Riesenandrang vor dem stilvoll von uniformierten ... · Jerry Katzenbach stellt „Der...

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„Ich bin besessen von Psychologie“ M it Verbrechen sowie ihrer juristischen und psychologischen Auf- arbeitung kennt sich John Kat- zenbach bestens aus. Der ehe- malige Gerichtsreporter ist Sohn einer Psychoanalytikerin und eines hochrangigen An- walts. Katzenbachs Bücher wurden in mehr als 20 Ländern veröffentlicht allein im deutschsprachigen Raum liegt die Auflage bei mehr als 2,5 Millionen Exemplaren. Be- kannt wurde der 64jährige mit Thrillern wie „Die Anstalt“ und „Der Patient“. Etliche seiner Romane wurden verfilmt – mit Stars wie Kurt Russell, Sean Connery, Colin Farrell oder Bruce Willis. Soeben ist Kat- zenbachs 13. Roman „Der Psy- chiater“ (Droemer) erschienen. AZ: Herr Katzenbach, in Ihrem neuen Roman werden mehre- re Psychiater ermordet. Ist diese Berufsgruppe tatsächlich besonders gefährdet? JOHN KATZENBACH: Es besteht durchaus ein spezielles Risiko. In ihrem Berufsalltag beschäf- tigen sich Psychiater mit star- ken Gefühlen – aus Hass und Eifersucht kann Gewalt entste- hen. Normalerweise richten diese Emotionen keinen Scha- den an, und von einem realen Mordfall weiß ich zum Glück nichts. Aber es ist nicht auszu- schließen, dass sich die Wut im Einzelfall auch gegen den The- rapeuten richten könnte. Also ist die Handlung von „Der Psychiater“ frei erfunden? Nicht ganz. Ein Haufen be- freundeter Seelenklempner in- spirierte mich. Wir waren auf einem gemütlichen Angeltrip, auch wenn wir uns eher als coole Typen sehen, die Bären in Alaska jagen. Einige von ihnen erinnerten sich daran, wie angstbesetzt und stressig das Studienjahr war, in dem sie in der Psychiatrie arbeiten muss- ten. Sofort entstand in meinem Kopf die Ausgangssituation ei- nes Plots: Ein psychotischer Student, der sich viele Jahre später an seinen Kommilitonen und einem Professor rächt. Warum reizt Sie das Thema Rache? Rache scheint zunächst ein ganz einfaches Motiv zu sein. Sie dominiert unseren Alltag, sei es gegenüber unserem ner- vigen Chef oder dem Typen, der über uns wohnt und viel zu laut Acid Rock hört. Es gibt ge- nauso viele Gründe für Rache wie es Ungerechtigkeiten in der Welt gibt. Aber wenn sich jemand wirklich von seinen Rachegelüsten leiten lässt, wird es kompliziert. Gesetze werden gebrochen, Menschen wird Schaden zugefügt. In Ihrem Roman heißt es: „Mord und Sucht haben etwas gemeinsam“. Was genau? In beiden Fällen geht es um Tod. In einer Drogenabhängig- keit versuchen wir, uns selbst zu töten – bei Mord ist das Ziel eine andere Person. Meine Hauptfigur Timothy formuliert die Gemeinsamkeiten noch de- taillierter: Bei Mord und Sucht muss man irgendwann ein Ge- ständnis ablegen. Ich bin Mör- der, ich bin suchtkrank. Und in beiden Fällen muss man sich einer übergeordneten Instanz beugen. Der Mörder dem Ge- setz, der Drogen- oder Alkohol- abhängige Gott oder einem an- deren höheren Wesen. Zwei Ihrer Hauptfiguren ver- üben Selbstjustiz. Halten Sie das für gerechtfertigt? Das Prinzip der Selbstjustiz ist komplexer als man denkt und lässt sich nicht nur nach dem geltenden Gesetz beurteilen. Jeder Mensch hat ein eigenes Verständnis von Gerechtigkeit, wohingegen das Justizsystem versucht, auf umfassende Sach- verhalte einfache Antworten zu geben: „Hat der Angeklagte die Tat begangen? Wenn ja, wie lautet das Strafmaß?“ Diese simple Konsequenz ist jedoch das Gegenteil von Gerechtig- keit. Jetzt klingen Sie wie ein selbst- kritischer Jurist. Ich bin aber ein Schriftsteller, der für emotionale Fragen und psychologische Antworten brennt. Die Vielschichtigkeit und Tiefe menschlichen Ver- haltens auszuloten, treibt mich an und liefert den Hintergrund für jedes einzelne Wort, das ich schreibe. Warum ist das bei Ihnen so? Ich bin besessen von diesem Thema. Psychologie ist die Vo- raussetzung für spannende Ge- schichten und überzeugende Protagonisten. Ich muss tief in die Psyche meiner Figuren ein- tauchen, um diese realistisch zu beschreiben. Nur wenn de- ren Ängste und Belastungen für meine Leser nachvollziehbar sind, werden sie authentisch und lebendig und eignen sich als Identifikationsfiguren. Auf diese Weise kann ich die Span- nung in meinen Romanen auf- bauen. An meiner Leidenschaft hat aber wohl auch meine Mut- ter einen großen Anteil. Inwiefern? Sie hat lange als Psychoanalyti- kerin gearbeitet und mich zu einem meiner erfolgreichsten Romane inspiriert, „Die An- stalt“. Darin schreibe ich über die Erinnerungen eines Man- nes, der gegen seinen Willen in eine psychiatrische Anstalt ge- sperrt wurde. Noch 20 Jahre später leidet er unter den furchtbaren Dingen, die dort passierten. Wovor haben Sie persönlich am meisten Angst? Eines Tages aufzuwachen und keine Geschichte mehr erzäh- len zu können. Das war auch immer die Erklärung für Ernest Hemingways letzten Spazier- gang mit seiner Flinte. Und er ist nur einer von vielen mit ähnlichem Schicksal. Sie haben einen Deutsch klin- genden Namen – wie kommt das? Die Familie meines Vaters stammt aus Deutschland. Sie wanderte vor dem Unabhän- gigkeitskrieg in die USA ein. Im Jahr 1776 half einer meiner Vorfahren George Washington in der Schlacht von Princeton. Mittlerweile weiß ich auch, dass es in Deutschland eine kleine Gemeinde namens Kat- zenbach in Rheinland-Pfalz gibt. Sie hat zwar nichts mit meiner Familie zu tun, aber ich möchte unbedingt einmal dorthin. Vor Ihrer Karriere als Schrift- steller haben Sie als Gerichts- reporter in Miami gearbeitet. Welcher Ihrer damaligen Fälle hat Sie am meisten beschäf- tigt? Es waren Dutzende: Serien- und Selbstmorde, Verbrechen von Drogenbaronen. Mir kam es oft so vor, als ginge ich nicht ins Gericht, sondern ins Thea- ter. Eines, in dem ich jeden Tag etwas Einzigartiges auf der Bühne des Lebens zu sehen be- komme. Günter Keil, Andrea Tholl Jerry Katzenbach stellt „Der Psychiater“ (Droemer, 576 Seiten, 19.99 Euro) heute um 20 Uhr im Amerikahaus (Karolinenplatz 3) vor US-Bestsellerautor John Katzenbach stellt seinen neuen Thriller „Der Psychiater“ heute im Amerikahaus vor INTERVIEW mit John Katzenbach Der 64-jährige Autor war ursprünglich Gerichtsrepor- ter für den „Miami Herald“ und die „Miami News“

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19ABENDZEITUNG MONTAG, 20. 4. 2015 WWW.AZ-MUENCHEN.DE KULTUR

Ein Stück Stoff

Die erste öffentlicheAusstellung des Turi-ner Grabtuchs seit

mehr als fünf Jahren ist mit ei-ner Messe offiziell eröffnetworden. Im Gottesdienst mitdem Erzbischof von Turin,Cesare Nosiglia, wurde dieIkone am Sonntagmorgen fei-erlich enthüllt. Bis zum 24.Juni können Besucher im Domder italienischen Metropoledas Grabtuch bewundern. DieStadt erwartet mehr als eineMillion Besucher, TausendeFreiwillige sind im Einsatz.

„La sacra Sindone“, wie dieIkone auf Italienisch genanntwird, wurde zuletzt 2010 aus-gestellt. Der Stoff wird vonvielen Gläubigen verehrt,sie halten ihn für das Tuch,mit dem Jesus nach seinerKreuzigung begraben wurde.Allerdings gibt es Zweifelan seiner Authentizität.

Papst Franziskus will dasberühmte Stück Stoff am 21.Juni, kurz vor Ende der Aus-stellung, besuchen. „Ich wün-sche mir, dass dieser Akt derVerehrung uns allen hilft, Je-sus zu finden, das barmherzi-ge Antlitz Gottes, und es inden Gesichtern der Brüderwiederzuerkennen“, sagt er.Riesenandrang vor dem stilvoll von uniformierten Carabinieri bewachten Grabtuch im Dom von Turin. Foto: dpa

„Ich bin besessenvon Psychologie“

Mit Verbrechen sowieihrer juristischen undpsychologischen Auf-

arbeitung kennt sich John Kat-zenbach bestens aus. Der ehe-malige Gerichtsreporter istSohn einer Psychoanalytikerinund eines hochrangigen An-walts. Katzenbachs Bücherwurden in mehr als 20 Ländernveröffentlicht – allein imdeutschsprachigen Raum liegtdie Auflage bei mehr als 2,5Millionen Exemplaren. Be-kannt wurde der 64jährige mitThrillern wie „Die Anstalt“ und„Der Patient“. Etliche seinerRomane wurden verfilmt – mitStars wie Kurt Russell, SeanConnery, Colin Farrell oderBruce Willis. Soeben ist Kat-zenbachs 13. Roman „Der Psy-chiater“ (Droemer) erschienen.

AZ: Herr Katzenbach, in Ihremneuen Roman werden mehre-re Psychiater ermordet. Istdiese Berufsgruppe tatsächlichbesonders gefährdet?JOHN KATZENBACH: Es bestehtdurchaus ein spezielles Risiko.In ihrem Berufsalltag beschäf-tigen sich Psychiater mit star-ken Gefühlen – aus Hass undEifersucht kann Gewalt entste-hen. Normalerweise richtendiese Emotionen keinen Scha-den an, und von einem realenMordfall weiß ich zum Glücknichts. Aber es ist nicht auszu-schließen, dass sich die Wut imEinzelfall auch gegen den The-rapeuten richten könnte.Also ist die Handlung von „DerPsychiater“ frei erfunden?Nicht ganz. Ein Haufen be-freundeter Seelenklempner in-spirierte mich. Wir waren aufeinem gemütlichen Angeltrip,auch wenn wir uns eher alscoole Typen sehen, die Bären inAlaska jagen. Einige von ihnenerinnerten sich daran, wie

angstbesetzt und stressig dasStudienjahr war, in dem sie inder Psychiatrie arbeiten muss-ten. Sofort entstand in meinemKopf die Ausgangssituation ei-nes Plots: Ein psychotischerStudent, der sich viele Jahrespäter an seinen Kommilitonenund einem Professor rächt.

Warum reizt Sie das ThemaRache?Rache scheint zunächst einganz einfaches Motiv zu sein.Sie dominiert unseren Alltag,sei es gegenüber unserem ner-vigen Chef oder dem Typen,der über uns wohnt und viel zulaut Acid Rock hört. Es gibt ge-nauso viele Gründe für Rachewie es Ungerechtigkeiten inder Welt gibt. Aber wenn sichjemand wirklich von seinenRachegelüsten leiten lässt,wird es kompliziert. Gesetzewerden gebrochen, Menschenwird Schaden zugefügt.In Ihrem Roman heißt es:„Mord und Sucht haben etwasgemeinsam“. Was genau?In beiden Fällen geht es umTod. In einer Drogenabhängig-keit versuchen wir, uns selbstzu töten – bei Mord ist das Zieleine andere Person. MeineHauptfigur Timothy formuliert

die Gemeinsamkeiten noch de-taillierter: Bei Mord und Suchtmuss man irgendwann ein Ge-ständnis ablegen. Ich bin Mör-der, ich bin suchtkrank. Und inbeiden Fällen muss man sicheiner übergeordneten Instanzbeugen. Der Mörder dem Ge-setz, der Drogen- oder Alkohol-abhängige Gott oder einem an-deren höheren Wesen.Zwei Ihrer Hauptfiguren ver-üben Selbstjustiz. Halten Siedas für gerechtfertigt?Das Prinzip der Selbstjustiz istkomplexer als man denkt undlässt sich nicht nur nach demgeltenden Gesetz beurteilen.Jeder Mensch hat ein eigenesVerständnis von Gerechtigkeit,wohingegen das Justizsystemversucht, auf umfassende Sach-verhalte einfache Antwortenzu geben: „Hat der Angeklagtedie Tat begangen? Wenn ja, wielautet das Strafmaß?“ Diesesimple Konsequenz ist jedochdas Gegenteil von Gerechtig-keit.Jetzt klingen Sie wie ein selbst-kritischer Jurist.Ich bin aber ein Schriftsteller,der für emotionale Fragen undpsychologische Antwortenbrennt. Die Vielschichtigkeitund Tiefe menschlichen Ver-haltens auszuloten, treibt michan und liefert den Hintergrundfür jedes einzelne Wort, das ichschreibe.Warum ist das bei Ihnen so?Ich bin besessen von diesemThema. Psychologie ist die Vo-raussetzung für spannende Ge-schichten und überzeugendeProtagonisten. Ich muss tief indie Psyche meiner Figuren ein-tauchen, um diese realistischzu beschreiben. Nur wenn de-ren Ängste und Belastungen fürmeine Leser nachvollziehbarsind, werden sie authentischund lebendig und eignen sichals Identifikationsfiguren. Aufdiese Weise kann ich die Span-nung in meinen Romanen auf-bauen. An meiner Leidenschafthat aber wohl auch meine Mut-ter einen großen Anteil.Inwiefern?Sie hat lange als Psychoanalyti-

kerin gearbeitet und mich zueinem meiner erfolgreichstenRomane inspiriert, „Die An-stalt“. Darin schreibe ich überdie Erinnerungen eines Man-nes, der gegen seinen Willen ineine psychiatrische Anstalt ge-sperrt wurde. Noch 20 Jahrespäter leidet er unter denfurchtbaren Dingen, die dortpassierten.Wovor haben Sie persönlicham meisten Angst?Eines Tages aufzuwachen undkeine Geschichte mehr erzäh-len zu können. Das war auchimmer die Erklärung für ErnestHemingways letzten Spazier-gang mit seiner Flinte. Und erist nur einer von vielen mitähnlichem Schicksal.Sie haben einen Deutsch klin-genden Namen – wie kommtdas?Die Familie meines Vatersstammt aus Deutschland. Siewanderte vor dem Unabhän-gigkeitskrieg in die USA ein. ImJahr 1776 half einer meinerVorfahren George Washingtonin der Schlacht von Princeton.Mittlerweile weiß ich auch,dass es in Deutschland einekleine Gemeinde namens Kat-zenbach in Rheinland-Pfalzgibt. Sie hat zwar nichts mitmeiner Familie zu tun, aber ichmöchte unbedingt einmaldorthin.Vor Ihrer Karriere als Schrift-steller haben Sie als Gerichts-reporter in Miami gearbeitet.Welcher Ihrer damaligen Fällehat Sie am meisten beschäf-tigt?Es waren Dutzende: Serien-und Selbstmorde, Verbrechenvon Drogenbaronen. Mir kames oft so vor, als ginge ich nichtins Gericht, sondern ins Thea-ter. Eines, in dem ich jeden Tagetwas Einzigartiges auf derBühne des Lebens zu sehen be-komme.

Günter Keil, Andrea Tholl

Jerry Katzenbach stellt„Der Psychiater“ (Droemer,576 Seiten, 19.99 Euro) heuteum 20 Uhr im Amerikahaus(Karolinenplatz 3) vor

US-BestsellerautorJohn Katzenbach stelltseinen neuen Thriller„Der Psychiater“ heuteim Amerikahaus vor

INTERVIEWmitJohn Katzenbach

Der 64-jährige Autor warursprünglich Gerichtsrepor-ter für den „Miami Herald“und die „Miami News“

Waldmöpsefür Loriot

Sie schnüffeln, liegen, sit-zen: Bronzene gehörnteWaldmöpse bilden das

„Waldmopszentrum“ in Bran-denburg/Havel. Die Geburts-stadt Loriots setzt damit ihremEhrenbürger Vicco von Bülow(1923 - 2011) ein Denkmal, dassich an seinen Sketch über den„Wilden Waldmops“ anlehnt.

Am Samstag eröffnete derVorsitzende des KulturvereinsBrandenburg, AußenministerFrank-Walter Steinmeier(SPD), die Kunst-Installationanlässlich der Bundesgarten-schau in der Havelregion. AuchStuttgart, wo der Humorist zurSchule ging, hat ein Denkmal:Dort thront auf einer Loriot-Gedächtnissäule ein Bronze-

Mops. Die Anlage in Branden-burg besteht aus einem Rudelgehörnter Bronze-Waldmöpse,einem Sockel mit den Fußab-drücken Loriots und Informati-onstafeln. Acht Bronzefigurenwaren ursprünglich geplant,sechs weitere wurden gestiftet.Sie sollen nach und nach gefer-tigt und aufgestellt werden.„Ich bin schon dabei, die nächs-ten Objekte zu modellieren“,berichtete die Berliner Künstle-rin Clara Walter. Sie hatte sichin einem Wettbewerb durchge-setzt und die Plastiken inHandarbeit geschaffen.

Von Loriot stammt der Satz:„Ein Leben ohne Mops ist mög-lich, aber sinnlos.“ In seinemSketch hatte er einst über den„Wilden Waldmops“ referiert,der ein kleines Geweih trageund vereinzelt in unbewohn-ten Waldungen Nordschwe-dens lebe.

Marion van der Kraats

Loriots Geburtsstadtehrt den großenHumoristenangemessen

Die Berliner Künstlerin Clara Walter arbeitet an einem „Waldmops“ für Lo-riots Geburtsstadt Brandenburg/Havel. Fotos: dpa

Hoch das Bein: Die Skulptur eines „Wilden Waldmopses“.