REPORTAGE DerselteneGastgeberDer Merkur ist der sonnen-nächste Planet unseres Sonnensys-tems. Die...

1
REPORTAGE 2 SAMSTAG 20. JULI 2019 Der Merkur, aufgenommen von der US-Sonde Messenger. Die Falschfarben heben die chemische und geologische Zusammensetzung des Planeten hervor. BILD: NASA Die künstlerische Darstellung zeigt die europäisch-japanische Mission BepiColombo bei einem Manöver um die Erde. BILDER (5): ESA Am sogenannten Lagrange Punkt L 5 (vorne links) kann die Sonne gut beobachtet werden. Ein wichtiger Anhaltspunkt für bessere Wettervorhersagen. Der seltene Gastgeber Im Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt passiert Erstaunliches: Ein neuer ESA-Satellit soll uns vor solaren Superstürmen warnen. Und BepiColombo tastet sich zum Merkur, dem am wenigsten erforschten Planeten des Sonnensystems, vor. Doch die Reise ist extrem kompliziert. VON MIRAY CALISKAN D er Raum hinter der gläser- nen Wand ist voll. Mit Ti- schen, Bürostühlen, dicken Ordnern und bunten Pos- tern. Drei Forscher sitzen vor blin- kenden Monitoren, ein Mann in ei- nem neongelben T-Shirt putzt eifrig eine Computertastatur. Es ist sehr still, fahles Licht durchflutet das Zimmer – und macht plötzlich den weißen Schriftzug sichtbar, der Großartiges vermuten lässt: Planeta- ry missions controle room – Kon- trollraum für planetare Missionen. Hier passiert ziemlich viel, was man nur aus Filmen kennt. Und na ja, einem von Zeit zu Zeit auch die Sprache verschlägt: Satelliten, in erdnahem oder interplanetarem Or- bit, werden in diesem kleinen Raum im Europäischen Raumflugkontroll- zentrum (ESOC) überwacht und ge- steuert. Mars Express und ExoMars Trace Gas Orbiter oder Cluster II – die Satelliten untersuchen heute das planetare Magnetfeld der Erde oder kartographieren den roten Planeten Mars. Liefern Antworten auf Fragen, die Wissenschaftler sich seit Jahren, gar Jahrzehnten, stellen. Ein neues Familienmitglied lässt Elsa Montagnons (Bild links) Herz besonders schnell schlagen: Bepi- Colombo. Seit Okto- ber vergangenen Jah- res ist die zweiteilige Weltraumsonde auf dem Weg zum Mer- kur. Eine Raumfahrt- mission, die als Euro- pas komplizierteste gilt – „und der Schlüssel zur Geschichte unseres Sonnensystems sein könnte“, fügt Montagnon hinzu. Die Französin, die Maschinenbau in Paris und München studiert hat, ist die Leite- rin des Flugkontrollteams dieses eu- ropäisch-japanischen Projektes. Viele Verzögerungen Der Merkur ist einer der am wenigs- ten erforschten Planeten im Son- nensystem und hat entsprechend selten Besuch gehabt. In den 1970er Jahren schickte die US-Raumfahrt- behörde NASA die Sonde Mariner 10 zum Merkur, der erfasste nur 45 Pro- zent der Oberfläche. Erst mit Mes- senger gelang es den Forschern zwi- schen 2011 und 2015, viele Rätsel zu klären. „Mit jeder neuen Erkenntnis wurden jedoch Dutzende neue Fra- gen aufgeworfen“, sagt Montagnon. „Mit unserer Mission können wir hoffentlich zu Antworten auf einige dieser Fragen beitragen.“ Leichter gesagt als getan: Bis das Sonden-Duo von der Weltraumorga- nisation ESA ins All geschickt werden konnte, vergingen Jahre. Der Start musste mehrmals verschoben wer- den. Der Merkur ist der sonnen- nächste Planet unseres Sonnensys- tems. Die Reise dorthin bedeutet auch einer höllischen Umgebung ausgesetzt zu sein. „Uns war also klar, dass BepiColombo viel aushal- ten muss. Nur hatte die ESA zwar Ma- terialien, die 120 Grad Celsius stand- halten konnten. Wir benötigten aller- dings welche für mindestens 350 Grad.“ Für die Mission musste also eine neue Schutzummantelung entwickelt werden: Eine weiße Kera- mikbeschichtung wurde eigens ent- worfen. „Wir werden die Solarpanee- le ständig von der Sonne wegdrehen müssen. Sie müssen aber auch im richtigen Winkel geneigt sein, um dem Energiebedarf des Satelliten ge- recht zu werden.“ „Bequeme“ Zeit Ein weiteres Problem: die Schwer- kraft der Sonne. Es erfordert viel Energie, eine Sonde so abzubrem- sen, dass sie in eine Umlaufbahn um den innersten Planeten einschwen- ken kann. „Der Merkur ist also nur durch ein langwieriges Abbremsma- növer erreichbar.“ Neun planetari- sche „Swingbys“ werden durchge- führt, wobei die Erde einmal, die Ve- nus zweimal und der Merkur selbst sechsmal umkreist werden. Die in- nere Schwerkraft der Planeten und ein einmaliger elektrischer Antrieb werden das Raumfahrzeug dann verlangsamen. Auf dem Schreibtisch von Mon- tagnon liegt eine Miniversion von BepiColombo. Die Forscherin streckt sich rüber und nimmt das Kunststoffgestell in die Hand. Zwei Griffe benötigt sie, um die Sonde zu zerlegen: „BepiColombo besteht aus zwei Satelliten“, erklärt sie – dem eu- ropäischen „Mercury Planetary Or- biter“ (MPO) und dem japanischen „Mercury Magnetospheric Orbiter“ (MMO). Während MPO die Oberflä- che des Planeten erkunden soll, wird MMO das Magnetfeld und dessen Wechselwirkung mit dem Sonnen- wind ins Visier nehmen. Die beiden legen die siebenjährige Reise mit ei- nem speziellen Ionenantrieb zu- rück. „Auch hier: Die Technologie war zwar da, aber nicht die Leistung, die wir für die Mission benötigten“, erklärt Montagnon. Das Projekt ver- zögerte sich erneut. „Es hat seine Zeit gedauert, aber dafür haben wir es ordentlich gemacht.“ Noch stecke BepiColombo in „Kinderschuhen“ – die Sonde fliege weit weg von der Sonne und nah an der Erde, so dass die Kommunikati- on einwandfrei funktioniere. „Je weiter die Maschine in das Innere des Solarsystems vordringt, desto harscher werden die Bedingungen sein. Es wird eng für das Design.“ Bis dahin würde das Team die „beque- me“ Zeit genießen, die Maschine kennenlernen, Probleme lösen. Wenn alles gut läuft wird die Son- de neun Milliarden Kilometer im All zurücklegen. Das „Rendezvous“ mit Merkur, so Montagnon, wird 2025 stattfinden: MMO und MPO werden sich dann trennen und auf unter- schiedlichen Umlaufbahnen min- destens einen Jahr lang den Winz- ling des Sonnensystems erforschen. Und dann geht es darum, Geheim- nisse zu lüften: Warum hat ein so kleiner Planet ein Magnetfeld, wäh- rend Venus, Mars und Mond keines besitzen? Hat der Planet einen festen oder flüssigen Kern? Ist der Merkur aktiv, gibt es Vulkanismus? Was sind die seltsamen Aushöhlungen auf der Oberfläche und enthalten die dauer- haft beschatteten Krater Schwefel oder Wassereis? Wie setzt sich die dünne Atmosphäre zusammen? Überhaupt: Wie hat sich ein Planet, der so nah an der Sonne ist, auf der Temperaturen zwischen minus 180 und plus 430 Grad herrschen, gebil- det? Und die größten aller Fragen: Wie ist unser Sonnensystem ent- standen, warum gibt es Leben auf der Erde und auf den planetaren Nachbarn nicht? Was Elsa Montag- non selbst am liebsten erfahren will? „Um mich geht’s nicht“, betont die Forscherin. „Ich bin dafür verant- wortlich, BepiColombo so gesund wie möglich zu halten. Damit unsere Wissenschaftler genau diese Ant- worten bekommen, wonach sie ge- radezu lechzen. Ich bin diejenige, die das möglich machen möchte.“ Gefährliches Wetter Im ESOC in Darmstadt, das seit 1967 für den Betrieb sämtlicher ESA-Sa- telliten und für das dazu notwendige weltweite Netz der Bodenstationen verantwortlich ist, arbeiten 270 Fest- angestellte und 600 Mitarbeiter von Vertragsfirmen. Von Hektik? Keine Spur. Es jubeln keine Forscher, fuch- teln nicht vor Aufregung mit den Ar- men herum, diskutieren nicht hitzig über Flugbahnen. Stattdessen sitzen vereinzelt Menschen in Kontrollräu- men, die meisten jedoch arbeiten von ihren eigenen Büros aus. So auch Juha-Pekka Luntama (Bild rechts), Leiter des Büros für Welt- raumwetter. An einen Tag im Juli 2012 wird sich der Forscher wohl immer zurü- ckerinnern. Die Sonne schleuderte Billionen Tonnen magnetisiertes Plasma ins Weltall – ein solarer Su- persturm, der sich glücklicherweise auf der erdabgewandten Seite ereig- nete. „Hätte sich die Eruption vier Tage vorher ereignet, wären wir im Weg gewesen. Wir waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Luntama. Dass von der Sonne ein Strom energiereicher atomarer Teil- chen ausgeht, passiere „ständig“. Die richtig großen Ereignisse, wie das Eintreffen schneller Plasmawol- ken oder Hochgeschwindigkeits- ströme des Sonnenwindes, „alle 100 Jahre“. Die letzte im Jahr 1859, so der Forscher. Sicherheit im Weltall Besonders gefährlich werden solche Vorfälle für Astronauten im Welt- raum. Sie sind dann unweigerlich kosmischen Strahlungen ausgesetzt. Wenn eine gewisse „Strahlendosis“ erreicht sei, könnten sie nicht mehr ins All fliegen, gar an Krebs erkran- ken oder sogar sterben. Extreme Sonnenaktivität kann auch das Po- tenzial haben, wichtige technologi- sche Systeme lahmzulegen und „Blackouts“ auslösen, wie es Lunta- ma beschreibt. Ein einziges könnte Kosten von 15 Milliarden Euro für Europa verursachen. Die Sonne können wir nicht kon- trollieren, nein. Aber wir können sie überwachen, besser verstehen, was in ihr vorgeht und Veränderungen dokumentieren. Luntama arbeitet mit seinem Team an der „Lagrange- Mission“, die, wenn alles klappt, ab 2025 Daten für frühe Warnungen lie- fern soll. Der neue ESA-Satellit wird am sogenannten Lagrange Punkt L5 im Dreieck zwischen Sonne und Erde positioniert. Mit einer besseren Vorhersage erhoffen sich die Wis- senschaftler, dass rasch Maßnah- men getroffen werden können: Wie die Bevölkerung vor einer Katastro- phe zu warnen und zu schützen. Etwa zehn Meter vom Raumflug- kontrollzentrum entfernt, wohnt Rolf Densing (Bild rechts), ESA-Di- rektor für Missions- betrieb und Leiter des ESOC. Regelmäßig müsse er den Spagat zwischen zwei Jobs meistern: Mit dem ESA-Generaldirektor und den Vorstandsmitgliedern in Kontakt bleiben, an Sitzungen der Aufsichtsgremien teilnehmen und ziemlich oft nach Paris, zur Zentrale der Europäischen Weltraumorgani- sation, reisen. Und neue Programme koordinieren sowie sich um die Fi- nanzierung kümmern. „Viel Politik“, fasst er lachend zusammen. Eines dieser Programme ist „Space Safety and Security“, zu dem auch die ge- plante Lagrange-Mission zählt. Im November sollen finanzielle Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro im Jahr beantragt werden. Gut inves- tiertes Geld, wie er findet. Kurzgefasst geht es dabei um den Schutz vor Gefahren aus dem All: As- teroiden, die auf die Erde einschla- gen können, Weltraumschrott, der unsere Infrastruktur im All bedroht: Mit verschiedenen Projekten könne man Gefahren aus dem All eindäm- men. Zum Beispiel mit neuer Soft- ware, die vorhersagen, wo der Ein- tritt eines Gesteinbrockens auf der Erde sein könnte. Oder Verkehrsre- geln und Verhaltenskodizes im All, denn: „Ein Leben ohne Satelliten ist nicht vorstellbar.“ Kein Navi, keine Satellitenkommunikation und ja auch keine Börse. „Was bringen uns all die tollen Technologien, wenn wir sie nicht schützen können? Je mehr wir den Weltraum vermüllen, desto mehr gefährden wir auch die Grund- lage unseres Wohlstandes.“ 50 JAHRE MONDLANDUNG

Transcript of REPORTAGE DerselteneGastgeberDer Merkur ist der sonnen-nächste Planet unseres Sonnensys-tems. Die...

Page 1: REPORTAGE DerselteneGastgeberDer Merkur ist der sonnen-nächste Planet unseres Sonnensys-tems. Die Reise dorthin bedeutet auch einer höllischen Umgebung ausgesetzt zu sein. „Uns

REPORTAGE 2SAMSTAG20. JULI 2019

Der Merkur, aufgenommen von der US-Sonde Messenger. Die Falschfarben heben die chemische und geologische Zusammensetzung des Planeten hervor. BILD: NASA

Die künstlerische Darstellung zeigt die europäisch-japanische Mission BepiColombobei einem Manöver um die Erde. BILDER (5): ESA

Am sogenannten Lagrange Punkt L 5 (vorne links) kann die Sonne gut beobachtetwerden. Ein wichtiger Anhaltspunkt für bessere Wettervorhersagen.

Der seltene GastgeberIm Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt passiert Erstaunliches: Ein neuer ESA-Satellit soll uns vor solaren Superstürmen warnen.

Und BepiColombo tastet sich zum Merkur, dem am wenigsten erforschten Planeten des Sonnensystems, vor. Doch die Reise ist extrem kompliziert.

VON MIRAY CALISKAN

Der Raum hinter der gläser-nen Wand ist voll. Mit Ti-schen, Bürostühlen, dickenOrdnern und bunten Pos-

tern. Drei Forscher sitzen vor blin-kenden Monitoren, ein Mann in ei-nem neongelben T-Shirt putzt eifrigeine Computertastatur. Es ist sehrstill, fahles Licht durchflutet dasZimmer – und macht plötzlich denweißen Schriftzug sichtbar, derGroßartiges vermuten lässt: Planeta-ry missions controle room – Kon-trollraum für planetare Missionen.

Hier passiert ziemlich viel, wasman nur aus Filmen kennt. Undna ja, einem von Zeit zu Zeit auch dieSprache verschlägt: Satelliten, inerdnahem oder interplanetarem Or-bit, werden in diesem kleinen Raumim Europäischen Raumflugkontroll-zentrum (ESOC) überwacht und ge-steuert. Mars Express und ExoMarsTrace Gas Orbiter oder Cluster II –die Satelliten untersuchen heute dasplanetare Magnetfeld der Erde oderkartographieren den roten PlanetenMars. Liefern Antworten auf Fragen,die Wissenschaftler sich seit Jahren,gar Jahrzehnten, stellen.

Ein neues Familienmitglied lässtElsa Montagnons (Bild links) Herzbesonders schnell schlagen: Bepi-

Colombo. Seit Okto-ber vergangenen Jah-res ist die zweiteiligeWeltraumsonde aufdem Weg zum Mer-kur. Eine Raumfahrt-mission, die als Euro-

pas komplizierteste gilt – „und derSchlüssel zur Geschichte unseresSonnensystems sein könnte“, fügtMontagnon hinzu. Die Französin,die Maschinenbau in Paris undMünchen studiert hat, ist die Leite-rin des Flugkontrollteams dieses eu-ropäisch-japanischen Projektes.

Viele VerzögerungenDer Merkur ist einer der am wenigs-ten erforschten Planeten im Son-nensystem und hat entsprechendselten Besuch gehabt. In den 1970erJahren schickte die US-Raumfahrt-behörde NASA die Sonde Mariner 10zum Merkur, der erfasste nur 45 Pro-zent der Oberfläche. Erst mit Mes-senger gelang es den Forschern zwi-schen 2011 und 2015, viele Rätsel zuklären. „Mit jeder neuen Erkenntniswurden jedoch Dutzende neue Fra-gen aufgeworfen“, sagt Montagnon.„Mit unserer Mission können wirhoffentlich zu Antworten auf einigedieser Fragen beitragen.“

Leichter gesagt als getan: Bis dasSonden-Duo von der Weltraumorga-nisation ESA ins All geschickt werdenkonnte, vergingen Jahre. Der Startmusste mehrmals verschoben wer-den. Der Merkur ist der sonnen-nächste Planet unseres Sonnensys-tems. Die Reise dorthin bedeutetauch einer höllischen Umgebungausgesetzt zu sein. „Uns war alsoklar, dass BepiColombo viel aushal-ten muss. Nur hatte die ESA zwar Ma-terialien, die 120 Grad Celsius stand-halten konnten. Wir benötigten aller-dings welche für mindestens350 Grad.“ Für die Mission musstealso eine neue Schutzummantelungentwickelt werden: Eine weiße Kera-mikbeschichtung wurde eigens ent-worfen. „Wir werden die Solarpanee-le ständig von der Sonne wegdrehenmüssen. Sie müssen aber auch imrichtigen Winkel geneigt sein, umdem Energiebedarf des Satelliten ge-recht zu werden.“

„Bequeme“ ZeitEin weiteres Problem: die Schwer-kraft der Sonne. Es erfordert vielEnergie, eine Sonde so abzubrem-sen, dass sie in eine Umlaufbahn umden innersten Planeten einschwen-ken kann. „Der Merkur ist also nurdurch ein langwieriges Abbremsma-növer erreichbar.“ Neun planetari-sche „Swingbys“ werden durchge-führt, wobei die Erde einmal, die Ve-nus zweimal und der Merkur selbstsechsmal umkreist werden. Die in-

nere Schwerkraft der Planeten undein einmaliger elektrischer Antriebwerden das Raumfahrzeug dannverlangsamen.

Auf dem Schreibtisch von Mon-tagnon liegt eine Miniversion vonBepiColombo. Die Forscherinstreckt sich rüber und nimmt dasKunststoffgestell in die Hand. ZweiGriffe benötigt sie, um die Sonde zuzerlegen: „BepiColombo besteht auszwei Satelliten“, erklärt sie – dem eu-ropäischen „Mercury Planetary Or-biter“ (MPO) und dem japanischen„Mercury Magnetospheric Orbiter“(MMO). Während MPO die Oberflä-che des Planeten erkunden soll, wirdMMO das Magnetfeld und dessenWechselwirkung mit dem Sonnen-wind ins Visier nehmen. Die beidenlegen die siebenjährige Reise mit ei-nem speziellen Ionenantrieb zu-rück. „Auch hier: Die Technologiewar zwar da, aber nicht die Leistung,die wir für die Mission benötigten“,

erklärt Montagnon. Das Projekt ver-zögerte sich erneut. „Es hat seineZeit gedauert, aber dafür haben wires ordentlich gemacht.“

Noch stecke BepiColombo in„Kinderschuhen“ – die Sonde fliegeweit weg von der Sonne und nah ander Erde, so dass die Kommunikati-on einwandfrei funktioniere. „Jeweiter die Maschine in das Innere

des Solarsystems vordringt, destoharscher werden die Bedingungensein. Es wird eng für das Design.“ Bisdahin würde das Team die „beque-me“ Zeit genießen, die Maschinekennenlernen, Probleme lösen.

Wenn alles gut läuft wird die Son-de neun Milliarden Kilometer im Allzurücklegen. Das „Rendezvous“ mitMerkur, so Montagnon, wird 2025

stattfinden: MMO und MPO werdensich dann trennen und auf unter-schiedlichen Umlaufbahnen min-destens einen Jahr lang den Winz-ling des Sonnensystems erforschen.Und dann geht es darum, Geheim-nisse zu lüften: Warum hat ein sokleiner Planet ein Magnetfeld, wäh-rend Venus, Mars und Mond keinesbesitzen? Hat der Planet einen festenoder flüssigen Kern? Ist der Merkuraktiv, gibt es Vulkanismus? Was sinddie seltsamen Aushöhlungen auf derOberfläche und enthalten die dauer-haft beschatteten Krater Schwefeloder Wassereis? Wie setzt sich diedünne Atmosphäre zusammen?Überhaupt: Wie hat sich ein Planet,der so nah an der Sonne ist, auf derTemperaturen zwischen minus 180und plus 430 Grad herrschen, gebil-det? Und die größten aller Fragen:Wie ist unser Sonnensystem ent-standen, warum gibt es Leben aufder Erde und auf den planetaren

Nachbarn nicht? Was Elsa Montag-non selbst am liebsten erfahren will?„Um mich geht’s nicht“, betont dieForscherin. „Ich bin dafür verant-wortlich, BepiColombo so gesundwie möglich zu halten. Damit unsereWissenschaftler genau diese Ant-worten bekommen, wonach sie ge-radezu lechzen. Ich bin diejenige,die das möglich machen möchte.“

Gefährliches WetterIm ESOC in Darmstadt, das seit 1967für den Betrieb sämtlicher ESA-Sa-telliten und für das dazu notwendigeweltweite Netz der Bodenstationenverantwortlich ist, arbeiten 270 Fest-angestellte und 600 Mitarbeiter vonVertragsfirmen. Von Hektik? KeineSpur. Es jubeln keine Forscher, fuch-teln nicht vor Aufregung mit den Ar-men herum, diskutieren nicht hitzigüber Flugbahnen. Stattdessen sitzenvereinzelt Menschen in Kontrollräu-men, die meisten jedoch arbeiten

von ihren eigenenBüros aus. So auchJuha-Pekka Luntama(Bild rechts), Leiterdes Büros für Welt-raumwetter. An einenTag im Juli 2012 wirdsich der Forscher wohl immer zurü-ckerinnern. Die Sonne schleuderteBillionen Tonnen magnetisiertesPlasma ins Weltall – ein solarer Su-persturm, der sich glücklicherweiseauf der erdabgewandten Seite ereig-nete. „Hätte sich die Eruption vierTage vorher ereignet, wären wir imWeg gewesen. Wir waren einfach zurrichtigen Zeit am richtigen Ort“, sagtLuntama. Dass von der Sonne einStrom energiereicher atomarer Teil-chen ausgeht, passiere „ständig“.Die richtig großen Ereignisse, wiedas Eintreffen schneller Plasmawol-ken oder Hochgeschwindigkeits-ströme des Sonnenwindes, „alle 100Jahre“. Die letzte im Jahr 1859, so derForscher.

Sicherheit im WeltallBesonders gefährlich werden solcheVorfälle für Astronauten im Welt-raum. Sie sind dann unweigerlichkosmischen Strahlungen ausgesetzt.Wenn eine gewisse „Strahlendosis“erreicht sei, könnten sie nicht mehrins All fliegen, gar an Krebs erkran-ken oder sogar sterben. ExtremeSonnenaktivität kann auch das Po-tenzial haben, wichtige technologi-sche Systeme lahmzulegen und„Blackouts“ auslösen, wie es Lunta-ma beschreibt. Ein einziges könnteKosten von 15 Milliarden Euro fürEuropa verursachen.

Die Sonne können wir nicht kon-trollieren, nein. Aber wir können sieüberwachen, besser verstehen, wasin ihr vorgeht und Veränderungendokumentieren. Luntama arbeitetmit seinem Team an der „Lagrange-Mission“, die, wenn alles klappt, ab2025 Daten für frühe Warnungen lie-fern soll. Der neue ESA-Satellit wirdam sogenannten Lagrange Punkt L5im Dreieck zwischen Sonne undErde positioniert. Mit einer besserenVorhersage erhoffen sich die Wis-senschaftler, dass rasch Maßnah-men getroffen werden können: Wiedie Bevölkerung vor einer Katastro-phe zu warnen und zu schützen.

Etwa zehn Meter vom Raumflug-kontrollzentrum entfernt, wohntRolf Densing (Bild rechts), ESA-Di-rektor für Missions-betrieb und Leiter desESOC. Regelmäßigmüsse er den Spagatzwischen zwei Jobsmeistern: Mit demESA-Generaldirektorund den Vorstandsmitgliedern inKontakt bleiben, an Sitzungen derAufsichtsgremien teilnehmen undziemlich oft nach Paris, zur Zentraleder Europäischen Weltraumorgani-sation, reisen. Und neue Programmekoordinieren sowie sich um die Fi-nanzierung kümmern. „Viel Politik“,fasst er lachend zusammen. Einesdieser Programme ist „Space Safetyand Security“, zu dem auch die ge-plante Lagrange-Mission zählt. ImNovember sollen finanzielle Mittelin Höhe von 200 Millionen Euro imJahr beantragt werden. Gut inves-tiertes Geld, wie er findet.

Kurzgefasst geht es dabei um denSchutz vor Gefahren aus dem All: As-teroiden, die auf die Erde einschla-gen können, Weltraumschrott, derunsere Infrastruktur im All bedroht:Mit verschiedenen Projekten könneman Gefahren aus dem All eindäm-men. Zum Beispiel mit neuer Soft-ware, die vorhersagen, wo der Ein-tritt eines Gesteinbrockens auf derErde sein könnte. Oder Verkehrsre-geln und Verhaltenskodizes im All,denn: „Ein Leben ohne Satelliten istnicht vorstellbar.“ Kein Navi, keineSatellitenkommunikation und jaauch keine Börse. „Was bringen unsall die tollen Technologien, wenn wirsie nicht schützen können? Je mehrwir den Weltraum vermüllen, destomehr gefährden wir auch die Grund-lage unseres Wohlstandes.“

50 JAHREMONDLANDUNG