Retrofonts

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Inhalt Der »Retrodesign-Setzkasten«! Retro ist Trend. Neben Flowerpower und Eightieslook feiert das Bauhaus Jubiläum und Comeback: Fin de Siècle zu Beginn des Jahrtausends. Formen, Stil-Elemente und die jeweils zugrunde liegenden Wertewelten präsentiert Retrodesign. Welche Type aber passt zur Fifties-Lounge-Einladung, in welcher Schrift setze ich die gute alte Zeit des Historismus? Welche Alternativen zu den »üblichen Verdächtigen« gibt es und wo finde ich sie? Gregor Stawinski hat sich auf die Suche gemacht und stellt in seiner über 600-seitigen Retrotype-Bibel die Top-400-Retrofonts der Stilepochen vom Historismus bis in die Eighties vor, oft mit historischen oder modernen Anwendungen, immer mit Bezugsquelle – und als i-Tüpfelchen legt er eine CD mit 222 Retro-Freefonts bei. Viel Spaß bei Ihrer typografischen Zeitreise in die Zukunft wünschen wir Ihnen! www.retrofonts.de

Transcript of Retrofonts

Page 1: Retrofonts
Page 2: Retrofonts

R E T RO F ON T S

Page 3: Retrofonts

R E T RO F ON T S

Page 4: Retrofonts

V E R L A G H E R M A N N S C H M I D T

M A I N Z

G R E G O R S T A W I N S K I

Page 5: Retrofonts

V E R L A G H E R M A N N S C H M I D T

M A I N Z

G R E G O R S T A W I N S K I

Page 6: Retrofonts

5

vorwort

Herzlich willkommen zu einer typografischen Zeitreise!

Schrift codiert Zeitgeist! Welche Schrift aber

bringt den Swing der Sixties, die Flower Power

der Siebziger oder den Punk der Eighties in die

Gestaltung von heute?

Gregor Stawinski hat für Sie über 400

Fonts aus 100 Jahren zusammengetragen und

nach Stil-Epochen sortiert – dabei geht es

weniger um kunsthistorische Korrektheit als

um die Verortung im kollektiven Gedächtnis.

Nicht das Jahr, in dem die Schrift entstand, ist

entscheidend, sondern das Jahrzehnt, das sie

prägte (und das kann deutlich auseinander-

liegen – nicht jede Schrift setzt sich derart

schnell und dominant durch wie seinerzeit die

Rotis Seite 545 und 551).

Weil die vorgestellten Schriften den Spirit

einer Epoche atmen, nennen wir das vor-

liegende Buch Retrofonts, auch wenn diese

Bezeichnung nur für den Teil der Schriften

korrekt sein kann, die heute von begeister-

ten Schriftmusterbuch-Sammlern und enga-

gierten Typedesignern im Retrolook neu ent-

worfen werden. Daneben zeigt dieses Buch

Schriften, die Epochen prägten. Unvergessene

Klassiker und Typen, die wiederzuentdecken

sich lohnt, Schriften auf dem Sprungbrett zum

Revival und Displaytypes, die homöopatischer

Dosierung bedürfen: das Zitronengras unter

den Fonts … Um Ihnen ein möglichst breites

Spektrum an Schriften zu präsentieren, haben

wir auch solche aufgenommen, die nicht per-

fekt ausgebaut sind, Schriften, die dem fach-

männisch-kritischen Blick aufs Einzelzeichen

nicht standhielten. Hier geht es um den Look.

Dafür komponiert Stawinski 600 Seiten aus

fiktiven Schriftmusterbüchern der Jahrzehn-

te und würzt sie mit historischen und heu-

tigen Anwendungsbeispielen und schult so

Ihren Blick.

Da möchten Sie am liebsten gleich selbst

loslegen? Eine CD mit 222 Freefonts macht’s

möglich – und Lust aufs Stöbern mit geschärf-

tem Blick bei Linotype, fontshop & Co.

Viel Freude mit »type of the time« wünschen

Karin und Bertram Schmidt-Friderichs

PS: Manche Schriften, die wir gern im Buch

gehabt hätten, fehlen. Wir können nur zeigen,

was wir freigegeben bekommen. Wir dan-

ken all den Foundries, die uns den Abdruck

ihrer Schriften in diesem Buch erlaubten, und

den Designern, die ihre Fonts für die CD frei-

gaben. Auch Freefonts haben Nutzungsbe-

stimmungen, beachten Sie bitte auf der CD

eventuelle Einschränkungen der kommer-

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5

vorwort

Herzlich willkommen zu einer typografischen Zeitreise!

Schrift codiert Zeitgeist! Welche Schrift aber

bringt den Swing der Sixties, die Flower Power

der Siebziger oder den Punk der Eighties in die

Gestaltung von heute?

Gregor Stawinski hat für Sie über 400

Fonts aus 100 Jahren zusammengetragen und

nach Stil-Epochen sortiert – dabei geht es

weniger um kunsthistorische Korrektheit als

um die Verortung im kollektiven Gedächtnis.

Nicht das Jahr, in dem die Schrift entstand, ist

entscheidend, sondern das Jahrzehnt, das sie

prägte (und das kann deutlich auseinander-

liegen – nicht jede Schrift setzt sich derart

schnell und dominant durch wie seinerzeit die

Rotis Seite 545 und 551).

Weil die vorgestellten Schriften den Spirit

einer Epoche atmen, nennen wir das vor-

liegende Buch Retrofonts, auch wenn diese

Bezeichnung nur für den Teil der Schriften

korrekt sein kann, die heute von begeister-

ten Schriftmusterbuch-Sammlern und enga-

gierten Typedesignern im Retrolook neu ent-

worfen werden. Daneben zeigt dieses Buch

Schriften, die Epochen prägten. Unvergessene

Klassiker und Typen, die wiederzuentdecken

sich lohnt, Schriften auf dem Sprungbrett zum

Revival und Displaytypes, die homöopatischer

Dosierung bedürfen: das Zitronengras unter

den Fonts … Um Ihnen ein möglichst breites

Spektrum an Schriften zu präsentieren, haben

wir auch solche aufgenommen, die nicht per-

fekt ausgebaut sind, Schriften, die dem fach-

männisch-kritischen Blick aufs Einzelzeichen

nicht standhielten. Hier geht es um den Look.

Dafür komponiert Stawinski 600 Seiten aus

fiktiven Schriftmusterbüchern der Jahrzehn-

te und würzt sie mit historischen und heu-

tigen Anwendungsbeispielen und schult so

Ihren Blick.

Da möchten Sie am liebsten gleich selbst

loslegen? Eine CD mit 222 Freefonts macht’s

möglich – und Lust aufs Stöbern mit geschärf-

tem Blick bei Linotype, fontshop & Co.

Viel Freude mit »type of the time« wünschen

Karin und Bertram Schmidt-Friderichs

PS: Manche Schriften, die wir gern im Buch

gehabt hätten, fehlen. Wir können nur zeigen,

was wir freigegeben bekommen. Wir dan-

ken all den Foundries, die uns den Abdruck

ihrer Schriften in diesem Buch erlaubten, und

den Designern, die ihre Fonts für die CD frei-

gaben. Auch Freefonts haben Nutzungsbe-

stimmungen, beachten Sie bitte auf der CD

eventuelle Einschränkungen der kommer-

Page 8: Retrofonts

6 7

vorwortvorwort

This is your Captain speakingÜber Retro, Fonts und Retrofonts

gebracht. Auch finden wir unter den Punks der

Achtziger ab Seite 536 keine ausgebildeten Gra-

fiker, die ihr Trash-Design sorgfältig gesetzt

haben. Die solchen Stilepochen zugeordne-

ten Schriften simulieren diese Trends, und es

gilt zu entscheiden, ob man nicht doch lieber

selbst zum Stift greift, ehe ein Font installiert

wird. Ebenso wie der Zweck zu entscheiden

hat, wann ein Freefont sinnvoll ist, oder eben

doch besser ein professionell zugerichteter

Font, der im Zweifel Zeit und Nerven spart.

Viele der vorgestellten Fonts stehen in

mehreren Schnitten zur Verfügung – die Über-

legung alle abzubilden scheiterte spätestens

bei der guten Univers Seite 407. Insofern werden

in der Regel die für die jeweilige Epoche prä-

genden Schnitte vorgestellt. Davon unbeein-

druckt versammeln sich auf der beigefügten

CD alle angebotenen Freefont-Schnitte und

warten darauf, für Ihr Retrodesign erprobt zu

werden. Oder für jedes andere Design – wie

gesagt kann der Reiz auch darin bestehen, die

Schriften jenseits ihres zeitlichen Kontextes

neu zu interpretieren.

Ehe nun Ihre Reise beginnt, möchte ich

denjenigen danken, die bei den Reisevorberei-

tungen geholfen haben. Zunächst natürlich all

den Schriftentwerfern, die unser umfangrei-

ches Schriftenerbe aus schweren Musterbü-

chern ins digitale Zeitalter überführt haben.

Ganz besonders denjenigen, die uns erlaub-

ten ihre Schriften auf CD mitzuliefern. Dank

an alle Foundries und Studios, die uns ihre

Schriften und Bilder für dieses Buch zur Verfü-

gung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt

Thomas Heyl und Michael Keller, die mich bei

den Recherchen geduldig unterstützt haben

und aus deren Archiven so manche historische

Abbildung ihren Weg in diese Publikation ge-

funden hat. Danke auch an Brigitte Raab vom

Verlag Hermann Schmidt Mainz für die Koor-

dination dieses Projektes. Und natürlich danke

ich Karin und Bertram Schmidt-Friderichs, die

dieses Projekt möglich gemacht haben. Nicht

zuletzt, sondern von ganzem Herzen, danke

ich Joanna Krettek, die dieser Buchidee seit Jah-

ren ihr aufmerksames Ohr und ihre kritische

Stimme leiht.

Gregor Stawinski

Sind Futura Seite 230 und Helvetica Seite 436 Retro?

Sicher nicht! Oder doch eher: Aber natürlich!?

Ob eine Schrift »Retro« ist, entscheidet erst der

Kontext, in dem sie eingesetzt wird. Lassen sich

doch auch vermeintlich sachliche und emo-

tionslose Typen mit den richtigen Zutaten –

etwa Farbe und Komposition – für Retrodesign

wunderbar verwenden. Andersherum offenba-

ren auch die kitschigsten und augenscheinlich

zeitgeistigen Alphabete in der Hand des ge-

schickten Gestalters moderne Assoziationen.

Dennoch gelingt die typografische Zeitrei-

se, wenn – wie für diesen Band geschehen –

die beliebtesten Typotrends der jeweiligen Ge-

staltungsepochen aus Hoch-, Sub- und Mas-

senkultur zusammengetragen und bilderreich

präsentiert werden. Dann bietet die Revue der

bewegten Typografie-Geschichte des 19. und

20. Jahrhunderts spannende Erkenntnisse,

lehrreiche Zusammenhänge oder darf auch

einfach nur Spaß machen.

Die Anwendungsbeispiele zeigen, in wel-

chem Kontext die Schriften eingesetzt wur-

den, wie sie in Komposition mit Bild, Farbe

und Form standen. Mitunter wurde die Schrift

natürlich gar nicht gesetzt, sondern – wie es

zum Beispiel in den Fünfzigern ab Seite 332 gerne

geschah – mit spontanem Pinselschwung oder

geschult geführter Kalligraphie-Feder zu Papier

Page 9: Retrofonts

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vorwortvorwort

This is your Captain speakingÜber Retro, Fonts und Retrofonts

gebracht. Auch finden wir unter den Punks der

Achtziger ab Seite 536 keine ausgebildeten Gra-

fiker, die ihr Trash-Design sorgfältig gesetzt

haben. Die solchen Stilepochen zugeordne-

ten Schriften simulieren diese Trends, und es

gilt zu entscheiden, ob man nicht doch lieber

selbst zum Stift greift, ehe ein Font installiert

wird. Ebenso wie der Zweck zu entscheiden

hat, wann ein Freefont sinnvoll ist, oder eben

doch besser ein professionell zugerichteter

Font, der im Zweifel Zeit und Nerven spart.

Viele der vorgestellten Fonts stehen in

mehreren Schnitten zur Verfügung – die Über-

legung alle abzubilden scheiterte spätestens

bei der guten Univers Seite 407. Insofern werden

in der Regel die für die jeweilige Epoche prä-

genden Schnitte vorgestellt. Davon unbeein-

druckt versammeln sich auf der beigefügten

CD alle angebotenen Freefont-Schnitte und

warten darauf, für Ihr Retrodesign erprobt zu

werden. Oder für jedes andere Design – wie

gesagt kann der Reiz auch darin bestehen, die

Schriften jenseits ihres zeitlichen Kontextes

neu zu interpretieren.

Ehe nun Ihre Reise beginnt, möchte ich

denjenigen danken, die bei den Reisevorberei-

tungen geholfen haben. Zunächst natürlich all

den Schriftentwerfern, die unser umfangrei-

ches Schriftenerbe aus schweren Musterbü-

chern ins digitale Zeitalter überführt haben.

Ganz besonders denjenigen, die uns erlaub-

ten ihre Schriften auf CD mitzuliefern. Dank

an alle Foundries und Studios, die uns ihre

Schriften und Bilder für dieses Buch zur Verfü-

gung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt

Thomas Heyl und Michael Keller, die mich bei

den Recherchen geduldig unterstützt haben

und aus deren Archiven so manche historische

Abbildung ihren Weg in diese Publikation ge-

funden hat. Danke auch an Brigitte Raab vom

Verlag Hermann Schmidt Mainz für die Koor-

dination dieses Projektes. Und natürlich danke

ich Karin und Bertram Schmidt-Friderichs, die

dieses Projekt möglich gemacht haben. Nicht

zuletzt, sondern von ganzem Herzen, danke

ich Joanna Krettek, die dieser Buchidee seit Jah-

ren ihr aufmerksames Ohr und ihre kritische

Stimme leiht.

Gregor Stawinski

Sind Futura Seite 230 und Helvetica Seite 436 Retro?

Sicher nicht! Oder doch eher: Aber natürlich!?

Ob eine Schrift »Retro« ist, entscheidet erst der

Kontext, in dem sie eingesetzt wird. Lassen sich

doch auch vermeintlich sachliche und emo-

tionslose Typen mit den richtigen Zutaten –

etwa Farbe und Komposition – für Retrodesign

wunderbar verwenden. Andersherum offenba-

ren auch die kitschigsten und augenscheinlich

zeitgeistigen Alphabete in der Hand des ge-

schickten Gestalters moderne Assoziationen.

Dennoch gelingt die typografische Zeitrei-

se, wenn – wie für diesen Band geschehen –

die beliebtesten Typotrends der jeweiligen Ge-

staltungsepochen aus Hoch-, Sub- und Mas-

senkultur zusammengetragen und bilderreich

präsentiert werden. Dann bietet die Revue der

bewegten Typografie-Geschichte des 19. und

20. Jahrhunderts spannende Erkenntnisse,

lehrreiche Zusammenhänge oder darf auch

einfach nur Spaß machen.

Die Anwendungsbeispiele zeigen, in wel-

chem Kontext die Schriften eingesetzt wur-

den, wie sie in Komposition mit Bild, Farbe

und Form standen. Mitunter wurde die Schrift

natürlich gar nicht gesetzt, sondern – wie es

zum Beispiel in den Fünfzigern ab Seite 332 gerne

geschah – mit spontanem Pinselschwung oder

geschult geführter Kalligraphie-Feder zu Papier

Page 10: Retrofonts

8 9

609610611612616619623624

AnhangLiteraturverzeichnis

Copyright

Register der Schriften

Register der Schriftentwerfer

Register der Foundries

Register der Abbildungen

Impressum

Gründerzeit und Gold Rush

Historismus

ca. 1830–19001. 10

Fin de Siècle und Simplicissimus

Jugendstil und Japonismus

ca. 1890–19182. 80

Kino, Jazz und Bubikopf

Art déco und Plakatstil

ca. 1918–19333. 146

Walkman, Zauberwürfel und Null Bock

Postmoderne und Punk

ca. 1975–19909. 536

Flower Power und Revolte

Pop und Disco

ca. 1968–19808. 456

Wirtschaftswunder und Mondlandung

Schweizer Typografi e und Space Age

ca. 1955–19687. 396

Petticoat und Rock ’n’Roll

Organisches Design und kalligrafi scher Stil

ca. 1945–19606. 332

Führerkult und Volksempfänger

Traditionsverbundene Typografi e

ca. 1933–19455. 268

Tschichold und Bauhaus

Elementare Typografi e und Konstruktivismus

ca. 1918–19334. 224

Inhalt

inhalt inhalt

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8 9

609610611612616619623624

AnhangLiteraturverzeichnis

Copyright

Register der Schriften

Register der Schriftentwerfer

Register der Foundries

Register der Abbildungen

Impressum

Gründerzeit und Gold Rush

Historismus

ca. 1830–19001. 10

Fin de Siècle und Simplicissimus

Jugendstil und Japonismus

ca. 1890–19182. 80

Kino, Jazz und Bubikopf

Art déco und Plakatstil

ca. 1918–19333. 146

Walkman, Zauberwürfel und Null Bock

Postmoderne und Punk

ca. 1975–19909. 536

Flower Power und Revolte

Pop und Disco

ca. 1968–19808. 456

Wirtschaftswunder und Mondlandung

Schweizer Typografi e und Space Age

ca. 1955–19687. 396

Petticoat und Rock ’n’Roll

Organisches Design und kalligrafi scher Stil

ca. 1945–19606. 332

Führerkult und Volksempfänger

Traditionsverbundene Typografi e

ca. 1933–19455. 268

Tschichold und Bauhaus

Elementare Typografi e und Konstruktivismus

ca. 1918–19334. 224

Inhalt

inhalt inhalt

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gründerzeit und gold rush

10

historismus

11

11830

—1900

1111—

111900

1Linotype Setzmaschine

aus dem Jahr 1870

Pepperwood

Chansler, Crossgrove, Twombly

1994 | Seite 30

H

JF Ringmaster

Jester Font Studio

2001 | Seite 17111111 Das 1871 aus dem Deutsch-Französischen Krieg als Sieger-

macht hervorgehende Deutschland erlebt im ausgehenden

19. Jahrhundert eine neue Art des bürgerlichen Selbst-

bewusstseins. Es fl ießen hohe Reparationsleistungen ins

Land, die der Wirtschaft des Deutschen Reiches einen vor-

her nicht gekannten Aufschwung bescheren. Mit reichem

Dekor und üppiger Ornamentik repräsentiert man sich

nach außen, dem Lebensstil des Adels nacheifernd, sich

stilistisch vorangegangener Epochen von Romanik bis Ba-

rock bedienend. Dieser historisierende Stil fi ndet Eingang

in Architektur und Kunst, in Mode und Kunsthandwerk

und spiegelt sich auch in der Typografi e wider.

1 Gründerzeit und Gold RushHistorismuscirca 1830–1900

HISTORISMUS

GRÜNDERZEIT

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gründerzeit und gold rush

10

historismus

11

11830

—1900

1111—

111900

1Linotype Setzmaschine

aus dem Jahr 1870

Pepperwood

Chansler, Crossgrove, Twombly

1994 | Seite 30

H

JF Ringmaster

Jester Font Studio

2001 | Seite 17111111 Das 1871 aus dem Deutsch-Französischen Krieg als Sieger-

macht hervorgehende Deutschland erlebt im ausgehenden

19. Jahrhundert eine neue Art des bürgerlichen Selbst-

bewusstseins. Es fl ießen hohe Reparationsleistungen ins

Land, die der Wirtschaft des Deutschen Reiches einen vor-

her nicht gekannten Aufschwung bescheren. Mit reichem

Dekor und üppiger Ornamentik repräsentiert man sich

nach außen, dem Lebensstil des Adels nacheifernd, sich

stilistisch vorangegangener Epochen von Romanik bis Ba-

rock bedienend. Dieser historisierende Stil fi ndet Eingang

in Architektur und Kunst, in Mode und Kunsthandwerk

und spiegelt sich auch in der Typografi e wider.

1 Gründerzeit und Gold RushHistorismuscirca 1830–1900

HISTORISMUS

GRÜNDERZEIT

Page 14: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

12 13

historismus

1 Von besonderer Bedeutung ist die schon 1798 von Alois

Senefelder erfundene Lithografi e. Mit Hilfe des fl achge-

schliffenen Steins ist es nun möglich, sich frei auszudrü-

cken – ohne Bindung an ein bestimmtes Werkzeug. Diese

neu gewonnene Freiheit befl ügelt zu kreativen Zier-Alpha-

beten und reich geschmückten Seiten, die auch Schrift-

setzer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln

nachzuahmen versuchen. So werden mit Vorliebe groß-

zügig dekorierte Schriftarten, Schmuckleisten und üppige

Ornamente verwendet, die im Bleisatz zu diesem Zweck

vorfabriziert wurden.

Es ist das Zeitalter der industriellen Revolution.

Industrie, Städtebau, Verkehr und Konsum entwickeln

sich rasant. Gleichzeitig feiert die junge Markenartikel-

industrie ihren raschen Aufschwung und überschwemmt

den Markt mit immer neuen Produkten, die dem Kon-

sumenten schmackhaft gemacht werden müssen. Dies

war die Geburtsstunde der Reklameindustrie. Um neben

der konkurrierenden Drucksache aufzufallen, bedarf es

neuer Schriften.

So entstehen zahlreiche formale Experimente auf dem

Gebiet der Zierschriften. Aber auch die heute so beliebte

serifenlose Schrift entsteht im 19. Jahrhundert. Der Höhe-

punkt der serifenbetonten Schriften liegt ebenfalls in der

Epoche der Gründerzeit. Neben den sogenannten Egyp-

tienne-Schriften entstehen Italienne und Etienne.

Gründerzeit und Gold RushHistorismuscirca 1830–1900

Prinzregententheater München,

Theaterzettel, 1846 Thorne Shaded

Dieter Steffmann

2002 | Seite 18

11HISTORISMUS

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gründerzeit und gold rush

12 13

historismus

1 Von besonderer Bedeutung ist die schon 1798 von Alois

Senefelder erfundene Lithografi e. Mit Hilfe des fl achge-

schliffenen Steins ist es nun möglich, sich frei auszudrü-

cken – ohne Bindung an ein bestimmtes Werkzeug. Diese

neu gewonnene Freiheit befl ügelt zu kreativen Zier-Alpha-

beten und reich geschmückten Seiten, die auch Schrift-

setzer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln

nachzuahmen versuchen. So werden mit Vorliebe groß-

zügig dekorierte Schriftarten, Schmuckleisten und üppige

Ornamente verwendet, die im Bleisatz zu diesem Zweck

vorfabriziert wurden.

Es ist das Zeitalter der industriellen Revolution.

Industrie, Städtebau, Verkehr und Konsum entwickeln

sich rasant. Gleichzeitig feiert die junge Markenartikel-

industrie ihren raschen Aufschwung und überschwemmt

den Markt mit immer neuen Produkten, die dem Kon-

sumenten schmackhaft gemacht werden müssen. Dies

war die Geburtsstunde der Reklameindustrie. Um neben

der konkurrierenden Drucksache aufzufallen, bedarf es

neuer Schriften.

So entstehen zahlreiche formale Experimente auf dem

Gebiet der Zierschriften. Aber auch die heute so beliebte

serifenlose Schrift entsteht im 19. Jahrhundert. Der Höhe-

punkt der serifenbetonten Schriften liegt ebenfalls in der

Epoche der Gründerzeit. Neben den sogenannten Egyp-

tienne-Schriften entstehen Italienne und Etienne.

Gründerzeit und Gold RushHistorismuscirca 1830–1900

Prinzregententheater München,

Theaterzettel, 1846 Thorne Shaded

Dieter Steffmann

2002 | Seite 18

11HISTORISMUS

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gründerzeit und gold rush

14 15

historismus

Schriftarten

Neben Antiqua- und Frakturschriften verwendet man ins-

besondere klassizistische Antiqua (extrafett und ultracon-

densed), Egyptienne, Italienne und Etienne, Schreib- und

Gravurschriften, kalligrafi sche Schriften, Groteskschrif-

ten (in Versalsatz), dekorative Zierschriften (amerikani-

sche Zierschriften) und plastische Schriftarten.

Schriftmischung/Satz

Viele Schriftarten werden miteinander gemischt. Auch

die Schriftgrade wechseln häufi g. Oft verwendet man

sogar für jede Zeile eine neue Schriftart und einen anderen

Schriftgrad.

Hauptsächlich wird auf Mittelachse gesetzt. Dane-

ben kommen Schräg, Rund- und Bogensatz zum Einsatz.

Für diese Zeilen greift man dann gerne zu dekorativen

Schnitten.

Ornamente

Historisierende Ornamente, Rahmenschmuck und deko-

rative Linien sind äußerst beliebt. Üppige Illustrationen

sind ebenfalls in Mode.

Merkmale

1zu

m B

eisp

iel:

Egy

pti

entt

o2

Bum

bayo

Fon

t Fab

rik

2005

| S

eite

44

111Egyptientto2Egyptienne Merkmale

Die Egyptienne wurde als Anzeigen- und Reklame-schrift aus der klassizistischen Antiqua entwickelt. Ihre Serifen sind kräftig ausgeprägt und wirken optisch fast so stark wie ihre Grundstriche.

zum

Bei

spie

l:

Pon

dero

sa

Ch

ansl

er, C

ross

grov

e

Twom

bly

1990

| S

eite

76

111P o n d e r o s aItalienne Merkmale

Bei der Italienne wurde das Prinzip der Serifen-betonung bis ins Extreme geführt, so dass die Serifen schließlich stärker ausgeprägt sind als die Senkrechten. Sie war vor allem in Amerika beliebt.

zum

Bei

spie

l:

Cla

ren

don

BT

Bla

ck

H. E

iden

ben

z

1953

| S

eite

79111Clarendon

Etienne Merkmale

Die Etienne wirkt im Vergleich zu anderen Serifen-betonten recht elegant. Da sie dennoch über stabile Serifen verfügt, empfahl sie sich besonders für den Zeitungssatz des 19. Jahrhunderts.

zum

Bei

spie

l:

Pop

lar

Bar

bara

Lin

d

1990

| S

eite

34111Poplar

Serifenlose Schriften Merkmale

Auch die serifenlose Schrift entstand im 19. Jahrhundert. Sie wurde von der klassizistischen Antiqua abgeleitet und hauptsächlich in fetten Graden und Versalien gesetzt.

zum

Bei

spie

l:

Com

mer

cial

Scr

ipt

Mor

ris

Full

er B

ento

n

1908

| S

eite

52111Commercial Script

Gravur-Schriften Merkmale

Ihre Form ergibt sich aus der Technik des Gravierens. Hauptsächlich Schreibschriften, aber auch Versal-Alphabete, die von der Antiqua abgelei-tet sind, haben es ins digitale Zeitalter geschafft.

zum

Bei

spie

l:

Mad

ame

J. G

illé

1820

| S

eite

27111MADame

Dekorative Zierschriften Merkmale

Während des 19. Jahrhunderts entstehen viele durch die Lithografi e ins Interesse gerückte Zier-Alphabete, deren Aufgabe eher Dekoration als Lesbarkeit ist. Sie sind oft plastisch ausgeformt.

zum

Bei

spie

l:

Kai

serz

eit-

Got

isch

Die

ter

Stef

fman

n

2001

| S

eite

49

111Gebrochene Schriften Merkmale

Namensgebend sind ihre »gebrochen« wirkenden Rundformen. Ob für den Mengensatz, als deko-rative Zierschriften oder ornamental ausgeformte Initialen sind sie prägend für das 19. Jahrhundert.

zum

Bei

spie

l:

Nor

man

de B

T

H. B

erth

old

1860

| S

eite

19

111NormandeKlassizistische Antiqua Merkmale

Die klassizistische Antiqua zeichnet sich durch den starken Kontrast zwischen starken Grundstrichen und sehr feinen Haarlinien aus. Die Schriftachse der Rundformen steht präzise senkrecht.

Schriften

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gründerzeit und gold rush

14 15

historismus

Schriftarten

Neben Antiqua- und Frakturschriften verwendet man ins-

besondere klassizistische Antiqua (extrafett und ultracon-

densed), Egyptienne, Italienne und Etienne, Schreib- und

Gravurschriften, kalligrafi sche Schriften, Groteskschrif-

ten (in Versalsatz), dekorative Zierschriften (amerikani-

sche Zierschriften) und plastische Schriftarten.

Schriftmischung/Satz

Viele Schriftarten werden miteinander gemischt. Auch

die Schriftgrade wechseln häufi g. Oft verwendet man

sogar für jede Zeile eine neue Schriftart und einen anderen

Schriftgrad.

Hauptsächlich wird auf Mittelachse gesetzt. Dane-

ben kommen Schräg, Rund- und Bogensatz zum Einsatz.

Für diese Zeilen greift man dann gerne zu dekorativen

Schnitten.

Ornamente

Historisierende Ornamente, Rahmenschmuck und deko-

rative Linien sind äußerst beliebt. Üppige Illustrationen

sind ebenfalls in Mode.

Merkmale

1zu

m B

eisp

iel:

Egy

pti

entt

o2

Bum

bayo

Fon

t Fab

rik

2005

| S

eite

44

111Egyptientto2Egyptienne Merkmale

Die Egyptienne wurde als Anzeigen- und Reklame-schrift aus der klassizistischen Antiqua entwickelt. Ihre Serifen sind kräftig ausgeprägt und wirken optisch fast so stark wie ihre Grundstriche.

zum

Bei

spie

l:

Pon

dero

sa

Ch

ansl

er, C

ross

grov

e

Twom

bly

1990

| S

eite

76

111P o n d e r o s aItalienne Merkmale

Bei der Italienne wurde das Prinzip der Serifen-betonung bis ins Extreme geführt, so dass die Serifen schließlich stärker ausgeprägt sind als die Senkrechten. Sie war vor allem in Amerika beliebt.

zum

Bei

spie

l:

Cla

ren

don

BT

Bla

ck

H. E

iden

ben

z

1953

| S

eite

79111Clarendon

Etienne Merkmale

Die Etienne wirkt im Vergleich zu anderen Serifen-betonten recht elegant. Da sie dennoch über stabile Serifen verfügt, empfahl sie sich besonders für den Zeitungssatz des 19. Jahrhunderts.

zum

Bei

spie

l:

Pop

lar

Bar

bara

Lin

d

1990

| S

eite

34111Poplar

Serifenlose Schriften Merkmale

Auch die serifenlose Schrift entstand im 19. Jahrhundert. Sie wurde von der klassizistischen Antiqua abgeleitet und hauptsächlich in fetten Graden und Versalien gesetzt.

zum

Bei

spie

l:

Com

mer

cial

Scr

ipt

Mor

ris

Full

er B

ento

n

1908

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eite

52111Commercial Script

Gravur-Schriften Merkmale

Ihre Form ergibt sich aus der Technik des Gravierens. Hauptsächlich Schreibschriften, aber auch Versal-Alphabete, die von der Antiqua abgelei-tet sind, haben es ins digitale Zeitalter geschafft.

zum

Bei

spie

l:

Mad

ame

J. G

illé

1820

| S

eite

27111MADame

Dekorative Zierschriften Merkmale

Während des 19. Jahrhunderts entstehen viele durch die Lithografi e ins Interesse gerückte Zier-Alphabete, deren Aufgabe eher Dekoration als Lesbarkeit ist. Sie sind oft plastisch ausgeformt.

zum

Bei

spie

l:

Kai

serz

eit-

Got

isch

Die

ter

Stef

fman

n

2001

| S

eite

49

111Gebrochene Schriften Merkmale

Namensgebend sind ihre »gebrochen« wirkenden Rundformen. Ob für den Mengensatz, als deko-rative Zierschriften oder ornamental ausgeformte Initialen sind sie prägend für das 19. Jahrhundert.

zum

Bei

spie

l:

Nor

man

de B

T

H. B

erth

old

1860

| S

eite

19

111NormandeKlassizistische Antiqua Merkmale

Die klassizistische Antiqua zeichnet sich durch den starken Kontrast zwischen starken Grundstrichen und sehr feinen Haarlinien aus. Die Schriftachse der Rundformen steht präzise senkrecht.

Schriften

Page 18: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

16 17

historismus

DICKE BERTAABCDEfghijklm

nopqrstuvwxyz

1234567890„& ! ? $ : ; "

JF RingmasterJester Font Studio, 2001www.dafont.com

CD

JF RINGMASTER

75 Punkt

45 Punkt

Breitkopf & Härtel,

Notenbuch, um 1850

Page 19: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

16 17

historismus

DICKE BERTAABCDEfghijklm

nopqrstuvwxyz

1234567890„& ! ? $ : ; "

JF RingmasterJester Font Studio, 2001www.dafont.com

CD

JF RINGMASTER

75 Punkt

45 Punkt

Breitkopf & Härtel,

Notenbuch, um 1850

Page 20: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

18 19

historismus

Jedermann kann fahren ohne gelernt zu

haben in dem auf dem Schaubudenplatze neu

konstruierten Amerikanischen

Velocipéde-Circus

ABCDEFGHIJKLMNOPQRST

UVWXYZabcdefghijklm

nopqrstuvwxyzäöü 1234567890

([„&fiflß!?$£§†”])

NORMANDE BT

Normande BTH. Berthold, 1860www.bertholdtypes.com

15 Punkt

36 Punkt

engraved

probablyabout 1810

THORNE SHADED

Thorne ShadedDieter Steffmann, 2002Robert Thorne, um 1830www.steffmann.de

CD

15 / 30 Punkt

30 Punkt

ABCD

EFGHIJK

LMNOP

QRSTUVW

XYZ

123&456

7890

Page 21: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

18 19

historismus

Jedermann kann fahren ohne gelernt zu

haben in dem auf dem Schaubudenplatze neu

konstruierten Amerikanischen

Velocipéde-Circus

ABCDEFGHIJKLMNOPQRST

UVWXYZabcdefghijklm

nopqrstuvwxyzäöü 1234567890

([„&fiflß!?$£§†”])

NORMANDE BT

Normande BTH. Berthold, 1860www.bertholdtypes.com

15 Punkt

36 Punkt

engraved

probablyabout 1810

THORNE SHADED

Thorne ShadedDieter Steffmann, 2002Robert Thorne, um 1830www.steffmann.de

CD

15 / 30 Punkt

30 Punkt

ABCD

EFGHIJK

LMNOP

QRSTUVW

XYZ

123&456

7890

Page 22: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

20 21

historismus

»Lungfi sh Spring Tour«, Plakat,

Jason Munn, 2003

tourABC D E f gh I J K LMN O P Q R S TU VWXY Z

1234567890Ä Ö Ü & ! ? : ;

Broadcast TitlingDieter Steffmann, 2000Fonderie Deberny Peignot, um 1830www.steffmann.de

CD

BROADCAST TITLING

115 Punkt

55 Punkt

Page 23: Retrofonts

gründerzeit und gold rush

20 21

historismus

»Lungfi sh Spring Tour«, Plakat,

Jason Munn, 2003

tourABC D E f gh I J K LMN O P Q R S TU VWXY Z

1234567890Ä Ö Ü & ! ? : ;

Broadcast TitlingDieter Steffmann, 2000Fonderie Deberny Peignot, um 1830www.steffmann.de

CD

BROADCAST TITLING

115 Punkt

55 Punkt