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Reiben in der Deka-Dimension Dem Hydraulik-Spezialisten Bosch Rexroth in Lohr gelang es, mithilfe von Vielschneiden- Reibahlen des Herstellers Sumitomo die Produktivität beim Reiben um den Faktor zehn zu steigern. Ein Produktionsengpass wurde beseitigt; die Standzeiten verlängerten sich deutlich. Autor: Karl-Heinz Gies, Stuttgart Endlich wieder eine richti- ge Erfolgsstory: Produkti- vität gesteigert, Rüsten vereinfacht, Ausschuss signifikant vermindert, Prozess gesichert und ver- stetigt. Und das bei unter- schiedlichen Werkstoffen. Return on Investment in weniger als sechs Mona- ten. Was will man mehr? Als Fachjournalist freut man sich, wenn die Fakten so klar auf der Hand liegen und man darüber berich- ten darf. Geschehen bei der Firma Bosch Rexroth in Lohr am Main. Dort werden Hydraulikkompo- nenten verschiedener Art und Größe hergestellt, die ihren Einsatz in der In- dustriehydraulik, bei Werkzeugmaschinen und Pressen sowie bei Schie- berbetätigungen, im Kraftwerksbereich bis hin zur Bühnentechnik finden. Das Ziel der Kostenfüh- rerschaft ist eine zu- sätzliche Herausforde- rung Bosch Rexroth in Lohr ist Leitwerk des Konzerns für die Herstellung dieser Komponenten, die in klei- nen bis mittleren Serien gefertigt werden. Man ist stolz darauf, jedem Kun- den seine Lösung anbieten zu können, was aber der Fertigung eine sehr hohe Varianz und häufig wech- selnde Serien und Losgrö- ßen beschert. »Wir sind einerseits Technologiefüh- rer, haben aber anderer- seits das Ziel der Kosten- führerschaft«, erläutert Dr. Matthias Tschannerl, Fertigungsleiter der Abtei- lung für vorgesteuerte Ventile und Ergänzungsge- räte. »Damit leben wir oft im Widerspruch. Unsere Produktion ist sehr for- dernd, nicht nur im Innen- verhältnis, sondern auch was unsere Lieferanten angeht.« Eine Herausforderung für die Fertigung liegt in der prozesssicheren Herstel- lung der Ventilgehäuse, die je nach Anwendungs- bereich aus verschiedenen Gusswerkstoffen wie GG oder Sphäroguss herge- stellt werden. Ein für das Ventil qualitäts- und leis- tungsbestimmendes Merkmal ist die Steuer- schieberbohrung im Ge- häuse, die eine Reihe von Stegen und Unterbrechun- gen aufweist und engen Toleranzangaben bei Form- und Maßhaltigkeit unterliegt. So bestimmt die Steuerschieberbohrung im Zusammenspiel mit dem Steuerschieber den Leckagewert des Ventils. Zwar kommt der Guss überwiegend aus der eige- nen Gießerei im Werk Lohr, was Qualitäts- schwankungen vermeidet;

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Reiben in der Deka-Dimension

Dem Hydraulik-Spezialisten Bosch Rexroth in Lohr gelang es, mithilfe von Vielschneiden- Reibahlen des Herstellers Sumitomo die Produktivität beim Reiben um den Faktor zehn zu steigern. Ein Produktionsengpass wurde beseitigt; die Standzeiten verlängerten sich deutlich.

Autor: Karl-Heinz Gies, Stuttgart

Endlich wieder eine richti-ge Erfolgsstory: Produkti-vität gesteigert, Rüsten vereinfacht, Ausschuss signifikant vermindert, Prozess gesichert und ver-stetigt. Und das bei unter-schiedlichen Werkstoffen. Return on Investment in weniger als sechs Mona-ten. Was will man mehr? Als Fachjournalist freut man sich, wenn die Fakten so klar auf der Hand liegen und man darüber berich-ten darf. Geschehen bei der Firma Bosch Rexroth in Lohr am Main. Dort werden Hydraulikkompo-nenten verschiedener Art und Größe hergestellt, die ihren Einsatz in der In-dustriehydraulik, bei Werkzeugmaschinen und Pressen sowie bei Schie-berbetätigungen, im Kraftwerksbereich bis hin zur Bühnentechnik finden.

Das Ziel der Kostenfüh-rerschaft ist eine zu-sätzliche Herausforde-rung

Bosch Rexroth in Lohr ist Leitwerk des Konzerns für die Herstellung dieser Komponenten, die in klei-nen bis mittleren Serien gefertigt werden. Man ist stolz darauf, jedem Kun-den seine Lösung anbieten zu können, was aber der Fertigung eine sehr hohe Varianz und häufig wech-selnde Serien und Losgrö-ßen beschert. »Wir sind einerseits Technologiefüh-rer, haben aber anderer-seits das Ziel der Kosten-führerschaft«, erläutert Dr. Matthias Tschannerl, Fertigungsleiter der Abtei-lung für vorgesteuerte Ventile und Ergänzungsge-räte. »Damit leben wir oft im Widerspruch. Unsere Produktion ist sehr for-dernd, nicht nur im Innen-verhältnis, sondern auch

was unsere Lieferanten angeht.«

Eine Herausforderung für die Fertigung liegt in der prozesssicheren Herstel-lung der Ventilgehäuse, die je nach Anwendungs-bereich aus verschiedenen Gusswerkstoffen wie GG oder Sphäroguss herge-stellt werden. Ein für das Ventil qualitäts- und leis-tungsbestimmendes Merkmal ist die Steuer-schieberbohrung im Ge-häuse, die eine Reihe von Stegen und Unterbrechun-gen aufweist und engen Toleranzangaben bei Form- und Maßhaltigkeit unterliegt. So bestimmt die Steuerschieberbohrung im Zusammenspiel mit dem Steuerschieber den Leckagewert des Ventils. Zwar kommt der Guss überwiegend aus der eige-nen Gießerei im Werk Lohr, was Qualitäts-schwankungen vermeidet;

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dennoch ist die Bearbei-tung der Steuerschie-berbohrung kritisch, nicht zuletzt deshalb, weil die Vorbearbeitung von zwei Seiten, das heißt auf Um-schlag, erfolgt. Damit sind sogenannte Koaxialfehler praktisch programmiert. Schlechte Voraussetzun-gen für die Reibahle also, die ja eine zylindrische Bohrung mit Durchmesser 49,97 mm, ohne Mitten-versatz auf der gesamten Länge und durch alle Steuerstege hindurch, er-zeugen soll. Sowohl der Mittenversatz als auch die Zylindrizität sind eng tole-riert und dürfen nur im µ-Bereich abweichen. Bei einer Tiefe der Gesamt-bohrung von 220 mm ist das eine echte Herausfor-derung.

Zylindrizität und Mit-tenversatz bei Ventil-gehäusen sehr eng tole-riert

Bislang wurde die Bohrung mit einer Einschneiden-Reibahle gerieben, die

schwierig einstellbar war und nur relativ kleine Standmengen erreichte. Das Rüsten neuer Schnei-den war zeitaufwendig und vom Übungsgrad des je-weiligen Mitarbeiters ab-hängig. Die Möglichkeit, dass das erste Teil Aus-schuss ist, war somit im-mer gegeben. Werkzeug-wechsel bedeutete immer eine relativ lange Ferti-gungsunterbrechung. Un-ter diesen Bedingungen ist eine harmonische, pro-zesssichere Fertigung schwer zu realisieren. Reibprozess und Maschine wurden zum zeitbestim-menden Fertigungseng-pass.

Auf der Suche nach Lö-sungen wurden mehrere Varianten von Reibahlen

ausprobiert − mit mäßi-gem Erfolg. Dann stieß man auf das innovative Werkzeugsystem SR-Reibahle von Sumitomo und lud die Sumitomo-Anwendungstechniker zum Testen ein. Sofort zeigten sich erstaunliche Zeitvor-

teile gegenüber dem klas-sischen Reibverfahren. Die SR-Reibahlen von Sumi-tomo sind sogenannte Vielschneiden-Reibahlen mit festgelegtem Bearbei-tungsdurchmesser. Die Besonderheit dieses Sys-tems liegt in der Art der Schneidplatten und deren Aufnahme auf dem Halter. Die Schneidplatten haben nur eine Dicke von 4,3 mm und weisen, je nach Durchmesser, eine Vielzahl von Reibschneiden auf. Dadurch können bislang für das Reiben völlig unüb-liche Schnittgeschwindig-keiten und Vorschübe ge-fahren werden, was die Hauptzeiten dramatisch senkt. Die Schneidschei-ben bestehen vollständig aus Hartmetall oder Cer-met. Sie sind somit sehr widerstandsfähig und wei-chen den Schnittdrücken und Radialkräften nicht aus.

Weil diese Schneidplatten für den jeweils gewünsch-ten Durchmesser geschlif-fen sind, ist kein Einstellen der Schneide mehr vonnö-ten. Es empfiehlt sich le-diglich, beim Rüsten den Rundlauf des Werkzeugs einzustellen und gelegent-lich zu prüfen. Aus diesem Grund empfiehlt Sumitomo den Einsatz sogenannter Ausgleichshalter. Ein Schneidenwechsel geht bei der Sumitomo SR-Reibahle innerhalb einer oder zwei Minuten vonstatten und macht das Einmessen und Prüfen des Durchmessers völlig obsolet. Mit wenigen Schrauben ist die Schneid-platte auf dem Kopf des Werkzeughalters befestigt. Die Schrauben werden gelöst, die verschlissene Platte wird abgenommen, die neue Platte wird aufge-

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setzt und mit den Schrau-ben wieder befestigt. Da-mit ist das Werkzeug so-fort wieder einsatzbereit und arbeitet mit dem glei-chen Durchmesser wie vorher, und das bei einer Wechselgenauigkeit inner- halb von ± 3 µm. Möglich wird das durch eine koni-sche Aufnahme, die in die Schneidplatten eingeschlif-fen ist. Sie sitzt auf einem Kegel am Werkzeughalter, der einem Hohlschaftkegel gleicht. Mit dem Anzug der Schrauben ergibt sich eine leichte, elastische Verfor-mung dieses Kegels, was den akkuraten und jeder-zeit wiederholbaren Sitz der Reibschneide garan-tiert.

Für den Schneiden-wechsel sind weniger als zwei Minuten nötig

Das Rüsten einer neuen Schneide ist schnell erle-digt, und die Genauigkeit ist nicht mehr vom Mitar-beiter abhängig. Nun wer-den nicht mehr mit jedem Rüstvorgang auch auto-matisch Ausschussteile produziert. Damit gehen ein erheblicher Zeitgewinn und eine deutlich gestei-gerte Produktivität einher. »Wir sind auf unter zwei Minuten Rüstzeit für eine neue Reibschneide herun-ter«, freut sich Miroslav Terek, Programmierer für den Bereich Ergänzungs-geräte. »Außerdem haben wir den Vorschub von vor-her 110 auf nun 1032 mm/min erhöht«, ergänzt Martin Köhler, zuständig für die Werkzeugausle-gung bei den Technischen Funktionen. »Wir waren zuvor unsicher, ob richtig eingestellt war, und verlo-

ren viel Zeit, weil wir pro-biert haben und häufig nachjustieren mussten. Heute ist das erste Teil sicher ein Gutteil.«

Schnell zeigte sich ein wei-terer Vorteil der Viel-schneiden-Reibahle: Die Standmengen der Werk-zeuge sind wesentlich hö-her als bei der Einschnei-den-Reibahle. So konnte Bosch Rexroth bei der Steuerschieberbohrung des Hauptventils mit ei-nem Durchmesser von ursprünglich 80 Werkstü-cken auf nunmehr 650 Werkstücke erhöhen. Dadurch wird die Fertigung weiter harmonisiert und verstetigt. Wertvolle Pro-duktionszeit wurde ge-wonnen.

Seit der Einführung des Systems noch kein Grundhalter ersetzt

Weil auf die Bohrungslän-ge mehrere Stege bearbei-tet werden, neigen die Werkzeuge grundsätzlich mit zunehmender Bearbei-

tungstiefe zur Auslenkung. Deshalb wird die SR-Reibahle von keramischen Führungsleisten geführt, die sich an den schon ge-riebenen Bohrungen ab-stützt und so das Werk-zeug mittig hält. Während sich bei den vorher ver-wendeten Werkzeugen die Führungsleisten hin und wieder zugeschmiert hat-ten und der Grundhalter erneuert werden musste, ist dies bei den Sumitomo- SR-Reibahlen nun nicht mehr der Fall. »Seit wir das System einsetzen, haben wir noch keinen Grundhalter ersetzen müs-sen«, bestätigt Dr. Tschannerl. »Wir haben erstmals nur zwei Werk-zeughalter eingelagert.«

Die Messergebnisse der ständigen Qualitätskon-trolle bestätigen die gute Zylindrizität und Geradheit der Bohrungen, trotz aller Widrigkeiten. Kein Wunder also, dass Bosch Rexroth zwischenzeitlich mehrere andere Steuerventile mit anderen Bohrungsdurch-messern nun ebenso bear-

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beitet. Selbst auf einem Zweispindler sind die neu-en SR-Reibwerkzeuge zwi-schenzeitlich im Einsatz. Es wurden auch verschie-dene Schneidgeometrien der Reibschneiden getes-tet. Letztlich haben die Standardgeometrien aber die besten Gesamtergeb-nisse gezeigt.

Das Ziel der Umstellung, einen Engpass in der Fer-tigung zu beseitigen und schneller zu werden, hat Bosch Rexroth in Lohr voll erreicht. »Wir sind um den Faktor zehn schneller ge-worden«, freut sich Dr. Tschannerl. »Die Verfüg-barkeit ist deutlich gestie-gen; der Return on In-vestment war innerhalb von weniger als sechs Mo-naten gegeben.« Neben der Fertigung selbst sind auch noch andere Abtei-lungen an diesem Projekt beteiligt. Dass das Projekt richtig Spaß gemacht hat, bestätigen Miroslav Terek und Martin Köhler und bedanken sich bei den Kollegen für die gute Un-terstützung. Dr. Tschan

nerl: »Das war eine gute und sehr erfolgreiche Zu-sammenarbeit. Alle haben an einem Strang gezogen. Innovative Produkte si-chern die technologische Zukunft ebenso wie die Wirtschaftliche. Wenn das dann noch mit spürbarer Produktivitätssteigerung einhergeht, ist der Erfolg umfassend.«

Stuttgart, Februar 2016 K.-H. Gies SumitomoElectricHartmetallGmbHSiemensring84

D-47877Willichwww.SumitomoTool.com

i Hersteller

> Sumitomo-Techniker Johannes Bahde, Pro-grammierer Miroslav Terek und Dr. Matthias Tschannerl, Leiter Ferti-gung vorgesteuerte Wegeventile und Ergän-zungsgeräte bei Bosch Rexroth (von links), dis-kutieren den erzielten Produktivitätsgewinn