Resignation oder gar Verzweiflung,€¦ · (2004) dem Aufbruch der Zwölf gelten, die sich...

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  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 Volker Stelzmanns Passionsbilder sind nicht zu fassen als ein Weggehen vom Heute. In ihnen finden Erkenntnisse, Erfahrungen, Enttäuschungen und auch Hoffnungen eines Zeitgenossen Ausdruck und Sprache, der sie groß in Bildern formuliert, um vielleicht anderen – den Betrachtern – hilf-reich sein zu können in ihren Bedrängnissen und Ängsten und auch darum, ihre Kräfte zu stärken zur Überwindung dieser Lebenshemmnisse. Nicht

    Resignation oder gar Verzweiflung, vielmehr Hinwendung zu menschlichem Leben, das alles umfasst: Freude und Leid, Leben und Sterben, Licht und Fins-ternis – das ist der Sinn seiner Bilder. Über sein Verhältnis zu christlicher The-matik und Ikonographie äußerte sich der Künstler 1984: „Die europäische und die deutsche Kunst sind bestimmt von der spannungsvollen und komplizierten Aus-einandersetzung mit christlicher Ethik, Moralvorstellung und Realität. Sie ist gefordert, eingeengt und befördert durch die sinnlichen Bilder und Gleichnisse der Bibel. Diese Musterbilder menschlicher Beziehungen sind über Jahrhunderte gegenwärtig, und unsere Kunst ist ohne diese Prägungen undenkbar. Die Bilder sind befestigt und in ständiger Bewegung, ständiger Umdeutung begriffen. Weshalb sollte mich das nichts angehen?“

    Rainer Behrens: Stelzmanns Suche nach der Wahrheit. In Volker Stelzmann 1967-1985. Werkverzeichnis der Gemälde und Grafik. Hg. vom Ludwig-Institut für Kunst der DDR Oberhausen 1985, 11-18, 16.

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014

    Fasten und Ostern 2014: Stelzmann-Projekt

    Volker Stelzmann – und ich. Eine Annäherung und Einladung

    Es war – wenn ich mich recht erinnere – um meinen 52. Geburtstag. In der diesem an sich nicht weiter bedeutenden Tag folgenden Verwaltungsrats-

    sitzung überreichte Stefan Weinert mir im Namen der Gremien die Reproduktion eines Tafelgemäldes des mir völlig unbekannten Malers Volker Stelzmann. In Dresden sei er 1940 geboren, in Leipzig aufgewachsen, man zähle ihn zur sogenannten „Zweiten Leipziger Schule“, 1986 sei er von einer Ausstellung seiner Bilder in West-Berlin nicht in die DDR zurückgekehrt. Er – Weinert – habe 2010 in der Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffen-burg eine Ausstellung seiner Gemälde gesehen und überreiche mir nun aus der schon zitierten Serie „Die Berufenen“ eine Reproduktion der Bildtafel, die den Apostel Thomas zeige. Seitdem hängt das Gemälde mir in meinem Arbeitszimmer gegenüber. Ein etwas gebeug-ter Mann. Bekleidet mit einem weißen Mantel und rotem Schal. Unverkennbar nichtsehenden Auges. Auf einen Blindenstock gestützt. Mir schießt die Ermahnung ins Bewusstsein, mit der der Auferstandene Thomas belehrt haben soll: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Schon zuvor „sah“ der Apostel den Weg nicht, von dem Jesus sprach, dass er ihn gehen müs-se: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5).

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 Persönliche Konnotationen stellen sich ein. Der glaubensblinde Apostel tastet nach der Wahrheit. Er sieht sie nicht. Wie vieles sehe ich nicht oder sehe ich anders als meine Umgebung! Fremd sind sie mir geworden. Mit ihrem Bescheid Wissen. Ob die Darstellung meines Namensvetters auf diesen Umstand anspielen sollte? Später entdecke ich den in das Gelb der Ausgrenzung gewandeten Judas, rot beschalt, nahezu im Umfallen begrif-fen: „das bodenlose Lebensgefühl“ (Beaucamp 2010, 15). Ich finde dieses Lebens-Gefühl von Stelzmann im Blick auf seine Figuren und darin auf mich selbst als Menschen beschrieben: „Jemand, der ernsthaft in abstrak-ten Formen arbeitetet, wird ohne den Bezug zur menschlichen Figur nicht weiterkommen. Wir können uns nicht von unserer Körperlichkeit lösen, sie bestimmt uns zentral. Keine technische Entwicklung setzt dies außer Kraft. Was uns wirklich angeht, ist immer auf diesen Körper bezogen. Wenn uns die Beine weggezogen werden, stürzen wir. So einfach ist das – und so kompliziert.“ (zit. nach Ladleif 2010/2, 55). Ich suche im Internet den Namen Stelzmann. Karge Informationen. Stefan Weinert stellt mir den Katalog der besuchten Ausstellung zur Verfügung. Ich blättere und bleibe an den Großstadtbildern hängen, die im Gefolge von Otto Dix großflächig Stadtszenen inszenieren? Nein: ohne Wertung abbilden! Die bizarren Gestalten beziehungslos ineinander verhakt und jede für sich im Gewimmel echt in ihrer Individualität und offenbaren Ein-samkeit. Ich stoße auf sein Pfingstbild: „Das Pfingstbild“ (2001/02). Ur-plötzlich um die mysteriöse Gestalt eines mittelalterlichen Mönches: Kommunikation. Ein piktoralisiertes Sprachenwunder. (Zur Interpretation: Ladleif 2010/2, 52). Natürlich stellt sich die Assoziation „GroßSTADT-bild“ –„ InnenSTADTkirche“ ein. Die Tafeln scheinen mir eine visuelle Einladung zu sein, die Wirklichkeit wahrzunehmen und – wie der andere Thomas, der Aquinate: „omnis cogni-tio a sensibus“ (d.i.: „Alle Erkenntnis beginnt bei den Sinnen“) fordert und vorführt – angesichts ihrer und von ihr her zu denken.

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 Ich lese in dem zitierten Katalog von der „Hinterbühne“ (Beaucamp 2010,11), um die Stelzmann die Großstadtkunst der zwanziger Jahre er-gänzt habe. Dafür greift er auf das kunstgeschichtliche Gedächtnis zurück: Matthias Grünewald (1475-1528), Michelangelo Buonarotti (1475-1564), Lorenzo Lotto (1480-1557), Rosso Fiorentino (1494-1540), Jacobo da Pontormo (1494 – 1557), Francisco da Zubarán (1598-1664), Giorgio de Chirico (1888-1978) und Otto Dix (1891-1969) fungieren als „Mentoren und Ahnen“. Sie dürfen als erinnerter „Untergrund“ seiner figurativen Malerei begriffen werden. Mir kommt die Qualifizierung der Osterfeier als „memoria Domini“ in den Sinn, die wir erinnernd begehen und als Unter-grund und Hinterbühne unserer Erfahrungen aufschlagen. Dann erst stoße ich – nachdem ich mir antiquarisch neugierig weitere Aus-stellungskataloge und Veröffentlichungen besorgt habe – auf Stelzmanns biblische Bilder. Mittels der „Hinterbühne“ kleidet „Stelzmann die Leiden an der Gesellschaft vielfach in christliche Motive der Kreuztragung, der Kreuzigung und Kreuzabnahme“ (Beaucamp 2000, 13). So deutet der (sak-rale) Hintergrund den profan erlebten Vordergrund: „Er [Stelzmann] ist durchaus ein homo religiosus. (…) Das rein Religiöse wird in christlicher Thematik bekannt, einer Kreuzabnahme, einem Pfingstwunder, aber es äußert sich eher unauf-fällig auf symbolistische Weise. Eine ganz all-tägliche Leiter im Ate-lier kann (…) eine Lei-ter in die Katakomben sein; Menschen im Straßenverkehr eines Freitagabends, mit Bre-ttern aus dem Super-markt auf den Schul-tern, können an die Kreuztragung Jesu den-ken lassen.“ (Hoff-mann 2007, 33)

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 Ein biblisches Szenario tut sich auf: „Auferstehung II“ 1980 / „Gastmahl in Emmaus“ 1983/84 / „Auferstandener“ 1985 / „Die Berufenen“ 1988 / „Dreizehn Männer am Tisch“ 1988 / „Desposizione II“ 1992 / „Auferste-hung“ 1998 / / „Das Pfingstbild“ 2001/2 / „Pfingsten“ 2002 / „Abend-mahl“ 2004 / „Balken/Stangen“ 2006 / „Kruzifix“ 2007 / „Ecce homo“ 2010 … Ich will nicht zu schnell zugreifen. Doch die Idee steht. Der Fasten- und Osterzeit 2014 steht ein Stelzmann-Projekt. Aber die Rechte zur Reproduk-tion? Ich schreibe Volker Stelzmann und berichte von meinem Vorhaben. Er ist bereit auf sein Honorar zu verzichten, fragt aber nach, an welche Bilder wir dächten. Ich sende ihm einen Entwurf, den ich später dem Pfarrgemeinderat vorlege. Nicht ohne den Entscheidungsträgern Alterna-tiven zu den von mir ausgesuchten Bildern anzubieten. Eine intensive Dis-kussion nimmt ihren Lauf. Schließlich entsteht das Bildprogramm, das Sie in diesen Mitteilungen angekündigt finden und das Sie in der Fasten- und Osterzeit begleiten wird. Wir begleiten vier Gestalten aus dem Zyklus „Die Berufenen“ (1978) – gemeint sind mit den Berufenen die zwölf Apostel, die Jesus in seine Nachfolge berufen haben soll – auf ihrem Weg von Galiläa nach Jerusa-lem, der der Fastenzeit metaphorisch zu Grunde liegt und sie selbst als ebensolchen Weg ausweist. Wenn sie auch miteinander unterwegs sind und miteinander dargestellt sind, so eben doch auch und gerade als Einzelne: „Das, was sich hinter und in jeder Figur verbirgt, bleibt ein Rätsel, doch das große Mysterium, das sich hinter allen Dingen und in den Geschehnis-sen der Welt versteckt, könnte dank dieser ekstatischen Aura erfasst wer-den, die seine Szenen durchdringt, dank dieses Lichts, das zumindest in einigen Fällen den Zugang zum Werk weist und den Betrachter durch die aufeinander folgenden Entdeckungsetappen leitet.“ (Vanni 2000, 52). In den Berufenen – anderswo „12 Jedermanns“ genannt - finden wir uns wie-der und also auf dem Weg. Heuer bieten sich als Identifikationsfiguren Andreas, Petrus, Johannes und Judas an.

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 Der Erste Fastensonntag könnte unter dem Titel „Dreizehn Männer“ (2004) dem Aufbruch der Zwölf gelten, die sich anschicken dem Nazarener nach Jerusalem zu folgen. Am Palmsonntag lesen wir die Passion bis zum „Ecce homo“ des Pilatus, mit dem er auf den Dornengekrönten und Verhöhnten weist. Das 2010 entstandene Gemälde lässt uns in IHM den Menschen in seinem vielgestal-tigen Leiden und Zuständlichkeiten erkennen. Das Abendmahlsgeschehen findet sich in der Tafel „Dreizehn Männer am Tisch“ (1988) dargestellt. Der leere Tisch erscheint aufgrund seiner Leuchtkraft als „wärmende Tischplatte“, die zwischen ihnen aufleuchtet. Er korrespondiert dem naturalistischen Abendmahlsbild (2004), das auf den ersten Blick wie eine Persiflage des von der DDR-Führung propagier-ten sozialistischen Realismus daherkommt, bei genauerem Hinsehen aber

    das Abendmahlsgeschehen in der Realität situiert und an-kommen sieht. Wie schon in den Jahren zuvor zieren am Karfreitag zwei „Kreuzbilder“ den Altarraum und laden mit dieser Alternati-ve zur individuellen Kreuzver-ehrung ein. Die Horizontalbil-der „Desposizione II“ (1992) und „Kruzifix“ (2007) stehen sich gegenüber. Geheimnisvoll vor dunklem Hintergrund: der Gekreuzigte und wir. Die Osternacht taucht geheim-nisvoll aus dem „Dämmer“ (1989) auf. Ich lasse dem italie-

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 nischen Kunstkritiker Maurizio Vanni das Wort: „Es ist kein Zufall, wenn alle Personen seiner Werke durch den Einsatz von theatralischen Lichtef-fekten aus dem Hintergrund hervortreten: Ideales Licht und erinnertes Licht werden durch ein natürliches Licht vereint, vorgeführt in der Hoff-nung auf ein erneuerndes Aggregat, das in einem Raum an der Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen real und realistisch, wahr und wahrscheinlich lebt.“ (Vanni 2007, 52). Der Ostermorgen ist nicht darstellbar. Wenn Stelzmann – der Figurative – sich auch nicht scheut den Auferstandenen figural – gar im Modus des Selbstbildnisses (Goethe: „Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden“) - darzustellen, nehmen wir Zuflucht zu „Mit Aufblickendem“ (1999), weil wir uns als solche erfahren. Der Aufblicken-de schaut aus dem Fenster der Nacht ins horizontgebende Oben. Im realen Vordergrund des Ostergemäldes nehmen uns der Auferstandene und Maria aus Magdala innig gefangen, so dass die Hoffnung blüht, dass Auferste-hung sich in der Realität oder der Wirklichkeit vollzieht: „Seine Passions-bilder sind nicht zu fassen als ein Weggehen vom Heute. In ihnen finden Erkenntnisse, Erfahrungen, Enttäuschungen und auch Hoffnungen eines Zeitgenossen Ausdruck und Sprache, der sie groß in Bildern formuliert, um vielleicht anderen – den Betrachtern – hilfreich sein zu können in ihren Bedrängnissen und Ängsten und auch darum, ihre Kräfte zu stärken zur Überwindung dieser Lebenshemmnisse. Nicht Resignation oder gar Ver-zweiflung, vielmehr Hinwendung zu menschlichem Leben, das alles um-fasst: Freude und Leid, Leben und Sterben, Licht und Finsternis – das ist der Sinn seiner Bilder.“ (Behrends 1985, 16). Das Emmausbild „Gastmahl in Emmaus“ (1983/84) und das Pfingstbild „Pfingsten“ (2001/02) runden das Projekt ab und beschließen die Osterzeit. Und nun? Nun heißt es Ihre Geschichte mit den Stelzmannschen Gemälden schreiben, erleben, verbinden. Wie immer: „Bilder sind Wege!“ Warum? Weil ER selbst in Christus ein Bild von sich abgegeben hat, das in Stelz-manns Bildern Aufnahme und Interpretation fand. Darüber hinaus oder darin brachte er Gottes Ebenbild in Verbindung mit der Moderne oder gar

  • STELZMANN PROJEKT FASTEN | OSTERN 2014 der Postmoderne. Das ist Verkündigung: „Stelzmann ist der seltene Fall eines Malers, der die zeitgenössische wie die biblische Historie beherrscht und vor allem eine Durchdringung beider Sphären bewerkstelligt“ (Beaucamp 2010, 11).

    Thomas Krenski Bildnachweis | Rechte bei Volker Stelzmann Volker Stelzmann: Die Berufenen: Thomas (1988) Volker Stelzmann: Auf der Leiter (2006) Volker Stelzmann: Dämmer (1989)