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Daniel Defoe Robinson Crusoe Kapitel 1 Ich wurde im Jahre 1632 in York geboren und stamme aus einer guten Familie, die jedoch noch nicht lange in diesem Land ansässig war. Mein Vater, ursprünglich ein Bremer, hatte sich zuerst in Hull niedergelassen und lebte, nachdem er ein schönes Vermögen erworben und sich von den Handelsgeschäften zurückgezogen hatte, in York, wo er durch meine Mutter mit der Familie Robinson, einer der angesehensten der ganzen Provinz, in verwandtschaftliche Beziehungen kam. Aus dieser Verbindung habe ich meinen Doppelnamen Robinson-Kreutzner; aber infolge der in England üblichen Namensverketzerung nennt man uns jetzt, ja, wir selbst nennen und schreiben uns Crusoe; und meine Kameraden haben mich niemals anders genannt. Ich hatte zwei Brüder. Der älteste war in Flandern Oberstleutnant eines englischen Infanterieregimentes, das früher der berühmte Oberst Lockhart kommandiert hatte. Er verlor sein Leben bei Dünkirchen in der Schlacht gegen die Spanier. Was aus dem anderen geworden ist, weiß ich nicht; sein Schicksal blieb mir ebenso unbekannt wie meinen Eltern das meinige. Somit war ich der dritte Sohn, und da ich kein Gewerbe erlernt hatte, gingen mir schon frühzeitig abwegige Gedanken im Kopf herum. Mein Vater, schon hochbetagt, hatte mir alle Kenntnisse beibringen. lassen, die man sich überhaupt durch häusliche Erziehung und in einer Freischule erwerben kann. Er bestimmte mich zum Juristen; allein, mein einziger Wunsch war, Seereisen zu machen, und diese Neigung rief, ungeachtet allen Bittens und Flehens meiner Mutter und meiner Verwandten, eine solche Widersetzlichkeit gegen seinen Willen und seine Befehle in mir hervor, daß in diesem inneren Drang nach einer unheilvollen Zukunft in der Tat ein Verhängnis zu liegen schien. Als Mann von Einsicht und reifer Überlegung erhob mein Vater manch ernsten und durchaus treffenden Einwand gegen mein mutmaßliches Vorhaben. Eines Morgens ließ er mich auf sein Zimmer kommen, an das die Gicht ihn fesselte, und machte mir sehr eindringliche Vorhaltungen ob meiner Neigung: »Was für einen Grund kannst du haben«, sprach er zu mir, »außer einem unseligen Hang zum Abenteuerlichen, dein elterliches Haus und dein Vaterland zu verlassen, wo du gewiß bist, durch Fleiß und Betriebsamkeit dein Glück machen und dir ein gemächliches, vergnügtes Leben sichern zu können? Nur Ehrgeizige oder Menschen, die das Unglück verfolgt, ziehen auf Abenteuer aus, um durch gewagte Unternehmungen überheblich zu werden und sich durch ungewöhnliche Taten einen Namen zu machen. Dieses Streben übersteigt einerseits zu sehr deine Kräfte, andererseits ist es unter deiner Würde. Du bist deinem Stand gemäß auf das angewiesen, was weder zu hoch noch zu niedrig ist, oder mit anderen Worten, auf das, was man die oberste Stufe der unteren Klasse nennen kann - du gehörst in den Mittelstand. Einer langen Erfahrung verdanke ich die Überzeugung, daß er der beste Stand der Welt ist und den Menschen am meisten beglückt. Gehört er dieser Klasse an" so ist er weder dem Elend, den Anstrengungen und Leiden des Handwerkers ausgesetzt, noch quälen ihn der Stolz, die Prachtliebe, der Neid und der Ehrgeiz der vornehmen Klassen. Du kannst selbst über das Glück urteilen, das dieser Stand gewährt, wenn ich dir sage, daß man ein Leben darin führt, auf das die Menschen, die den übrigen Ständen angehören, stets mit neidischen Augen schauen. Wie oft haben selbst Könige schon über die unseligen Folgen ihrer hohen Geburt geseufzt und gewünscht, die Vorsehung hätte sie zwischen die beiden Gegensätze, die Hohen und. die Niederen, gestellt.

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Daniel Defoe

Robinson Crusoe

Kapitel 1Ich wurde im Jahre 1632 in York geboren und stamme aus einer guten Familie, die jedoch nochnicht lange in diesem Land ansässig war. Mein Vater, ursprünglich ein Bremer, hatte sich zuerstin Hull niedergelassen und lebte, nachdem er ein schönes Vermögen erworben und sich von denHandelsgeschäften zurückgezogen hatte, in York, wo er durch meine Mutter mit der FamilieRobinson, einer der angesehensten der ganzen Provinz, in verwandtschaftliche Beziehungen kam.Aus dieser Verbindung habe ich meinen Doppelnamen Robinson-Kreutzner; aber infolge der inEngland üblichen Namensverketzerung nennt man uns jetzt, ja, wir selbst nennen und schreibenuns Crusoe; und meine Kameraden haben mich niemals anders genannt.Ich hatte zwei Brüder. Der älteste war in Flandern Oberstleutnant eines englischenInfanterieregimentes, das früher der berühmte Oberst Lockhart kommandiert hatte. Er verlor seinLeben bei Dünkirchen in der Schlacht gegen die Spanier. Was aus dem anderen geworden ist,weiß ich nicht; sein Schicksal blieb mir ebenso unbekannt wie meinen Eltern das meinige.Somit war ich der dritte Sohn, und da ich kein Gewerbe erlernt hatte, gingen mir schon frühzeitigabwegige Gedanken im Kopf herum. Mein Vater, schon hochbetagt, hatte mir alle Kenntnissebeibringen. lassen, die man sich überhaupt durch häusliche Erziehung und in einer Freischuleerwerben kann. Er bestimmte mich zum Juristen; allein, mein einziger Wunsch war, Seereisen zumachen, und diese Neigung rief, ungeachtet allen Bittens und Flehens meiner Mutter und meinerVerwandten, eine solche Widersetzlichkeit gegen seinen Willen und seine Befehle in mir hervor,daß in diesem inneren Drang nach einer unheilvollen Zukunft in der Tat ein Verhängnis zu liegenschien.Als Mann von Einsicht und reifer Überlegung erhob mein Vater manch ernsten und durchaustreffenden Einwand gegen mein mutmaßliches Vorhaben. Eines Morgens ließ er mich auf seinZimmer kommen, an das die Gicht ihn fesselte, und machte mir sehr eindringliche Vorhaltungenob meiner Neigung: »Was für einen Grund kannst du haben«, sprach er zu mir, »außer einemunseligen Hang zum Abenteuerlichen, dein elterliches Haus und dein Vaterland zu verlassen, wodu gewiß bist, durch Fleiß und Betriebsamkeit dein Glück machen und dir ein gemächliches,vergnügtes Leben sichern zu können? Nur Ehrgeizige oder Menschen, die das Unglück verfolgt,ziehen auf Abenteuer aus, um durch gewagte Unternehmungen überheblich zu werden und sichdurch ungewöhnliche Taten einen Namen zu machen. Dieses Streben übersteigt einerseits zu sehrdeine Kräfte, andererseits ist es unter deiner Würde. Du bist deinem Stand gemäß auf dasangewiesen, was weder zu hoch noch zu niedrig ist, oder mit anderen Worten, auf das, was mandie oberste Stufe der unteren Klasse nennen kann - du gehörst in den Mittelstand. Einer langenErfahrung verdanke ich die Überzeugung, daß er der beste Stand der Welt ist und den Menschenam meisten beglückt. Gehört er dieser Klasse an" so ist er weder dem Elend, den Anstrengungenund Leiden des Handwerkers ausgesetzt, noch quälen ihn der Stolz, die Prachtliebe, der Neid undder Ehrgeiz der vornehmen Klassen. Du kannst selbst über das Glück urteilen, das dieser Standgewährt, wenn ich dir sage, daß man ein Leben darin führt, auf das die Menschen, die den übrigenStänden angehören, stets mit neidischen Augen schauen. Wie oft haben selbst Könige schon überdie unseligen Folgen ihrer hohen Geburt geseufzt und gewünscht, die Vorsehung hätte siezwischen die beiden Gegensätze, die Hohen und. die Niederen, gestellt.

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Kurz, der Weise erklärt, daß jener Mittelstand die wahre Glückseligkeit berge, und fleht denHimmel an, ihn vor Armut wie vor Reichtum zu bewahren. Merke wohl auf das, was ich dir jetztsage. Der Mittelstand erleidet das wenigste Mißgeschick und ist den Wechselfällen bei weitemnicht so ausgesetzt wie der Vornehmste und Geringste; ja, sowohl dem körperlichen als auch demgeistigen Ungemach ist er minder unterworfen als die beiden anderen, die durch Ausschweifungenund Laster aller Art oder durch allzu harte Arbeit, Entbehrung des Notwendigsten, unzureichendeNahrung und Hunger, Elend und Leiden über sich bringen.«Er bat mich hierauf inständig und auf die liebevollste Weise, künftig nicht mehr so unüberlegt zusein. »Stürze dich ja nicht«, sprach er, »mutwillig in jene jammervolle Lage, vor der die Natur unddeine Geburt dich geschützt zu haben scheinen. Du bist nicht gezwungen, dein Brot anderwärtszu suchen. Ich bin dir von Herzen gewogen und werde alles tun, um dich auf den Lebensweg zubringen, den ich dir in diesem Augenblick so warm empfohlen habe. Solltest du in der Welt nichtzufrieden und glücklich werden, so wäre es dein Schicksal oder wohl eher die Folge einesIrrtums, von dem du dich unbedingt befreien mußt. Auf mir liegt keine Verantwortung mehr,denn ich habe meine Pflicht erfüllt, indem ich dich über ein Vorhaben aufklärte, das nach meinerÜberzeugung dein Verderben sein wird. Mit einem Wort, ich werde mein wohlgemeintesVersprechen erfüllen, wenn du, meinem Wunsche nachgebend, hierbleibst; aber ich bin nichtgesonnen, zu deinem Unglück beizutragen, indem ich dich ermutige, in die Welt hinauszugehen.Laß dir das Beispiel deines ältesten Bruders zur Warnung dienen, den ich einst mit denselbeneindringlichen Worten abhalten wollte, in den Krieg der Niederlande zu ziehen. Sein jugendlicherHang trug jedoch den Sieg über mein Reden davon und trieb ihn ins Gewühl der Schlacht, wo erden Tod fand.Ich werde zwar nicht aufhören, für dein Wohl zu beten, aber ich glaube dir voraussagen zukönnen, daß der Himmel dir seinen Segen dazu verweigern würde, wenn dein eigensinniger Kopfeinen solchen Streich ausführen sollte und du dann Muße genug hättest, über die Verschmähungmeines väterlichen Rates nachzudenken!«Zum Schluß seiner Ermahnungen, die in der Tat prophetisch waren, obwohl ich nicht glaube, daßmein Vater meine Zukunft ahnte, bemerkte ich, daß häufig Tränen über seine Wangen rollten;besonders als er vom Tode meines Bruders sprach. Und als er äußerte, ich werde dereinst inhilflosem Zustand Muße genug zur Reue haben, hielt er plötzlich inne und fügte dann noch hinzu:»Mein Herz ist zu voll; ich kann dir nichts mehr sagen!«Diese Ermahnungen hatten mich tief gerührt - wie konnte es auch anders sein? Ich faßte daherden Entschluß, ans Reisen gar nicht mehr zu denken, sondern, dem Wunsch meines Vatersgemäß, mich in meinem Geburtsort niederzulassen. Aber ach, in wenigen Tagen schon warendiese guten Vorsätze vergessen! Und um weiteren väterlichen Ermahnungen zu entgehen,entschloß ich mich einige Wochen später zur Flucht. Doch ich übereilte deshalb nichts, obgleichder erste Eifer mich ungestüm fortdrängte, sondern wartete einen Tag ab, an dem meine Mutteretwas heiterer als gewöhnlich zu sein schien, nahm sie beiseite und sprach zu ihr: »Derunwiderstehliche Drang, die Welt zu sehen, ist in mir so mächtig, daß es mir unmöglich erscheint,irgend etwas mit jener Ausdauer zu tun, ohne die nichts gelingen kann. Mein Vater täte besserdaran, mir seine Zustimmung zu geben, als mich zu zwingen, keine Rücksicht darauf zu nehmen.jetzt, da ich achtzehn Jahre alt bin; ist es zu spät, mich zu einem Kaufmann in die Lehre oder alsSchreiber zu einem Advokaten zu schicken; und wenn ich mich dazu auch bequemte, so weiß ichgewiß, daß ich vor Ablauf der festgesetzten Zeit meinem Lehrherrn durchbrennen und zur Seegehen würde. Seid daher so gütig, meinen Vater zu bitten, daß, er mir die Erlaubnis zu einer

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Reise gibt! Wenn ich dann übersättigt zurückkomme, werde ich gewiß nie mehr fortgehen undEuch versprechen, die versäumte Zeit durch doppelten Fleiß wieder einzubringen.«Diese Mitteilung erschütterte meine Mutter sehr. »Das kann ich unmöglich vorschlagen«,erwiderte sie. »Im Gegenteil, ich werde mich hüten, mit deinem Vater darüber, zu sprechen. Erweiß zu gut, was dir zum Besten dient, als daß er seine Genehmigung zu einem Vorhaben gäbe,das dich nur ins Unglück stürzen kann. Ich bin erstaunt, daß du nach jener Unterredung mit ihm,bei der er dir gegenüber so liebevoll und zärtlich war, an so etwas noch zu denken wagst. Kurz,willst du mit Gewalt in dein Verderben rennen, so weiß ich kein Mittel mehr, dich davonabzuhalten; aber sei überzeugt, daß du auf keinen Fall unsere Einwilligung bekommen wirst. Wasmich betrifft, so werde ich zu dem Unglück, in das du rennst, niemals meine Hand bieten, undkeiner soll sagen können, daß deine Mutter etwas unterstützt hätte, was dein Vater mißbilligte.«Ungeachtet dieser Weigerung hinterbrachte sie, wie ich später erfuhr, dennoch alles meinemVater, der, tief betrübt, zu ihr sagte: »Der junge könnte so glücklich werden, wenn er daheimbliebe; geht er aber in die Welt hinaus, so macht er sich zum unglücklichsten Geschöpf auf Erden.Niemals werde ich dem zustimmen.«Erst ungefähr ein Jahr nach diesem Vorfall entwich ich heimlich. Während dieser Zeit hatte ichmich jedoch beharrlich geweigert, irgendeinen Beruf zu ergreifen, und meinen Eltern oftVorwürfe gemacht, weil sie sich meiner Neigung, die mich unwiderstehlich hinausdrängte, soentschieden widersetzten.Als ich mich eines Tages in Hull befand, wohin ich mich zufällig und ohne bestimmte Absichtbegeben hatte, traf ich einen meiner Kameraden, der im Begriff stand, auf einem seinem Vatergehörenden Schiff nach London zu reisen. Dieser drang in mich, ihn zu begleiten, und ködertemich mit der gewöhnlichen Lockspeise der Seeleute, nämlich mit der Versicherung, daß mich dieFahrt nicht das geringste kosten solle. Da konnte nicht mehr die Rede davon sein, Vater oderMutter um Rat zu fragen; nicht einmal eine Nachricht sandte ich ihnen, sondern überlieg es demZufall, ob sie es jemals erfahren würden. Mich kümmerte wieder der göttliche noch meines VatersSegen, und die üblen Folgen nicht bedenkend, schiffte ich mich, zu meinem größten Unglück, am1. September 1651 auf dem nach London bestimmten Schiff ein. Ich glaube nicht, daß esirgendeinen jungen Abenteurer gegeben hat, dessen Mißgeschick so früh begann und so langedauerte wie das meine.Kaum hatte das Schiff den Hafen verlassen, als ein heftiger Wind aufkam und die See ungeheuerhoch ging. Es war das erstemal, daß ich mich auf dem Meer befand; ich fühlte michunbeschreiblich krank, und mich erfüllten Angst und Schrekken. jetzt begann ich ernstlich überden Schritt nachzudenken, den ich getan, und über die göttliche Gerechtigkeit, die einenungehorsamen Sohn züchtigte. Der wohlgemeinte Rat meiner Eltern, die Tränen meines Vatersund die Worte meiner Mutter kamen mir ins Gedächtnis. Und mein Gewissen, das noch nicht soabgehärtet war, wie es später wurde, machte mir bittere Vorwürfe, daß ich die Vernunftmißachtet und die Pflichten gegen meinen Vater so schwer verletzt hatte.Unterdessen nahm der Sturm zu, und hoch türmten sich die Wellen. Aber das war noch gar nichtsim Vergleich zu'dem, was ich in der Folge, ja schon einige Tage später sah. Es reichte aber, umeinen Neuling wie mich in hohem Grade zu bestürzen. Bei jeder herankommenden Woge glaubteich, die See werde unser Schiff verschlingen. Während dieser Qual faßte ich mehrere guteVorsätze und gelobte feierlich - sollte Gott mir auf dieser Reise das Leben erhalten und es mirvergönnt sein, den Fuß aufs feste Land zu setzen -, nie wieder ein Schiff zu besteigen, sondernohne Umwege zu meinem Vater zurückzukehren, von seinem Rat mich leiten zu lassen und michin meinem ganzen Leben nicht mehr in solche gefährlichen Situationen zu begeben. Ich sah ein,

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wie richtig seine Bemerkungen über den Mittelstand waren, wie sorglos und behaglich er seineTage verlebt hatte, ohne je den Stürmen des Ozeans oder dem Ungemach des Landes ausgesetztgewesen zu sein; und ich beschloß, reumütig wie der verlorene Sohn ins elterliche Hauszurückzukehren.

Kapitel 2Diese vernünftigen und ernsten Überlegungen währten so lange, wie der Sturm dauerte, auchwohl noch etwas länger; als aber am folgenden Tag der Wind nachließ und die See ruhiger wurde,fing ich an, mich einigermaßen daran zu gewöhnen. Indessen setzte mir doch immer noch dieSeekrankheit zu, und ich war den ganzen Tag über traurig. Gegen Abend heiterte sich derHimmel auf, der Wind legte sich vollkommen, die Sonne ging prachtvoll unter und am anderenMorgen nicht minder herrlich auf. Es erhob sich dann ein linder Wind, und im feurigen Glanzstrahlte das Gestirn des Tages auf die spiegelglatte See hernieder; es war der schönste Anblick,der mir je in meinem Leben begegnete. Mein Schlaf war in der vergangenen Nacht sehr gutgewesen; ich fühlte keinen Brechreiz mehr, befand mich in der heitersten Stimmung undbetrachtete verwundert den Ozean, der noch am vorigen Abend so fürchterlich aufgewühltgewesen und jetzt schon wieder so ruhig und ergötzlich war. Aus Furcht, meine guten Vorsätzekönnten von Dauer sein, kam jetzt mein Kamerad, der mich doch im Grunde genommen verführthatte, auf mich zu und sprach, indem er mir auf die Schulter klopfte: »Nun, Bob, wie geht es dir?Ich wette, daß du gestern sehr erschrocken warst, als es stürmte; und doch war es kaum eineMütze voll Wind!«»Wie, eine Mütze voll Wind nennst du das? Das war doch ein entsetzlicher Sturm!«»Sturm? Du bist,ein Narr! Ich sage dir, das war gar nichts. Gib uns ein tüchtiges Schiff, und wirlachen über so ein bißchen Wind. Du bist nur ein Süßwassermatrose, Bob. Komm, wir wollen unseinen Punsch machen und all das vergessen! Sieh nur, wie herrlich das Wetter jetzt ist!«Kurz, um diesen traurigen Teil meiner Geschichte nicht in die Länge zu dehnen, wir folgten deralten Seemannsmanier: Es wurde Punsch gebraut, ich berauschte mich und ersäufte in dieserausschweifenden Nacht meine ganze Reue samt allen Betrachtungen, die ich über mein bisherigesBetragen angestellt, und alle guten Vorsätze, die ich für die Zukunft gefaßt hatte. So, wie sich dieweite Fläche des Ozeans nach dem Sturm wieder beruhigt hatte, legte. sich auch meine Furchtund Besorgnis; der alte Drang in mir wurde wieder wach, und meine Versprechungen, mit allem,was ich in meiner Herzensangst gelobt, waren vergessen. Zwar kamen mir zuweilen, wie diesunter solchen Umständen gewöhnlich geschieht, einige ernste Betrachtungen in den Sinn; alleindann nahm ich schnell Zuflucht zum Trinken und zum vertraulichen Umgang mit derSchiffsmannschaft, um diese Grillen zu verjagen und mich davon zu heilen wie von einer bösenKrankheit. Bald hatte ich diese Anfälle überwunden, und in fünf bis sechs Tagen errang ich einenso vollkommenen Sieg über mein Gewissen, wie ihn sich ein junger Wüstling nur wünschen kann,der entschlossen ist ' seine inneren Vorwürfe zu ersticken. Doch war mir noch eine Prüfungvorbehalten. Das Schicksal wollte es jedoch, daß mir jeder Vorwand zur Entschuldigung geraubtwürde. Da ich das letzte Ereignis nicht als Befreiung aus einer Todesgefahr erkennen mochte,sollte das nächste so fürchterlich werden, daß sich auch der ausgemachteste Schurke unter unsbequemen mußte, die Größe der Gefahr einzusehen und den Himmel um Erbarmen anzuflehen.Am sechsten Tag unserer Fahrt liefen wir in die Reede von Yarmouth ein. Da uns der Windentgegen und das Wetter ruhig gewesen war, hatten wir seit dem Sturm nur eine kleine Strecke

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zurücklegen können. Wir sahen uns daher genötigt die Anker auszuwerfen; und da wir nochimmer widrigen Wind hatten - er blies aus Südwesten -, brachten wir hier sieben bis acht Tage zu.Allerdings wären wir nicht so lange liegengeblieben, sondern, durch die Flut begünstigt, denStrom hinaufgefahren, wenn der Wind nicht zu stark geweht hätte; auch verschärfte er sich amvierten oder fünften Tag unseres Aufenthaltes noch mehr. Da jedoch die Reede für ebensogut galtwie ein Hafen, der Ankerplatz nichts zu wünschen übrigließ und unsere Ankervorrichtung sehrstark war, machten sich unsere Leute keine Sorgen und verbrachten, ohne die mindeste Furchtvor Gefahren, ihre Zeit schlafend oder Gelage feiernd, wie dies auf See so Sitte ist. Aber amachten Tag nahm der Wind an Heftigkeit zu, und wir hatten alle vollauf zu tun; wir ließen unsereRahen nieder und refften sämtliche Segel, um die Bewegungen des Schiffes möglichst zuverringern. Gegen Mittag ging die See entsetzlich hoch, mehrere Wogen stürzten über Deck, undes kam uns einigemal vor, als risse sich der Anker vom Grund los. Da befahl der Kapitän, denNotanker auszuwerfen, und wir ließen die Ankertaue fahren. Indessen heulte der Sturm auf diegräßlichste Weise, und ich bemerkte, daß sich selbst auf den Gesichtern der Matrosen Angst undEntsetzen malten. Obwohl der Kapitän unaufhörlich um sein Schiff besorgt war, vernahm ichdoch, wenn er beim Hin- und Hereilen an mir vorüberging, daß er leise ausrief: »Herr im Himmel,hab Erbarmen mit uns! Wir sind alle verloren!«Während der ersten Verwirrung lag ich in dumpfer Betäubung in meiner Koje; den Zustandmeiner Seele vermag ich allerdings nicht zu beschreiben. Der Reue, die ich so offen mit Füßengetreten und gegen die ich mich verhärtet hatte, konnte ich mich nicht hingeben. Ich wähnte, dieSchrecken des Todes seien überstanden, und dieses Unwetter werde dem ersten nicht einmalgleichkommen. Allein, als der Kapitän, wie ich soeben sagte, dicht neben mir ausrief: »Wir sindalle verloren!«, da ergriff mich schreckliches Entsetzen. ich trat hinaus und sah mich um. Noch niehatte sich meinen Augen ein so grauenhafter Anblick geboten: Die See türmte sich bergehoch,und jeden Augenblick schienen die Wogen uns verschlingen zu wollen. Als ich mich umblickte,entdeckte ich nur Jammer und Elend. Zwei schwerbeladene Fahrzeuge, die nicht weit von uns vorAnker lagen, hatten ihre Masten gekappt, und unsere Leute riefen, daß ein Schiff, nicht weit vonuns entfernt, soeben in den W ellen untergegangen sei. Zwei andere Schiffe, die von ihren Ankernlosgerissen worden waren, trieben ohne Masten und Segel auf dem Meer umher. Die leichtenFahrzeuge hatten es am besten. Doch zwei oder drei wurden abgetrieben und kamen dicht an unsvorbei, nur das Sprietsegel vor dem Wind.Gegen Abend baten der Steuermann und der Bootsmann den Kapitän aufs inständigste, denFockmast kappen zu lassen. Er wollte zwar anfangs nichts davon wissen, als ihm aber derBootsmann sehr bestimmt erklärte, wenn das nicht geschehe, werde das Schiff sinken, gab erseine Einwilligung. Nachdem der Vordermast gekappt war, wurde das Schiff durch das Wankendes großen Mastes so heftig erschüttert, daß man genötigt war, auch ihn zu kappen.Man kann leicht beurteilen, in welcher Stimmung ich gewesen sein mußte, da mich schon früherein so unbedeutender Vorfall in großen Schrecken versetzt hatte. Soweit ich mir jedoch meineGedanken von damals noch vergegenwärtigen kann, war mir das Verschmähen meiner erstenaufrichtigen Reue und die Rückkehr zu meinem ursprünglichen törichten Entschluß noch zehnmalpeinlicher als der Tod. Dieses Gefühl, verbunden mit den Schrecken des Sturmes, brachte mich ineine Verfassung, daß ich keine Worte finde, sie zu beschreiben. Das Schlimmste war aber nochnicht gekommen; der Sturm hielt mit solcher Wut an, daß die Matrosen selbst gestanden, siehätten noch nie einen heftigeren erlebt. Unser Fahrzeug war zwar gut, doch schwer beladen undlag deshalb so tief im Wasser, daß die Schiffsleute alle fortgesetzt schrien, es werde untergehen.In einer Hinsicht war es ein Glück für mich, daß ich die Bedeutung dieser Worte anfangs nicht

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verstand. Das Unwetter war so fürchterlich, daß ich jetzt - ein seltener Fall - den Kapitän, denBootsmann und noch einige, die mehr Einsicht als die übrigen hatten, ihr Gebet verrichten sah,weil sie jeden Augenblick das Sinken des Schiffes erwarteten. Zu all dem Unglück rief mitten inder Nacht einer der Leute, die zur Untersuchung in den Schiffsraum geschickt worden waren, erhabe ein Leck gefunden; und ein anderer meldete, im Raum stehe das Wasser schon vier Fußhoch. jetzt wurden alle an die Pumpen beordert.Bei dieser Meldung vergingen mir die, Sinne, und ich stürzte rücklings auf mein Lager zurück,auf dem ich gesessen hatte. Die Matrosen rüttelten mich auf und meinten, wenn ich auch bis jetztzu nichts getaugt hätte, so könne ich doch mindestens so gut wie jeder andere pumpen. Ich erhobmich, ging an eine Pumpe und arbeitete aus Leibeskräften. Der Kapitän hatte unterdessen einigekleine Kohlenfahrzeuge entdeckt, die aber das Weite suchen mußten, da sie dem Sturm nichttrotzen konnten; er befahl jetzt, einen Notschuß abzugeben. Ich wußte nicht, was das zu bedeutenhatte, und erschrak so, daß ich glaubte, das Schiff sei geborsten oder irgendein anderesschreckliches Unglück habe sich ereignet - mit einem Wort, ich entsetzte mich darüber so sehr,daß ich in Ohnmacht fiel. Da dies gerade in einem Augenblick geschah, wo jeder nur auf seineigenes Leben bedacht war, achtete niemand auf mich. Ein anderer nahm meine Stelle an derPumpe ein und schob mich bloß mit dem Fuß zur Seite, in der Meinung, ich sei tot. Es währtelange, bis ich wieder zu mir kam. Wir arbeiteten tüchtig drauflos; doch da das Wasser im Raumbeständig stieg, wurde mit aller Wahrscheinlichkeit angenommen, das Schiff werde sinken.Obgleich der Sturm etwas nachließ, schien es doch unmöglich, daß wir uns bis zum nächstenHafen über Wasser halten könnten. Der Kapitän ließ daher immer noch Notschüsse abfeuem. Einkleines Schiff, das gerade an unr, vorübersegelte, setzte ein Boot aus, um uns zu Hilfe zukommen. Nur unter der größten Gefahr konnte es sich nähem; aber es war unmöglich, daß wir inseine Nähe oder daß es bis zu uns gelangen konnte. Endlich strengten die Ruderer zum letztenmalalle Kräfte an, ihr Leben für die Erhaltung des unsrigen einsetzend, und unsere Matrosen konntenihnen vom Bug aus ein langes Seil zuwerfen. Unter großer Mühe und Gefahr erfaßten sie es; wirzogen sie bis zum Heck unseres Schiffes und kletterten in ihr Boot hinab. Vergeblich wäre derVersuch gewesen, ihr Schiff zu erreichen; daher waren auch alle der Ansicht, das Boot vom Windund von der Strömung treiben zu lassen, dabei aber möglichst nach der Küste zu rudern. Zugleichversprach der Kapitän unseren Rettern eine Entschädigung, wenn das Boot an der Küstezerschmettert werden sollte. So kam denn, teils durch Rudern, teils vom Wind und der Strömungnordwärts getrieben, unser kleines Fahrzeug in schräger Richtung fast bis nach Winterton Ness.Wir hatten kaum eine Viertelstunde unser Schiff verlassen, als wir es in den Fluten versinkensahen, und jetzt begriff ich erst, was Untergehen heißt. Aber ich gestehe aufrichtig, daß meinBlick getrübt war und ich wenig zu unterscheiden vermochte, als die Matrosen mir sagten, dasSchiff ginge unter; denn ich war von dem Augenblick an, da ich in die Barke stieg oder, bessergesagt, mit viel Not und Mühe hineingebracht wurde, ganz vernichtet vor Angst, Entsetzen undFurcht um die Zukunft.Unsere Leute ruderten aus allen Kräften, um in die Nähe der Küste zu kommen. Sooft unserFahrzeug von den Wogen emporgehoben wurde, erblickten wir längs des Strandes vieleMenschen, die herbeigelaufen waren, um uns bei unserer Ankunft behilflich zu sein.

Kapitel 3Wir kamen jedoch sehr langsam vorwärts und konnten erst Land ansteuern, als wir denLeuchtturm von Winterton passiert hatten; dort senkte sich die Küste westlich gegen Cromer, so

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daß die Heftigkeit des Windes etwas gemindert wurde. Hier landeten wir - obgleich nicht ohneSchwierigkeiten - alle gesund und wohlbehalten. Wir begaben uns zu Fuß nach Yarmouth, wo wirals Schiffbrüchige sowohl von dem Magistrat als auch von den Reedern und Kaufleuten überausmenschenfreundlich behandelt wurden; denn der eine wies uns ein gutes Obdach nach, und dieanderen versahen uns mit so viel Geld, daß wir, je nach Belieben, entweder in Richtung Londonoder wieder nach Hull reisen konnten. Damals hätte ich so vernünftig sein sollen, nach Hull undvon da ins elterliche Haus zurückzukehren. Ich wäre glücklich geworden, und mein Vater hätte,dem Gleichnis unseres Heilands folgend ' sogar das fette Kalb für mich geschlachtet; dennnachdem er erfahren, daß das Fahrzeug, auf dem ich gewesen war, auf der Reede von YarmouthSchiffbruch erlitten hatte, blieb er lange Zeit in Ungewißheit, ob ich noch am Leben sei.Mein böses Geschick riß mich jedoch unerbittlich und unwiderstehlich mit sich fort. Obgleichmeine Vernunft und mein Verstand mich oft und laut genug mahnten, nach Hausezurückzukehren, fehlte mir doch die Kraft, dieser Mahnung Folge zu leisten. Ich weiß in der Tatnicht, wie ich das nennen soll, und wage auch nicht zu behaupten, daß es ein geheimer,unwiderruflicher Ratschluß ist, der den Menschen antreibt, das Werkzeug seiner eigenenZerstörung zu werden, obwohl er sich dessen bewußt ist und mit offenen Augen in seinVerderben rennt. Aber wahrlich, wenn mich nicht irgendein höherer, unabwendbarer Ratschluß zueinem Leben voll Elend verdammte, was in aller Welt konnte mich in den Strudel fortziehen,gegen den Willen meiner gesunden Vernunft, gegen die Mahnungen einer inneren Stimme undgegen die zwei ausdrücklichen Wanungen, die mir schon zu Beginn meines Unternehmens zuteilgeworden waren?Mein Kamerad, der Sohn des Kapitäns, der ursprünglich zu meiner Hartnäckigkeit und zumeinem Leichtsinn beigetragen hatte, war damals noch mutloser als ich. Beim erstenmal, als er inYarnmouth mit mir sprach - was erst am zweiten oder dritten Tag geschah, denn wir wohnten inverschiedenen Quartieren der Stadt -, schien mir seine Stimme sehr bewegt. Er fragte michkopfschüttelnd und mit niedergeschlagener Miene, wie ich mich befinde. Zugleich teilte er seinemVater mit, wer ich sei und daß ich diese Reise nur zur Probe gemacht habe, in der Absicht, späternoch weiter in die Welt hinauszufahren. Da wandte sich der Kapitän mir zu und sprach ernst undbetrübt: »junger Mann, Ihr solltet Euch nie mehr auf See wagen, sondern das Vorgefallene alseinen untrüglichen Fingerzeig ansehen, daß Ihr nicht zum Seemann berufen seid.«»Und warum das, Sir? Fahrt Ihr etwa nicht mehr zur See?« »Das ist ein großer Unterschied«,versetzte er. »Ich übe mein Gewerbe aus und tue meine Pflicht, wogegen Euch, der Ihr dieseReise nur versuchsweise gemacht habt, der Himmel einen Vorgeschmack von dem gegeben hat,was Euch erwartet, wenn Ihr auf Eurem Vorhaben besteht. Wer weiß, ob sich das alles nichtvielleicht gerade Euretwegen so zugetragen hat, wie einst mit Jona im Schiff nach Tharsis. Sagtmir aufrichtig, wer Ihr seid und warum Ihr Euch eigentlich eingeschifft habt.«Ich erzählte ihm hierauf einen Teil meiner Geschichte. Doch als ich zum Schluß meiner Erzählungkam, unterbrach er mich und wurde außerordentlich heftig.»Womit hab' ich es verdient«, rief er unwillig, »daß sich solch ein Elender auf 'meinem Schiffbefand! Nicht um tausend Pfund Sterling möchte ich künftig den Fuß auf ein Schiff setzen, dasEuch beherbergt!«Freilich war er noch schrecklich aufgeregt durch den erlittenen Verlust, und deshalb schien es mirbegreiflich, daß er Grenzen seiner Autorität überschritt. Er sprach hernach ruhiger, aber sehr ernstzu mir und ermahnte mich dringend, zu meinem Vater zurückzukehren und die Vorsehung nichtmehr zu versuchen. Er äußerte, ich müsse aus dem Vorgefallenen deutlich entnehmen, daß GottesHand gegen mein Vorhaben sei.

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»Kurz, junger Mann«, sprach er endlich, »seid gewiß, daß Euch überall, wo Ihr Euch auchhinbegeben mögt, nur Unglück und Widerwärtigkeit begegnen werden, bis die Worte EuresVaters in Erfüllung gegangen sind!«Ich antwortete ihm sehr kurz. Wir trennten uns bald darauf, und ich sah ihn nicht wieder. Auchweiß ich nicht, wohin er später reiste. Ich aber begab mich, weil ich noch etwas Geld in derTasche hatte, zu Lande nach London. Unterwegs hatte ich mehrere Kämpfe mit mir selbst zubestehen, welches Leben ich nun künftig führen sollte, da ich noch immer zwischen der Heimkehrund einer neuen Seereise schwankte. Was das Heimkehren betraf, so erstickte die Scham allebesseren Regungen meines Gemütes, und ich stellte mir aufs lebhafteste vor, wie sehr man sich inder ganzen Nachbarschaft über mich lustig machen würde und wie ich sowohl vor meinen Elternals auch vor den anderen beschämt dastehen müßte. Oft habe ich später Gelegenheit gehabtfestzustellen, wie töricht und widersprechend gewöhnlich das Benehmen der Menschen,besonders aber der Jugend, -in solchen Fällen ist. Sie schämen sich keineswegs einer Tat, die siemit vollem Recht zu unsinnigen Toren stempelt, aber sie schämen sich der Reue, die ihnen gerade.am meisten zur Ehre gereichen würde.Ich befand mich einige Zeit in dieser Stimmung, uneins mit mir selbst über den Entschluß, den ichfassen, über die Laufbahn, die ich ergreifen, und über das Leben, das ich führen sollte. Eineunüberwindliche Abneigung gegen das Eltemhaus herrschte jedoch stets in mein em Innern vor,und da ich lange in meiner Wahl schwankte, so erlosch nach und nach die Erinnerung an die Not,die ich erduldet, und mit ihr auch der schwache Wunsch zurückzukehren, bis ich mir endlich allesaus dem Sinn schlug und irgendeine Reise zu unternehmen trachtete.Ich stand jetzt wieder ganz unter dem bösen Einfluß, der mich zuerst aus dem väterlichen Hausgetrieben, der in mir den abenteuerlichen Gedanken geweckt hatte, mein Glück machen zukönnen, und der mir dieses Trugbild so tief in die Seele geprägt hatte, daß ich jedem guten Rat,allen vernünftigen Ermahnungen, ja selbst den ausdrücklichen Befehlen meines Vaters gegenübervollkommen taub wurde. Dieser gleiche Einfluß, welchen Ursprungs er auch sein mochte, war es,der mich zu dem unglückseligen Entschluß bewog, an Bord eines Schiffes zu gehen, das nach derafrikanischen Küste segeln oder, wie unsere Seeleute gemeinhin sagen, eine Reise nach Guineamachen sollte.Bei alledem war es noch zum Schaden für mich, daß ich nicht wenigstens Matrosendienste aufdem Schiff versah. Obgleich ich dann angestrengter als jetzt hätte arbeiten müssen, wäre ich dochmit den Aufgaben und Pflichten eines Seemannes vertraut geworden und hätte mich dereinst zumSteuermann oder zum Schiffsleutnant, wenn n icht gar zum Kapitän, heranbilden können. Allein,es war Fügung des Schicksals, daß ich stets das Schlimmste wählte. Da ich Geld in der Tascheund einen guten Rock auf dem Leibe hatte, wollte ich stets nur als ein Gentleman an Bord gelten;daher verrichtete ich auch niemals irgendeine bestimmte Arbeit auf einem Schiff, der ich übrigensauch gar nicht gewachsen gewesen wäre.In London hatte ich gleich nach meiner Ankunft das Glück, in ziemlich gute Gesellschaft zugeraten, was bei so jungen, törichten, sich selbst überlassenen Burschen, wie ich damals einerwar, nicht immer der Fall ist, da der Teufel sie gewöhnlich gleich in eine Falle lockt. Mir erging esjedoch nicht so. Meine erste Bekanntschaft war ein Kapitän, der nach Guinea zurückkehrenwollte, wo er einst viel Erfolg gehabt hatte. Er fand Gefallen an meinem Umgang, der alles andereals unangenehm war. Und weil er von mir erfuhr, ich sei von dem sehnlichsten Wunsch beseelt,die Welt zu sehen, so sprach er zu mir: »Wenn Ihr Lust habt, mich auf meiner Reise zu begleiten,so soll Euch das nicht die geringsten Unkosten verursachen. Ihr sollt mein Gefährte und

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Tischgenosse sein. Wenn Ihr einige Waren mitnehmen wollt, könnt Ihr vielleicht noch Vorteileund einigen Gewinn daraus ziehen.«Ich nahm das Anerbieten an und schloß enge Freundschaft mit diesem Kapitän, der ein offener,rechtschaffener Mann war. Ich machte die Reise und wagte eine kleine Summe, die ich mit Hilfeseiner uneigennützigen Redlichkeit ansehnlich vermehrte; denn ich nahm nur etwa für vierzigPfund Sterling Glas- und Spielwaren mit, so, wie er mir geraten hatte. Diese vierzig PfundSterling hatte ich durch die Hilfe einiger Verwandter zusammengebracht, die ich schriftlich darumgebeten und die wahrscheinlich meinen Vater oder doch wenigstens meine Mutter bewogenhatten, zu meinem ersten Unternehmen etwas beizutragen.Dies war die einzige Reise, die ich glücklich nennen kann, und das verdanke ich nur derEhrlichkeit und der Treue meines Freundes, des Kapitäns. Überdies erwarb ich mir bei dieserGelegenheit auch einige Kenntnisse in der Mathematik und Schiffahrtskunde. Ich lernte e in Schiffabschätzen und ausmessen und noch einiges von dem, was ein Seemann unbedingt wissen muß.Mein Kapitän gab mir mit dem gleichen Vergnügen Unterricht, mit dem ich etwas bei ihm lernte;kurz, auf dieser Reise wurde ich zugleich Seemann und Kaufmann. Ich brachte fünf Pfund undneun Unzen Goldstaub mit heim, was mir später an dreihundert Pfund eintrug und die meinenKopf mit den ehrgeizigsten Gedanken vollpfropften, die dann mein Verderben herbeiführensollten. Indessen lief diese Reise doch nicht ohne Widerwärtigkeiten ab. Ich war ständig krankund verfiel in ein starkes Fieber, das ich der drückenden Hitze des Klimas zu verdanken hatte, daunser Handelsverkehr an der Küste zwischen fünfzehn Grad nördlicher Breite und dem Äquatorstattfand. Ich hatte damals im Sinn, Kaufmann in Guinea zu werden, und da mein Freund - zumeinem Unglück - kurze Zeit nach seiner Heimkehr gestorben war, faßte ich den Entschluß, dieseReise noch einmal zu machen, und schiffte mich auf demselben Fahrzeug mit dem Mann ein, derbei der ersten Reise der Bootsmann gewesen war und der jetzt das Kommando über das Schifferhalten hatte. Nie ist eine Fahrt unglücklicher verlaufen; denn obgleich ich von meinem jüngsterworbenen Reichtum nicht ganz hundert Pfund mit mir nahm, die übrigen zweihundert derWitwe meines Freundes anvertraute, die sie mir getreulich aufbewahrte, so ereilte mich doch dasentsetzlichste Mißgeschick. Als nämlich unser Schiff auf die Kanarischen Inseln zusteuerte odervielmehr zwischen ihnen und der afrikanischen Küste dahinsegelte, wurde es bei Tagesanbruchvon einem türkischen Korsaren aus Saleh überfallen, der uns mit vollen Segeln nachsetzte. Umihm zu entkommen, setzten wir gleichfalls alle Segel und taten, was in unseren Kräften stand.Doch als wir einsahen, daß der Seeräuber uns den Vorrang abgewinnen und unser Schiffunfehlbar binnen weniger Stunden einholen würden, rüsteten wir uns zum Kampf. Unser Schiffführte zwölf Kanonen, das des Seeräubers dagegen achtzehn.Gegen drei Uhr nachmittags kam er in unsere Nähe und griff unser Schiff aus Versehen von derSeite, anstatt, wie er es im Sinn hatte, von hinten an. Wir richteten jetzt acht Kanonen auf dieseSeite und gaben ihm eine Ladung, die ihn zurückweichen ließ, nachdem er sie erwidert und diezweihundert Mann, die sich an Bord befanden, ihre Flinten auf uns abgefeuert hatten. Da jedochalle unsere Leute geschützt waren, wurde kein einziger getroffen. Die Piraten bereiteten sich dannzu einem neuen Angriff vor und wir zur Verteidigung. Diesmal gelang es ihnen jedoch, mitsechzig Mann auf der anderen Seite zu entern und unser Takelwerk entzweizuhauen. Wir setztenihnen nun mit Piken und Flinten so derb zu, daß wir sie zweimal von unserm Deck verjagten.Nachdem aber unser Schiff kampfunfähig gemacht war, drei unserer Leute getötet und achtverwundet waren, mußten wir uns notgedrungen ergeben, wurden als Gefangene nach Salehgebracht und gerieten so in die Hände der Mauren.

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Ich wurde indessen hier weniger grausam behandelt, als ich anfangs befürchtet hatte, und wurdeauch nicht, wie alle anderen, in das Innere des Landes an den kaiserlichen Hof gebracht. DerKapitän des Schiffes behielt mich als Beute. Und da er, meiner Jugend und Gewandtheit wegen,Gefallen an mir fand, machte er mich zu seinem Sklaven.

Kapitel 4Dieser schnelle Wechsel meines Schicksals, durch den ich vom Kaufmann plötzlich zum elendenSklaven herabsank, erfüllte mich mit tiefer Betrübnis. jetzt gedachte ich der prophetischen Wortemeines,Vaters: daß ich in das bitterste Elend geraten und niemand mir beistehen werde. Ichmeinte, diese Prophezeiung sei nun vollkommen in Erfüllung gegangen, denn mir schien, es könnemir unmöglich jemals noch schlimmer ergehen, die Hand des Herrn laste sehr, schwer auf mir,und ich sei rettungslos verloren.Aber ach, das war nur ein Vorgeschmack des schrecklichen Elends, in das ich noch geraten sollte,wie man aus dem weiteren Verlauf meiner Geschichte sehen wird.Mein neuer Patron hatte mich mit in sein Haus genommen. Ich hoffte nun, er werde mich auchmitnehmen, wenn er wieder auf See ginge, weil da die Aussicht bestünde, daß er früher oderspäter von einem spanischen oder portugiesischen Kriegsschiff gefangen werden und ich somitmeine Freiheit wiedererlangen könnte. Doch diese Hoffnung wurde bald zunichte gemacht; dennals er auf neuen Raub auszog, ließ er mich an Land zurück, damit ich seinen kleinen Gartenbestellen und zu Hause die gewöhnlichen Sklavenarbeiten verrichten konnte. Und als er vonseinem Raubzug heimkehrte, befahl er mir, auf dem Schiff zu schlafen.Ich war jetzt unaufhörlich darauf bedacht zu fliehen und sann auf Mittel, meinen Planauszuführen. Allein, ich fand nicht ein einziges, das auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit desGelingens für sich gehabt hätte; denn es gab keinen Menschen, dem ich den Vorschlag machenkonnte, sich mit mir einzuschiffen, weder einen Gefährten meiner Sklaverei noch einen Engländer,Irländer oder Schotten. Obwohl ich diesem schönen Traum so oft nachhing, hatte ich doch zweiJahre lang keine Aussicht, ihn zu verwirklichen.Ungefähr gegen Ende dieser Zeit trat ein sonderbarer Umstand ein, der in meinem Kopf den altenPlan wieder auffrischte, irgendeinen Versuch zu meiner Befreiung zu machen. Mein Patron hatteseit längerer Zeit sein Schiff nicht mehr ausgerüstet und zwar, wie ich erfuhr, aus Mangel anGeld. Seiner Gewohnheit gemäß setzte er sich zwei- bis dreimal in der Woche - zuweilen wohlauch öfter, wenn das Wetter schön war - auf die Pinasse seines Schiffes, um auf der Reede zufischen. Zum Rudern nahm er dann mich und einen noch sehr jungen Morisken mit. Wirbereiteten ihm viel Zeitvertreib, und ich legte Proben großer Geschicklichkeit im Fischfangen ab,so daß er mich zuweilen in Gesellschaft eines Mauren, der mit ihm verwandt war, sowie desMorisken, wie sie ihn nannten, hinausschickte, um ihm Fische für ein Gericht zu holen.Eines Morgens, als es recht windstill war und ich mich wieder einmal auf Fischfang befand, erhobsich plötzlich ein so dichter Nebel, daß wir das Land aus den Augen verloren, obgleich wir kaumeine halbe Stunde davon entfernt waren. Aufs Geratewohl rudernd, waren wir den ganzen Tag, jasogar die folgende Nacht noch draußen, und als der Morgen dämmerte, merkten wir, daß wir aufsMeer hinausgerudert waren, anstatt der Küste zu, so daß wir uns mehrere Meilen von ihr entfernthatten. Wir erreichten sie indessen doch, aber nicht ohne Gefahr und nur mit großer Mühe; dennes hatte sich am Morgen ein ziemlich starker Wind aufgemacht, und wir waren alle drei vorHunger ganz ermattet.

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Durch diesen Vorfall gewarnt, beschloß unser Patron, künftig vorsichtiger zu sein. Da er dieSchaluppe unseres von ihm gekaperten Schiffes zur Verfügung hatte, nahm er sich vor, später niemehr ohne einen Kompaß und etwas Mundvorrat auf Fischfang auszufahren. Er befahl daher demZimmermann seines Schiffes, der ebenfalls ein in Sklaverei geratener Engländer war, in der Mitteder erwähnten Schaluppe eine Kajüte zu errichten, dahinter aber Raum genug zum Steuern zulassen und davor Platz, um zwei Segel zu handhaben. Die Schaluppe enthielt übrigens nur einenSchlafraum für den Patron und ein paar Sklaven, einen Eßtisch und etliche Kästen, umLikörflaschen, besonders aber Brot, Reis und Kaffee darin verwahren zu können.Mit diesem Fahrzeug zogen wir häufig auf Fischfang aus, und da ich es, wie schon gesagt, zugroßer Geschicklichkeit darin gebracht hatte, nahm er mich jedesmal mit. Nun hatte er sich einesTages vorgenommen, mit zwei oder drei vornehmen Mauren eine Bootsfahrt zu machen. Deshalbließ er ungewöhnliche Vorbereitungen treffen und zu diesem Zweck am Vorabend unter anderemeine größere Menge Lebensmittel als gewöhnlich auf das Fahrzeug bringen. Auch befahl er mir,drei Flinten nebst Pulver und Blei bereitzuhalten, weil er vorhabe, sich nicht nur mit demFischfang, sondern auch mit der Jagd zu vergnügen.Ich befolgte seine Befehle aufs genaueste und erwartete ihn am folgenden Morgen in derSchaluppe, die zum würdigen Empfang seiner Gäste sauber gewaschen und mit flatterndenWimpeln geschmückt war. Doch mein Patron kam ganz allein an Bord und sagte mir, seine Gästehätten, einiger unvorhergesehener Geschäfte wegen, die Fahrt auf einen anderen Tag verschoben.Alsdann trug er mir wie gewöhnlich auf, mit dem Mauren und dem jungen Burschen aufFischfang zu fahren, weil seine Freunde bei ihm zur Nacht speisen wollten. Dabei empfahl er mir,sobald ich einen guten Fang gemacht hätte, wieder heimzukehren.In diesem Augenblick ging mir mein Fluchtplan wieder durch den Kopf, denn ich hatte ja jetzt einkleines Fahrzeug zu meiner Verfügung. Und kaum war mein Patron fort, als ich mich anstatt zumFischfang zu einer Seereise auszurüsten begann, obgleich ich weder wußte noch überlegte,welchen Weg ich einschlagen sollte, um von hier zu entkommen.Vor allem versuchte ich einen Vorwand, um den Mauren einige Lebensmittel an Bord schaffen zulassen. Ich sagte ihm deshalb, wir dürften das Brot unseres Patrons nicht verzehren. Er erwiderte,das sei nicht mehr als billig, und brachte einen großen Korb voll Schiffszwieback und drei Krügemit frischem Wasser herbei.Ich wußte, wohin mein Patron seine Branntweinkiste gestellt hatte, die, dem Aussehen nach zuurteilen, unleugbar den Engländern abgejagt worden war. Ich nahm, während sich der Maure amStrand befand, die Flaschen heraus und trug sie in die Schaluppe, als wären sie schon vorherdahin gestellt worden. Außerdem schaffte ich noch einen großen, etwa fünfzig Pfund wiegendenKlumpen Wachs auf das Fahrzeug nebst einem Knäuel Bindfaden, einem Beil, einer Säge undeinem Hammer - Dinge, die mir in der Folge sehr gute Dienste leisten sollten, besonders dasWachs, um Lichter daraus zu verfertigen.Dann versuchte ich den Mauren noch auf eine andere Art zu täuschen, was mir ebenso leichtgelang. Sein Name war Ismael; die Mauren aber haben Muly oder Moley daraus gemacht. Sonannte ich ihn denn auch und sprach zu ihm: »Moley, die Flinten unseres Patrons sind an Bordder Schaluppe. Könntet Ihr Euch nicht etwas Blei und Jagdpulver verschaffen, damit wir unseinige Alcamies (Vögel, die unseren Brachvögeln sehr ähneln) schießen können? Ich weiß, daßdie Pulvervorräte im Schiff liegen.«»Jawohl«, versetzte er, »ich will es holen.« Er brachte auch in der Tat eine große lederne Tascheherbei, die etwas mehr als anderthalb Pfund Pulver enthielt, und eine andere Tasche voll Schrotund Kugeln, die nahezu sechs Pfund wog. Beide trug er in die Schaluppe. Unterdessen hatte ich

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in der Kajüte meines Herrn etwas Pulver entdeckt, das ich in eine große Flasche füllte, deren Restich zuvor in eine andere entleert hatte.Solcherart mit allem Nötigen versehen, verließen wir also den Hafen, um Fische zu fangen. DieLeute in dem Kastell kannten uns und beachteten uns daher nicht. Kaum wären wir eine Meileweit im Meer, als wir unsere Segel einholten und uns zum Fischen niedersetzten' Wir hattenNordnordostwind, der meinem Wunsch leider nicht entsprach; denn hätte er aus Süden geweht,so wäre ich gewiß an der Küste Spaniens oder wenigstens in der Bucht von Cadix gelandet.Dennoch war ich fest entschlossen, mit jedem Wind von diesem schrecklichen Ort wegzukommenund das übrige dem Schicksal anheimzustellen.Wir hatten lange Zeit vergeblich gefischt; und wenn ich auch einen Fisch an meiner Angel hatte,so zog ich ihn nicht heraus. »Wir bringen nichts zustande«, sagte ich zu dem Mauren, »undwerden unseren Herrn nicht zufriedenstellen; wir müssen noch weiter hinaus.« Da er nicht dengeringsten Argwohn hegte, willigte er ein und setzte das Segel, weil er sich im Vorderteil desBootes befand. Ich aber stand am Steuerruder und führte das Fahrzeug noch um einige Meilenweiter hinaus.Während der junge Bursche dann am Ruder saß, ging ich ins Vorderteil auf den Mauren zu, tatso, als bückte ich mich, um einen Gegenstand hinter ihm vom Boden aufzuheben, packte ihnunversehens, indem ich ihm mit dem Arm zwischen die Beine fuhr, und warf ihn ins Meer. Er kamaber sofort wieder an die Oberfläche, denn er schwamm wie Korkholz. Er bat mich flehentlich,ihn wieder an Bord zu nehmen, und schwur mir, er sei bereit, bis ans Ende der Welt mit mir zugehen. Da er mit ungeheurer Kraft der Schaluppe nachschwamm und der Wind gerade sehrschwach war, hätte er mich wohl bald erreicht. Deshalb ging ich in die Kajüte, nahm eine derJagdflinten, legte auf ihn an und rief: »Ich habe Euch nichts zuleide getan, und wenn Ihr nicht aufEurem Vorhaben besteht, so werde ich Euch auch jetzt kein Leid zufügen. Ihr schwimmt gutgenug, um den Strand erreichen zu können; das Meer ist ruhig, beeilt Euch also, dorthin zukommen, und ich will Euch ungehindert ziehen lassen. Nähert Ihr Euch aber dem Fahrzeug, sojage ich Euch eine Kugel durch den Kopf, denn ich bin fest entschlossen, meine Freiheit zugewinnen!« jetzt kehrte er um und schwamm dem Ufer zu. Ich zweifle nicht, daß er es ohneMühe erreicht hat, denn er war ein ganz vortrefflicher Schwimmer.Dann wandte ich mich dem jungen zu, der Xury hieß, und sagte zu ihm: »Xury, wenn du mirimmer treu zu sein versprichst, so will ich einen tüchtigen Mann aus dir machen; legst du abernicht die Hand auf dein Gesicht, zum Zeichen, daß du es redlich mit mir meinst, das heißtnämlich, beim Propheten Mohammed und dem Barte seines Vaters schwören, so muß ich dichebenfalls ins Meer werfen.« Der Knabe lächelte mir so unbefangen zu und sprach so unschuldig,daß ich ihm unmöglich mißtrauen konnte. Er schwur hierauf, mir treu zu sein und mir überallhinzu folgen.Solange ich dem davonschwimmenden Mauren nicht aus den Augen war, steuerte ich geradezuins Meer hinaus und zog es vor, gegen den Wind zu segeln, damit man glauben sollte, ich nähmeKurs auf die Meerenge von Gibraltar, was man ja auch vernünftigerweise vermuten mußte; dennkeiner hätte wohl angenommen, daß wir südwärts steuern würden, einer barbarischen Küste zu,wo wir gewiß sein konnten, von sämtlichen Negerstämmen feindlich behandelt oder sogaraufgefressen zu werden. - Sobald es dunkel wurde, schlug ich einen anderen Kurs ein undsteuerte südöstlich, mich aber mehr nach Ost wendend, um mich nicht von der Küste zuentfernen. Und weil ich guten Wind hatte und die See ruhig war, segelte ich so schnell, daß icham folgenden Tag um drei Uhr nachmittags, als ich zum erstenmal Land entdeckte, wenigstens

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hundertfünfzig Meilen südlich von Saleh, weit über die Grenzen des Sultans von Marokko hinaus,sein mußte, denn wir sahen keinen Menschen.

Kapitel 5Meine Furcht vor den Mauren war indessen so groß und die Angst, in ihre Hände zu fallen, soschrecklich, daß ich mich weder entschließen konnte, langsamer zu segeln, noch an Land zugehen oder den Anker auszuwerfen. Da der Wind fortwährend günstig war, segelte ich so fünfTage lang; als er jedoch nach Süden umschlug, überlegte ich, daß die Schiffe, die uns eventuellverfolgten, jetzt umkehren mügten. Ich wagte daher zu landen und legte mich an der Mündungeines kleinen Flusses vor Anker.Wie er hieß, in welcher Breite, in welcher Gegend und bei welchem Volk ich mich befand, weißich nicht zu sagen. Ich sah kein menschliches Wesen und wünschte auch keines zu sehen. FrischesWasser war das einzige, was ich wollte und was ich nicht länger entbehren konnte. Wir liefendeshalb in diesen Schlupfhafen ein, entschlossen, wenn es dunkelte zu versuchen, schwimmenddas Land zu erreichen und die Gegend zu erforschen. Sobald es jedoch völlig dunkel gewordenwar, vernahmen wir so furchtbares Gebrüll, Geheul und Gebell wilder Tiere, die wir nichtkannten, daß der junge vor Schreck beinahe gestorben wäre und mich flehend bat, vorTagesanbruch ja nicht an Land zu gehen.»Gut, Xury«, sagte ich zu ihm, »ich will deinen Wunsch erfüllen; aber wer weiß, ob wir nichttagsüber Menschen antreffen, die noch weit mehr zu fürchten sind als Löwen.«»Dann schießen wir auf sie«' versetzte Xury, »damit sie entfliehen.« Er sprach nämlich etwasEnglisch, was er von mir und anderen Sklaven gelernt hatte.Ich freute mich, daß der Knabe so beherzt war, und gab ihm zur Stärkung ein wenig Schnaps auseiner Flasche der früher erwähnten Kiste. Übrigens war Xurys Ansicht richtig, und deshalb gingich darauf ein. Wir warfen also unseren kleinen Anker aus und blieben die ganze Nacht ruhig.Doch wir schliefen nicht, weil wir einige Stunden lang lebende Wesen von ungeheurer Größe undverschiedener Gattung am Ufer hin und her laufen und sich im Wasser herumwälzen sahen. Siestießen dabei ein so fürchterliches Gebrüll und Geheul aus, wie ich es mein Lebtag noch nichtgehört hatte.Xury erbebte vor Schrecken, und ich gestehe, daß mir nicht besser zumute war. Allein, wirentsetzten ung noch mehr, als wir hörten, wie eines dieser Geschöpfe auf unsere Schaluppezuschwamm. Wir konnten es zwar nicht sehen, aber an seinem Schnauben erkennen, daß es einriesig großes wildes Tier sein mochte. Xury behauptete, es sei ein Löwe, und er mochte wohlrecht haben; kurz, der arme Junge bat mich, die Anker zu lichten und aus Leibeskräften davon zurudern. »Keineswegs, Xury«, erwiderte ich. »Wir tun viel besser, unser Ankertau, mit einer Bojeversehen, abzuwinden und nach der hohen See zu steuern, denn sehr weit wird das Tier uns nichtfolgen können.« Ich hatte kaum ausgesprochen, als ich es schon in einer Entfernung von zweiRuderlängen erblickte, was mich allerdings überraschte. Ich sprang jedoch sogleich zur Kajüte,nahm meine Flinte und schoß nach ihm. Es drehte sich hierauf einigemal im Kreise herum undschwamm wieder dem Ufer zu.Unbeschreiblich war der Tumult und das furchtbare Geschrei, das sich auf den Knall meinesSchusses hin sowohl am Ufer als auch landeinwärts erhob, und ich schloß mit gutem Grunddaraus, daß diese Tiere noch nie so etwas gehört hatten. Auch wußte ich nun, daß wir nicht gutdaran täten, nachts an Land zu gehen, und wie gefährlich es werden konnte, sich am Tage dahin

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zu wagen; denn den Wilden in die Hände zu fallen war für uns nicht minder schrecklich, als in dieKlauen der Löwen und Tiger zu geraten. jedenfalls hatten wir vor beiden gleich große Angst.Immerhin sahen wir uns genötigt, an irgendeiner Stelle Süßwasser einzunehmen, denn wir hattenkaum noch eine Viertelkanne an Bord. Aber wann und wo? Da sagte mir Xury, wenn ich ihn miteinem der Krüge an Land gehen ließe, so sei er entschlossen, sich nach Wasser umzusehen undmir welches zu bringen. Ich fragte ihn, warum er gehen und nicht lieber in der Schaluppe bleibenwolle, ich könne mich ja selbst an Land begeben. Mit einer Treuherzigkeit, um die ich ihn vonjetzt an herzlich liebgewann, antwortete mir der Kleine: »Wenn die wilden Menschen kommen, sowerden sie mich fressen, und Ihr könnt fliehen.«»Nun, Xury«, rief ich, »so wollen wir beide hingehen, und wenn dann die Wilden kommen, tötenwir sie. Sie sollen weder dich noch mich fressen.« Ich gab ihm hierauf ein Stück Zwieback nebsteinem Schluck Branntwein. Dann zogen wir die Schaluppe so nahe an den Stand, wie wir für gutbefanden, und gingen an Land, nur mit unseren Gewehren und zwei Wasserkrügen versehen.Ich war sehr wohl darauf bedacht, mich nur so weit vom Strand zu entfernen, daß ich unsereSchaluppe nicht aus den Augen verlor, denn ich fürchtete, es könnten einige Wilde mit ihrenKähnen den Flug hinabfahren. Der Kleine hatte jetzt in einiger Entfernung landeinwärts eineNiederung entdeckt. Er lief darauf zu, kam jedoch bald wieder zurück. In der Meinung, er werdevielleicht von einem Wilden verfolgt oder ein grimmiges Tier hatte ihn in Schrecken versetzt, eilteich ihm, so schnell ich konnte zu Hilfe.Als ich aber nahe genug herangekommen war, sah ich, daß etwas auf seiner Schulter hing. Es warein Tier, welches er geschossen und das große Ähnlichkeit mit einem Hasen hatte, nur daß dieFarbe anders und die Beine länger waren. Dieser Fang freute uns ungemein, denn es war einköstlicher Braten, was aber Xury am meisten beglückte, war die Nachricht, die er mitbrachte, daßer sehr gutes Wasser gefunden und keine Wilden angetroffen hätte.Wir überzeugten uns hierauf, daß es nicht so mühevoll war, Wasser zu bekommen, denn wirfanden es in einiger Entfernung vom Hafen, in den wir eingelaufen waren. Wir füllten unsereKrüge, ließen uns das erlegte Wild vortrefflich schmecken und schickten uns zum Rückweg an,ohne die geringste Spur nenschlicher Wesen entdeckt zu haben.Weil ich schon eine Reise zu dieser Küste gemacht hatte, wußte ich sehr gut, daß ich nicht weitvon den Kanarischen Inseln entfernt sein konnte. Allein, es fehlte mir an den nötigenInstrumenten, um die Breite, auf der wir uns befanden, zu ermitteln. Auch erinnerte ich michnicht, auf welchem Breitengrad diese Inseln lagen, und konnte sie folglich nicht aufsuchen, wasim entgegengesetzten Fall ein leichtes gewesen wäre. Ich wollte daher an der Küsteentlangsegeln, bis ich dorthin kam, wo die Engländer Handel trieben, in der Hoffnung, eines ihrerHandelsschiffe anzutreffen, das uns beistehen und an Bord nehmen könnte.Meinen genauesten Berechnungen zufolge muß die Gegend, wo ich mich damals befand,zwischen dem Gebiet der Neger und dem Kaiserreich Marokko gelegen haben; ein unbebauterLandstrich, der nur von wilden Tieren bevölkert ist, weil die Neger ihn verlassen haben und ausFurcht vor den Mauren nach Süden gezogen sind. Doch die Mauren bewohnen ihn seinerUnfruchtbarkeit wegen nicht und benutzen ihn nur zur Jagd, auf die sie aber immer nur mit einemzwei- bis dreitausend Mann starken Heer ausziehen. Auf einer Strecke von beinahe hundertMeilen längs der Küste sahen wir in der Tat am Tage nichts weiter als ein unwegsames, ödesLand und hörten des Nachts nur das Heulen und Brüllen der wilden Tiere.Ein- oder zweimal glaubte ich den Pic von Teneriffa, den höchsten Gipfel der Kanarischen Inseln,entdeckt zu haben; und ich hatte große Lust, mich ins Weite zu wagen, in der Hoffnung, ihn zuerreichen. Doch zwei Versuche, die ich unternahm, scheiterten immer wieder an widrigen

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Winden. Da übrigens die See für mein kleines Fahrzeug zu hoch ging, beschloß ich, meinemersten Plan zufolge, mich längs der Küste zu halten.Nachdem ich diesen Ort verlassen hatte, war ich noch einige Male genötigt, vom Land Wasser zuholen. So geschah es denn auch, daß wir uns eines Morgens sehr früh an einer kleinen, ziemlichhohen, Landspitze vor Anker legten und, da gerade die Zeit der Flut begann, ruhig abwarteten,bis sie uns dem Land näher brächte. Xury, der, wie es schien, ein wachsameres Auge hatte als ich,rief mir leise zu, daß wir wohl besser daran täten, uns vom Strand zu entfernen. »Seht nur«, fügteer hinzu, »jenes schreckliche Ungeheuer dort, das auf dem Abhang des Hügels liegt und tief zuschlafen scheint.« Ich blickte nach der bezeichneten Stelle und sah tatsächlich einen großen,fürchterlichen Löwen, der an der Küste im Schatten eines Felsens lag. »Xury«, sprach ich, »gehan Land und bring das Untier um!«Erschrocken versetzte er: »Ich soll es umbringen? Es würde mich ja sofort verschlingen!«Da drang ich nicht weiter in den Knaben, sondern befahl ihm nur, sich ruhig zu verhalten, nahmunsere stärkste Flinte, die beinahe das Kaliber einer Muskete hatte, tat eine tüchtige LadungPulver nebst zwei Eisenstücken hinein und legte sie auf den Boden. Dann lud ich eine andere mitzwei Kugeln und endlich die dritte - denn wir hatten drei Flinten bei uns - mit fünf kleinerenKugeln. Nun zielte ich mit der ersten möglichst genau nach dem Kopf des Löwen; doch er hattesich so niedergelegt, daß sich eine seiner Tatzen etwas über seinem Maul befand, die Metallstückefolglich nahe am Knie in das Bein drangen und ihm den Knochen zerschmetterten. Er fuhrzunächst brummend hoch. Als er aber fühlte, daß sein Bein gebrochen war, stürzte er nieder,erhob sich alsdann auf drei Beinen und stieß das furchtbarste Gebrüll aus, das ich je gehört habe.Ich war etwas überrascht, ihn nicht am Kopf getroffen zu haben, ergriff sogleich mein zweitesGewehr und gab abermals Feuer. Obwohl er sich bereits entfernen wollte, traf ich ihn in den Kopfund hatte die Freude zu sehen, wie er niederstürzte und mit dem Tod rang.Meinem Xury wuchs nun der Mut, und er bat mich darum, an Land gehen zu dürfen.»Gut«, sprach ich, »ich erlaube es dir.«Alsbald sprang der Knabe ins Wasser, in der einen Hand eine kleine Flinte haltend und mit deranderen ans Ufer schwimmend. Er näherte sich dem Löwen, setzte ihm den Gewehrlauf ans Ohrund schoß ihm noch einmal in den Kopf, worauf das Tier verendete.Das war allerdings eine schöne Jagd für uns, aber wir hatten keine Nahrung, und es ärgerte michsehr, drei Ladungen Kugeln und Pulver an ein Geschöpf verschwendet zu haben, das unsdurchaus nicht von Nutzen war. Xury hätte jedoch zu gern etwas von dem Tier mitgenommen; erschwamm daher an Bord und verlangte das Beil von mir.»Was willst du damit anfangen, Xury?«»Ich will ihm den Kopf abhauen.« Xury konnte aber nicht damit zurechtkommen und hieb stattdessen eine Tatze ab, die er mir brachte; sie war von außerordentlicher Größe.Ich überlegte nun, daß ja das Fell auf die eine oder die andere Weise für,uns von Wert seinkönnte, und beschloß, es wenn möglich abzuziehen. Xury und ich gingen daher sogleich ansWerk, wobei er sich als ein viel geschickterer Arbeiter zeigte; denn ich wußte nicht, wie ich michanstellen sollte. Diese Beschäftigung nahm uns beide den ganzen Tag in Anspruch; und als wirendlich damit fertig waren, spannten wir das Fell auf dem Dach unserer Kajüte aus. Nach zweiTagen hatte die Sonne es vollkommen getrocknet. Später diente es mir als Lagerstatt.Nach dieser Rast segelten wir zehn bis zwölf Tage unaufhörlich in südlicher Richtung, spartendabei sehr mit unserem Mundvorrat, der bedeutend abzunehmen begann, und gingen nicht öfteran Land, als nötig war, um Wasser zu holen. Ich hatte damals die Absicht, entweder Gambia oderSenegal zu erreichen, also die Gegend von Kap Verde, wo ich irgendein europäisches Schiff

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anzutreffen hoffte. Sollte das mißlingen, wußte ich in der Tat nicht, wohin mich wenden, es seidenn, ich hätte die Inseln aufsuchen oder unter den Negern umkommen müssen.

Kapitel 6Ich wußte, daß alle Schiffe, die nach der Küste von Guinea, Brasilien oder Ostindien segeln, KapVerde oder jene Inseln ansteuern. Mit einem Wort, ich setzte mein Schicksal auf diese eine Karte,mochte ich nun ein Fahrzeug antreffen oder zugrunde gehen.Nachdem ich ungefähr noch zehn Tage diesem Entschluß gemäß meine Reise fortgesetzt hatte,merkte ich, daß die Küste bewohnt war' Wir erblickten auch wirklich hin und wieder Menschenam Ufer, die stehenblieben, um uns zu betrachten. Wir konnten sogar unterscheiden, daß sie ganzschwarz und völlig nackt waren. Einmal bekam ich Lust, zu ihnen an Land zu gehen, aber Xurygab mir den guten Rat, es nicht zu tun, indem er ausrief: »Nicht gehen, nicht gehen!«Indessen hielt ich das Boot doch in Ufernähe, um mit ihnen sprechen zu können, worauf sie mireine Weile folgten. Ich bemerkte, daß sie unbewaffnet waren, mit Ausnahme eines einzigen, dereinen langen, dünnen Stab trug. Xury versicherte, es sei eine Lanze, die sie mit großerGeschicklichkeit weit zu werfen verständen. Ich hielt mich daher in einiger Entfernung, suchtemich ihnen aber, so gut es gehen wollte, durch Zeichen verständlich zu machen - besonders, umetwas zu essen von ihnen zu verlangen. Sie gaben mir zu verstehen, ich sollte meine Schaluppeanhalten, dann wollten sie mir einige Nahrungsmittel herbeiholen. Hierauf zog ich mein Segel ein,hielt nahe der Küste, und zwei von ihnen liefen gleich landeinwärts. In weniger als einer halbenStunde kamen sie zurück und brachten zwei Stücke dürres Fleisch und Korn mit, Erzeugnissejener Gegend. Xury und ich wußten nicht, was wir davon halten sollten, und doch hätten wir dieEßwaren gar zu gern in Empfang genommen. Aber wir waren in großer Verlegenheit, wie diesanzufangen sei. Ich wagte nicht, mich an Land zu begeben; auch sie waren nicht minder überunser Erscheinen erschrocken. Sie verfielen endlich auf einen sinnreichen Ausweg für uns alle,indem sie die mitgebrachten Eßwaren am Strand niederlegten und sich zurückzogen, bis wir sie anBord hatten, worauf sie sich uns wieder näherten.Da wir ihnen gar nichts zum Tausch anzubieten hatten, gaben wir ihnen durch Zeichen unsereDankbarkeit zu erkennen. Doch plötzlich bot sich eine vortreffliche Gelegenheit, ihnen einenDienst zu erweisen. Während wir nämlich noch an der Küste lagen, stürzten zwei ungeheure Tiereeinander wütend verfolgend, aus den Bergen herab. Ich konnte unmöglich unterscheiden, ob esein Männchen war, das sein Weibchen verfolgte, und ob es sich hier um Spiel oder um Ernsthandelte. Ich war jedoch eher geneigt, das letztere zu glauben, weil sich diese gefräßigen Tierefast immer nur des Nachts zeigen und weil wir bemerkten, daß die herbeigelaufeneMenschenmenge, besonders die Frauen, entsetzlich darüber erschraken. Der Mann mit der Lanzeergriff indessen nicht, wie alle übrigen, die Flucht, als er der beiden Tiere gewahr wurde.Diese liefen direkt auf das Meer zu und waren gar nicht geneigt, über einen der Negerherzufallen, sondern stürzten sich in die Fluten und schwammen darin herum, als ob sie zu ihremVergnügen gekommen,wären. Plötzlich kam eines der Tiere meinem Fahrzeug näher, als ichvorausgesehen hatte. Ich war aber auf der Hut und hatte meine Muskete schnell geladen undXury den Befehl erteilt, das gleiche mit den beiden anderen Gewehren zu tun. Sobald das Tiernahe genug herangekommen war, gab ich Feuer und traf es mitten in den Kopf. Es tauchteaugenblicklich unter, kam aber gleich wieder zum Vorschein. Dies wiederholte sich einige Male,so, als ringe es mit dem Tode, und das war auch wirklich der Fall; denn ehe es das Ufer erreichte,verendete es an den Folgen des tödlichen Schusses.

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Unbeschreiblich war das Erstaunen dieser Menschen, als sie das Blitzen meines Gewehres sahenund den Knall vernahmen. Einige wären beinahe vor Schreck gestorben und fielen vor Angst wietot zur Erde nieder. Als sie aber sahen, daß ich das Tier tödlich getroffen hatte, und ich ihnendurch Zeichen begreiflich machte, an den Strand zu kommen, da faßten sie Mut, näherten sichund begannen nach dem Tier zu suchen. Das gerötete Wasser verriet ihnen seine Spur, undmittels eines Seiles, womit ich es umschlang und das ich den Negern zuüwarf, zogen sie es anLand. Hier stellte sich heraus, daß es ein prächtiger, schön gefleckter Leopard war, der zu denmerkwürdigsten seiner Rasse gehörte. Vor Bewunderung und Erstaunen, was das wohl gewesensein mochte, womit ich das Tier umgebracht hatte, schlugen die Neger jetzt ein über das andereMal die Hände zusammen.Durch den Blitz und den Knall meiner Flinte geschreckt, hatte das andere Tier schwimmend denStrand erreicht und floh den Bergen zu, so daß ich nicht zu erkennen vermochte, welcherTiergattung es angehörte.Ich bemerkte bald, daß die Neger Lust zeigten, das Fleisch des Leoparden zu verzehren. Dahergab ich ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß sie es ungehindert nehmen könnten, wofür sie mirsehr dankbar waren. Sie machten sich sofort an die Arbeit und zogen dem Leoparden mit einemscharfen Stück Holz so geschwind das Fell ab, wie man es mit einem Messer kaum zustandegebracht hätte. Sie boten mir von dem Fleisch an. Ich lehnte es jedoch ab, ihnen bedeutend, daßich es ihnen ganz überlassen wolle und lediglich das Fell begehre, das sie mir mit großerBereitwilligkeit gaben. Auch brachten sie mir noch eine ansehnliche Menge ihrer Lebensmittel, dieich annahm, obgleich sie mir unbekannt waren. Hierauf bat ich sie durch Zeichen um Wasser,indem ich ihnen einen meiner Krüge zeigte, den ich umstürzte, ihnen also begreiflich machte, daßer leer war und wieder gefüllt werden müßte. Alsbald kamen zwei Weiber herbei, die ein großesirdenes Gefäß brachten, das, wie ich vermute, an der Sonne gebrannt worden war. Sie setzten esauf ähnliche Weise wie vorhin für mich am Strand nieder. Ich schickte Xury mit den Krügen hin,und er füllte sie. Die Frauen hatten wie die Männer kein Kleidungsstück auf dem Leib.Ich war nun mit Wasser, Wurzeln und Kom versehen, nahm Abschied von den guten Negern undsetzte, ohne dem Ufer zu nahe zu kommen, meine Reise etwa elf Tage lang fort, bis ich endlicheine Landspitze vor mir auftauchen sah, die ungefähr fünfzehn Meilen weit in den Ozeanhineinragte. Da die See sehr ruhig war, fuhr ich weit ins Meer hinaus, um zu dieser Spitze zugelangen. Als ich sie etwa zwei Stunden von der Küste entfernt erreichte, erblickte ich auf derentgegengesetzten Seite deutlich Land. Ich schloß daraus - und es war nicht zu bezweifeln -, daßich auf einer Seite das Kap Verde und auf der anderen die Inseln hatte, die ihm ihren Namenverdanken. Sie lagen jedoch noch weit von mir entfernt, und ich war noch nicht recht einig mitmir, was ich beginnen sollte; denn wenn ein heftiger Wind aufkäme, konnte ich wahrscheinlichweder das eine noch das andere ansteuern.Unschlüssig und in Gedanken versunken trat ich in die Kajüte und setzte mich nieder, dem jungenXury das Steuerruder überlassend, als der Knabe mir plötzlich zurief: »Master, ein Schiff miteinem Segel!« Das arme Kind war außer sich vor Schreck, denn es glaubte steif und fest, dasSchiff gehöre seinem Herren und sei unterwegs, um Jagd auf uns zu machen. Doch ich wußtewohl, daß dies nicht der Fall sein konnte, da wir längst weit genug weg waren. Und als ich ausder Kajüte stürzte, erkannte ich auch, daß es ein portugiesisches Schiff war. Ich glaubte im erstenAugenblick, es wolle zur Küste von Guinea, um dort Handel mit den Negern zu treiben. Als ichaber beobachtete, welche Richtung es nahm überzeugte ich mich bald, daß seine Bestimmung eineandere sein mußte und daß es nicht die Absicht hatte, an der Küste entlangzusegeln. Sogleich

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setzte ich alle Segel, um in seine Nähe zu kommen, da ich entschlossen war, mit der Mannschaftzu sprechen.Doch alle Anstrengungen waren vergeblich, und ich mußte einsehen, daß es mir unmöglich war,das Schiff zu erreichen, und daß ich es aus den Augen verlieren würde, ehe ich ihm ein Signalgeben konnte. Ich hatte also schon alle Hoffnung aufgegeben, als man mich, ohne Zweifel mitHilfe eines Fernrohres, plötzlich entdeckte und mein Fahrzeug für ein europäisches erkannte.Wahrscheinlich wurde angenommen, daß ich zu irgendeinem gescheiterten Schiff gehören müsse,und deshalb verringerte das Fahrzeug seine Geschwindigkeit. Dies gab mir Mut. Und da ich dieFlagge meines ehemaligen Patrons an Bord hatte, setzte ich sie als Notsignal und schoß meineFlinte ab. Beides wurde bemerkt, denn ich erfuhr später, daß man den Rauch gesehen, den Knallaber nicht gehört hatte. Auf diese Signale hin drehte das Schiff aus Gefälligkeit bei, und in etwadrei Stunden hatte ich es erreicht.Man richtete in portugiesischer, spanischer und dann auch in französischer Sprache die Frage anmich, wer ich sei. Doch ich verstand keine dieser Sprachen. schließlich redete mich einschottischer Matrose an, der sich an Bord befand, und ich antwortete ihm, daß ich Engländer sei,der sich aus der Sklaverei der Mauren in Saleh heimlich davongemacht habe. Man lud michhierauf ein, an Bord zu kommen, und nahm mich mit all meinem Gut äußerst freundlich auf.Meine Freude, endlich aus meiner Lage befreit zu sein, die ich als höchst elend und verzweifeltbetrachtete, war, wie man sich denken kann, unbeschreiblich groß, und ich bot dem Kapitän alsDank dafür alles an, was ich besaß. Der großzügige Mann erwiderte jedoch, er werde nicht dasgeringste annehmen, sondern bei unserer Ankunft in Brasilien mir alles unversehrt wiederübergeben. »Denn«, sprach er, »ich habe Euch das Leben gerettet, weil ich in einem ähnlichen Fallauch sehr froh wäre, wenn man mir einen gleichen Dienst erwiese. Und wer kann wissen, ob dieVorsehung nicht beschlossen hat, mich über kurz oder lang in eine solche Lage zu versetzen. Daich Euch übrigens nach dem von Eurem Vaterland so weit entfernten Brasilien fahre, würdet Ihrdort Hungers sterben, wenn ich mir Eure Güter aneignen wollte; und ich würde Euch folglich dasLeben, das ich Euch jetzt erhalte, wieder nehmen. Nein, Señor Inglese, ich nehme Euch ausMenschlichkeit dahin mit; und Eure Güter werden Euch treffliche Dienste tun, um EurenUnterhalt und Eure Rückreise zu bezahlen.«So großzügig er in seinem Versprechen war, so gewissenhaft war er in seiner Ausführung, denner verbot den Matrosen aufs strengste, etwas von meinem Eigentum anzurühren, nahm alles unterseine Aufsicht und gab mir ein genaues Verzeichnis meiner Güter, damit mir später nichtsentgehe. Ja, sogar meine drei irdenen Krüge waren darin nicht vergessen. Was meine Schaluppebetraf, so befand sie sich in sehr gutem Zustand; er wollte sie kaufen und fragte mich, wieviel ichdafür verlange. Ich erwiderte ihm, er habe sich in jeder Hinsicht so großmütig mir gegenübergezeigt, daß ich mich nicht unterstehen würde, einen Preis dafür zu verlangen, sondern das ihmanheimstelle. Er erklärte hierauf, er wolle mir eine Anweisung über achtzig Piaster ausstellen,einzulösen in Brasilien, und wenn mir dort jemand mehr dafür zahlen sollte, so verspreche er, mirden Rest zu vergüten. Außerdem bot er mir sechzig Piaster für meinen Xury. Doch ich wolltenicht darauf eingehen. Nicht, daß ich ihn dem Kapitän nicht überlassen mochte, sondern esschmerzte mich, die Freiheit des armen Jungen zu verkaufen, der mir so redlich beigestandenhatte, meine eigene zu erlangen. Als ich dem Kapitän diesen Grund mitteilte, sah er ihn ein undschlug mir vor, er wolle es dem jungen schriftlich geben, daß er ihm nach zehn Jahren seineFreiheit schenke, wenn er sich entschlossen habe, Christ zu werden. Xury erklärte sich damiteinverstanden.

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Unsere Fahrt nach Brasilien verlief glücklich, und wir langten binnen zweiundzwanzig Tagen inder Allerheiligenbucht, Bahia de Todos los Santos an. Somit war ich also zum zweitenmal auseiner elenden Lage befreit, und es blieb mir nun zu überlegen, was ich in Zukunft beginnen sollte.

Kapitel 7Das großmütige Verhalten des Kapitäns gegen mich kann ich nicht genug loben. Er wollte für dieOberfahrt durchaus nichts nehmen, sondern gab mir vielmehr zwanzig Dukaten für das Fell desLeoparden und vierzig für die Löwenhaut. Außerdem ließ er mir alles pünktlich wiederaushändigen, was mir gehörte, und kaufte mir ab, was ich hergeben wollte; zum Beispiel dieBranntweinflaschen, zwei meiner Flinten und den Rest des Wachses, woraus ich Lichter gemachthatte. Mit einem Wort, das ganze brachte mir etwa zweihundertzwanzig Piaster ein, und ichsetzte, mit diesem Kapital versehen, den Fuß auf brasilianischen Boden.Es währte nicht lange, und der Kapitän empfahl mich einem ebenso wackeren Mann, wie er selbereiner war, der eine Zuckerplantage und Siederei hatte. Ich brachte einige Zeit bei ihm zu undlernte auf diese Weise den Anbau des Zuckerrohres und die Bereitung des Zuckers kennen. Daich sah, welch behagliches Leben die Pflanzer führten und wie schnell sie reich wurden, faßte ichden Entschluß, falls ich die Genehmigung der Regierung erhalten würde, mich hierzulandeanzusiedeln und Pflanzer zu werden. Zugleich sann ich auf Mittel, wie ich zu meinem Geldkommen könnte, das noch in London lag. Nachdem ich mir die Bürgerrechte verschafft hatte,kaufte ich so viel unbebautes Land, wie meine Barschaft mir erlaubte, und machte einen Plan fürmeine Pflanzung, der mit meinem aus London zu erwartenden Kapital im Einklang stand.Ich hatte einen aus Lissabon gebürtigen Portugiesen zum Nachbarn, dessen Eltern jedochEngländer waren. Er hieß Wells und befand sich ungefähr in der gleichen Lage wie ich. Ich nenneihn Nachbar, weil sich seine Pflanzung in der Nähe der meinen befand und wir auf sehrfreundschaftlichem Fuß miteinander standen. Mein Vermögen war ebenso unbedeutend wie dasseine, und wir holten ungefähr zwei Jahre lang aus unseren Pflanzungen nicht mehr heraus, als wirgerade zu unserem Lebensunterhalt brauchten. Doch begannen wir Fortschritte zu machen; wirbauten im dritten Jahr Tabak an. und bereiteten ein ansehnliches Stück Land vor, um imfolgenden Jahr Zuckerrohr darauf zu pflanzen. Allerdings hatten wir, einer wie der andere, nochfremde Hilfe nötig; und ich fühlte mehr denn je, wie falsch es gewesen war, mich von meinemXury zu trennen.Da ich niemals das Richtige tat, war das freilich nicht verwunderlich. Doch da half nichts,zurückgehen konnte ich nicht. Ich hatte mir eine Beschäftigung auferlegt, die meinem natürlichenHang nicht zusagte und im krassen Widerspruch zu der Lebensweise stand, die ich liebte und umderentwillen ich nicht nur das Haus meines Vaters verlassen, sondem auch seinen guten Rat mitVerachtung von mir gewiesen hatte. Und jetzt trat ich in diesen Mittelstand, den mein Vater mirfrüher so sehr empfahl und den ich, wenn ich seinem Rat gefolgt wäre, ebensogut in der Heimathätte haben können, ohne auf eine so' erbärmliche Weise in der Welt umherzuir- So dachte ichhäufig mit tiefer Betrübnis über meine Lage nach. Ich hatte niemand als meinen Nachbarn, mitdem ich mich in ein vertrauliches Gespräch hätte einlassen können, und das geschah nur selten.Alle Arbeit mußte ich mit meinen beiden Händen verrichten, und ich sagte mir oft, daß ich hierwie ein Schiffbrüchiger lebte, der auf irgendeine wüste Insel verschlagen worden ist - von allerWelt verlassen. Es ist nur zu wahr: der Mensch sollte reiflich überlegen, wenn er seinegegenwärtige Lage mit einer anderen, schlimmeren vergleicht, daß der Himmel ihn womöglicheinmal zum Tausch zwingen kann, damit er sein früheres Glück erkennt. Und so erging es mir

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tatsächlich; denn jenes einsame Leben auf einer wirklich wüsten Insel, über das ich mich jetztbeklagte, wurde später mein Los. Wie oft hatte ich ungerechterweise jenes Leben mit demverglichen, das ich damals führte und das mich, wäre ich beharrlich gewesen,höchstwahrscheinlich in großen Wohlstand versetzt hätte.Ich hatte mich schon einigermaßen auf meiner Plantage eingerichtet, ehe mein Freund, derKapitän, der mich auf offener See so liebevoll aufgenommen, seine Rückreise antrat. Es dauerteungefähr drei Monate, bis die Ladung seines Schiffes vollständig und alles zur Reise vorbereitetwar. Als ich ihm von dem kleinen Kapital erzählte, das ich noch in London stehen hatte, gab ermir folgenden freundschaftlichen und aufrichtig gemeinten Rat: »Señor Inglese«, sprach er zu mir,denn er nannte mich beständig so, »wenn Ihr mir eine Vollmacht an die Person geben wollt, beider Ihr Eure Gelder in London hinterlegt habt, und den Auftrag, Eure Barschaft an die von mirbenannten Personen nach Lissabon zu senden, und zwar in Waren, wie sie in diesem Land Absatzfinden, so will ich Euch, wenn ich zurückkehre, den Ertrag mitbringen. Da jedoch allemenschlichen Dinge den Widerwärtigkeiten und Schlägen des Schicksals unterworfen sind, so tutIhr gut daran, Eure Anweisung nur für hundert Pfund Sterling zu geben, vorerst also nur dieseSumme zu wagen, die nach Euren Angaben die Hälfte Eures Kapitals beträgt. Kommt dieseglücklich an, so könnt Ihr über den Rest auf gleiche Weise verfügen; geht es aber verloren, sohabt Ihr an der zweiten Summe noch einen Notpfennig.«Dieser Rat war weise und zeugte von der freundschaftlichen Gesinnung. Ich gewann selbst dieÜberzeugung, daß ich nichts Besseres tun könnte, und setzte daher ein Schreiben an die Dameauf, der ich mein Geld anvertraut hatte, sowie die von dem Kapitän gewünschte Vollmacht.In dem Schreiben an die Witwe des englischen Kapitäns teilte ich all meine Abenteuer mit: meineGefangenschaft, meine heimliche Flucht, mein Zusammentreffen mit dem portugiesischen Kapitänauf offener See, sein menschenfreundliches Benehmen und den Zustand, in dem ich mich damalsbefand. Zugleich gab ich ihr alle erforderlichen Instruktionen zur Auslieferung meines Geldes. Alsder wakkere Kapitän in Lissabon angekommen war, fand er Gelegenheit, durch die Vermittlungeines in jener Stadt etablierten englischen Kaufmanns nicht nur meinen Auftrag, sondern auchmeine Geschichte einem Londoner Kaufmann zu überbringen, der beides der Witwe übermittelteund es so weit brachte, daß sie ihm nicht nur mein Geld auslieferte, sondern aus ihrer eigenenKasse dem portugiesischen Kapitän ein ansehnliches Geschenk sandte, als Anerkennung derMenschlichkeit und Güte, die er mir erwiesen.Der Londoner Kaufmann besorgte - so wie ihm der Kapitän aufgetragen - für die hundert PfundSterling englische Waren und sandte sie ihm direkt nach Lissabon, von wo aus er sie mir alle imbesten Zustand nach Brasilien überbrachte. Auch hatte er mir ohne meine Aufforderung - denn ichwar in Geschäften noch viel zu sehr Neuling, als daß ich an so etwas gedacht hätte - verschiedeneWerkzeuge beigefügt, die mir auf meiner Pflanzung von großem Nutzen sein konn- Die Ankunftdieser Ladung überraschte mich auf eine sehr angenehme Weise, und ich glaubte, mein Glück seinun gemacht. Mein edelmütiger Fürsorger, der Kapitän, hatte die fünf Pfund Sterling, die ihmmeine Londoner Freundin geschenkt hatte, dazu verwandt, daß er einen Kontrakt auf sechs Jahremit einem Diener abschloß, den er für mich mitbrachte. Er wollte aber unter keinen Bedingungenauch nicht das geringste von mir annehmen, außer ein wenig Tabak ein Erzeugnis meiner eigenenPflanzung -, den ich ihm auf- Doch das war noch nicht alles. Da meine Waren aus lauterenglischen Manufakturerzeugnissen bestanden, wie Tüchern, Stoffen, Flanellen und anderen indiesem Land besonders geschätzten und gesuchten Gegenständen, setzte ich sie so vorteilhaft ab,daß der Erlös bald den vierfachen Wert meiner Ladung betrug und meine Plantage bald ungleichblühender wurde als die meines Nachbarn; denn ich kaufte mir vor allem einen Negersklaven und

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nahm, außer dein Menschen, den mir der Kapitän aus Lissabon mitgebracht hatte, einen Europäerin meine Dienste.Allein der schlechte Gebrauch, den der Mensch von seinen Glücksumständen macht, wird oft dieQuelle des größten Unglücks für ihn; und so erging es mir. Im nächsten Jahr warf meinePflanzung einen reichlichen Ertrag ab. Ich erntete fünfzig große Ballen Tabak, das nichtmitgerechnet, was ich gegen andere Erzeugnisse bei meinem Nachbarn verkaufte. Jeder dieserfünfzig Ballen wog etwa einen Zentner und wurde bis zur Rückkehr des Schiffes nach Lissabonwohlverpackt aufbewahrt. Da sich meine Geschäfte auf solche Weise ausdehnten und meinVermögen sich vermehrte, verfiel ich auf eine Menge Pläne und Unternehmungen, die meineKräfte aber weit überstiegen und jenen glichen, die schon oft die geschicktesten Spekulantenzugrunde gerichtet haben.Hätte ich mich in der Lage zu behaupten gewußt, in der ich mich damals befand, wäre ichvielleicht in den Genuß jenes Glückes gekommen, um dessentwillen mir mein Vater ein ruhigesund zurückgezogenes Leben so warm empfohlen hatte und von dem er mir voraussagte, daß esim Mittelstand zu finden sei. Es war mir aber nicht vorbehalten; ich sollte von neuem der Urhebermeines eigenen Elends werden, meine Fehler verschlimmern und die Zahl der Vorwürfevermehren, die ich mir ob meines künftigen Mißgeschickes machen sollte. Mein Unglück hatteseinen Ursprung in meinem steten, hartnäckigen und törichten Hang, mich in der Weltherumzutreiben, und in der Leidenschaftlichkeit, mit der ich mich dieser Neigung hingab.So wie damals, als ich mich mit meinen Eltern überwarf, konnte ich auch jetzt keine Zufriedenheiterlangen. Es drängte mich hinaus in die Welt, und ich mußte die schöne Hoffnung aufgeben, diemir blühte, einträgliche Geschäfte zu machen und in meiner neuen Pflanzung reich zu werden.Und das alles nur dem verwegenen und maßlosen Wunsch zuliebe, mich schnelleremporzuschwingen, als die Natur der Dinge es gestattete. So stürzte ich mich denn von neuem inden tiefsten Abgrund des Elends, in den ein Sterblicher geraten kann.Um nun stufenweise zu den Einzelheiten dieses Teiles meiner Geschichte zu gelangen, muß derLeser voraussetzen, daß ich fast vier Jahre in Brasilien zugebracht, auf meiner Pflanzung michbereichert und nicht nur das Portugiesische gelernt hatte, sondern auch in freundschaftlichenVerkehr mit meinen Standesgenossen, den Pflanzern, sowie mit den Kaufleuten von SanSalvador, unserem Hafen, gekommen war. In unseren Gesprächen hatte ich ihnen öfter vonmeinen beiden Reisen an die Küste von Guinea erzählt, von der Art, wie dort Handel mit denNegem getrieben wird, und von der geringen Schwierigkeit, mit der man für Kleinigkeiten, wieSpielwaren, Glasperlen, Halsbänder, Messer, Scheren, Beile, Spiegelscherben und dergleichen,nicht nur Goldstaub, Elefantenzähne und so weiter, sondem auch Neger für den Sklavendienst inBrasilien, und zwar in großer Menge, kaufen kann.Wenn ich auf diesen Punkt zu reden kam, hörten sie mir immer sehr aufmerksam zu, besondersaber, wenn ich von dem Negerhandel sprach, der damals nicht nur noch nicht so weit gediehenwar, sondern auch nur mit der Erlaubnis der Könige von Spanien und Portugal betrieben werdendurfte, so daß dadurch weniger Neger gekauft und diese sehr teuer bezahlt wurden.Als ich wieder einmal in Gesellschaft mehrerer gut mit mir bekannter Kaufleute und Pflanzergewesen war und über alle diese Dinge ausführlich. gesprochen hatte, besuchten mich drei vonihnen am folgenden Morgen und sagten mir, sie hätten über unsere Unterhaltung sehr vielnachgedacht und seien gekommen, mir insgeheim einen Vorschlag zu machen.

Kapitel 8

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Nachdem sie mir Verschwiegenheit anempfohlen hatten, eröffneten sie mir, sie seien gesonnen,ein Schiff nach der Küste von Guinea auszurüsten. »Wir sind alle«, sprachen sie, »gleich EuchBesitzer von Pflanzungen und brauchen dringend Sklaven. Da wir uns jedoch diesemHandelszweig nicht widmen können, weil man die Neger nicht öffentlich verkaufen darf, möchtenwir nur eine einzige Reise unternehmen, um die Schwarzen herzubringen und auf unserePflanzungen zu verteilen.« Mit einem Wort, es handele sich um die Frage, ob ich als ihrSuperkargo mitfahren wolle, um den Negerhandel an der Küste von Guinea zu übernehmen. Ichsollte als Anteil dann eine gewisse Anzahl Neger bekommen, ohne irgendeinen Zuschuß an Geldmachen zu müssen.Dieser Vorschlag wäre tatsächlich sehr annehmbar für jemand gewesen, der nicht wie ich eineeigene Niederlassung und eine Pflanzung zu leiten gehabt hätte, die auf dem besten Weg war,sehr bedeutend zu werden und einen reichen Ertrag abzuwerfen. Ich war sozusagen gebundenund angesiedelt. Ich brauchte nur noch drei oder vier Jahre so fortzufahren, wie ich angefangenhatte, meine übrigen hundert Pfund Sterling von England kommen zu lassen, und wäre dannBesitzer von etwa drei- bis viertausend Pfund, die sich mit jedem Tag vermehren würden. An einesolche Reise auch nur zu denken war daher das Ungereimteste, worauf ein Mensch unter solchenUmständen verfallen konnte.Da ich jedoch dazu bestimmt war, mein Glück mit eigenen Händen zu zerstören, so vermochteich auch diesem Anerbieten ebensowenig zu widerstehen, wie ich früher Kraft genug gehabthatte, meinen jugendlichen Hang nach einem unsteten Leben zu bekämpfen. Kurz, ich erwiderteihnen, ich sei mit Vergnügen zu der Reise bereit, wenn sie während meiner Abwesenheit meinePflanzungen besorgen und nach meinen Anordnungen verfahren wollten, falls ich Schiffbrucherleiden sollte. Sie versprachen es mir und legten es schriftlich nieder. Auch machte ich einförmliches Testament, in dem ich, für den Fall meines Ablebens, über meine Pflanzung undsonstiges Eigentum verfügte und den Kapitän, der mir das Leben gerettet hatte, zum Erbeneinsetzte, jedoch unter der Bedingung, daß er mit meinem Eigentum nach den in dem Testamentgetroffenen Verfügungen zu verfahren habe. Nach diesen sollte er nämlich die eine Hälfte desErtrages meiner Güter für sich behalten, die andere dagegen nach England schicken.Mit einem Wort, ich traf alle möglichen Vorsichtsmaßregeln, um mein Eigentum zu sichern undmeine Pflanzung in gutem Stand zu erhalten. Hätte ich nur mit halb soviel Klugheit meinpersönliches Interesse berücksichtigt und vernunftgemäß überlegt, was ich tun und was ich lassensollte, so hätte ich gewiß niemals ein so blühendes Unternehmen im Stich gelassen und nie diehöchstwahrscheinliche Aussicht, ein reicher Mann zu werden, an eine Seereise gewagt, auf der ichohnehin allen gewöhnlichen Wechselfällen ausgesetzt war, ganz zu schweigen von dem Unglück,das ich für mich voraussehen mußte.Allein, ich hatte mich hinreißen lassen und gehorchte anstatt der Vernunft blindlings meinenGelüsten. Als das Fahrzeug ausgerüstet, die Ladung vollständig und alles zwischen mir undmeinen Teilhabern vertragsgemäß in Ordnung gebracht war, schiffte ich mich unter meinemUnglücksstern am 1. September 1659 ein; genau acht Jahre, nachdem ich meine Eltern verlassenhatte, um ihrer Autorität zu trotzen und als Narr gegen meinen eigenen Nutzen zu handeln.Unser Schiff, ein Fahrzeug von ungefähr hundertzwanzig Tonnen, besaß außer einigenHandfeuerwaffen sechs Kanonen und hatte außer dem Kapitän, seinem Bedienten und mirvierzehn Mann Besatzung. Wir führten die zum Handel mit den Negern geeigneten Gegenstände,wie Glasperlen und Glasstücke, Muscheln, armseliges Spielzeug, besonders kleine Spiegel,Messer, Scheren, Beile und dergleichen mit uns.

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An demselben Tag, da ich an Bord stieg, gingen wir unter Segel und nahmen nördlichen Kurslängs der Küste, in der Absicht, nach Afrika zu. steuern, wenn wir den zehnten oder elften Gradnördlicher Breite erreicht hätten. Damals war das, wie es scheint, der übliche Kurs. Das Wetterwar sehr schön, aber die Hitze wahrhaft drückend, und zwar an unserer ganzen Küste bis zurHöhe des Vorgebirges St. Augustin, wo wir, das Weite gewinnend, Kurs auf die Insel Fernandode Noronha nahmen, als wäre sie unser Bestimmungsort. Doch wir hielten uns Nordost zu Nordund ließen diese Insel sowie die sie umgebenden östlich liegen. Nach einer Fahrt von etwa zwölfTagen befanden wir uns nach unserer Berechnung auf dem siebten Grad zweiundzwanzigMinuten nördlicher Breite, als ein heftiger Orkan uns völlig verschlug. Er kam zuerst aus Südost,dann beinah aus Nordwest, schließlich aus Nordost und wütete von dort so anhaltend, daß wirzwölf Tage nacheinander immer vom Strich abfielen und uns treiben ließen, wohin das feindlicheGeschick und das Toben der Winde uns wiesen. Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß ichwährend dieser zwölf Tage jeden Augenblick glaubte, von den Wellen verschlungen zu werden,und in der Tat hatte auch niemand auf dem Schiff die geringste Hoffnung mehr, mit dem Lebendavonzukommen.In dieser Not hatten wir, außer den Schrecknissen des Sturmes, auch noch das Unglück, daß einerunserer Leute am hitzigen Fieber starb und ein Matrose nebst dem Bedienten über Bord gespültwurde. Als am zwölften Tag der Wind etwas nachließ, stellte der Kapitän die Höhe fest, so gut esging, und berechnete, daß er sich ungefähr auf dem elften Grad nördlicher Breite, aberzweiundzwanzig Grad westlich von dem Vorgebirge St. Augustin befand. Also hatten wir dieKüste von Guayana oder den nördlichen Teil Brasiliens jenseits des Amazonenflusses, in der Nähedes Orinoco, erreicht. Der Kapitän beratschlagte nun mit mir über die Richtung, die ereinschlagen sollte; denn das Schiff war schon an mehreren Stellen leck. Deshalb 'war er dafür,nach der. brasilianischen Küste zurückzukehren. Ich war anderer Meinung. Nachdem ich mit ihmdie Karten der amerikanischen Küsten angesehen hatte, teilten wir beide die Ansicht, daß wir vorden Karibischen Inseln kein bewohntes Land finden würden. Wir beschlossen daher, Barbadosanzulaufen, das wir, wenn wir uns auf offener See hielten, um den mexikanischen Meerbusen zuvermeiden, nach fünfzehntägiger Fahrt zu erreichen hofften; denn wir konnten unmöglich unsereReise nach der afrikanischen Küste fortsetzen, ohne zuvor Hilfe für unser Schiff und für uns selbstin Anspruch zu nehmen. Deshalb änderten wir unsere Richtung und steuerten Nordwest zu West,um eine unserer englischen Inseln zu erreichen, wo wir mit Gewißheit auf Beistand hoffenkonnten.Die Vorsehung hatte es jedoch anders beschlossen; denn kaum waren wir über den zwölften Gradnördlicher Breite hinaus, als wir von einem neuen Sturm überfallen vrurden, der uns mit ebensogroßer Heftigkeit nach Westen verschlug, so weit von jeder menschlichen Hilfe entfernt, daß wir,wenn wir auch dem Wassertod entrinnen würden, eher erwarten mußten, von den Wildengefressen zu werden, als in unsere Heimat zurückkehren zu können.In dieser fürchterlichen Lage, der Wind blies immer noch so heftig, rief bei Tagesanbruch einerunserer Leute: »Land!« Kaum waren wir aus der Kajüte gestürzt, um uns umzuschauen, inwelchem Winkel der Erde wir uns befanden, als unser Schiff auf eine Sandbank stieg. Da esplötzlich festsaß, brachen die Wogen mit solcher Macht über uns herein, daß wir jedenAugenblick mit unserem Ende rechneten und uns hinter die Schotten flüchteten, um vor denWogen geschützt zu sein.Wer sich noch nicht in gleicher Lage befunden hat, dem kann man kaum die Bestürzungbeschreiben, die sich der Mannschaft bemächtigt hatte. Wir wußten weder, wo wir uns befanden,noch nach welchem Land der Sturm uns geschleudert hatte, ob es eine Insel oder ein Festland, ob

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es bewohnt oder menschenleer war. Und da der Sturm ständig weiterwütete, wenn auch mitminder großer Heftigkeit, durften wir nicht einmal hoffen, daß unser Schiff diese Lage beibehaltenwürde, ohne zu zerbersten; der Wind hätte denn, gleichsam durch ein Wunder, plötzlichumschlagen müssen. Kurz, wir sahen angstvoll einander an, mit jeder Minute den Tod erwartend,und bereiteten uns alle auf die Reise nach der anderen Welt vor, weil wir in dieser Welt wenigoder gar nichts mehr zu tun hatten.Unser einziger Trost bestand darin, daß unser Schiff, entgegen allen Erwartungen, noch ganzblieb, und, der Kapitän verkündete, der Wind beginne sich zu legen. Obwohl wir selbstbemerkten, daß er etwas nachlieg, so sag das auf der Sandbank gescheiterte Schiff doch viel zufest, als daß wir hoffen durften, es wieder flottmachen zu können. Wir befanden uns daherwirklich 'in der schrecklichsten Lage, und es blieb uns nur noch zu bedenken, wie wir unser'Leben auf irgendeine Weise retten konnten. Allerdings hatten wir, bevor der Sturm losbrach, einBoot am Heck gehabt, doch es war durch die heftigen und wiederholten Stöße gegen dasSteuerruder leck geworden, und nach dem sein Tau zerrissen war, hatten es die Wellenverschlungen. Wir hatten zwar noch ein zweites Boot an Bord, aber es war eine schwereAufgabe, es ins Meer zu lassen. Doch es blieb uns keine Zeit zum Überlegen, denn wir glaubten injeder Minute, das Schiff könne zertrümmert werden; ja, einige unserer Leute versicherten sogar,es sei schon geborsten.Hierauf machte sich unser Bootsmann an die Schaluppe, die nun mit Hilfe der Matrosen ins Meergelassen wurde. Wir stiegen alle hinein und überließen uns, noch elf Mann, dem Willen Gottesund der Wut des Sturmes; denn obgleich er bedeutend nachgelassen hatte, türmten sich dieWogen an der Küste noch sehr hoch, und man konnte wirklich von der »wilden Zee« sprechen,wie die Holländer das sturmgepeitschte Meer bezeichnen.Unsere Lage war hoffnungslos, denn die See ging gar zu hoch, als daß unser kleines Fahrzeug ihrhätte widerstehen können, und wir sahen ein, daß unser Untergang wohl unausbleiblich war. Wiesollten wir weiterkommen, da es uns an Segeln fehlte? Und wenn wir auch eins gehabt hätten, sowäre es doch nutzlos gewesen. Wir fingen nun an, nach dem Land zu rudern; aber dabei war unswie Menschen zumute, die man zum Richtplatz führt. Jeder von uns wußte, daß die Schaluppebeim Landen in tausend Stücke bersten würde. Also empfahlen wir unsere Seelen auf dieinbrünstigste Weise Gott und beschleunigten unseren Untergang mit eigenen Händen, indem wirmit allen Kräften dem Land zuruderten, gegen das uns der Wind ohnehin trieb.Ob die Küste aus Felsen oder Sand bestand, ob sie flach oder steil war, das wußten wir nicht. Nurein schwacher Trost hielt uns noch aufrecht: Es war die Hoffnung, eine Bucht oder die Mündungeines Flusses zu erreichen, wo wir, durch besonderes Glück begünstigt, unser Boot hinsteuernund vielleicht gar Windstille finden konnten. Aber es zeigte sich nichts von alledem, und als wirder Küste näher kamen, erschien uns das Land noch furchtbarer als das Meer.Nachdem wir, unserem Ermessen nach, etwa anderthalb Stunden gerudert hatten, türmte sichplötzlich eine Woge berghoch hinter uns auf und verkündete unsere letzte Minute. Sie faßte unsmit solcher Wut, daß die Schaluppe schon im nächsten Augenblick umschlug. Wir wurden weitvoneinander in die, Fluten geschleudert und hatten kaum noch Zeit, nach Gott zu rufen, denn ineiner Sekunde waren wir alle vom Meer verschlungen.

Kapitel 9Es wäre vergebens, wollte ich meine Verwirrung schildern, als ich in den Fluten versank. Obwohlich ein guter Schwimmer war, konnte ich mich doch unmöglich aus dem Wasser herausarbeiten,

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um Atem zu schöpfen, bis die Woge, die mich mit fortgerissen, sich wieder zurückgezogen hatteund mich auf beinahe trockenem Sand liegenließ. Wie ich nun bemerkte, daß ich von dem festenLand weniger entfernt war, als ich erwartet hatte, besaß ich Kraft und Geistesgegenwart genug,mich aufzurichten und zu bemühen, landeinwärts zu laufen, ehe eine neue Woge kommen undmich zurückschleudern konnte. Ich merkte jedoch bald, daß es unmöglich war, denn die Wellenwälzten sich haushoch hinter mir heran. Ich hatte weder Mittel noch Kraft, diesen Feind zubekämpfen. Alles, was ich tun konnte, war, den Atem anzuhalten und zu versuchen, über Wasserzu bleiben, um so einerseits Luft zu schöpfen, andererseits womöglich gegen die Küste getriebenzu werden. Am meisten bangte mir davor, daß mich eine herankommende Woge wieder in dieSee hinausschleudern könnte.Jetzt wälzte sich eine Woge heran, die mich plötzlich zwanzig bis dreißig Fuß tief begrub undmich mit ungeheurer Schnelligkeit eine bedeutende Strecke zum Ufer hin mit fortriß. Ich hielt denAtem an und schwamm aus Leibeskräften; doch ich erstickte fast aus Mangel an Luft, als ich michauf einmal emporgehoben und zu meiner großen Erleichterung Kopf und Hände über dem Wasserfühlte. Ich konnte mich zwar unmöglich länger als einige Sekunden so halten, aber es tat mirungemein wohl, als ich wieder Luft und mit ihr neuen Mut schöpfte. Abermals wurde ich nunziemlich lange in die Tiefe versenkt; allein ich hielt stand. Und als ich fühlte, daß die Wogezurückzufluten begann, arbeitete ich dem Wasser entgegen und richtete mich, Boden fassend, aufden Beinen empor. Einige Minuten lang verhielt ich mich ruhig, um Atem zu schöpfen und zuwarten, bis das Wasser abgelaufen war. Dann aber rannte ich aus allen Kräften mutig der Küstezu. Diese Anstrengung vermochte mich jedoch nicht von der Wut des Meeres zu befreien, dasvon neuem auf mich los- Zweimal noch ergriffen mich die Fluten und schleuderten mich abermalshinaus, weil das Ufer hier ganz flach war. Das letztemal hätte ich beinahe den Tod gefunden; dennnachdem die Wogen mich wieder davongeführt hatten, warfen sie mich mit solcher Gewalt gegeneinen Felsblock, daß mir die Sinne vergingen und ich unfähig war, irgend etwas für meine Rettungzu tun. Der heftige Stoß ließ meine Seite und meine Brust starkschmerzen, so daß es mir denAtem verschlug; und wäre es mir nicht gelungen, unmittelbar nachher Luft zu schöpfen, so hätteich ersticken müssen. So aber konnte ich atmen, bevor die Wogen wieder zurückkehrten, und alsich merkte, daß sie mich wieder packen wollten, faßte ich den Entschluß, mich so lange an denFelsen festzuklammern und den Atem anzuhalten, bis sie wieder zurückrollten.Da ich mich in geringer Entfernung vom Lande befand, richteten sich die Wellen nicht mehr ganzso hoch auf, doch bevor sie sich gebrochen hatten, ließ ich das Felsstück nicht los. jetzt eilte ichschnell weiter und kam dem Land so nahe, daß eine neue Woge, die über mich hereinstürzte,mich doch nicht mehr mit sich fortreißen konnte. Einer letzten Anstrengung bedurfte es noch -und ich hatte festen Boden erreicht, wo ich, zu meiner großen Beruhigung, den steilen Felsen desUfers erkletterte und mich ins Gras setzte, befreit von aller Gefahr und geschützt vor jedemweiteren Angriff des empörten Ozeans!So war ich denn endlich auf trockenein Land und in Sicherheit. Ich blickte zum Himmel auf unddankte Gott, daß er mir das Leben gerettet in einem Augenblick, da mir noch wenige Minutenzuvor fast keine Hoffnung mehr geblieben war. Ich halte es für unmöglich, die außerordentlichenEmpfindungen und das Entzücken eines Menschen zu schildern, der sich sozusagen aus der Tiefedes Grabes herausgerissen sieht. Es wundert mich auch keineswegs, daß man die Gewohnheit hat,einen Wundarzt herbeizurufen, um einen Verbrecher zur Ader zu lassen, den man gerade in demAugenblick begnadigt, da er schon mit dem Strick um den Hals seinen Tod erwartet; denn durchdie jähe Überraschung könnte sein Lebensgeist entfliehen und er auf eine andere Weise sterben,da oft plötzliches Glück oder plötzlicher Schmerz vernichtend wirkt.

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In Gedanken an meine Befreiung versunken, ging ich am Strand auf und ab, hob die Hände emporund machte tausend Bewegungen und Gebärden, die ich nicht zu beschreiben vermag. Ichgedachte meiner Unglücksgenossen, die alle, ertrunken waren, und schauderte, daß außer mirauch nicht ein einziger gerettet sein sollte. Ich fand außer drei Hüten einer Mütze und zweieinzelnen Schuhen keine Spur mehr von ihnen.Jetzt blickte ich nach dem gestrandeten Schiff, doch es war so fern und die schäumende Brandungso stark, daß ich es kaum entdecken konnte. »Großer Gott!« rief ich jetzt. »Wie war es mirmöglich, die Küste zu erreichen?«Nachdem ich mein Gemüt durch Erwägung alles dessen erleichtert hatte, was an meiner Lageirgendwie tröstlich sein konnte, versuchte ich festzustellen, an welchem Ort ich mich befand, undzu überlegen, was ich weiter beginnen sollte. Da merkte ich bald, wie mir der Mut entschwandund daß meine Rettung im Grunde schrecklich war; denn ich war ganz durchnäßt, konnte dieKleider nicht wechseln und hatte zu meiner Stärkung weder etwas zu essen noch zu trinken.Unter solchen Umständen blieb mir keine andere Aussicht, als entweder vor Hunger zu sterbenoder von wilden Tieren zerrissen zu werden. Ganz besonders betrübte es mich, daß ich nichteinmal eine Waffe hatte, um auf die Jagd zu gehen und irgendein Tier zu meiner Nahrung zuerlegen oder mich gegen irgendwelche Geschöpfe zu verteidigen, die etwa mit mir selbst ihrenHunger zu stillen gedächten. Kurz, ich hatte nichts weiter bei mir als ein Messer, eineTabakspfeife und etwas Tabak in einer kleinen Büchse. Daraus bestand meine ganze Habe, undich verfiel deshalb in eine so schreckliche, trostlose Stimmung, daß ich eine gute Weile wie einUnsinniger hin und her lief. Als der Tag sich neigte, stellte ich mit tieftraurigem HerzenBetrachtungen über mein Schicksal an: Was mir passieren könnte, wenn sich in dieser Gegendetwa wilde Tiere aufhielten; denn ich wußte nur zu gut, daß sie des Nachts ihre Schlupfwinkelverlassen, um auf Raub und Beute auszugehen.Der einzige Ausweg der mir einfiel, war, einen in meiner Nähe befindlichen starken unddichtbelaubten Baum zu erklettern, der einer Tanne glich, aber sehr dornig war. Hier beschloßich, die Nacht zu verbringen und am nächsten Tag zu überlegen, welchen Tod ich wohl sterbenmüßte; denn noch sah ich keinen Weg, mein Dasein zu fristen. Ich entfernte mich etwa eineViertelmeile von der Küste, um irgendwo meinen Durst an süßem Wasser zu löschen, was mirauch zu meiner großen Freude gelang. Nachdem ich getrunken und ein bißchen Tabak in denMund genommen hatte, um den größten Hunger etwas zu stillen, erstieg ich den Baum und nahmeine solche Lage ein, daß ich im Schlaf nicht herunterfallen konnte. Zu meiner Verteidigung hatteich mir einen dicken Knüppel abgeschnitten und bezog so meine Wohnung. Da ichaußerordentlich müde war, verfiel ich in tiefen Schlaf und brachte in diesem Zustand die Nacht sobehaglich zu, wie es gewiß wenige Personen an meiner Stelle getan hätten. Auch fühlte ich michhinterher so gestärkt, wie es unter günstigeren Umständen zuvor kaum der Fall gewesen war.Ich erwachte erst am hellichten Tag; das Wetter war heiter, der Sturm hatte sich gelegt, und dasMeer tobte nicht mehr so fürchterlich wie am vorigen Abend. Wie groß aber war mein Erstaunen,als ich bemerkte, daß unser Schiff durch die Flut während der Nacht von der Sandbank, auf der esfestgesessen, weggeschwemmt und fast bis an, das oben erwähnte Felsenriff getrieben wordenwar, gegen das die Wogen mich geschleudert hatten. Es befand sich etwa eine -Meile vom Uferentfernt, und da es noch auf seinem Kiel zu ruhen schien, wurde der Wunsch in mir wach,wenigstens einige wichtige Gebrauchsgegenstände von dort zu retten.Als ich von meinem Schlafzimmer, das heißt von dem Baum, herabgestiegen war, blickte ichabermals umher, und der erste Gegenstand, den ich entdeckte, war die Schaluppe; sie lag auf demLand, wohin der Wind und die Wellen sie geschleudert hatten. Ich ging nun längs der Küste, so

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weit ich konnte, darauf zu; da ich jedoch zwischen ihr und mir einen Meeresarm antraf, derungefähr eine halbe Meile breit war, kehrte ich wieder um, denn der Wunsch, zum Schiff zugelangen, war größer, da ich dort etwas für meinen Lebensunterhalt zu finden hoffte.Kurz nach Mittag war das Meer sehr ruhig und Ebbe eingetreten, daß ich mich dem Schiff bis aufeine Viertelmeile nähern konnte. Hier ergriff mich neuer Schmerz, denn ich erkannte nun, daßkeiner von uns das Leben verloren hätte, wären wir an Bord geblieben. Wir wären nämlich alleunversehrt an Land gekommen, und ich hätte nicht das Unglück erleben müssen, mich jedermenschlichen Gesellschaft und jeden Trostes beraubt zu sehen. Meine Tränen flossen von neuem,jedoch war das nur eine geringe Erleichterung meines Schmerzes, und ich beschloß, das Schiff,wenn möglich, zu erreichen. Aus diesem Grund entkleidete ich mich bis auf Hose und Strümpfe,denn die Hitze war unerträglich, und stürzte mich ins Wasser.Als ich das Schiff erreicht hatte, bestand die größte Schwierigkeit darin, an Bord zu gelangen. Daes auf dem Grund festsaß und folglich weit aus dem Wasser ragte, konnte ich keinen Gegenstandentdecken, der für mich greifbar gewesen wäre, um mich daran hinaufzuschwingen. Ich schwammnun zweimal um das Wrack, und beim zweitenmal bemerkte ich ein Tauende, das mir zu meinemErstaunen das erstemal entgangen war und das von der Fockrüste tief genug herabhing, so daßich es, wenn auch nicht ohne große Schwierigkeit, zu fassen vermochte. Mit Hilfe dieses Tauesgelangte ich auf das Vorderdeck.Hier sah ich nun, daß das Schiff geborsten war und eine große Menge Wasser im Laderaum hatte.Da es auf dem abschüssigen Rand einer festen Sandbank ruhte, befand sich sein Heck sehr hoch,der Bug dagegen so tief, daß er beinahe das Wasser berührte; folglich mußte der ganze hintereTeil von Wasser frei und alles, was sich dort befand, trocken sein. Man kann sich leicht denken,daß ich mich sogleich damit beschäftigte, nachzusehen, was unversehrt geblieben und was vomWasser verdorben war. Da fand ich denn, daß alle Schiffsvorräte noch in gutem Zustand waren,und weil ich große Eßlust verspürte, ging ich in die Brotkammer, um meine Taschen mitZwieback zu füllen, den ich verzehrte, während ich mich mit anderen Dingen beschäftigte; dennich hatte keine Zeit zu verlieren. In der großen Kammer fand ich jetzt auch Rum, von dem icheinen tüchtigen Schluck zu mir nahm, was in der Tat angebracht war, um mir Mut zu machen.jetzt fehlte mir nichts weiter als ein Boot, damit ich mich mit den Dingen versehen könnte, die mirvoraussichtlich von großem Nutzen sein würden.Es war jedoch zwecklos, Wünschen nachzujagen, die man doch nicht verwirklichen konnte. DieNot stachelte aber meine Betriebsamkeit auf. Es befanden sich an Bord mehrere Rahen,verschiedene Marsstangen und zwei oder drei doppelte Flaggenstöcke, und ich beschloß, meineArbeit zu beginnen. Alles, was nicht zu schwer war, ließ ich mit einem Tau über Bord und bandjedes Stück an ein Teil, damit es nicht abgetrieben werden konnte. Als das geschehen war, stiegich an der Schiffswand hinab und band vier der Balken, so gut es ging, an den beiden Enden festzusammen, so daß ein Floß entstand. Nachdem ich dann drei oder vier Planken von derSchiffsverkleidung quer darübergelegt hatte, merkte ich, daß ich sehr gut darauf herumgehenkonnte, daß es jedoch, weil es gar zu leicht war, keine allzugroße Last tragen könnte. Ich machtemich daher von neuem an die Arbeit und zerlegte mit der Zimmermannssäge eine Marsstange derLänge nach in drei Teile, die ich mit viel Mühe noch an dem Floß befestigte. Die Hoffnung, mirdas zu verschaffen, was ich nötig hatte, spornte mich so sehr an, daß ich viel mehr ausrichtete, alsich unter gewöhnlichen Umständen vollbracht hätte.

Kapitel 10

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Mein Floß war jetzt stark genug, um eine ziemlich große Last zu tragen. Es handelte sich nurnoch darum, was ich zuerst aufladen und wie ich meine Ladung gegen die Brandung schützensollte. Mein Entschluß war bald gefaßt. Zuerst legte ich alle Schiffsplanken darauf, die ichherbeischaffen konnte; und als ich dann reiflich überlegt hatte, was für mich am wichtigsten sei,nahm ich drei Matrosenkisten, die ich aufsprengte, entleerte und auf mein Floß niederließ; dieerste füllte ich mit Mundvorrat, nämlich mit Brot, Reis, drei holländischen Käsen, fünf Stückengedörrtem Ziegenfleisch, dem Hauptnahrungsmittel der Schiffsmannschaft und einem kleinen Resteuropäischen Getreides, für einige Hühner bestimmt, die wir mitgenommen, unterwegs abergeschlachtet hatten. Es gab auch etwas mit Weizen gemischte Gerste an Bord. Allein ichbemerkte zu meinem großen Verdruß, daß dieses Getreide von den Ratten teils angefressen, teilsverdorben war. Außerdem erblickte ich mehrere Kisten - mit Flaschen, die unserem Kapitängehört hatten und in denen sich verschiedene stärkende Getränke befanden. Auch entdeckte ichfünf bis sechs Gallonen Arrak. Diese stellte ich gesondert, weil es nicht nötig war, sie in die Kistezu tun, zudem war sowieso kein Platz mehr darin.Während ich damit beschäftigt war, merkte ich, daß die Flut sehr langsam zurückkam, und zumeinem nicht geringen Leidwesen sah ich nun meine Jacke, mein Hemd und meine Weste, die icham Strand gelassen hatte, auf dem Wasser schwimmen. Meine Beinkleider die nur aus Leinenzeugwaren, sowie meine Strümpfe hatte ich, als ich an Bord schwamm, anbehalten. Dieser Umstandzwang mich daher, nach Kleidungsstücken zu suchen. Ich fand durchaus genug, nahm aber nur'mit, was ich im Augenblick unbedingt brauchte; denn es waren noch andere Dinge, nach denen esmich mehr gelüstete, zum Beispiel verschiedenes Handwerkszeug. Nur nach langem Suchengelang es mir, die Kiste des Zimmermanns zu finden, die damals viel nützlicher und wertvoller fürmich war als ein ganzes Schiff voll Gold. Ich ließ sie auf mein Floß hinab, ohne mit demHineinschauen erst Zeit zu vergeuden. übrigens wußte ich ja, was sie ungefähr enthielt.Jetzt ging es an die Munition und die Waffen. In der großen Kammer waren zwei sehr guteJagdflinten und ein paar Pistolen, die ich nebst einigen Pulverhörnem, einem kleinen Sack mitSchrot und zwei verrosteten Degen auf die Seite legte. Ich entsann mich, daß drei FaßSchießpulver an Bord sein mußten, doch wußte ich nicht, wo sie unser Kanonier verstaut hatte,und fand sie erst nach langem Suchen. Eines davon war naß geworden, die beiden anderendagegen waren trocken und in gutem Zustand. Ich brachte sie daher nebst den Waffen auf meinFloß, das somit hinreichend beladen war.Ich überlegte nun, wie ich das alles ans Ufer bringen sollte, denn ich hatte weder Segel nochSteuerruder oder kleine Ruder; mein Fahrzeug konnte daher bei dem geringsten Windstoßkentern. Drei Dinge hielten jedoch -meinen Mut aufrecht: erstens die ruhige, glatte See, zweitensdie dem Land zustrebende Flut und drittens der Wind, der, so schwach wie er auch war, derKüste zuwehte. Nachdem ich endlich noch zwei oder drei zerbrochene Ruder gefunden hatte, diezur Schaluppe gehörten, und außer den in der Kiste befindlichen Werkzeugen zwei Sägen, einBeil und einen Hammer, stach ich mit meiner Ladung in See. Ungefähr eine Meile weit ging esganz vortrefflich; nur bemerkte ich, daß wir etwas von der Stelle abtrieben, an der ich zuvorgelandet war.Ich schloß daraus, daß hier eine Strömung sein.mußte, und hegte daher die Hoffnung, irgendeineBucht oder einen Fluß zu finden, die mir als Hafen dienen könnten, um meine Ladungauszuschiffen.Meine Vermutung war begründet, denn ich erblickte bald eine kleine Landvertiefung vor mir, indie sich die Flut stürzte. Dorthin lenkte ich mein Floß, so gut ich konnte, und versuchte, es in derMitte der Strömung zu halten. Doch es fehlte nicht viel, so hätte ich noch einmal Schiffbruch

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erlitten; aber diesmal wäre mir sicher das Herz gebrochen. Da mir die Küste nämlich völligunbekannt war, stieß mein Floß mit dem einen Ende auf eine Sandbank und als sich hierauf dasandere Ende ins Meer senkte, wäre um ein Haar meine ganze Ladung über Bord gegangen undverloren gewesen.Ich bemühte mich nun mit allen Kräften, die Kisten festzuhalten, indem ich mich mit dem Rückendagegenstemmte; denn all meine Bemühungen, das Floß von der Sandbank abzustoßen, wärenvergebens gewesen. Auch wagte ich nicht, die Stellung zu verändern, in der ich mich befand. Ichhielt fast eine halbe Stunde so aus, die Kisten beständig aus Leibeskräften zurückhaltend.Unterdessen brachte die anschwellende Flut mein Floß wieder etwas mehr ins Gleichgewicht. Dadas Wasser immer höher stieg, wurde mein Fahrzeug bald wieder flott, und ich trieb es mit Hilfedes Ruders in den engen Kanal. Als ich weiter hinauskam, befand ich mich endlich an derMündung eines kleinen Flusses. Ich sah mich nun auf dem rechten und dem linken Ufer nacheinem geeigneten Platz zum Landen um; denn da ich hoffte, irgendwann einmal ein Schiff auf demMeer zu entdecken, wollte ich den Fluß nicht zu weit hinauffahren und war daher auchentschlossen, mich so nahe wie möglich an der Küste anzusiedeln.Endlich erblickte ich am rechten Ufer eine kleine Bucht, wohin ich mein Floß mit großer Müheund vielen Schwierigkeiten lenkte. Ich kam ihr so nahe, daß ich mit dem Ruder auf Grund stieß.Doch dabei lief ich neuerdings Gefahr, meine Ladung ins Wasser zu kippen; denn die Küste warsehr steil, fast senkrecht, und ich fand keine Stelle zum Landen, auf der mein Floß nicht mit demeinen Ende sehr hoch und mit dem anderen sehr tief gelegen hätte, wodurch meine Ladungabermals gefährdet worden wäre. Alles, was ich tun konnte, war abzuwarten, bis die Flut ihrenHöhepunkt erreicht hatte. Ich bediente mich deshalb eines kleinen Ruders und des Ankers, ummein Floß dicht am Ufer zu halten, und zwar in der Nähe eines flachen Landstreifens, den ich baldunter Wasser zu sehen hoffte, was auch tatsächlich geschah. Sobald das Wasser gestiegen war,stieß ich mein Floß auf jenes Stückchen Land, wo ich es festband, indem ich meine beidenzerbrochenen Ruder in die Erde steckte; eins am Ende der rechten Seite, das andere auf der linkenSeite am entgegengesetzten Ende. So verweilte ich, bis durch die Wirkung der Ebbe mein Floßund seine Ladung auf dem Trockenen und in Sicherheit waren.Vor allem beschäftigte ich mich jetzt damit, das Land auszukundschaften und eine geeigneteStelle ausfindig zu machen, wo ich hausen und meine Habseligkeiten unterbringen konnte, um siegegen alles, was sich etwa ereignen könnte, zu sichern. Ich wußte immer noch nicht, wo ich michbefand. War mein Aufenthaltsort eine Insel oder ein Festland? War er bewohnt odermenschenleer? War ich der Wut wilder Tiere ausgesetzt oder nicht?Ungefähr eine Meile von mir entfernt gewahrte ich einen sehr hohen, steilen Berg, der übermehrere andere hinausragte und sich in nördlicher Richtung erstreckte. Ich nahm eine meinerJagdflinten, eine Pistole und ein Pulverhorn und wanderte, also bewaffnet und auf Entdeckungenausgehend, dem Berg zu. Als ich nach mancherlei Anstrengungen den Gipfel erstiegen hatte,begann ich, tief betrübt, mein Geschick zu begreifen, daß ich nämlich auf eine mitten im Ozeanliegende Insel verschlagen worden war, von der aus ich kein anderes Land erblicken konnte alsweit entfernt einige Felsenriffe und zwei kleinere Insein, die etwa neun Meilen westwärts lagen.Ich überzeugte mich auch, daß die Insel unbebaut war und wahrscheinlich nur von wilden Tierenbewohnt wurde, obgleich ich noch keines zu Gesicht bekommen hatte. Dagegen sah ich eineMenge mir unbekannte Vögel. Wenn ich auch einige getötet hätte, SO wäre ich doch nichtimstande gewesen, die eßbaren von den nichteßbaren zu unterscheiden. Auf dem Rückweg schoßich indessen doch einen großen Vogel, der sich am Rand eines ansehnlichen Waldes auf einenBaum gesetzt hatte; und ich glaube, es war der erste Schuß, der seit den Schöpfungstagen auf

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dieser Insel fiel. Ich hatte kaum losgedrückt, als von allen Seiten zahllose Vögel verschiedenerGattungen aufflogen, ein verworrenes Gekreisch hervorbringend, jeder nach seiner Weise. Auchnicht ein einziger Laut war mir bekannt. Meine Beute hielt ich für eine Art von Falken; seineFarbe und sein Schnabel deuteten darauf hin, jedoch waren die Klauen und die Sporen anders.Sein Fleisch war übelriechend und taugte zu nichts. Mit dieser Entdeckung für jetzt zufrieden,kehrte ich zu meinem Floß zurück und schickte mich an, es abzuladen. Damit verging der Restdes Tages. Was sollte aber in der nächsten Nacht aus mir werden? Wo sollte ich michniederlegen? Ich wußte es wirklich nicht; denn es fehlte mir der Mut, mich auf die Erde zu betten,da ich befürchtete, von irgendeinem wilden Tier zerrissen zu werden. Ich hatte späterGelegenheit, mich zu überzeugen, daß diese Furcht unbegründet war. Dennoch verbarrikadierteich mich, so gut ich konnte, hinter den Kisten und Brettern, die ich an Land gebracht hatte, undbaute mir eine Art Hütte, um die Nacht darin zu verbringen. Woraus künftig meine Nahrungbestehen sollte, wußte ich noch nicht. Allerdings hatte ich schon, als ich den Vogel schoß, zweioder drei hasenähnliche Tiere nach dem Wald fliehen sehen.Jetzt überlegte ich, daß ich wohl noch viele sehr nützliche Dinge aus dem Schiff holen könnte,besonders Segel, Tauwerk und andere leicht zu transportierende Gegenstände. Ich beschloßdaher, eine zweite Fahrt dorthin zu unternehmen. Und da ich nur zu gut wußte, daß der ersteheftige Sturm das Schiff unfehlbar in' tausend Stücke zertrümmern würde, wollte ich lieber jedeandere Beschäftigung aufschieben, bis ich alles, was ich noch bergen konnte, geholt hätte. Hieraufging ich mit mir zu Rate, ob ich mich wohl desselben Floßes wieder bedienen sollte. Dies schienmir jedoch unausführbar. Daher nahm ich mir vor, wie das erstemal zur Zeit der Ebbe dahinzurückzukehren, was ich auch tat. Allerdings kleidete ich mich aus, ehe ich meine Hütte verließ,und behielt bloß ein gestreiftes Hemd, leinene Beinkleider und Schuhe am Leib.So begab ich mich an Bord und verfertigte ein zweites Floß. Belehrt durch die Erfahrung mit demersten, machte ich das. neue leichter und belud es nicht so schwer; dessenungeachtet nahm icheine Menge nützlicher Gegenstände mit. Vor allem fand ich in der Vorratskammer desZimmermannes zwei bis drei Säcke voll großer Schiffsnägel und kleiner Nägel, einen großenBohrer, einige Dutzend Beile und einen für mich überaus nützlichen Schleifstein. Ich legte dasalles gesondert und tat noch viele aus dem Vorrat des Kanoniers stammende Gegenstände dazu:vor allem zwei oder drei Brecheisen, zwei Fässer voll Flintenkugeln, sieben Musketen, eine dritteJagdflinte, ein kleines Quantum Pulver, einen großen Sack voll Schrot und eine ansehnliche RolleTafelblei. Das letztere war jedoch so schwer, daß ich es nicht aufheben und über die BordwandSchaffen konnte.Außerdem nahm ich noch ein Marssegel mit, eine Hängematte, Bettzeug und alleKleidungsstücke, die ich finden konnte. Ich belud also mein zweites Floß mit all diesenGegenständen, die ich zu meiner großen Freude wohlbehalten ans Ufer brachte.

Kapitel 11Ich hatte befürchtet, meine Lebensmittelvorräte könnten während meiner Abwesenheitaufgefressen worden sein, jedoch entdeckte ich bei meiner Rückkehr keine Spur irgendeinesBesuchers. Nur saß auf einer der Kisten ein Tier, das einer wilden Katze ähnlich sah. Als ich michihm näherte, sprang es zur Seite, blieb dann aber stehen und setzte sich, mich anschauend, ganzruhig und unbefangen wieder hin, als wünschte es meine Bekanntschaft zu machen. Ich hielt ihmmeine Flinte vor. Da es aber nicht wußte, was das bedeuten sollte, blieb es völlig gleichgültig undmachte nicht einmal Miene aufzuspringen. Ich warf ihm hierauf ein Stück Zwieback zu, obwohl

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ich gewiß nicht sehr freigebig damit sein konnte, denn mein Vorrat war klein. jedenfalls gab ichdem Tier dieses Stückchen. Es näherte sich, beroch den Zwieback, frag ihn und sah michbefriedigt an, als wolle es noch mehr haben. Doch ich jagte es fort, da ich ihm nichts weiteranzubieten hatte, und es lief davon.Meine zweite Ladung hatte glücklich das Land erreicht. Ich mußte jedoch die zu großen undschweren Fässer öffnen und das darin enthaltene Pulver in einzelnen Paketen wegschaffen. Nunbeschäftigte ich mich damit, mir aus den Segeln und mehreren Stangen, die ich mir in dieserAbsicht zugeschnitten hatte, ein kleines Zelt zu verfertigen. Unter diesem verstaute ich alles, wasdurch Regen oder Sonne verderben konnte, und schichtete, rundherum sämtliche leeren Kistenund Fässer auf, um mein Zelt gegen plötzliche Überfälle von Menschen oder Tieren zu sichern.Als dies geschehen war, verrammelte ich den Eingang von innen mit mehreren Brettern, vonaußen mit einer aufrecht stehenden leeren Kiste. Hierauf bereitete ich mir ein Lager auf der Erde,legte meine Pistole unter das Kopfkissen, eine Flinte an meine Seite und streckte mich zumerstenmal wieder auf einem Bett aus. Die ganze Nacht schlief ich sehr ruhig, weil ichaußerordentlich müde war, da ich doch die vorige Nacht nur wenig geschlafen und den ganzenTag angestrengt gearbeitet hatte, um all meine Habseligkeiten an Land zu schaffen. Ich besaßjetzt ein ansehnliches Magazin von Gegenständen jeder Art, wie es gewiß selten ein einzelnerMensch für sich zusammengetragen hat.Doch das genügte mir immer noch nicht, denn ich dachte, solange das Schiff noch festsitzt, sei esmeine Pflicht, alles herauszuschaffen, was ich noch konnte. Daher ging ich jeden Tag bei Ebbe anBord und brachte bald dieses, bald jenes von dort mit. Vor allem holte ich bei meinem drittenAusflug soviel Takelwerk wie möglich, alle kleineren Seile nebst Segeltuchzwim, dann ein ganzesStück Ersatzsegeltuch, das zum Ausbessem der Segel mitgenommen worden war, und das Faßmit dem naßgewordenen Pulver. Schließlich nahm ich alle Segel mit, vom ersten bis zum letzten.jedoch war ich genötigt, um soviel wie möglich fortschaffen zu können, sie in Stücke zuzerschneiden;,das hatte aber nichts zu sagen, denn sie sollten mir ja nur als Zeltleinwand dienen.Nach fünf oder sechs Fahrten, als ich dachte, das Schiff enthalte jetzt nichts mehr, was wert wärewegzubringen, entdeckte ich zu meiner Freude ein großes Faß voll Brot, drei Fässer mit Rum undBranntwein, eine Kiste mit Zucker und ein Faß voll feinsten Mehles. Hierüber war ichaußerordentlich erstaunt, denn. ich hatte nur noch erwartet, vom Wasser verdorbene Lebensmittelvorzufinden. Ich leerte sogleich das Faß mit dem Brot und wickelte dieses einzeln inSegeltuchlappen. Kurz, ich brachte alle Gegenstände wohlbehalten an Land.Meine Fahrt am folgenden Tag hatte einen anderen Zweck. Nachdem ich nämlich alles aus demSchiff geschafft hatte, was leicht zu transportieren war, machte ich mich an die Ankertaue. Ichzerschnitt einige in mehrere Stücke, nahm aber zwei ganz mit sowie eine Trosse und allesEisenzeug. Nachdem ich die Blinderah und die Besanrah gekappt hatte und alles, was mir zurAnfertigung eines großen Floßes dienen konnte, belud ich dieses mit den schweren Gegenständenund fuhr ab. Allein mein gutes Glück hatte mich verlassen. Das Floß war zu schwer und soübermäßig beladen, da es, als ich mich in der kleinen Bucht befand, wo ich meine Vorräte anLand gebracht hatte, umschlug und ich nebst meiner ganzen Ladung ins Wasser stürzte. Ich selbstnahm keinen Schaden, denn ich befand mich ganz nahe am Ufer; aber ein großes Teil meinerLadung ging verloren, besonders das Eisen, von dem ich mir so große Vorteile versprochen hatte.Als wieder Ebbe eintrat, brachte ich die Ankertaue größtenteils an Land, auch etwas Eisenzeug;jedoch, nur mit unsäglicher Mühe, denn ich mußte danach tauchen, was mich außerordentlichermüdete. Ich ließ keinen Tag verstreichen, ohne an Bord zu gehen und von dort zu holen, wasmir nur möglich war.

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Ich befand mich jetzt schon dreizehn Tage auf dieser Insel, war elfmal an Bord des Schiffswracksgewesen und hatte in dieser Zeit alles weggeschafft, was einem einzelnen Menschen nur möglichwar. Wäre das Wetter weiterhin ruhig geblieben, ich glaube. wahrlich, ich hätte das ganze Schiff,Stück für Stück, an Land gebracht. Als ich mich anschickte, zum zwölftenmal an Bord zu fahren,bemerkte ich, daß ein Wind aufkam, ging aber doch bei eintretender Ebbe aufs Schiff. Obgleichich der Meinung gewesen war, ich hätte die Kajüte des Kapitäns bereits aufs sorgfältigstedurchsucht, entdeckte ich jetzt noch einen mit Schubladen versehenen Wandschrank, fand in einermehrere Rasiermesser, eine große Schere und etwa ein Dutzend gute Messer und Gabeln; in eineranderen aber Geld im Wert von sechsunddreißig Pfund, teils europäische, teils brasilianischeGold- und Silbermünzen, auch einige Piaster.Bei dem Anblick des Geldes rief ich lächelnd aus: »Armseliger Kram! Wozu taugst du denn! Mirbist du nichts wert! Verdienst nicht einmal, daß ich mich bücke, um dich aufzuheben! Ein einzigesdieser Messer ist mir weit kostbarer als jener ganze Haufen. Ich brauche dich nicht. Bleibe, wo dubist, und versinke in den Fluten, als ein Ding, das nicht verlohnt, es zu retten.«Ich besann mich jedoch eines Besseren, raffte das Geld zusammen, wickelte es mit den übrigenGegenständen in ein Stück Segeltuch und war nun darauf bedacht, ein neues Floß anzufertigen.Währenddessen bemerkte ich, daß der Himmel sich mit Wolken überzog und der Wind sichverstärkte. Nach einer Viertelstunde wehte er ziemlich frisch von der Küste her. Ich sah ein, daßes unnütz wäre, bei Landwind ein Floß zu bauen, und daß mir nichts anderes übrigbliebe,' als voreintretender Flut zurückzukehren, weil ich sonst Gefahr laufen dürfte, das Ufer nie mehrwiederzusehen.So glitt ich denn ins Wasser und durchschwamm den zwischen dem Schiff und der Sandbankliegenden Kanal, jedoch mit ziemlich großer Schwierigkeit, wegen der schweren Gegenstände, dieich bei mir hatte, und wegen der bewegten See. Der Wind nahm so schnell an Heftigkeit zu, daßder Sturm schon losbrach, ehe die Flut eingetreten war.Doch da war ich schon daheim in meinem kleinen Zelt, sicher vor dem Sturm, inmitten meinerReichtümer.Es stürmte die ganze Nacht hindurch; als ich am nächsten Morgen aufs Meer hinausblickte, wardas Schiff verschwunden. Das bestürzte mich zwar einigermaßen, allein ich tröstete mich bald mitdem Gedanken, daß ich keine Stunde versäumt, keine Mühe und Anstrengung gescheut hatte, umalles, was mir nützlich sein konnte, wegzuschaffen, und daß ich kaum etwas dort gelassen, wasich hätte fortbringen können, selbst wenn mir die Zeit dazu geblieben wäre.Von nun an verscheuchte ich jeden Gedanken an das Schiff und was sonst noch darin gewesensein mochte, ohne jedoch auf die Trümmer zu verzichten, die eventuell an den Strandgeschwemmt werden könnten, was auch der Fall war. Ich konnte jedoch keinen großen Nutzendaraus ziehen.Ich war jetzt einzig und allein darauf bedacht, wie ich mich sowohl gegen die Wilden, dievielleicht auftauchten, als auch gegen die Raubtiere, wenn sie auf der Insel vertreten sein sollten,schützen könnte. Es stiegen allerlei Ideen über die Ausführung dieses Projektes in mir auf undüber die Wohnung, die ich mir bauen wollte, ob eine unterirdische Höhle oder ein Zelt über derErde. Kurz, ich entschloß mich zu beidem; und es wird wohl am Platz sein, daß ich das Ganzenun näher beschreibe.Vor allem überzeugte ich mich, daß die Stelle, an der ich mich befand, zu meiner Niederlassungnicht geeignet war, weil sie auf sumpfigen Grund dicht am Meer lag, was ich für ungesund hielt;außerdem gab es kein süßes Wasser in der Nähe. Ich beschloß daher, mich nach einer günstigergelegenen Stelle umzusehen.

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Bei der Auswahl des Platzes hatte ich mehrere Dinge zu beachten: erstens eine gesunde Lage und,wie schon erwähnt, süßes Wasser; zweitens Schutz gegen die Sonnenhitze; drittens Sicherheit vorraubgierigen Geschöpfen, seien es Menschen oder Tiere; viertens die Aussicht auf das Meer,damit ich, sollte der Himmel einmal ein Schiff in diese Gegend senden, meine Befreiung nichtversäumte; denn ich wollte die Hoffnung darauf noch nicht aus meinem Herzen verbannen.Während ich mich nun nach einem Platz umsah, der all diese Vorteile aufweisen konnte,entdeckte ich eine kleine Ebene, die am Fuß eines Hügels lag, dessen vordere, der Ebenezugekehrte Seite senkrecht emporstieg, so daß nichts von oben zu mir herunterkommen konnte.Auf der Vorderseite dieses Felsens befand sich eine Vertiefung, die dem Eingang eines Kellersglich, doch in Wirklichkeit war weder eine Höhle noch ein unterirdischer Gang vorhanden.Auf dieser Ebene, gerade vor der erwähnten Vertiefung, beschloß ich nun, mich niederzulassen.Der Platz war nicht mehr als hundert Schritt breit und ungefähr zweimal so lang und bildete davoreinen Rasenteppich, der sich unmerklich zum Ufer hin verlor. Er lag nordwestlich von dem Hügel,so daß ich täglich vor der Hitze geschützt blieb, bis die Sonne nach Südwesten herumkam" was indiesen Breiten aber erst geschieht, wenn sie nahe am Untergehen ist.Ehe ich mein Zelt aufschlug, steckte ich vor der Felsenvertiefung eine Halbkreis ab, dessenDurchmesser ungefähr zwanzig Schritt betrug. Entlang dieses Halbkreises richtete ich zweiReihen starker Pfähle auf, die ich in die Erde stampfte, bis sie so fest wie die Grundpfähle einesGebäudes saßen. Das dicke, zugespitzte Ende erhob sich sechseinhalb Fuß über den Boden,zwischen den beiden Reihen ließ ich nur sechs Zoll Raum.Hierauf nahm ich die zerschnittenen Kabeltaue und schichtete sie zwischen meiner doppeltenPalisadenreihe bis oben hinauf. In der Innenseite des Halbkreises schlug ich abermals Pfähle ein.Dieses Bollwerk war so fest, daß es weder Menschen noch Tiere durchbrechen konnten. Es hattemich viel Zeit und Mühe gekostet, besonders, die Pfähle im Wald zu hauen, sie an Ort und Stellezu schaffen und in die Erde zu rammen.

Kapitel 12Ich brachte an meinem Bollwerk keine Tür an, sondern verfertigte eine kleine Leiter, mit derenHilfe ich diesen Wall überstieg. Befand ich mich im Innern, nahm ich die Leiter weg. So hielt ichmich für vollkommen sicher vor aller Welt und überließ mich des Nachts sorglos dem Schlaf, wasich sonst nicht gekonnt hätte. In der Folge überzeugte ich mich jedoch, daß es all dieserVorsichtsmaßregeln gegen eingebildete Feinde nicht bedurft hätte.In diesen Verhau - oder besser, in diese Festung - brachte ich nun mit großer Mühe meinesämtlichen Reichtümer, meine Vorräte an Lebensmitteln und die -Munition, kurz: alles was demLeser aus dem bisher Gesagten bekannt ist. Dann schlug ich ein geräumiges doppeltes Zelt auf,um mich gegen die Regengüsse zu schützen, die in dieser Gegend während einer gewissenJahreszeit außerordentlich häufig sind. Ich verfertigte zuerst ein Zelt von mittlerer Größe undschlug darüber ein größeres, das ich mit einem geteerten Stück Segeltuch bedeckte. Von jetzt anschlief ich nicht mehr in dem Bett, das ich an Land gebracht, sondern ich zog eine sehr guteHängematte vor, die dem Kapitän unseres Schiffes gehört hatte.Nachdem ich endlich meine sämtlichen Vorräte und alles, was durch die Feuchtigkeit Schadenerleiden konnte, unter das Zelt geschafft und meine Habe auf diese Weise verwahrt hatte,verschloß ich den Durchgang wieder, den ich bisher noch offengelassen hatte, und bediente mich,wie gesagt zum Übersteigen des Walls meiner kleinen Leiter. Nun begann ich, in den Felsenhineinzustoßen und trug die herausgebrochene Erde und die Steine durch mein Zelt nach draußen

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und bildete somit eine Art Terrasse, die innerhalb der Einzäunung etwa eine Höhe von anderthalbFuß erreichte. Zugleich schuf ich dadurch gerade hinter meinem Zelt eine kleine Höhle, die mir alsVorratskeller dienen konnte. Es war anstrengend und zeitraubend, bis ich das alles vollbrachthatte. Ich sehe mich daher genötigt, auf einige Tatsachen zurückzukommen, die währenddessenmeine Aufmerksamkeit teilweise fesselten. Eines Tages nämlich, als mein Zelt und meine Höhlenoch ein bloßes Projekt waren, entlud sich plötzlich aus einer schwarzen Wolke einGewitterregen, und ein Blitz brach hervor, dem ein starker Donnerschlag folgte. Das alleserschreckte mich nicht so sehr wie der Gedanke an mein Pulver, der mir, gleich einem Blitz, durchdie Seele fuhr. Ich verzagte bei der Vorstellung, daß mein ganzer Pulvervorrat, das einzige Mittel,mich zu verteidigen und mir Nahrung zu verschaffen, in einem Augenblick in die Luft gesprengtwerden könnte. Um meine eigene Sicherheit war ich weniger besorgt, obwohl ich, wenn meinPulver Feuer gefangen, nicht einmal mehr hätte sagen können, woher der Schaden gekommensein konnte. Dieses Ereignis machte einen so tiefen Eindruck auf mich, daß ich, sobald dasGewitter vorüber war, sämtliche Arbeiten einstellte und mich nur noch damit beschäftigte, kleineSäcke und Schachteln zu machen, um mein Pulver darin zu verteilen, in der Hoffnung, daß es sichso - es möge kommen, was da wolle - nicht zu gleicher Zeit entzünden könne. Hierauf verteilteich meine . Päckchen dergestalt, daß das Feuer unmöglich von einem zum andern überspringenkonnte. Ich brachte diese Arbeit in vierzehn Tagen zustande; und ich glaube, daß mein Pulver, dasim ganzen wohl zweihundertvierzig Pfund wiegen mochte, in ungefähr fünfhundert Päckchenverteilt war. Das naßgewordene machte mir keine Sorge; ich stellte es daher in meine neue Höhle,die ich meine Küche zu nennen pflegte. Das übrige aber verbarg ich in Felsritzen, wo es vor demRegen geschützt blieb und die ich mir sorgfältig einprägte. Während der Arbeitspausen machteich mindestens einmal täglich, mit meiner Flinte bewaffnet, einen Ausflug, teils zu meinemVergnügen, teils um zu sehen, ob ich nicht irgendein Tier erlegen könnte, aber auch, um das, wasdie Insel hervorbrachte, kennenzulernen. Gleich bei meinem ersten Streifzug entdeckte ich, daß esZiegen gab, was mich außerordentlich erfreute. Doch meine Freude wurde sehr gedämpft, als ichmerkte.. daß die Tiere unsagbar mißtrauisch, schlau, und schnellfüßig waren, so daß man ihnenschwerlich nahe kommen konnte. Doch machte mich das durchaus nicht mutlos, denn ichzweifelte keineswegs, daß ich hin und wieder eine erlegen würde, was auch in der Tat baldgeschah. Nachdem ich ihre Gewohnheiten etwas beobachtet hatte, bediente ich mich einer List.Ich hatte nämlich bemerkt, daß sie erschrocken davonliefen, wenn sie mich vom Felsen aus im Talerblickten. Weideten sie dagegen in der Ebene und ich befand mich auf einer Anhöhe, so achtetensie meiner gar nicht. Daraus schloß ich, daß ihre Augen so beschaffen waren, daß sie immer nurnach unten blicken und die über ihnen befindlichen Gegenstände nicht wahrnehmen konnten. Ichnahm mir daher vor, meine Jagd stets damit zu beginnen, daß ich irgendeinen Felsen erkletterte;und da war es mir oft ein leichtes, sie zu schießen. Gleich beim ersten Schuß tötete ich eineMutterziege, die ein 3öcklein bei sich hatte, das sie säugte. Das arme Tier dauerte mich. Als dieMutter gestürzt war, blieb ihr Junges nicht nur bei ihr, bis ich sie aufhob und davontrug, sondernfolgte mir auch bis in meine Wohnung. Hier legte ich die Alte auf die Erde, nahm das Kleine aufden Arm und trug es über die Umzäunung, in der Hoffnung, es zähmen zu können. Es wolltejedoch nichts fressen, weshalb ich mich genötigt sah, es zu schlachten und zu verzehren. Diesebeiden Tiere lieferten mir für lange Zeit Fleisch, denn ich lebte sehr mäßig und ging mit meinemMundvorrat, besonders aber mit meinem Brot, äußerst sparsam um. Sobald meine Wohnstätte inOrdnung war, hielt ich es für unbedingt notwendig eine Stelle zu suchen, wo ich einen Herdaufstellen und Brennmaterial aufbewahren konnte. Ich werde später ausführlich erzählen, was ichin dieser Hinsicht tat, wie ich meine Höhle vergrößerte und mit welchen Bequemlichkeiten ich sie

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noch versah. Zuvor muß ich jedoch von mir selbst und von dem Tumult reden, der in meinerSeele herrschte. Meine Lage schien mir schrecklich. Da ich erst auf diese Insel verschlagenworden war, nachdem uns ein heftiger Sturm von dem Ziel unserer beabsichtigten Reiseabgebracht und über hundert Stunden weit von der gewöhnlichen Straße der Seefahrer entfernthatte, mußte ich mit gutem Grund annehmen, daß die Vorsehung mich dazu bestimmt habe, aufdieser hoffnungslosen Insel mein Leben auf so traurige Weise zu beschließen. Wenn ich dieseÜberlegungen anstellte, rollten mir heiße Tränen über die Wangen, und ich beklagte michzuweilen bitter, daß der Himmel eines seiner Geschöpfe so vollkommen zugrunde richten, sounaussprechlich elend machen und dergestalt heimsuchen kann, daß es fast absurd erscheint, fürdieses Leben noch dankbar zu sein. Ich ging jedoch stets wieder in mich, hing diesen Gedankennicht weiter nach und tadelte mich auf das strengste. Eines Tages, als ich mit meiner Flinte aufdem Arm am Ufer spazierenging und über mein Schicksal tief betrübt war, geriet ich sozusagen inStreit mit meiner eigenen Vernunft, die also zu mir sprach: Du bist freilich von aller Weltverlassen. Aber bedenke doch nur, was aus der übrigen Schiffsmannschaft geworden ist! Sindnicht eurer elf in die Schaluppe gestiegen? Wo sind denn die zehn anderen? Warum hat denn derHimmel nicht ihnen das Leben gerettet und dich ertrinken lassen? Was ist wohl besser, hier oderdort zu sein? Bei den letzten Worten deutete ich mit dem Finger auf das Meer. Bei jedemUnglück soll man immer das Gute bedenken, das jenes wieder aufwiegt, und nicht vergessen, daßes noch viel schlimmer hätte kommen können. jetzt begriff ich von neuem, wie reichlich ich mitallem zu meinem Lebensunterhalt Erforderlichen versehen war. Wie schrecklich wäre erst meinSchicksal gewesen, wenn das Schiff nicht durch einen glücklichen Zufall, der sich wohl seltenereignet, von der Sandbank abgetrieben und so nahe an die Küste geworfen worden wäre, daß ichkeine Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, das meiste zu retten? ja, wie fürchterlich wäre esgewesen, wenn ich in dem hilflosen Zustand hätte leben müssen, in dem ich mich befand, als ichdas Ufer erreichte, der notwendigsten Dinge des Lebens beraubt und ohne die erforderlichenGegenstände, um mir diese Dinge verschaffen zu können. »Was würde ich angefangen haben«,rief ich jetzt aus, »ohne Flinte und Munition, ohne Handwerkszeug, um zu arbeiten und mir einigeSachen anzufertigen, ohne Kleider und Bettzeug, ohne Zelt oder irgendein Obdach!« Das alleshatte ich ja im Überfluß und war auf dem besten Weg, mich mit Mundvorrat zu versehen, jasogar, meine Flinte eines Tages entbehren zu können, wenn meine Munition einmal aufgebrauchtsein sollte. Ich war demnach so ziemlich sicher, bis zu meinem Tod ein Leben ohneNahrungssorgen führen zu können. Auch war ich gleich anfangs darauf bedacht gewesen, imvoraus allen zufälligen Ereignissen zu begegnen und für die Zukunft, vorzusorgen, nicht nur fürdie Zeit, da meine Vorräte zur Neige 'gehen würden, sondern auch, wenn meine Gesundheitschwinden könnte. Doch ich möchte die traurige Geschichte meines Lebens, die vielleicht einzigin der Welt dasteht, von Beginn an schildern und will der Reihe nach fortfahren. MeinerBerechnung nach war es der 30. September, als ich zum erstenmal den Fuß auf diese schrecklicheInsel setzte und die Sonne beinahe senkrecht über meinem Kopf stand. Dieser Beobachtung nachmußte ich mich ungefähr auf dem neunten Grad zweiundzwanzig Minuten nördlicher Breite vomÄquator befinden. Als ich etwa zehn bis zwölf Tage hier war, fiel mir ein, daß ich vielleicht dieZeitrechnung vergessen und nicht einmal mehr die Sonntage von den Werktagen unterscheidenkönnte. Um das zu verhindern, errichtete ich am Ufer, dort, wo ich zum erstenmal festen Bodenbetreten hatte, ein hohes Mal in Form eines Kreuzes und grub mit meinem Messer in großenBuchstaben folgende Inschrift hinein:HIER LANDETE ICH AM 30. SEPTEMBER 1659

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An den Seitenflächen dieses viereckigen Males machte ich jeden Tag einen Einschnitt; jedersiebente Einschnitt war doppelt so lang wie die übrigen, und den ersten Tag eines jeden Monatsbezeichnete ich mit einem noch längeren. Auf diese Art erhielt ich einen Kalender und berechnetedie Zeit nach Wochen, Monaten und Jahren. Ich muß hier noch erwähnen, daß sich unter denzahlreichen Gegenständen, die ich auf meinen verschiedenen Fahrten aus dem Schiff geholt hatte,auch mancherlei Dinge von minderem Wert befanden, die aber nicht weniger nützlich für michwaren und von denen ich früher zu sprechen vergaß, wie Federn, Tinte, Papier und einige andereGegenstände, die der Kapitän, der Bootsmann, der Kanonier und der Zimmermann inVerwahrung gehabt hatten: drei oder vier Zirkel, mathematische Instrumente, Fernrohre, Kartenund Bücher über Schiffskunde - alles Dinge, die ich ohne Unterschied mitgenommen hatte, ohnezu wissen, ob ich sie gebrauchen konnte oder nicht. Dazu gehörten auch drei guterhaltene Bibeln,die ich mit meiner Ladung aus England bekommen und zu meinen Kleidern gepackt hatte;außerdem einige portugiesische Bücher, zwei oder drei katholische Erbauungsbücher und nochverschiedene andere, die ich alle sorgfältig aufbewahrte.

Kapitel 13Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, daß wir einen Hund und zwei Katzen auf dem Schiffgehabt hatten. Ich werde bei passender Gelegenheit etwas von ihrer interessanten Geschichteerzählen. Die beiden Katzen hatte ich mitgenommen; der Hund war freiwillig aus dem Schiffgesprungen und mir nachgeschwommen, als ich meine erste Ladung an Land brachte. Er warviele Jahre mein treuer Begleiter und ein willkommener Gesellschafter. Ich wünschte nur, er hättesprechen können; doch das war ja unmöglich. Ich habe bereits gesagt, daß ich Federn, Tinte undPapier gefunden hatte, womit ich äußerst sparsam umging. Man wird sehen, daß ich alles, was ichtat und war mir begegnete, pünktlich aufzeichnete, solange meine Tinte reichte. Als sie mirausging, wurde das unmöglich, denn es gelang mir trotz aller Versuche nicht, Ersatz herzustellen.Dabei fällt mir ein, daß es mir, ungeachtet der vielen Sachen, die ich zusammengerafft hatte, dochnoch an allerlei Gegenständen fehlte, dazu gehörten in erster Linie ein Spaten, eine Hacke undeine Schaufel, um die Erde umzugraben; schließlich auch Nähnadeln, Stecknadeln und Zwirn.Leinentuch lernte ich dagegen in kurzer Zeit Ohne Mühe entbehren.Der Mangel an diesen Werkzeugen ließ all meine Arbeiten nur sehr langsam vonstatten gehen,und es verfloß fast ein Jahr, bis ich meine kleine Einfriedung und meine Behausung vollendethatte. Die Pfähle waren so schwer, daß ich sie kaum vom Boden aufheben konnte. Ich, brauchtelange Zeit um sie im Wald zu fällen und zu behauen, aber es dauerte noch viel länger, bis ich siealle nach meiner Wohnung geschafft hatte. Zuweilen brachte ich zwei Tage damit zu, eineneinzigen dieser Pfähle zu behauen und zu transportieren, und abermals einen Tag, um ihn in dieErde zu rammen. Anfangs bediente ich mich dazu eines schweren Holzstückes, später aber warich so klug, eine eiserne-Stange zu verwenden. Doch dieses Einrammen der Pfähle war eineanstrengende und zeitraubende Beschäftigung.Mußte ich jedoch wegen des langsamen Voranschreitens irgendeiner Arbeit in Sorge sein? Ichwußte, daß ich unbegrenzt Zeit hatte und daß ich, wenn diese Arbeit einmal vollendet war,voraussichtlich gar keine andere Beschäftigung mehr haben würde, als die Insel zu durchstreifen,um, mir Nahrung zu suchen, was ich ohnehin täglich tat.Ich begann nun, ernstliche Betrachtungen über meine Lage anzustellen, in der ich michnotgedrungen befand. Ich setzte ein Verzeichnis meiner Habseligkeiten auf, nicht um sie meinenNachkommen zu überlassen - denn es bestand durchaus keine Aussicht, daß ich jemals Erben

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haben würde -, sondern um die schwermütigen Gedanken zu verscheuchen, die mich täglichbestürmten und niederdrückten. Da meine Vernunft jetzt die Oberhand über meine Verzweiflunggewann, versuchte ich, so gut ich konnte, mich zu trösten, indem ich das Gute und das Böse, dasmir zuteil geworden, gegeneinander abwog, um die Überzeugung zu gewinnen, daß meinGeschick das schlimmste noch nicht sei. Ich entwarf eine genaue Aufstellung über meine Freudenwie über meine Leiden und setzte sie auf folgende Weise einander gegenüber:Böses

Das Schicksal hat mich auf eine wüste Insel verschlagen, ohne Hoffnung, je befreit zu werden.Ich bin getrennt von der menschlichen Gesellschaft und gleichsam ausgestoßen, um ein elendesLeben zu führen.Ich gehöre demnach nicht mehr zu den Menschen; ich bin ein Einsiedler, ein Verbannter.Ich bin fast wehrlos und habe nur wenige Mittel, einem Angriff von Menschen und TierenWiderstand zu leisten.Ich habe keine Kleider, um mich zu bedecken.Ich habe kein einziges Wesen um mich, mit dem ich sprechen oder das mich trösten könnte.Gutes

Aber ich lebe; ich bin nicht im Meer ertrunken wie alle meine Reisegefährten.Doch ich bin von der übrigen Schiffsmannschaft getrennt worden, um dem Tod zu entgehen; undEr, der mich so wunderbar gerettet hat, kann mich auch aus dieser Lage befreien. Aber ich sterbenicht vor Hunger; ich verschmachte nicht auf einem unfruchtbaren Boden, der keine Nahrungerzeugt.Aber ich bin an einer Insel gescheitert, wo es keine wilden Tiere zu geben scheint, wie ich sie ander afrikanischen Küste gesehen habe.Und was wäre geschehen, wenn ich dorthin verschlagen worden wäre?Aber ich lebe unter einem warmen Himmelsstrich, wo ich kaum Kleider brauchte, wenn ichwelche hätte.Aber Gott hat wunderbarerweise das Schiff so nahe an die Küste geschickt, daß ich alles darausbergen konnte, was zur Befriedigung meiner Bedürfnisse dient oder mich in den Stand setzt,solange ich lebe, selbst für mich zu sorgen.Hieraus geht eindeutig hervor, daß es in der ganzen Welt keinen Zustand gibt, und sei er noch soelend, der nicht etwas Gutes in sich birgt und wofür man dem Himmel nicht Dank schuldig ist.Und man muß daher auch hieraus, aus einer der entsetzlichsten Lagen, in die der Mensch nurgeraten kann, die Lehre ziehe, daß es stets in unserer Macht steht, etwas Trost daraus zu.schöpfen Nachdem ich mich also daran gewöhnt hatte, meiner Lage Geschmack abzugewinnen,und nicht mehr so oft auf das Meer hinausblickte, in der Hoffnung, dort ein Schiff zu entdecken,fing ich an, mich auf die Verbesserung meiner Lebensweise zu verlegen und mir alles so bequemund angenehm wie möglich einzurichten.Ich hatte bereits beschrieben, daß meine Wohnstätte oder mein Zelt am Fuß eines Felsens lag undvon Pfahlwerk umgeben war. Diese Umzäunung konnte ich jetzt aber eher eine Mauer nennen,denn ich hatte sie von der Außenseite mit einer etwa zwei Fuß dicken Rasenbekleidung verstärkt.Nach ungefähr anderthalb Jahren legte ich Sparrenwerk über diese Wand zum Felsen hinüber undbedeckte es mit Baumzweigen und anderen Dingen, die gegen den Regen schützen konnten, der,wie ich mich überzeugt hatte, zu gewissen Jahreszeiten außerordentlich stark und anhaltend ist.

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Ferner hatte ich erzählt, auf welche Weise ich meine sämtliche Habe in meine Umzäunung brachteund in die Höhle, die ich hinten gegraben hatte. Doch ich muß, hinzufügen, daß es anfangs einverworrener Haufen von,Gegenständen war, der sich in solcher Unordnung befand, daß er vielRaum einnahm und ich mich kaum rühren konnte. Ich erweiterte daher meine Höhle und arbeitetemich noch tiefer in den Felsen hinein, der aus feinem Sandstein bestand und daher nicht schwerauszuhöhlen war.Da ich mich damals gegen Raubtiere hinlänglich geschützt sah, schürfte ich außerdem zu meinerRechten schräg in den Felsen, wandte mich dann abermals nach rechts und fuhr so lange fort, bisich ihn völlig durchbrochen und auf diese Weise einen Ausgang an der Außenseite meinerUmzäunung zuwege gebracht hatte. Dadurch gewann ich nicht nur einen Aus- und Eingang odergewissermaßen einen geheimen Weg zu meinem Zelt und meinem Magazin, sondern auch Raum,um meine Gerätschaften darin zu ordnen.Ich beabsichtigte, mir nur das Mobiliar anzufertigen, das ich unbedingt brauchte, vor allem einenStuhl und einen Tisch. Solange mir diese beiden Dinge fehlten, vermochte ich die kleinenWohltaten, die mir noch vergönnt waren, nicht zu genießen. So konnte ich ohne Tisch wederschreiben noch essen oder andere Dinge mit Behaglichkeit tun.Daher machte ich mich an die Arbeit und muß bei dieser Gelegenheit eine Beobachtunghinzufügen, die sich an mir bewährt hat. Da nämlich die Vernunft der Ursprung dermathematischen Kenntnisse ist, so kann der Mensch, der jedem Ding die Vernunft zugrunde legtund alles so vernünftig wie möglich beurteilt, mit der Zeit zum Meister eines jeden Handwerkswerden. Mein Lebtag hatte ich noch kein Handwerkszeug in die Hand genommen, und docherreichte ich durch Arbeit, Fleiß und Betriebsamkeit, daß ich jeden Gegenstand, der mir fehlte,selbst hätte verfertigen können, wenn ich die nötigen Werkzeuge dazu gehabt hätte.Aber auch ohne Handwerkszeug brachte ich eine Menge Dinge zustande. Nur mit Hilfe einer Axtund eines Breitbeils waren mir einige Gegenstände gelungen, die früher wahrscheinlich nochnirgends auf solche Weise gemacht worden sind. Freilich kosteten sie mich unendliche Mühe.Wenn ich zum Beispiel ein Brett brauchte, blieb mir. nichts anderes übrig, als einen Baum zufällen, ihn vor mich hinzulegen und von beiden Seiten so lange mit einer Axt zu behauen, bis erdünn genug war, und dann noch mit dein Breitbeil zu bearbeiten. Mit dieser Methode konnte ichallerdings aus einem ganzen Baum nur ein einziges Brett gewinnen. AlIein, gegen diesenaußerordentlichen Aufwand gab es kein anderes Mittel als die Geduld; außerdem war es gleich,worauf ich meine Zeit und meine Mühe verwandte.Wie schon gesagt, ich fertigte mir vor allem einen Stuhl und einen Tisch an und bediente michdazu der Plankenstücke, die ich von unserem Schiff losgemacht hatte. Als meine Bretter fertigwaren, brachte ich längs an der Seite meiner Höhle ein großes Gestell an, das ich mit anderthalbFuß breiten Fächern versah, eins über dem anderen, um meine Werkzeuge, meine Nägel und meinEisenzeug hineinzulegen, kurz, um jedem Ding seinen Platz zu lassen und alles leicht finden zukönnen. Auch schlug ich einige Pflöcke in die Felswand, um meine Gewehre und was sich sonstdazu eignete daran aufzuhängen.Wenn irgend jemand meine Höhle hätte besuchen können, wäre sie ihm sicher wie ein großesLager von nützlichen Gegenständen vorgekommen. Ich hatte auf diese Weise alles so bequem beider Hand, daß ich eine wahre Freude darüber empfand, meine Habseligkeiten so schön geordnetzu sehen und mich im Besitz so bedeutender Vorräte zu wissen.Jetzt erst begann ich, ein Tagebuch über meine tägliche Beschäftigung zu führen; denn am Anfangwar ich zu sehr mit Arbeiten überladen und, zugleich so niedergeschlagen, daß die Seiten meinesTagebuches nur höchst traurig geworden wären. So hätte ich sagen müssen: Nachdem ich am 30.

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September das Ufer erreicht, eine große Menge salzigen Wassers von mir gegeben hatte, demTod glücklich entronnen und dann wieder so ziemlich hergestellt war, lief ich, anstatt demHimmel für meine Rettung zu danken, an der Küste hin und her, rang die Hände, zerschlug mirdie Stirn und das Gesicht, verwünschte mein Elend und rief: »Ich bin verloren!«, bis ich vorSchwäche genötigt war, mich auf den Boden auszustrecken, wo ich aber nicht zu schlafen wagte,aus Furcht, zerrissen zu werden.Einige Tage später, nachdem ich, wie beschrieben, etlichemal auf dem Schiff gewesen war,konnte ich nicht umhin, den Gipfel eines kleinen Berges zu besteigen und von da die See zuüberschauen, in der Hoffnung, ich würde ein Fahrzeug entdecken, da war es mir, als erblickte ichin der Ferne ein Segel. Diese Hoffnung war ein süßer Traum für mich. Als ich jedoch meineAugen fast bis zum Erblinden auf jenen Punkt geheftet hatte und die Täuschung verschwundenwar, setzte ich mich nieder und weinte wie ein Kind. So vermehrte ich mein Elend durch meineTorheit!

Kapitel 14Nachdem ich Herr über diese Schwachheiten geworden, meine Wohnung so gut wie möglicheingerichtet und mit Hausrat versehen war, begann ich mein Tagebuch, von dem ich hier eineAbschrift wiedergeben will, soweit es geführt wurde; denn als meine Tinte verbraucht war, sahich mich genötigt, es abzubrechen.TAGEBUCH30. September 1659. Nachdem ich, der arme, elende Robinson Crusoe, während einesschrecklichen Sturmes auf hoher See Schiffbruch erlitten, bei dem die ganze Mannschaft ertrank,wurde ich ans Ufer dieser unglückseligen Insel geworfen und nannte sie daher die Insel derVerzweiflung.Ich brachte den Rest des Tages in tiefer Betrübnis über die fürchterliche Lage zu, in der ich michbefand, Ich war ohne Nahrung, ohne Obdach, ohne Kleider, ohne Wasser und ohneZufluchtsstätte, kurz, ohne irgendeine Hilfe. Ich sah nur meinen Tod vor Augen, erwartete, vonwilden Tieren oder Eingeborenen umgebracht zu werden. Mit einbrechender Dämmerungkletterte ich daher auf einen Baum, aus Furcht vor Raubtieren, und verfiel in tiefen Schlaf,obgleich es die ganze Nacht regnete.1. Oktober. Zu meinem großen Erstaunen wurde ich des Morgens gewahr, daß die eingetreteneFlut da Schiff wieder flottgemacht und viel näher an die Küste getrieben hatte. Einerseits war dasein Trost für mich; denn als ich es nicht zertrümmert sah, schöpfte ich Hoffnung, sobald der Windsich legte, an Bord zu gehen und sowohl Lebensmittel als auch andere wichtige Gegenstände, diemeine Lage erleichtern würden, holen zu können; andererseits erneuerte dieser Anblick meinenSchmerz über den Verlust meiner Reisegefährten. Ich bildete mir ein, wir hätten, wären wir anBord geblieben, das Schiff retten können, oder meine Gefährten wären wenigstens nichtertrunken. Auch hätten wir dann vielleicht aus den Trümmern des Schiffes ein Boot bauen undnach irgendeiner anderen Gegend fahren können. Ich brachte einen Teil des Tages damit zu, michmit diesen traurigen Betrachtungen zu quälen. Endlich jedoch, als ich das Schiff fast auf demTrockenen sitzen sah, ging ich, so weit ich konnte, hinaus und schwamm dann an Bord. Esregnete den ganzen Tag über, war aber windstill.Vom 1. bis zum 24. Oktober. Diese Tage verwandte ich zu mehreren Fahrten, um alles, was ichkonnte, aus dem Schiff zu holen und es jedesmal mit Hilfe der eintretenden Flut auf Flößen an

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Land zu bringen. Es regnete während dieser Zeit sehr häufig. Zwischendurch war das Wetterzuweilen heiter. Es schien, daß die Regenzeit eingetreten war.20. Oktober. Mein Floß schlug um mit allem, was ichgeladen hatte. Da dies jedoch an einer Stellegeschah, wo das Wasser nicht tief war und die Ladung hauptsächlich aus schweren Gegenständenbestand, rettete ich einen Teil davon, als wieder Ebbe eintrat.25. Oktober. Ein starker Regen, von Windstößen begleitet, fiel den ganzen Tag und die ganzeNacht. In dieser Zeit ist das Schiff geborsten, und als der Wind an Heftigkeit zunahm,verschwand es, und ich konnte später noch die Trümmer entdecken. Ich brachte diesen Tag damitzu, die geretteten Gegenstände unterzubringen, aus Furcht, sie könnten durch das RegenwasserSchaden erleiden.26. Oktober. Ich durchstreifte fast den ganzen Tag die Küste, um einen geeigneten Platz zusuchen, wo ich meine Wohnstätte aufschlagen konnte. Es machte mir große Sorge, wie ich michdes Nachts gegen Überfälle von Menschen und wilden Tieren sichern sollte. Gegen Abend wählteich einen passenden Platz am Fuß eines Felsens aus und steckte dort einen Halbkreis ab, den ichmit einem Bollwerk umgeben wollte, das aus einer doppelten Pfahlreihe bestehen sollte, innen mitKabelwerg ausgefüllt und außen mit Rasen verkleidet.Vom 26. bis 30. Oktober. Ich arbeitete tüchtig, um all meine Habseligkeiten nach meiner neuenBehausung zu bringen, obgleich es häufig sehr stark regnete.1. November. Am Fuß des Felsens schlug ich mein Zelt auf und brachte zum erstenmal die Nachtdarin zu. Ich hatte es so groß wie möglich gemacht und rammte Pflöcke in die Erde, um meineHängematte daran zu befestigen.2. November Ich schichtete sämtliche Kisten und alle Bretter und Hölzer, aus denen ich meinFloß verfertigt hatte, aufeinander und bildete so innerhalb des Halbkreises eine Schutzwehr ummich herum.3. November. Ich tötete zwei entenähnliche Vögel, die eine köstliche Speise abgaben.Nachmittags schickte, ich mich an, einen Tisch zu zimmern.4. November. Jetzt begann ich meine Arbeits- und Ausgangs- sowie meine Schlafens- undErholungszeit festzulegen. Nach dieser Ordnung, die ich immer einhielt, ging ich morgens, wennes nicht regnete, zwei bis drei Stunden mit meiner Flinte los; dann arbeitete ich bis gegen elf Uhr,und hierauf speiste ich, was ich gerade hatte. Von zwölf bis zwei Uhr legte ich mich derdrückenden Hitze wegen schlafen, und abends machte ich mich wieder an die Arbeit. Diesenganzen Tag hatte ich mich mit der Anfertigung eines Tisches beschäftigt. Bald aber machte dieNot einen geschickten Handwerksmann aus mir; jedem anderen wäre es wohl genauso ergangen.5. November. Heute ging ich mit meiner Flinte und mit meinem Hund auf Jagd und erlegte einewilde Katze. Ihr Fell war weich und zart, aber ihr Fleisch taugte nichts. Ich zog jedem Tier, dasich tötete, das Fell ab und bewahrte es auf. Bei meiner Heimkehr entdeckte ich am Ufer mehrereSeevögel, die mir unbekannt waren. Überrascht, ja fast erschrocken war ich über zwei oder dreiRobben. Als ich sie noch betrachtete, ungewiß, was für Tiere das sind, stürzten sie sich insWasser und entschlüpften mir für diesmal.6. November. Nach meinem Morgenspaziergang machte ich mich wieder an meinen Tisch undvollendete ihn, wenn auch nicht ganz zu meiner Zufriedenheit. Indessen war ich später imstande,die Fehler zu vermeiden, die mir hierbei unterlaufen waren.7. November. Das Wetter begann sich aufzuheitern. Den 7.,8., 9., 10. und einen Teil des 12. (der11. war ein Sonntag) brachte ich mit der Anfertigung eines Stuhles zu, und es gelang mir mit vielMühe, ihm eine ziemlich ordentliche Form zu geben. Sie gefiel mir aber doch nicht recht undwährend der Arbeit nahm ich ihn mehr als einmal wieder auseinander.

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Anmerkung. Ich vernachlässigte bald die Sonntage, da ich vergaß, die Einschnitte dafür inmeinem Pfosten einzukerben. In der Folge konnte ich dann die Sonntage nicht mehr von denanderen Tagen unterscheiden.13. November, Heute tränkte ein Regen das Erdreich und kühlte mich sehr angenehm ab; doch erwurde von einem Blitz und einem Donnerschlag begleitet, die mich, meines Schießpulvers wegen,in schreckliche Angst versetzten. Als das Gewitter vorüber war, beschloß ich, meinenPulvervorrat in so viele kleine Pakete zu verteilen, wie ich nur konnte, um ihn gegen jeglicheGefahr zu sichem.14., 15. und 16. November. Ich verbrachte diese drei Tage damit, kleine Schachteln oderKistchen zu machen, die ein, höchstens zwei Pfund Pulver fassen konnten; und nachdem ich siegefüllt hatte, brachte ich sie, so weit wie möglich voneinander entfernt, in Sicherheit. An einemder genannten drei Tage schoß ich einen großen, ziemlich wohlschmeckenden Vogel, wußte abernicht, welchen Namen ich ihm geben sollte.17. November. Heute fing ich an, hinter meinem Zelt in den Felsen hineinzuarbeiten, um mirweiteren Raum zu verschaffen.Anmerkung. Zu dieser Arbeit fehlten mir drei durchaus notwendige Werkzeuge: nämlich eineHacke, eine Schaufel und eine Schubkarre oder,ein Korb. Ich dachte darüber nach, wie ich demabhelfen könnte. Ich ersetzte die Hacke durch meine Brecheisen, die sich ziemlich gut dazueigneten, obgleich sie etwas schwer waren. Doch die Schaufel brauchte ich so dringend, daß ichohne sie in der Tat nichts Erkleckliches ausrichten konnte. Aber ich wußte sie durch keinenanderen Gegenstand zu ersetzen.18. November. Bei meinen Streifzügen durch den Wald fand ich einen Baum, der mit demjenigenübereinstimmte oder ihm wenigstens sehr ähnlich war, den man in Brasilien Eisenholzbaum nennt,seiner außerordentlichen Härte wegen. Ich hieb mit unsäglicher Mühe ein Stück davon ab undverdarb fast mein Beil damit. Nicht geringere Schwierigkeiten machte es mir, das Stück nachmeiner Wohnung zu bringen, denn es war sehr schwer.Wegen der ungewöhnlichen Härte dieses Holzes und da es mir an den nötigen Gegenständenmangelte, dauerte es sehr lange, bis ich das gewünschte Werkzeug, daraus hergestellt hatte. Nurnach und nach gelang es mir, ihm die Form einer Schaufel zu geben. Der Stiel war genausogemacht wie bei den englischen Schaufeln, nur hatte der untere flache Teil keinen Eisenbeschlag,so daß er natürlich nicht so lange halten konnte. Sie leistete mir aber dennoch gute Dienste. Ichglaube, daß noch nie eine Schaufel auf solche Weise herge- stellt und so lange Zeit dazugebraucht wurde.Doch damit war es noch nicht getan. Es fehlte mir außerdem ein Korb oder eine. Schubkarre.Einen Korb konnte ich mir unmöglich machen, denn ich hatte nichts, was den biegsamen Gertenglich, die sich zum Flechten eignen; wenigstens hatte ich bis jetzt nichts dieser Art entdeckt.. EineSchubkarre hingegen meinte ich zustande bringen zu können; allerdings mit Ausnahme des Rades,von dem ich gar keinen Begriff hatte und nicht wußte, wie ich es herstellten sollte. Außerdemfehlte mir alles, um den eisernen Bolzen zu schmieden, der durch die Achse gehen muß. Alsoverzichtete ich darauf und machte mir, damit ich die Erde aus der Höhle wegschaffen konnte, eineArt hölzerne Mulde, wie sie die Maurer zum Mörteltragen benutzen. Die Anfertigung diesesGerätes machte mir weniger Schwierigkeiten als die Schaufel. Und doch nahmen diese beidenGegenstände sowie der unglückliche Versuch, eine Schubkarre herzustellen, nicht weniger alsvier Tage in Anspruch.23. November. Da meine anderen Arbeiten durch die Anfertigung dieser Werkzeugeunterbrochen worden waren, machte ich mich gleich danach wieder daran und brachte so fleißig

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arbeitend, wie die Zeit und meine Kräfte es gestatteten, acht zehn Tage damit zu, meine Höhledurch Ausgraben zu erweitern, um alle Gerätschaften bequemer darin aufbewahren zu können.Anmerkung. Während dieser ganzen Zeit beschäftigte ich mich damit, die Felsenhöhle geräumigzu machen, damit sie mir als Warenlager, Küche oder Speisekammer dienen konnte. Übrigenshielt ich mich gewöhnlich in meinem Zelt auf, mit Ausnahme einiger Tage der feuchtenJahreszeit" wenn es so stark regnete, daß ich dort nicht ausreichend geschützt war. Deshalb sahich mich später auch genötigt, den ganzen Platz innerhalb der Umzäunung mit langen Stangen,einer Art Sparrenwerk, zu überdachen, die sich gegen den Felsen lehnten und die ich mit Grasund großen Blättern bedeckte.10. Dezember. Ich betrachtete meine Höhle für vollendet, als plötzlich - ohne Zweifel hatte ichden Fels zu weit unterhöhlt - eine Menge Gestein von der einen Seite herabstürzte. Ich erschrakheftig hierüber, und zwar nicht ohne Ursache; denn wenn ich mich gerade darunter befundenhätte, wäre kein Totengräber mehr nötig gewesen. Dieses Unglück bereitete mir noch viel Mühe.Der Schutt mußte weggeschafft werden; aber noch wichtiger war es, das Gewölbe zu stützen, umvor einem zweiten Ereignis dieser Art sicher, zu sein.11. Dezember. Ich machte mich also an diese Arbeit, indem ich zwei senkrecht aufgerichtetePfähle mit zwei kreuzweise übereinandergelegten Brettern gegen die Decke des Gewölbesstemmte. Am folgenden Tag war ich damit fertig. Doch stellte ich noch mehrere mit Hölzernversehene Pfosten auf, und ungefähr innerhalb einer Woche war meine Decke gesichert. Da diePfähle in einer Reihe standen, dienten sie mir gleichzeitig als Scheidewand.17. Dezember. Von diesem Tag bis zum 20. brachte ich Borde an der Wand an und schlug Nägelin die Pfähle, um alles, was sich dazu eignete, daran aufzuhängen. Jetzt bekam meine Wohnunglangsam ein ordentliches Aussehen.20. Dezember. Ich trug all meine Habe in die Höhle und fügte einige Bretter zu einem Regalzusammen, um meine Eßwaren daraufzustellen. Doch die Bretter fingen an, rar zu werden,weshalb ich mir noch einen zweiten Tisch zimmerte.24. Dezember. Die Nacht hindurch und den ganzen Tag über viel Regen. Ich ging nicht hinaus.25. Dezember. Den ganzen Tag anhaltender Regen.26. Dezember. Es regnete nicht, das Erdreich war frischer und angenehmer als zuvor.27. Dezember. Ich schoß eine junge Ziege und verwundete eine andere am Fuß, so daß ich siefangen und an einem Seil nach Hause führen konnte. Sobald ich daheim war, schiente ich dasgebrochene Bein.Anmerkung. Ich pflegte das Tierchen so sorgfältig, daß es am Leben blieb und sein Bein wiederkräftig wurde. Da ich mich auf diese Weise sehr lange mit ihm abgab, wurde es zahm und weideteauf dem Rasen vor meiner Wohnung, ohne davonzulaufen. jetzt kam mir zum erstenmal derGedanke, Haustiere aufzuziehen, damit es mir nicht an Nahrungsmitteln mangle, wenn einmalmein Pulver- und Bleivorrat zu Ende sein sollte.28., 29. und 30. Dezember. Große Hitze ohne Wind, so daß es mir vor Abend unmöglich war, aufdie Jagd zu gehen. Ich benutzte diese Zeit, um alle meine Habseligkeiten im Hause zu ordnen.1. Januar 1660. Die Hitze war immer noch drückend. Deshalb ging ich frühmorgens undspätabends mit meiner Flinte aus und ruhte tagsüber. Als ich am Abend Weiter zur Mitte der Inselvordrang, entdeckte ich eine Menge Ziegen, die aber sehr scheu waren und mich nichtherankommen ließen. Ich wollte versuchen, ob sich mein Hund nicht abrichten ließ, sie vor sichherzujagen.

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2. Januar. In dieser Absicht ging ich den folgenden Tag mit meinem Hund aus und hetzte ihn aufdie Ziegen. Doch zu meinem Erstaunen stellten sie sich alle gegen ihn zur Wehr; und da er dieGefahr wohl einsah, wagte er sich nicht an sie heran.3. Januar. Ich begann mit meiner Verschanzung oder Mauer. Und da ich immer noch Furcht voreinem Überfall hatte, sollte sie sehr dick und stark werden.Anmerkung. Weil diese Umzäunung bereits beschrieben wor- den ist so übergehe ich absichtlichin diesem Tagebuch, was ich weiter oben darüber gesagt habe, und erwähne nur, daß ich nicht,weniger Zeit als vom 3. Januar bis zum 14. April dazu brauchte, um sie zu errichten, zu vollendenund zu ver- vollkommnen, obgleich sie nur vierundzwanzig Schritt lang war.Während dieser ganzen Zeit hatte ich sehr viel Arbeit damit, die oft durch tage-, ja wochenlangeRegengüsse unterbrochen wurde. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß ich erstdann vollkommen in Sicherheit sei, wenn die Umzäunung beendet wäre. Es ist eben sehr schwerzu beschreiben, wie mühselig das Transportieren der Pfähle aus dem Wald und das Befestigendieser Pflöcke im Boden war;. denn ich hatte sie viel stärker gemacht als es nötig gewesen wäre.Nachdem diese Verbarrikadierung vollendet und die äußere Seite durch eine Rasenbekleidunggeschützt war, glaubte ich bestimmt." daß kein Mensch - sollte einmal jemand an dieser Küstelanden - etwas wahrnehmen könne, was einer Wohnung ähnlich sähe. Und es war ein Glück fürmich, daß ich mein Bollwerk so sorgfältig ausgeführt hatte, wie man in der Folge bei einerbemerkenswerten Gelegenheit sehen wird.Jeden Tag ging ich auf die Jagd und machte meine Runde im Wald, wenn mich nicht gerade derRegen daran hinderte; und bei diesen Ausflügen entdeckte ich fast immer irgend etwas, das mirnützlich sein konnte. So fand ich einmal eine Art Tauben, die nicht auf Bäumen nisteten wie dieWaldtauben sondern ähnlich den Haustauben in Felslöchern ich nahm ihnen einige Junge weg,und es gelang mir, sie aufzuziehen und zu zähmen. Aber als sie flügge waren, flogen sie davon,wahrscheinlich aus Mangel an geeigneter Nahrung, die ich ihnen nicht geben konnte. Indessenfand ich sehr oft Nester und hob die jungen aus, deren, Fleisch vortrefflich schmeckte.Während ich meinen Haushalt einrichtetet bemerkte ich, daß mir sehr viele Dinge fehlten, derenHerstellung mir unmöglich erschien, was sich bei mehreren Sachen auch als richtig erwies' Sokonnte ich niemals ein Faß mit Reifen beschlagen. Ich hatte, wie schon erwähnt, zwei Fäßchen,allein ich war nicht imstande, nach diesen Mustern eines anzufertigen, obgleich ich mehrereWochen mit Versuchen zubrachte. Es wollte mir weder gelingen, den Boden einzusetzen, nochdie Dauben so zusammenzufügen, daß sie Wasser hielten. Daher gab ich mein Vorhabenschließlich auf.Ferner war ich mit Licht sehr übel dran und mußte mich, sobald es Nacht wurde - wasgewöhnlich gegen sieben Uhr der Fall war -, zu Bett begeben. Da erinnerte ich mich desKlumpens Bienenwachs, aus dem ich zur Zeit meiner Abenteuer in Afrika Lichte gemacht hatte.Doch wo sollte ich jetzt Wachs hernehmen? Der einzige Ausweg bestand darin, daß ich den Talgder getöteten Ziegen aufbewahrte und aus einem Lehmnapf, den ich an der Sonne gebrannt und inden ich einen Docht von Werg getan hatte, eine Lampe machte, deren Flamme zwar einen Scheinvon sich gab, der jedoch düsterer war als das Licht einer Kerze.Im Verlauf meiner Arbeit fand ich einmal beim Durchstöbern meiner Sachen einen kleinen Sack,der Getreidekörner enthalten hatte, mit denen das Geflügel an Bord des Schiffes gefüttert wordenwar. Der kleine Rest Korn war jedoch von Ratten aufgefressen worden, so daß ich nur nochSpreu und Staub vorfand. Da ich nun diesen Sack zu irgendeinem anderen Zweck brauchte - ichglaube, um Pulver hineinzutun, als ich dieses aus Furcht vor dem Blitz verteilte, schüttete ich dieSpreu am Fuße des Felsens auf die Erde.

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Dies geschah kurz vor den erwähnten Regenfällen. Ich hatte das Zeug in der Zwischenzeitvergessen, ja, ich entsann mich nicht einmal mehr, etwas ausgeleert zu haben. Ungefähr nacheinem Monat bemerkte ich einige grüne Halme, die aus der Erde hervorsprossen, und war zuerstder Meinung, es sei irgendein mir unbekanntes Gewächs. Allein wie sehr staunte ich, als ich kurzeZeit danach zehn bis zwölf Gerstenähren erblickte, so schön grün und so vollkommen, wie mansie in Europa, ja sogar in England finden kann.Es ist mir unmöglich, meine Verwunderung und Gemütserregung bei diesem Anblick zuschildern. Bis. zu jenem Zeitpunkt hatten meinem Tun und Lassen keine religiösen Grundsätzezugrunde gelegen. Außerdem hatte ich auch sehr wenig Kenntnis von religiösen Dingen underblickte in allem, was mir begegnet war, den bloßen Zufall oder, wie man leichtsinnigerweise zusagen pflegt, die Laune des Geschicks, ohne nach den darin verborgenen Absichten der göttlichenVorsehung zu fragen. Als ich aber Gerste in einem Land und in einem Klima wachsen sah, dassich, wie ich wußte, hierfür keineswegs eignete, und mir überdies nicht erklären konnte, wie siedahingekommen war, fing ich an, mir einzubilden, Gott habe wunderbarerweise und ohne dieHilfe irgendeines Samens diese Gerste sprießen lassen, und zwar einzig zu dem Zweck, um michin dieser armseligen Gegend mit Nahrung zu versorgen.Das rührte mein Herz, ich vergoß Tränen und begann mich glücklich zu schätzen, daß mir zuliebeeine solches Wunder geschehen war. Mir fiel dabei noch auf, daß ich unter den erwähntenHalmen längs des Felsens einige entdeckte, die mir Reis zu sein schienen, was tatsächlich der Fallwar; denn ich kannte dieses Erzeugnis, weil ich es während meines Aufenthaltes an derafrikanischen Küste gesehen hatte. Ich dachte, die Vorsehung werde mir nicht nur dieseGeschenke senden, sondern ich war überzeugt, daß ihre wohltätige Freigebigkeit sich auch nochweiter erstrecken würde. Daher durchstreifte ich von neuem den ganzen mir bereits bekanntenTeil der Insel, durchforschte alle Winkel und untersuchte den Fuß eines jeden Felsens, in derHoffnung, eine größere Menge dieser Pflanzen zu entdecken; allein ich fand keine mehr. Endlichfiel mir ein, daß ich an dieser Stelle den Sack mit dem Geflügelfutter ausgeschüttet hatte und dasWunder begann zu schwinden. Ja, ich muß gestehen, daß meine religiöse Dankbarkeit gegen dieväterliche Fürsorge des Schöpfers von dem Augenblick an versiegte, als mir klar wurde, daß esmit dieser Erscheinung ganz natürlich zugegangen war. Und doch hätte ich für einen sounerwarteten Zufall genauso dankbar sein sollen wie für ein Wunder. War es denn nicht in der Tatebenso gut das Werk der Vorsehung, daß diese zehn oder zwölf Körner, als wären sie vomHimmel gefallen, unversehrt geblieben waren, während die Ratten alle übrigen gefressen hatten?.Ferner, daß ich sie gerade auf eine Stelle schütten mußte, die durch einen hohen Felsen geschütztwar, wo sie alsbald Keime treiben konnten, während sie in dieser Jahreszeit an jeder anderenStelle von der Sonne verbrannt und unbrauchbar geworden wären?

Kapitel 15Man kann sich leicht denken, mit welcher Sorgfalt ich die Ähren dieses Getreides gegen EndeJuni einsammelte. Ich bewahrte selbst das kleinste Körnchen auf, in der Absicht, alles auszusäen,um mit der Zeit wie ich hoffte, so viel davon zu ernten, daß ich Brot daraus machen konnte. Esvergingen jedoch vier Jahre, ehe ich mir erlauben konnte, sie dazu zu verwenden, und selbst danntat ich es immer noch sehr sparsam, wie ich später berichten werde; denn alles, was ich zumerstenmal der Erde anvertraute, war verloren, weil ich die Zeit ungeschickt gewählt hatte. Ich sätegerade vor der trockenen Jahreszeit, so daß der Samen entweder gar nicht oder sehr schlechtaufging. Ich werde darauf noch zurückkommen.

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Außer dieser Gerste besaß ich zwanzig bis dreißig Reishalme, die ich mit der gleichen Sorgfalt zudemselben Zweck aufbewahrte, nämlich um Brot oder vielmehr überhaupt Speisen daraus zumachen. Ich hatte ein Mittel gefunden, den Reis zu kochen, anstatt zu backen, obgleich, ich mirspäter einen Backofen baute-; Doch ich kehre jetzt zu meinem Tagebuch zurück.Während dieser letzten drei oder vier Monate arbeitete ich unausgesetzt an meiner Umzäunung.Am 14. April machte ich die darin gelassene Öffnung zu, weil ich nicht durch eine Tür, sondernmittels einer Leiter in den inneren Raum gelangen wollte, damit kein Zeichen meine Wohnstätteverraten könne.16. April. Ich vollendete meine Leiter, deren ich mich auf folgende Weise bediente: Ich stiegzuerst bis auf meine Umzäunung, zog dann die Leiter nach und ließ sie an der Innenseite wiederhinunter. Meine Wohnstätte schien mir nun vollständiger zu sein; denn das Innere war geräumiggenug, und von außen konnte kein lebendes Wesen herankommen, ohne vorher meine Mauerüberstiegen zu haben.Am Tag, nach dem ich dieses Geschäft beendet hatte, wäre beinah alle meine Arbeit auf einenSchlag zunichte und ich selbst getötet worden. Das ging so zu: Ich war gerade hinter meinem Zeltam Eingang meiner Höhle beschäftigt, als ich durch ein wahrhaft fürchterliches Ereignis in dieschrecklichste Angst versetzt wurde, Von dem Gewölbe meiner Höhle und von der Seite deshinter meiner Wohnung befindlichen Berges stürzte nämlich plötzlich eine Menge Gestein ein,und zwei der starken, in meiner Höhle angebrachten Stützpfähle krachten entsetzlich. Da ich abernicht auf die wahre Ursache dieses Getöses verfiel, glaubte ich, die ganze Decke meiner Höhle,stürze ein, wie ein Teil früher bereits eingestürzt war. Aus Furcht, verschüttet zu werden, lief ichzu meiner Leiter, und da ich mich innerhalb meiner Umzäunung nicht sicher glaubte, stieg ichüber meine Mauer, um den Felsstücken zu entrinnen, die ich schon im Geist auf mich niederfallensah.Kaum hatte ich den Fuß außerhalb meiner Umzäunung gesetzt, als ich gewahr wurde, daß einfurchtbares Erdbeben die Ursache von allem war. Der Boden erzitterte dreimal inZwischenräumen von etwa acht Minuten, und diese drei Erdstöße waren so heftig, daß sie dasfesteste Gebäude, das man sich denken kann, erschüttert hätten. Ein ungeheurer Felsblock löstesich vom Gipfel eines nahe am Meer liegenden Felsens, etwa eine halbe Meile weit von mir, undstürzte mit einem unsagbaren Getöse, in die Tiefe. Auch der Ozean schien in heftige Bewegunggeraten. Meiner Meinung nach mußten die Stöße auf der See noch stärker sein als auf der Insel.Ich hatte in meinem Leben nichts Ähnliches erlebt, und da ich nicht einmal wußte, daß sich aufder Erde zuweilen derartiges zuträgt, war ich so betroffen, daß ich wie tot oder versteinertliegenblieb. Die Schwankungen des Bodens riefen bei mir zugleich einen Brechreiz hervor, alswürde ich auf der See hin und her geschaukelt. Doch der Lärm, den die herabstürzendenFelsmassen verursacht hatten, rüttelte mich aus diesem Zustand auf und erfüllte mich mitEntsetzen. Ich sah jetzt im Geist wie der Berg auf mein Zelt stürzte und all meine Habe begrub;und das versetzte mich von neuem in starre, nie gekannte Gefühllosigkeit.Als der dritte Erdstoß vorüber und einige Zeit verflossen war, ohne daß sich wieder etwasbemerkbar gemacht hätte, begann ich Mut zu schöpfen. Doch aus Furcht, lebendig begraben zuwerden, wagte ich immer noch nicht über meine Mauer zu steigen. Ich blieb regungslos auf derErde sitzen, untröstlich und tief betrübt weil ich gar nicht wußte, was ich beginnen sollte.Während dieser ganzen Zeit kam mir nicht ein ernster religiöser Gedanke, nichts als diegewöhnliche, abgedroschene Gebetsformel: »Herr, erbarme dich meiner!«, die ich aber auch nichtmehr gebrauchte, sobald die Gefahr vorüber war.

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Während ich so dasaß, bemerkte ich, daß der Himmel immer düsterer wurde, als wollte es regnen.Bald darauf erhob sich ein Wind, der in weniger als einer halben Stunde zu einem schrecklichenOrkan anwuchs. Plötzlich bedeckte sich das Meer mit Schaum, die Wogen überschwemmten dasUfer, und starke Bäume wurden entwurzelt, kurz, es war ein fürchterliches Unwetter. Es hielt fastdrei Stunden lang an, dann legte es sich allmählich. Nach zwei weiteren Stunden war es wiederruhig, doch es regnete stark.Ich lag noch niedergeschmettert auf der Erde, als mir auf einmal einfiel, daß der Wind und derRegen eine Folge des Erdbebens wären und das Erdbeben daher vorüber sein mußte und ich eswagen könnte, zu meiner Höhle zurückzukehren. Dieser Gedanke frischte meine Lebensgeisterwieder auf, und weil mich der Regen auch noch dazu trieb, setzte ich mich wieder unter meinZelt. Doch der heftige Regen drohte es umzureißen, weshalb ich genötigt war, mich in meineHöhle zurückzuziehen, obgleich ich mich da sehr unbehaglich fühlte und fürchtete, sie könnte mirüber dem, Kopf zusammenstürzen.Dieser Regen zwang mich zu einer neuen Arbeit- nämlich quer durch mein Befestigungswerk eineRinne zu ziehen, damit das Wasser ablaufen konnte, das meine Wohnung zu überschwemmendrohte. Nachdem ich einige Zeit in meiner Höhle zugebracht hatte, ohne neue Stöße zuverspüren, wurde es mir etwas leichter ums Herz, und um mich zu stärken, was ich sehr nötighatte, machte ich mich über meinen kleinen Vorrat her und nahm einen Schluck Rum. Ich gingsehr sparsam damit um, wohl wissend, daß ich mir keinen mehr verschaffen konnte, wenn ereinmal aufgebraucht war. Es regnete die ganze Nacht und den folgenden Tag, so daß ich nichtausgehen konnte. Als ich ruhiger geworden war, begann ich zu überlegen, was ich tun sollte.Denn ich war der Meinung, daß ich, da die Insel Erdbeben unterworfen war, nicht länger in-einerHöhle wohnen durfte, sondern mir eine kleine Hütte auf einem freien Platz errichten müßte, denich, meiner Sicherheit wegen, ebenfalls mit einer Mauer umgeben wollte. Ich war überzeugt, daß -ich über kurz oder lang lebendig begraben würde, wenn ich länger hierbliebe.Diese Überlegungen veranlaßten mich, mein Zelt von seiner jetzigen Stelle es stand gerade untereinem drohenden Felsvorsprung zu entfernen, da es wahrscheinlich beim nächsten Erdstoß ganzund gar verschüttet werden würde. Ich brachte die zwei folgenden Tage, den 19. und 20. April,mit Nachdenken zu, wie und wohin ich meine Wohnung verlegen sollte.Die Furcht, lebend von der Erde verschlungen zu werden, ließ mich nicht mehr ruhig schlafen;doch die Angst, die Nacht wehrlos im Freien zuzubringen, war kaum minder groß. Wenn ichjedoch um mich schaute, mein ganzes Eigentum so schön geordnet fand und dabei bedachte, wiebehaglich verborgen ich war, fühlte ich die entschiedenste Abneigung gegen eine örtlicheVeränderung.Außerdem überlegte ich auch, daß die Ausführung meines Planes sehr viel Zeit beanspruchenwürde und ich deshalb so lange hierbleiben müßte, bis ich mir einen neuen Wohnsitz eingerichtetund sicher genug gemacht hätte, um mich darin festsetzen zu können. Dieser Entschluß beruhigtemich auf einige Zeit, und ich nahm mir vor, mit dem größten Fleiß an die Arbeit zu gehen, um,wie das erstemal, eine kreisförmige Mauer von Pfählen und Ankertauen aufzurichten, darin ichmein Zelt aufschlagen konnte. Jedenfalls wollte ich so lange hierbleiben, bis die neue Umzäunungvollendet wäre.22. April. Gleich an diesem Morgen war ich darauf bedacht, meinen Plan in die Tat umzusetzen;doch es fehlte mir an Werkzeugen. Ich hatte wohl drei große Äxte und eine Menge kleiner Beile,weil wir sie damals zum Tauschhandel mit den Negem mitgenommen hatten. Aber da ich schonso oft und so lange hartes und knotiges Holz damit gefällt und behauen hatte, waren sie alle

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stumpf und schartig geworden. Ich besaß freilich einen Schleifstein, aber ich konnte ihn nichtdrehen und zugleich meine Werkzeuge schleifen.Dieses Problem kostete mich nicht weniger Überlegung als einen Staatsmann eine Staatsaffäreoder einen Richter eine Kriminalfrage, die über ein Menschenleben entscheidet. Endlich ersann ichein Rad, an dem ich eine Schnur befestigte, um es mit Hilfe meines Fußes in Bewegung zusetzen;. dabei behielt ich meine beiden Hände frei.Anmerkung. Ich hatte diese mechanische Einrichtung niemals in England gesehen oder jedenfallsnicht darauf geachtet, obgleich ich mich später überzeugte, daß sie,dort durchaus üblich war.Mein Schleifstein war sehr groß und sehr schwer, und ich brauchte eine ganze Woche, um dieMaschine zu vervollkommnen.28. und 29. April. An diesen beiden Tagen schliff ich meine Werkzeuge, wobei sich dieEinrichtung, den Stein zu drehen,- als sehr gut bewährte.30. April. Da ich schon lange bemerkt hatte, daß mein Vorrat an Zwieback zusammenschrumpfte,stellte ich genau fest, was noch da war, und beschränkte meine tägliche Ration auf einen einzigen,wobei mir das Herz sehr schwer wurde. 1. Mai. Als ich morgens, zur Zeit der Ebbe, nach demMeer schaute, entdeckte ich am Ufer einen dicken Gegenstand, der einem Faß glich. Als ich näherkam, sah ich, daß es wirklich ein Faß war. Außerdem fand ich auch noch Schiffstrümmer, diedurch den letzten Orkan an den Strand gespült worden waren. Ich blickte zum Wrack, und daschien es mir, als rage es höher als gewöhnlich aus dem Wasser heraus. Ich untersuchte das aufdem Strand liegende Faß undstellte fest, daß es Schießpulver enthielt, das jedoch durch dieEinwirkung des Wassers eine steinharte Masse geworden war. Dennoch rollte ich es auf das Uferhinauf und näherte mich dann so weit wie möglich dem Wrack, um es besser in Augenscheinnehmen zu können.Als ich nahe genug herangekommen war, fand ich seine Lage auffallend verändert. Das Vordeck,das anfangs im Sand gesteckt hatte, hatte sich mindestens sechs Fuß gehoben, und das Heck, dasdie Gewalt der Wogen zertrümmert und vom übrigen Teil abgetrennt hatte, war auf die Seitegeworfen worden. Der Sand hatte sich um das Schiff herum dergestalt angehäuft, daß ich beiEbbe jetzt zu Fuß dorthin gelangen konnte, während es mir vorher nur schwimmend möglichgewesen war. Zuerst war ich sehr überrascht darüber, doch bald erkannte ich, daß nur dasErdbeben dazu beigetragen haben konnte. Da das Schiff dadurch noch mehr zutrümmert wordenwar, landeten an der Küste täglich eine Menge Gegenstände, die das Meer losgelöst hatte und dieder Wind und die Wogen nach und nach ans Land schwemmten.Dies brachte mich von dem Vorhaben ab, meinen Wohnsitz zu verändern. An jenem Tag ging miraber der Wunsch nicht aus dem Kopf, in das Schiff zu gelangen, obgleich ich einsah, daß ich dieskaum hoffen durfte, weil das Innere ganz mit Sand zugeschüttet war. Da ich jedoch gelernt hatte,an nichts zu verzweifeln, beschloß ich, soviel wie möglich davon loszureißen, in derÜberzeugung, daß mir alles, was ich in meine Hände bekommen konnte, von großem Nutzen seinwerde.