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AN DEN KÜSTEN DER DOMINIKANISCHEN REPUBLIK LÄRMEN DIE PAUSCHAL-TOURISTEN DURCH IHREN DREI-STERNE-URLAUB: FEIERN, MÄSTEN, IN DER SONNE BRATEN. DIE FACETTENREICHE SCHÖNHEIT DES KARIBISCHEN INSELSTAATES BLEIBT IHNEN DABEI VERBORGEN. BIKERN NICHT.

Hochgefühl: Zwischen San Josè de Ocoa und Constanza verläuft die höchste Pass-

Straße der Karibik. Ein Biker-Traum auf bis zu 2 500 Metern Höhe.

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Der Wind of Change pfeift erst schräg von links, dann direkt über unsere Teller. Schwungvoll kommt ein Plastikstuhl an unseren Tisch geschlittert, auf den sich der Blasmusikant plumpsen lässt – „Leonar-do like di Caprio, but friends call me Leo, haha!“ Seine rechte Hand schüttelt kurz die unseren, furcht einmal längs durch die pomadige Elvis-Tolle und zupft dann weiter die Saiten seiner Luftgitarre, während die Lippen den Wind of Change der Scorpions blasen. „You are from Germany? Germany good! Scorpions. Oktoberfest. Nice Girls“, fasst Leonardo schließlich alles Wesentliche zusammen und Yvonne etwas sehr freund-schaftlich an die Schulter. Wir wollten unsere Ankunft in der Dominikanischen Republik eigentlich nur mit einem kleinen Imbiss ze-lebrieren. Franz, Yvonne und ich. Nun hat uns das Klischee schon fest im Griff: kon-taktfreudige Gigolos. Und geschäftstüchtige Straßenhändler, die einen bequatschen wie Verkaufsshow-Moderatoren: nur jetzt, nur hier – Werbeblöcke mit Bauchladen. Also rein in Rudis Geländewagen und raus aus dem Millionen-Moloch Santo Domingo, das uns zulärmt und die Sinne ärgert. Weg von den Fast-Food-Meilen, vermüllten Ufer-promenaden und den Schmuddelbars, deren Namen den Ausgang des Abends bereits vor-wegnehmen: „Dancebar Kiss“ zum Beispiel oder „Café Oh la la“. Es geht zunächst dauer-hupend die Schnellstraße 2 Richtung Westen entlang, auf der automobiler Schrott seinem letzten Zündfunken entgegenrußt. Bei den Marktbuden von Las Carreras nach rechts in die Berge, über eine Rüttelpiste zu einem unscheinbaren Abzweig, an dem Rudi den Allrad-Hebel in Position drückt. Schließlich durch einen Fluss zur „Rancho Cascada“, dem Kontrastprogramm zum Lärm-Tourismus der Küsten – unserem Ziel. „Willkommen im Para-dies“, sagt Rudi mit feinstem Wiener Schmäh und hebt die Radkoffer von der Ladefläche.

ÖKO STATT DISKODominikanische Republik – sonnen, feiern, flirten, alles pauschal, alles billig, alles inklu-sive. Wie ein Schatten liegt der Drei-Sterne-Stempel auf dem Inselstaat. Dabei dümpelt der allergrößte Teil des Landes im touristi-schen Abseits. Drei gewaltige Gebirgskämme durchziehen die Dominikanische Republik,

TEXT HENRI LESEWITZ FOTOS FRANZ FALTERMAIER

die so ursprünglich sind, wie kaum anderswo in einer Zivilisation. Wochenlang tourte Rudi Baumer vor acht Jahren mit seiner Freundin durch das Land und verliebte sich dabei in die schwerelose Lebensart, die seicht im Meren-gue-Rhythmus vor sich hintreibt. In das Grün der Berglandschaften. Und das feuchtwarme Klima, das lange Kleidung zum Absurdum macht. Seine Freundin flog zurück, er blieb. Seitdem feilt der ehemalige Gastro-Ausstat-ter zusammen mit den lokalen Behörden an der Entwicklung einer Öko-Tourismus-Zone im Herzen des Landes. Die neue Zielgruppe: Mountainbiker, Kanuten, Wanderer. Home-page, Karten, GPS-Touren und eine lauschige Outdoor-Ranch samt Wasserkraftwerk hat Rudi bereits geschaffen. Nun hofft er ungedul-dig auf Fortschritte beim Straßenbau, damit die Gäste komfortabel ins Landesinnere reisen können. Doch das kann dauern in der mittel-amerikanischen Peripherie. „Selbst unser Bür-germeister kann weder lesen noch schreiben“,

erklärt Rudi und bringt seinen Schaukelstuhl in Frequenz. Von der Terrasse der „Wasserfall-Ranch“ genießt man einen verträumten Blick auf den Rio Nizao, an dessen Ufer die Nach-barsfrauen heute großen Waschtag haben. Wenn jemand ein Bier wolle, bietet Rudi an, würde er noch mal rüber zum anderen Ufer schwimmen. Da gebe es einen Kiosk. Minuten später krault er tatsächlich los, einen Ruck-sack für den Einkauf auf dem Rücken. Service ist für ihn das A und O. NÄCHTES JAHR MIT STARTNUMMERDer nächste Tag beginnt um 7 Uhr mit Ome-lett und Muckefuck. Die Morgensonne taucht die Landschaft in weiches Licht, die mit ihrem Wechsel aus Palmen- und Laubwald aussieht wie ein grün pürierter Mix aus Karibik und Thüringen. Unsere Tagestour soll auf den Monte Bonito führen, was übersetzt „schöner Berg“ bedeutet. „Ich hoffe, ihr mögt Singlet-rails. Jeder Berg ist überzogen damit, weil die

DIE BEHORDE SPINNT, GROSSE PLANE FUR EINE OKO-TOURISMUS-ZONE - DABEI KANN NICHT MAL DER BURGERMEISTER SCHREIBEN.

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Fahrgemeinschaft: Wahlkampf heißt vor allem eines – Party. Die Fähnchenschwenker sind dabei

angeblich oft nur bezahlte Komparsen.

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Einheimischen ein wanderlustiges Volk sind. Ständig besuchen sich die benachbarten Sip-pen gegenseitig“, kündigt Rudi an und wirbelt den Zeigefinger wie ein Rotorblatt. Da, dort, hier: überall Trails. Franz zuckt erschrocken zusammen. Rudi streift sich das Finisher-Tri-kot des legendären Cristalp-Marathons über, kann Franz aber beruhigen: „Hat mir ein Gast dagelassen. Wir fahren gemütlich.“ Zunächst erst einmal durch lauschige Dörfer mit bunt bemalten Hütten. In den Behausungen, die nicht größer sind als Gartenlauben, leben ganze Großfamilien, durch die Berge rings-um schalldicht isoliert von der Außenwelt. Der einzige Kontakt zu dieser sind fahrende Markthändler, die mehrmals pro Woche Obst, Milch und Eier von den Bauern aufkaufen. „Viele wissen noch nicht mal, dass sie auf ei-ner Insel leben. Es ist ihnen auch egal“, weiß

Bike-Shop in San Rafael.

Aufgestachelt: Am Lago Enriquillo wuchert dichter Kakteen-Dschungel.

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Rudi, der den Kindern regelmäßig Unterricht in Deutsch und Englisch gibt. Hinter Arroyo Cana erhebt sich der Weg zu einem rotbrau-nen, steilen Serpentinenband. Von oben fönt heiße Tropenluft den Schweiß aus den Poren. Von unten wirbelt Staub um die Beine. Knapp tausend Höhenmeter kurbeln wir so nach oben, verpflegt von Bananen und süßen Zi-tronen, die man einfach im Vorbeifahren von den Bäumen pflücken kann. Dann weiter über den versprochenen Singletrail, der sich wie eine Lachfalte über die Stirn des Bergkoloss’ zieht. Irgendwann fällt der Weg Richtung Tal ab. Mitten rein in ein Gehöft, an dem uns die Bäuerin zu einer Tasse Kaffee aus eigener Pro-

duktion einlädt. Alles ist gewaltig: der Blick, die Trails, die Kulisse, das Wetter sowieso. Seit acht Jahren tingelt Rudi mit dem Moun-tainbike durch seine Wahlheimat. Manchmal tagelang am Stück mit Übernachtung in der Prärie. Sämtliche Bergketten, sagt er, seien überzogen mit den schönsten Trails. So viele, dass er wohl noch Jahre für die komplette Erfassung brauche. Rudis Finger gleitet in einem Affenzahn über den Faltplan, den er auf seinem Terrassen-Tisch ausgebreitet hat. Eine Gaslampe flackert im Abendwind und verbreitet Abenteurer-Romantik auf der Ran-cho Cascada. „Ihr wollt Wasserfälle? Hier gibt es sie. Ihr wollt Meer? Können wir von

hier aus hinradeln. Ihr wollt auf die höchste Pass-Straße der Karibik? Die beginnt im Nach-barort“, listet er die Optionen der nächsten Tage auf. Wenn wir wollten, könnten wir beim Giro Dominicana auch alle Highlights am Stück abfahren. Zwei Jahre lang hat Rudi das sechstägige Etappenrennen geplant. Im Februar wird es starten – mit Camping, pro-fessioneller Organisation und einem Volksfest im Zielort San José de Ocoa. Wir entscheiden uns für die Pass-Straße. Zunächst aber für die Heia. So ein Tag in der Natur lullt die Nacht-schwärmer-Gene ganz schön ein. Böiger Wind treibt nervöse Herden von Schäf-chenwolken über den Schotterweg, der sich in

Monte Bunito heißt „schöner Berg". Das lassen wir gerne so stehen.

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ALS SICH DER NEBEL VERZIEHT, GLAUBEN WIR UNS IN WERNIGERODE.

Meer, Grill, Teller, Magen: Am Stand von Los Patos ist die Nahrungskette beson-ders engmaschig. Der Red Snaper wird vom Koch geangelt.

einer Höhe von knapp 2 500 Metern einhun-dert Kilometer weit von San José de Ocoa bis nach Constanza unweit des topographischen Landeshöhepunktes Pico Duarte (3 098 Meter) zieht. „Aha“, sagt Franz und schaut sich et-was irritiert um. Rudi hatte die spektakulärs-te Landschaft der gesamten Dominikanischen Republik versprochen. Auf ihn mag das so wirken. Uns erinnern die von Farnen umwu-cherten Kiefernbäume eher an den Stadtwald von Wernigerode. Dafür ist die Aussicht jeden erstrampelten Höhenmeter wert. Plötzlich wird die Stille von ohrenbetäubendem Lärm geschluckt. Der Krach scheppert blechern aus zwei Megaphonen, die auf dem Dach eines rostigen Transporters thronen und im Wech-sel Salsa-Beats wummern oder den Namen >

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eines gewissen „Pedro Castillo“ krakeelen. Wahlkampf in eigentlich menschenleerer Wildnis. Umweltschutz und Ruhe gehören also nicht zu Herrn Castillos Wahlprogramm. „Der Wahlkampf wird als gigantische Par-ty zelebriert. Da geht es wilder ab als beim Karneval“, klärt Rudi auf. Nach dem zwanzig Kilometer langen Downhill runter nach San José de Ocoa wissen wir, was er meint: Der gesamte Ort ist im Ausnahmezustand. Überall hupende Fahrzeug-Konvois, Merengue-Sound

und tanzende Menschen. Angeblich sind die Wahlkämpfer gekaufte Komparsen der zur Schau getragenen Partei. Bis zum nächsten Wochenende, wo sie dann eben mit den Ban-nern der konkurrierenden Fraktion durch die Straßen ziehen. Hauptsache Party. In diesem Ambiente lassen wir den Tag aus-klingen. Franz zündet sich eine fingerdicke Zigarre an. Rudi bringt ein paar Stühle ange-schleppt. Yvonne besorgt eine Runde Kaltge-tränke. Da sitzen wir nun mit unseren ver-

schwitzten Radklamotten mitten im Trubel, schauen verzückt ins Abendrot und den Tou-ren der nächsten Tage entgegen, die uns zum Leguan-See und zu Wasserfällen und Lagu-nen am Strand führen werden. Umweht vom Wind der Gipfel, statt dem Wind of Change der Fast-Food-Meilen. All inclusive eben, nur ohne Gummi-Bänder, Souvenier-Terror und Techno-Gedröhne aus Kassettenrekordern.

VIELE WISSEN NICHT EINMAL, DASS SIE AUF EINER INSEL LEBEN.

Küste ohne Souvenier-Terror: Von Rudis Rancho Cascada bis ins ursprüngliche Ojeda kurbelt

man zwei Tage.

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Wegelagerer: Die Leguane am Lago Enriquillo rückten die beschlag-nahmten Bikes erst im Tausch gegen Brotkrumen wieder raus.

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ania

H oiR

Rio Y

oqus del

Sur

Rio Ozama

Rio Comu

Rio Yoque del Norte

LagoEnriouillo

20 km

D O M I N I K A N I S C H E R E P U B L I K

A T L A N T I S C H E R O Z E A N

K A R I B I S C H E S M E E R

SantoDomingo

La Romana

Higüey

El Seibo

AzuaSan Cristóbal

BaníBarahona

sotaP soL

Pedernales

Neiba

Jimaní

Elías Piña

Dajabón

Monté CristiPuerto Plata

San Pedrode Macoris

SabanetaMao

Santiago SalcedoMoca

La Vega

Constanza

Bonao

San José de Ocoa

San Francisco de Macoris

Nagua

San Juan

H A I T I

IslaBeata

IslaSaona

Samaná

41

1

2

1

5

5

3

Pico Duarte

3175 m

2

1

3

>> LAGEDie Dominikanische Republik umfasst zwei Drittel der Karibikinsel Hispaniola, der westliche Teil davon stellt Haiti dar. Die Insel liegt östlich von Cuba. >> TOPOGRAFIEDrei große Gebirge ziehen sich von Westen nach Osten durch das gesamte Land. Die Erhebungen erinnern an das Deutsche Mittelgebirge – ein ständiger Wechsel von auf und ab. >> KLIMAWährend an den Küsten ganzjährig drü-ckendes, tropisches Seeklima mit durch-schnittlich 25 Grad herrrscht, ist die Luft in den Bergregionen klar und frisch, allerdings auch etwas kühler. Zwischen Dezember und Mai fallen die wenigsten Niederschläge.>> BIKENDie Bergketten sind von Wegenetzen durchzogen, perfekt für Biker. Da es kaum brauchbares Kartenmaterial gibt, emp-fielt sich der Besuch der Outdoor-Station

„Rancho Cascada“. Betreiber Rudi Baumler hat sich auf individuelle Bike-Touren spe-zialisiert, bietet Schlafplätze und kümmert sich um die Anreise. Kontakt: www.ranchocascada.com,oder: www.caribetour.de (Buchung).>> FLIEGENDie LTU bietet mehrmals pro Woche Direkt-flüge nach Puerto Plata von allen großen deutschen Flughäfen an. Rad-Transport kein Problem. www.ltu.de>> RENNENAm 31. Januar 2007 startet der erste Giro Dominicana, ein sechstägiges Moun-tainbike-Rennen für jedermann, nach dem Vorbild der Transalp Challenge.

>>INFO DOMINIKANISCHE REPUBLIK

1: Rancho Cascada; 2: Höchste Straße der Karibik, 3: Hauptstadt

Buschmann: Seit acht Jahren erkundet Rudi Baumer die

DomRep mit dem Bike.