Reihe Epidemiologie 8: Verblindung in randomisierten ... · gar nicht erfolgreich durchfu¨hren,...

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Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 630–637 Methodik Reihe Epidemiologie 8: Verblindung in randomisierten Studien: Wie man verdeckt, wer was erhalten hat Kenneth F. Schulz , David A. Grimes Family Health International, PO Box 13950, Research Triangle Park NC 27709, USA Lancet 2002, 359: 696–700 Die reiche Geschichte der Verblindung erstreckt sich u ¨ ber zwei Jahrhun- derte. Weltweit wissen die meisten Wissenschaftler, was mit Verblindung gemeint ist, doch hinter einem nur allgemeinen Versta ¨ ndnis lauert oftmals Verwirrung. Begriffe wie einfachblind, doppelblind und dreifachblind ha- ben fu ¨ r verschiedene Personen unterschiedliche Bedeutung. Außerdem verwechseln viele medizinische Forscher die Verblindung mit der Geheim- haltung der Randomisierungsliste. Solche Verwechslungen zeigen, dass beide Begriffe missverstanden werden. Verblindung bedeutet, daß Studi- enteilnehmer, Studiena ¨ rzte (meist diejenigen, die die Behandlung verab- reichen) oder Bewerter (diejenigen, die die Outcome-Daten erheben) die zugeteilte Intervention nicht kennen, sodass sie durch dieses Wissen nicht beeinflusst werden. Im Allgemeinen fu ¨ hrt die Verblindung zu einem Ru ¨ ckgang der unterschiedlichen Bewertung von Behandlungsergebnissen (Informationsbias). Sie kann bei den Studienteilnehmern aber auch die Compliance und die Bereitschaft zum Verbleib in der Studie verbessern, wa ¨ hrend sie die Anwendung zusa ¨ tzlicher Pflege- oder Therapiemaßnah- men (manchmal als Ko-Intervention bezeichnet) reduziert. Studiena ¨ rzte und Leser gehen vielfach gutgla ¨ ubig davon aus, dass eine randomisierte Studie einfach dann als hochwertig anzusehen ist, wenn sie doppelt ver- blindet wurde, als ob es sich bei der doppelten Verblindung um die Conditio sine qua non einer randomisierten, kontrollierten Studie handel- te. Auch wenn die Doppelverblindung (Verblindung von Studiena ¨ rzten, Studienteilnehmern und Bewertern der Behandlungsergebnisse) auf eine solide Studienplanung schließen la ¨ sst, du ¨ rfen Studien ohne Doppelver- blindung nicht automatisch als minderwertig eingestuft werden. Anstatt sich ausschließlich auf Begriffe wie Doppelverblindung zu verlassen, sollten Wissenschaftler explizit angeben, wer wie verblindet wurde. Wir empfeh- len, den Ergebnissen mehr Glauben zu schenken, wenn zumindest die Bewertung der Studienergebnisse verblindet erfolgte, mit Ausnahme von objektiven Endpunkten wie etwa der Mortalita ¨t, die kaum Raum fu ¨ r sys- tematische Fehler (Bias) lassen. Wenn Studiena ¨ rzte ihre Verblindungs- maßnahmen korrekt angeben, kann der Leser sie beurteilen. Leider la ¨ sst die Berichterstattung in vielen Artikeln zu wu ¨ nschen u ¨ brig. Wenn in einem Beitrag behauptet wird, es habe eine Verblindung stattgefunden, ohne dies weiter zu erkla ¨ ren, sollte der Leser hinsichtlich ihrer Bias reduzieren- den Wirkung skeptisch bleiben. Die Geschichte der Verblindung in kli- nischen Studien kann auf einen langen Zeitraum von zwei Jahrhunderten zuru ¨ ckblicken [1]. Weltweit wissen die meisten Wissenschaftler, was damit etwa gemeint ist. Leider lauert hinter einem nur allgemeinen Versta ¨ ndnis oftmals aber Verwirrung. Begriffe wie einfachblind, doppelblind und dreifach- blind haben fu ¨r verschiedene Men- schen unterschiedliche Bedeutung [2]. Hinzu kommt, dass viele Forscher Ver- blindung mit der Geheimhaltung der Randomisierungsliste verwechseln. Dass eine solche Verwirrung besteht, deutet darauf hin, dass beide Begriffe missverstanden werden. Doch zwi- schen ihnen bestehen klare theoreti- sche und praktische Unterschiede. Ver- blindung verhindert Ascertainment Bias (Beurteilungsbias, Informationsbias) und schu ¨ tzt die Randomisierungsliste nach der Zuteilung [3,4]. Verfahren zur Geheimhaltung der Randomisierungs- liste benutzen Wissenschaftler aber in erster Linie, um Selektionsbias vorzu- beugen und um Randomisierungslisten vor der und bis zur Behandlungszutei- lung zu schu ¨ tzen. Außerdem la ¨ sst sich eine Verblindung in manchen Studien www.elsevier.de/zaefq ARTICLE IN PRESS Zuschriften an: Dr. Kenneth F Schulz E-Mail: [email protected] (K.F. Schulz). Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) doi:10.1016/j.zgesun.2007.09.024 630

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�Zuschriften an: Dr. KennE-Mail: [email protected]

630

Z.arztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 630–637

www.elsevier.de/zaefq

Methodik

Reihe Epidemiologie 8:Verblindung in randomisierten Studien:Wie man verdeckt, wer was erhalten hatKenneth F. Schulz�, David A. Grimes

Family Health International, PO Box 13950, Research Triangle Park NC 27709, USA

Lancet 2002, 359: 696–700

Die reiche Geschichte der Verblindung erstreckt sich uber zwei Jahrhun-derte. Weltweit wissen die meisten Wissenschaftler, was mit Verblindunggemeint ist, doch hinter einem nur allgemeinen Verstandnis lauert oftmalsVerwirrung. Begriffe wie einfachblind, doppelblind und dreifachblind ha-ben fur verschiedene Personen unterschiedliche Bedeutung. Außerdemverwechseln viele medizinische Forscher die Verblindung mit der Geheim-haltung der Randomisierungsliste. Solche Verwechslungen zeigen, dassbeide Begriffe missverstanden werden. Verblindung bedeutet, daß Studi-enteilnehmer, Studienarzte (meist diejenigen, die die Behandlung verab-reichen) oder Bewerter (diejenigen, die die Outcome-Daten erheben) diezugeteilte Intervention nicht kennen, sodass sie durch dieses Wissen nichtbeeinflusst werden. Im Allgemeinen fuhrt die Verblindung zu einemRuckgang der unterschiedlichen Bewertung von Behandlungsergebnissen(Informationsbias). Sie kann bei den Studienteilnehmern aber auch dieCompliance und die Bereitschaft zum Verbleib in der Studie verbessern,wahrend sie die Anwendung zusatzlicher Pflege- oder Therapiemaßnah-men (manchmal als Ko-Intervention bezeichnet) reduziert. Studienarzteund Leser gehen vielfach gutglaubig davon aus, dass eine randomisierte

eth F Schulz(K.F. Schulz).

Studie einfach dann als hochwertig anzusehen ist, wenn sie doppelt ver-blindet wurde, als ob es sich bei der doppelten Verblindung um dieConditio sine qua non einer randomisierten, kontrollierten Studie handel-te. Auch wenn die Doppelverblindung (Verblindung von Studienarzten,Studienteilnehmern und Bewertern der Behandlungsergebnisse) auf einesolide Studienplanung schließen lasst, durfen Studien ohne Doppelver-blindung nicht automatisch als minderwertig eingestuft werden. Anstattsich ausschließlich auf Begriffe wie Doppelverblindung zu verlassen, solltenWissenschaftler explizit angeben, wer wie verblindet wurde. Wir empfeh-len, den Ergebnissen mehr Glauben zu schenken, wenn zumindest dieBewertung der Studienergebnisse verblindet erfolgte, mit Ausnahme vonobjektiven Endpunkten wie etwa der Mortalitat, die kaum Raum fur sys-tematische Fehler (Bias) lassen. Wenn Studienarzte ihre Verblindungs-maßnahmen korrekt angeben, kann der Leser sie beurteilen. Leider lasstdie Berichterstattung in vielen Artikeln zu wunschen ubrig. Wenn in einemBeitrag behauptet wird, es habe eine Verblindung stattgefunden, ohnedies weiter zu erklaren, sollte der Leser hinsichtlich ihrer Bias reduzieren-den Wirkung skeptisch bleiben.

Die Geschichte der Verblindung in kli-nischen Studien kann auf einen langenZeitraum von zwei Jahrhundertenzuruckblicken [1]. Weltweit wissen diemeisten Wissenschaftler, was damitetwa gemeint ist. Leider lauert hintereinem nur allgemeinen Verstandnisoftmals aber Verwirrung. Begriffe wieeinfachblind, doppelblind und dreifach-blind haben fur verschiedene Men-

schen unterschiedliche Bedeutung [2].Hinzu kommt, dass viele Forscher Ver-blindung mit der Geheimhaltung derRandomisierungsliste verwechseln.Dass eine solche Verwirrung besteht,deutet darauf hin, dass beide Begriffemissverstanden werden. Doch zwi-schen ihnen bestehen klare theoreti-sche und praktische Unterschiede. Ver-blindung verhindert Ascertainment Bias

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(Beurteilungsbias, Informationsbias)und schutzt die Randomisierungslistenach der Zuteilung [3,4]. Verfahren zurGeheimhaltung der Randomisierungs-liste benutzen Wissenschaftler aber inerster Linie, um Selektionsbias vorzu-beugen und um Randomisierungslistenvor der und bis zur Behandlungszutei-lung zu schutzen. Außerdem lasst sicheine Verblindung in manchen Studien

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gar nicht erfolgreich durchfuhren, wah-rend die Geheimhaltung der Randomi-sierungsliste immer erfolgreich umge-setzt werden kann [4,5].Verblindung stellt einen wichtigen, davonverschiedenen Aspekt randomisierter,kontrollierter Studien dar [3]. Der Be-griff Verblindung bedeutet, dass Studi-enteilnehmer, Studienarzte (meistdiejenigen, die die Behandlung verab-reichen) oder Bewerter (diejenigen, diedie Outcome-Daten erheben) die zuge-teilte Intervention nicht kennen, sodasssie durch dieses Wissen nicht beein-flusst werden. Verblindung verhindertBias in mehreren Phasen einer Studie,sie hat jedoch – je nach den Umstan-den – unterschiedliche Relevanz. Auchwenn bei den ersten Verblindungsver-suchen vielleicht noch Augenbindenbenutzt wurden [1], so sind die Vorge-hensweisen mittlerweile doch deutlichraffinierter geworden. In diesem Artikelwerden wir uns hauptsachlich mit denMerkmalen und Vorteilen der Verblin-dung befassen.

Potenzielle Effekte vonVerblindung

Wenn Studienteilnehmer nicht verblin-det werden, kann die Kenntnis der

Kasten 1. Potenzielle Vorteile der Verbli

Verblindete Personen Mogliche VStudienteilnehmer � geringere

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Gruppenzuteilung das Ansprechen aufdie verabreichte Intervention beeinflus-sen [3]. Teilnehmer, die wissen, dass sieeiner Gruppe zugeteilt wurden, dieeine neue Therapie erhalt, konnten po-sitive Erwartungen hegen oder eineerhohte Besorgnis entwickeln. Die derStandardtherapie zugeteilten Teilneh-mer konnten sich dagegen benachtei-ligt fuhlen oder aber Erleichterungverspuren. Obwohl die Evidenz daraufschließen lasst, dass neue Therapienmit gleich großer Wahrscheinlichkeitsowohl schlechter als auch besser seinkonnen als die Standardbehandlung[6], gehen Studienteilnehmer vermut-lich davon aus, dass neue Therapienbesser sind als Standardtherapien – neualso im Sinne von verbessert. In jedemFall konnen das Wissen um die verab-reichte Intervention und die subjektiveWahrnehmung dieser Behandlung diepsychischen oder physischen Reaktio-nen der Teilnehmer beeinflussen. Fer-ner kann die Kenntnis der Behand-lungszuteilung auch einen Einfluss aufdie Compliance und die Bereitschaftder Studienteilnehmer zum Verbleib inder Studie ausuben (siehe Kasten 1).Wichtig ist auch die Verblindung derStudienarzte – also derjenigen, die dasStudienteam im weitesten Sinne dar-

ndung in Abhangigkeit von den erfolgreich

orteileWahrscheinlichkeit einer Verzerrung ihres p

f die Interventionahrscheinlichkeit fur eine Befolgung der ThWahrscheinlichkeit des Bedarfs an zusatzlicWahrscheinlichkeit fur ein Ausscheiden aus

achbeobachtungsverlusten fuhren wurde

Wahrscheinlichkeit der Ubertragung von InilnehmerWahrscheinlichkeit fur die unterschiedliche

Wahrscheinlichkeit fur unterschiedliche DosWahrscheinlichkeit fur die unterschiedliche

ilnehmernWahrscheinlichkeit, dass sie Teilnehmer in un

e ermutigen oder ihnen davon abraten

Wahrscheinlichkeit einer Bias-bedingten Beor allem bei subjektiven Zielgroßen

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stellen; dieses Team besteht aus allenPersonen (aber nicht ausschließlich), diedie Studie geplant haben, die Teilneh-mer rekrutieren, die Randomisierungumsetzen, die medizinische Versorgungleisten, die bei der Intervention bera-tend zur Verfugung stehen, oder dieRoutinedaten erheben [3]. Zu den Stu-dienarzten, bei denen die Verblindungbesonders wichtig ist, zahlen alle Be-handelnden (wie der behandelnde Arztoder die Krankenschwester) und Inter-ventionsberater (z.B. jemand, der eineverhaltensbezogene Praventionsbot-schaft vermittelt), die wahrend der Stu-die mit den Teilnehmern in Kontaktkommen. Wenn die Studienarzte un-verblindet bleiben, kann sich ihre Ein-stellung fur oder gegen eine Interven-tion direkt auf die Teilnehmer ubertra-gen [7]. Ihre personliche Meinungkonnte sich auch in der unterschiedli-chen Anwendung erganzender Inter-ventionen im Sinne einer zusatzlichenpflegerischen oder therapeutischenMaßnahme (Ko-Interventionen), in un-terschiedlichen Entscheidungen uberden Ausschluss von Teilnehmern ausder Studie oder in unterschiedlichenAnpassungen der Arzneimitteldosis(siehe Kasten 1) außern. In Kennt-nis der Interventionsgruppenzuteilung

verblindeten Personengruppen.

sychischen oder physischen Anspre-

erapieschematahen Interventionender Studie ohne verwertbare Daten,

tentionen oder Einstellungen auf die

Verabreichung von Ko-Inter-

isanpassungenHandhabung des Ausschlusses von

terschiedlicher Weise zum Verbleib in

eintrachtigung ihrer Outcomebewer-

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konnten Studienarzte Teilnehmer fer-ner zum Verbleib in einer Studie ermu-tigen oder ihnen davon abraten.Vielleicht am wichtigsten ist aber dieTatsache, dass Verblindung dazu bei-tragt, die unterschiedliche Bewertungder Behandlungsergebnisse zu reduzie-ren (oft als Informations-, Beurteilungs-oder Ascertainment Bias bezeichnet)(siehe Kasten 1). Wenn zum Beispieldie Bewerter der Behandlungsergebnis-se, die die Behandlungszuteilung ken-nen, glauben, dass eine neue Interven-tion besser ist als eine bekannte, dannkonnten sie die Reaktionen auf dieseIntervention großzugiger erfassen.Tatsachlich ergaben in einer placebo-kontrollierten Studie bei Patienten mitMultipler Sklerose [8] die Bewertungender unverblindeten, nicht jedoch dieder verblindeten Neurologen einenauffalligen Interventionsnutzen.Subjektive Zielgroßen wie etwaSchmerzscores sind ein Tummelplatzfur Bias [3]. Außerdem konnen einigeobjektiv beurteilte Zielgroßen – bei-spielsweise Salpingitis – voller Subjek-tivitat stecken. Im Allgemeinen jedochnimmt die Bedeutung der Verblindungals Mittel zur Reduktion von Beurtei-lungsbias bei weniger subjektiven Ziel-großen ab, da objektive (harte) Out-comes kaum eine Gelegenheit fur Biasbieten. Die Erfassung eines harten Out-come wie der Mortalitat wurde durchdie Kenntnis der Intervention kaum be-eintrachtigt werden.

Das Lexikon derVerblindung

Als unverblindete (offene oder Open-Label-) Studien bezeichnet man Unter-suchungen, in denen alle Beteiligtenwissen, wer wahrend der Studie wel-che Interventionen erhalten hat. EineVerblindung (Maskierung) bedeutet,dass das Wissen um die Behandlungs-zuteilung vor den Teilnehmern, Studi-enarzten oder Bewertern geheim ge-halten wird.Der Begriff einfachblind bedeutet imAllgemeinen, dass eine der drei Perso-nengruppen (normalerweise eher dieStudienteilnehmer als die Studienarzte)wahrend der Studie keine Kenntnis von

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den Behandlungszuteilungen erhalt [9].Eine einfachblinde Studie konnte theo-retisch also auch bedeuten, dass zwarsowohl die Teilnehmer als auch die Stu-dienarzte die Intervention kennen,nicht aber der Bewerter – und dasware etwas verwirrend.In einer Doppelblindstudie bleibenmeist alle – Studienteilnehmer, Studi-enarzte und Bewerter – wahrend dergesamten Studie in Unkenntnis der Be-handlungszuteilungen [3]. Angesichtsder Tatsache, dass es drei Gruppensind, die nicht uber die Zuteilung Be-scheid wissen, ist der Begriff doppel-blind manchmal etwas irrefuhrend. Inder medizinischen Forschung aber wirddie Bewertung haufig auch durch einenStudienarzt durchgefuhrt, sodass derBegriff in diesem Fall vollig korrekt aufzwei Personengruppen Bezug nimmt.Der Begriff dreifachblind bezieht sich inder Regel auf eine Doppelblindstudie,bei der auch die Datenauswertung ver-blindet erfolgt [10]. Manche Studien-leiter bezeichnen Studien aber auchdann als dreifachblind, wenn Studi-enarzte und Bewerter unterschiedlichePersonen sind und beide Gruppen –abgesehen von den Teilnehmern – kei-ne Kenntnis von den Behandlungszu-teilungen haben. Der Begriff vierfach-blind wird von Studienleitern nur seltenverwendet und wenn, dann bezieht ersich auf die Verblindung von Studien-teilnehmern, Studienarzten, Bewerternund Statistikern [11]. Funffachblindmusste demnach bedeuten, dass dieRandomisierungsliste verloren gegan-gen ist und keiner mehr irgendetwasweiß. Mae Wests Behauptung

’’Zu viel

des Guten kann wundervoll sein!’’ trifftauf die Verblindung nur bedingt zu.Im Zusammenhang mit einfacher, dop-pelter und dreifacher Verblindung ziehtsich ein wahrer Begriffswirrwarr durchdie Literatur [3], wobei Arzte, Lehr-bucher und Zeitschriftenartikel allesamtmit unterschiedlichen Interpretationenund Definitionen aufwarten [2]. Studi-enleiter definieren Doppelblindstudiennicht nur nicht einheitlich, sondern sieverschlimmern die Sache vor allemnoch dadurch, dass sie in ihrenVeroffentlichungen haufig keine ein-deutigen Definitionen angeben. Undnun bringen wir – ausgehend von den

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ursprunglichen Bemuhungen um Ver-blindung [1] und der einst gebrauchli-chen Doppelverblindungsterminologie[12] – durch zwei zusatzliche Definitio-nen der einfachen und doppelten Ver-blindung (siehe Abb. 1) noch mehrDunkel ins Spiel. Doch Spaß beiseite:Wenn wir in diesem Artikel den Begriffdoppelblind oder verwandte Begriffebenutzen, meinen wir damit, dassMaßnahmen unternommen wurden,um Teilnehmer, Studienarzte und Be-werter gegenuber den Gruppenzutei-lungen zu verblinden. Hinsichtlich derBerichterstellung zu randomisierten,kontrollierten Studien fordern wir drin-gend dazu auf, explizit anzugeben,welche Maßnahmen zur Verblindungwelcher Personen ergriffen wurden.Viel ublicher sind eher knappe Infor-mationen zur Verblindung. Viele Studi-enleiter versaumen es anzugeben, obihre Studie verblindet war oder nicht.So wurde in 51% der 506 Studien uberMukoviszidose [13], 33% der 196 Stu-dien uber rheumatoide Arthritis [14]und 38% von 68 dermatologischenStudien [15] nicht angegeben, ob sieverblindet durchgefuhrt worden wa-ren. Wenn Studien als doppelblind aus-gewiesen wurden, fehlte es haufig anweiteren Erlauterungen [14,16–18].Beispielsweise wurde in nur 14 (45%)von 31 doppelblinden geburtshilflichenund gynakologischen Studien auf dieAhnlichkeit der Behandlungs- und derKontrollschemata (etwa Aussehen, Ge-schmack, Verabreichung) hingewiesen,und nur 5 (16%) enthielten Aussagen,die erkennen ließen, dass die Verblin-dung erfolgreich war [18].

Maskierung oderVerblindung

Manche sprechen lieber von Maskie-rung statt Verblindung, beschreibendamit aber dasselbe Vorgehen. Der Be-griff Maskierung ist womoglich eherangebracht bei Studien, an denen Pa-tienten mit Sehstorungen teilnehmen,und konnte in Studien, in denen Blind-heit als Zielgroße untersucht wird, so-gar weniger Verwirrung stiften [3]. Ver-blindung vermittelt jedoch die starkeBotschaft, dass sie Bias verhindern

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Abb. 1. Die Autoren: der eine doppelt, der andere einfach verblindet.

Abb. 2. Die Autoren: der eine verblindet, der andere maskiert.

kann. Offensichtlich geht der BegriffVerblindung auf Benjamin Franklin undKollegen [19] zuruck, die den Teilneh-mern einer Untersuchung uber die an-geblichen therapeutischen Wirkungendes Mesmerismus tatsachlich die Au-gen verbunden hatten, um ihr Urteildurch entsprechendes Wissen nicht zubeeinflussen. Die Vorstellung von Ver-blindung als der vollstandigen Abde-ckung der Augen vermittelt eine star-kere Biaspravention als die Maskierung,weil Masken Sehschlitze enthalten kon-nen, durch die man sehen kann (sieheAbb. 2). Manchen vermittelt der Begriff

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Verblindung auch das Gefuhl, es han-dele es sich dabei um ein sicheres Ver-fahren. Im Leitfaden der InternationalConference on Harmonization (ICH)[20] zum Beispiel wird vorzugsweiseder Begriff Verblindung verwendet.(Die ICH steht fur eine intensive trilate-rale Zusammenarbeit zwischen den Zu-lassungsbehorden in Europa, Japan undden USA, mit dem Ziel der Entwicklunggemeinsamer Leitlinien fur die Planung,Implementierung und Berichterstat-tung klinischer Studien). Auch wir zie-hen den Begriff Verblindung vor, da erhistorisch weit zuruckreicht, internatio-

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nal anerkannt ist, uber einen starkenSymbolcharakter verfugt und sich auchin den ICH-Leitlinien durchgesetzt hat[3].

Placebos und Verblindung

Manchmal haben Interventionen (Be-handlungen) keinen Effekt auf die un-tersuchten Zielgroßen [3]. Wenn aller-dings im Kontext einer gut geplantenrandomisierten, kontrollierten Studieden Teilnehmern eine unwirksame In-tervention verabreicht wird, kann esgelegentlich zu positiven Effekten aufdie Einstellungen der Teilnehmer kom-men, was sich wiederum auf die Ziel-großen auswirkt [10]. Wissenschaftlerbezeichnen dieses Phanomen als Place-bo-Effekt.Unter einem Placebo versteht man einepharmakologisch unwirksame Sub-stanz, die Studienarzte den Teilneh-mern in der Kontrollgruppe einer Stu-die verabreichen [3]. Die Verwendungeiner Placebo-Kontrollgruppe gleichtden Placebo-Effekt in der Behandlungs-gruppe aus und ermoglicht eine unab-hangige Beurteilung des Therapieef-fekts. Auch wenn Placebos psychologi-sche Wirkungen haben konnen,werden sie den Studienteilnehmernverabreicht, weil sie ansonsten wir-kungslos sind. Als aktives Placebo be-zeichnet man ein Placebo, das Sympto-me oder Nebenwirkungen imitiert (z.B.Mundtrockenheit, Schweißausbruche),deren Fehlen die Identitat der (pharma-kologisch) aktiven Testbehandlung an-dernfalls preisgeben wurde. Die meis-ten Wissenschaftler sind sich darubereinig, dass Placebos den Kontrollperso-nen moglichst immer dann verabreichtwerden sollten, wenn die Wirkungeneiner neuen Therapie fur eine Krank-heit untersucht werden sollen, fur dienoch keine wirksame Behandlung exis-tiert [9,10]. Tatsachlich macht Verblin-dung haufig die Anwendung von Pla-cebos erforderlich.Normalerweise allerdings wird der Kon-trollgruppe eine nachweislich wirksameStandardtherapie verabreicht, wenn eseine solche gibt, um diese mit einerneuen Therapie zu vergleichen [3].Demnach konnen Studienarzte zweiaktive Behandlungsgruppen ohne eine

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Placebogruppe vergleichen. Aber selbstdann versuchen Studienarzte haufig,eine Verblindung zu erreichen, indemsie die Double-Dummy-Methode an-wenden, im Wesentlichen zwei Place-bos [11,21]. Um zwei Wirkstoffe mit-einander zu vergleichen (der eine in ei-ner blauen Kapsel, der andere in einerroten Kapsel), wurden die Studienarzteblaue und rote Placebokapseln vorbe-reiten. Dann erhielten beide Behand-lungsgruppen eine blaue und eine roteKapsel – die eine wirksam, die andereunwirksam.

Kann eine VerblindungBias verhindern?

Von manchen Studienleitern, Lesernund Herausgebern wird die Bedeutungder Verblindung hinsichtlich derPravention von Bias uberbetont.Tatsachlich betrachten einige eine rando-misierte Studie als hochwertig, wennsie doppelt verblindet ist, so als ob eineDoppelverblindung die Conditio sinequa non einer randomisierten, kontrol-lierten Studie ware [3]. So einfach ist esin der Wissenschaft aber leider nicht.Eine randomisierte Studie kann metho-disch fundiert und nicht doppelt ver-blindet sein oder, umgekehrt kann siedoppelt verblindet sein und methodi-sche Schwachen aufweisen. Lasagna[12] hat diesen Gedanken schon vorlanger Zeit folgendermaßen aus-gedruckt:

’’Lassen Sie uns das Placebo

einmal etwas kritischer unter die Lupenehmen, denn Placebo und Doppelver-blindung haben in unserer Vorstellungwie auch in der Literatur nahezu Fe-tischstatus erlangt. Man kann problem-los zeigen, dass die Aura der Respek-tabilitat, der Unfehlbarkeit und des wis-senschaftlichen Know-how, die sie inden Augen vieler Menschen automa-tisch zu umgeben scheint, in bestimm-ten Fallen ganz unverdient ist.’’[12]Auch wenn Doppelverblindung auf ei-nen soliden Studienplan schließen lasst,ist sie nicht der Hauptindikator fur dieGesamtqualitat einer Studie. Daruberhinaus lassen sich viele Studien garnicht doppelt verblinden. Solche Studi-en mussen daher anhand ihrer Vorzugeinsgesamt beurteilt werden und nicht

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nach einem auf Doppelverblindung be-ruhenden ungeeigneten Standard.Damit wollen wir jedoch nicht behaup-ten, dass eine Verblindung irrelevant ist[3]. Intuitiv betrachtet sollte eine Ver-blindung Bias reduzieren, und dieverfugbare Evidenz stutzt diesen Ein-druck auch. Untersuchungen zur Me-thodik lassen tendenziell jedoch erken-nen, dass eine Doppelverblindung Biaszwar verhindert, zur Vermeidung vonBias im Allgemeinen aber wenigerwichtig ist als die adaquate Geheim-haltung der Randomisierungsliste[4,22,23].

Worauf der Leser beiBeschreibungen vonVerblindung achten sollte

Wenn Wissenschaftler eine Studie alsdoppelblind beschreiben, kann der Le-ser in der Regel davon ausgehen, dasssystematische Fehler (Bias) ausgeschal-tet wurden. Diese Empfehlung wirddurch empirische Evidenz gestutzt.Wie in den CONSORT-Leitlinien vorge-schlagen [24,25], sollten Studienleiteraber nicht nur die Begriffe einfachblind,doppelblind oder dreifachblind verwen-den, sondern explizit angeben, wer wieverblindet wurde. Wenn zudem be-hauptet wird, dass Studienarzte, Studi-enteilnehmer und Bewerter verblindetwaren – d.h. Doppelverblindung be-stand – dann sollten Informationenzum Verblindungsmechanismus (Kap-seln, Tabletten, Film etc.) enthaltensein, zur Ahnlichkeit der Behandlungs-charakteristika (Aussehen, Geschmack,Verabreichung) und zur Kontrolle derRandomisierungsliste – also z.B. zumAufbewahrungsort der Liste wahrendder Studie, zum Zeitpunkt der Offenle-gung des Codes fur die Auswertungund Angaben zu den besonderenUmstanden, unter denen der Code inEinzelfallen gebrochen werden durfte.Solche Zusatzinformationen konnendie Behauptung, dass doppelt verblin-det wurde, stutzen oder untergraben(siehe Kasten 2) [26–29].Wenn Wissenschaftler in angemesse-ner Form uber ihre Verblindungs-maßnahmen berichten, kann der Leserdiese Bemuhungen beurteilen. Leider

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mangelt es vielen Veroffentlichungenan einer ordentlichen Berichterstellung.Wenn ein Wissenschaftler behauptet,er habe seine Studie verblindet durch-gefuhrt, diese Behauptung aber nichtdurch weitere Informationen unter-mauert, sollte der Leser skeptisch blei-ben, was die Wirkung der Verblindunghinsichtlich der Reduktion von Bias be-trifft. Beispielsweise wurde fur eineStudie [30] uber Antibiotikaprophylaxebehauptet, sie sei verblindet gewesen,der Methodenteil des Studienberichtsließ jedoch erkennen, dass kaumeine oder gar keine Verblindung erfolgtwar.Im Idealfall sollten Wissenschaftler auchangeben, ob die Verblindung erfolg-reich war. Theoretisch konnen Studi-enarzte den Erfolg einer Verblindungbeurteilen, indem sie Studienteilneh-mer, das beteiligte medizinische Perso-nal oder die Zielgroßenbewerter fra-gen, welche Intervention ihrer Meinungnach verabreicht wurde (siehe Kasten3). Im Prinzip durften die Befragten beierfolgreicher Verblindung mit ihrenAntworten nicht viel besser als nurzufallig richtig liegen. Trotz absolut er-folgreicher Verblindung ware es in derPraxis aber dennoch moglich, dass Stu-dienteilnehmer, medizinisches Personalund Zielgroßenbewerter die Interven-tion erraten, weil sie uber zusatzlicheInformationen verfugen. So konnteetwa eine unverhaltnismaßig hoheRate an unerwunschten Wirkungenstarke Hinweise auf die Interventiongeben. Ungeachtet gewissenhafterBemuhungen um die Doppelverblin-dung von Studien haben manche Inter-ventionen Nebenwirkungen, die so ein-deutig sind, dass ihr Auftreten sowohlden Teilnehmern als auch den medizi-nischen Betreuern die verabreichte In-tervention zwangslaufig verrat [11,24].Noch wichtiger als Hinweise aufgrundvon unerwunschten Wirkungen sinddie mit den klinischen Ergebnissen ver-bundenen Anhaltspunkte. Gewohnlichfreuen sich Wissenschaftler uber großeklinische Effekte (außer vielleicht inAquivalenzstudien). Wenn es dazukommt, konnten das klinische Personalund die Teilnehmer daraus wahrschein-lich – naturlich nicht immer korrekt –ableiten, dass ein Teilnehmer mit einem

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Kasten 2. Beschreibungen von Verblindung.

’’Weder Patienten, Studienkrankenschwestern, Studienarzte noch sonstiges medizinisches oder Pflegepersonal der Inten-

sivstation hatte wahrend der Studiendauer Kenntnis von den Behandlungszuteilungen. Auch samtliche statistischen Analysenwurden unter Beibehaltung der Maskierung durchgefuhrt. Die Randomisierungsstelle war angewiesen, jeden Verdacht aufeine Verletzung der Maskierungsmaßnahmen zu melden. Es wurde kein solcher Fall gemeldet. y Das Medikament bzw. dasPlacebo (Praparat ohne aktiven Wirkstoff) fur die Infusion mittels Spritzenpumpe oder volumetrischer Pumpe wurde in nichtunterscheidbaren Spritzen oder Beuteln zubereitet’’ [26].

’’y erfolgte doppelblind und placebokontrolliert. y Weder Patienten noch Arzte konnten die Placebo- von den Sibutr-

aminkapseln unterscheiden. Der Geschmack der Kapseln war gleich, vorausgesetzt, sie wurden entsprechend der Anweisungim Ganzen geschluckt. y Die Ergebnisse der biochemischen Analysen lagen vor, bevor der Randomisierungscode am Endeder abgeschlossenen Studie offen gelegt wurde’’ [27].

’’Die Studie war doppelt verblindet, d.h. weder die Teilnehmerinnen noch das Studienpersonal (darunter auch die Bio-

statistiker bei Family Health International) wussten, in welcher Gruppe der Nonoxynol-9 Vaginalfilm angewendet wurde. DerNonoxynol-9 Vaginalfilm enthielt y . Der Placebo-Film enthielt y Die Vaginalfilme waren in Aussehen, Verpackung undBeschriftung identisch’’ [28].

’’Doxycyclin und Placebo lagen in Kapselform vor und sahen gleich aus. y Der Randomisierungscode verblieb in den USA.’’

[Hinweis: Die Studie wurde in Kenia durchgefuhrt.]’’Demnach erfolgten die Verabreichung und alle Bewertungen gegenuber

der Behandlungszuteilung verblindet; Studienarzte und Patienten waren auch gegenuber den jeweils aktuellen Studiener-gebnissen verblindet. Der Code wurde erst nach Abschluss der Datenerhebung offen gelegt’’ [29].

Kasten 3. Bewertung des Verblindungserfolgs.

’’Wir befragten 126 Beschaftigte danach, welcher Film ihrer Meinung nach das Placebo war. 18% hielten Film A (das

Placebo) fur das Placebo, 13% dachten, Film B (Nonoxynol-9) sei das Placebo, und 69% konnten sich nicht entscheiden. Vonden 68

’’peer educators’’ (die Mitarbeiter, die am ehesten die Meinung der Studienteilnehmer reflektieren) hielten 16% Film A

fur das Placebo, 13% Film B und 71% waren unentschieden’’ [28].

positiven Ergebnis statt der Kontrollin-tervention (Standardtherapie) die aktive(neue) Intervention erhalten hat. Wennsich die aktive (neue) Interventiontatsachlich als vorteilhaft erweist(hochst wunschenswert), dann warendie Folgerungen, die die Befragten dar-aus ziehen konnen, ofter als nur zu-fallsbedingt korrekt [24,31]. Abgese-hen von ihren Vermutungen erfragt einam Ende der Studie durchgefuhrterTest auf Verblindung in Wirklichkeitwomoglich eher das Gefuhl der Befrag-ten fur unerwunschte Wirkungen oderWirksamkeit [32,33].Uberdies konnte es sein, dass etwaigeEntblindungsbemuhungen nur ungernzugegeben werden, etwa durch praziseAntworten auf entsprechende Nachfra-gen – mit anderen Worten: Wenn dieGruppenzuteilungen entschlusselt wur-den, konnten die Befragten gegenteili-ge Antworten zu ihren Entschlus-selungsergebnissen geben, um ihr Vor-gehen zu verschleiern. Dieses Problem

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sowie die mit unerwunschten Neben-wirkungen und erfolgreichen klinischenErgebnissen verbundenen Interpreta-tionsschwierigkeiten veranlassen uns,die Nutzlichkeit von Verblindungstestsunter bestimmten Umstanden zu hin-terfragen. Studienleiter sollten sichgrundlich uberlegen, ob es sinnvoll ist,den Erfolg ihrer Verblindungsmaßnah-men zu prufen; wenn sie es jedoch tun,sollten sie die Ergebnisse etwaigerBeurteilungen angeben. Zumindestsollten sie mitteilen, wenn ihre Ver-blindungsmaßnahmen versagt haben,wie etwa nicht-identische Placebo-oder Verumzubereitungen. Veroffent-lichte Studienberichte enthalten nurselten Beurteilungen von Verblindungs-maßnahmen, wenn doch, dann sollteder Leser die Informationen dazu mitSkepsis beurteilen.In vielen Studien ist eine Doppelverblin-dung schwierig oder gar unmoglich.Das trifft beispielsweise auf die meistenchirurgischen Studien zu. Insbesondere

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kann etwa eine Studie, in der die mitder Blutentnahme aus dem Ohr oderDaumen verbundenen Schmerzen ver-glichen werden, nicht doppelblinddurchgefuhrt werden [34]. Aber auchwenn Wissenschaftler ihre Studiennicht als doppelblind o. A. beschrei-ben, kann es sich um wissenschaftlichaussagekraftige Untersuchungen han-deln. Abgesehen von der Beurteilungder anderen methodischen Aspekte ei-ner Studie musste der Leser bewerten,wie viel Bias die fehlende Verblindungzur Folge haben konnte. Der Leser soll-te feststellen, ob irgendjemand in derStudie verblindet wurde und welcheVorteile sich daraus ergeben habenkonnten (siehe Kasten 1). Tatsachlichist die Verblindung der Zielgroßenbe-werter – selbst in offenen Studien –haufig nicht nur moglich, sondern rat-sam [11]. So konnen etwa Lasionen vorund nach der Behandlung fotografiertund von einem Unbeteiligten bewertetwerden [11]. Wir empfehlen, Ergebnis-

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sen mehr Glauben zu schenken, wenndie Behandlungsergebnisse von jeman-dem beurteilt wurden, der keineKenntnis von den Behandlungszutei-lungen hatte.Allerdings handelt es selbst hierbeinicht um eine absolute Empfehlung.Wie schon bemerkt, lassen einige harteEndpunkte wie die Mortalitat nur we-nig Raum fur Ascertainment Bias. An-ders ausgedruckt: Die Verblindung derBewerter gegenuber harten Endpunk-ten tragt wohl nicht viel bei.

Fazit

Die Verblindung in klinischen Studienkann auf eine lange Geschichte vonzwei Jahrhunderten zuruckblicken.Weltweit wissen die meisten Wissen-schaftler, was mit Verblindung gemeintist, doch hinter einem nur allgemeinenVerstandnis lauert oftmals Verwirrung.Studienleiter sollten ihre Studie dahernicht nur als einfach-, doppel- oderdreifachblind kennzeichnen, sonderneindeutig angeben, welche Personenin ihrer Studie verblindet und welchenicht verblindet waren. Der Leser sollte,wenn er einen Studienbericht liest undbeurteilt, diesbezuglich Klarheit erwar-ten durfen.Wir danken Willard Cates und David L.Sackett fur ihre hilfreichen Kommenta-re zu einer fruheren Version dieses Ar-tikels. Ein großer Teil des Materialsstammt aus 15 Jahren Lehrtatigkeit imRahmen des Fakultatsentwicklungspro-gramms der Berlex Foundation.

Anmerkung derRedaktion

Die Ubersetzung dieses Artikels erfolg-te durch Frau Karin Beifuss (Stuttgart),die fachliche Bearbeitung ubernahmFrau Gerta Rucker (IMBI-Institut furMedizinische Biometrie und StatistikUniversitatsklinikum Freiburg). Beidensei an dieser Stelle sehr herzlichgedankt.

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Ausschreibung des David Sackett-PreiEvidenzbasierte Medizin

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Me-dizin (DNEbM e.V.) schreibt erstmalig furdas Jahr 2008 den neugeschaffenen David-Sackett-Preis aus.Der Preis zeichnet hervorragende Leistungenauf dem Gebiet der Evidenzbasierten Medizin

Langenscheidt Elsevier Worterbuch MEnglisch-Deutsch/Deutsch-Englischin Zusammenarbeit mit Elsevier vonDr. Phil. Dr. Med. Stephan Dressler1. Auflage 2007.Langenscheidt Verlag Munchen,623 Seiten Paperback.Preis: h 19,95 [D], h 20,60 [A], 35,50 CHFISBN 978-3-86117-283-3d

Mit dem neuen Worterbuch Medizin Englischlegt der Langenscheidt Fachverlag ein Spezi-alworterbuch vor, das in Kooperation mit derMedizin-Redaktion des Elsevier Verlags ent-standen ist. Mit rund 35.000 Fachbegriffenund mehr als 35.000 Ubersetzungen stellt ereine profunde Grundlage fur die internatio-nale Fachkommunikation dar. Enthalten sind

Z.arztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. 101 (2007)www.elsevier.de/zaefq

zone in threatened stroke. N Engl J Med1978;299:53–9.

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ses des Deutschen Netzwerk

und Gesundheitsversorgung (EbM, EbHC)aus. Ausgezeichnet werden konnen Einzelper-sonen, Personengruppen, Institute oder Ver-bande.

Bewerbungsfrist ist der 1. Dezember 2007.

edizin Englisch

klinisch relevante Fachbegriffe, aktuelle Arz-neimittel, Krankheitsbilder und Syndrome mitca. 1.000 Kurzdefinitionen. Ein Anhang mitAbkurzungen und medizinischen Maßeinhei-ten bietet zusatzliche Unterstutzung.Als Kernbestand enthalt das WorterbuchStichworter aus dem Gebiet der klinischenund praktischen Medizin – von Makuladege-

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blood glucose testing: ear versus thumb.BMJ 2000;321:20.

Mehr Informationen zur Ausschreibung unterhttp://www.ebm-netzwerk.de/wir_ueber_uns/preise

Evidenz im Blick

neration (macular degeneration) bis tonsillitis(Mandelentzundung). Daruber hinaus sind all-gemeinmedizinisch relevante Stichworter ausGrundlagenfachern wie Chemie, Physik, Bio-chemie oder Biologie und aus Nachbargebie-ten wie Pharmakologie und Biotechnologiesowie die internationalen Freinamen vonMedikamenten (INN) vertreten.

Literatur und Rezensionen

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