Gesundheitsdiensteanbieter

Berufspflichten (zB Sorgfalt, Verschwiegenheit, Auskunft, Aufklärung, Dokumentation, …)

Information, Mitwirkung, ggf. Duldung (Selbst-bestimmung!), Einwilligung, Kostenübernahme (idR SV)

Patientenrechte

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• med. Hilfeleistung bei Indikation

• Grundsatz: Selbstbestimmung (Ausnahme: Schutz)

• Aufklärung (Anforderungen im Notfall)

• Einsichtsrechte in die Doku

• würdevoller Umgang (Schmerz, Sterben)

• Versorgung „state of the art“

• Schadensfallaufklärung

Patientenrechte

Grundsätze: • jede medizinische Heilbehandlung (auch der Transport zu dieser)

erfordert die Einwilligung des Patienten

• Der Einwilligung hat eine Aufklärung vorauszugehen (angepasst an die jeweilige Situation)

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Fähigkeit zur autonomen Entscheidung?

• Einsichts- und Urteilsfähigkeit

– Vermutung, dass diese ab Vollendung des 14. Lebensjahr vorliegt – keine Altershöchstgrenzen – aktuelle Fähigkeiten relevant

(Achtung bei Alkohol, Suchtmittel, Müdigkeit, Bewusstsseintsveränderungen etc.)

• Ermittlung durch Patientenkontakt und Beschäftigung mit

konkreten Fragen: Krankheitseinsicht? , Verletzung bewusst?, Ernst der Lage wird erkannt?, Werden med. Informationen verstanden?, Abwägung von Behandlungsrisken möglich? Mitwirkung bei der Behandlung ? …

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Ergebnisse

• Pat. ist einsichts- und urteilsfähig – Einwilligung gültig – Auch Reversrecht und Recht zur Unvernunft!

• Pat. ist nicht einsichts- und urteilsfähig (=> Handeln stets zum Wohle des Betroffenen!)

– Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (Obsorgeberechtigte, Sachwalter; ggf. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht Neu ab 1.7.2018: Erwachsenenschutzrecht)

– Gefahr-im-Verzug-Regel (Orientierung am mutmaßlichen Patientenwillen; in dubio pro vita!)

– Wenn Pat. Hilfeleistung nicht duldet => „sanfter Nachdruck“ erlaubt! ( = keine Nötigung iSd § 105 Abs. 2 StGB, da „gute Sitten“!) 14

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

System

– Daseinsvorsorge

– Landeskompetenz „Rettungswesen“ Organisationsstruktur, sanitäter- und notarztgestütztes System

– Besorgungspflichten

Gemeinden: Rettungsdienst Land: Notarztdienst, med. Großschadensereignisse Selbsterbringung vs. Übertragung an private Organisationen

– Finanzierung

Vorhaltekosten => Gebietskörperschaften (Gemeinden, Länder) Transportkosten => Sozialversicherungen Sonderfall: Flugrettung

Status quo „Sanitäter“

– Sanitätergesetz aus 2002 löst Bestimmung aus 1961 ab

– moderner Rahmen anlehnend an andere Gesundheitsberufe

– Berufs- und Tätigkeitsfelder Rettungssanitäter (RS) und Notfallsanitäter (NFS) für NFS: Notfallkompetenzen (NKA, NKV, NKI) weitere Notfallkompetenzen durch VO des BM (bisher keine erlassen!) Fortbildungspflicht (Tätigkeitsverlust)

– mögliche Tätigkeitsausübung ehrenamtlich, berufsmäßig, als Soldat, Organ des öSD, Zollorgan, Strafvollzugsbed., Ang. sonst. Wachkörper oder Zivildienstleistender

(differenziertes) Einsatzgebiet

Rettungssanitäter: => Krankentransport, Rettungsdienst (keine planmäßige Versorgung von Notfallpatienten) ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Notfallsanitäter: Unterstützung des (Not)Arztes; Betreuung/Versorgung von Notfallpatienten bis zur ärztlichen Übernahme (Präklinik, Klinik) => Rettungsdienst (Notfallpatienten), NA-System

Rolle der Sanitäter 2017

• Keine Tätigkeits-Weiterentwicklung, sondern Stillstand

• Gründe: extensive Notarztbeiziehung

(in Vergangenheit noch möglich!)

Kein differenzierter Sanitätereinsatz durch RettOrg

(flächendeckender Einsatz von Rettungssanitätern auf nicht-arztbesetzten Rettungsmitteln durch RettOrg)

Beschränkungen in der Ausübung der

Notfallkompetenzen

Sonderfall „Medizinercorps“

– nur in Graz

– lange Tradition (seit 1890)

– Medizinstudierende + NFS NKI => Rettungsmediziner

Status quo „Notarzt“

– Notarztausbildung erstmals 1987 gesetzlich geregelt

aufbauend auf „ius practicandi“ 60h (§ 15a ÄrzteG 1984)

– Novellierung zum ÄrzteG 1998:

• zumindest 60h, • Vermittlung von Kenntnissen in der Kinder- und Jugendheilkunde, • Abschluss mit theoretischer & praktischer Prüfung • Einführung „Leitender Notarzt“ für Großschadensfall (Aus- und Fortbildung)

– Fortbildung • seit 1998 verpflichtend theoretische & praktische Unterweisungen • Berechtigungsverlust

– Aktuell: Änderung Ärzteausbildung (Basisausbildung, Spitals- und Lehrpraxis)

Zukunft

• JA zum Notarzt, daher Beibehaltung eines sanitäter- und notarztgestützten Systems

• Neudefinition beider Tätigkeitsfelder, anlehnend an Systementscheidungen: – Klare Abgrenzung von Rettungs- und Notarzteinsätzen – Gesundheitsreform 2013: Primärversorgung („best point of service“) – „TEWEB“: Gesundheitshotline rund um die Uhr mit Triageentscheidungen

(Telekonsultation / Telekonsil) = >1450 – Künftiges Rettungswesen: „Erstversorger und KH-Zubringer“ oder

„präklinisch-mobiler Dienst“?

• Was ist zu tun?

Wohin gehört der Notarzt?

Ergebnisse aus dem 2. ÖGERN-Symposium (Hellwagner):

• Komplexes Trauma

• Komplexes Atemwegsproblem

• Reanimation

• Schwerer Schockzustand

• End of life

• Backup für das Sanitäterteam

=> klassische internistische Notfälle profitieren präklinisch selten von der umfassenden Notarztkompetenz (Stichwort „SOP“ für Sanitäter)

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

Einleitung und Problemstellung I

• Definition „Lebensende“

• Dynamischer Prozess (Schutzbedarf, Fremdbestimmung)

• Sterben in Institutionen (KH, Pflegeheim) nimmt zu. => Medizin rückt ins Zentrum von jeglicher Leidensminderung! => Zunehmende „Medikalisierung des Lebensende“

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Fürsorge

Autonomie

Einleitung und Problemstellung II

• Wünsche der Menschen am Lebensende sind vielfältig

• Problem der Feststellbarkeit des Patientenwillens

• Thema „Sterbezeitpunkt autonom festlegen“ rückt immer wieder ins Zentrum! (=> Angst vor Übertherapie?)

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Strafrechtliche Verbote I

• Mord (§ 75 StGB): „Wer einen anderen tötet“

• Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB): „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet“

• Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB): „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet“

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Strafrechtliche Verbote II

• Fahrlässige Tötung (§ 80 StGB):

„Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt“

• Eigenmächtige Heilbehandlung (§ 110 StGB): „Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt“ Aber: Privatanklagedelikt!

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Strafrecht im med. Kontext I

Relevante Vorüberlegung:

Jede medizinische Intervention am Patienten erfordert: 1. eine positive medizinische Indikation und 2. eine Übereinstimmung mit dem Patientenwillen

Indikationsfrage: fachliche Beurteilung durch die Gesundheitsberufe (Abwägung von Nutzen und Schaden im Hinblick auf ein konkretes Behandlungsziel)

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Strafrecht im med. Kontext II

Patientenwille:

– aktuell vom Patienten

– antizipiert durch Patientenverfügung

– Entscheidungssubstitution durch befugte Vertreter (Vorsorgebevollmächtigter, Angehöriger, Sachwalter, Obsorgeberechtigter)

– mutmaßlicher Patientenwille

– Notfallsbestimmung

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Strafrecht im med. Kontext III

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• Verbotenes Ingangsetzen eines Sterbeprozesses (gezielte Tötung durch Medikation – Setzen einer unnatürlichen Todesursache!)

• Erlaubtes „Sterben zulassen“ „Nach der österreichischen Rechtsordnung ist der Arzt nicht verpflichtet, in einen bereits natürlich begonnenen Sterbe-prozess eines Patienten durch lebensverlängernde Maßnahmen einzugreifen, sofern der Verlauf der Krankheit eine weitere Be-handlung nicht sinnvoll erscheinen lässt (fehlende medizinische Indikation).“

(c) ÖGERN, Rechtsrahmen einer Therapiezieländerung (10/2015)

Strafrecht im med. Kontext IV

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Zulässigkeit einer – unter Umständen lebensverkürzenden – Therapiezieländerung zur Symptomlinderung im Rahmen einer Palliativbehandlung (Therapiezieländerung „kurativ“ auf „palliativ“, CTC, Symptom-linderung steht im Vordergrund, Recht auf ein würdevolles Sterben!)

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Relevantes Abgrenzungskriterium:

Sterbeprozess bereits natürlich im Gange

Rolle des Patientenwillens I

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– Ist zweite Voraussetzung für Behandlungsentscheidung

– Nur bei positiver oder fraglicher medizinischer Indikation

für ein konkretes Behandlungsziel relevant

– OGH: „Liegt eine ausdrückliche Willensäußerung des Patienten [...] zum Behandlungsabbruch im Falle einer schweren Erkrankung am Ende des Lebens nicht vor, ist für die weitere ärztliche Behandlung der mutmaßliche Wille des Patienten maßgebend.“ (6 Ob 286/07p)

Rolle des Patientenwillens II

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– OGH: „Weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt kommt [...] die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Vielmehr haben sie [...] über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden. Ist nur einer von ihnen für die Lebenserhaltung, hat diese Vorrang.“ (9 Ob 68/11g)

Rolle des Patientenwillens III

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– Bei eindeutig negativer Indikation für ein konkretes

Behandlungsziel: Patientenwille nicht entscheidend!

– Achtung: Heißt aber nicht, dass Patient nicht zu informieren ist! Patient sollte stets über seinen aktuellen Zustand Bescheid wissen, sofern kognitiv erfassbar!

„Dilemma“ der Präklinik I

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• Patient und Rettungsteam kennen sich idR nicht

=> Informationsmangel zur gesundheitlichen Ausgangslage => Informationsmangel zum Patientenwillen

• Eingeschränkte diagnostische Möglichkeiten zur Feststellung reversibler Ursachen

• Zeitfaktor

• Rettungsteams: ab und an „Zufallsgemeinschaften“ ohne wechselseitige Routine in der Zusammenarbeit

„Dilemma“ der Präklinik II

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Bei unklarer Sachlage ist sofortiger

Reanimationsstart die Regel!

Dies aber im Widerspruch zu ethischen Prinzipien

• des „Nichtschadens“ und „Gutes Tun“ bei fehlender medizinischer Indikation und

• der „Patientenautonomie“ bei anderslautendem Patientenwillen!

Lösung: Vorausschauende Planung

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– Patienten:

Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Vorsorgedialog

– Behandlungsteam (interdisziplinär): • Klare Zielsetzung bei Behandlungen (am Lebensende)

• Therapiezieländerung bei fehlender med. Indikation für kurative Behandlung

• „AND“-Vermerke • Vorbereitung des „Patientenumfeldes“ für vorherseh-

bares Ableben (Diskussion über Notruf-Intervention!)

• Vorsorgedialog

„AND“-Vermerk juristisch betrachtet

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(zB „Dokublatt“ ÖGARI, ARGE Ethik)

• Nachvollziehbare Begründung

• Spezifizierung der nicht durchzuführenden Maßnahmen (aufgrund fehlender Indikation)

• Grundlage der Erkundung des Patientenwillens (Patientenwille nur bei fraglicher Indikation relevant)

• Entscheidungsprozess / Absprache im Behandlungsteam

• Autorisierung durch zuständigen Arzt

• Eintrag in Fieberkurve / Dokumentationssystem

• regelmäßige Neubewertung der Situation / Indikation

Verbindlichkeitsfragen I

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Therapiebegrenzungen liegen in der ärztlichen Verantwortung und sollten im Rahmen einer vorausschauenden Planung am Lebensende verschriftlicht vorliegen („DNR“ / „AND“-Vermerke zB der ÖGARI)

Nach entsprechender ärztlicher Anordnung ist dies auch vom Pflegepersonal zu berücksichtigen.

Lebensende ist jedoch ein „dynamischer Prozess“, sodass Pflegepersonen bei nicht vorhersehbaren / nicht beherrschbaren Symptomen einen (Not)Arzt beizuziehen haben.

Verbindlichkeitsfragen II

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Für den Notarzt:

• keine (strenge) Bindungswirkung

• Vertrauen auf fachlich richtige Situationseinschätzung

(entsprechende Dokumentation / Nachvollziehbarkeit)

• Einschätzung des (vor-)behandelnden Arztes als wesentliche Grundlage der eigenverantwortlichen notärztlichen Ent-scheidung.

Conclusio

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• Lebensende ist „dynamischer Prozess“

• Vorausschauende Planung anhand einheitlicher Richtlinien sinnvoll, um österreichweit einen Sorgfaltsmaßstab festlegen zu können (wäre dann auch für die Strafverfolgungsbehörden ein einzuhaltender Maßstab)

• Teamentscheidungen reduzieren individuelle Verantwortung und sind weniger „fehleranfällig“

• „Angstbesetzte“ Übertherapie kann eingedämmt werden!

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

Haftungsfragen

Verhältnis zum Patient

Autounfall auf der Autobahn

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang

Der Patient verursacht einen Autounfall, im Rahmen dessen er schwere Verletzungen (Bruch des Brustbeins, der 4. und 5. Rippe rechts, Quetschungen der Lunge, verschiedene Prellungen) erleidet.

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang

Beim Eintreffen des NAW ist er noch in der Fahrerkabine eingeklemmt, noch ansprechbar, S02 93 %; AF 20-24; RR 110/60. Die Gesamtsituation wird als NACA V klassifiziert.

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang

Es werden folgende Erstmaßnahmen getroffen:

venöser Zugang

Infusion 500ml Ringer

Gabe von 7.5 mg Dipidolor fraktioniert

Gabe von Sauerstoff per Maske

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang

• Das Team des NAH trifft noch vor der Bergung ein. Die Bewusstseinslage wird als bewusstlos (GCS 8) eingestuft, Dyspnoe, S02 70 %; AF 25-35/min; Blutdruck < 50mmHg systolisch.

• Der Patient wird schließlich in Bauchlage aus dem Fahrzeug geborgen (die Bewusstseinslage ist zu diesem Zeitpunkt aufgrund divergenter Aussagen im Verfahren unklar) und auf den Rücken gelegt.

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang • Es wird vom NA die Indikation zur Intubation gestellt,

diese erfolgt nach Gabe von 5mg Midazolam, 100mg Lysthenon und 100mg Esmeron.

• Die Intubation gelang anscheinend beim ersten Versuch, wurde aber vom NA als schwierig bezeichnet (Übergewicht, kurzer Hals).

• Zur Kontrolle der korrekten Tubuslage wurde der Brustkorb abgehört – es fanden zwei Personen ein regelrechtes Atemgeräusch und es wurde ein Kapno-graph an den Tubus angehängt – dieses zeigte kein Signal.

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang

• Der Patient wird an das Beatmungsgerät ange-schlossen. Beatmung erwies sich als problemlos. Die 02-Sättigung betrug 92 %.

• Innerhalb kurzer Zeit kommt es zu einem Herz-frequenzabfall. Es wurde Atropin verabreicht und dann Suprarenin. Es kam zu keiner Besserung, sodass der Patient unter einer Herzdruckmassage in das KH gebracht wurde.

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Autounfall auf der Autobahn

Hergang • Im KH wird die erfolglose Reanimation

abgebrochen. • In der Obduktion findet sich eine Fehllage des

Tubus in der Speiseröhre, Bruch des rechten Oberschenkels, Bruch des Brustbeins, der 4. und 5. Rippe rechts nahe dem Brustbein und der 5. Rippe 10cm links neben dem Brustbein, Quetschungen der Lunge (Injury Severity Score 29 von 75 Punkten)

• Todesursache: Tod durch Ersticken

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Zivilrechtlicher Schadenersatz

• Haftungsvoraussetzungen – Schaden

– Rechtswidriges Verhalten

– Kausalität zw. Verhalten und eingetretenem Schaden

– Verschulden

• Individual- vs. Organisationshaftung

• Verfahrensablauf ?

Strafrechtliche Verantwortung

• Delikte mit Medizinbezug – Körperverletzungs- und Tötungsdelikte

– Eigenmächtige Heilbehandlung (jedoch Notfallbestimmung)

– Nötigung

– Freiheitsentziehung

– Verletzung von Berufsgeheimnissen

• Neu seit 1.1.2016: Straffreiheit der leichten fahrlässigen Körperverletzung für Gesundheits-berufsangehörige.

Im gegenständlichen Fall

• Zivilrecht

– Klärung Haftungsvoraussetzungen

– Ersatz gebührt Hinterbliebenen

• Strafrecht relevant

– Fahrlässige Tötung

Autounfall auf der Autobahn

Gutachter

Die Behandlung während der Bergung entsprach den Regeln der Kunst. Die Indikation zur Intubation war gegeben. Die Art und Dosis der Medikation zur Einleitung der Narkose und Erleichterung der Intubation entsprach den Regeln der Kunst. Die zur Kontrolle der Tubuslage verwendeten Verfahren (Abhören und Kapnograph) entsprachen den Regeln der Kunst.

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Autounfall auf der Autobahn

Gutachter Die Konsequenz, die aus dem fehlenden Nachweis von C02 in der Ausatemluft gezogen wurde, ent-sprach nicht den Regeln der Kunst. Es ist zwar richtig, dass die angedachte Möglichkeit des Fehlen von C02 in der Ausatemluft auf die schlechten Kreislaufverhältnisse zurückgeführt werden kann, im Zweifelsfall muss man jedoch den „schlechtesten Fall“ in Betracht ziehen. D.h. man muss hier an eine Fehlintubation denken. Es hätte der Tubus entfernt werden müssen und ein alternatives Verfahren zur Sicherung der Atemwege gewählt werden müssen.

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Autounfall auf der Autobahn

Gutachter

Die Fehlintubation war kein Fehler, jedoch das Nichterkennen der Tubusfehllage. Das fehlende Signal des Kapnographen wurde falsch interpretiert. Es hätte der Tubus entfernt werden müssen, und ein alternatives Verfahren angewendet werden müssen. Dieses Vorgehen hätte den Transport nur unwesentlich verzögert.

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Auflösung Fall

• Strafrecht

Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von € 3.600

• Zivilrecht (Schadenersatz)

Schadenersatzanspruch der Hinterbliebenen besteht; bestätigt durch Obersten Gerichtshof! Umfang: Unterhalt für Hinterbliebene, Bestattungskosten

Roter Faden …

1. Grundlagen im Gesundheitswesen (System, Berufsgruppen, Patienten)

2. Rechtsrahmen des österr. Rettungs- und

Notarztwesens

3. Notfall: Ende des Lebens (rechtliche/ethische Aspekte)

4. Haftungsfragen

5. Einsatzbeispiele rechtlich betrachtet

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Mitgebrachte Ideen

• Umgang mit psychiatrischen / gewaltgeneigten Patienten • Revers • Patientenverfügung im Notfall • Notarztstorno durch Sanitäter • Notarztbegleitete Sekundärtransporte • Zusammenarbeit mit Polizei • Vorgehen bei Verdacht auf Kindesmisshandlung • Türöffnungen • Haftungsfragen • …

Unterbringungsrecht

Gesetzestext § 3 UbG: In einer psychiatrischen Abteilung darf nur untergebracht werden, wer 1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein

Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und

2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.

Rechtsbegriffe, die der Auslegung durch die Gerichte unterliegen! „psychische Krankheit“ nicht gleichzusetzen mit ICD-10 oder DSM-5 Abgrenzungsschwierigkeit im Kinder- und Jugendbereich zu alterstypischem

Verhalten 64

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Wichtig: Präventiver Freiheitsentzug zur Abwehr erheblicher Lebens- und Gesundheitsgefahren, nicht zur Erzwingung therapeutisch-fürsorglicher Ziele.

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Prozedere in der Praxis: • Ersteintreffendes Team schätzt psych. Status und Gefahr ein • Verdacht auf Unterbringungsvoraussetzungen => POLIZEI • Polizei zieht Amtsarzt bei oder stützt sich auf Gefahr-im-Verzug • Achtung: Notarzt ist kein Amtsarzt!

Aufgabe Rettungs- und Notarztdienst: • Med. Komponente (Warn- und Eingriffspflichten)

• Sicherer Transport mit Polizeibegleitung • Zwangssedierung?

Eskalation

Transfer

+

Psychiatrische Patienten (UbG)

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Zahlen und Fakten in Österreich (2014):

© Halmich, UbG (2014) S. 15.

Zahlen

Verbringung mit Bescheinigung nach § 8 UbG 4.958

Verbringung ohne Bescheinigung und gestützt auf Gefahr im Verzug nach § 9 UbG

1.379

Unterbringungen ohne Verlangen gesamt 23.773

davon Unterbringungen bei Minderjährigen (unter 18 Jahre; ohne Verlangen)

1.432

Summe der Erstanhörungen nach § 19 ff UbG 12.847

Summe der mündlichen Verhandlungen nach § 22 ff UbG

4.063

Summe der Patientenanwälte (teil- und vollzeitbeschäftigt)

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Freiheit

Sicherheit

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Großer Graubereich bei (kurzfristig) kognitiv beeinträchtigten Notfallpatienten:

• Primäres Problem internistisch / unfallchirurgisch • keine psych. Erkrankung iSd UbG, jedoch Behandlungsbedarf

Was tun? Indikation abklären, ggf. Behandlung vor Ort, Zurücklassen,

Gefahrenaufklärung (auch geg. Dritten); Mitnahme durch Überwindung eines angemessenen körperlichen Widerstands bei Lebensgefahr?

Nicht Psychiatrie anfahren, sondern interne Notaufnahme / Schockraum!

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• Sanitäter und Notärzte üben grundsätzlich keine Gewalt aus • Ausnahme: Notwehr – Nothilfe (geregelt im StGB)

Grenzen: • Abwehr von Angriffen • angemessene Mittel • gelindere Maßnahmen haben Vorrang • Verhältnismäßigkeit • Aktuelles vom VwGH: Ablehnung Waffenpass für Notärzte

Grenzen des erlaubten Selbstschutzes

K O N T A K T

Dr.iur. Michael HALMICH LL.M.

[email protected]

www.halmich.at

www.oegern.at

Buchtipp! 70