Rede "Reichspogromnachtsgedenken 2012"

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Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, Auch dieses Jahr stehen wir wieder hier an einem der Schauplätze der Pogromnacht 1938. Vor 74 Jahren brannten auch in Fürth Synagogen, Menschen wurden gedemütigt und umgebracht. Danach konnte niemand mehr sagen, er habe nichts gewusst, man habe nichts mitbekommen… 74 Jahre ist es her, dass jüddische Fürther und Fürtherinnen von Nazis aus der Bevölkerung auf der Freiheit zusammen getrieben wurden. Vor 67 Jahren endete der 2. Weltkrieg und damit die systematische Verfolgung und Ermordung von Menschen im 3. Reich. Doch Nationalismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Sexismus sind noch heute feste Bestandteile unserer GesellschaftHier in Fürth existiert seit Jahren eine gefährliche Neonaziszene rund um FNS und BSF, die Anschläge verübt, Andersdenkende angreift und ihr rechtes Gedankengut verbreitet. Auch wenn sie selbst relativ isoliert bleiben, so bauen sie ihre Propaganda auf weit verbreiteten Denkweisen auf, die durch Politiker und Politikerinnen der etablierten Parteien gefördert werden. Nur ein Beispiel unter vielen: Die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Zirndorf ist seit mehreren Wochen überbelegt, so dass die Menschen, die gezwungen sind dort zu leben, bei sinkenden Temperaturen in Zelten übernachten müssen. Politiker_innen führender Parteien haben nichts Besseres zu tun als die Kürzung von Geldern zu fordern, weil Flüchtlinge ja nur ein „gutes Leben“ haben wollen würden wie verwerflich! Leserbriefe der Fürther Nachrichten ergänzen, für Flüchtlinge sollte ein anderer Standard als für Deutsche gelten, da die ja aus ihrer Heimat nichts anderes gewohnt sein. Daraufhin schreiben Neonazis im Internet, Zirndorf würde keine „Asylschmarotzer“ wollen und fordern ein Deutschland den Deutschen. Da ist es nicht mehr weit bis zu einer Situation wie in Wolgast, wo morgen am Gedenken zur Reichspogromnacht die NPD einen Fackelmarsch gegen das dortige Flüchtlingslager machen will. Heraus kann am Ende Ähnliches kommen, wie vor 20 Jahren in Rostock, wo unter dem Beifall der Bevölkerung und den Augen der Polizei eine Asylbewerberunterkunft über Tage hinweg von Nazis und anderen Anwohnerinnen und Anwohnern belagert und angegriffen wurde. Ähnlich wie bei der Mordserie des NSU kam es dabei kaum zu einer tiefgründigen Ermittlung der Beteiligung staatlicher Stellen. Stattdessen wird über die Anwesenheit von Beamten des sogenannten Verfassungsschutz“ an Tatorten großzügig hinweggesehen. Und auch die Herkunft von Waffen und Sprengstoffen aus Bundeswehrkontingenten und falscher Ausweispapiere aus der Bundesdruckerei bleibt nebensächlich. Stattdessen stehen seit Jahren immer wieder antifaschistische Initiativen im Fokus der Behörden: so auch beispielsweise das AIDA-Archiv aus München, das erst mehrmals vor Gericht ziehen musste, um von den Behörden nicht mehr als „linksextrem“ diffamiert zu werden. Hier in Fürth kam es in der Vergangenheit etliche Male zu Diskussionen über unser Engagement als Antifaschistische Linke Fürth. Sei es unsere Beteiligung bei Gedenkveranstaltungen, unsere Mitarbeit in Bündnissen oder eigenständige Aktionen: uns

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Veröffentlichungen und Reden der Antifaschistischen Linken Fürth [ALF].

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Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

Auch dieses Jahr stehen wir wieder hier an einem der Schauplätze der Pogromnacht 1938.

Vor 74 Jahren brannten auch in Fürth Synagogen, Menschen wurden gedemütigt und

umgebracht. Danach konnte niemand mehr sagen, er habe nichts gewusst, man habe nichts

mitbekommen…

74 Jahre ist es her, dass jüddische Fürther und Fürtherinnen von Nazis aus der Bevölkerung

auf der Freiheit zusammen getrieben wurden. Vor 67 Jahren endete der 2. Weltkrieg und

damit die systematische Verfolgung und Ermordung von Menschen im 3. Reich. Doch

Nationalismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Sexismus sind noch heute

feste Bestandteile unserer Gesellschaft…

Hier in Fürth existiert seit Jahren eine gefährliche Neonaziszene rund um FNS und BSF, die

Anschläge verübt, Andersdenkende angreift und ihr rechtes Gedankengut verbreitet. Auch

wenn sie selbst relativ isoliert bleiben, so bauen sie ihre Propaganda auf weit verbreiteten

Denkweisen auf, die durch Politiker und Politikerinnen der etablierten Parteien gefördert

werden.

Nur ein Beispiel unter vielen: Die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Zirndorf ist seit

mehreren Wochen überbelegt, so dass die Menschen, die gezwungen sind dort zu leben, bei

sinkenden Temperaturen in Zelten übernachten müssen. Politiker_innen führender Parteien

haben nichts Besseres zu tun als die Kürzung von Geldern zu fordern, weil Flüchtlinge ja nur

ein „gutes Leben“ haben wollen würden – wie verwerflich! Leserbriefe der Fürther

Nachrichten ergänzen, für Flüchtlinge sollte ein anderer Standard als für Deutsche gelten, da

die ja aus ihrer Heimat nichts anderes gewohnt sein. Daraufhin schreiben Neonazis im

Internet, Zirndorf würde keine „Asylschmarotzer“ wollen und fordern ein Deutschland den

Deutschen.

Da ist es nicht mehr weit bis zu einer Situation wie in Wolgast, wo morgen – am Gedenken

zur Reichspogromnacht – die NPD einen Fackelmarsch gegen das dortige Flüchtlingslager

machen will. Heraus kann am Ende Ähnliches kommen, wie vor 20 Jahren in Rostock, wo

unter dem Beifall der Bevölkerung und den Augen der Polizei eine Asylbewerberunterkunft

über Tage hinweg von Nazis und anderen Anwohnerinnen und Anwohnern belagert und

angegriffen wurde.

Ähnlich wie bei der Mordserie des NSU kam es dabei kaum zu einer tiefgründigen Ermittlung

der Beteiligung staatlicher Stellen. Stattdessen wird über die Anwesenheit von Beamten des

sogenannten „Verfassungsschutz“ an Tatorten großzügig hinweggesehen. Und auch die

Herkunft von Waffen und Sprengstoffen aus Bundeswehrkontingenten und falscher

Ausweispapiere aus der Bundesdruckerei bleibt nebensächlich.

Stattdessen stehen seit Jahren immer wieder antifaschistische Initiativen im Fokus der

Behörden: so auch beispielsweise das AIDA-Archiv aus München, das erst mehrmals vor

Gericht ziehen musste, um von den Behörden nicht mehr als „linksextrem“ diffamiert zu

werden. Hier in Fürth kam es in der Vergangenheit etliche Male zu Diskussionen über unser

Engagement als Antifaschistische Linke Fürth. Sei es unsere Beteiligung bei

Gedenkveranstaltungen, unsere Mitarbeit in Bündnissen oder eigenständige Aktionen: uns

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wurde immer wieder vorgeworfen, dass wir im Verfassungschutzbericht aufgeführt werden

und nicht selten wurden unsere Kooperationspartner aufgefordert, sich von uns zu

distanzieren. Gleichzeitig kommt es immer wieder zu haarsträubenden Gerichtsverfahren.

So endet am 14. November der Prozess gegen den 20-jährigen Deniz, der wegen des

abstrusen Vorwurfs des fünffachen versuchten Totschlags seit einem halben Jahr in

Untersuchungshaft sitz. Er soll am 31.3. bei einer Demonstration versucht haben eine

Polizeiabsperrung, die den Zugang zur Innenstadt wegen „linksextremer Inhalte“ der Demo

versperrte, zu überwinden. Damals forderten wir aufgrund der Verstrickungen staatlicher

Behörden in die NSU-Mordserie die Abschaffung des Verfassungsschutz. Im Verfahren

zeigte sich, dass die Beweise mehr als dürftig sind und Polizeibeamte selbst einige Male

bewusst gegen Gesetze verstießen, um einem jungen Menschen das Leben zu verbauen

und ein Exempel zu statuieren. Dies soll uns sagen: auch wir könnten dort im Knast sitzen,

weil wir gegen Nazis auf die Straße gehen und uns von diesem Staat und seiner Polizei den

Zugang zur Nürnberger Innenstadt nicht verbieten lassen wollen.

Doch wir fordern jetzt nicht eine andere Behandlung durch staatliche Stellen. Wir fordern

stattdessen ein Umdenken! Denn die Geschichte zeigte schon einmal in welchem Sinn

Behörden arbeiten: Ihnen geht es in erster Linie um die Aufrechterhaltung der staatlichen

Herrschaft. Und eine Gefahr für die staatliche Herrschaft stellen Neonazis gerade eben kaum

dar: die Spitzenpositionen ihrer Gruppierungen sind so durchsetzt von bezahlten V-Leuten,

das das Bundesverfassungsgericht sogar im NPD-Verbotsverfahren feststellte, dass die

Nazipartei nicht als eigenständig betrachtet werden kann. Sie sind eben „lediglich“ eine

Gefahr für Menschen die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen.

Wir - als antifaschistische Bewegung - hingegen sind nicht nur Gegner_innen dieses Staates,

wir haben es geschafft Naziaufmärsche wie in Dresden zu blockieren. Damit setzten wir uns

effektiv über bestehende Gesetze hinweg, was im Kampf gegen Faschismus mehr als

notwendig ist, der Staat aber als Bedrohung seiner Herrschaft betrachtet. Als stärkste Waffe

steht uns dabei die Solidarität zur Verfügung: die Solidarität über Grenzen hinweg. Grenzen

die nicht nur zwischen verschiedenen Ländern zu existieren scheinen, sondern die

Zusammenarbeit auch behindern, wenn es um Gewerkschaftsmitglieder und autonomen

Antifas oder Fußballfans geht.

Heute haben wir es geschafft aus all diesen Ecken der Gesellschaft Nazigegnerinnen und

Nazigegner hier zu versammeln. Um zu Gedenken an die Opfer Nazideutschlands und der

faschistischen Bewegung davor und danach, aber auch um zu verhindern das so etwas

wieder geschieht. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, weder durch Diffarmierungen des

Staates, noch durch Vorurteile die wir in dieser Gesellschaft verinnerlicht haben.

Im Kampf gegen den Faschimus dürfen wir uns nicht auf den Staat verlassen. Wir können

uns nur auf unsere eigenen Kräfte berufen.

Gemeinsam, entschlossen, solidarisch – Die Vernichtung des Faschismus mit all seinen

Wurzeln ist unsere Losung!

Gegen Ausbeutung und Unterdrückung – die Errichtung einer Welt des Friedens und der

Freiheit ist unser Ziel!