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TU Ilmenau Ausgabe: März 2013 Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik Prof. Spieß, Dr. Kups Institut für Werkstofftechnik Röntgenfeinstruktur - GLW 8 (Debye-Scherrer-Verfahren und Diffraktometerverfahren) 1 Versuchsziel Ziel des Versuches ist es, die Wechselwirkung von Röntgenstrahlen mit einem Kristall an einer vorab aufgenommenen Debye-Scherrer Aufnahme kennen zu lernen. An ebenfalls vorab aufge- nommenen Diffraktogrammen soll der Zellparameter (Gitterkonstante) bestimmt werden. Die auf dem Film/Diffraktogramm erhaltenen Interferenzen sollen mittels verschiedener Methoden indi- ziert werden (d.h. die Millerschen Indizees bestimmt werden) und danach die Zellparameter durch Extrapolationsmethoden verfeinert werden. Neben den mikroskopischen Arbeitsverfahren und der thermischen Analyse haben besonders die Röntgenfeinstrukturmethoden bei der Untersuchung und Beschreibung von Werkstoffen ein weites Anwendungsfeld gefunden. Während die Metallmikroskopie den Gefügeaufbau der Legierungen erschließt, untersucht man mit Hilfe der Röntgenstrahlen den atomaren Feinbau der einzelnen Gefügebestandteile. Das Beugungsdiagramm ist für jede Substanz charakteristisch und kann daher als „Fingerprint“ für eine kristalline Substanz angesehen werden [1]. 2 Das Röntgenspektrum Die Röntgenstrahlung wird im Brennfleck, im weiteren Fokus genannt, auf der Anode einer Rönt- genröhre erzeugt. Bild 1 zeigt schematisch das entstehende Spektrum. Hierbei sind die zwei Teil- spektren deutlich zu unterscheiden, das Bremsspektrum und die charakteristische Strahlung. Bild 1: Röntgenspektrum TU Ilmenau, Institut für Werkstofftechnik, Studiengang Werkstoffwissenschaft (BA) 1

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TU Ilmenau Ausgabe: März 2013Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik Prof. Spieß, Dr. KupsInstitut für Werkstofftechnik

Röntgenfeinstruktur - GLW 8(Debye-Scherrer-Verfahren und Diffraktometerverfahren)

1 Versuchsziel

Ziel des Versuches ist es, die Wechselwirkung von Röntgenstrahlen mit einem Kristall an einervorab aufgenommenen Debye-Scherrer Aufnahme kennen zu lernen. An ebenfalls vorab aufge-nommenen Diffraktogrammen soll der Zellparameter (Gitterkonstante) bestimmt werden. Die aufdem Film/Diffraktogramm erhaltenen Interferenzen sollen mittels verschiedener Methoden indi-ziert werden (d.h. die Millerschen Indizees bestimmt werden) und danach die Zellparameter durchExtrapolationsmethoden verfeinert werden.Neben den mikroskopischen Arbeitsverfahren und der thermischen Analyse haben besonders dieRöntgenfeinstrukturmethoden bei der Untersuchung und Beschreibung von Werkstoffen ein weitesAnwendungsfeld gefunden. Während die Metallmikroskopie den Gefügeaufbau der Legierungenerschließt, untersucht man mit Hilfe der Röntgenstrahlen den atomaren Feinbau der einzelnenGefügebestandteile.Das Beugungsdiagramm ist für jede Substanz charakteristisch und kann daher als „Fingerprint“für eine kristalline Substanz angesehen werden [1].

2 Das Röntgenspektrum

Die Röntgenstrahlung wird im Brennfleck, im weiteren Fokus genannt, auf der Anode einer Rönt-genröhre erzeugt. Bild 1 zeigt schematisch das entstehende Spektrum. Hierbei sind die zwei Teil-spektren deutlich zu unterscheiden, das Bremsspektrum und die charakteristische Strahlung.

Bild 1: Röntgenspektrum

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2.1 Das Bremsspektrum

Durch das Abbremsen der nach dem Durchlaufen der Anodenspannung UA hoch beschleunigtenElektronen im elektrischen Feld der Atome des Anodenmaterials entsteht das Bremsspektrum.Das Bremsspektrum ist ein kontinuierliches Spektrum mit einer kurzwelligen Grenze λ0, entstan-den durch vollständige Abbremsung. Bei jedem weiterem Abbremsvorgang werden ansonsten eineVielzahl von Photonen unterschiedlicher, aber immer größerer Wellenlänge emitiert. Damit tre-ten alle anderen Wellenlängen durch unvollständige Abbremsung bzw. Mehrfachabbremsung auf.Die kinetische Energie, zuvor aufgenommen aus der elektrischen Energie des Feldes, wird in einStrahlungsquant der Energie h · f umgewandelt, zugeschnittene Größengleichung 1 (Gesetz nachDUANE-HUNT).

λ0 = . . .? . . . =1, 238

UA [kV ][nm] (1)

mith = 6,626 068 76 · 10−34 Js Plancksches Wirkungsquantume = 1,602 176 462 · 10−19 As elektrische Elementarladungc = 2,997 924 58 · 108 ms−1 Lichtgeschwindigkeit

Die Grenzwellenlänge wiederum ist ein Maßstab für die Energie bzw. die Durchdringungsfähigkeitder Strahlung. Je größer die Energie bzw. je kleiner die Wellenlänge, desto durchdringungsfähigerbzw. oft auch härter genannt, ist die Strahlung.

2.2 Das charakteristische Spektrum

Nach dem Bohr-Sommerfeldschen-Atommodell befinden sich die Elektronen auf unterschiedlichendiskreten Energieniveaus, negativen Energiewerten. Die Energie mit dem größten Betrag ist diekleinste Energie, der energieärmste Zustand.Energieübertragung in Form von beschleunigten Elektronen als auch energiereiche Strahlung ande-rer Herkunft (radioaktive Strahler, hochenergetische Röntgenbremsstrahlung, Synchrotronstrah-lung, hochenergetische Höhenstrahlung) kann eine Ionisation der inneren Schalen eines Atomesbewirken. Es wird damit von dem eingeschossenen Teilchen oder Photon mindestens soviel Ener-gie übertragen, dass eine Ionisation der inneren Schale stattfindet. Dieser Vorgang der Absorptionvon Energie ist entsprechend dem Schalenaufbau der Atomhülle ein diskontinuierlicher Prozess. Istdie absorbierte Energie gerade so groß wie die Schalenenergie, kommt es zu einer starken Resonanzzwischen Quant und Elektron, in dessen Folge es zur Ablösung des Elektrons aus der Schale kommt.Zurück bleibt eine unvollständig aufgefüllte Schale, d.h. eine Lücke. Die notwendige Energie zurErzeugung der Lücke wird als Absorptionskante bezeichnet.Auf den frei gewordenen Platz springt ein Elektron aus einer nächsthöheren Schale. Die frei wer-dende Energie aus der Differenz der beteiligten Schalen wird in Form eines Röntgenquants derEnergie h ·f = EI −EII abgegeben. Die Frequenz bzw. Wellenlänge dieses Quants ist eine charak-teristische Größe, die nur abhängt von der Art des Anodenmateriales und den beteiligten Schalen.Die unterschiedliche Anzahl von Elektronen und die unterschiedliche Besetzung der Elektronenauf den einzelnen Schalen entsprechend dem Pauli-Prinzip führt zu den verschiedensten realen Be-setzungen im Periodensystem der Elemente bzw. dem Energieniveauschema der Elemente (Elek-tronenkonfiguration). Bild 2 zeigt die konkreten Energiewerte für die chemischen Elemente Na,Cr, Cu, Mo und W. Ein in dem Bild 2 vermeintlich dickerer Strich im oberen Teil verdeutlicht,dass hier eine Schale in mehrere Unterniveaus aufspaltet.Es sind jedoch nicht alle Elektronenübergänge entsprechend der Aufspaltung der Schalen in Un-terschalen möglich. Es gibt drei optische Auswahlregeln, die einen möglichen Übergang zwischen

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Bild 2: Energieniveaus einiger Elemente und Entstehung der charakteristischen Röntgenstrahlung

zwei Schalen definieren und damit den besagten Sprung auf den freien Platz beschreiben.Die entstehenden Röntgenquanten werden nachfolgend bezeichnet:• Wird eine Lücke in der K-Schale aufgefüllt, dann nennt man das K-Strahlung.

L- oder M- Strahlung bedeuten, dass die Ionisation bzw. der Übergang auf der L- oder derM-Schale stattfand.• Mit dem Index α wird die Strahlung bezeichnet, die zwischen den Schalen mit

∆n = 1 stattfindet, β und weitere griechische Buchstaben stehen für Übergänge nicht nächstbenachbarter Schalen (∆n > 1).• Die zusätzlichen Ziffern 1, 2, . . . werden verwendet, um Strahlung aus Sprüngen mit un-

terschiedlichen inneren Quantenzahlen zu bezeichnen. Diese Nomenklatur wird nur für dieK-Strahlung konsequent durchgeführt, in Bild 2 ersichtlich. Bei L- und M-Strahlung wirddann schon inkonsequent verfahren, ebenfalls in Bild 2 ersichtlich.

Die K-Strahlung ist für ein chemisches Element immer die energiereichste Strahlung, wie aus Bild 2zu entnehmen ist.Dabei tritt die Kα-Strahlung immer als ein Doublett aus Kα1 und Kα2 auf. Für die Röntgenbeu-gung findet die K-Strahlung der Metalle Cr, Fe, Co, Ni, Cu und Mo Anwendung. Will man diecharakteristische K-Strahlung anregen, muss man an eine Röntgenröhre mindestens die charakte-ristische Anregungsspannung UCh anlegen, die sich entsprechend Gleichung 1 ergibt.Bild 3a zeigt einen Schnitt durch eine moderne Feinstrukturröhre, die keine Ähnlichkeit mehr mitdem klassischen Modell einer Röntgenröhre hat.Die in dieser Röhre umgesetzte elektrische Leistung (oft 1 500 W und mehr) wird zu 99 % in Wärme

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Bild 3: a) Schnitt durch eine moderne Feinstrukturröntgenröhreb) Transmissionskurven für verschiedene Fenstermaterialien

umgewandelt und diese Wärme wird durch eine rückseitige Wasserkühlung der Anode abgeführt.Der Anodenkörper besteht heute meist aus Kupfer, im 90o-Winkel ist in Höhe des Anodenma-teriales ein dünnes Fenster zum Strahlaustritt in den Anodenkörper eingelassen. Das eigentlicheAnodenmaterial wird meist als dünne Platte in den Anodenkörper eingelassen. Die Hochspan-nungsisolation zwischen dem Kathoden- und Anodenteil erfolgt über ein eingestülptes Rohrstückbestehend aus Glas bzw. zunehmend aus Keramik.Die Röntgenstrahlung tritt durch in den Anodenkörper eingebrachte dünne Fenster aus. Diese Fen-ster sind gerade so dick ausgeführt, dass sie die Vakuumdichtheit der Röhre garantieren, aber trotzder Absorption von Röntgenstrahlung beim Durchgang durch Materie ein ausreichend niedrigesSchwächungsverhalten aufweisen. In Bild 3b sind die Transmissionskennwerte für drei verwende-te Materialien, Beryllium, Mica und eine spezielle Glassorte (Lindemannglas ist ein Borglas mitNetzwerkwandlern aus Lithium und Beryllium) gezeigt.

2.3 Filterung von Röntgenstrahlung

Die Filterung von Röntgenstrahlung ist notwendig, um das Gesamtspektrum der Röntgenstrahlungje nach Anwendungsfall auf entweder die charakteristische Strahlung oder auf das Bremsspektrumzu beschneiden. Es werden dazu Absorptionserscheinungen oder Beugungserscheinungen ausge-nutzt. Die einfachste Art der Filterung ist es, einen Absorber in den Strahlengang zu stellen. Soreicht z. B. ein ca. 3 mm dickes Aluminiumplättchen im Strahlengang, aus, die niederenergetischenBereiche besonders stark zu schwächen und nur die kurzwelligen Bremsstrahlanteile hindurch zulassen. Man spricht bei dieser Methode von einer Aufhärtung der Strahlung, Bild 4a.Zur Erzeugung von weitgehend monochromatischer Strahlung setzt man Absorptionsfilter ein. Mannutzt dabei aus, dass dünne Folien beim Strahldurchgang genau die Energieanteile besonders starkabsorbieren, in deren Nähe sie selbst emitieren würden. Die absorbierte Energie der einfallendenStrahlung führt zum Herausschlagen von Elektronen auf unteren Energieschalen, genau so wie imProzess in Bild 2, nur dass jetzt im Unterschied nicht Elektronen eingeschossen werden, sondernRöntgenstrahlung absorbiert wird. Es kommt dann zur Aussendung von charakteristischer Rönt-genstrahlung (Fluoreszenzstrahlung) entsprechend der Wellenlängen des Filtermaterials. Kenn-zeichnend für diesen Vorgang ist die Ausbildung der Apsorptionskante im Apsortionsspektrum.

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Bild 4: Filterung von Röntgenstrahlung a) Aufhärtung der Strahlung b) Monochromatisierungdurch selektive Metallfilter

3 Beugung von Röntgenstrahlung - Braggsche-Gleichung

Beugung von Strahlung kann auch als Ablenkung/Auslenkung von Strahlung/einer Strahlungs-richtung interpretiert werden. Eine geometrische Interpretation der Röntgenbeugung ist eine se-lektive Reflexion an einer Netzebenenschar. Hat man eine Atomanordnung in einem Kristall, beider eine betrachtete Netzebenenschar mit ihrem Netzebenenabstand dhkl parallel zur Oberflächeliegt, Bild 5b und bestrahlt man diesen Kristall mit monochromatischer Röntgenstrahlung derWellenlänge λ, so werden Strahlungsanteile des Teilstrahles 1 reflektiert. Die Reflexion findet anden kernnahen Bereichen der Atome der Netzebene statt. Nach dem Reflexionsgesetz sind da-bei Einfalls- und Ausfallwinkel gleich. Da die Röntgenstrahlung eine energiereiche Strahlung ist,dringt sie auch in den Kristallit ein. Der eindringende Teilstrahl 2 reflektiert in gleicher Weisewie Teilstrahl 1, aber an einer tiefer liegenden Netzebene. Dieser Teilstrahl 2 legt bezogen zumTeilstrahl 1 einen etwas längeren Weg, die Strecke ADC, zurück. Die reflektierten Teilstrahlen 1und 2 überlagern sich. Sie sind auf Grund der Wegunterschiede Phasen verschoben. Ist die längereWegstrecke ADC des Teilstrahles 2 ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge λ, dann interferie-ren beide Teilstrahlen in Form der Verstärkung. Ist der Weglängenunterschied kein ganzzahligesVielfaches der Weglänge, dann wird die Strahlung ausgelöscht oder nur schwach reflektiert. Man

Bild 5: a) Interferenz an einer Punktkette b) Reflexion von Röntgenstrahlen an Netzebenen undAbleitung der Braggschen-Gleichung 2

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stellt damit fest, dass die Reflexion nur dann stattfindet, wenn der Winkel θ, der so genannteGlanzwinkel, zwischen dem einfallenden Strahl und der Netzebene dhkl ganz bestimmte Wertehat, die vom Netzebenenabstand dhkl des Kristalls und der Wellenlänge λ der Röntgenstrahlungabhängen. Dieser Zusammenhang wird durch die Braggsche-Gleichung 2 beschrieben.

2 · dhkl · sin θhkl = n · λ (2)

Diese Gleichung ist die grundlegende Gleichung der Röntgendiffraktometrie. Viele Interpretationenlassen sich durch eine gründliche Analyse aller variablen Größen in dieser einfachen Gleichungableiten. Der Faktor n ist die Ordnung der Interferenz (Reflexionsordnung). Diese Interpretationergibt sich daraus, dass n · λ die Wegdifferenz zwischen Strahlen ist, die an aufeinander folgendenNetzebenen reflektiert werden.Betrachtet man alle Kristallsysteme, dann läßt sich aus den Geometriebedingungen der Elementar-zellen und der Braggschen Gleichung die nachfolgende Gleichung 3 ableiten.

1

dhkl=

√(h

ao

)2

+

(k

bo

)2

+

(l

co

)2

(3)

Entsprechend den einzelnen speziellen Kristallsysteme vereinfacht sich Gleichung 3 für ein kubi-sches, tetragonales und hexagonales System:

dkubhkl =ao√

h2 + k2 + l2dtethkl =

ao√h2 + k2 +

(aoco

)2l2

dhexhkl =ao√

43(h2 + k2 + hk) +

(a0co

)2l2

(4)Ziel einer Auswertung ist es, die entsprechenden Millerschen Indizees den einzelnen gemessenenRöntgenintensitäten/Beugungslinien auf einem Film/Diffraktogramm zuzuordnen.

4 Bragg-Brentano-Anordnung - Diffraktometer

Der aus der Röntgenröhre austretende Röntgenstrahl ist ein divergierender Strahl. Die Strahlfüh-rung sollte so gestaltet sein, dass Teilstrahlen fokussierend auftreten. Nur mit einer Fokussierung

Bild 6: a) Fokussierungsbedingung b) Strahlengang für einen divergenten Primärstrahl als auchDetektorstrahl in einem Goniometer mit Radius R c) Fokussierungskreisausbildung beizwei unterschiedlichen Beugungswinkel beim Bragg-Brentano-Goniometer

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Bild 7: Schematische Darstellung der Kornstruktur eines Werkstoffen und seiner Netzebenenori-entierung und mögliches Diffraktogramm schematisch

können schwache und mit geringer Intensität auftretende Beugungserscheinungen auch zuverlässigbeobachtet werden. Alle fokussierenden Verfahren beruhen auf dem Gesetz, dass in allen Drei-ecken, die über einer gemeinsamen Sekante einem Kreis einbeschrieben sind, der Scheitelwinkelgleich groß ist, Bild 6a. Der Winkel an den Positionen 1, 2 und 3 ist in der Fokussierungsstel-lung F1 gleich. Ändert sich der Fokussierungsort auf F2 bzw. F ′2, Positionen 4 bis 7, dann istauch dieser Winkel gleich. Der Winkel zwischen F1-Fokusstellung und F2-Fokusstellung ist natür-lich unterschiedlich. Pulverdiffraktometer haben eine als Bragg-Brentano-Geometrie bezeichnetesFokussierungsprinzip.Eine polykristalline Probe besteht immer aus kleinen Kristalliten, den Körnern. Ein Kristallitist ein kleiner Einkristall und durch eine Kristallitorientierung zur Oberfläche und Probenkantegekennzeichnet. Zur Beschreibung der Kristallitorientierung werden in der Regel die Netzebenen-normalen, welche mit den Richtungen der reziproken Gittervektoren zusammenfallen, benutzt. Imideal polykristallinen Material sind alle Orientierungen regellos verteilt. Somit sind nur jeweilswenige der möglichen Netzebenennormalen (Orientierungen) senkrecht zur Werkstoffoberflächeausgerichtet, Bild 7. In diesem Beispiel sollen drei „Kornarten“ mit drei unterschiedlichen Netze-benenabständen zur Erklärung der Beugung herangezogen werde. Ein divergenter Röntgenstrahlwird mit seinem Mittelpunktsstrahl in einer Entfernung R auf eine ebene Probe unter dem Win-kel θ gelenkt, Bild 7 bzw. 6a. Gelangt der an der Netzebene reflektierte Mittelpunktsstrahl unterdem gleichem Winkel θ auf den Detektor und tritt dort wegen der Erfüllung der Braggschen-Gleichung ein messbares Intensitätsmaximum auf, dann liegt die Erfüllung der Beugungsbedin-gung vor. In dem beleuchteten Teil der Probe entsprechend Bild 7a bzw. Bild 5b sind nur wenigeniedrig indizierte Netzebenen dhkl parallel zur Oberfläche vorhanden (ausgedrückt durch den aufder Netzebene stehenden senkrechten Oberflächennormalenvektor) und der Einstrahlwinkel erfülltdie Braggsche-Gleichung. Bei einem Winkel θ1 erfüllen die vier Körner, gekennzeichnet mit 1, dieBeugungsbedingungen und rufen den Beugungsintensität 1 hervor, Bild 7b. Die mit o gekenn-zeichneten drei Körner mit dem gleichen Netzebenenabstand tragen nicht zum Beugungsintensitätbei. Wird der Beugungswinkel θ weiter vergrößert, dann erfüllen bei einem Winkel θ2 die mit 2gekennzeichneten vier Körner die Beugungsbedingungen ebenfalls. Aber auf Grund anderer Ver-hältnisse in dem Strukturfaktor wie in der Flächenhäufigkeit kann die Intensität jetzt kleiner sein.Ersichtlich ist im Bild 7a, dass auch hier Körner mit diesem Netzebenenabstand nicht zum Beu-gungsintensität 2 beitragen, da deren Oberflächennormale nicht senkrecht zur Oberfläche steht.Im Bild 7a ist nur ein Korn 3 in Beugungsrichtung, das mit (3) gekennzeichnete Korn kann gerade

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noch so durch seine geringe Fehlorientierung zum Beugungsintensität 3 beitragen.Betrachtet man jetzt die divergenten Teilrandstrahlen der einfallenden Strahlung vom Punkt F,Bild 6a, dann tritt der linksseitige Strahl 1 mit einem um den Wert ∆ größeren Einfallswinkelauf. Der rechtsseitige Teilstrahl 2 ist um ∆ kleiner. Ist die Divergenz des Detektors genauso großwie die von der Quelle, dann werden die Randstrahlen 3 mit einem um ∆ kleineren Winkel undder Randstrahl 4 mit einem um ∆ größeren Winkel beobachtet. Die Reflexion des Randstrahles 1zum Detektorstrahl 3, als auch die Reflexion des Randstrahles 2 zum Detektorstrahl 4 sind somitin der Summe genau 2 · θ und damit genauso groß wie die Summe der Beugungswinkel des Mit-telpunktstrahles. Somit trägt die gesamte bestrahlte Fläche zur Beugungsinterferenz unter demWinkel 2 · θ bei. Die Beugung findet real nicht nur an den ersten zwei Netzebenen statt, sondernim Bereich der Eindringtiefe der Röntgenstrahlung.Röntgenröhrenfokus und Detektorfokus befinden sich in einer konstanten, gleichen Entfernung zurProbe. Im Goniometer bewegen sich Detektor und Röhre auf einem Kreisbogen, man spricht voneiner Bewegung auf einem Goniometerkreis mit dem Goniometerradius R. Röhrenfokus, Tangen-te der Probenoberfläche und Detektorfokus befinden sich zu jedem Zeitpunkt auf einem Kreis-bogen. Zu einem Zeitpunkt t1 der gemeinsamen Bewegung von Röhre und Detektor sei dieserKreisbogenradius FR1. Dieser Kreis wird Fokussierungskreis genannt. Zum Zeitpunkt t1 wird eineProbenfläche der Länge L1 bestrahlt. Bewegen sich Röhre und Detektor gleichmäßig zu höherenWinkel und verbleibt die Probe an ihrem Ort, dann lässt sich in dieser Stellung zum Zeitpunktt2 erneut ein Fokussierungskreis, aber diesmal mit einem kleinerem Radius FR2 finden. Die Rand-winkelunterschiede gleichen sich wiederum aus, wie in Bild 6a schon erwähnt. Durch den kleinerenFokussierungskreisradius in Stellung 2 wird bei unveränderten Divergenzblenden eine kleinere Flä-che der Probe bestrahlt. Der Randausgleich der Beugungswinkel wird aber auch in dieser Stellungerfolgen, der Winkelunterschied ∆ wird aber mit größerem Beugungswinkel kleiner. Mit einer Ein-trittsblende EB und einem damit verbundenen Divergenzwinkel γ wird die maximal bestrahlteProbenlänge L und -fläche festgelegt. Die Detektordivergenz wird durch die Detektorblende DBfestgelegt. Damit wird immer gewährleistet, dass der Detektor ausschließlich auf eine mit Rönt-genstrahlung beleuchtete Probenfläche „schaut“. Diese Fläche wird bei kleinen Beugungswinkelnaber von der Detektorseite noch durch eine Streustrahlenblende SB eingeschränkt. Die Streustrah-lenblende hat auf der Detektorseite die gleiche Funktion wie die probennahe Divergenzblende.Bei der Bragg-Brentano-Geometrie befinden sich Röhrenfokus, Probe und Detektorspalt auf einenFokussierkreis, dessen Radius mit zunehmenden Beugungswinkel kleiner wird. Nur die Kristallite,deren Netzebenen parallel zur Oberfläche liegen, erfüllen die Beugungsbedingungen. Die Proben-fläche sollte immer größer sein als die bestrahlte Probenoberfläche. Bei sehr kleinen Proben ist dieProbenträgerkristallinität zu beachten.Die Darstellung von Beugungsdiagrammen erfolgt heute meist als Funktion des doppelten Beu-gungswinkels 2·θ. Auf der Ordinate wird die Zahl der gezählten Impulse (Counts) pro Winkelschrittaufgetragen. Beugungsdiagramme sind dann vergleichbar, wenn mit gleicher Zeit pro Winkelschrittgemessen wurde. Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, dann kann die Vergleichbarkeit beson-ders im Intensitätsbereich mittels der Angabe Impulse/Zeit (counts per second – cps) angegebenwerden. Je nach Wahl der Ordinatenachsenunterteilung, linearer Auftrag (Lin [cps]), quadrati-scher Auftrag (aber als Quadratwurzel) (Sqr [cps]) oder logarithmischer Auftrag (Basis 10) (Log[cps]), werden unterschiedliche Abschnitte eines Beugungsdiagrammes und mögliche Änderungenhervorgehoben.

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5 Das Debye-Scherrer Verfahren

Das von Debye und Scherrer um 1916 entwickelte Verfahren ist eine Filmmethode. Die Arbeitsweisedes Verfahrens ist folgende, Bild 8:

Bild 8: Prinzip der Beugung als räumliche Darstellung a) verschiedene Streuvektoren an einemKristallit b) Ausbildung der Beugungskegel c) auf dem Film nachweisebare Beugungsringeals Teile des Beugungskegels

Der polychromatische Röntgenstrahl verlässt die Anode, durchstrahlt einen selektiven Metallfilterund wird bei richtiger Kombination von Anodenmaterial der Röntgenröhre und dem selektivenFilter weitgehend monochromatisiert. Damit kann ihm jetzt eine konstante Wellenlänge (Betrag)zugeordnet werden. Einstrahlrichtung auf die Probe und Wellenlänge definieren den Einstrahlvek-tor, wobei ~s0 = 2π/λ ist. Eine ca. 5 cm längsgestreckte, zweifache Lochblendenanordnung erzeugteinen nahezu parallelen Strahl entsprechend dem Durchmesser der ersten Blendenöffnung (üblicheWerte sind 0,2 mm−2 mm und auch rechteckige Ausschnitte sind möglich). Der so monochromati-sierte und kollimierte Strahl trifft auf das Präparat. An den Netzebenen der polykristallinen Probetreten Beugungserscheinungen auf. In Bild 8a sind verschiedene Beugungsvektoren ~s1 . . . ~s5 einge-zeichnet. Ist die Wegstrecke des eindringenden Strahls ein ganzzahliges Vielfaches der Weglängedes Netzebenenabstandes des bestrahlten Korns unter Berücksichtigung des Einfallswinkel θ, danntreten konstruktive d.h. verstärkende Interferenzen zwischen dem „Oberflächenanteil“ des Strahlsund dem penetrierenden Strahlenanteil entsprechend Gleichung 2 auf. Es liegt dann für dieses Korndie Bragg-Bedingung vor. Im polykristallinen Präparat ist die Bragg-Bedingung in verschiedenenRichtungen erfüllt, siehe Bild 9 rechter Teil für einen gleichen Netzebenenabstand für zwei Kör-ner aber mit unterschiedlicher Oberflächennormalenausrichtung. Es bilden sich Beugungskegel miteinem Öffnungswinkel 4θ aus, Bild 8b. Die Oberflächennormalen der Kristallite in einem idealenVielkristall für eine bestimmte Netzebene sind nach allen Richtungen gleichverteilt, Bild 8a. Des-halb wird es statistisch gesehen wiederum zwei Körner geben, die den gleichen Netzebenenabstandwie die eben gezeigten haben, aber eine davon wenig abweichende Ausrichtung der Oberflächen-normalen. Die entstehenden Beugungspunkte liegen damit wiederum um 4θ auseinander, aber ineiner anderen Raumrichtung ψ. Summiert man jetzt alle möglichen Richtungen dieser Netzebeneauf, dann liegen sie auf einem Kreis mit dem Durchmesser 4θ.Der einfallende Strahl wird in verschiedene Richtungen entsprechend der Braggschen-Gleichungreflektiert und trifft auf einen zylindrisch um die Probe gelegten Film. Die Reflexe einer be-stimmten Netzebene (h k l) der gesamten vom Primärstrahl erfassten Teilchen liegen auf einemKegelmantel mit der Spitze im Präparat und einem Öffnungswinkel von 4θ des eben besprochenenBeugungskreises, Bild 8c für einen Beugungsring in Durchstrahlung bzw. einen in Rückstrahlung.Der zylindrisch um die Probe gelegte Film schneidet aus den Kreisen zwei Teilabschnitte heraus.Sie sind in Bild 8c dick eingezeichnet. Der Abstand der auf dem Film registrierten Ringabschnitteist 4θ. Das Zustandekommen dieses Winkels ist nochmals im Bild 9 erklärt. Alle möglichen Interfe-

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renzkegel aller möglichen Netzebenen entsprechend den Auswahlregeln für die Beugung schneidenden Filmzylinder, wie es in Bild 10 dargestellt ist. Die Filmenden werden in der so genanntenStraumanis-Einlage um 90o seitlich zur Einstrahlrichtung versetzt angeordnet.

Bild 9: Prinzip der Anordnung in einer Debye-Scherrer-Kamera und Verdeutlichung der Beugungs-bedingungen an den Netzebenen für einen Netzebenenabstand

Interferenz-Linien

Film

Primärstrahl

Blende/Kollimator

Anode der Röntgenröhre

polykristallines Präparat

monochromatische Röntgenstrahlung

RückstrahlbereichDurchstrahlbereich

Äquator

2b'2b

Bild 10: Schematischer Strahlengang beim Debye-Scherrer- Verfahren, Kennzeichnung derBereiche

Die Probe selbst kann aus einem feinen Pulver bestehen, das sich entweder in einem sehr dünnen,hohlen Glasröhrchen befindet (Kapillare) oder mit Zaponlack auf einen dünnen Glasstab aufgeklebtsein (beide Teile – Lack und Glasstab, sind amorph und liefern selbst keine Beugungsreflexe).Die Probe kann auch kompakt sein und z. B. aus einem Draht bestehen. Es ist zu beachten,dass die Probenabmessung (Durchmesser) kleiner sein muss als der Durchmesser der gewähltenEintrittsblende (Lochblende). Die Röntgenstrahlung muss die Probe umspülen. Mittels an derKamera angebrachten Justierschrauben kann die Probe exakt zentrisch imMittelpunkt der Kamerajustiert werden. Die Probe wird während der Bestrahlung gedreht, mit ca. zwei Umdrehungenpro Minute. Damit wird eine größere Lagevielfalt der Kristallite und somit eine gleichmäßigere

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Bild 11: Verschiedene Formen von Debye-Scherrer-Aufnahmen für ein Material, aber mit unter-schiedlichem Kristallisationsstufen

Schwärzung der Interferenzlinien erreicht. Eine Aufnahme erhält man nach einer Belichtungszeitvon 5−40 min. Bei der Filmentwicklung sind eventuell auftretende Schrumpfungserscheinungen desFilmes zu beachten. Die Filmschrumpfung kann bei Verwendung der asymetrischen Straumanis-Einlage (symmetrisch zu θ = 90o) korrigiert werden. Ein weiterer Grund, warum diese Filmeinlagebevorzugt wird, ist die Möglichkeit der genauen Vermessung von Beugungslinien bei kleinen undgroßen Beugungswinkeln. Kleine Beugungswinkel werden für Identifizierungszwecke verwendet –z. B. in der Forensik, große Beugungswinkel sind für die Zellparameterbestimmung vorteilhaft.Auf dem entwickelten Film können die möglichen Beugungsmuster entsprechend Bild 11 beobach-tet werden. Durch die Präparatanordnung und den das Präparat umschließenden Film ergibt sichdie Möglichkeit, dass alle Kristallite anteilig zur Beugung beitragen. Auf einem Beugungsring bil-den sich alle Kristallitorientierungen einer Netzebene ab. Ist ein solcher Beugungsring gleichmäßiggeschwärzt, dann ist das der Beweis für einen idealen Polykristall, Bild 11a. In dieses Bild sindauch die Spuren der Messrichtung beim Bragg-Brentano-Verfahren mit eingezeichnet. Aufgrundder dort eingeschränkten Probenbewegungsmöglichkeiten werden beim Bragg-Brentano-Verfahrennur wesentlich weniger Lagemöglichkeiten der Netzebenennormalen erfasst. Dies kann beim Dif-fraktometerverfahren zu Fehlinterpretationen führen. Treten im untersuchten Material z.B. durchdas Walzen oder das Drahtziehen Umverteilungen in den Kristallitorientierungen auf, dann sprichtman von der Ausbildung einer Vorzugsorientierung bzw. Textur. Dies wird an der Einschränkungder Lagevielfalt der Körner sichtbar. Aus den Beugungskreisen werden Häufungsbereiche. Im Filmist dies als sichelförmige Beugungslinien erkennbar, Bild 11b. Die Veränderungen im Beugungsbildbeim Einkristall sind einer Reduzierung auf nur noch wenige Punkte wird deutlich im Bild 11c.Amorphe Stoffe haben keine Fernordnung und damit keine Netzebenenanordnung. Sie liefern so-mit keine Beugungserscheinungen, Bild 11d. Die möglichen Probleme bei der Untersuchung vontexturierten und einkristallinen Stoffen mit dem Diffraktometer sind in Bild 11 wohl eindeutigaufgezeigt.

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6 Indizierung

6.1 Indizierung beim Debye-Scherrer-Verfahren

Um in der Auswertung die Zellparameter der Probe bestimmen zu können, müssen die Glanzwinkelθi und die Indizierung (Bestimmung der Millerschen Indizes hkli) ermittelt werden. Aus dem Ab-stand korrespondierender Interferenzlinien auf dem Äquator des ausgebreitenden Debye-Scherrer-Films kann θi auf Grund symmetrischer Verhältnisse bestimmt werden. Die Debye-Scherrer-Kamerahat einen Innendurchmesser von Dk = 57,3 mm (kleine Kammer) oder Dg = 114,6 mm (großeKammer). Der Abstand der Beugungsringe im Durchstrahlbereich beträgt 2b. Dieser Abstandentspricht einem Beugungswinkel von 4θ. Die Debye-Scherrer-Kamera ist eine Vollkreiskamera,d.h. sie überstreicht einen Winkelbereich von 360o. Das Verhältnis nach dem Beugungswinkel auf-gelöst, ergibt mittels des Durchmessers für die kleine Debye-Scherrer-Kamera die zugeschnitteneGrößengleichung für den Durchstrahlbereich.

2πR

360o=

2b

4θ→ b [mm] = 1

[mm]

[o]· θ[o] (5)

Mittels Bild 9 kann man für den Rückstreubereich eine ähnliche Größengleichung ableiten.Nach der Zuordnung von Durchstrahl- und Rückstreubereich misst man so genau wie möglichden Abstand der korrespondierenden Beugungsringsegmente 2b bzw. 2b′ an der Äquatorlinie undermittelt mittels der Gleichungen ?? bzw. der aufzustellenden Gleichung für den Rückstreubereichdie Beugungswinkel θi.

Bild 12: Schiebestreifen zur Indizierung von kubischen Materialien mit krz oder kfz Bravais-Gitterund Beispiel einer Indizierung eines Messstreifens

Um aus den gefundenen Beugungswinkeln die konkreten Netzebenen zu finden, dies wird Indizie-rung genannt, werden die Winkel logarithmisch mit einem gewähltem Maßstabfaktor entsprechendBild 12 aufgezeichnet. Für eine bestimmte Strahlungsart und z. B. das kubische Kristallsystem unddie Bravaisgitter (kfz oder krz) trägt man auf einem zweitem Streifen alle möglichen MillerschenIndizess mit dem gleichen Maßstab auf. Danach verschiebt man beide Streifen solange, bis beideTeilstreifen zur Deckung gebracht werden. Daraus liest man für die gemessenen Beugungswinkeldie entsprechenden Millerschen Indizes ab. An der Stelle, wo die Deckung beider Teilstreifen er-folgt, ist der Abstand zwischen den beiden Nullpunkten der Logarithmus (Maßstab beachten) derZellparameter für ein kubisches Material. Mittels der Braggschen-Gleichung und den Gleichungenfür den Netzebenenabstand und des Zellparameters kann man nun für jeden Beugungswinkel mit-tels der gefundenen Millerschen Indizes unter Verwendung der eingesetzten monochromatischenStrahlung einen provisorischen Zellparameter für jeden gefundenen Beugungsintensität berechnen.

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Im Rückstreubereich treten des öfteren Doppelringe auf. Hier wird die Aufspaltung in Kα1 undKα2-Strahlung sichtbar. Einem Doppelring kann dann nur ein Millersches Indizes zugeordnet wer-den. Der äußere Ring wird dann Kα1, der innere der Doppelringe Kα2 zugeordnet. Für die sonstigeAuswertung der Beugungslinien wird beim Debye-Scherrer-Verfahren mit der gewichteten mittle-ren Wellenlänge nach Gleichung 6 gerechnet.

λKα = (2 · λKα1 + λKα2)/3 (6)

6.2 Identifizierung mit der PDF-Datei

1941 wurde in den USA das „Joint Committee for Chemical Analysis by Powder Diffraction Me-thods“ gegründet. Ziel dieser Organisation war es, die bis dahin gesammelten Beugungsdiagrammezu systematisieren und die Daten als Referenzdaten einer breiten wissenschaftlich-technischen Nut-zergemeinschaft zugänglich zu machen. Die PDF-Datei (Powder Diffraction File) entstand. DasZiel dieser Organisation sollte sein, die von Wissenschaftlern bereitgestellten Daten zu katalogi-sieren, eine Datenbank aufzubauen, die eine elektronische Auswertung von Beugungsdiagrammenzulässt und sie zu vertreiben. Ursprünglich wurde die PDF-Datei als regelrechte Kartei mit denOrdnungsmerkmalen eines Karteikastensystems aufgebaut, jedes Jahr kam ein neuer Kasten hinzu,der die Hauptnummer repräsentiert. Eine Beispielkarte aus den früheren Ausgaben ist im Bild 13gezeigt. Die im Bild 13 gezeigten Zifferngruppen beinhalten folgende Einzeldaten, Tabelle 1.

Bild 13: Leere Beispielkarte der PDF-Datei

Um aus den bis 1990 vorhandenen damals ca. 47 000 Karteikarten die der Probe entsprechendeKarteikarte herauszufinden, gab es verschiedene Indexbücher, nach dem die Kartei geordnet ist.

1. Hanawalt-Index Hierbei sind die Substanzen nach den dhkl-Werten ihrer stärksten Linienin Gruppen – den so genannten Hanawalt-Gruppen – eingeteilt. Innerhalb einer Hanawalt-Gruppe sind die Substanzen nach den dhkl Werten der zweitstärksten Interferenz gereiht. Inneueren Ausgaben sind noch zusätzlich die acht stärksten Linien jeder Substanz angegeben.

2. Fink-Index In diesem Index sind die Substanzen ebenfalls nach den dhkl-Werten in Hanawalt-Gruppen eingeteilt. Als erste Linie wird aber nicht die stärkste Linie angegeben, sondern diebei dem kleinsten Beugungswinkel auftretende. Die anderen Linien sind mit steigendem Beu-gungswinkel registriert.

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3. KWIC-Index (key word in context) Alphabetische Auflistung der registrierten Verbindun-gen (englische Namensgebung) und dahinter die drei dhkl-Werte der stärksten Interferenzen.

Die Einführung der elektronischen Datenbank hat aber auch einige Umstrukturierungen in den Da-tenbankfiles und den Einschluss der ICSD-Datei (Inorganic Crystal Structure Database -Karlsruhe)gefunden. Aus den dort ca. 38 000 enthaltenen Kristallstrukturdaten wurden theoretische Diffrak-togramme berechnet und in die Datenbank eingeschlossen.

Tabelle 1: Erklärungen zu der PDF-Kartei entsprechend Bild 131 1a, 1b, 1c Netzebenenabstände der drei stärksten Linien

1d größter gefundener Netzebenenabstand2 2a, 2b, 2c, 2d Relative Intensitäten der Netzebenen aus 13 Rad Röntgenstrahlungsart (Cu, Ni, Mo . . .)

λ; Filter Wellenlänge in Angström; Filterart (Ni, Fe, ohne . . .)Dia. Durchmesser der zylindrischen Kamera bei FilmaufnahmenCut off größter erfasster NetzebenenabstandI/Ii; Ref Methode der Intensitätsmessung; Literaturangabe

4 Sys; SG Kristallsystem; Raumgruppeao, bo, co; A, C Zellparameter; ao/bo bzw. co/boα, β, γ Kristallographische WinkelZ Anzahl der Formeleinheiten in der ElementarzelleDx röntgenographische Dichte

5 physikalische Kenngrößen der Substanz, z. B.n; D Brechungsindex; Gemessene Dichtemp; Ref Schmelzpunkt . . . ; Literaturstelle

6 Bemerkungen, Herkunft, Vorbehandlungen7 Chemische Formel und Name der Substanz8 Qualität der Karte9 Netzebenenabstände, relative Intensitäten,

Millersche Indizes10a Identifizierungsnummer der Karteikarte bis zum Jahr 2003 in der Form (VV-PPPP)

VV- dabei Hauptkarteinummer (Jahr seit 1950), PPPP- Nummer im Jahr10b Identifizierungsnummer seit 2003 in der Form (SS-VVV-PPPP) mit

SS=00 experimentelle Werte (alte ab 1950), VVV von 001 – 055

SS=01 ICSD-Datei, VVV von 070 – 089

SS=02 CSD (Cambridge Structure Database) nur für Teil PDF4 OrganicsSS=03 NIST-Datei (Metalle und Legierungen (M&A), VVV =065

Wie kommt man aus dem gemessenem Beugungsdiagramm zu einer kompletten Auswertung? Ne-ben der Kennzeichnung der Qualität der Daten durch die Markierungen ist die PDF-Datei indiverse Subfiles unterteilt. Dadurch wird die Datei in die Bereiche anorganischer und organischerStoffe, anorganischer Mineralien und organisch-anorganischer Stoffe eingeteilt. Die Nutzung dieserEinteilung ist vor allem dann sinnvoll, wenn von vornherein bekannt ist, in welche Kategorie diezu suchende Substanz fällt. Damit reduziert sich schlagartig die Zahl der möglich vorkommendenStoffe. Dadurch wird sowohl die benötigte Zeit für die Suche verkürzt, als auch das Ergebnis eindeu-tiger. Allerdings können Redundanzen auftreten, da dieselbe Substanzdatei in unterschiedlichenQualitäten vorliegen kann.

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Die rechnergestützte Auswertung unter Einbeziehung der gesamten PDF-Datei auf der Basis vonPersonalcomputern hat um 1988 begonnen und entwickelt sich weiter. Derzeit gibt es viele durchComputer gestützte Auswertesysteme. Ihnen ist mehr oder weniger gemeinsam, dass sie nur unter-stützend für den Operator arbeiten. Diese Programme geben Vorschläge für eine Auswertung, kön-nen aber meist keine komplexen Zusammenhänge verarbeiten. Der Operator mit seiner Erfahrungund seinem Wissen ist für die korrekte Auswertung des Experimentes nach wie vor verantwortlich.

7 Präzisionszellparameterverfeinerung – Lineare Regression

Mit Hilfe der Ableitung der Braggschen-Gleichung 2 nach allen Variablen wird eine Möglichkeitgezeigt, gezielt die Fehler in der Zellparameterbestimmung abzuschätzen. Stellt man Gleichung 2nach dem Netzebenenabstand d(h k l) um, erhält man Gleichung 8:

∆dhkl =

∣∣∣∣ n

2 · sin θ

∣∣∣∣∆λ+

∣∣∣∣n · λ2

(− cot θ)

sin θ

∣∣∣∣∆θ teilen durch dhkl =n · λ

2 · sin θ(7)

∆dhkldhkl

=

∣∣∣∣ 1λ∣∣∣∣∆λ+ |(− cot θ)|∆θ (8)

Es bietet sich eine einfache Möglichkeit der Fehlereliminierung an, indem man den Zellparame-ter bestimmt, die bei einem Winkel von θ = 90o gemessen würde. Dann hängt der Fehler derNetzebenenfehlbestimmung wegen Weggfall des zweiten Quotienten nur noch von der Fehlbestim-mung der Wellenlänge ab. Dazu extrapoliert man die aus den einzelnen Interferenzen errechnetenZellparameter gegen θ = 90o. Zur Berücksichtigung von weiteren Einflussgrößen, wie winkelabhän-gige Röntgenstrahlabsorption und Kameraverzerrungen, werden je nach der verwendeten Metho-de, Debye-Scherrer oder Diffraktometer nicht lineare Extrapolationsfunktionen verwendet. DiesenFunktionen ist eigen, dass sie bei einem Beugungswinkel von θ = 90o den Wert Null annehmen.Der Zellparameter wird dann als Ordinatenschnittpunkt der Regressionsgerade bestimmt, sieheBild 14a. Ein weiterer Grund für diese Vorgehensweise entspringt den Forderungen/Vereinbarungenin der Mathematik: Eine lineare Regression ist nur für den Wertebereich vom kleinsten bis zumgrößten Messwertepaar definiert. Bei Extrapolationen über den Bereich der Messwertpaare hinausmuss man annehmen, dass sich die Funktion nicht ändert. Trägt man die Zellparameter linearüber den Beugungswinkel θ auf, dann ist der Abstand zwischen dem letzten gemessenen Winkelund 90o im Bereich zwischen ∆θ ≈ 20o. Bei Verwendung der Extrapolationsfunktion ist dagegender Abstand größter Beugungswinkelmesswert θ und Wert 0 meist kleiner als ∆θ ≈ 0,1o. Damitist der Bereich, wo die Regressionsgerade eigentlich nicht „sicher definiert“ ist, bei Benutzung derExtrapolationsfunktion wesentlich kleiner.

Tabelle 2: Interpolationsfunktionenen zur Verfeinerung der ZellparameterDebye-Scherrer Diffraktometeraus-

gleichsfunktion (DAF)1 cos2 θ cot θ · cos θ D12 cot θ 1

2 [cot θ + cot θ · cos θ] D23 1

2

[cos2 θθ + cos2 θ

sin θ

]12

[cot2 θ + cot θ · cos θ

]D3

Nelson-Riley-Funktion

Beim Debye-Scherrer-Verfahren erfüllt die Nelson-Riley-Funktion den Einfluss der oben beschrie-benen Fehlereinflüsse am besten. Der Funktionswert der Nelson-Riley-Funktion bei 0o entspricht

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Bild 14: a) Prinzip der linearen Regression und zugehörende Werte b) Verdeutlichung der Bedeu-tung der Quantilen-Werte

damit einem Glanzwinkel von 90o. Praktisch ist diese Extrapolation so vorzunehmen, dass dieWerte der Nelson-Riley-Funktion in Abhängigkeit vom Winkel bestimmt werden. Die erhaltenenvorläufigen Zellparameter werden auf Minimum und Maximum untersucht, und diese Differenzmit dem größtmöglichen Ordinatenmaßstab dargestellt. Dann werden die erhaltenen Wertepaarein das Diagramm eingezeichnet und die Regressionsgerade ermittelt. Der Schnittpunkt (0, Or-dinatenwert) der Regressionsgerade repräsentiert im Ordinatenwert den auf 90o extrapoliertenZellparameter.Die Zahl der gemessenen Beugungslinien geht in die Standardabweichung des bestimmten Zell-parameters, Gleichung 10, ein. Diese Standardabweichung 11 ist ein erstes Kennzeichen für dieGlaubwürdigkeit des erhaltenen Zellparameters aus der Geradengleichung.

y = a+ b · x = y + b · (x− x) (9)

Der zu erwartende Zellparameter a ergibt sich aus den Einzelmesswerten zu:

a =1

n

∑yi −

∑(xi − x)(yi − y)∑

(xi − x)2· 1

n

∑xi (10)

Die Streuung des Zellparameters ist:

sa = s

√1n + x2

(n−1)·s2x(11)

s2 = 1n−2

n∑i=1

(yi − yi)2 s2x = 1n−1

n∑i=1

(xi − x)2 (12)

Das Konfidenzintervall (ε = 1− α), also ein mit ε-prozentiger Sicherheit zu erwartender Wertebe-reich für den Zellparameter a, ergibt sich nach Formel 13. Meistens wird mit einem 95 %igen bzw.99 %igen Konfidenzintervall gerechnet, schematisch im Bild 14 eingezeichnet. Man zieht dazu dieso genannte Studentverteilung für zweiseitige Fragestellungen mit einer Irrtumswahrscheinlichkeitα zu Rate. Die Quantilen-Werte tm;1−α/2 der Irrtumswahrscheinlichkeit sind der Tabelle 3 für diezweiseitige Fragestellung zu entnehmen. Dabei ist m = n− 2 der Freiheitsgrad der Auswertung.

gu = a− sa · tm;1−α/2 < a < a+ sa · tm;1−α/2 = go (13)

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Tabelle 3: Quantile-Werte tm;1−α/2-Werte der Irrtumswahrscheinlichkeit für Signifikanzniveaus95 % und 99 % und Freiheitsgrade F von 1− 12 (1− 14 Messwerte Beugungswinkel)

0,025 0,005 0,025 0,005F (95%) (99%) F (95%) (99%)1 12,706 2 63,656 7 2 4,430 2 9,924 8

3 3,182 4 5,840 9 4 2,776 4 4,604 0

5 2,570 5 4,032 1 6 2,446 9 3,707 4

7 2,364 6 3,499 4 8 2,306 0 3,355 3

9 2,262 1 3,249 8 10 2,228 1 3,169 2

11 2,201 0 3,105 8 12 2,178 8 3,054 5

Führt man die Regression mit einem Programm wie Origin, Excel, Mathematica, Matlab etc. aus,werden weitere Größen wie Standardfehler der Konstante sa, Korrelationskoeffizient R der Regres-sion und t-Wert ausgegeben. Daraus lässt sich bestimmen, wie gut die Qualität der Messwerteist und welche Genauigkeiten die jeweiligen Verfahren zulassen. Man berechnet für die erhaltenenWerte des Zellparameters ein Konfidenzintervall, Gleichung 13, für z. B. 95 %ige Wahrscheinlich-keit und bestimmt daraus den prozentualen Fehler für die Zellparameterbestimmung so erhält manGleichung 14:

Fehler[%] =go − gua

· 100 =2 · sa · tm;1−α/2

a· 100 (14)

8 Vorbereitungsaufgaben

1. Was ist eine Netzebene? Skizzieren Sie die Lage der Netzebenen (1 0 0), (0 2 0) und (1 2 3) ineinem Koordinatensystem mit eingezeichneter Einheitslänge in alle Richtungen.

2. Vervollständigen Sie Gleichung 1! Berechnen Sie die nichtrelativistische Geschwindigkeit ei-nes Elektrones, wenn es die Potentialdifferenz von 45 kV durchläuft. Wie groß ist die Grenz-wellenlänge λo bei der Annahme, dass die Bewegungsenergie vollständig in Bremsstrah-lungsenergie umgewandelt wird?

3. Informieren Sie sich über die optischen Auswahlregeln zur Erzeugung charakteristischerStrahlung. Stellen Sie die möglichen Auswahlregeln zusammen. Erklären Sie das Pauli-Prinzip!

4. Was versteht man unter Monochromatisierung? Erklären Sie die Wirkungsweise der Mono-chromatisierung bei Nutzung von selektiven Metallfiltern. Welches Filtermaterial ist für eineKupferanode auszuwählen?

5. Leiten Sie an Hand des Bildes 9 die Formel zur Berechnung des Glanzwinkels θ für denRückstrahlbereich analog zur Gleichung 5 ab.

6. Wann treten Zellparameteränderungen bei technischen Werkstoffen auf? Wie nennt mandiese Zellparameter (Gitterkonstanten) Änderung?

7. Welche Kenngrößen werden bei einer linearen Regression ermittelt?8. Welche Strahlenschutzmaßnahmen sind beim Arbeiten mit Röntgenstrahlen zu beachten? In

welcher physikalischen Einheit wird die Energiedosis angeben? Es sind die Gesetzlichkeitenab dem Jahr 2011 zu verwenden!

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9 Praktikumsaufgaben

1. Justieren Sie eine Drahtprobe in eine Debye-Scherrer Kamera.2. Indizieren Sie die erhaltene Debye-Scherrer Aufnahme mittels der Schiebestreifenmethode

und ermitteln Sie den Bravaisgittertp der untersuchten Probe.3. Bestimmen Sie den Zellparameter a anhand der Schiebestreifenmethode über den Abstand

der Nullpunkte auf dem Vergleichs- und Referenzstreifen, Abb. 12.4. Bestimmen Sie nach Gleichung 4 für jede einzelne Interferenz den vorläufigen Zellparameter!5. Führen Sie die graphische Extrapolation des Zellparameters auf θ = 90o mit Hilfe der Nelson-

Riley Funktion durch.6. Identifizieren Sie aus dem erhaltenen Zellparameter das Material der untersuchten Probe(n).7. Bestimmen Sie den relativen Fehler der Zellparameterbestimmung für das Debye-Scherrer-

Verfahren.8. Vergleichen Sie den Zellparameter a aus der Schiebestreifenmethode mit dem Ergebnis des

Zellparameters aus der linearen Regression und diskutieren Sie mögliche Abweichungen.9. Bestimmen Sie an den vorgelegten Röntgenbeugungsdiagrammen die Glanzwinkel. Indizieren

Sie die gefundenen Beugungsintensitäten mit der Methode aus Kapitel ??.10. Führen Sie auch bei diesen Proben die linerae Regression gegen 90o aus.11. Erstellen Sie ein Praktikumsprotokoll in Form eines Prüfberichtes nach DIN-Norm [2]

Eine detaillierte Praktikumsanleitung liegt am Arbeitsplatz aus

Literaturliste[1] Spieß, L. ; Teichert, G. ; Schwarzer, R. ; Behnken, H. ; Genzel, Ch.: Moderne Röntgenbeugung -

Röntgendiffraktometrie für Materialwissenschaftler, Physiker und Chemiker. 2. aktualisierte und ergänzteAuflage. Wiesbaden : Vieweg+Teubner-Verlag, 2009. – 564 S. – ISBN 978–3–8351–0166–1

[2] Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf und Kalibrierlaboratorien; Deutsche und EnglischeFassung. In: Deutsche Norm DIN EN ISO/IEC 17025 Berichtigung 2:2007-05 (2007), S. 1–73

[3] Allmann, R. ; Kern, A.: Röntgenpulverdiffraktometrie. 2. Auflage. Berlin Heidelberg : Springer-Verlag, 2003.– 275 S. – ISBN 3–540–43967–6

[4] Storm, R.: Wahrscheinlichkeitsrechnung, mathematische Statistik und statistische Qualitätskontrolle. 12.Auflage. Hanser-Fachbuchverlag, 2007. – 424 S. – ISBN 978–3–446–40906–4

[5] Nitzsche, K.: Schichtmeßtechnik. 1. Auflage. Würzburg : Vogel Buch -Verlag, 1996. – 502 S. – ISBN3–8083–1530–8

[6] Borchardt-Ott, W.: Kristallographie. 6. Auflage. Heidelberg : Springer-Verlag, 2007. – 349 S. – ISBN978–3–540–43964–6

[7] Kleber, W. ; Bautsch, H. J. ; Bohm, J. ; Klimmt, D.: Einführung in die Kristallographie. 19. Auflage.Berlin : Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2010. – 470 S. – ISBN 978–3–486–59075–3

[8] Röntgendiffraktometrie von polykristallinen und amorphen Materialien - Teil 1: Allgemeine Grundlagen. In:Deutsche Norm EN 13925-1 (2003), S. 1–14

[9] Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlung (Röntgenverordnung - RÖV). In: Bundes-gesetzblatt 2001 i.d.V. 2011 (2011), S. 2000–2043

[10] Krieger, H.: Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes. 4. Auflage. Wiesbaden : View-eg+Teubner Verlag, 2012. – 797 S. – ISBN 978–3–834–81815–7

[11] Vogt, H. G. ; Schultz, H.: Grundzüge des praktischen Strahlenschutzes. 3. Auflage. Carl Hanser, 2004. –573 S. – ISBN 3–446–22850–0

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Anhang

Tabelle 4: Quadratische Form der Millerschen Indizes für kubische, tetragonale und hexagonaleKristallsysteme

kubisch tetragonal hexagonal∑prim. kfz krz Diamanthkl hkl hkl hkl hk hk

1 100 10 102 110 110 113 111 111 111 114 200 200 200 20 205 210 21

6 211 2117 218 220 220 220 220 229 300 30 309 221

10 310 310 31

11 311 311 31112 222 222 222 2213 320 32 3114 321 321

16 400 400 400 400 40 4017 410 4117 32218 411 41118 330 330 3319 331 331 331 3220 420 420 420 42

21 42122 332 33224 422 422 422 42225 500/40326 510/413 51027 511/333 511/333 511/333

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Anhang II

Auszug aus der DIN-Norm 17025 (keine amtliche Kopie) zum Abschnitt Ergebnisberichte (dieDIN-Normen sind im Intranet oder in der Bibliothek der TU Ilmenau einsehbar)

1 Ergebnisberichte

1.1 AllgemeinesDie Ergebnisse vom Laboratorium durchgeführten Prüfungen oder Prüfreihen müssen ge-nau, klar, eindeutig und objektiv sowie in Übereinstimmung mit den in den Prüfverfahrenenthaltenen speziellen Anweisungen berichtet werden. Die Ergebnisse müssen üblicherweisein einem Prüfbericht dargestellt werden und müssen alle Informationen enthalten, die derKunde (Praktikumsbetreuer) verlangt hat und die für die Interpretation der Prüfergebnisseerforderlich sind, sowie alle Informationen, die nach dem verwendeten Verfahren erforderlichsind. Dabei handelt es sich üblicherweise um die in 1.2 und 1.3 oder 1.4 geforderten Infor-mationen.

1.2 PrüfberichteJeder Prüfbericht muss mindestens die folgenden Angaben enthalten:a) einen Titel (z. B. „Prüfbericht“ );b) den Namen und die Anschrift des Laboratoriums und den Ort, an dem die Prüfungen

durchgeführt wurden;c) eindeutige Kennzeichnung des Prüfberichtes und auf jeder Seite eine Identifikation, um

sicherzustellen, dass die Seite als Teil des Prüfberichtes erkannt wird, sowie eine ein-deutige Identifikation des Endes des Prüfberichtes;

d) den Namen (und die Anschrift) des Kunden (TU Ilmenau, Institut für Werkstofftechnik,FG WET)

e) Angabe des angewendeten Verfahrens;f) das Datum der Durchführung der Prüfung;g) die Prüfergebnisse mit Angabe der Einheit;h) Name(n), Stellung und Unterschrift(en) oder gleichwertige Bezeichnung der Person(en),

die den Prüfbericht genehmigt (genehmigen);ANMERKUNG 1 Prüfberichte in Papierform sollten auch die Seitennummerierung und dieAnzahl der Seiten enthalten.

2.3 Prüfberichte2.3.1

Außer den in 2.2 geforderten Angaben muss, wo es für die Interpretation des Prüfergebnisseserforderlich ist, ein Prüfbericht noch die folgenden Angaben enthalten:a) Abweichungen von, Zusätze zu oder Ausnahmen von dem Prüfverfahren und Angaben

über spezielle Prüfbedingungen, wie Umgebungsbedingungen;b) wo erforderlich, eine Aussage auf Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung mit Anfor-

derungen und/oder Spezifikationen;c) falls anwendbar, eine Angabe der geschätzten Messunsicherheit; Angaben zur Unsicher-

heit sind in Prüfberichten dann erforderlich, wenn sie für die Gültigkeit oder Anwendungder Prüfergebnisse von Bedeutung sind, wenn sie vom Kunden verlangt wurden oder

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wenn die Unsicherheit die Einhaltung von vorgegebenen Grenzen in Frage stellt;d) wo angemessen und erforderlich, Meinungen und Interpretationen (siehe 2.5);

. . . . . . . . . . . .

2.5 Meinungen und InterpretationenWenn in einem Prüfbericht Meinungen und Interpretationen enthalten sind, muss das Labo-ratorium die Grundlagen, auf denen die Meinungen und Interpretationen beruhen, schriftlichniedergelegt haben. Meinungen und Interpretationen müssen in Prüfberichten eindeutig alssolche gekennzeichnet werden.ANMERKUNG 1 Meinungen und Interpretationen sollten nicht mit Inspektionen und Pro-duktzertifizierungen, wie in ISO/IEC 17020 und ISO/IEC Guide 65 beschrieben, verwechseltwerden.ANMERKUNG 2 Meinungen und Interpretationen in einem Prüfbericht dürfen Folgendesumfassen, sind aber nicht beschränkt auf:• eine Meinung zur Aussage über die Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung von Ergeb-

nissen mit Anforderungen;• Erfüllung vertraglicher Anforderungen (Praktikumsaufgabe erfüllt oder nicht);• Empfehlungen über den Gebrauch der Ergebnisse;• Hinweise für Verbesserungen.

. . . . . . . . . . . .

2.8 Gestaltung von PrüfberichtenDer Aufbau muss so gestaltet sein, dass er allen durchzuführenden Arten von Prüfungenangepasst ist und die Gefahr von Missverständnissen oder Missbrauch auf ein Minimum re-duziert.ANMERKUNG 1 Der Gestaltung des Prüfberichtes ist Aufmerksamkeit zu widmen, beson-ders in Hinblick auf die Darstellung der Prüfdaten und auf die Verständlichkeit für den Leser.

TU Ilmenau, Institut für Werkstofftechnik, Studiengang Werkstoffwissenschaft (BA) 21