Reisetagebuch China 2010

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Fotostory über eine 14-tägige Chinareise

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Reisetagebuch China 2010gabi rottes

Reisen veredelt den Geist und räumt mit allen unseren Vorurteilen auf.Oscar Wilde

Für meine Eltern, die mich gelehrt haben, Offenheit und Toleranz

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Reisetagebuch China 2010Inhalt

Prolog - Wir fahren nach China!!! ! 4

Die Reiseroute - ein kurzer Überblick! ! 5

9.Oktober 2010 - Die Anreise! ! ! 6

10.Oktober 2010 - Beijing! ! ! 7

11.Oktober 2010 - Beijing! ! ! 10

12.Oktober 2010 - Beijing! ! ! 13

13.Oktober 2010 - Beijing! ! ! 16

14.Oktober 2010 - Xiʻan! ! ! 19

15.Oktober 2010 - Xiʻan/ Shanghai! ! 21

16.Oktober 2010 - Shanghai! ! ! 23

17.Oktober 2010 - Guilin/ Yangshuo! ! 25

18.Oktober 2010 - Yangshuo/ Guilin! ! 28

19.Oktober 2010 - Shenzhen! ! ! 30

20.Oktober 2010 - Hongkong! ! ! 32

21.Oktober 2010 - Hongkong! ! ! 35

22.Oktober 2010 - Hongkong! ! ! 38

Epilog - Wir kommen wieder!! ! ! 42

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Es war eine spontane Entscheidung. „Da kommen wir dich besuchen“, hörte ich mich sagen, als meine Freundin Irin mir eröffnete, dass sie für ein Jahr nach China gehen würde. Ich war über mich selbst erstaunt, aber irgendwie saß diese Idee jetzt fest. Als dann auch noch meine siebzehnjährige Tochter Jule begeistert reagierte, fing ich an, im Internet zu recherchieren, wie und wo wir denn dieses Abenteuer am besten buchen könnten.

Eins war mir klar: Ich hatte keine Lust auf eine Reisegruppe, in der man immer von Leuten umgeben ist, die man sich nicht aussuchen kann, außerdem wollte ich unsere wertvollen zwei Wochen nicht mit dem Warten auf andere verbringen. Dazu kam noch, dass ich Reisegruppen, ehrlich gesagt, spießig finde. Mir war jedoch auch schnell klar, dass wir allein kaum eine Chance haben würden, uns in diesem riesigen und fremden Land überhaupt zu verständigen oder fortzubewegen. Da ich nicht die 14 Tage mit einem „Lonely Planet“ Reiseführer in der Hand auf der Suche nach irgendetwas verbringen wollte, musste eine andere Lösung her. Im Internet stieß ich dann auf die für uns perfekte Lösung: Ein chinesisch/deutsches Reisebüro, welches sowohl Reisen in der Gruppe als auch individuelle Touren anbietet. Das Angebot kam schnell, noch dazu in perfektem Deutsch. Wir entschieden uns für die klassische Reiseroute und bauten einige Veränderungen ein.

Alle meine Sonderwünsche wurden sofort und unkompliziert eingearbeitet; ich war begeistert. Am Schluss verglich ich das letzte Angebot noch mit verschiedenen anderen Gruppenreisen und entschied mich danach ganz schnell. Natürlich war das in gewisser Hinsicht eine Blackbox, aber ich kann heute mit Fug und Recht sagen, dass uns „China-entdecken“ nicht enttäuscht hat. Für uns war diese Reiseform genau die richtige. Der gesamte Aufenthalt war kom-plett durchgeplant, alle Flüge, Bahn- und Schiffsfahrten innerhalb von China im Preis inbegriffen.

Nun musste ich nur noch den Gabelflug von Hamburg nach Beijing und von Hongkong nach Hamburg selbst buchen. Wir hatten uns für die Hauptstadt als Startpunkt entschieden, um uns dann über X'ian, Shanghai, Guilin und Yangshuo zu meiner Freundin Irin nach Shenzhen vorzuarbeiten. Am Schluss wollten wir noch drei Tage in Hongkong verbringen. Ein ambitioniertes Programm für zwei Wochen, aber als Einstieg in dieses Land erschien mir diese Annäherung ideal. Wir wollten ja dort schließlich keinen Badeurlaub verbringen, sondern uns ein erstes Bild von einem Land machen, welches sich wie kaum ein anderes in den letzten zwei Jahrzehnten verändert hat und damit erst am Anfang steht.

Im Vorwege waren noch Visa zu be-sorgen und Impfungen aufzufrischen. Als Zahlungsmittel empfahlen mehrere Quellen Reiseschecks in Euro, da die Dichte der Geldautomaten nicht westlichem Standard entsprechen sollte. Als Irin sich in einer der letzten Emails vor unserer Abreise gewaltig darüber wunderte, war es bereits zu spät. Ich hatte reichlich Reiseschecks besorgt, aber vorsichtshalber noch die PIN meiner Kreditkarte herausgesucht, um am Auto-maten Geld holen zu können.

Ja, und dann war es auf einmal soweit. Wir packten unsere neuen praktischen Reisetaschen, die man zur Not auch als Rucksack tragen kann und ließen noch ein bisschen Platz für eventuelle Shopping-Anfälle, die man in China angeblich ja gerne mal bekommen soll. Bei maximal 20kg Gepäck war strategisches Packen angesagt, da es im Norden kalt sein kann und uns im Süden tropische Temperaturen erwarten würden. Am Ende passte alles wunderbar, so wenig Kleidung hatte ich noch nie auf eine zweiwöchige Reise mitgenommen. Das einzige Problem, welches es noch zu lösen galt, war die Parkplatzfrage am Flughafen in Hamburg. Wie immer in den Herbstferien waren alle Langzeitplätze ausgebucht. Wir wollten rechtzeitig fahren, damit wir das Auto zur Not in ein Wohngebiet stellen konnten. Wir waren bereit.

Wir fahren nach China!wie es dazu kam

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9.Oktober 2010 - Die AnreiseAbflug von Hamburg nach Beijing über Amsterdam 10.Oktober 2010 - BeijingMorgens Ankunft in Beijing, Erkundung der Stadt auf eigene Faust, Peking-Ente und Peking-Oper11.Oktober 2010 - BeijingGroße Mauer bei Badaling, Sommerpalast, abends Fotosession im Olympiagelände.12. Oktober 2010 - BeijingZentrum von Beijing, Konzerthalle, Tian‘anmen-Platz, Verbotene Stadt, Hutong Viertel, Bei Hai Park13.Oktober 2010 - BeijingHimmelstempel, Jingshan Park, Fahrt mit dem Nachtzug nach Xi‘an14.Oktober 2010 - Xi‘anTerrakottaarmee, Große Wildganspagode15.Oktober 2010 - Xi‘an/ ShanghaiGroße Moschee und Marktbesuch, anschließend Flug nach Shanghai, dort Nanjing Lu und Bund

16. Oktober 2010 - ShanghaiBesuch der Expo, anschließend Flug nach Guilin17. Oktober 2010 - Guilin/ YangshuoFahrt auf dem Li Fluss nach Yangshuo, dort abends Impression Liu Sanjie18. Oktober 2010 - Yangshuo/ GuilinSchilfrohrflöten-Höhle in Guilin, Spaziergang durch die Stadt, anschließend Flug nach Shenzhen19. Oktober 2010 - ShenzhenDongmen Viertel, Diwang Dasha Gebäude20. Oktober 2010 - HongkongBootsfahrt nach Hongkong, Stadtrundfahrt21. Oktober 2010 - HongkongErkundung der Stadt, Kowloon22. Oktober 2010 - HongkongGroßer Buddha auf Lantau, Central DistrictAbends Rückflug23. Oktober 2010Morgens Ankunft in Hamburg

Die Reiserouteein kurzer Überblick

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Quelle: Weltkarte.com

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Die Abfahrt zu Hause erfolgt ohne Stress, wir wundern uns immer noch über das wenige Gepäck - haben wir wirklich alles mitgenommen? Wir bringen Jules Freund Nico noch schnell nach Hause, sagen ihm „Tschüss“ und dann geht es in Richtung Flughafen Hamburg. Mal sehen, wie es dort mit den Parkmöglichkeiten so aussieht....

Die Parkplätze scheinen doch nicht ganz besetzt zu sein, man leitet uns allerdings um zu einem Ausweichparkplatz, der auch schon fast voll ist. Wir können unser Glück kaum fassen, 40€ für zwei Wochen, da wäre alles andere teurer gewesen.

An der Gepäckaufgabe sind wir die Einzigen, das klappt ja super heute. Nur an der Sicherheitskontrolle erwartet uns eine Riesenschlange, es sind ja Herbstferien und alle Nordlichter wollen noch einmal raus vor dem Winter. Ich will unbedingt den neuen Nacktscanner ausprobieren - was für ein Reinfall - die Prozedur dauert noch länger als sonst.

Wir essen noch in Ruhe Sushi und dann hebt der Flieger ab in Richtung Amsterdam, von wo wir nach

Beijing fliegen werden. Beim Umsteigen brauchen wir tatsächlich fast die ganze verfügbare Zeit für den langen Weg zum Gate nach Beijing und dort steht auch schon brav eine dreireihige Schlange und wartet. Wir setzen uns daneben ins Café bis wir direkt durchgehen können.

Im Flieger dann Ernüchterung. Was für eine alte Kiste! Heiß und bräunlich verstaubt. Bildschirme nur im Mittelgang und wir sitzen an der Rückwand der Toilette, obwohl ich die Reihe dahinter gewählt hatte. Aber - es hat ja auch alles seine Vor- und Nachteile....

So einen Langstreckenflug habe ich allerdings noch nie erlebt. Ein holländischer Frauenclub mit reichlich Stimmgewalt und Gesprächsbedarf versüßt uns ab jetzt den ganzen Flug. Wenn die Damen mal Pause machen, springt eine Truppe Jugendlicher gerne ein. Das Fazit: 3 Stunden Schlaf - maximal.

Trotzdem vergeht die Zeit irgendwie und wir landen mehr als pünktlich in Beijing.

9. Oktober 2010Die Anreise

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10.OktoberBeijingJetzt wird es spannend: Leider zeigt keines der vielen Schilder, die im Ankunftsbereich hochgehalten werden, unseren Namen. Nun heißt es erst einmal Ruhe bewahren, Jule geht noch einmal los, ich teste so lange meine EC Karte am Geldautomaten. Natürlich funktioniert es - der Aufwand mit den Reiseschecks war also völlig überflüssig!

Mittlerweile ist auch unser Führer Alex da und wir bekommen einen ersten Eindruck der chinesischen Mentalität. Da er wegen des starken sonntäglichen Ausflugsverkehrs zu spät gekommen ist, hat er sich noch nicht mit dem Fahrer abgesprochen. Es wird hektisch telefoniert und wir müssen drei Mal hoch und runter laufen bis wir Fahrer und Auto gefunden haben. Wir sind jedoch total entspannt und können es noch gar nicht richtig realisieren, dass wir jetzt am anderen Ende der Welt in Beijing sind.

Endlich im Auto sitzend klappt die Verständigung auf Deutsch ganz gut, obwohl wir uns an die Aussprache gewöhnen müssen. Das Autofahren selbst ist so eine Sache für sich: Tacho- geht nicht. Blinker- wozu? Anschnallen- warum denn? Und dann erst der Verkehrsfluss! Wozu gab es noch einmal die Linien auf der Straße? Keine Ahnung, hier braucht man sie nicht. Das einzig Essenzielle an einem Auto ist die Hupe. Sie wird gern und ständig ausgiebig genutzt: Zum Vordrängeln, um Fußgänger zu verjagen oder sich gegen andere Verkehrsteilnehmer durchzusetzen.

Dies erfahren wir am Nachmittag am eigenen Leib, als wir zu Fuß unterwegs sind. Nach der Ankunft im Hotel essen wir schnell ein Sandwich und brechen gleich danach zu einem ersten Rundgang auf um die Müdigkeit zu bekämpfen. Nach einer kurzen Dis-kussion an der 2. Straßenecke und einem laut Jule (sie hatte übrigens Recht damit) völlig überflüssigen Rückweg zum Hotel schlagen wir den Weg ein in Richtung Tian‘anmen-Platz. Bis jetzt habe ich über den Smog in Beijing ja nur gelesen oder Bilder im Fernsehen gesehen, aber live ist er einfach un-beschreiblich. Gut, dass wir nicht immer hier leben müssen, für unsere Atemwege ist die Luft kaum zu ertragen. Es ist zwar recht warm aber richtig grau und ziemlich dunkel dabei, eine neue Herausforderung in Sachen Fotografie!

Wir fühlen uns zunächst recht fremd und etwas unwohl auf unserem Weg, werden ständig von Chinesen mit „Hallo“ angesprochen und aufdringlich gefragt, ob wir nicht Rikscha fahren wollen. Das trauen wir uns natürlich nicht und sehen zu, dass wir in etwas belebtere und vielleicht touristische Gegenden kommen. Ein alter Mann spricht uns auf Chinesisch an und fragt scheinbar, ob wir zum Tian‘anmen-Platz wollen. Als wir bejahen freut er sich sehr und weist weiter in die Richtung, in die wir unterwegs sind. Eine erste nette menschliche Begegnung!

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Spannend wird es dann, als wir über eine große Kreuzung mit ellenlangen Zebra-streifen müssen. Wir lernen schnell, dass Autos hier einfach fahren und wir uns besser danach richten sollten. Es regnet jetzt auch ein paar Tropfen und wir erinnern uns daran, dass man uns empfohlen hatte, immer eine Regenjacke dabei zu haben. Heute muss es eben ohne gehen.Irgendwann holen wir dann doch unsere Kameras aus den Rucksäcken und fangen an, zu fotografieren. Es entstehen die ersten Bilder von roten Lampions im Smog von Beijing. Wir werden uns von jetzt an daran gewöhnen müssen, dass auf unserer Reise nicht nur optimale Bilder entstehen werden, sondern dass wir die Umstände so nehmen werden müssen wie sie sind.

An der nächsten Kreuzung geht es nicht weiter. Die Querstraße ist so breit und befahren, dass in der Mitte Gitter stehen, wahrscheinlich, damit niemand auf die Idee kommt, sich selbstmordgefährdet durch den brandenden Verkehr zu schlängeln. 100m weiter rechts gibt es eine Fußgängerbrücke, direkt neben der KFC Filiale. Ich habe selbst in den USA nicht so viel KFCs gesehen wir hier. Mc Donald's hatten wir ja erwartet, aber die erste Leuchtreklame, die wir am Flughafen gesehen haben, war bereits eine von KFC. Wir werden später erfahren, dass die Chinesen sehr gerne Hühnchen essen und dass daher KFC viel weiter verbreitet ist als alle anderen amerikanischen Fast Food Ketten.

Jetzt sind wir in einer Fußgängerzone gelandet und ich sehe uns schon die ersten H&M Tüten entgegenkommen. Na, da wird Zara dann ja nicht weit sein, denke ich mir sofort und 200 m weiter ist es dann auch soweit, wie immer. Hier sehen wir jetzt auch ein paar westliche Gesichter, was dann aber doch seltener geschieht, als ich gedacht

habe. Die meisten Menschen sind Asiaten, wahrscheinlich aber auch Touristen, man sieht es am schlendernden Gang mit griffbereiter Kamera in der Hand. Eine neue/ alte Straßenbahn fährt auf und ab, wir gehen hinterher, zwischen restaurierten Häusern in alter chinesischer Architektur, kombiniert mit den Leuchtreklamen westlicher Shops.

Ich fühle mich nicht mehr ganz so fremd, und wir folgen der Straße in Richtung Tian' anmen-Platz, auch „Platz des himmlischen Friedens“ genannt. Es ist jetzt fast dunkel, obwohl erst 4 Uhr nachmittags. Oben am Ende der Straße gehen wir durch 2 große Tore - wo ist eigentlich mein Reiseführer? - und erwarten dahinter den großen ge-schichtsträchtigen Platz zu sehen, aber - nur wieder eine große Straße mit Gittern. Hier muss man wohl den unterirdischen Weg nehmen, aber da wir den Platz immer noch nicht sehen und es stärker zu regnen beginnt, beschließen wir, für heute um-zukehren. Selten kam mir eine Starbucks Filiale so gelegen wie jetzt. Ein verlässlich schmeckender Cappuccino wird eben auch im fernen China gern genommen. Also setzen wir uns und warten, bis der Regen etwas nachlässt. Wo habe ich eigentlich gelesen, dass man keinen Schirm nach China mitnehmen soll, da es dort zu eng ist? Schon wieder so eine Fehlinformation, alle gehen hier mit Schirm, fliegende Händler bieten sie sogar für einen Euro zum Kauf an, wie überall auf der Welt.

Als wir dann weitergehen, versuchen wir uns ein wenig in „Available Light“ Fotografie, da die nassen Straßen die vielen Leucht-reklamen so schön widerspiegeln. Jule hat sich schon der Faszination und dem Kauf einiger kleiner Andenken und Mitbringsel hingegeben. Wenn ich so alt wäre, würde ich sicher auch diese Dinge kaufen, lauter nette kleine bunte Sinnlosigkeiten. Ist es nicht zu

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früh, gleich am ersten Tag Geld für so etwas auszugeben? Diese Frage kommt mir in den Sinn, aber ich sage nichts, es ist ja ihre Entscheidung. Sie ist alt genug. In mir taucht die Erinnerung auf an ein Jeanskleid in London, als ich 15 war. Damit hatte ich auch zu lange gewartet, später habe ich dann aus Verzweiflung ein anderes gekauft und es zu Hause nie getragen. Also - kein Kommentar!

Wir gehen durch eine Parallelstraße zurück. Hier sieht die Welt schon ganz anders aus. Schmutz auf der Straße, mittendrin sitzen die Chinesen ganz entspannt und essen, eine merkwürdige Mischung der verschiedensten Geschäfte findet sich hier. Porzellan mischt sich mit Sextoys, Lebensmitteln und Spielzeug. Am Ende wird die Straße enger und ein wenig verwahrlost. Ich bin froh, als wir die Hauptstraße wieder erreicht haben und über die Brücke zurück in Richtung Hotel wandern.

Hier werden wir um halb 6 abgeholt, es geht in ein großes Hotel zur Peking Oper, davor wollen wir Peking Ente essen. Alex bringt uns hinein und zeigt uns das Restaurant. Bevor er sich verabschiedet, schreibt er uns noch seine Mobilnummer auf die Hotelkarte, damit der Taxifahrer ihn später anrufen kann falls er den Weg

zum Hotel nicht weiß. Dies wird sich später tatsächlich als sehr praktisch erweisen.

Das Restaurant ist ziemlich leer, die Leute dort aber sehr freundlich. Wir bekommen Jasmintee serviert und warten dann gespannt auf das Essen. Die Ente sieht lecker aus und wird am Tisch in kleine Stücke geschnitten. Wir lernen dann, wie man die Stücke mit Soße und einem Stück Zwiebel in einen kleinen Teigfladen wickelt und isst. Ich muss sagen – es ist lecker, aber es beeindruckt mich nicht wirklich. Was man vom Preis allerdings schon sagen kann. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber mit nur 20€ für zwei Personen inklusive Getränke habe ich wirklich nicht gerechnet!

Mindestens genauso schockiert bin ich dann von der Oper, nur in anderer Hinsicht. Ich habe schon Ausschnitte im Fernsehen gesehen und mir gedacht, dass es nicht mein Geschmack sein könnte aber leider gefällt es mir noch viel weniger. Meine müden Augen und Ohren werden durch die hohen und für uns sehr ungewohnten Tonfolgen ziemlich gestresst und ich bin am Ende froh, dass es sich nur um eine für Touristen aufbereitete einstündige Veranstaltung handelt.

Todmüde aber glücklich landen Jule und ich später in unseren Hotelbetten.

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Eine Überraschung erwartet uns am Morgen nach einem kurzen Blick durch die Gardine: Blauer Himmel und klare Luft! Damit haben wir nun wahrlich nicht gerechnet.

Nach einem Frühstück, das auch in jedem anderen Hotel der Welt hätte stattfinden können, werden wir um halb neun von Yuan abgeholt. Heute hat sich mit dem Wetter auch die Temperatur stark verändert und wir sind froh, jeder ein Fleece und eine winddichte Jacke eingepackt zu haben, da wir außerhalb von Beijing die chinesische Mauer besuchen werden.

Eine einstündige Fahrt bringt uns heraus aus der Stadt nach Badaling, einem der typischen Besich-tigungsplätze. Der Verkehr ist wie gestern chaotisch und unübersichtlich, es ist kaum zu beschreiben, wir hier gefahren wird. Auf dem letzten Stück zwischen all den Bussen ist es dann soweit. Selbst als unser Fahrer sieht, dass diese im Konvoi schleichen, überholt er, obwohl uns Autos und Busse entgegen-kommen. Jeder Meter zählt, Chaos pur. Da aber alle so fahren und wild dabei hupen, passiert nichts, man kennt es hier anscheinend nicht anders und am Ende löst sich der Knoten tatsächlich auf.

Die Mauer darf nur auf einigen restaurierten Bereichen begangen werden und ich muss sagen, ich bin froh darüber, trotz der Menschenmassen. So eine steile Ebene bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht hinaufgelaufen, es müssen teilweise tatsächlich so knapp 45 Grad sein. Mein Puls schlägt mir bis zum Hals- so außer Puste war ich schon lange nicht mehr. Und ich dachte immer, ich hätte eine gute Kondition!

Aber es lohnt sich wirklich. Natürlich gibt es hier nicht die tollen Bilder der menschenleeren Mauer zu fotografieren doch wir bemühen uns redlich, trotzdem ein paar schöne Eindrücke festzuhalten, unter anderem natürlich die extreme Steigung. Ich muss an unsere Firmenregeln in Sachen Sicherheit denken. Die kommen mir aus dieser Perspektive nun eher komisch vor. Es ist trotzdem erstaunlich, wie viele Menschen die Strapaze auf sich nehmen, hier hinauf zu klettern, obwohl ihre Kondition augenscheinlich nicht die beste ist.

Wieder unten angekommen gönnen wir uns zur Belohnung einen Cappuccino von Illy im Andenken-shop und fahren danach weiter zum Mittagessen. Ich bin gespannt, was das Reisebüro hier vorbereitet hat, wollen sie uns doch das echte China zeigen. Tatsächlich sind wir dann ein wenig enttäuscht, als wir im Restaurant ankommen. Ein Riesengebäude mit unzähligen Reisebussen davor, innen ein Saal mit vielen Tischen und man erklärt uns, dass unsere Begleiter getrennt von uns essen müssen. Da sind wir schon etwas entnervt.

Im Gespräch mit unserem Führer stellt sich anschließend heraus, dass wir die üblichen Touristen-veranstaltungen besuchen werden, so wie alle anderen auch. Unser Reisebüro plant die Tour mit einem Veranstalter vor Ort und hat scheinbar keinen

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weiteren Einfluss auf die Details, es werden Besuche verschiedener Geschäfte in den Ablauf eingebaut, in denen wir für Umsatz sorgen sollen. Als wir später am Tag den Besuch in einem Perlengeschäft ablehnen, bekommt der arme Guide sogar noch Ärger. In den kommenden Tagen werden wir lernen, dass diese Dinge ganz normal sind und den Führern ihr eigentliches Einkommen sichern. Sie werden von den Agenturen schlecht bezahlt und sind auf die Zu-wendungen der Händler angewiesen, die sie dann bekommen, wenn sie Touristen in die Geschäfte bringen. Also werden wir immer mal wieder gute Miene zum bösen Spiel machen und das eine oder andere Geschäft besuchen - natürlich ohne etwas zu kaufen.

Heute aber sind wir wild entschlossen, uns den Tag nicht verderben zu lassen und genießen das gute und reichhaltige Essen. Unsere nächste Station ist der Sommerpalast. Auch hier müssen wir uns wieder durch Menschenmassen schlängeln, wir versuchen jedoch mittlerweile, uns etwas abseits zuhalten, Yuan, unser Führer, hilft uns dabei. Die versprochene Bootsfahrt findet leider wegen des Windes nicht statt, dafür gönnen wir uns ein „Langnese“ Eis, natürlich nur wir

Mädels. Männer essen in China kein Eis, es ist ihnen zu peinlich, weil nicht männlich genug.

Bei der Betrachtung der Verkaufsstände fallen immer wieder Motive von Mao und Che Guevara auf, der neueste Schrei scheinen T-Shirts und Taschen mit dem Konterfei von Barrack Obama im Mao Look zu sein.

Lustig und anrührend finden wir dann tanzende Menschen mittleren Alters. Wir erfahren von Yuan, dass sich in vielen Parks hier nachmittags um fünf Uhr Leute treffen, um gemeinsam zu singen und zu tanzen. Ein schöner Brauch, finden wir.

Als uns der Fahrer wieder an Bord nimmt, schlägt er vor, heute Abend zum Olympiagelände zu fahren, da da Wetter so schön ist und die Stadien abends um so schöner wirken. Jule ist zwar traurig, als wir dort ankommen und der Akku ihrer Kamera leer ist, aber ich bin begeistert! Der Park ist unglaublich und die Stadien sind live genauso beeindruckend wie auf den Fotos, was heute längst nicht mehr selbstverständlich ist. Ich hoffe nun, dass ein paar großartige Bilder entstanden sind.

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010 Endlich werden wir nicht mehr gehetzt. Die

Chinesen erledigen scheinbar alles gern schnell und zielgerichtet, nicht gerade das, was wir Westler unter Urlaubsatmosphäre verstehen, schon gar nicht dann, wenn wir fotografieren möchten. Es fällt uns schon schwer genug, bei den vielen Menschen um uns herum vernünftige Bilder zu machen.

Während ich in Ruhe fotografieren kann, unterhält sich Jule ausgiebig mit Yuan. Sie sind sich ja auch vom Alter her viel näher. Überhaupt kommt sie hier extrem gut an. Viele Menschen sagen ihr, wie hübsch sie ist, das liegt sicher auch an ihrer offenen, zuvorkommenden Art.

Der Taxifahrer, der uns zum Hotel bringen soll, will 100Y (10€) haben, laut Yuan ein viel zu hoher Preis. Wir probieren den Trick, einfach weiter zu gehen, er funktioniert auch diesmal, jetzt ist der Fahrer doch bereit, nach Taxameter zu fahren. Als wir Yuan an der U-Bahn abgesetzt haben, holt er sich sein Geld allerdings - wie wir glauben – im wahrsten Sinne des Wortes über Umwege wieder zurück.

Was soll's, sagen wir uns, Taxi fahren ist trotzdem noch sehr günstig hier...

Im Hotel angekommen, essen wir noch schnell etwas, dann fällt Jule komatös ins Bett.

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12.OktoberBeijing

Heute morgen treffen wir unseren neuen Guide in der Erwartung auf unseren Besichtigungstag in Sachen Architektur, doch von wegen, Boven erzählt uns gleich im Auto, dass wir heute zum Tian' anmen-Platz fahren und danach die verbotene Stadt besichtigen werden. Er scheint von unserem Sonder-arrangement zum Thema moderne Architektur schlichtweg nichts zu wissen.

Da wir das Olympiagelände dank Yuan ja gestern Abend schon gesehen haben, handele ich zumindest noch die wie ein großes silbernes Ei in einem künstlichen Teich schwebende Konzerthalle des französischen Architekten Paul Andreu heraus und bin gespannt, wie die von einer scheinbar offiziellen Pekinger Reiseagentur gesteuerten Guides das von uns gebuchte Programm in den verbleibenden Tagen auf die Reihe bekommen wollen.

Aber Boven ist ein ganz Netter, auch wenn er wie die anderen vor ihm ständig unter Zeitdruck zu stehen scheint. Also huschen wir um das „Ei“ herum, machen unsere Fotos und marschieren dann zum Tian' anmen- Platz. Ich bin wieder beeindruckt von den vielen Menschen und der Organisation. Man kann so einen Platz in Beijing nicht einfach betreten, es gibt einen Eingang mit Sicherheitskontrolle und einen Ausgang. Boven erklärt uns den geschichtsträchtigen Platz sowie die umliegenden Gebäude wie die Große Halle des Volkes, das Mao Mausoleum und das National-museum. Wir versuchen, die Geschichte auf uns wirken zu lassen und die Stimmung auf dem Platz in Bildern festzuhalten, aber ich fühle mich schon wieder getrieben. Zum Glück haben wir im Auto schon besprochen, dass wir den Nachmittag zu unserer Verfügung haben werden, die Einhaltung des Pro-gramms ist mir mittlerweile nicht mehr so wichtig, ich möchte nur einmal in Ruhe herumlaufen und dort stehen bleiben können, wo ich möchte, um diese Stadt auf mich wirken zu lassen. Deshalb haben wir ja eine individuelle Reise gebucht.

Vom Tian' anmen-Platz geht es dann durch das Tor des himmlischen Friedens weiter in die verbotene Stadt. Inmitten eines nicht enden wollenden Stroms von Touristen wälzen wir uns die Treppe hinauf unter dem riesigen Mao Bild hindurch in den Kaiserpalast. Wie schön und beschaulich war dieser Prachtbau doch in dem Film "Der letzte Kaiser", aber so ist es nun einmal, wenn man heute große Städte besucht, man ist halt nicht allein. Langsam arbeiten wir uns im Pulk der Reisegruppen vor von Tempel zu Tempel, von Platz zu Platz bis zum Ausgang am anderen Ende. Ich nehme mir vor, die Bedeutung der einzelnen Gebäude später noch einmal nachzulesen.

Am hinteren Ausgang soll irgendwo der Fahrer warten, aber wie überall sind auch hier die Straßen-ränder mit Zäunen umfasst. Wir müssen ein Stück die Straße entlang gehen, vorbei an einigen bettelnden verstümmelten Menschen, die hier, wo alle Touristen entlang gehen müssen, auf dem Gehweg sitzen oder

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liegen. Ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll, bin extrem betroffen und wechsle mehrmals die Seite. Scheinbar kann ich mit einer solchen Situation schlecht umgehen und schäme mich dafür.

Endlich haben wir nach mehreren hek-tischen Telefonaten den Fahrer gefunden und es geht weiter. Mittagessen ist angesagt und wir fahren in ein kleines Restaurant neben dem Teehaus, welches wir gestern besucht haben. Diesmal bestehen wir darauf, dass der Fahrer und Boven mit uns zusammen essen und es wird richtig nett. Boven ist eher der offene, pragmatische Typ, während Yuan nachdenklicher und kritischer wirkt. Ich freue mich auf morgen, wenn dieser mit seiner Kamera kommen will, da er auch gern fotografiert.

Nach dem Essen bringen die beiden uns zum kürzlich renovierten Hutong Viertel, wo wir eine Rikschafahrt buchen können - das offizielle Programm ist jetzt beendet. Ich bin auf der einen Seite etwas enttäuscht über den Ablauf, der so gar nicht unserem Programm und unseren Vorstellungen ent-spricht, andererseits bin ich froh, dass wir ein bisschen Zeit für uns haben und nicht am Nachmittag auch noch hetzen müssen.

Wir verabschieden uns von Boven und steigen in die Rikscha. Im Pulk mit anderen Touristen geht es durch das alte Viertel, eines der wenigen noch erhaltenen dieser Art. Der deutschsprachige Begleiter erklärt uns, dass die Regierung viele der Gebäude renoviert, da man mittlerweile den Wert der Geschichte und Kultur erkannt hat. Kaum haben wir es uns so richtig gemütlich ge-macht, müssen wir schon wieder aussteigen und es geht wie immer - fast im Laufschritt - zu Fuß weiter. Über eine Brücke durch die Marihuana Straße zum Trommelturm, rauf auf den Turm - 69 ca. 30-40 cm hohe Stufen am Stück - oben schnell ein paar Fotos gemacht, die Trommelvorführung ange-schaut und schon geht es wieder hinunter. Wer soll sich das alles in diesem Tempo merken? Wieder unten geht es zurück, die Teezeremonie lassen wir diesmal aus, dafür besuchen wir eine Familie. Das ist jetzt wirklich ein Erlebnis, selbst wenn wir auch hier wieder nicht die einzigen Gäste sind. Um einen Hof herum liegen verschiedene

Räume. Drei Generationen leben hier, der Großvater im nördlichen Zimmer, weil es als das beste gilt, seine Kinder nebst Enkeln und Schwiegerenkeln haben jeweils ein Schlafzimmer, ausgestattet mit Bett, Schrank, etwas Zubehör und einem PC. Die Küche, das Bad und den Aufenthaltsraum, der auch zum Tischtennis spielen benutzt wird, teilen sich alle. Zur Straße hin liegt das Atelier für Papierschnitte und Malerei, das wir selbstverständlich auch besichtigen und gern etwas kaufen dürfen, was Jule dann auch tut, da die Papierschnitte und Male-reien tatsächlich sehr schön aussehen. Nun kehren wir zurück zu den Rikschas und es entsteht eine deutliche Unruhe, als unser Fahrer nicht am verabredeten Platz parat steht. Man diskutiert und telefoniert, nur wir sind froh, einen Moment Ruhe zu haben und signalisieren das auch.

Zurückgekommen mit der Rikscha zum Ausgangspunkt beschließen wir in den gegenüberliegenden Bei Hai Park zu gehen, um ein wenig die Ruhe dort zu genießen. Hier entstehen nun zahllose Katzenfotos, Julchen ist glücklich. Wir wandern am See entlang, schauen Leuten beim Tanzen zu und werden wieder einmal fotografiert. Jule ist das schon sehr häufig passiert, mich sehen die Leute mit meinen blonden Haaren immer nur verwundert an. Als es dunkel wird, machen wir noch eine Spaziergang durch das Hutong Viertel, welches sich abends in einen bunt beleuchteten Ver-gnügungs- und Kneipenbezirk verwandelt. Wir sitzen auf einer der Dachterrassen und haben viel Spaß beim Beobachten des Gewimmels aus Rikschas, Fahrrädern und Fußgängern, welches wie durch ein Wunder ohne Zusammenstöße funktioniert .

Wie jeden Abend fahren wir früh mit dem Taxi zum Hotel, da wir hundemüde sind. Wir sind mächtig stolz, dass wir gemeinsam mit dem Taxifahrer, ohne die Sprache zu sprechen, zurückgefunden haben. Im Hotel essen wir noch schnell eine Kleinigkeit und dann geht's ab auf's Zimmer. Kaum sind wir oben, ruft Yuan an und fragt, ob wir uns morgen etwas später treffen können. Zunächst sind wir nicht begeistert, am Ende jedoch ganz froh über die Atempause und die Möglichkeit, in Ruhe zu packen.

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Gemütlich gefrühstückt und mit gepackten Taschen sind wir guter Dinge und warten vor dem Hotel in der warmen Sonne auf Yuan. Der erscheint allein zu Fuß ohne den Fahrer und eröffnet uns, dass dieser auf dem Weg zu uns einen schweren Unfall gehabt hat. Wir sind geschockt und verwirrt. Mein erster Gedanke: „Das ist ein Trick“, dann: „Nein, das ist zu makaber“. Wir hatten schon die ganze Zeit ein mulmiges Gefühl beim Fahren, aber da jeder in Beijing so fährt, war es uns schließlich auch ziemlich egal. So leid es mir auch für den Fahrer tut, irgendwie bin ich erleichtert, dass wir nicht mit im Auto saßen.

Also wieder rein ins Hotel mit dem Gepäck und ab zu Fuß zum Himmelstempel. Es ist sommerlich warm heute und wir freuen uns auf den Tag mit Yuan, der tatsächlich seine Kamera mitgebracht hat. Gemütlich spazieren wir durch den Park, teilweise auch etwas abseits von den Reisegruppen und genießen das schöne Wetter. Ich muss daran denken, dass es in

Deutschland jetzt schon ziemlich kalt ist und freue mich.

Der Versuch, am Ausgang des Parks ein Taxi zu finden, gestaltet sich dann ziemlich schwierig, aber am Ende fahren wir zum Tian' anmen- Platz, um dort in der Nähe ein Restaurant für unser Mittagessen zu suchen. Nachdem wir eine halbe Stunde in diesem Viertel umhergeirrt sind, sage ich Yuan, dass ich jetzt nun wirklich Hunger habe und es stellt sich heraus, dass er nur höflich gewartet hat, bis wir ihm Bescheid geben. Wir landen in einem typischen kleinen Straßenrestaurant, in dem wir interessiert beäugt werden, weil wir die einzigen westlich aussehenden Gäste sind. Man kehrt noch schnell den Abfall unserer Vorgänger unter unserem Tisch weg, dann können wir bestellen. Wie immer sind wir zu langsam, der Kellner wartet ungeduldig neben uns, da Jule aber nichts Scharfes essen kann, brauchen wir einen Moment, bis wir uns entschieden haben. Als das Essen serviert

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wird, stellen wir fest, dass Yuan netterweise nicht so schmatzt, wie die anderen Chinesen. An diese in China übliche Gewohnheit und das „Putzen“ der Nase ohne Taschentuch mitten auf der Straße werde ich mich nie gewöhnen können. Beim Essen erzählt uns Yuan viel über das heutige China und die Arbeit der Reiseagenturen. Die Reiseführer bekommen nur 50Y (5€) pro Tag als Lohn, den Rest müssen sie sich durch Trinkgeld erwirtschaften und dadurch, dass sie die Touristen in möglichst viele Geschäfte bringen, egal, ob diese dort etwas kaufen oder nicht. Er rechnet uns im folgenden vor, wie viel von unserem Reisepreis bei dem Reisebüro und den örtlichen Agenturen hängen bleibt. Das System scheint mafiöse Züge zu haben, der Staat greift hier nicht ein, sollte er aber - meint Yuan. Ich bin unsicher. Diese ersten Schritte hin zur Marktwirtschaft sind natürlich schmerzhaft, aber kaum zu vermeiden. Bemerkenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang immer wieder, dass die Regierung noch immer die selbe ist und die gleichen kommunistischen Parolen überall zu sehen sind. Ich nehme mir gerade vor, ihm ein schönes Trinkgeld zu geben als er sagt, dass er diese Tage mit uns als Reise mit Freunden versteht und nie Trinkgeld nehmen würde - na prima! Wir erfahren, dass sowohl Boven als auch er nur die Vertretung für Alex vom ersten Tag waren, sind aber am Ende ganz froh darüber.

Mit dem Taxi geht es nun weiter in den Jingshan Park mit seinem Kohleberg, von dem man eine schöne Aussicht auf die Stadt und den Kaiserpalast haben soll. Wir steigen hinauf und tatsächlich, die verbotene Stadt liegt zu unseren Füßen. Es entstehen schöne Fotos hier im Abendlicht, da die Sonne in Beijing schon sehr früh untergeht.

Wir wandern am den Kaiserpalast umgebenden Wasser entlang, dem Sonnenuntergang entgegen, langsam wieder in Richtung Hotel. Ein Taxi bekommen wir diesmal wieder nicht, also beschließen wir, mit der U-Bahn zu fahren. Und ich dachte immer, in London wäre es schon voll in der U-Bahn, von Tokio kenne ich noch die Pusher, hier pusht man einfach selbst. Es ist unglaublich heiß und voll, beim Umsteigen wird man von der Herde mitgerissen, man muss nur darauf aufpassen, sich nicht gegenseitig zu verlieren. Angekommen an der Station, die unserem Hotel am nächsten liegt, stelle ich fest, dass wir nun doch noch ein Taxi brauchen. Als Yuan sich etwas von uns entfernt, hält merkwürdigerweise gleich das erste Taxi an. Vielleicht weil die Fahrgäste sowieso aussteigen wollten, vielleicht, weil wir nicht daneben standen. Westliche Personen, die sich außerhalb von Reise-gruppen bewegen und jünger sind als um die 60 Jahre scheinen immer noch Verwunderung und Unsicherheit hervorzurufen. Wir sind jetzt schon etliche Male fotografiert worden. Yuan, der ein Jahr in Deutschland gelebt hat, ist das Verhalten seiner Landsleute sichtlich peinlich.

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010 Mit dem Taxi holen wir das Gepäck aus dem Hotel

ab und fahren gleich weiter zum Bahnhof. Dort kauft Jule im Supermarkt mit Unterstützung von Yuan noch Reiseproviant, ich habe keinen Hunger und baue fest auf einen abendlichen „westlichen“ Snack am Bahnhof. Hier im Supermarkt fällt mir nun auch endlich eine Lösung für das Trinkgeld-Problem ein: Ich kaufe ein Paar Schlüsselanhänger in Katzenform für Yuan zum Abschied und verstecke das Trinkgeld in der Packung.

In China darf den Bahnhof nur derjenige betreten, der eine Fahrkarte hat, also müssen wir uns jetzt von unserem neuen Freund trennen. Wir tauschen noch Emailadressen aus, Jule umarmt ihn zum Abschied und ich gebe ihm das kleine Geschenk, ohne dass ich weiß, wie er es jetzt aufnimmt. Ich hoffe nur, dass er

es nicht wegwirft, ohne es vorher umzudrehen. Wir sind beide ein bisschen traurig.

Im Bahnhof gibt einen speziellen Warteraum für die erste Klasse und ein „Snickers“ für mich. Wir sind gespannt auf die Zugfahrt, können wir uns doch nicht mit unseren Mitreisenden im Abteil verständigen. Und schon wieder ist alles bestens organisiert: Wir sind ausschließlich mit Engländern und Deutschen in diesem Waggon und lernen so eine deutsche Schulklasse der Oberstufe aus Paderborn kennen, die im Sprachprofil Chinesisch lernt. Es ist so für uns weniger fremd und wir können uns ein bisschen unterhalten. Die Betten sind erstaunlich breit und bequem und wenn ich nicht so wirr geträumt hätte, wäre es sicher eine richtig gute Nacht geworden.

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In Xi'an am Bahnhof wartet Nie auf uns. Sie hält ein Schild hoch mit meinem Namen, Geburtsnamen und Vornamen. Das scheint hier üblich zu sein, denn als wir im Hotel ankommen wird dieser Name auch auf das Anmeldeformular geschrieben.

Wir frühstücken zunächst gemütlich und machen uns dann auf den Weg zur Terrakottaarmee. Als Nie uns fragt, ob wir noch eine Ausstellung besichtigen möchten, die zeigt, wie die Krieger gefertigt wurden, willigen wir ein, obwohl wir jetzt ja wissen, aus welchem Grund das geschieht. Also gehen wir schnellstmöglich durch dieses Angebot von Schnick-schnack hindurch, um ihr eine Freude zu machen.

Endlich angekommen am Museum, zu dessen optimaler Erschließung extra eine neue Autobahn gebaut wurde, sind wir beeindruckt von der Größe der Anlage. Ich wusste schon aus dem Internet, dass die Ausgrabungen mit Hallen überdacht sind, aber mit diesem perfekt angelegten Gelände mit modernen Gebäuden, Elektroautos und Shopping- Meile hatte ich nicht gerechnet.

Wir sehen zuerst einen Film über die Entstehung, Zerstörung und spätere Entdeckung der Armee in einem 360° Kino, dann betreten wir endlich die erste Halle. Ich weiß zunächst gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll, es bietet sich ein unglaubliches Bild. Um dieses auf sich wirken zu lassen, müsste man hier

Stunden verbringen, aber zum Glück ist Nie sehr entspannt und ich kann in Ruhe anfangen zu fotografieren. Jetzt hätte ich doch ganz gern die 100mm mehr Brennweite, die ich leider zu Hause gelassen habe. Ich versuche, die Stimmung ein-zufangen und beeindruckende Bilder zu machen, die meine Bewunderung widerspiegeln. Das hier ist für mich neben der Chinesischen Mauer bis jetzt der absolute Höhepunkt. In der zweiten Halle sind nur einige Figuren soweit erhalten, dass man sie wieder zusammen setzen konnte. Viele Bereiche hat man gar nicht mehr ausgegraben, da man glaubt, mehr zu zerstören als zu erhalten. Ein ähnliches Bild bietet die dritte Halle, in den ausgegrabenen Bereichen sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld.

Wir sehen uns noch die Bronzewagen an, allerdings ist es in diesem Raum dunkel und heiß und wir werden von Herden chinesischer Reisegruppen fast überrannt, die hier durchgetrieben werden. Was für ein Stress für uns – aber in China die normale Geschwindigkeit. Draußen ist es wieder angenehm warm und sonnig und wir spazieren zurück durch die Einkaufsmeile in Richtung Ausgang. Zum Mittagessen machen wir Halt in einem der typischen Touristen-restaurants, die wir ja mittlerweile schon gut kennen. Wieder gibt es ein paar Probleme, da wir nur zu dritt und keine Reisegruppe sind. Man ist scheinbar nur auf

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große Gruppen eingerichtet, am Ende aber sind wir satt und gehen zurück zu „unserem“ Auto, diesmal kein VW Santana, sondern ein ausrangierter Re-gierungswagen, an der Standarte noch gut zu erkennen.

Dank Sonne, Essen und Bier werden wir schläfrig auf der Rückfahrt, nur gestört durch den gnadenlosen Benzinduft in diesem alten Wagen chinesischer Bauart. Und dann plötzlich: Stau. Wir sitzen fest, es hat vor uns einen Unfall gegeben. Der Fahrer dreht in einem waghalsigen Manöver um und entkommt nur knapp einer zwei Zentimeter dicken Eisenplatte, die genau in seiner Kopfhöhe ca. zwei Meter weit über die Ladefläche des vor uns fahrenden LKWs hängt. Nichts für schwache Nerven!

Ich beobachte die vielen Neubauarbeiten in Xi'an. Es entstehen vor allem Wohnhäuser hier, mehrere ca. 30-geschossige Einheiten ragen aus einem Sockel-geschoss heraus. Nach Erstellung des Rohbaus werden Kran und mehrgeschossige Gerüsteinheiten an der Fassade befestigt, um das Gebäude von oben nach unten zu verkleiden und die Fensterrahmen einzusetzen.

Unser nächstes Ziel ist die große Wildganspagode mitten in der Stadt. Um nach oben zu gelangen, müssen wir extra bezahlen, was mich dann doch etwas verwundert. Aber egal, wir wollen gern die Stadt von oben sehen. Hier treffen wir dann auch die Schülergruppe aus Paderborn wieder.

Wieder unten habe ich Durst und Nie ist etwas verwundert, als wir sie zu einem Drink einladen. Auf dem Weg zurück zum Auto handele ich noch ein kurzes Fotoshooting des in Bronze gegossenen Mönches heraus. Nie verabschiedet sich für heute und der Fahrer bringt uns ins Hotel. Eigentlich wollen wir noch ein bisschen die Umgebung inspizieren, aber wir sind müde und entschließen uns, im Hotelrestaurant noch eine Kleinigkeit zu essen. Ich bestelle ein Bier und bekomme eine Riesenflasche hingestellt, Jule versucht sich an einer westlichen Pilzcremesuppe. Der Kellner ist sehr nett und gibt sich viel Mühe, mit uns Englisch zu sprechen. Am Ende ist die Rechnung wie so häufig erschreckend niedrig. Die Preisunterschiede in China sind extrem und manchmal für uns nicht so recht nachvollziehbar. Eine Flasche Bier kann umgerechnet zwischen 0,20€ und 3,00€ kosten.

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Am Morgen um 10 Uhr werden wir abgeholt, um die Moschee und den nebenan liegenden Markt zu besuchen. Wir müssen jedoch erstmal zu Starbucks, da der Kaffee im Hotel für mich ungenießbar war. Nie sagt, sie will sich eine Sojamilch besorgen, die es hier angeblich nicht gibt. Erst als sie unverrichteter Dinge zurückkommt, verstehe ich, dass sie die Milch bei Starbucks nicht bezahlen kann, da die Preise hier auf westlichem Niveau liegen. Also laden wir sie ein.

Der Markt bietet neben den üblichen Andenken auch viel Schnickschnack und die berühmten Fakes bekannter Marken. Man kann auch hier die Fälsch-ungen gut von den günstigen Teilen aus sogenannten "Überproduktionen" unterscheiden. Die „Abercrombie“ Jacken sind definitiv "echt", "Polo" Hemden dagegen nicht.

Die Moschee erstaunt tatsächlich, wie im Reise-führer beschrieben, da sie im traditionellen chinesi-schen Stil erbaut ist. Eine Oase der Ruhe, Architektur-studenten beim Skizzieren erinnern mich an früher. Zum Glück für Julchen lässt sich auch hier eine Katze sehen.

Später geht es mit dem Fahrer zum Flughafen, Nie hilft uns beim Einchecken und danach essen wir wie alle Touristen im Flughafenrestaurant; im Gegensatz zu den anderen aber mit Führerin und Fahrer an einem Tisch. Dann ist wieder die Zeit des Abschieds gekommen. Wir tauschen noch schnell Visitenkarten aus, dann sind die beiden weg.

Der Flug nach Shanghai vergeht schnell und am Flughafen dort wartet bereits unsere neue Führerin samt Fahrer-“in“! Schon am Auto sieht man, dass wir uns hier in einer anderen Welt befinden. Tatsächlich - auch die Straßen sehen anders aus, alles ist viel moderner, einfach westlicher. Der Verkehr ist hier zwar auch chaotisch und es wird genauso viel gehupt, aber das Bild ist geprägt von neuen PKWs moderner Bauart.

Parallel zum Highway verläuft die berühmte Transrapid- Strecke und ich kann tatsächlich einen Blick auf einen Zug erhaschen. Da es Freitagabend ist, geraten wir in einen monströsen Stau, der selbst die Fahrerin verwundert. Mit einiger Verspätung erreichen wir dank GPS und einiger U-Turns endlich das Hotel. Natürlich haben wir unterwegs wieder etliche KFCs entdeckt, diese zu zählen entwickelt sich jetzt zwischen Jule und mir zum Running Gag. Angekommen im Hotel bringen wir nur schnell die Taschen auf unser Zimmer und dann geht es gleich weiter zur Nanjing Lu, der bekannten glitzernden Einkaufsmeile. Als die Führerin uns dort für 45 Minuten absetzt um uns treiben zu lassen, treibt uns der Hunger erst einmal zu Mc Donald's, wo wir sie dann prompt wieder treffen, da der Abend für sie nun auch lang wird. Danach gehen wir ein Stück die Straße entlang, können uns aber an der bunten Glitzerwelt, den Menschenmassen und den uns bekannten Marken wie Zara, H&M, Esprit etc. nicht so wirklich

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erfreuen – zu viele Menschen am Abend nach einem langen Tag. Lustig finden wir dann allerdings das Oktoberfest als Headline für einen Sonderverkauf in einem der Shoppingcenter.

Wir machen ein paar Bilder und sind eigentlich ganz froh, als wir weiter fahren zum berühmten Bund. Da ist sie nun, die weltberühmte Promenade, auf der in den frühen Morgenstunden die Leute Tai Chi Übungen machen und tanzen, jetzt im Dunkeln, voll mit Menschen und einem atemberaubenden Blick auf die Skyline von Pudong. In Shanghai scheint nichts ohne Lichterketten an den Hausfassaden zu gehen. Ich finde es einerseits gruselig und bin doch irgendwie fasziniert. Auf dem Fluss fahren ebenfalls bunt beleuchtete, blinkende und mit Werbeschriftzügen versehene Ausflugsschiffe umher. Die Fassaden der Hochhäuser gegenüber sind durch LED Technik zu monströsen Werbeflächen geworden. Ich weiß nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Fröhlich fotografieren die Leute sich gegenseitig vor dieser Kulisse, wir versuchen, die Perspektive zu verändern, etwas andere Bilder zu machen. Ich bin mit solchen Situationen fotografisch immer total überfordert, das konnte ich schon bei einer abendlichen Fotosession auf dem Hamburger Dom feststellen. Mir liegen halt mehr die einsamen, klaren und sparsamen Motive. Schade, dass wir keine Zeit haben werden, am nächsten Morgen noch einmal zurück zu kommen.

Es macht trotzten viel Spaß, das alles hier zu beobachten und natürlich müssen wir auch wieder mit diversen Chinesen für Erinnerungsbilder posieren.Was für spektakuläre Eindrücke! Was für ein Tag!

Zurück im Hotel brauche ich erstmal ein Bier in der Bar, Jule ist froh, in der PC-Ecke des Holiday Inn mit ihren Freunden chatten zu können und kommt erst spät um 1 Uhr ins Bett.

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Heute soll es nun endlich zur Expo gehen. Ich bin so gespannt! Die Fahrt wird nur eine halbe Stunde dauern, wir werden erst um kurz vor 10 abgeholt, da man vorher sowieso nur in der Schlange stehen würde. Aber selbst hier hat wohl keiner mit dem Andrang am vorletzten Samstag der Ausstellung bei schönstem Sommerwetter gerechnet. Wir brauchen über eineinhalb Stunden für die Fahrt und stecken zum Schluss eine Zeitlang komplett fest. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Endlich angekommen geht es fast im Laufschritt in Richtung deutscher Pavillon, der sich von uns aus gesehen fast am anderen Ende des riesigen Geländes befindet. Längst haben wir beide unsere Kamera auf Vollautomatik umgestellt, um wenigstens ein paar schnelle Bilder zu machen. Schön ist es, auf der oberen Promenade entlangzulaufen, daran werden wir später auf dem Rückweg unten noch zurückdenken! Mittlerweile ist uns klar, dass wir nur den deutschen Pavillon besichtigen können, die Wartezeit beträgt an

fast allen Ausstellungen 4-6 Stunden! Nicht zu reden vom Fortkommen in den Menschenmassen unten. Ob sich wohl jemand jemals alle 240 Ausstellungen angesehen hat? In den deutschen Pavillon kommen wir als Staatsbürger dieses Landes über den VIP Eingang sofort und ohne Wartezeit hinein. Wir verabreden uns eine Stunde später wieder draußen mit unserer Führerin.

Hier werden wir allerdings jetzt für die ganzen Strapazen der Anreise entschädigt. Man hat ja viel gelesen über das sehr erfolgreiche Konzept „balancity“ und wir müssen sagen, eine tolle Darstellung, welche uns stolz macht auf unser Land. Wir präsentieren uns hier selbstbewusst, teilweise auch mit einem gewissen Augenzwinkern, wenn man z.B. an die Gartenzwerge denkt.

Nach einer Woche in China kann ich mir schon ein bisschen vorstellen, wie der Blick der Chinesen auf das Gezeigte sein mag. Nach der Abschlussshow gehen Jule und ich ziemlich gerührt wieder nach

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müssen, und das auf der unteren Ebene, wo es unglaublich voll ist. Über eine Stunde sind wir unterwegs zum Ausgang, man merkt der Führerin an, dass sie Angst hat, den Flughafen nicht pünktlich zu erreichen.

Nass geschwitzt sitzen wir im Auto und bereiten uns auf die 90-minütige Fahrt zum Flughafen vor, die dann nur eine halbe Stunde dauert. Shanghai ist eben unberechenbar.

Wenn man das nur vorher gewusst hätte. Später werden wir erfahren, dass dieser Samstag mit

unglaublichen 1,1 Millionen Besuchern der stärkste Tag der ganzen Expo war und der deutsche Pavillon den Preis für die beste Präsentation gewonnen hat.

Der Flug nach Guilin ist leicht verspätet, als wir jedoch abends ankommen und das Flughafengebäude mit unserer neuen Führerin Chen verlassen, ist es wunderbar warm.

Chen spricht ein fantastisches Deutsch, ist älter als die anderen und hat einen 20-jährigen Sohn. Wir checken im Hotel ein und fallen sofort todmüde ins Bett. Morgen geht es per Boot auf dem Li Fluss in Richtung Yangshuo.

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Um 8:40 Uhr werden wir abgeholt. Obwohl wir genug Zeit haben, wird es am Ende doch noch knapp, da das Hotel voll ist mit etlichen westlichen Reise-gruppen. Das Frühstück ist lecker, aber hinterher wollen alle zur selben Zeit mit den beiden Aufzügen fahren. Danach habe ich Probleme, an der Rezeption meine Kaution wiederzubekommen und die Getränke aus der Minibar zu bezahlen. Jeder dort scheint alles gleichzeitig zu machen, der Mitarbeiter mit meinem Beleg in der Hand ist völlig aufgelöst. Zum Glück kommt in diesem Moment Chen und sofort geht alles ganz schnell.

Danach geht es im Buskonvoi zur Anlegestelle, wo jeden Tag ca. 100-150 Boote in Richtung Yangshuo ablegen. Wir steigen ein, bekommen unsere Plätze zugewiesen, und wie immer darf Chen nicht bei uns sitzen. Dies ändert sich zum Glück, als das Boot nicht ganz voll wird. Kaum haben wir abgelegt zieht es mich nach oben an Deck zum Fotografieren. Ich habe mich so sehr auf diese Landschaft gefreut! Das Wetter spielt zum Glück auch mit, es ist leicht diesig und ein bisschen bewölkt, aber die Sonne scheint sich ihren Weg zu bahnen.

Die Landschaft ist unglaublich. Zum ersten Mal auf dieser Reise verspüre ich Ruhe und Frieden, obwohl viele Menschen um mich herum sind. Die berühmten Bambusboote ziehen vorbei, in der Fantasie natürlich mit Lebensmitteln oder ähnlichen Dingen beladen, in der Realität aber mit grünen Buddhas aus Plastikjade. Sie gehen längsseits und verkaufen ihre Ware an die Touristen. Trotzdem bieten sie ein herrliches Motiv vor der fast unwirklichen Kulisse. Wir verbringen die meiste Zeit der Fahrt an Deck, genießen die Sonne und den Ausblick. Zudem versuchen wir, verschiedene Situationen und Stimmungen mit der Kamera ein-zufangen, in der Hoffnung, dass ein paar besondere Bilder dabei sind.

Diese Landschaft mit ihren karstigen Bergen, den Feldern, Wasserbüffeln und Kormoranen hat seit Jahrhunderten Dichter inspiriert und Menschen begeistert. So können wir einige Foto-Sessions am Ufer beobachten, viele Menschen kommen auch mit dem Fahrrad oder kleineren Booten, um hier ein Picknick zu machen und vom Ufer aus die Landschaft zu genießen.

Kurz vor Yangshuo wird unter Deck das Mittag-essen serviert, welches wir mit einem ziemlich unangenehmen amerikanischen Ehepaar an unserem Tisch teilen müssen. Dem Mann sieht man an, dass er permanent Angst hat, nicht genug abzubekommen. Schade, solche Leute gibt es eben auch. Wir reden nur das Nötigste miteinander.

Yangshuo selbst erscheint uns zunächst wie ein großer Markt für Touristen. Wir bahnen uns den Weg durch unzählige Stände und lautstarke Angebote bis zu unserem Hotel. Dies liegt zentral in der Fuss-gängerzone und ist es das beste, was wir bisher hatten. Neu renoviert, absoluter Weststandard und so

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zentral gelegen! Wir waschen schnell ein paar Sachen aus und lassen uns dann für die nächsten Stunden durch das Städtchen treiben. Alles ist viel ruhiger hier, klar, wir sind ja auch in einem reinen Touristenort. Selbst die Chinesen scheinen hier einen Gang herunterzuschalten. Dafür überall Angebote über-wiegend englischen Essens, aber auch italienischer Cappuccino, nicht Starbucks, dafür mit einer „Jura“ Maschine gebraut. Den genehmige ich mir doch gleich mal, während Jule sich am Stand nebenan 15(!) Namens- Anhänger aus Kätzchen für ihre Ballett-gruppe und einige Freunde basteln lässt. Das dauert dann am Ende fast 2 Stunden und nun müssen wir uns beeilen, damit unsere Fahrerin nicht zu lange auf uns warten muss, denn wir haben Karten für die Show „Impression Liu Sanjie“, die auf dem Li Fluss stattfindet und vom Regisseur der Eröffnungs-zeremonie der Olympischen Spiele in Beijing kreiert wurde.

Kaum sitzen wir, fängt es an zu regnen. Schneller als man denken kann, kommen Servicekräfte herbei und verteilen Regencapes für alle Zuschauer. Wie immer in China, alles perfekt organisiert. Die Show ist bunt und beeindruckt vor allem durch die Inszenierung und Koordination vieler Menschen zu einem

Gesamtkunstwerk. Leider beginnt der Run auf die Busse schon bevor das Stück zu Ende ist und es entsteht viel Unruhe, was sehr sehr schade ist. Aber das ist China, alles muss schnell gehen.

Zurück an unserem Van müssen wir auf dem Parkplatz warten, bis sich die vorn geparkten Busse in Bewegung setzen und dann geht der Kampf los. Mir wird zwischendurch ganz schön mulmig, als sich unsere Fahrerin am Nadelöhr der Ausfahrt gegen den ersten Reisebus durchsetzt, dann doch gegen den nächsten verliert, sich aber dann einreiht. Es ist wie immer, alles regelt sich und wir fahren im Konvoi zurück ins Hotel.

Wir bummeln noch einmal durch die Stadt und essen eine Kleinigkeit in einem der netten Restau-rants, in denen man so schön draußen sitzen kann. Ich habe mal wieder nicht aufgepasst und bekomme eine riesige Bierflasche hingestellt. Das passiert mir jetzt schon zum wiederholten Mal aber Jule ist so nett und hilft mir. Danach schlendern wir zurück ins Hotel und winken noch einmal der netten „Kätzchen-Auffädlerin“ zu, die heute das Geschäft ihres Lebens gemacht hat. Morgen können wir ausschlafen, daher beschließt Jule, noch ein Stündchen mit den Freunden im fernen Deutschland zu chatten.

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18.OktoberYangshuo/ Guilin

Um 8 Uhr geht der Wecker. Ich habe schon eine gute halbe Stunde gelesen, schön, denn dazu bin ich bis jetzt noch kaum gekommen. Wir müssen uns beeilen, da es nur bis 9:30 Frühstück gibt. Oben im fünften Stock wartet ein wunderschöner luftiger Wintergarten als Frühstücksraum auf uns. Es ist herrlich, hier im warmen Luftzug zu sitzen und die Aussicht auf die Berge zu genießen. Das Hotel ist ein wirkliches Highlight auf dieser Reise.

Jule beschließt, noch mit ihrem Freund Nico zu chatten, ich gehe nach draußen zum Fotografieren. Außerdem will ich noch einmal nach Trekkingsandalen und einer Regenjacke schauen, die ich gestern gesehen haben. Ich bin mir bei den Schuhen nicht sicher, ob es Originale, Fakes oder sogenannte Überproduktionen sind, aber das macht am Ende nichts, da meine Größe sowieso nicht vorrätig ist. Morgen soll ich wiederkommen. Aus dem Shopping wird also nichts - mal wieder Geld gespart - aber ich mache schöne Bilder und genieße die frische Luft.

Zurück im Hotel packe ich schnell meine Tasche fertig und setze mich dann unten vor dem Hotel mit einem Cappuccino und einem Orangensaft nach draußen. Am einzigen Tisch sitzt ein Amerikaner, wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass er "for business reasons" hier ist. So sieht er nun wahrhaftig nicht aus, in Polohemd und Shorts, aber das ist hier genug, sagt er. Wieder erfahre ich interessante Dinge aus dem alltäglichen Leben in China, auch dass die Löhne hier langsam steigen und die Macht der arbeitenden Bevölkerung wächst. Das wird sicherlich Auswirkungen auf die Produktion vieler Güter haben, die in diesem noch- Billiglohnland produziert werden.

Wie immer pünktlich ist unsere Fahrerin zur Stelle, die uns zurück nach Guilin bringen wird. Zum ersten Mal fahren wir über eine chinesische Landstraße. Diese ist extrem breit und hat sogar einen Mittel-streifen, was wie immer keinen der Autofahrer interessiert. Unsere Fahrerin hat ein Radarwarngerät an Bord, natürlich wie bei uns verboten aber sehr praktisch, da auf dieser Rennpiste scheinbar unzählige Radarfallen aufgebaut sind. Leider führt ihre dadurch entstehende Fahrweise immer wieder zu riskanten Überholmanövern, wobei es völlig egal zu sein scheint, ob man links überholt oder rechts auf dem Fahrradstreifen, wenn dieser denn frei ist. Geradezu haarsträubend wird es, als ein Kampf zwischen ihr und drei großen Reisebussen entbrennt. Zeitweise fahren wir zu dritt nebeneinander, was erst richtig gefährlich wird, als von vorn zwei Busse parallel fahrend entgegen kommen. Wie schon gesagt, nichts für schwache Nerven, zumal man sich in vielen chinesischen Autos hinten nicht anschnallen kann.

Letztlich erreichen wir dann doch lebend Guilin und essen in einem Hotel zu Mittag. Danach geht es in die die Schilfrohrflöten- Tropfsteinhöhlen. Nett anzusehen, aber nichts besonderes. Später wandern Jule und ich zusammen um die vier Innenseen von Guilin, landen

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zuletzt in einem netten, sehr modernen Café und genießen einen hervorragenden Cappuccino. Abends erfolgt dann der Transfer zum Flughafen; wie immer, alles pünktlich und bestens organisiert. Wir sind diesmal allerdings gespannt, ob uns bei der Ankunft jemand erwarten wird, da der Flug um eine Stunde vorverlegt wurde. Meiner Freundin Irin haben ich zumindest eine SMS geschickt, weil sie versprochen hat, am Flughafen zu sein.

Wie zu erwarten, ist niemand in Shenzhen, um uns abzuholen und zum ersten Mal muss ich die Handynummer des Reisbüros wählen. Auch hier funktioniert alles bestens, wir werden nach zehn Minuten zurückgerufen, man hat den Fahrer sofort los-geschickt. Insgesamt wird es natürlich trotzdem sehr spät, im Hotel haben alle Bars bereits geschlossen, was in China um diese Zeit üblich ist. Bis jetzt war das kein Problem für uns, heute wollten wir aber doch gern mit Irin ein Gläschen auf uns Wiedersehen trinken. Statt dessen sitzen wir dann mit einer Rolle Keksen in unserem riesigen Zimmer und planen gemeinsam den nächsten Tag.

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Da Shenzhen keine Touristenstadt ist, haben wir von Irin viele Vorschläge be-kommen, was man hier so unternehmen kann. Da uns beiden weder nach Strand noch nach SPA zumute ist, gehen wir erst einmal in das Dongmen Viertel, ein günstiges Einkaufsparadies. Ich kann mich jedoch immer noch nicht so recht mit dem Thema „Shoppen in China“ anfreunden. Schnickschnack liegt mir nicht so, Fakes von Taschen, Uhren oder Klamotten sehe ich hier kaum und hätte auch ein schlechtes Gefühl dabei. Außerdem bin ich zu groß für die meisten Kleidungsstücke. Wir be-schließen, mit der U- Bahn zu Irins Büro zu fahren und müssen lernen, dass ein Eingang nicht unbedingt wie bei uns sofort auf den Bahnsteig führt, sondern erst einmal in ein unterirdisches Gewirr von Läden. Wir zweifeln nach kurzer Zeit sogar daran, wirklich im Bahnhof zu sein, finden aber endlich irgendwann den Bahnsteig. Wie überall in China sind auch hier die Stationen auf Chinesisch und Englisch angeschrieben und dank zweier Wertkarten, die wir von Irin bekommen haben, verläuft die Fahrt einfach und problemlos.

Da wie gesagt die Bahnhöfe riesigen, unterirdisch vielfach verzweigten Shopping-malls gleichen, ist es am besten, sich an einem der mit Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge gekennzeichneten Ausgänge zu treffen. Wie verabredet wartet Irin bei der Nummer B auf uns und wir gehen „chinesisches Fastfood“ essen. Wir schieben uns in einer langen Schlange von Menschen an einer Theke entlang und zeigen mit dem Finger auf die Gerichte, von denen wir gern eine kleine Portion hätten. So erhalten wir am Ende einen Teller voll verschiedenster Köstlichkeiten zu einem geradezu un-glaublich günstigen Preis. Wie immer in China geht alles sehr schnell, aber da diese Location mittags eine der beliebtesten in diesem Businessdistrikt ist, baut sich am Eingang trotzdem eine lange Schlange auf.

Nach dem Essen gönnen wir uns noch einen Cappuccino bei Starbucks und als Irin wieder zurück ins Büro muss, erkunden wir die umliegenden Shoppingmalls. Was für ein Kontrast zum Dongmen Viertel! Dort war alles bunt und laut, in den Centern und Passagen junge Mode und günstigste Qualität. Hier sehen wir im Erdgeschoss erst einmal nur Topmarken wie Gucci, Louis Vuitton etc. Weiter oben wird es dann mit

den B-Marken etwas günstiger. Wir werden im Verlauf des Tages noch feststellen, dass es in Shenzhen unendlich viele dieser Malls gibt und uns fragen, wer das alles kaufen soll. In den Läden sehen wir kaum Kunden und die Center selbst sind auch nicht gerade stark frequentiert. Da wir schon in Deutsch-land nicht in diese Art Geschäfte gehen, beschließen wir, uns zum neunthöchsten Gebäude der Welt aufzumachen, dem Diwang Dasha, was in Deutsch soviel bedeutet wie Erd-König Haus. Mit der U-Bahn geht das ganz fix und wir stehen 20 Minuten später in der Lobby des Büro-komplexes - natürlich mit angegliederter Shoppingmeile. Wir fragen auf Englisch an der Information, ob man so einfach nach oben fahren kann, aber man versteht uns nicht so recht und schickt uns zurück in die Mall, vielleicht weil man denkt, dass wir einkaufen wollen. Als wir dort keine Fahr-stühle finden, nehmen wir einfach einen im Bürogebäude und fahren in den 69. Stock hinauf. Niemand spricht uns an oder hält uns auf. Völlig undenkbar im Westen, dass man einfach so ohne Anmeldung in einem Bürogebäude herumspazieren kann!

Oben angekommen erwartet uns tat-sächlich eine Aussichtsplattform, bei 60 Y Eintritt will Jule gleich wieder nach unten fahren, zumal es hier ziemlich herunter-gekommen aussieht. Wir bleiben natürlich, ich möchte gern den Blick hinüber nach Hongkong genießen. Zunächst haben wir einige Schwierigkeiten, uns zu orientieren, da die Beschilderung mehr als dürftig ist, schaffen es dann aber doch mit Hilfe unseres Stadtplanes. Mit Hongkong ist es wie mit Luxemburg. Man denkt immer nur an die Stadt und sieht erst vor Ort, dass noch einiges mehr dazu gehört.

Wieder unten habe ich mir in den Kopf gesetzt, die Louis Vuitton Fassade des nächsten Einkaufszentrums zu fotografieren, was dann aber auf einige Schwierigkeiten stößt, da wir es trotz Stadtplan und Fotos aus der Vogelperspektive nicht schaffen, dort hin zu gelangen. Wir laufen und laufen, sehen, dass wir falsch sind, gehen zurück, müssen in Unterführungen die breiten Straßen queren und sind am Ende „lost in Shenzhen“, obwohl wir doch glauben, richtig gegangen zu sein. So etwas ist uns noch nie passiert, aber wir gelangen am Ende mal wieder zu einem Shoppingpalast der üblichen Größe und rufen Irin an, da es jetzt

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sowieso Zeit zum Abendessen ist. Sie ist völlig irritiert und weiß zunächst nicht, wo dieser Ort sein soll, schließlich findet sie uns aber. Wir sitzen draußen auf dem riesigen Vorplatz und trinken ein kühles Bier. Seltsam, auch hier befinden sich viele Bars und Restaurants, alle leer. Als wir uns setzen, ignoriert man uns zunächst völlig, widmet uns höchstens einen kurzen Seitenblick. erst als ich überdeutlich sig-nalisiere, dass ich etwas bestellen möchte, bringt man uns die Karte. Man kann ja nur hoffen, dass hier wenigstens am Wochenende mehr los ist.

Mit der U-Bahn geht es nun weiter zum Abend-essen. Wir gehen in ein Viertel, in dem sich abends viele Westler zum Essen und Party machen treffen. Jetzt kommt unser Mückenspray zum Einsatz. Aus irgendwelchen Gründen gibt es in diesem Bereich viele dieser Tierchen, Jule ist schon aus Yangshuo ziemlich zerstochen. Wir essen das erste westliche Gericht seit fast 2 Wochen: Nachos mit Käse und danach Cesar's Salat. Mein Magen streikt schon nach ein paar Nachos, ich bin so ein Essen nicht mehr gewöhnt. Die chinesische Ernährung ist eigentlich fantastisch. Zu Trinken gibt es Tee in allen möglichen

Varianten, die Speisen sind kurzgebraten oder gekocht, statt Süßigkeiten gibt es Obst. So essen zum Beispiel Männer in der Öffentlichkeit kein Eis, weil das als unmännlich gilt. Süßigkeiten sind für Kinder und eventuell noch Frauen gedacht. Kein Wunder, dass die Chinesen alle so schlank sind, es bleibt nur abzuwarten, was die Zukunft angesichts der vielen KFCs, McDonald's und Starbucks' so bringt.

Mit schwerem Bauch geht es im Taxi zurück ins Hotel. Wir verabschieden uns von Irin, die wir in Hongkong wieder treffen werden. Es ist schon fast zwei Uhr und ich muss mit Schrecken daran denken, dass wir „gleich“ um halb sieben abgeholt werden. Keiner weiß so genau, warum man uns eine so frühe Fähre gebucht hat. Da wir aber nicht wissen, wann in Hongkong die Stadtrundfahrt anfängt, haben wir nichts mehr am Programm geändert.

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Pünktlich stehen Andy und der Fahrer am nächsten Morgen bereit, um uns zur Fähre nach Hongkong zu bringen. Müde und mit dicken Augen sitzen wir im Auto und machen angestrengt Konversation.

Am Fährterminal klappt alles wie immer her-vorragend und Andy entlässt uns mit Tickets in der Hand in die Schlange an der Passkontrolle. Erst jetzt realisieren wir, dass wir nun schon Abschied nehmen müssen vom eigentlichen China. Es geht auf einmal alles so schnell - aber was soll es, wir freuen uns auf drei Tage Hongkong, welches uns dem Westen wieder etwas näher bringen soll.

Ich weiß nicht so genau, was ich für romantische Vorstellungen hatte, aber wir sitzen jetzt in einem high-tech Tragflächenboot, welches uns in einer knappen Stunde in die Sonderverwaltungszone bringen wird. Was für ein Kontrast zu unserer Bootsfahrt in Guilin! Man kann hier noch nicht einmal nach draußen gehen, doch als das Boot volle Fahrt aufnimmt, weiß ich dann

auch, warum. Wir wären klitschnass in HongKong angekommen. Unterwegs sehen wir unzählige Containerschiffe und Frachter, viele scheinen in einer Art Warteschleife vor dem riesigen Hafen zu liegen. Angekommen im Terminal geht es wieder durch die Passkontrolle und tatsächlich erwartet uns nun Daniel und geleitet uns zu unserem Shuttle. Wir haben uns, was die Autos angeht, kontinuierlich gesteigert. In Peking im uralten VW Santana mit kaputter Kupplung über ein ehemaliges Chinesisches Regierungs-fahrzeug mit Standarte und verschiedenen Vans zu einem Honda SUV in Shenzhen. Was uns jetzt erwartet übertrifft jedoch alles bisher da gewesene: Ein Reisebus! Ein großer Reisebus für uns ganz allein. Unterwegs versorgt uns Daniel staccatoartig mit allen wichtigen Informationen zum weiteren Verlauf unserer Reise und natürlich zu Hongkong. Wir versuchen, so gut es geht, alles Wichtige zu behalten und bekommen leider nicht viel mit von dem, was um uns herum

20. Oktober 2010Hongkong

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passiert. Nur soviel: In Hongkong fährt man links uns steht auch gern mal im Stau. Das kennen wir ja schon, aber spätestens seit Shenzhen hat sich das Verhalten der Autofahrer komplett verändert. Alles läuft hier jetzt westlich geordnet ab, gehupt wird auch kaum.

Da wir im Hotel noch nicht einchecken können, machen wir uns erst einmal auf den Weg zum nächsten Geldautomaten und danach zu Starbucks. Wir sind so müde!

Als wir um elf Uhr auf unser Zimmer dürfen, nutzen wir die zwei Stunden bis zu unser geplanten Stadtrundfahrt, um uns ein bisschen auszuruhen. Um zwanzig Minuten nach eins werden wir dann abgeholt und per Shuttle zu dem großen Bus für die Stadt-rundfahrt gefahren. Mir ist aufgefallen, dass die Chinesen eine Vorliebe für solche Zeiten haben. Während wir die Stunde gern in Viertel teilen, teilen sie sie in Drittel.

Der Bus fährt uns zunächst zum Man Mo Tempel, der leider gerade renoviert wird. Trotzdem gehen wir hinein. Es ist fürchterlich voll und eng, ich habe das Gefühl, hier zu stören, wen oder was auch immer, und gehe sofort wieder hinaus. Im gegenüberliegenden Café kaufen wir uns erst einmal etwas zu essen und zu trinken, dann geht es im Bus weiter zum berühmten Peak mit Aussicht auf die Skyline von Hongkong. Der Fahrer nervt uns ziemlich, er stellt ständig Fragen. Wir fühlen uns wie in der Schule und sind froh, auf der "Lümmelbank" hinten zu sitzen. Froh sind wir außerdem wieder einmal darüber, dass wir uns gegen eine Gruppenreise entschieden haben, obwohl es natürlich für diesen einen Tag auch mal ganz lustig ist, über die Mitfahrer zu lästern. Zum Peak geht es klassisch mit der Zahnradbahn, oben angekommen sehen wir leider, wie diesig es wirklich ist. Also müssen die Topbilder der Skyline von Hongkong warten bis zu einem eventuellen nächsten Besuch, schade...

Wir haben 45 Minuten Zeit, uns umzuschauen, danach treffen wir unsere Gruppe wieder bei „Hakendass“; es hat ein wenig gedauert, bis wir verstanden haben, dass unser Guide „Häagen Dazs“ gemeint hat. Natürlich ist hier oben an Shops alles vertreten, was westliche Marke ist, sogar Kleidung kann man kaufen. Nach unten fahren wir mit dem Bus, es ist unglaublich, wie eng und steil die Straßen hier sind, der Busfahrer muss ganz schön zirkeln. Was nun folgt, bleibt uns als extrem nervige Vergewaltigung von Reisegästen in Erinnerung: Nacheinander werden wir zu einer Schmuckwerkstatt und einer Hafenrundfahrt gekarrt, beides leider mit rein kommerziellen Hinter-gedanken. Nach einer minikurzen Einführung "sperrt" man uns für 20 Minuten in den Verkaufsraum der Schmuckwerkstatt, wir stellen uns demonstrativ an den Ausgang und warten dort, bis wir wieder hinaus dürfen. Danach geht es zur Hafenrundfahrt, für die wir pro Person 55$, also 5,50€ bezahlen müssen. Wir fahren kurz mit einem flachen Boot durch den alten Fischereihafen, dann legt der Fahrer erst wieder an,

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als wir alle bezahlt haben. Wie schön wäre doch ein hop-on hop-off Bus gewesen, leider stellen wir erst später fest, dass es so etwas auch gibt. Ich nehme mir zum ersten Mal vor, hierfür ein negatives Feedback an die Reiseagentur zu geben. Es wird aber ausdrücklich das einzige bleiben.

Nun sind die angesagten vier Stunden fast um und der Fahrer kündigt an, dass wir noch zu einem Markt fahren, der in einem der Außenbezirke liegt. Wir sind irritiert, da wir lieber noch ein bisschen die Stadt erkunden wollten. Außerdem beginnt um 20 Uhr die Lasershow auf Hongkong Island, die wir nicht versäumen möchten. Der Markt enttäuscht uns total. Zum einen schließen die Stände jetzt um 18:00 Uhr, zum anderen sehen wir hier den allergrößten Schund. Ziemlich frustriert entdecken wir am Ende des Marktes, dass der Strand ganz nah ist. Wir spazieren also ein bisschen auf der Promenade auf und ab und freuen uns über die warme Luft und das Strandfeeling.

Zurück im Bus stellen wir fest, dass es jetzt tatsächlich knapp wird mit der Lasershow, da die

Rückfahrt in die City ziemlich lange dauert und wir dazu auch noch im Stau stehen. Zum Glück ist das dem Guide jetzt auch klar und er erklärt uns, wo wir am Besten aussteigen können, um noch rechtzeitig anzukommen. Wir galoppieren nun schnell durch eine der Unterführungen und finden dank eines netten Schweizers tatsächlich noch einen schönen Platz in der ersten Reihe zum Fotografieren. Leider ist es immer noch ein bisschen diesig und die Bildausbeute schon wieder nicht so ganz optimal. Ein weiterer Grund, noch einmal zurückzukommen.

Die Show ist trotzdem schön, eine Mischung aus Musik, wechselnder Beleuchtung und Lasereinsatz. Nach einer Viertelstunde ist das Ganze vorbei und wir machen uns todmüde auf den Weg zum Hotel. Es ist unglaublich, was in dieser Stadt los ist! So viele Menschen sind abends unterwegs, es ist ja auch wirklich schön warm. Wir kehren noch schnell im 7Eleven ein, um uns einen „Gute Nacht Snack“ zu holen, dann geht es für heute uns Bett.

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Heute morgen reizen wir die Frühstückszeiten des Hotels aus. Um zehn Uhr betreten wir das Restaurant und sitzen dann leider in der Kälte der Klimaanlage zwischen nicht abgeräumten Tischen. Was soll's, wir wollen ja nur kurz etwas essen, zu Starbucks müssen wir sowieso gleich noch, um einen Cappuccino zu trinken. Wir werden nichts versäumen, da alle Läden erst um zwölf Uhr öffnen.

Später schlendern wir durch Kowloon und wollen uns mal so richtig dem Eindruck dieses Shopping-paradieses hingeben. Tatsächlich, es ist unglaublich. Mir erscheint der ganze Stadtteil wie ein einziges großes Einkaufszentrum. An den Straßen die ver-schiedensten Geschäfte von ganz klein bis ganz groß, von billigem Schnickschnack bis zu großen Marken und betritt man ein Gebäude, befindet man sich mit Sicherheit in einer Shoppingmall. Immer ein Starbucks in Reichweite und unendlich viele meist indische Verkäufer, die einen ködern und mitnehmen wollen, um ihre Fakes anzubieten. Ich bin völlig überfordert.

Hier kann ich einfach nichts einkaufen, zumal ich keine Fälschungen will und die Marken zum gleichen Preis verkauft werden wie bei uns. Schade, irgendein Andenken hätte ich gern gehabt, alle Leute reden vom genialen Shopping hier, aber ich kann einfach nicht.

Wir gehen zum Wasser hinunter und schauen uns das Treiben dort an. Neben den Kreuzfahrtterminals entsteht hier ein neuer Stadtteil, eine monströse Bau-stelle. Da wir noch einmal zum Hotel müssen, weil Jule ihren Akku für die Kamera im Ladegerät gelassen hat, nehmen wir die Abkürzung durch den Kowloon Park. Aufatmen, Ruhe und - kostenloses Wifi im ganzen Park. Überall sitzen die Menschen mit ihren Laptops und Handys, eine geniale Idee in dieser unruhigen Stadt. Wir probieren das natürlich auch sofort aus und schauen mal nach, ob unser Flug für morgen Abend schon zum Einchecken bereit steht. Dem ist nicht so, also schnell den Akku geholt und zurück in den Park zum Fotografieren. Wir sind unserem Reisebüro extrem dankbar für das zentral gelegene Hotel.

Im Park gibt es viele Tiere, Wasserschildkröten, seltene Vögel und Flamingos, man kann sich sogar am Morgen führen lassen um Vögel zu beobachten. Überhaupt scheinen die Chinesen Frühaufsteher zu sein. Tai Chi, also Schattenboxen, ist sehr beliebt am Morgen in allen Parks und auf öffentlichen Flächen in China. Wir schlendern durch den Garten hinüber zu einem der großen Center zum Mittagessen. Wie zu erwarten ist das Essen in dem großen Foodcourt nicht zu vergleichen mit dem, was wir bisher kennengelernt haben. Wie überall auf der Welt muss es hier schnell gehen.

Später beschließen wir, uns doch noch auf den Weg zum großen Buddha zu machen, gelegen auf Lantau, der größten Insel des Territoriums. Der Guide hat uns erzählt, wie wir mit der U Bahn zur Seilbahn gelangen, die uns auf den Berg bringen wird.

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An der U Bahn Station angekommen, sind wir völlig verblüfft von der Benutzerfreundlichkeit des Systems im Vergleich zu dem, was wir so gewöhnt sind. Statt auf langen Listen den Namen der Station zu suchen und dann den entsprechenden Code einzutippen oder sich wie in London per Touchscreen durch unendliche Menüs zu wühlen, tippt man hier einfach auf einem Plan die Station an, zu der man möchte, sofort bekommt man den Preis angezeigt. Nun kann man noch weitere Fahrgäste hinzufügen, bezahlen und schon hält man sein Ticket in Händen. Wir sind begeistert!

Angekommen auf Lantau bewahrheitet sich leider das, was mir schon mal kurz durch den Kopf geschossen war, als wir in der U Bahn saßen: Der Wind ist zu stark, die Gondel ist außer Betrieb. Wir sind enttäuscht. So gern hätte ich diese faszinierende Statue gesehen. So schlendern wir durch das un-vermeidliche Shoppingcenter und machen uns danach unverrichteter Dinge auf den Weg zurück.

Angekommen im Hotel checken wir schon mal ein für unseren Rückflug morgen am späten Abend. Nun ist es also amtlich: Morgen werden wir dieses Land nach aufregenden und beeindruckenden zwei Wochen

wieder verlassen. Es kommt uns im Moment alles so unwirklich vor.

Zum Glück haben wir mal wieder keine Zeit, uns zu viele Gedanken zu machen. Meine Freundin Irin wartet auf uns mit ihren beiden Mädels, die aus Berlin zu Besuch sind. Wir wollen den letzten Abend gebührend bei einem Cocktail in der luxuriösen Aqua-Bar über den Dächern von Kowloon feiern und dabei noch einmal die Lasershow genießen. Der Blick auf Hongkong Island ist tatsächlich atemberaubend und wir genießen die Zeit in der Bar, obwohl ich ein bisschen wehmütig feststelle, dass das Publikum hier das selbe ist, welches ich auf meinen vielen Geschäftsreisen ständig in Bars wie diesen erlebe. Man scheint sich halt auf aller Welt im Geschäftsleben gern in seinem gewohnten Umfeld nach Kontakten und Zerstreuung umzusehen...

Um noch einmal in das wahre Hongkong Feeling einzutauchen wechseln wir die Location und gehen zu Fuß durch die glitzernde Nathan Road zum berühmten Night Market. Hier soll man am besten shoppen können. Wer bisher nichts gefunden hat, so wie ich, der soll hier angeblich auf jeden Fall fündig werden.

Angekommen am Markt, zücke ich sofort meine Kamera und will fotografieren. Nichts da! Sehr rüde

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wehren sich die Standbesitzer dagegen. Entweder ich soll lieber kaufen oder sie haben Angst vor der Dokumentation ihrer Angebote hier.

Zusammen mit Mengen von westlichen Touristen bummeln wir nun über den Markt, es ist heiß trotz der späten Stunde, menschliche Gerüche mischen sich mit Essensdüften und ich habe das Gefühl, zu ersticken. Mal wieder muss ich feststellen, dass so ein Markt nicht mein Ding ist. Zudem empfinde ich es wie überall, ich wüsste nicht, wozu ich hier etwas kaufen sollte. Selbst Jule hat genug Schnickschnack eingekauft und behält ihr Geld für sich.

Auf einmal ein Schreck in der Abendstunde: Irins Freundin Esther hat ihr Portemonnaie verloren! Sie hofft, dass es noch in der Bar liegt und fährt schnell mit dem Taxi zurück. Wir verabreden uns in einem Restaurant an der nächsten Ecke, wo wir bei Bier und einem späten Snack auf sie warten wollen.

Das Restaurant wirkt wie eine kleine Bahnhofs-halle, sehr einfach und hell erleuchtet. Bei Tag möchte ich das lieber nicht so genau sehen, wie auch das ganze Marktviertel hier. Wir sitzen draußen und bestellen Bier, woraufhin wir jeder eine Riesenflasche hingestellt bekommen, die, wenn leer, sofort durch eine neue ersetzt wird. Sehr geschäftstüchtig.

Mit dem Essen erscheint nun auch Esther wieder, glücklich strahlend mit ihrem Portemonnaie in der Hand. Eine nette Chinesin hat es in der Bar abgegeben. Irritiert ist Esther nur darüber, das die Kellnerin sie davon abhalten wollte, sich bei der Dame zu bedanken... manches verstehen wir eben doch nicht.

Als es anfängt zu regnen, beschließen wir, langsam Schuss zu machen für heute und machen uns auf den Weg zurück zum Hotel. Es ist mittlerweile ein Uhr nachts und die Straßen leeren sich allmählich. Ein bisschen Sorgen mache ich mir jetzt doch um unseren Rückflug morgen. Seit zwei Tagen haben wir in Hongkong Taifun-Warnung. Zwar nur Stufe drei von zehn, aber bis jetzt hält "Megi" noch auf die südchinesische Küste zu, nachdem er schwere Schäden und Tote auf den Philippinen zurückgelassen hat. Es ist jedoch noch nicht klar, wo genau er auf das Land treffen wird.

Wir beschließen, uns morgen um elf Uhr mit den Mädels in unserem Hotel zu treffen, dann haben wir genug Zeit um zu frühstücken, auszuchecken und unser Gepäck abzugeben. Da wir erst um halb acht mit dem Shuttle zum Flughafen fahren werden, haben wir noch den ganzen Tag vor uns.

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Die gute Nachricht am Morgen: Taifun Megi hat sich entschlossen, nach Osten abzudrehen, die Warnung wurde auf Stufe eins herabgesetzt. Wir packen unsere Taschen und müssen feststellen, dass sie nicht schwerer geworden sind. Wie so oft hat sich herausgestellt, dass viele Dinge vor Ort einfach anders sind, als man denkt, auch wenn man sich in den Zeiten des Internets vorab so gut wie möglich informiert. Wenn man es also nicht wirklich darauf anlegt, kommt man in China sehr gut ohne Shoppen aus.

Ein weiteres Gerücht, dem ich erlegen bin war das mit den Traveller's Checks. Aus zwei Quellen hatte den Hinweis erhalten, dass man in China am besten mit diesen Schecks reist. Ich habe selten so viele Geldautomaten auf einem Haufen gesehen wie in China! EC Karte und/ oder Kreditkarte mit PIN reichen völlig aus.

Als die Mädels im Hotel ankommen, beschließen wir nach einem gemütlichen Besuch bei Starbucks, es noch einmal mit dem Buddha zu versuchen, da Irin

uns versichert, dass es auch einen Bus gibt, der dort hinauf fährt. Wie blöd - das hätten wir uns ja eigentlich auch selbst denken können, aber was soll's, wir freuen uns.

Die Gondel fährt tatsächlich wieder nicht, also fahren wir eine gute halbe Stunde mit dem Bus. Leider ist es heute noch diesiger aber ich bin trotzdem überwältigt. Vor vielen Jahren habe ich in Japan den großen Buddha von Kamakura besichtigt, aber diese riesige Statue beeindruckt mich noch mehr. Es ist kühl und windig hier oben, uns wird allerdings warm, als wir die vielen Stufen erklimmen, die auf den Berg führen.

Ich versuche, trotz der schlechten Verhältnisse die beeindruckende Größe, die Statur und vor allem den Ausdruck festzuhalten. Unglaublich, ich kann mich nur losreißen, weil es stürmisch und ungemütlich ist.

Am Fuß des Buddhas auf dem Weg zurück zum Bus finden wir natürlich wieder Läden ohne Ende. Hier passiert es nun tatsächlich noch: Ich finde ein Andenken! Ich investiere unglaubliche drei Euro in ein Straßenschild aus Pappe. Das finde ich nun wirklich

22. Oktober 2010Hongkong

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schön, es wird einen Ehrenplatz in unserer Wohnung bekommen und uns immer an diese wunderschöne Reise erinnern.

Irin schlägt vor, mit dem Schiff zurück nach Hongkong Island zu fahren und dort noch den Stadtteil Soho zu erkunden. Ich rechne kurz aus, dass wir uns das zeitlich noch leisten können, außerdem fährt von dort jederzeit schnell die U Bahn zurück bis fast vor das Hotel.

Wir fahren also mit dem Bus zum Hafen und nehmen von dort das Tragflächenboot nach Hongkong Island. Während der Busfahrt sehen wir immer wieder Büffel auf der Straße stehen und liegen, das scheint hier ganz normal zu sein, es gibt sogar entsprechende Warnschilder. Mich beeindruckt diese natürliche Seite von Hongkong. Man kennt immer nur die Bilder der Stadteile Kowloon und Hongkong Island. Viele wissen nicht, dass es hier auf den Inseln und in den New Territories viele schöne Ecken in der Natur gibt. An

dieser Stelle beschließe ich definitiv, noch einmal zurückzukommen.

Angekommen in Hongkong Island bin ich froh und dankbar, dass wir es noch schaffen, hier eine kurze Stippvisite zu machen. Dieser Stadtteil ist geprägt vom Business. Hier stehen die Geschäftshäuser, die Hauptverwaltungen der große Banken und Konzerne, teilweise nach den Regeln des Feng Shui feindlich gegeneinander ausgerichtet.

Der Verkehr spielt sich auf zwei Ebenen ab. Unten die Straßen mit Gehwegen, darüber sind die Gebäude mit zusätzlichen Fußgängerbrücken verbunden, so dass man sich oberhalb der Straße zu Fuß ohne Hindernisse bewegen kann. Immer wieder tun sich neue Blickwinkel durch die Straßenschluchten auf. Wir gehen in Richtung Soho und sind gespannt auf das lange Rolltreppensystem, den Hillside Escalator, der dieses Kneipenviertel erschließt. Es ist tatsächlich für uns kaum zu glauben, aber wahr.

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Steil geht es per Rollteppich oder Roll-treppe von Podest zu Podest, wieder oberhalb der schmalen Straße. Links und rechts Kneipen und Restaurants ohne Ende.

Wie gern hätte ich ein bisschen mehr Zeit, denn sicherlich geht hier abends die Post ab. Parallel zu den Rolltreppen verläuft eine Treppe für den Abstieg. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass die Zeit leider langsam knapp wird. Wie neidisch ich bin, dass die Mädels aus Berlin noch einen weiteren Tag haben, sie fliegen erst morgen Abend.

Natürlich kann ich diese immer noch britisch geprägte Stadt nicht verlassen, ohne einen Gin Tonic getrunken zu haben, also kehren wir auf einen letzten Drink in die nächste Bar ein. Danach machen wir uns an den Abstieg per Treppe. Unten ist dann endgültig die Zeit zum Abschied nehmen gekommen.

Wir wollen mit der U-Bahn zurück zum Hotel, die Mädels werden mit Irin zum Meeting mit ihrem Visa Agenten fahren und danach den Abend in Soho verbringen. Sie versprechen aber, einen Drink für uns mitzutrinken.

Wir umarmen uns noch schnell, dann machen Jule und ich uns auf den Weg zurück. Angekommen im Hotel essen wir noch jeder ein Sandwich, da uns heute tagsüber alles andere wichtiger war als das Essen. Ich tausche noch einige Hongkong Dollar zurück in Euro, den Rest werden wir am Flughafen schon noch ausgeben.

Zum letzten Mal sind wir bass erstaunt über die Organisation des Reisebüros. Wie immer pünktlich erscheint ein neuer Guide, der uns zum Flughafen bringen wird. Als der Shuttlebus vorfährt sorgt er dafür, dass wir einsteigen und verabschiedet sich, noch bevor ich begriffen habe, dass dieser Mann nur gekommen ist, um dafür zu sorgen, dass wir mit Ticket in den richtigen Bus zum Flughafen einsteigen. Schnell schicke ich Jule noch mit etwas Trinkgeld zu ihm hinaus, dann fährt der Bus auch schon los.

Ich versuche auf der Fahrt, meine Gedanken zu ordnen, was mir überhaupt nicht gelingt. Dieser Tag war wie die vielen anderen vorher so voll mit Eindrücken und Erlebnissen, dass alles zu einem dumpfen Gefühl verschwimmt. Ich hoffe, dass es sich im Lauf der Zeit noch ein wenig sortiert und bin sehr froh, dass ich es zum ersten Mal in meinem Leben geschafft habe - auch dank meines iPads - jeden Tag die Erlebnisse auf-zuschreiben.

Da ich im Moment nicht weiterkomme mit meinen wirren Gedanken, mache ich auf der Fahrt schnell meine Emails und rufe kurz im Büro an. Auch darüber bin ich froh. Immer morgens oder abends habe ich schnell meine Emails gelesen, Approvals gegeben und einige Male mit Deutschland telefoniert. So habe ich jetzt nicht den riesigen Berg an Arbeit vor mir und kann das Wochenende noch in Ruhe genießen.

Am Flughafen geht dann alles wie immer schnell und reibungslos. Wir geben das Gepäck ab, bringen unser restliches Geld noch unter die Leute und sitzen pünktlich im Flieger nach Amsterdam. Zum Glück ist es diesmal eine neuere Maschine, wir fühlen uns wohl und haben keine lautstarken Nachbarn um uns herum.

Wieder versuche ich, meine Gedanke zu ordnen, wieder gelingt es mir nicht. Mein Kopf scheint entweder zu voll oder zu leer, ich komme mir vor, wie ferngesteuert; alles erscheint mir irgendwie unwirklich.

Jule und ich spielen eine Runde Catan auf dem iPad, um uns abzulenken. Ihr gelingt es, ein paar Eindrücke zu notieren, ich scheitere diesmal und muss die Ereig-nisse der letzten zwei Tage später auf-schreiben. Außerdem bin ich entsetzlich müde. Obwohl ich weiß, dass es nicht gut ist, schlafe ich nach dem Abendessen sofort ein. Zurück auf dem Weg in den Westen träume ich einen chaotischen Mix aus den Begebenheiten der letzten zwei Wochen.

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„Schnell, schnell - das ist keine Reise. Reisen heißt, sich Zeit zu nehmen.“

Dies sagt ein afrikanisches Sprichwort und wir möchten diesem Rat bei unserem nächsten Besuch in China folgen. Wir haben so vieles nur angerissen und im Vorbeigehen versucht, aufzunehmen, dass nur ein vager Eindruck entstanden ist, eine erste Annäherung an ein so komplexes und großes Land.

Ich habe seitdem viel über China gelesen und mir Berichte im Fernsehen mit etwas anderen Augen angesehen. Ich möchte bald wieder dieses Land bereisen und klare Schwerpunkte setzen.

Eine kluge Frau namens Kate Simon hat einmal gesagt: „Reisen Sie langsam. Wenn Sie Zeit für acht Länder haben, nehmen Sie fünf. Wenn Sie durch fünf hetzen wollen, nehmen Sie drei.“

Dieses werden wir uns bei der nächsten Reise zu Herzen nehmen. Ich würde gern die wunderbare Landschaft am Li Fluss genauer erkunden und zu den Reisterrassen fahren, für die diesmal keine Zeit war. Hongkong hat mich ebenfalls unglaublich beeindruckt und verdient einen ausgedehnteren Besuch, hoffent-lich bei schönerem Wetter der Fotos wegen.

Und natürlich Tibet. Das wäre noch ein Traum, der dieses Jahr nicht in Erfüllung ging. Ich würde für so ein Programm das nächste Mal jedoch drei Wochen einplanen, wir haben in Beijing gesehen, dass vier Tage an einem Ort das Minimum sein sollten. Daneben gibt es natürlich noch viele weitere Optionen, zeitlich jetzt noch begrenzt durch die Schulferien von Jule. Aber das ist bald vorbei und dann ergeben sich ganz neue Möglichkeiten - wer weiß...

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ilog Wir kommen wieder!

Bekanntes wieder sehen und Neues entdecken

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