René Freund€¦ · René Freund Geboren 1967 in Wien. Studium der Philosophie, Arbeit als...

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René Freund

Geboren 1967 in Wien.

Studium der Philosophie, Arbeit als Übersetzer und Journalist. 1988-1990 Regiehospitant und später Dramaturg am Theater in der Josefstadt in Wien. Seit 1990 freier Schriftsteller. Lebt in Grünau im Almtal/Oberösterreich.

Bücher (Auswahl)

Aus der Mitte. Skizzen aus dem Salzkammergut. Picus, Wien 1998 Bis ans Ende der Welt. Zu Fuß auf dem Jakobsweg. Picus, Wien 1999 Wiener Theaterblut. Roman. Picus, Wien 2001 Stadt, Land und danke für das Boot. Realsatiren. Picus, Wien 2002 Wechselwirkungen. Roman. Picus, Wien 2004 Donau, Stahl und Wolkenklang. Linzer Augenblicke. Picus, Wien 2008 Liebe unter Fischen. Roman. Deuticke, Wien 2013 Theater/Hörspiel (Auswahl) 2003 Wiener Theaterblut, Hörspiel, ORF-Produktion 2005 Schluss mit André, Hörspiel, ORF-Produktion 2008 Ausgespielt!, Komödie 2009 Die Geier-Wally. Schauspiel in 14 Bildern 2010 Der Freischütz. Schauspiel nach Motiven der gleichnamigen Sage. 2011 Jackpot oder die verspielte Großmutter

Zum Roman: Liebe unter Fischen

Fred Firneis, Lyriker mit Sensationsauflagen, leidet nach langen alkoholdurchtränkten Jahren an einem Burnout. Seine Verlegerin, die ihn in seiner Berliner Wohnung aufspürt, schickt ihn in eine Holzhütte in die Alpen nach Österreich. In Grünbach am See gibt es weder Strom noch Handyempfang, und Firneis kommt wieder zu Kräften. Doch dann taucht Mara auf, eine junge Biologin aus der Slowakei, die ihre Doktorarbeit über die Elritze schreibt, einen spannenden kleinen Schwarmfisch. Bald interessiert sich Fred für sämtliche Details von Biologie, Verhaltensforschung - und Mara, die jedoch

plötzlich verschwindet … Eine alpine Liebesgeschichte mit Humor und Showdown in Berlin.

Aus: Verlagshomepage: Hanser Literaturverlage

Mit viel Sprachwitz schildert Freund einerseits die zunehmende Verzweiflung der Verlegerin, die immer öfter Besuch von ihrem Bankbetreuer bekommt, und andererseits die angestrengte Suche des Autors nach seinem inneren Frieden. "Liebe unter Fischen" ist eine vergnügliche, leicht zu lesende Screwball-Komödie, mit rasanten Dialogen und zahlreichen Pointen.

Claudia Gschweitl Ö1 03.02.2013

IMPRESSUM Die Literarischen Nahversorger

Ein Projekt der Gemeinde Schlierbach, Oberösterreich

Bernhard Samitz (1963-2008) / Mag. Gerhard Stiftinger / Mag.(FH) Christoph Weiermair Mag.a Elisabeth Kumpl-Frommel / Mag. Christian Loikits/ Mag.a Andrea Danner / Mag.a Elisabeth Baldauf/Mag. Friederike

Zillner/Christa Huemerlehner/ Ingrid Uhl

www.literarischenahversorger.at

Robert Schindel

Geboren am 4. April 1944 in Bad Hall / Oberösterreich. Überlebt nach der Verhaftung seiner im Linzer Widerstand als elsässische Fremdarbeiter getarnten Eltern als "Asozialenkind" in einem NS-Wohlfahrtsheim. Der Vater stirbt im KZ, die Mutter überlebt. Jugend im Umfeld der KPÖ bzw. deren Jugendorganisationen, 1961-67 aktives Parteimitglied. Nach vorzeitiger Schulentlassung und abgebrochener Buchhändlerlehre mit 23 Jahren Externistenmatura. Aktivist der 68er-Bewegung und Gründer der nach Berliner Vorbild geschaffenen "Kommune Wien". Studiert 1968-72 Philosophie und Pädagogik in Wien. 1970-71 Herausgeber der Literaturzeitschrift "Hundsblume". Bis Mitte der 80er Jahre bei den "Wiener Städtischen Büchereien", in der "Stadtkassa" und als Nachrichtenredakteur der "Agence France Presse" beschäftigt, seither freiberuflicher Schriftsteller. Lebt in Wien.

Werke: Auswahl

Ohneland. Gedichte vom Holz der Paradeiserbäume 1979-1984. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. Geier sind pünktliche Tiere. Gedichte.Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. Im Herzen die Krätze. Gedichte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. Ein Feuerchen im Hintennach. Gedichte 1986-1991. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. Gebürtig. Roman. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992. Die Nacht der Harlekine. Erzählungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. Kassandra. Roman. Innsbruck: Haymon Verlag, 2004. (zuerst erschienen 1970 in der Zeitschrift "Hundsblume") Fremd bei mir selbst. Die Gedichte (1965-2003). Frankfurt / M.: Suhrkamp, 2004. Der Krieg der Wörter gegen die Kehlkopfschreie. Das frühe Prosawerk. Innsbruck, Wien: Haymon, 2008.

Dunkelstein. Eine Realfarce. Innsbruck: Haymon, 2010. Man ist viel zu früh jung. Essays, Reden und Bekenntnisse. Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2011. Der Kalte. Roman. Suhrkamp, 2013

Zum Roman „Der Kalte“

Österreich in den »Waldheimjahren« zwischen 1985 und 1989. Drei »Kulturkämpfe« toben nebeneinander und sind doch untrennbar miteinander verbunden: der Kampf um einen neuen Staatspräsidenten, der Kampf um ein Antifaschismusdenkmal und der Kampf um das Theater, »die Burg«. Und inmitten dieser Auseinandersetzungen kämpft ein Einzelner, kämpft gegen das Vergessen und Verdrängen der NS-Zeit: der Spanienveteran und KZ-Überlebende Edmund Fraul. Dieser Fraul ist das Zentrum aller Bewegung: Dem Lager nie entkommen, bis ins Mark kalt, merkt er selbst, dass er Gefühle nicht äußern, nicht einmal spüren kann. Bis er auf seinen ziellosen Wanderungen durch Wien einem ehemaligen KZ-Aufseher begegnet

und mit ihm ins Gespräch kommt: über Auschwitz. In seinem lang erwarteten zweiten Roman nach Gebürtig führt uns Robert Schindel erneut in den Wiener Kosmos: in eine Welt politischer, künstlerischer und menschlicher Gegensätze, Feindschaften, Amouren, Bindungen und Zerreißproben. In ein Geflecht von Tragödien und Liebesgeschichten, die so gut glücklich enden können wie tödlich. Figurenreich und vielperspektivisch ist dieser Roman, weltstädtisch und detailverliebt, so kämpferisch wie sanft und von großer sprachlicher Schönheit – und getragen von der Hoffnung, dass Blut und Wärme einer neuen Zeit in die gefrorenen Charaktere und in den Körper einer veränderten Gesellschaft zurückkehren.

Aus: Verlagshomepage Suhrkamp Verlag

In diesem Roman führt Robert Schindel den Leser wieder nach Wien, der "Vergessenshauptstadt", wie er die Stadt nennt. Der Schriftsteller, der der Deportation nach Auschwitz entging, dessen Vater im KZ Dachau ermordet wurde, dessen Mutter die KZs Auschwitz und Ravensbrück überlebt hat und nach Wien zurückkehrte und ihren Sohn Robert wiederfand, "geht in seinen eigenen Fußstapfen". Denn der Roman ist in gewisser Weise ein Schlüsselroman um die Hintergründe der "Waldheim-Affäre", der im Buch "Wais" heißt. Schindels Roman reicht aber weiter. Er thematisiert nicht nur die Aspekte Erinnern und Vergessen, sondern belegt, dass - wenn wir auf das vergangene Jahrhundert bis herauf in die aktuelle Gegenwart blicken - wir uns eingestehen müssen, dass das, was uns immer wieder beschäftigt, die Rückkehr des Verdrängten ist.

Aus: Ö1 dacapo 15.20.2013

Handapparat

An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten wir „(...) Ihnen allen danken, den Anwesenden und Abwesenden, für das durch nichts gerechtfertigte Interesse an meinem Land und meiner bescheidenen Person, denn es ist gerade dieses Interesse, mit dem wir bis jetzt nicht unbedingt verwöhnt wurden: In einfachen Worten heißt das – wir sind langsam daran zugrunde gegangen, dass wir verdammt noch mal von niemandem wahrgenommen wurden (...)“ doziert die Ich-Erzählerin in Oksana Sabuschkos erstem Roman „Feldstudien über ukrainischen Sex“.

Wir schließen uns an und präsentieren Ihnen an dieser Stelle nunmehr des Öfteren Figuren und Bücher, die daran zugrunde gehen könnten, dass sie verdammt noch mal niemand wahrnimmt. Hier werden Sie Texte aus kulturellen Grenzräumen finden, die Identitäten zwischen Ost und West konstruieren und ihre invented traditions über den Haufen werfen. Keine Hypes, keine Bestseller, denn Sie müssen nicht das lesen, was jeder Affe im Stande zu entziffern ist (,grüßt Harry Rowohlt). Hier nur Bücher, die man verdammt noch mal wahrnimmt. Dies in wilder, ungebändigter Reihenfolge – eine Annäherung gegen das Marginalisieren.

Bleiben wir doch gleich beim ukrainischen Sex.

Erwarten Sie sich nun eine Nahaufnahme der Sexualpraktiken im größten gänzlich europäischen Land, so werden Sie bitter enttäuscht werden. Oksana Sabuschkos autobiografisch gefärbter Roman ist die Geschichte einer Dichterin auf der Flucht vor ihrem Heimatland, vor „Moder und Fäulnis“ der ukrainischen Geschichte. Dies führt sie nach Amerika, wo sie an einer Universität unterrichtet und den Schrecken des Exils, den sie mit anderen, die ihre Heimat verlassen haben, teilt. So lässt sie ihr Leben Revue passieren:

In ihrer kleinen, amerikanischen Küche legt die Figur Rechenschaft über alles Geschehene ab: sowohl über ihre Kindheit unter Sowjetverhältnissen als auch über die Liebesgeschichte mit ihrem ersten Mann, einem ukrainischen Bildhauer und Maler mit einer nationalen Idee, als deren Sexualopfer sich die Ich-Erzählerin sieht. Der innere Monolog wird zu einem öffentlichen, wissenschaftlichen Vortrag, der voller Witz und Humor, Intelligenz und Charme bitterböse mit einem ehemaligen Liebhaber und Nationalmythen abrechnet.

Oksana Sabuschko, die wohl wichtigste Schriftstellerin der heutigen Ukraine, publizierte seit Mitte der 80er Jahre mehrere Lyrikbände, Erzählungen und politisch-philosophische Studien. Berühmt wurde die Autorin mit dem 1996 erschienenen Roman „Feldstudien über ukrainischen Sex“, der noch vor dem Erscheinen als Raubdruck zirkulierte und als Aufbruchsdokument einer anderen Ukraine gilt.

Haben Sie nur Mut zu diesem wüsten Stück Literatur!

Oksana Sabuschko: Feldstudien über ukrainischen Sex. Aus dem Ukrainischen von DAJA. Droschl: Graz 2006.

Originalausgabe: Poljovi doslidšennja z ukrajinjskoho seksu. 1996.

elb

„Erduadehnix“ oder der Raffzahn der Dolores Sieghartsleitner

Es gibt Erkenntnisse, die unter Schmerzen gewonnen werden. Ja vielleicht ist es so, dass es eine innige Verbindung zwischen Wissen und Leiden gibt, die darauf hinausläuft, dass nur das als gesicherte durchgeht, was im Zustand der äußersten Bedrängnis gewonnen wird. Nur dieses bleibt eindrücklich und unvergesslich.

Nicht anders wäre es erklärlich, dass meine Abneigung gegen jede Art von Hunden so ausgeprägt ist, wie sie eben ist. Und dies hat mit jenem einschneidenden Erlebnis zu tun, das weit zurückreicht in meine Kindheit, ins zarte Alter von sechs Jahren, einem Alter also, in der die kindliche Seele ganz besonders anfällig ist für die Feindseligkeiten der äußeren Welt, für den harten Stachel des Wirklichen, die Bissigkeit des Realen. Noch heute lässt der Name „Dolores Sieghartsleitner“ mich erschrecken, steht er doch für das Grauen des Traumas, das diese an meiner kindlichen Seele verbrochen hat. Eigentlich gar nicht so sehr sie selbst, sondern ihr Dackel mit dem erschütternden Namen „Fipsi“.

Und so ist „Fipsi“ dafür verantwortlich, dass ich Hunde aus tiefster Seele hasse. Und nicht nur diese alleine, sondern alles, was irgendwie mit Hunden zu tun hat, ja ich das Hündische generell als verachtenswerte Eigenschaft auch am Menschen zutiefst missbillige. Ideologisch nimmt der Hund eine Rechtsaußenposition ein, er ist der Faschist unter den Tieren. Seine Existenz ist vom Befehl abhängig, an diesem arbeitet er sich Zeit seines Lebens ab. Der Hund ist nichts, ohne den herrischen Imperativ, den er befolgen muss. Bekommt er keinen

Befehl, verkümmert er. Seine Existenzweise ist die der Unterwürfigkeit, der Knechtschaft und des bedingungslosen Gehorsams. Deshalb ist der Hund auch das Lieblingstier des Gefängniswärters, des Jägers, des KZ-Aufsehers, alles in allem Berufe, die ihre Erfüllung im Überwachen und im Strafen finden, in der Kontrolle eines streng organisierten Territoriums, das in ihrer Vorstellung das überschießende Menschliche zurückführe auf den klaren Standpunkt des Überschaubaren. Die Utopie totaler Kontrolle, das ist der Hund, das Hündische, das jeden Hundebesitzer reizvoll erscheint. Ein klar strukturiertes autoritäres Gefälle, Herr und Knecht, Überwachter und Strafer, Adressat diensteifriger Liebesbekundung. Die winselnde Zuwendung des Wuff.

Die seelische Semantik des Hündischen trifft sich auf bemerkenswerte Weise mit jener des humanen Habitats unseres Landes. Man hat den Eindruck, dass die Hundsliebe, die dem Österreichischen über alle Maßen eigen ist, damit zu tun hat, dass diese Spezies dem Wesen der Bewohner zum Verwechseln ähnlich ist, ja dazu führt, das sich diese gelegentlich selbst für den besseren Hund halten und dies als Auszeichnung erfahren. Das Geduckte und Demütige ist als Mentalitätsformation dem Österreichischen eingeschrieben, es ist eine seiner wenigen Eigenschaften. Neben dem Gejammere und dem Gewinsle, das auch wiederum ins Hündische weist, wie man bemerkt. Aus diesem Grund der inneren Seelenverwandtschaft ist auch erklärlich,

welch exklusiven Status der Hund in unserem Lande innehat. Man denke nur an die Hauptstadt und ihr liebevolles Verhältnis zum Hundekot, das auf eine kollektive anale Fixierung hindeutet, die Millionen von Menschen erfasst hat, alle von der Angst bestimmt, zurückgewiesen zu werden von ihrem winselnden Liebesobjekt. Wenn schon der öffentliche Raum von der Beziehung des Menschen zum Hündischen in dieser Weise kontaminiert ist, ist die Vorstellung des privaten Zusammenlebens zwischen den Spezies eine für Hundehasser unerträgliche. Geschmacklich.

Bei meinen gehetzten Ausflügen in die nähere Umgebung sind Begegnungen mit Hunden und Hundebesitzern unausweichlich, ja fast die Regel. Für den Hund ist ein menschlicher Läufer der Todfeind. Und umgekehrt. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Konfrontation mit dem Feind einem theatralischen Ablauf gehorcht, der immer gleich funktioniert. Wie die ehernen Gesetze des aristotelischen Dramas. Die Exposition zu dieser Begegnungsszene bildet nur ein Wort: „Erduadehnix“. Noch ist kein Hund in Sicht, wird vom zappelnden Hundebesitzer dieses Wort intoniert, laut in die Richtung des Läufers geschmettert. „Erdueadehnix“. Als Mahnung vor der Unbedenklichkeit der Begegnung. Der Hundebesitzer möchte auf diese unbekümmerte Weise darauf aufmerksam machen, dass sein Hündchen mit Sicherheit nichts tue, obwohl er genau weiß, dass das nicht so ist. Wider besseres Wissen wird „Erduadehnix“ gebrüllt, und damit zur Vorsicht gemahnt. Eine Art Paradoxon. Wenn ich „Erduadehnix“ höre, bin ich schnell über alle Berge, denn wenn man schon hunderte Meter vor der Begegnung darauf hingewiesen wird, dass keine Gefahr besteht, dann ist höchste Gefahr angesagt. Schnell weg. Und genau das will der Hundebesitzer. Dass ich Reißaus nehme vor seinem harmlosen

Köter. Denn „erduadehnix“. Ich aber könnte was tun. Das wird mir unterstellt, in der Drohung näher zu kommen. Für den Hundebesitzer bin ich der Feind für die Bedenkenlosigkeit des Hundes. Ich könnte ihn ja reizen. Wäre ich nicht da, würde der Hund eh nix tun. Aber so. Die Unverfrorenheit sich einem harmlosen Hund zu nähern ist für den Hundebesitzer die größte Gemeinheit, die ihm und seinem Braven angetan werden kann. „Er ist eh so ein Braver.“ Er beschützt uns ja nur. Ha, ha“. Diese Variationen liebe ich besonders. Wenn ich trotz Warnung versuche an Hund und Herr vorbeizueilen, allen Mut zusammennehmend, dann ist der Angriff des Hundes unausweichlich. Es liegt im Naturell dieser Spezies zuzubeißen. Die dem Hund innewohnende Idee ist der Biss. Man wage nur einen Blick in seinen Kiefer. Und selbst wenn sich der Köter schon an einem Arm oder einem Bein festgebissen hat, hört man noch immer den Hundebesitzer „Erduadehnix“ intonieren. Aufgeregter vielleicht, aber immer noch sicher, die Wahrheit zu sagen. Es wäre interessant, ab welchem Zerfleischungszustand Herrchen/Frauchen dieses Wort fahren lässt und die Bedenklichkeit des Hündchens zugesteht. Ich befürchte nie. Selbst wenn der sorglos vorbeieilende Läufer bereits im Magensaft des Hundes vor sich hinverdaut, ja selbst wenn dieser als Hundewürstel ausgeschieden seinen Aggregatzustand geändert hat, wird noch immer „Erdduadehnix“ von sich gegeben und im Idealfall „Bist ein Braver“ gesagt und der ehemalige Läufer im Sackerl entsorgt. Die Hartnäckigkeit, mit der der Hundehalter auf der Harmlosigkeit seines Köters besteht, reicht ins Ewige. Wider jede Einsicht. Empirisch ist dieser Satz nicht zu fällen. Es muss Sätze geben, die immer wahr sind. Apriorische Sätze, analytisch. Wie „Erduadehnix“.

Die Weigerung, die schreckliche Realität anzuerkennen, ist eine das Österreichische auszeichnende Eigenschaft. „Erduadehnix“ ein mentales Paradigma, das den Wahrnehmungsmodus des Staatsbürgers wesentlich bestimmt. Oft wird dem Scharfen und Bissigen, Aggressiven und Angriffslustigen eine Harmlosigkeit attestiert, die wider jeder Erfahrung liegt. Ja fast charmant findet man es, wenn ein wenig zugebissen wird. Im Grunde „duaderehnix“. Man liebt hierzulande das hündische Gekläff, das Spitze und Zähnebleckende. Mit aufs Bluten feilzer Stimme. Man kennt die historischen Beispiele. Und wenn dann doch alles in Hundstrümmerl liegt, dann „wiawoansehned“. Innerhalb dieser verbalen Klammer werden politische Verhältnisse verhandelt, das Wesen des Hundes mit menschlichen Mitteln variiert. Das Gebell, den Zubiss, der Raffzahn, das zerfetzte Fleisch. Die Logik des Befehls. Wie dem Hund ist dem Österreichischen die Diskussion, das Demokratische fremd. Man begeistert sich für den Befehl, das stramme Wort, die einfache Lösung. Das Wuffige.

Wäre ich damals nicht auf Dolores Sieghartsleitner und ihren „Fipsi“ gestoßen, hätte ich all diese luziden Erkenntnisse nicht machen können. Und ich bin froh, dass ich durch den Schmerz, den Dolores und Fipsi mir zufügten, klüger geworden bin als Menschen, die Hunde nur als Streicheltiere kennengelernt haben. Und Frauen nur als Liebesobjekte.

Dolores Sieghartsleitner war im Alter von acht Jahren bereits so groß wie der Eiffelturm. Zumindest für mich, der ich sechs war und halb so hoch. Während Dolores dem Vertikalen ergeben war, war Fipsi als Dackel dem Horizontalen zugeneigt. Als tiefgelegter Köter schleppte er seine Leibesmitte nur knapp über dem Erdboden, war also der eher bodenständige Typ, derb, brutal und dumm. Seinem

Frauchen waren diese Eigenschaften ebenso zuteil, sie trug ihren Kopf aber in den Wolken und wusste nichts davon. In Sachen Selbstreflexivität war sie ihrem Hund unterlegen, was eine bemerkenswerte Leistung darstellt, bedenkt man, was die Differenz zwischen Mensch und Tier im Normalfall ausmacht. Während Fipsi also um seine Dummheit wusste, war sich Dolores deren nicht bewusst. Sie meinte sogar, sie sei besonders klug, ja erhaben. Überirdisch. Was ja rein quantitativ stimmte. Um sich mit Dolores, einem Mädchen, anzulegen, brauchte man einen Aufzug, ein Katapult, irgendein technisches Gerät, das die Schwerkraft überwinden konnte, um ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen zu können. Und auch das hätte nichts genützt, dann sie war so strohdumm, dass Sprache bei ihr keine Wirkung erzielte. Dass sie einer Diskussion sowieso völlig unzugänglich war. Das einzige, was sie konnte, war ihrem Hund Befehle zu geben und „erduadehnix“ zu sagen. Und zwar in der dem Mädchen eigentümlichen Art, die letzte Silbe in die Länge zu ziehen, um auch akustisch darauf aufmerksam zu machen, dass Länge eine Qualität war, die ihr zukam, nicht uns. Mir und meinen männlichen Spielgefährten. Und das alles einem Knaben mit sechs Jahren, das heißt in der phallischen Phase steckend, wo die Längendifferenz zum ersten Mal eine entscheidende, die entschiedene Rolle für das spätere Leben spielen sollte. Der vertikale Vorsprung der Dolores Sieghartsleitner alleine schon war eine Kränkung, die in der Lage war ein künftiges Leben misslingen zu lassen, zumindest ein in Ansätzen männlich gedachtes. Und dann noch Fipsi. Fipsi „Erduadehnix“. Wie immer. Der Nachname aller Hunde. Ja fast schon eine eigene Rasse: „Erduadehnix“.

Fipsis Biss in meinen Unterschenkel war das Harmloseste an der Sache. Es waren die

Rahmenbedingungen, unter denen dieser stattfand, die so entrückt waren, dass sie dem Kinde den schwerwiegenden Begriff des Absurden zumuteten und damit die Kinderseele der fröhlichen Unbekümmertheit des juvenilen Seins entriss und es vorzeitig einem plötzlichen Erwachsensein aussetzte, sie gleichsam schockgefror im Zustand ewiger Verzweiflung, ewiger Verständnislosigkeit, ewigen Kopfschüttelns. Ewiger Vergreisung.

Ich hatte Dolores Sieghartsleitner im Gummihüpfen geschlagen. Einer klassischen Mädchendisziplin, in der die Lange natürlich unschlagbar war. Und diese Schmach der Niederlage, sie hatte sich grässlich verhüpft, musste gerächt werden. Vor allem deshalb, weil ihr Herausforderer ein Dreikäsehoch war, männlich, der ihr nur bis zu den Hüften ging. Und der Verlust der Lufthoheit hatte Dolores Sieghartsleitner dermaßen im Innersten getroffen, dass sie nun mit einem Rachemodul auffuhr, das die Intensität besitzt paradigmatisch genannt zu werden, für alle Rachekonzepte, die Frauen an Männern überhaupt seitdem verüben können. Der Kampf der Geschlechter ist nach der Niederlage der Dolores Sieghartsleitner im Gummihüpfen in einen anderen Zustand übergegangen. Den Zustand der blutigen Feindschaft. Vergleichbar nur jenem zwischen Hund und Läufer.

Dolores Sieghartsleitner hatte nicht nur ihren Köter „Fipsi“ auf mich gehetzt, der, diensteifrig wie Hunde nun mal sind, sofort und ohne zu zögern seine dicht bezahnten Kiefer in meine unschuldigen Kinderwaden versenkte. Langsam und genüsslich, wie mir schien. Knabbernd und rrr, rrr. Zerrend. Das alles wäre tapfer zu ertragen gewesen, eine Hundebisswunde ist für einen Sechsjährigen ein Signum siegesgewisser, künftiger Männlichkeit, dass aber Dolores Sieghartsleitner in Folge behauptet hatte, ich hätte ihr, der Bohnenstange, eine Eisenstange den Rachen hinuntergestoßen, bis in den Magen hinein, und dort umgerührt, das nun, war eine den kindlichen Intellekt aufsprengende Erzählung, ein Diskursformation, die selbst Erwachsenen kaum zuzumuten ist, außer sie wären hartgesottene Dadaisten, Surrealisten oder Konstruktivisten. Dann gings. Für mich damals als Realisten, wie Kinder nun mal sind, waren die aus der Doloreschen Erzählung folgenden empisitemischen Konsequenzen, sie hatte diese Geschichte überall herumerzählt, so dringlich, dass ich seit dem an den Begriffen Wirklichkeit, Wahrheit und Sinn zweifle. Ich möchte sogar behaupten, dass die Eisenstangengeschichte den Ursprung und Beginn meines philosophischen Gemüts darstellt. Natürlich wurde die blutgetränke Eisenstange nie gefunden, natürlich wurde mir trotzdem Hausarrest erteilt, weil die aufgeregt vor der elterlichen Wohnungstüre flatternden Siegharsleitnereltern mit der Polizei gedroht hatten. Und natürlich hatte mich Fipis nie gebissen. Denn wie Dolores Kopfe siegesgewiss lächelnd plötzlich am obersten Eck des Türrahmens erscheinend zur Warnung in meine Richtung offenbarte: „Ehduadehnix“.

hardstinger

(...) Und ich frage mich, ob nicht diese ganze „iii“ und “iii iii“-Sache nicht genau das ist, worauf es hinausläuft, momentan, die Abrichtung des Zöglings auf duale Äußerungsoptionen. (...) Aber nach dem ersten Doppel-iiii bin ich aggressiv. Bin ein aufgeklapptes Messer, ein dreifaches Ausrufezeichen, ein Rohrstock, alles, was irgendwie nach i i i aussieht, und pädagogisch relevant ist. (...) Ich nehme mir vor, gleich in der ersten Stunde, 2b, nichts anderes von mir zu geben als jene i i i und doppelt i-Laute, die ich, ganz Maschine, gelernt hatte. Als pädagogisches Minimalprogramm müsste es genügen, und als sensibler Avantgardist meine ich, jetzt bereits, in meinem i i i-codierten Unterricht eine Tendenz vorwegzunehmen, die zwar noch Zukunftsmusik, aber doch schon irgendwie auch Realität ist. Die Kleinen, die mögen das auch gern, das Einfache, Reduzierte, und für alle Verständliche.

Aus: hardstinger. Zeigt ihm die Geräte! In: Die Literarischen Nahversorger, Folge 6, 2012

I-Lied

Ingrimm spieh Pipin, biss tierisch, stritt mit Lilly;

stieß sie, kniff sie, sichtlich ist´s im Hirn ihm wirr.

(Dies miniert die Disziplin.)

Lilly lief. Sie kriecht ins Dickicht,

schmiegt ins Schilf sich irritiert, liegt, sinnt.

Schließlich wird sie friedlich.

„Isis“, rief sie, „inspirier mich!“

Instinktiv sinkt sie ins Knie:

„Sieh, ich bin schier in die vierzig,

sieh Pipin hier, sieh die Wildnis,

hilf mir, die dir kindlich dient!“ Rief´s.

Sie schwimmt im Mississippi, sie riskiert ihr Mimikri,

schwingt im Zwielicht flink ins Schiff sich, –

flieht, in Kiel sieht sie ihr Ziel.

Tirpitz sieht sie (in Zivil), sie winkt ihm minniglich:

„Hier bin ich, die dich innig liebt, ist hier!“

Tirpitz schielt wie indigniert,

ziert mit Bierfilz sich die Stirn: „Wie, Sie sind nicht in Bikini,

nicht in Tiflis, nicht in Philippi, nicht im Tigris, nicht im Nil,

wie – dies Irrlicht hier in Kiel ?!!?“

Tief wie Gift dringt dies in Lilly. „Liebling, dies ist wirklich viel!

S´ist nicht billig, brieflich schrieb ich, ich bin siech!“

Tirpitz gibt ihr Bier mit Zierfisch, Rindsmilz, Giftpilz:

„Hier, nimm, friss!“

Wie sie gierig Biestmilch trinkt, wird ihr mies:

„Wie? Ist sie giftig? Bin ich hiermit infiziert?“

Tirpitz grinst: „S´ist wirklich viehisch:

Strychnin ist´s in Iltismist!“

Zwingt sie ziemlich in die Klinik,

impft, klistiert sie wie im Blitzkrieg,

schließlich stirbt sie, sie ist hin!

Das hardstinger-Zitat im vorletzten Nahversorger-Heft sei der Anlass, an einen weitgehend unbekannten Musiker, Pädagogen, Sonderling und Wortkünstler zu erinnern, den aus Siebenbürgen stammenden Heim Harro Scheiner (1916 Markschelten – 1992 nahe Giessen). Wer ihn kennen lernte, kann ihn nicht vergessen. Nach dem Krieg schlug er sich als Musiklehrer in der BRD durch, lebte Jahrelang alleine, wenn auch in den Sommermonaten viel besucht, auf der Alm Oviga im Onsernone-Tal, im Tessin. Schließlich unterrichtete er in Griechenland an den Goethe-Instituten von Alexandropoulos und Thessaloniki, was ihm auf seine alten Tage eine kleine Rente einbrachte.

Er hinterließ die ‚Theophilos-Passion’, einen fiktiven, antibiblischen Bericht über das, was Jesus in der letzten Nacht vor seiner Kreuzigung in der Zelle dem Gefängniswärter über sein Leben und seine Überzeugungen anvertraut hat (unveröffentlicht). Er hinterließ Übersetzungen von 13 Gedichten des neugriechischen Dichters Konstantin Kavafis ins Deutsche (unveröffentlicht); einige schöne Palindrome, beispielsweise: Leg elf Rettig rot nie neben ein Torgitter, Flegel! – Die Liebe, ist sie Beileid? – Ei, stets im Lebensnebel mistet sie! Auch sein grimmiges, in den 1960er Jahren auf Oviga entstandenes ‚I-Lied’ blieb, wie alle seine poetischen Hervorbringungen, die er gelegentlich auswendig vortrug, aber sonst nicht weiter der Rede für wert hielt, zeitlebens unveröffentlicht. Es wird hier zum erstenmal abgedruckt.

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Harro Scheiner 1946 Abb. (Quelle: Miszellen-Blog)

Töchterträume

Eine Mutter sagt: ‚ Das wichtigste: Sei brav und gut.‘ Ein Vater sagt: ‚Sei stark, aber still.‘ Was erstere eigentlich meint ist: ‚Das schön sein und schöne Sein verleide ich dir. Wer nicht schön ist, muss nämlich leiden. Wenn die Schönen leiden, muss jemand dafür büßen.‘ Was den Vater betrifft, habe ich bis jetzt noch nicht verstanden. Was er eigentlich meint, kann also nur sein: ‚Das Wort war immer schon bei Gott, und Gott ist dein Vater. Das Wort ist nicht bei dir. Auch bei meinem Vater war das Wort, obwohl er die Sprache nicht beherrscht hat, und nicht bei seiner Frau.

Meine Großmutter ist Schneiderin und seit dem frühen Tod ihres Mannes, also dem frühen Tod des Vaters meiner Mutter, stickt sie regelmäßig Bibelzitate auf die sich in ihrem Schlafzimmer befindlichen Textilien. Vierteljährlich kauft sie seit dem Jahr 1972 neue, unbefleckte Nachthemden, Leintücher, Kopfpolster, Tuchentüberzüge, Vorhänge oder neue Bettschlapfen- nichts davon bleibt frei von heiligen Worten und Sätzen. Ebenfalls exakt alle drei Monate näht sie außerdem zwei aufeinander abgestimmte, der folgenden Jahreszeit angepasste, selbst entworfene Kleidungsstücke für jeweils ein weibliches Familienmitglied: Eines der beiden Teile jedoch behält sie erklärungslos, nachdem die Beschenkte beide anprobiert hat, und es bleibt in Folge in ihrer Verwahrung, lagert in einem der abgesperrten Kleiderschränke, die überall in ihrer Wohnung verteilt zu finden sind, nur nicht im Schlafzimmer. Waren es zu Beginn die Töchter, derer sie vier hat, die in unterschiedlicher Reihenfolge und Häufigkeitsverteilung nach der Logik eines von ihr entwickelten Prinzips beschenkt wurden, sind es nun die Enkelinnen, ebenfalls vier insgesamt, für die sie näht. Nach feierlicher Versammlung und der weniger würdevollen und wortkargen Auswahl der zukünftigen Trägerin durch das Maßband, definiert sie Stofffarbe und Muster, bestimmt Schnitt und Form und nimmt noch einmal Maß, ohne nach Wünschen und Gefall zu fragen. Eine Frau, die die meiste Zeit mit Maßband und Stecknadel im Mund anzutreffen ist, kann ohnehin nicht viel reden, für Befehle reicht der Fingerhut, der bedrohlich am ausgestreckten Zeigefinger sitzt. Auch deshalb, weil sie einem wahrscheinlich bei Gegenwehr die Augen ausstechen würde, aber vor allem, weil keiner in Ungnade fallen und sich um das berechenbar schöne Geschenk bringen möchte, wagt es niemand, sie in ihrem Tun zu bremsen. Woher sie ihre modische Treffsicherheit nimmt, bleibt ein Rätsel, manchmal lag die Vermutung auf der Hand, sie beschäftige sich doch heimlich mit den Aktualitäten dieser Branche- was jedoch angesichts ihrer Abneigung allem Medialen gegenüber an den Haaren herbeigezogen scheint.

Ich habe seit dem Anbruch der Pubertät ein gutes Dutzend Kleidungsstücke von meiner Großmutter erhalten, alle wurden bewundert und nach Herkunft befragt, alle passen noch, obwohl ich jetzt fast 30 bin. Das Faktum, dass wir beide, meine Schwester und ich, Größe 34, oder manchmal sogar 32, tragen, (sowie auch meine Cousinen) ist der Tatsache zu verdanken, dass meine Großmutter ihre jeweilige Kreation stets der Dünnsten an den Leib schneidert.

Meine Mutter trägt 48, hat im Laufe ihres Lebens drei Kleider von ihrer Mutter erhalten und verlässt den Raum, wenn Großmutter das Maßband aus der Tasche zieht. Ihr macht das Maßband seit einem ganz bestimmten Tag Angst, obwohl sie diese Tatsache nicht nachhaltig dazu bewegt hat, den Gegenstand gnädiger zu stimmen, indem sie ihm weniger Länge abverlangt.

Meine Mutter hat einige Wochen nach dem Unglück alle bis dahin von meinem Großvater gezimmerten, massiven Kleiderschränke aus dem Schlafzimmer meiner Großmutter geschleppt, als sie bemerkt hatte, dass diese, nachdem bereits alle anderen Stoffe mit Bibeltexten bestickt waren, auch begann ihre eigenen, sowie die ebenfalls in den Kästen lagernden halbfertigen Kleider ihrer Kundinnen mit der Offenbarung des Johannes zu verzieren, und der Tag des Zorns, an dem keiner bestehen kann, dabei eine besonders gewichtige Rolle spielte.

Diesem mutigen Kraftakt einer damals Zwölfjährigen ist es jedenfalls zu verdanken, dass meine Großmutter den Wahnsinn zwar in Folge kultiviert hat, aber ihm nicht verfiel, (und da besteht ein Unterschied) er hat auch ihre Angewohnheit begründet, das Maßband prüfend an Mädchenhintern zu legen und stirnrunzelnd zum nächsten zu gehen, wenn er ihr zu groß erscheint. Die erste Tat, nachdem meine Großmutter durch die von meiner Mutter ausgelöste Raumveränderung aus ihrer Spruchstickstarre erwachte, war nämlich jene, dass sie ihre vier Töchter in Reih und Glied Aufstellung nehmen ließ und ihre Körper ausmaß. Eine von ihnen, die stämmigste und kräftigste war anzunehmen, war dazu fähig gewesen, die schweren Holzmöbel aus dem Schlafzimmer zu bewegen und hatte damit Frevel begangen. Dieser Moment ist wohl als jener zu betrachten, in dem meine Großmutter der Hass auf die Leibesfülle überkam, als sie im Geiste das durch das Maßband bestätigte pummeligste Mädchen unter ihren Töchtern, meine Mutter, schwitzend und wabbelnd die Artefakte ihres verstorbenen Gatten aus dem Erinnerungsraum stehlen sah. In ihrer Perplexität und ihrem Schreck darüber, überwand sie in diesem Moment jedoch ihren Wahn, was zur Folge hatte, dass außerhalb des von meiner Großmutter für heilig erklärten Raumes alles übrige Textil vor ihrer speziellen Form der Bußkreativität verschont blieb und sie begann, kontinuierlich die neu positionierten Schränke mit den späteren Schwestern- und Töchterträumen zu füllen.

Wenn meine Mutter die Geschichte vom Tag des Schrankdiebstahls erzählt, kommt sie auch auf den letzten lebendigen Tag ihres Vaters zu sprechen, den sie aber nur vom Hörensagen kennt.

Bevor der Ehemann meiner Großmutter nämlich angeblich unglücklich von der Eisenbahnbrücke in den Fluss stürzte und ertrank, sah er sein Ende bereits lange im Voraus kommen, erzählt man sich, und er sang noch am Vorabend des Unglücks wie sooft, als meine Großmutter ihn vom Stammtisch nachhause holen wollte: „ Allein find ich heim, und wenns mich auch einmal nach dem Mostsaufen von der Brücke birnt, dann schwimm ich vorbei an der Christl und wink ihr noch nach, holodriö“. Seine Frau gab ihm darauf wie gewöhnlich zur Anwort: ‚Wenns dich nachm Saufen von

der Brücke birnt, dann weißt, wer dich runtergschert hat, und ich wink dir dann nach, und überm Bett, wo jetzt der Herrgott hängt, da werd ich mir und ihm dein Mostflaschl hinhängen und ihm danken, dass es mich endlich befreit hat, von diesem Waschlappen von Mann.

..ok

YELINDA lass uns ein steak braten, lass uns zöpfe flechten, lass uns bilder malen -- in der zwischenzeit! Yelinda!! hör mal, hier: dein oberschenkel! Yelinda, wir beide, wir werden noch ganz andre strecken zurücklegen, ganz andre größenordnungen werden das sein, denke ich & hoffe, man sehe mir das bloß im himmel nicht an: ich errötete sonst zur rübe – die ich bin II. Yelindas bester freund hieß Albert und war der großherzigste mensch: schenkte mir lebkuchen und streichelte mir die backe. – Nach 2 monaten schlug er vor, mich & Yelinda in Vegas zu trauen, was ich für eine seiner albernheiten hielt, und also kicherte. Albert war darüber tief gekränkt u. tauchte für 48 stunden unter. – Danach kam er mir triumphierend entgegen, in händen Yelindas liebesbrief. (Oh albert, du schmuckes stückchen, wie recht du doch meistens hast u. wie gern ich dich rechthaben seh!) Yelinda schrieb mir erwachsene briefe und hielt mich ganz anständig hin. Sie reite durch die wiesen & felder und das sei schon korrekt so, bloß lange wäre das ohne mich & Albert nicht mehr auszuhalten; sie fordere Briefe, Postkarten, Telegramme u. große Pakete mit seitenweise hellsichtigen texten von uns, ansonsten werde sie nicht zögern, schleunigst diese ranch hier, die koppel, die gesamte anlage aufzukaufen, u. die prächtigsten prachtpferde einzutauschen gegen uns. Albert zog an seinem zigarillo, ich hielt ihm die hand. Wir fluchten, stachen uns am rosenstängel, fluchten wieder & hielten uns für genau so schön wie wir eben auch warn. – Abends klopfte ich ein halbes stündchen auf sein schulterchen, was ihn großartig entspannte -- & er schlief in seinem sessel ein dabei. Yelinda schickte großformatige briefe mit liebesschwüren und störrischen reden. Nicht die wüstensonne, nicht der ärmelkanal, nicht die spanische riviera & nicht der blick vom fernsehturm: nichts auf dieser verfluchten reise könne sie beruhigen, schimpfte sie aufs papier; sie fahre sinnlos rum, schlimmer noch: werde gefahren, & in ihrem kopf, in dem wuchsen kleine blaue bläschen, sie meine das ernst u. nehme in dieser sache keinen widerspruch zu kenntnis, keinen. Ich schrieb ihr, dass sie jung sei & ihr schönes köpfchen das locker aushalte. sie schickte mir zur antwort eine weltkarte, auf deren rückseite sie die stationen ihrer reise auf einer zeitachse bis 2050 notiert hatte: die zahl als gemeinheit -- & so kam sie auch an. – Ob sie denn tatsächlich plane, so lange wegzubleiben, schrieb ich ihr, womit ich mir all die verachtung zuzog, die mir garantiert nicht zustand. Nie mehr werde sie in diesem affenzirkus eintrudeln, schrieb sie mir auf bespucktem papier, Albert u. ich könnten schon mal in rente gehn, so leblos

wie wir ohnehin schon wärn; sie käme bestimmt nicht zurück, sie schlafe hier mit einer graziösen inderin auf der durchreise, die ihr schmutzige gedichte ins ohr flüstere, den lieben tropischen tag lang. – Stolz schrieb ich, sie solle mir doch mehr davon berichten, denn das gefalle mir ganz außerordentlich, worauf sie… die contenance verlor, mir tausend küsse auf die stirn schickte und mich ins ärmchen zwickte: bis bald, meine liebe!, bis bald, mon amour. Albert war unterdessen bleich geworden, saß ausgehungert in der immergleichen ecke. -- Yelindas abwesenheit bekam ihm schlecht: er ließ den bart stehn, das krause haar, den üblen teint: so ungewöhnlich für den schönsten Albert, der nun nachlässig wie er war -- ziemlich sicher nicht mehr er war. / Von meinen andeutungen über Alberts zustand hielt Yelinda wenig: der gute solle in die sonne gehn. – ich schrieb dazu weiter nichts. III. LOU ich traf Lou in einer glitzerlandschaft, einem verrauchten keller, einem hitzigen gespräch: Sie faltete die hände und betete für mich: ich möge doch, ich möge doch bald: mit ihr nach hause kommen ! später triumphierte ich recht konsequent über ihren ellenbogen, ihr schulterblättchen, über ihr hüftknöchelchen, ihr sagenhaftes knie. --- Lou mit dem federhut – wie sie mir zu essen gibt. Lou – wie sie mir die quengeligste musik vorspielt, die ich je gehört habe, & ziemlich gute reden hält. Lou & ich – wie wir heillos verblödete fernsehserien aus den nullerjahren sehn und unsre eigenen dialoge drübersprechen: »wieso hast du mir nicht gesagt, dass du schwanger bist?« »kann das denn dein ernst sein?« »ja« Lou fotografiert mich mit dem handy. »natürlich mache ich mir sorgen, aber…« | Lou hatte einen kleinen laden gepachtet, in dem sie nutzloses zeug verkaufte. Zwischen den kram hineinversteckt: Bücher über ho-chi-min, roy black, daliah lavi, rahel varnhagen & rosa luxemburg. es war ziemlich schwer, diese bücher zu finden: Ob sie denn je einen der bände verkauft hätte, fragte ich, worauf sie heftig das köpfchen schüttelte: „NEIN NIE!“ – der schmatz aufs näschen danach genauso stolz wie die antwort davor. wie ich heimlich roy blacks biographie in meine tasche stecke, bevor ich zur arbeit geh. wie Lou mir zuwinkt und salutiert, durch die schaufensterscheibe. wie ich versuche, diesen strengen blick aufzusetzen und mir das natürlich kein bisschen gelingt - -

IV. Yelinda war in Simbabwe gelandet, von wo sie gut gemeinte drogenbriefe aus dem 19. jahrhundert schrieb. sie pries darin die Victoriafälle & sich selbst in ihrer ziemlich unbestreitbaren gegenwart. – Albert & ich lasen einander diese briefe abwechselnd vor und er geriet darüber in tränen wie auch sonst -- | Y. schrieb ohne Absender: die bahnstrecke sei blockiert, sie käme seit 2 tagen nicht vom fleck, ein Chinese hätte ihr weißes pulver verkauft u. dessen wirkung pantomimisch vorausgesagt, und genauso sei’s dann auch gewesen: sie hätte auf einem seil aus stroh die wasserfälle überquert und dabei einen riesigen zwerg gesehen, der ihre zukunft aus einer taschenuhr las: ich & Albert kämen darin jedenfalls nicht vor! Albert weinte in meinen schoß: er könne keinen modus finden, in dem Yelinda nicht als genau das vorkomme, was sie die letzten 15 jahre für ihn gewesen sei: die schwester, die tante, der onkel, die mutter, der vater, der tag ------- sie fehle ihm: wie ein für immer abgehacktes bein. V. victoria falls, 25.10.2008 meine lieben, die Bäume haben dicke stämme. sehr dicke. auch die äste. wie kelche. sehr theatral. oder sakral? – jedenfalls groß. -- -- der chinese hat sich mir angeschlossen, und zwar endgültig; er hat ein ganzes köfferchen voll zeug, wir erobern morgen die ostzone, – falls die gleise frei sind natürlich. – der chinese hat eine große eitrige wunde am linken oberarm, seiner pantomime nach zu schließen von einem kolibri. mir aber gleichgültig. wir essen aus konservendosen und vertrauen niemandem! – der chinese ist sehr misstrauisch: er vertraut niemandem! – seid gegrüßt von eurer Y.

Kerstin Putz

Super-Gau

von Olga Ortner

18. Jänner, mein Super-Gau. Heute Morgen neun Uhr dreißig mit großem Entsetzen den Verlust meiner Geldbörse festgestellt. Einfach nicht mehr da. Weg. Zuletzt gesehen am 17. Jänner, 23 Uhr. Keinen Führerschein, keine e-card, keinen Studentenausweis, kein Semesterticket für die Wiener Linien, keine ÖBB Vorteilscard, keine Bankomatkarte, keine Kreditkarte, keine Passfotos, keine Bipa, Billa und DM Vorteilscard, keinen US Dollarschein mehr, keine Fotos von Freunden, keine Fotos der Familie und keine Visitenkarten mehr und keinen zusammenfaltbaren U-Bahn-Plan für Berlin und München. Die läppischen zwei Euro fünfzig, die ich noch bei mir hatte, die Visitenkarten und die Taschen-U-Bahnpläne kann ich gut verkraften. Aber der Rest?

Keinen Studentenausweis, keine Erlaubnis, meine Prüfung zu schreiben; keinen Lichtbildausweis, keine Erlaubnis, einen neuen Studentenausweis zu machen. Für fast alle Karten darf man rund zwanzig Euro aufwärts blechen, um sich eine neue ausstellen zu lassen. Guten Morgen, super Scheiße!

Auf die Plätze, fertig, los. Den ganzen Weg von gestern noch einmal abgegangen. Den Tränen nahe durch den Votivpark gestapft, im Schnee gewühlt, U-Bahnstation abgegangen, und eigentlich war es völlig klar: Es ist vollkommen aussichtslos, hier zu suchen. Wien hat 1,7 Millionen Einwohner, es ist elf Uhr vormittags, Schottenring, eine Station mit gleich zwei U-Bahnlinien, U4 und U2, wie viele Menschen mögen wohl schon vor mir an meiner Geldbörse vorbeigegangen sein, wenn sie überhaupt hier verloren gegangen ist? Völlig verzweifelt bin ich erst mal auf die Bibliothek gefahren, zum Lernen hab ich genug, Lernen lenkt ab.

Ach ja, fast vergessen, keinen Studentenausweis bedeutet auch, keinen Bibliotheksausweis. Keine Ausweise = wir wollen dich nicht mehr, offiziell existierst du nicht. Alles klar, Google um Rat fragen! "Hilfe, ich hab meine Geldbörse verloren! Was soll ich tun?" – 517.000 Ergebnisse in 0,30 Sekunden! Der erste Eintrag sagt mir: Verlustanzeige und/oder Diebstahlanzeige machen. Guten Morgen, Bürokratie! Nur wenige hundert Meter vom unicampus entfernt gibt es eine Polizeistation.

Im Schneegestöber, völlig aufgelöst, total blank, mit den Nerven am Ende und mich wie ein identitätsloser Mensch fühlend, hab ich mich auf den Weg zur Polizei gemacht. Einmal musste ich nach dem Weg fragen: "Entschuldigung, wo geht's denn zur Polizei?" Auch nicht schlecht. Ich war noch nie bei der Polizei.

Wunderschönen guten Morgen, unfähige Beamte! Fünf große Männer in Uniform in einem recht kleinen, schäbigen Raum. Ein besonders wichtiger, Schnauzbart tragender sieht mich und frägt: "Wos wüst?" Guten Morgen, Freundlichkeit! Ich erkläre ihm, was ich will. Prompt lande ich auf einem Sessel neben einem, verglichen mit den fünf Bullen, freundlich aussehenden Obdachlosen, der kein Wort deutsch spricht und die fünf Uniformierten sichtlich überfordert. Der Mann neben mir gibt den Männern mit einer Geste zu verstehen, dass er Durst hat.

Verwirrt schauen sie sich an, "was will er denn?" Ich übersetze – aha, Wasser will er. Nach kurzer Zeit verschwinden drei der Polizisten mit dem Mann neben mir, übrig bleiben ein massiv übergewichtiger, kaum in seine Uniform passender Herr Ende vierzig mit verhornten, rissigen Monsterhänden, die aussehen, als könnten sie einem Dinosaurier gehören, ein schlanker, ausgemergelter, strenger Mann Ende dreißig mit

gegelten Haaren und ein immer noch kurz vor dem Tränenausbruch stehendes Ich.

Erneut erkläre ich, was passiert ist. Ich möchte eine Verlustanzeige machen (laut Google-Eintrag sogar verpflichtend, wenn man seinen Führerschein verliert). Verständnislos und grübelnd gafft mich der Dicke an. Ich scheine der erste Mensch der Erde zu sein, der hier eine Verlustanzeige macht, eine richtige Attraktion „das Mädchen mit der Verlustanzeige“.

Ratlos ziehen die beiden eine große, schwarze Mappe heran um herauszufinden, wie denn das mit der Verlustanzeige funktioniert. Nach einigen Minuten werde ich gefragt, ob mir mein Portemonnaie nun gestohlen worden ist oder ob ich es selbst verloren habe. Ich erkläre, dass ich es verloren habe. "Sind Sie sich ganz sicher, dass es Ihnen nicht gestohlen worden ist?" "Ja, da bin ich mir ziemlich sicher!" "Junges Fräulein, es ist so, wenn sie hier eine Verlustanzeige machen, dann kostet das. Eine Diebstahlanzeige kommt Ihnen gratis. Wo war denn ihr Geldtascherl drinnen?" Ich deute auf meine Ledertasche. "Na, da müssen's ja einen Purzelbaum machen, dass da was rausfliegt. Sie sind also bestohlen worden! Wien, das ist ein ganz hartes Pflaster! Aber wenn Sie jetzt behaupten, bestohlen worden zu sein, und das stimmt gar nicht, machen Sie sich strafbar!"

Als ich das mit der Kostenverbundenheit einer Verlustanzeige zu Ohren bekomme, täusche ich vor, nun doch ganz von einem Diebstahl überzeugt zu sein. "Na, Sie haben recht, da muss mich wer bestohlen haben, Purzelbäume hab ich keine gemacht (wenn Sie wüssten, ...)" Gut, mit dieser Aussage bekomme ich im Formular, das der Dicke in den Händen hält, im Kästchen 'Opfer' ein Kreuzchen und los geht’s. Fünf Seiten Formular müssen ausgefüllt werden. Ich muss alle zwei Minuten zwischen dem Schreibtisch des Dicken und dem des Schlaksigen hin und her laufen und Fragen beantworten, und dann lässt mich der Schlaksige auch noch dreimal mit den Sperrzentralen sämtlicher Kreditkarten telefonieren, die mich alle nicht in ihrem Computer finden können und behaupten, meine Kreditkarte müsse von der Konkurrenz sein.

Nach vielen Anton, Emil, Berta, Ludwig, Nordpols der Auskunftgebenden der Kreditkartenzentralen und meinen fünf Formularen darf ich mit einem Zettel, der vorläufig erklärt, dass ich auch offiziell existiere, gehen. Huch. Guten Morgen, vorläufige Identitätsbescheinigung! Die Zwei versichern mir noch, dass ich zu 95% meine Geldbörse nicht mehr zu Gesicht bekommen werde, und wieder: "Fräulein, wissen’s, Wien, des ist wirklich ein ganz ein hartes Pflaster!" "Na servas! Ein wirklich ganz hartes Pflaster! Ur-unleiwand!"... Guten Morgen, totale Frustration!

Nach Verlassen der Station rufe ich zum zweiten Mal bei der Uni-Servicestelle an. Nein, auch mit dem Wisch von der Polizei bekomme ich keinen neuen Studentenausweis. Ohne amtlichen Lichtbildausweis bekomme ich überhaupt nichts! Jetzt find ich schön langsam auch: "Ein ganz ein hartes Pflaster..."

Bedrückt gehe ich zurück in die Bibilothek. Nach zehn Minuten zerknirscht herumsitzen, plötzlich ein Anruf! 07583/..... uh? "Ja, guten Tag, Frau Ortner, Herr soundso spricht, Raiffeisenbank Kremsmünster! Wir sind verständigt worden, dass Ihre Geldtasche im Fundbüro der Wiener Linien abgegeben worden ist! Sie können sie dort am Montag abholen!" Jawohl, das Glück wieder auf meiner Seite!

Alltagsversuche

Kärnten ist das Land großer literarischer Söhne / Töchter. Peinlich ist da der

Umstand, dass die Landeshauptstadt über keine einzige öffentlich

zugängliche Bücherei verfügt. Einen Schritt in die richtige Richtung hat nun

die Kärntner Landesregierung gemacht, indem sie ein Kunstwerk der

grandiosen Künstlerin Eva Wassertheurer (zuletzt erschien von ihr bei Kitab

das lesenswerte Reisebuch rikuna kusun) erstanden hat. Die Arbeit mit

Namen 1. Klagenfurter Stadtbücherei besteht aus etwa 700 Zündholzschachtel-

Büchern. Weiter so, Klagenfurt!

Einer der größten Kärntner Literatursöhne ist Peter Handke. Auch dieser

wird jedes Jahr um eines älter, und weil er gerade einen runden Geburtstag

feierte, gab es einiges über ihn zu lesen. Die Literatur von Peter Handke stößt

hingegen auf immer weniger Interesse.

Da Sie in letzter Zeit vielleicht auch den Namen Handke zu oft gehört haben,

werde ich mich kurz halten. Ich werde nichts zu Handkes Literatur sagen,

mich lediglich zu einem Handke’schen Buchtitel äußern.

Das neue Buch heißt Versuch über den Stillen Ort. Allein der Titel hat meine

ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Zuerst habe ich mich natürlich

gefragt, ob auch Handke die Zeitschrift der Literarischen Nahversorger

abonniert hat, schließlich wurde das Thema Stuhlgang in meinem Exkurs in

der vorletzten Ausgabe ausgiebig besprochen. Handke, seit jeher ein

Schnellschreiber, hat meinen Originaltext innerhalb kürzester Zeit auf 108

Seiten ausgewälzt. Hut ab! (letzte Entwicklung der Dinge, 13.2.2013: Warten

auf Antwortmail des Anwalts der Gegenseite).

Nachdem sich Handke an der Müdigkeit, der Jukebox und dem geglückten

Tag versuchte, gilt nun sein Interesse dem sogenannten Stillen Ort. Das Wort

Versuch stört mich im Zusammenhang mit Peter Handke irgendwie.

Versuchen heißt auch (laut Wahrig) „etwas tun, um zu sehen, ob man es

kann“. Sich an etwas versuchen ist eine zaghafte, unsichere Handlung.

Überhaupt ist doch der Versuch etwas vages, man weiß nicht recht, wo es

einen hinführen wird. Ein Begriff also, der mir nicht unbedingt zur Person

Peter Handke passen will, dem großen Darsteller Handke, dessen

Gewohnheit es ist, alles andere als zaghaft oder unsicher aufzutreten.

In der Folge drängt sich hinsichtlich der Möglichkeit, dass Versuche auch

schiefgehen können, eine Frage auf: Welche Titel würden weniger

selbstsichere Schriftsteller wählen? Würden Sie nicht auch gerne ein Buch

lesen, das sich Misslungener Versuch über die Büroklammer nennt.

Marketingtechnisch zwar ein Desaster, aber doch mehr als sympathisch:

Völlig verkorkster Versuch über die LED-Lampe.

In meiner Funktion als Literaturkolumnist fühle ich mich verpflichtet, an

dieser Stelle Lektüreempfehlung anzufügen, falls Sie noch tiefer in den

menschlichen Alltag eintauchen wollen und / oder frustriert sind, dass jene

Bücher über die Büroklammer oder die LED-Lampe noch nicht erhältlich

sind. (Betonung hier auf noch – Handke liest mit!). Zu empfehlen wäre also

Nicholson Bakers Mezzanine (dt. Die Rolltreppe oder die Herkunft der Dinge bei

rororo). Der Autor befasst sich darin mit den verschiedenen Formen von

Milchkartons oder dem optimalen Überstreifen von Strumpfsocken (den

Sockenhals vorher bündeln oder nicht?). Besonders interessant ist etwa die

Erklärung, warum beim Schuhebinden immer nur ein Schnursenkelende

reißt, obwohl doch bei jedem Binden beide Enden, mag man meinen, zu

gleichen Maßen in Verwendung kommen. Im Buch finden sich auch

weiterführende Lektürehinweise zur „Pathologie des abgenutzten Seils“.

Ich möchte zum Schluss noch auf einen großen französischen Schriftsteller

hinweisen, der noch ein Stück weiter in die Tiefe ging und etwa ein ganzes

Buch über ein Produkt der täglichen Körperhygiene schrieb. Le Savon von

Francis Ponge (dt. Die Seife, Suhrkamp).

Lesen Sie diese Bücher.

Ich verbleibe einstweilen mit freundlichen Grüßen,

Florian Gantner

Betrifft: Zusendung der Zeitung

Aus Kostengründen ist die Zeitung der Literarischen Nahversorger nur mehr gegen ein Abo-Entgelt von jährlich 10€ erhältlich sein. Wenn Sie Interesse an der Zusendung der Zeitung haben, bitten wir Sie diesen Betrag auf unser Konto zu überweisen.

Die Literarischen Nahversorger

Raiffeisenbank Schlierbach BLZ: 34606

Kontonr.: 00000021121

Herzlichen Dank

Ihr

Nahversorger-Team

DIE LITERARISCHEN NAHVERSORGER PRÄSENTIEREN: Renè Freund liest aus: „Liebe unter Fischen“

09. 02. 20.00 Pavillon Landwirtschaftsschule Schlierbach

Eintritt: 10€/ Schüler und Studenten: 4 €

Vorschau:

3.5.2013 Julian Schutting liest aus "Die Liebe eines Dichters" Theatersaal Schlierbach, 20 Uhr

Vorschau:

06.04. Robert Schindel liest aus seinem neuen Roman „Der Kalte“Theatersaal Schlierbach 20 Uhr

Vorschau:

07.06.Ruth Klüger liest aus "Unterwegs verloren" Theatersaal Schlierbach, 20 Uhr

Vorschau:

21.06. Robert Pfaller liest aus „Zwei Welten“

Theatersaal Schlierbach, 20 Uhr

Die Literarischen Nahversorger

Ein Projekt der Gemeinde Schlierbach

Mail: [email protected] Web: LiterarischeNahversorger.at

Stingers Textaquarium: hardstinger.wordpress.com