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In dieser Woche www.iwkoeln.de · [email protected] · Redaktion: 0221 4981-523 · Abo-Service - 443 · Fax -504 Reiches Europa, armes Europa ISSN 0344-919X G 4120 Präsident: Dr. Eckart John von Freyend Direktor: Professor Dr. Michael Hüther Mitglieder: Verbände und Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland 2 Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Jg. 36, 14. Januar 2010 Quelle: Eurostat © 2010 IW Medien iwd 2 Wirtschaftsleistung: Großes Gefälle in Europa Um Kaufkraftunterschiede bereinigtes Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Jahr 2008, EU-27=100 Luxemburg Irland Niederlande Österreich Dänemark Schweden Finnland Deutschland Vereinigtes Königreich Belgien Frankreich Spanien Italien Zypern Griechenland Slowenien Tschechien Malta Portugal Slowakei Estland Ungarn Litauen Lettland Polen Rumänien Bulgarien 276 135 134 123 120 120 117 116 116 115 108 103 102 96 94 91 80 76 76 72 67 64 62 57 56 47 41 Reichtum ist relativ: Mit rund 80.000 Euro betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner in Luxemburg 2008 zwar nahezu das 18-Fache der bulgarischen Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung, doch dafür sind die Lebenshaltungskosten im Groß- herzogtum in vielen Bereichen auch deut- lich höher als in anderen Ländern. Nah- rungsmittel und alkoholfreie Getränke etwa kosten in Luxemburg circa 10 Prozent mehr als in Deutschland. Besonders happig sind die Mieten, die so manchen Luxemburger sogar dazu veranlasst haben, den Wohnort hinter die Grenze zu verlegen. Berücksich- tigt man diese Kaufkraftunterschiede, lag Luxemburg im Jahr 2008 mit seiner Wirt- schaftskraft in Europa zwar immer noch an erster Stelle, doch das luxemburgische BIP je Einwohner war in dieser Rechnung „nur“ noch knapp siebenmal so hoch wie das bulgarische. Die Bundesrepublik rangierte mit ihrem um Kaufkraftunterschiede berei- nigten BIP je Einwohner, das den EU- Mittelwert um 16 Prozent übertraf, gerade noch im oberen Drittel der 27 EU-Staaten. Deutlich besser standen neben den Luxem- burgern vor allem die Iren sowie die Nie- derländer da. Kinderfreibeträge: Politiker und Ökonomen diskutieren schon länger, den Kinderfreibetrag in einen Kindergrund- freibetrag umzuwandeln, weil vom heu- tigen Verfahren Spitzenverdiener stärker profitieren als Familien aus mittleren oder unteren Einkommensgruppen. Doch ein Grundfreibetrag hätte ebenfalls seine Tücken. Seite 2 Arbeitsmarktprognosen: Trotz des konjunkturellen Einbruchs ist der Ar- beitsmarkt bisher mit einem blauen Auge davongekommen. Die Zahl der Arbeits- losen stieg im zurückliegenden Jahr nur um 160.000 an. Für 2010 rechnen Wirt- schaftsforscher aber mit einer Zunahme um eine halbe Million. Seite 3 Branchenkonjunktur: Der IW-Kon- junkturumfrage zufolge geht es 2010 für den Vorleistungs- und Konsumgütersek- tor bundesweit aufwärts. Im Investiti- onsgüterbereich sowie in den Dienstleis- tungsbranchen beschränkt sich der Aufschwung dagegen überwiegend auf Westdeutschland. In der Bauwirtschaft wiederum stellen sich die Firmen auf ein schwieriges Jahr ein. Seite 4-5 Klimawandel: Die Temperatur steigt, Niederschläge fallen unregelmä- ßiger, was wiederum Hochwasser und Dürren begünstigt. Stürme werden vo- raussichtlich häufiger und schwerer, und Rekordsommer wie der von 2003 könnten in Europa eher die Regel als die Ausnahme werden. Diese Verände- rungen treffen die Wirtschaft auf unter- schiedliche Weise. Seite 6-7 Ukraine: Am 17. Januar wählen die Ukrainer einen neuen Staatspräsi- denten. Der Urnengang stößt auch in der EU auf großes Interesse, denn das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land ist von besonderer politischer und ökonomischer Bedeutung. Seite 8

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In dieser Woche

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Reiches Europa, armes Europa

ISSN 0344-919X G 4120

Präsident: Dr. Eckart John von Freyend

Direktor: Professor Dr. Michael Hüther

Mitglieder: Verbände und Unternehmenin der Bundesrepublik Deutschland

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Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Jg. 36, 14. Januar 2010

Quelle: Eurostat

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Wirtschaftsleistung: Großes Gefälle in EuropaUm Kaufkraftunterschiede bereinigtes Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Jahr 2008, EU-27=100

Luxemburg

Irland

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Dänemark

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Finnland

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Reichtum ist relativ: Mit rund 80.000 Euro betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner in Luxemburg 2008 zwar nahezu das 18-Fache der bulgarischen Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung, doch dafür sind die Lebenshaltungskosten im Groß-herzogtum in vielen Bereichen auch deut-lich höher als in anderen Ländern. Nah-rungsmittel und alkoholfreie Getränke etwa kosten in Luxemburg circa 10 Prozent mehr als in Deutschland. Besonders happig sind die Mieten, die so manchen Luxemburger sogar dazu veranlasst haben, den Wohnort hinter die Grenze zu verlegen. Berücksich-

tigt man diese Kaufkraftunterschiede, lag Luxemburg im Jahr 2008 mit seiner Wirt-schaftskraft in Europa zwar immer noch an erster Stelle, doch das luxemburgische BIP je Einwohner war in dieser Rechnung „nur“ noch knapp siebenmal so hoch wie das bulgarische. Die Bundesrepublik rangierte mit ihrem um Kaufkraftunterschiede berei-nigten BIP je Einwohner, das den EU-Mittelwert um 16 Prozent übertraf, gerade noch im oberen Drittel der 27 EU-Staaten. Deutlich besser standen neben den Luxem-burgern vor allem die Iren sowie die Nie-derländer da.

Kinderfreibeträge: Politiker und Ökonomen diskutieren schon länger, den Kinderfreibetrag in einen Kindergrund-freibetrag umzuwandeln, weil vom heu-tigen Verfahren Spitzenverdiener stärker profitieren als Familien aus mittleren oder unteren Einkommensgruppen. Doch ein Grundfreibetrag hätte ebenfalls seine Tücken. Seite 2

Arbeitsmarktprognosen: Trotz des konjunkturellen Einbruchs ist der Ar-beitsmarkt bisher mit einem blauen Auge davongekommen. Die Zahl der Arbeits-losen stieg im zurückliegenden Jahr nur um 160.000 an. Für 2010 rechnen Wirt-schaftsforscher aber mit einer Zunahme um eine halbe Million. Seite 3

Branchenkonjunktur: Der IW-Kon-junkturumfrage zufolge geht es 2010 für den Vorleistungs- und Konsumgütersek-tor bundesweit aufwärts. Im Investiti-onsgüterbereich sowie in den Dienstleis-tungsbranchen beschränkt sich der Aufschwung dagegen überwiegend auf Westdeutschland. In der Bauwirtschaft wiederum stellen sich die Firmen auf ein schwieriges Jahr ein. Seite 4-5

Klimawandel: Die Temperatur steigt, Niederschläge fallen unregelmä-ßiger, was wiederum Hochwasser und Dürren begünstigt. Stürme werden vo-raussichtlich häufiger und schwerer, und Rekordsommer wie der von 2003 könnten in Europa eher die Regel als die Ausnahme werden. Diese Verände-rungen treffen die Wirtschaft auf unter-schiedliche Weise. Seite 6-7

Ukraine: Am 17. Januar wählen die Ukrainer einen neuen Staatspräsi-denten. Der Urnengang stößt auch in der EU auf großes Interesse, denn das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land ist von besonderer politischer und ökonomischer Bedeutung. Seite 8

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14. Januar 2010Seite 2 / Nr. 2

Auch ein Systemwechsel hätte seine TückenKinderfreibeträge

Politiker und Ökonomen diskutie-ren schon länger, aus Gerechtigkeits-gründen den Kinderfreibetrag in einen Kindergrundfreibetrag umzuwandeln, weil vom heutigen Verfahren Spitzen-verdiener stärker profitieren als Fami-lien aus mittleren oder unteren Ein-kommensgruppen. Dem Staat, so das Argument, sollten alle Kinder gleich viel wert sein. Die Alternative Grund-freibetrag hätte jedoch ebenfalls ihre Tücken.

Einstweilen bleibt alles beim Alten – zum Jahreswechsel wurden im Zuge des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes Kin-dergeld und Kinderfreibetrag erhöht. Das Kindergeld steigt um 20 Euro monatlich. Für die ersten beiden Sprösslinge gibt es also je 184 Euro, für das dritte Kind 190 Euro und für jedes weitere 215 Euro. Der Kinderfreibetrag, der sich am Existenz-minimum eines Kindes orientiert, wurde um 984 Euro auf 7.008 Euro angehoben.

Das Finanzamt prüft in jedem Einzelfall, ob das Kindergeld oder der Freibetrag für den Steuerpflichtigen günstiger ist.

Freibetrag heißt hier, dass man diesen Betrag von seinen Einkünften abziehen darf und nur für die verbleibende Summe Steuern zahlen muss. Wegen der Progres-sion im Steuertarif – jeder zusätzlich zu versteuernde Euro wird mit einem hö-heren Steuersatz belegt – nimmt daher die Entlastung durch den Kinderfreibe-trag mit steigendem Einkommen zu:

Wer die Reichensteuer von 45 Pro-zent zahlen muss, spart pro 1.000 Euro Kinderfreibetrag 450 Euro Steuern. Ein Arbeitnehmer mit einem Ein-gangssteuersatz von 14 Prozent kommt pro 1.000 Euro Kinderfreibetrag nur auf 140 Euro Ersparnis.

Für eine Familie mit zwei Sprösslin-gen und einem jährlichen Einkommen von 40.000 Euro ist es daher günstiger, Kindergeld zu beziehen (Grafik). So wird

sie pro Kind um 2.208 Euro entlas tet. Der Kinderfreibetrag brächte nur 1.776 Euro. Fami-lien mit einem Einkommen von 80.000 Euro stellen sich dagegen mit dem Freibetrag besser. Ein Spitzenverdiener mit 120.000 Euro per annum kann auf diesem Weg sogar insgesamt 5.888 Euro Einkom-menssteuer sparen.

Deshalb hatte schon der frühere Finanzminister Peer Steinbrück einen Systemwech-sel vorgeschlagen – er wollte den Kinderfreibetrag durch einen Kindergrundfreibetrag ersetzen. Dabei bleibt das Exis tenzminimum des Kindes zwar ebenfalls steuerfrei. Aber die Steuerspartechnik ist eine andere:Schritt 1: Zunächst wird die Einkommenssteuer berechnet, die ein Paar ohne Kinder zah-len muss. Bei einem Einkom-men von 40.000 Euro sind das 5.402 Euro.

Schritt 2: Dann werden alle Grundfrei-beträge addiert. Das sind nach heutigem Stand 8.004 Euro für jeden Erwachsenen und 7.008 Euro pro Kind. Für eine vier-köpfige Familie ergibt das eine Gesamt-summe von 30.024 Euro. Für ein entspre-chendes Einkommen müsste das Paar ohne Kinder Steuern in Höhe von 2.826 Euro abführen.Schritt 3: Dieser Betrag wird dann als „Steuergutschrift“ von der ohne Kinder zu entrichtenden Steuer abgezogen. Bei einem Einkommen von 40.000 Euro verbleibt dann noch eine Steuer von netto 2.576 Euro.

Die Höhe der Steuerminderung vari-iert jetzt nicht mehr mit den Einkünften. Eine Familie mit zwei Kindern spart pro Sprössling 1.413 Euro im Jahr – egal wie viel der Ernährer verdient. Um im Durchschnitt aber auf die heutige Steu-erersparnis zu kommen, müsste der Kin-dergrundfreibetrag entsprechend ange-hoben werden.

Mit dem Kindergrundfreibetrag ver-hindert man zwar, dass Kinder aus Haus-halten mit unterschiedlichen Einkommen unterschiedlich behandelt werden. Aber auch eine solche Reform wäre nicht ohne Tücken. Mit steigender Kinderzahl erhöht sich nämlich die Summe der Grundfrei-beträge – und desto höher ist in einem progressiven System auch der Steuersatz für die Steuergutschrift. Eine sechsköpfige Familie käme auf eine Gesamtsumme von 44.040 Euro (2 mal 8.004 und 4 mal 7.008 Euro). Dadurch erhält sie eine Steuergut-schrift von 6.508 Euro. Bei zwei Kindern würde man am Ende gegenwärtig eine Entlastung von durchschnittlich 1.413 Euro pro Kind erhalten, bei vier Kindern hingegen 1.627 Euro.

Außerdem müsste geklärt werden, ob bei kinderreichen Familien mit geringem Einkommen Steuergutschriften, die grö-ßer sind als die Steuerschuld, vom Fi-nanzamt ausgezahlt werden sollen. Falls ja, würde eine Familie mit vier Kindern und 40.000 Euro Einkommen vom Fiskus gemäß den gegenwärtigen Freibeträgen 1.102 Euro cash erhalten.

nur Einkommenssteuer ohne Solidaritätszuschlag; Kindergeld: 184 Euro fürdas erste und zweite Kind; Kinderfreibetrag: 7.008 Euro pro Kind;Kindergrundfreibetrag: aus Vereinfachungsgründenebenfalls mit 7.008 Euro angesetzt; Quelle: IW Köln

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Fiskus:Wie sich Kinder rechnenJe höher das Einkommen ist, desto höher ist auch die Entlas-tung durch den Kinderfreibetrag. Ab einem bestimmten Ein-kommen ist der Kinderfreibetrag sogar lukrativer als das Kin-dergeld. Die SPD hat deshalb vorgeschlagen, einen Kinder-grundfreibetrag einzuführen. Dadurch ist die Entlastung füreine Familie immer gleich, egal wie hoch das Einkommen ist.

Einkommen

Tarif 2010 Reform-vorschlag

Kinder-freibetrag

Kinder-geld

Kindergrund-freibetrag

40.000 40.000 40.0001.850 5.402 5.402

2.8264.416

1.850 986 2.576

1.7762.208

1.413

Tarifliche SteuerSteuergutschriftKindergeldEffektive Steuer

EinkommenTarifliche SteuerSteuergutschriftKindergeldEffektive Steuer

SteuerlicheEntlastungpro Kind

80.000 80.000 80.00013.178 18.014 18.014

2.8264.416

13.178 13.598 15.188

2.418 2.2081.413

SteuerlicheEntlastungpro Kind

Berechnungenfür eine Familiemit zwei Kindernin Euro

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Seite 3 / Nr. 2 14. Januar 2010

Arbeitsmarktprognosen:Besser als befürchtet Der Arbeitsmarkt

3.406

3.102

Quelle: Statistisches Bundesamt

November 2007 – November 2008 November 2008 – November 2009

J F J AJMAM ON ND S

20082009

WestQuoteDJFMAMJJASOND

6,26,97,07,17,26,96,97,07,16,96,66,66,7

12,213,914,114,213,913,312,912,912,812,311,811,812,1

Ost

39.500

40.000

40.500

39.000

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

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Dezember 2007 – Dezember 2008 Dezember 2008 – Dezember 2009

F M O N DD J JMA SAJ

3.800

3.400

3.200

3.000

3.600

BeschäftigungErwerbstätige in Deutschland in 1.000

ArbeitslosigkeitArbeitslose in Deutschland in 1.000

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Arbeitsmarkt: Absturz bleibt ausZum jeweiligen Zeitpunkt prognostizierte Zahl der Arbeitslosen für 2010 in 1.000

IWHIABIfWDIWGDRWIIWifoSVRIMK

4.122

4.251

4.6884.6334.310

4.322

4.337

4.750

4.4854.1213.881

4.1334.210

4.0544.075

3.802

3.972

3.827

3.615

3.706

3.600

Frühjahr2009

Juni2009

Juli2009

September2009

Oktober2009

Dezember2009

Januar2010

IWH: Institut für Wirtschaftsforschung Halle; IAB: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg;IfW: Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel; DIW: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin;GD: Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute; RWI: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschafts-forschung Essen; IW: Institut der deutschen Wirtschaft Köln; ifo: ifo Institut für Wirtschafts-forschung an der Universität München; SVR: Sachverständigenrat zur Begutachtung dergesamtwirtschaftlichen Entwicklung; IMK: Institut für Makroökonomie und Konjunktur-forschung Düsseldorf; Quellen: Prognosen der Institute

2.800

40.796

3.102

40.366

40.796

3.276

40.578

Trotz des konjunkturellen Ein-bruchs ist der Arbeitsmarkt bisher mit einem blauen Auge davongekommen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im zurückliegenden Jahr nur um 160.000 an. Für 2010 rechnen Wirtschaftsfor-scher aber mit einer Zunahme um eine halbe Million.

In den Frühjahrsprognosen der Wirt-schaftsforschungsinstitute aus dem Jahr 2009 wurde Schlimmes vorausgesagt: Die Zahl der Arbeitslosen sollte im ver-gangenen Jahr im Schnitt auf bis zu 3,7 Millionen steigen. Für das Jahresende gingen die Ökonomen sogar von einem Überschreiten der 4-Millionen-Marke aus.

Doch der Arbeitsmarkt reagierte weit weniger stark auf die Konjunktur als erwartet – immerhin produzierte die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr 4 bis 5 Prozent weniger Güter und Dienstleistungen als 2008. Der Personal-bestand hat sich jedoch kaum verringert – auch weil jahresdurchschnittlich über 1 Million Arbeitnehmer kurzarbeiteten.

Bis das Produktionsniveau des Jahres 2008 wieder erreicht wird, werden einige Jahre vergehen, selbst wenn sich die Wirtschaft 2010 und 2011 deutlich er-holt. Betriebsbedingte Kündigungen sind deshalb nicht auszuschließen. Dement-sprechend sind Konjunkturexperten der Ansicht, dass die Zahl der Arbeitslosen 2010 deutlich ansteigt.

Schwarzmalerei ist allerdings nicht angesagt, da sich die Erwartungen für dieses Jahr verbessert haben: Wurden noch vor sechs Monaten 4,75 Millionen Arbeitslose für möglich gehalten, liegen die jüngsten Prognosen für den Jahres-schnitt nur noch bei 3,6 bis 4,0 Millionen Stellensuchenden. So wäre selbst Ende 2010 allenfalls mit 4,3 Millionen Arbeits-losen zu rechnen, die 5-Millionen-Marke würde nicht annähernd erreicht.

Damit stünde der deutsche Arbeits-markt trotz der schwersten Konjunktur-krise aller Zeiten noch weit besser da als 2005, im Jahresmittel wurden seinerzeit 4,9 Millionen Arbeitslose gezählt.

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14. Januar 2010Seite 4 / Nr. 2

Auf dem Weg der BesserungBranchenkonjunktur

4. Quartal 2009: Oktober und November; Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt

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Industriekonjunktur: Trendwende geschafftPreis- und saisonbereinigte Produktion in Deutschland, 1. Quartal 2005 = 100

2005I

90

100

110

120

90

100

110

120

II III IV06

I II III IV07

I II III IV08

I II III IV09

I II III IV2005

I II III IV06

I II III IV07

I II III IV08

I II III IV09

I II III IV

100,5 95,4

100,5

113,5

90

100

110

120

90

100

110

120

Vorleistungsgüter-branche

Investitionsgüter-branche

Konsumgüter-branche

Baugewerbe

Prognosestand: Dezember 2009; Ursprungsdaten: Consensus Forecasts

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Industrie: Vielerorts auf ErholungskursUm so viel Prozent wird sich die Industrieproduktion im Jahr 2010gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich verändern

12,1

J

5,0

E

4,8

D

4,1

I

3,7

FIN

3,1

S

2,7

DK

2,3

A

2,1

USA

2,1

F

2,1

UK

1,4

NL

1,3

CH

0,8

CAN -0,4

IRL

-2,3

B

Der Patient Weltwirtschaft berappelt sich. Im Jahr 2009 wurde er noch schwer von der Rezession gebeutelt, jetzt sind die Anzeichen für seine Genesung unver-kennbar. Diese verläuft allerdings eher schleppend (vgl. iwd 51-52/2009). Mög-liche Rückschläge drohen der globalen Ökonomie etwa durch Finanzierungseng-pässe der Unternehmen, steigende Roh-stoffpreise sowie das Auslaufen der geld- und fiskalpolitischen Hilfen.

Dass der Wirtschaftskreislauf über-haupt wieder auf Touren kommt, ist in den meisten großen Volkswirtschaften der Industrie zu verdanken. Ihre Produktion war 2009 vielerorts um zweistellige

Die deutsche Wirtschaft ist auf Erholungskurs – doch die einzelnen Branchen kommen recht unterschiedlich wieder zu Kräften. Der IW-Konjunkturumfrage zufolge wird 2010 für den Vorleistungs- und Kon-sumgütersektor bundesweit ein besseres Jahr. Im Investitionsgüterbe-reich sowie in den Dienstleistungsbranchen beschränkt sich der Auf-schwung dagegen überwiegend auf Westdeutschland. Der Bauwirtschaft wiederum steht deutschlandweit ein schwieriges Jahr bevor.

Prozentzahlen eingebrochen – vor allem aufgrund des schwächeren Exports. In-zwischen wird die Investitionsmüdigkeit an zahlreichen Wirtschaftsstandorten all-mählich überwunden, und davon profitie-ren die Industriefirmen. Denn sie liefern die für den Aufschwung benötigten Grundstoffe, Bauteile und Maschinen.

Im internationalen Vergleich erholt sich die Industrie in Japan wohl am bes-ten (Grafik). Sie hatte 2009 ein Minus von deutlich mehr als 20 Prozent zu verkraften, kann 2010 aber auf ein Plus von 12 Prozent hoffen. In den meisten anderen Industrieländern dürfte der Out-put zwischen rund 1 und 5 Prozent zule-

gen. Die Dynamik der deutschen Unter-nehmen ist dabei vergleichsweise hoch:

Im Schnitt rechnen die Konjunk-turforscher für Deutschland mit einem Anstieg der Industrieproduktion um 5 Prozent.

Damit ist zwar der Absturz um annä-hernd 20 Prozent aus dem vergangenen Jahr noch lange nicht wettgemacht, aber die Richtung stimmt wieder.

Ein detaillierterer Blick auf die Pro-duktionsentwicklung zeigt zudem, dass die Trendwende im Verarbeitenden Ge-werbe bereits relativ früh kam – nach dem zum Teil dramatischen Schwächeanfall Anfang 2009 belebte sich das Geschäft in vielen Industriesparten schon in der zweiten Jahreshälfte (Grafik):

Im November lag die Produktion im Investitionsgüterbereich wieder um rund 9 Prozent und im Vorleistungs-sektor sogar um gut 14 Prozent über dem jeweiligen Tiefpunkt.

Anders sieht es bei den Konsumgü-terherstellern aus. Sie kamen zwar glimpflicher durch die Krise, konnten aber bis zuletzt auch nicht nennenswert zulegen.

Als noch krisenresistenter erwies sich der Bausektor, zumindest das Bauhaupt-gewerbe. Dort unterschritt die Produkti-on 2009 kaum das Niveau der beiden vorangegangenen Jahre – lässt man das durch den milden Winter begünstigte erste Quartal 2008 einmal außen vor. Diese Stabilität ist vor allem den staatli-chen Konjunkturprogrammen zuzu-schreiben, die insbesondere den öffent-lichen Bau gepäppelt haben.

Der unterm Strich positive Trend dürfte sich fortsetzen – darauf lässt auch die jüngste Herbstumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) schließen (vgl. iwd 48/2009). Demnach geht gut ein Drittel aller Unternehmen für 2010 von einer höheren Produktion aus als im Vorjahr; nur noch etwas mehr als ein Fünftel erwartet einen Rückgang der Herstellungsmenge. Allerdings kom-men weiterhin nicht alle Wirtschafts-zweige gleichermaßen in Schwung;

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Quelle: IW-Konjunkturumfrage

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Branchenkonjunktur:Erwartungen bleiben uneinheitlichSaldo aus positiven und negativen Produktionserwartungen der Unternehmen in Prozentpunkten

Westdeutschland OstdeutschlandVorleistungsgüterbranche

2005

19 34 46 3656

33 31

-24

25

-68

2006 2007 2008 2009 2005

7 25 37 2751

22 335

26

-54

Konsumgüterbranche

19 22 39 3555 36 33

-18

27

-54

27 28 22 2457

33 28

-18

15

-38

Investitionsgüterbranche

23 32 46 50 65 52 46

-13

10

-75

29 42 55 55 67 60 4910

-63

-5

Baugewerbe

3

-16

3411 28

2 19

-25 -40-10

-39 -46-5 -15

6

-11 -10 -17 -33 -22

Dienstleistungsgewerbe

1436 47 47 47 38 34

-8

15

-52

14 834 24 40

20 30

-9-29

-4

Insgesamt

14 30 44 41 49 35 34

-14

15

-57

9 16 30 24 4222 29

-6

1

-39

2006 2007 2008 2009

für das jeweilige Jahr (IW-Frühjahrsumfrage) für das darauffolgende Jahr (IW-Herbstumfrage)

zudem zeigen sich deutliche Unterschie-de zwischen West- und Ostdeutschland (Grafik):

• Vorleistungsgüterindustrie. Die Be-triebe, die Grundstoff- und Produktions-güter wie Kunststoffe oder Chemiegase fertigen, werden 2010 besonders gut wieder zu Kräften kommen – und zwar in West- wie in Ostdeutschland.

In den alten Bundesländern rechnen 43 Prozent der Firmen mit einem Pro-duktionszuwachs und nur 18 Prozent mit einem Minus. Im Osten ist der Saldo mit 48 Prozent Optimisten und 22 Prozent Pessimisten ähnlich günstig.

Dies stimmt für den weiteren Kon-junkturverlauf zuversichtlich. Denn die Vorleistungsunternehmen spüren das Auf und Ab der Wirtschaft in der Regel be-sonders früh. So decken sich die Betrie-be aller Bereiche auch im jetzt beginnen-den Aufschwung wieder mit Vorräten ein – vor allem dann, wenn diese 2009 kräf-tig reduziert wurden.

• Konsumgüterhersteller. Dieser In-dus triezweig zeigt sich ebenfalls zuver-sichtlich, im neuen Jahr wieder fitter zu werden. Möglicherweise hoffen die Un-ternehmen auf die konsumsteigernde Wirkung der Steuerentlastungen in die-sem Jahr. Jedenfalls halten rund 45 Pro-zent der Betriebe im Westen und 37 Prozent im Osten einen höheren Output als 2009 für wahrscheinlich. Nur etwa 17 bzw. 23 Prozent haben einen Rückgang auf der Rechnung.

• Investitionsgütersektor. Hier sind die Firmen weniger frohen Mutes. In West-deutschland überwiegen immerhin die freundlichen Mienen – dort rechnen knapp 36 Prozent der Maschinen- und Anlagenbauer mit einem Produktions-plus und lediglich etwas mehr als 25 Prozent mit einer Verringerung. Damit wird sich die Konstitution der Branche gegenüber 2009 deutlich verbessern. Die se Tendenz ist zwar auch im Osten der Republik festzustellen, dennoch zei-gen dort noch mehr Daumen nach unten als nach oben. Gut 28 Prozent der Inves-titionsgüterfirmen erwarten in diesem Jahr eine höhere Produktion als 2009, knapp 33 Prozent glauben an einen er-neuten Rückgang. Offenbar warten quer durch die Wirtschaft viele Unternehmen erst mal ab, wie nachhaltig der Auf-

schwung ist, bevor sie ihre Investitions-budgets wieder aufstocken.

• Baugewerbe. Die zuletzt gespaltene Konjunktur in diesem Sektor – Woh-nungs- und Wirtschaftsbau kamen im vergangenen Jahr stark unter Druck, wäh-rend der öffentliche Bau dank staatlicher Hilfe stabil blieb – prägt auch die Ein-schätzungen für das Jahr 2010. Insgesamt dominieren aber jene Firmen, die mit einer rückläufigen Produktion rechnen.

• Dienstleistungssektor. Auch die Ser-vicefirmen – auf die in Deutschland rund

70 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung entfallen – haben an das begonnene Jahr wieder höhere Erwar-tungen. So rechnet in den alten Bundes-ländern ein knappes Drittel der Betriebe mit einem Leistungsplus und nur noch gut ein Sechstel mit schlechteren Ge-schäften als 2009. Die Verbesserung der Branchensituation ist auch im Osten spürbar, allerdings überwiegen dort mit 28 zu 32 Prozent noch jene Unterneh-men, die von weniger Arbeit und Kunden ausgehen.

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Wer mitdenkt, gewinntKlimawandel

Der Klimawandel kommt nicht unan-gekündigt: Der Sommer 2003 ließ die Bundesbürger gehörig schwitzen, im Jahr 2007 fegte der Sturm Kyrill ganze Waldstriche nieder und der Winter 2009 ließ selbst die Rheinländer wochenlang zittern. Das Wetter beunruhigt auch die Wirtschaft, wie Befragungen des Um-weltexpertenpanels des Instituts der deut-schen Wirtschaft Köln zeigen (Grafik):

Rund 70 Prozent der Unternehmen in Deutschland befürchten negative Folgen für ihre Geschäfte durch Stürme.

Auch starker Regen bereitet vielen Kopfzerbrechen. Höheren Temperaturen hingegen sehen Betriebe gelassener ent-gegen: Knapp 42 Prozent schreiben den heißeren Sommern und milderen Win-tern sowohl positive als auch negative Folgen zu.

Doch den Launen von Petrus müssen weder Bürger noch Unternehmen hilflos gegenüberstehen. Mitdenken ist in Zeiten des Klimawandels gefragt – in der Wirt-schaft zum Beispiel, wenn es um Stand-ortentscheidungen und Produktentwick-lungen geht, die einen langen Vorlauf benötigen. Je nach Branche ergeben sich unterschiedliche Szenarien:

• Land- und Forstwirtschaft. In der Landwirtschaft wird sich wohl am meis-ten ändern – auch wenn die Branche sich seit jeher an Veränderungen der Witte-rungsverläufe anpassen musste. Neue, wärmeliebende und trockenheitsresis-tente Pflanzen werden künftig wohl die Favoriten auf den Äckern. Ein Beispiel hierfür sind Nutzpflanzen aus dem Süden wie etwa die Hirse, die dem Winterwei-zen bald Konkurrenz machen könnte.

In der Forstwirtschaft wird ein wär-meres Klima vor allem der Fichte zu

Das Klima ändert sich – das ist mittlerweile sicher, auch wenn Pro-gnosen über das Ausmaß schwer fallen. Die Temperatur steigt, Nieder-schläge fallen unregelmäßiger, was wiederum Hochwasser und Dürren begünstigt. Stürme werden voraussichtlich häufiger und schwerer, und Rekordsommer wie der von 2003 könnten in Europa eher die Regel als die Ausnahme werden. Diese Veränderungen treffen die Wirtschaft auf unterschiedliche Weise.*)

schaffen machen – der in Deutschland am meisten gepflanzte Nadelbaum liebt es eher kalt.

• Energie- und Wasserwirtschaft. Der Energiesektor steht beim Thema Klima-schutz stark im Fokus, da Energie sparen oft mit niedrigeren CO2-Emissionen ein-hergeht – was der Atmosphäre hilft. Ein umweltbewusster Umgang mit Gas, Öl, Wasser und Kohle zahlt sich aber auch für die Energieunternehmen selbst aus. Denn sie werden nicht verschont bleiben vom Klimawandel. So kann extremes Wetter, zum Beispiel Sturm und Gewitter, die Infrastruktur wie etwa Freileitungen be-schädigen oder gar zerstören.

Die Energiewirtschaft könnte zudem im Hochsommer Probleme bekommen, wenn das Wasser knapp wird – Kohle- und Kernkraftwerke müssen schließlich gekühlt werden. Hinzu kommen die Schwankungen beim Energieverbrauch: Besonders im Sommer könnten sich die Stromzähler schneller drehen, wenn die Klimaanlangen in Unternehmen und Haushalten auf Hochtouren laufen.

Auf die Wasserwirtschaft werden ebenfalls große Herausforderungen zu-kommen. In Zukunft wird besonders in Gebieten mit geringer Wasserspeicher-kapazität – also bei sandigen Böden wie beispielsweise in Brandenburg – im Sommer der Grundwasserspiegel rapide sinken. Auch Betreiber von Abwassersys-temen müssen umdenken. Denn neben Hitze gibt es noch andere Wetterkaprio-len: Dauerregen und Überschwem-mungen. Das Elbehochwasser von 2003 könnte nur ein Vorgeschmack gewesen sein.

Vgl. Mahammad Mahammadzadeh, Hendrik Biebeler: Anpas-sung an den Klimawandel, IW-Analysen Nr. 57, Köln 2009, 72 Seiten, 18,90 Euro. Bestellung über Fax: 0221 4981-445 oder unter: www.iwmedien.de

*)

Klimawandel:Doppelgleisigzum Ziel

Extreme Niederschläge, anhaltende Hit-ze und schwere Stürme machen bereits heute vielen Regionen in der Welt zu schaffen – wenn auch unterschiedlich stark. Allen Klimaschutzmaßnahmen zum Trotz ist die Umkehr des Klimawandels allerdings nur innerhalb von Jahrzehnten denkbar. Daher müssen Politik, Wirtschaft und Verbraucher doppelgleisig fahren: Sie müssen das Klima schützen, sich selbst aber gegen Wetterkapriolen wappnen und an Veränderungen anpassen.

Diesem Thema hat sich auch die För-derinitiative „klimazwei – Forschung für den Klimaschutz und Schutz vor Klima-wirkungen“ gewidmet. Seit dem Jahr 2006 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) rund 40 For-schungsprojekte zu den beiden Herausfor-derungen des Klimawandels gefördert: Klimaschutz und Klimaanpassung. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln stand den Forschern die ganze Zeit bera-tend zur Seite. Die meisten klimazwei-Arbeiten sind in der Zwischenzeit abge-schlossen oder gehen in Kürze zu Ende.

Die Ergebnisse der Projekte liegen nun vor und können im Buch „Klimaschutz und Anpassung an die Klimafolgen – Strategien, Maßnahmen und Anwen-dungsbeispiele“ nachgelesen werden. Rund 230 Autoren haben an der Publika-tion mitgewirkt.

Das Spektrum der vorgeschlagenen Lö-sungsansätze ist sehr breit und reicht von A wie Aktionsnetzwerke bis Z wie spezi-eller Zement. So wurde beispielsweise im Projekt „Windantrieb für Frachtschiffe“ der Zugdrachenantrieb weiterentwickelt und erstmals ein Schiff mit einem groß-flächigen Zugdrachen ausgerüstet. Im Rahmen eines weiteren Projekts namens „Docking-Prinzip“ wurde ein Konzept zum oberleitungsfreien Betrieb von Stra-ßenbahnen entwickelt. Das Projekt „Inno-vative Gewächshäuser“ wiederum hat den Einfluss eines erhöhten UV-B-Strahlungs-eintrages auf die Produktqualität, die Schädlingsresistenz und den Ertrag von Gemüsepflanzen untersucht. Andere kli-mazwei-Forscher haben Züchtungsstrate-gien für Weizenpflanzen im Hinblick auf früher einsetzende sommerliche Trocken-perioden entwickelt. Mahammad Mahammadzadeh,Hendrik Biebeler, Hubertus Bardt (Hrsg.): Klimaschutz und Anpassung an die Klimafol-gen – Strategien, Maßnahmen und Anwen-dungsbeispiele, Köln 2009, 310 Seiten,58 Euro, ISBN 978-3-602-14847-9

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• Industrie. Künftige Standortentschei-dungen des Produzierenden Gewerbes werden vom Klimawandel beeinflusst. So ist beispielsweise die Papierindustrie besonders stark von der Verfügbarkeit von Energie und Wasser abhängig; die Ernährungsindustrie hingegen wird Ver-änderungen in der Landwirtschaft zu spüren bekommen.

Vom Klimawandel profitieren kann die Bauwirtschaft: Sie wird mehr Aufträge bekommen, sei es, um Dämme an Küsten zu verstärken oder Häuser nach einem Sturm zu reparieren. Außerdem könnte die geringere Anzahl von Frosttagen der Branche Aufwind verleihen, weil die Ar-beiten nicht mehr so oft ruhen müssen.

• Verkehr und Logistik. Stürme, Hagel und Starkregen ziehen vor allem die verkehrsrelevante Infrastruktur in Mitlei-denschaft – etwa Straßen, Brücken, Schienen, Häfen und Flughäfen. Schäden an Oberleitungen und Gleisen infolge von Orkanen, Erdrutschen und Überschwem-mungen können den Schienenverkehr erheblich beeinträchtigen. Aber auch der Luftverkehr dürfte durch veränderte Luftströmungsverhältnisse, Gewitter, Stürme und Starkregen stärker leiden, als

dies zurzeit der Fall ist: Starts und Lan-dungen werden gefährlicher.

Die Schifffahrt wird ebenfalls mit dem Klimawandel konfrontiert werden – die Wasserstände der Flüsse werden aller Voraussicht nach erheblich schwan-ken und die Wasserstraßen teils unpas-sierbar machen.

Einen Pluspunkt gibt es aber: die milderen Winter, von denen der gesamte Verkehrssektor profitieren wird. So ent-stehen beispielsweise aufgrund der ab-nehmenden Frost- und Eistage in den Wintermonaten weniger Infrastruktur-schäden. Die steigenden Temperaturen in den heißen Sommermonaten führen zudem zu erhöhter Nachfrage nach leis-tungsfähigen Klimaanlagen in den Fahr-zeugen und damit auch zu neuen Markt-chancen für die Anbieter.

• Tourismus. Der Klimawandel wirkt sich auf den Tourismussektor sowohl positiv als auch negativ aus. Ein Gewin-ner ist zumindest teilweise der Sommer-tourismus in Deutschland. Mit stei-genden Temperaturen und abnehmender Niederschlagshäufigkeit wird es attrak-tiver, die langen Ferien zwischen Rügen und Bodensee zu verbringen.

Für den Wintertourismus sieht es da-gegen schlechter aus. In den tieferen Lagen der Alpen und in den deutschen Mittelgebirgen ist bereits heute Schnee nicht mehr unbedingt garantiert. Nicht zuletzt dürften Stürme auch an der tou-ristischen Infrastruktur – zum Beispiel Seilbahnen, Skilifte – rütteln.

Auch Städte- und Kulturreise-Anbie-ter müssen damit rechnen, dass ihnen extremes Wetter wie anhaltende Hitze-wellen oder Dauerregen das Geschäft vermiesen.

Heißen Sommern lässt sich noch am besten begegnen. Denn Städteplaner kön-nen zumindest für etwas Erleichterung sorgen: Breitere Durchlüftungsschnei-sen, Grünflächen und Gewässer und nicht zuletzt Bäume als Schattenspender ma-chen auch einen Jahrhundertsommer erträglicher. Zudem sollten Gebäudepla-ner künftig mehr an die Kühlung der Häuser denken – sei es mittels einer Klimaanlage oder durch Wände und Decken, in denen kaltes Wasser zirku-liert. Nach Schätzungen der Europä-ischen Kommission könnte sich so in den nächsten 20 Jahren die gekühlte Fläche in Deutschland verdoppeln.

VerminderteNiederschlägeim Sommer

Befragung von 185 Umweltexperten im Juni 2008Quelle: IW-Umweltexpertenpanel

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Klimawandel: Stürme machen am meisten SorgenSo viel Prozent der Unternehmen in Deutschland glauben, dass diese Klimaereignisse sich … auf ihre Geschäfte auswirken

Stürme Starkregen

Hagel Temperaturanstieg

... negativ

70,2

57,9

64,0

41,5

24,6

42,1

22,8 25,0

1,7

9,3

38,0 33,3

6,4

18,7

6,4

26,9

04,1

1,85,3

... sowohl negativ als auch positiv ... positiv ... gar nicht

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Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln · Chefredakteur: Axel Rhein, Stellvertreterin: Brigitte Lausch · Redaktion: Alexander Weber (verantwortlich), Sylvia Miskowiec, Berit Schmiedendorf · Redaktion Berlin: Klaus Schäfer · Redaktionsassistenz: Angelika Goldenberg · Telefon: 0221 4981-523, Fax: 0221 4981-504, E-Mail: [email protected] · Erscheinungsweise wöchentlich · Bezugspreis: 8,20/Monat inkl. Mehrwert-steuer, zzgl. 3,01 Versandkosten · Verlag: Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH, Postfach 10 18 63, 50458 Köln, Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln, Telefon: 0221 4981-0, Fax: 0221 4981-445 · Druck: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co. KG, Kevelaer · Dem iwd wird einmal monatlich (außer Januar und Dezember) „Wirtschaft und Unterricht“ beigelegt. Rechte für den Nachdruck oder die elektronische Verwertung erhalten Sie über [email protected], die erforderlichen Rechte für elektronische Pressespiegel unter www.pressemonitor.de.

Krisenstimmung in KiewUkraine

Am 17. Januar wählen die Ukrainer einen neuen Staatspräsidenten. Der Urnengang stößt auch in der EU auf großes Interesse, denn das wirtschaft-lich schwer angeschlagene Land ist von besonderer politischer und ökono-mischer Bedeutung.

Kaum ein anderer Staat wurde von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise so hart getroffen wie die Ukraine. In den Jahren 2006 und 2007 war das Bruttoin-landsprodukt (BIP) real noch um jeweils 7 bis 8 Prozent gewachsen – im Jahr 2009 musste das flächenmäßig zweitgrößte Land Europas wohl ein Minus von 14 Prozent verkraften (Grafik).

Für die rund 46 Millionen Einwohner ist dieser Absturz besonders hart, denn gemessen am Wohlstandsniveau der EU geht es ihnen ohnehin nicht allzu gut:

Das Pro-Kopf-BIP der Ukraine be-trägt nur 22 Prozent des EU-Durch-schnitts.

Zudem haben auch in der Ukraine die Folgen der Finanzkrise riesige Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen. Vergli-chen mit 2007 dürften sich das Haus-haltsdefizit und der Schuldenstand bis 2009 in etwa verdreifacht haben.

In der Realwirtschaft kämpft der seit 1991 unabhängige Staat an mehreren Fronten: Einerseits sind die Preise für wichtige Exportgüter wie Stahlerzeug-nisse und chemische Produkte in den

Keller gegangen; andererseits muss die Ukraine vor allem ihre Gas-Importe aus Russland immer teurer bezahlen.

Hinzu kommt der Kursverfall der Hryw nja. Der Euro-Wechselkurs der ukrai nischen Währung notierte in den ersten zehn Monaten des Jahres 2009 durchschnittlich gut 35 Prozent niedriger als im Jahr 2007 – mit entsprechenden Folgen für die meist in fremder Währung aufgenommen Schulden: Lag die Aus-landsverschuldung der Ukraine 2007 noch bei 54 Prozent des BIP, dürfte sie nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) 2009 auf mehr als 80 Prozent gestiegen sein.

Ende 2008 kam der IWF dem Land mit einer Kreditzusage von 16,4 Milliar-den Dollar zu Hilfe. Weil Kiew sich aber nicht an die Sparauflagen des Fonds hält, wurde bislang nur ein Teil der Gelder ausgezahlt.

Auch ihrem langfristigen Ziel, der EU beizutreten, sind die Ukrainer bislang nur ein kleines Stück näher gekommen. Beim EU-Ukraine-Gipfel im Dezember 2009 verständigte man sich lediglich darauf, die Verhandlungen über das geplante Assozi-ationsabkommen möglichst bald abzu-schließen. Wichtiger Bestandteil dieses Abkommens ist eine Freihandelszone zwischen den Verhandlungspartnern. Doch dafür soll die Regierung in Kiew für europäische Standards in der Gesetzge-bung sorgen.

Die Europäische Union unterstützt die Ukraine bereits heute: Für 2007 bis 2010 sind fast 500 Millionen Euro vorgesehen. Der Grund: Die Ukraine ist für die EU von besonderer Bedeutung, weil die Eu-ropäische Union zum einen an stabilen wirtschaftlichen und politischen Bezie-hungen mit den Ländern an ihrer Ost-grenze interessiert ist. Zum anderen spielt die ehemalige Sowjetrepublik als Transitland für russisches Gas für die Energieversorgung des Westens eine ent-scheidende Rolle.

2009: Prognose; Arbeitslosen-quote: Stand jeweils Jahresende Quellen: IWF, EBRD, Weltbank

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Ukraine:Steiler Sturzflug

Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP)Veränderung gegenüber Vorjahr in Prozent

Arbeitslosenquotein Prozent

VerbraucherpreiseVeränderung gegenüber Vorjahr in Prozent

Haushaltssaldoin Prozent des BIP

Schuldenstandin Prozent des BIP

Leistungsbilanzsaldoin Prozent des BIP

2,7 7,3 7,9 2,1

-14,0

13,59,1

12,8

25,2

16,3

7,2 6,8 6,4 6,4

k.A.

-1,5 -3,7

-7,2

2006 20092007 2008

-2,3

2,9 0,4

-1,4 -2,0-3,2

-6,0

18,7 15,7 12,919,9

35,4

2005

Anteile an der gesamt-wirtschaftlichen Wertschöpfungim Jahr 2007 in Prozent

Landwirt-schaft

Industrie

Dienst-leistungen

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