Rezeptions- und Wirkungsforschung Vorlesung im Modul 1002...
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06.12.2013 Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler ([email protected])
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Rezeptions- und WirkungsforschungVorlesung im Modul 1002/103/107
Vorlesung 8:
Lernen aus den Medien I: Medien und Einstellungsänderung
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Problemstellung
Worum es geht:
Wirken Medien auf Einstellungen? Und wenn ja, wie und weshalb?
Gut zu wissen:
o einflussreiche Ansätze und ihre Folgen
o Traditionen der Medienwirkungsforschung
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Gliederung Vorlesung 8
1. Hovlands Rhetorik der Kommunikation
2. Konsistenztheorien: das Beispiel Festinger
3. Assimilations-Kontrast-Theorie
4. Verstärker-These als Zusammenfassung der 1950er und 1960er Jahre
5. Aktuelle Modelle: Differenzierungen
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Vorbemerkungen: das Einstellungskonzept
Einstellungen = subjektive Dispositionen zur Erklärung von Konstanz und Variabilität im Handeln
o Breite des Konzepts je nach „Zentralität“von Meinungen bis zur Werthaltungen einer Person
o umfasst die im (sozialen) Gedächtnis eines Individuums organisierten Erfahrungen und Gefühle
o systemisch organisiert
o hypothetisches Konstrukt: nicht direkt beobachtbar
o Komplexität: bestehend aus kognitiven, affektiven und behavioralen Komponenten
o Funktionalität: Wissens-, Anpassungs-, Abwehr-, Selbstdarstellungsfunktion
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Vorbemerkungen: Persuasion
Zentraler Begriff: Persuasion
o Überredung, Überzeugung
o Medienzentrierte Auffassungo Propaganda (z.B. im 2. Weltkrieg)
o Politische Kampagnen
o Werbung
Literaturempfehlung: Bonfadelli/Friemel (siehe v 7): Kapitel 4., vor allem 139-172
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1. Hovlands Rhetorik der (Medien-) Kommunikation
Carl I. Hovland (1912-1961): Yale-Studien nach WK II
o Anknüpfung an psychologische Lerntheorien: Lernen durch Belohnungo in Medienkommunikation (ohne direktes feedback): antizipierter
Anreiz bzw. antizipierte Belohnung (≠ Nutzen aus U & G)
o Stimulus (Medienbotschaft) ist Schlüsselelement im Kommunikationsprozess, muss einen Anreiz zur Akzeptanz durch Rezipienten haben
o systematische Variation der Elemente des Kommunikationsprozesses in Laborexperimenteno „Puzzle“ an (experimentell isolierten) Wirkungsfaktoren (vs.
Komplexität des Lebens „da draussen“)
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1. Hovlands Rhetorik der (Medien-) Kommunikation
ausgewählte Befunde
o Botschaft: einseitige vs. zweiseitige Argumentation
o beide Vorgehensweisen gleich effektiv
o unterschiedliche Wirkung je nach Voreinstellung
o kritische Position: beidseitige Argumentation
o affirmative Position: einseitige Argumentation
o Bildungseffekte
o zweiseitige Argumentation immunisierend
o McGuire: Inokulationstheorie
o Botschaft: Anordnung der Argumente (primacy-recency)
o keine eindeutigen Befunde
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1. Hovlands Rhetorik der (Medien-) Kommunikation
ausgewählte Befunde
o Kommunikator: Glaubwürdigkeit
o Recall (Lernleistung) gleich gut
o unterschiedliche Wirkung je nach Glaubwürdigkeit
o glaubwürdige Quellen: grösserer Einstellungswandel
o unglaubwürdige Quellen: kaum/geringer Einstellungswandel
o Diskrepanzeffekt
o Sleeper-Effekt: Glaubwürdigkeiteffekt verschwindet
o „Wirkungsverfall“ von Quelle und Botschaft unterschiedlich
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1. Hovlands Rhetorik der (Medien-) Kommunikation
Fazit
o erste systematische Untersuchungen zur Persuasion
o statt „Puzzle“ ein „Flickenteppich“
o zeitbedingte Ergebnisse
o Theoriedefizit
o Isolation von Schlüsselvariablen statt Erklärung des Zustandekommens von Effekten
o Lücke: Informationsverarbeitung
o Laborzentrismus (vs. Feldstudien): Künstlichkeit, Erzwingen von Rezeption, Artefakte-Gefahr
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2. Konsistenztheorien: Leon Festinger (1919-1989)
Grundgedanken
o Menschen tendieren zu „Harmonie“ in ihren Einstellungen bzw. Einstellungssystemen
o (wahrgenommene) Widersprüche werden als unangenehm empfunden
o Gestaltpsychologie: Tendenz zur „guten“ Gestalt
o Theorie der kognitiven Dissonanz
o kognitive Elemente (Einstellungen zu Objekten, Verhaltensweisen usw.)
o stehen in (empfundener) Nichtübereinstimmung oder in Gefahr antizipierter Nichtübereinstimmung
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2. Konsistenztheorien: Leon Festinger
o Lösungsmöglichkeiten
o Änderung von kognitiven Elementen in Richtung auf Konsonanz (mit den am meisten veränderungsresistenten Elementen)
o Vermehrung von Zahl und Stärke an konsonanten Elementen
o Verringerung der Bedeutung dissonanter Elemente
o Bedeutung für Medienwirkungsforschung: selective exposure
o Suche nach stützenden Informationen
o Vermeidung von nicht-stützender Informationen
o Verarbeitung von dissonanten Informationen
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2. Konsistenztheorien: Leon Festinger
o Forschungsfelder
o Informationssuche nach Entscheidungen
o erzwungene Einwilligung (forced compliance)
o Selektivität der Mediennutzung (Donsbach 1991)
o selektive Zuwendung bei positiven Informationen
o fehlende Selektion bei negativen Informationeno Rationalität der Kenntnis diskrepanter Informationen
o formale Aspekte oft entscheidender als Konsonanz
o starke Leser-Blatt-Bindung überwindet selektive Zuwendung
o Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Dogmatismus)
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2. Konsistenztheorien: Leon Festinger
o Kritik
o wichtiger Ideengeber für Medienwirkungsforschung (Erklärung von Selektion in Nutzung, Rezeption, Erinnerung) und von verschiedenen Alltagsphänomenen (Über-Rechtfertigung)
o Idee des Widerspruchs und dessen Lösung
o Dissonanzvermeidung ist einer von vielen Einflussfaktoren
o Suche nach neuen Informationen unerklärt
o Neugier-/Komplexitätstheorien
o Personen gehen unterschiedlich mit Dissonanz um (Neugierde, Selbstbewusstsein)
o Theorie ist im Detail veraltet bzw. hat Produktivität verloren
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3. Assimilations-Kontrast-Theorie
Ausgangspunkt: widersprüchliche Befunde zum Diskrepanz-Phänomen
o Lerntheorie: maximale Diskrepanz (bei glaubwürdigem Kommunikator) führt zu grössten Einstellungsänderungen
o Dissonanztheorie: dito, aber nicht immer führt max. Dissonanz zu Einstellungsänderungen – Abwertung der Quelle, Bummerangeffekt
o Hovland/Sherif: Theorie des Sozialen Urteilen (bzw. A-K)o eigene Einstellung ist ein „Anker“, mittels dessen andere Positionen beurteilt
werden
o Existenz von Akzeptanz-/Ablehnungsbereichen, variierend nach Ich-Beteiligung
o im Akzeptanzbereich: Assimilation
o im Ablehnungsbereich: Kontrastierung
→ Wirkungen bei „optimale Diskrepanz“ (mittlerer Größe, aber im Akzeptanzbereich), sonst kein oder Bummerangeffekt
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3. Assimilations-Kontrast-Theorie
Fazit
o integratives Modell, sehr plausible Lösung von widersprüchlichen empirischen Befundeno Einführung neuer Variablen: Wahrnehmungsbereiche, Ich-
Beteiligung
o schwierige empirische Prüfung, „irgendwann“ nicht mehr verfolgt
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4. Verstärkerthese (Klapper)
1. Massenkommunikation ist normalerweise keine notwenige und auch keine hinreichende Ursache für Wirkungen im Sinne von Einstellungsänderungen, sondern wirkt über mediatisierende Faktoren (wie Prädispositionen, Normen der Bezugsgruppen, interpersonale Netzwerke).
2. Die mediatisierenden Faktoren sind derart, dass sie die medienvermittelte Kommunikation zu einem Helfer, nicht aber zur alleinigen Ursache im Prozess der Verstärkung bestehender Einstellungen machen.
3. Massenkommunikation hat trotz zu Einstellungsänderungen führen, aber nur, wenn a) die mediatisierenden Faktoren unwirksam sind, oder b) die mediatisierenden Faktoren selbst den Wandel unterstützen.
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5. Aktuelle Modelle: Differenzierungen
neues Forschungsprogramm
o Unterschiedlichkeit der Aufmerksamkeit und Verarbeitung von Medienstimuli durch Rezipienten
o unterschiedliche Modi der Informationsverarbeitung (z.B. jüngst: Daniel Kahnemann: Schnelles Denken –Langsames Denken. München 2011: Siedler)
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5. Aktuelle Modelle: Differenzierungen
neues Forschungsprogramm
o Elaboration-Likelihood-Modell (ELM): Petty/Cacippo
o Heuristisch-Systematisches Modell (HSM): Chaiken
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5. Aktuelle Modelle: Differenzierungen
zentrale Gedanken
o Verarbeitung von Argumenten erfolgt (im entweder/oder-Modus/ELM bzw. ergänzend/HSM)o involviert, durch systematische Verarbeitung, aktive Denkprozesse
(Elaboration)
o wenig involviert, heuristisch (nach einfachen Entscheidungsregeln), orientiert an verschiedenen «oberflächlichen» Hinweisreizen/cues
o Ziel: Balance zwischen kognitiven Aufwand und Sicherheit
o Effekt: unterschiedliche Stabilität von Einstellungen bzw. Einstellungsänderungen
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Übungsfragen
1. Hovlands Ansatz ist lerntheoretischer Natur. Wo liegen die Grenzen dieses Herangehens?
2. Welche Bedeutung hat die Theorie der kognitiven Dissonanz (die aus der Sozialpsychologie stammt), für die Medienwirkungsforschung?
3. Haben die Thesen von Joseph T. Klapper aus den 60er Jahren noch Aktualität für heute Forschungen zu Medienwirkungen? Wann ja: Worin liegt sie? Wenn nein: Warum nicht?