Rosa Luxemburg‘s Analyse des modernen Kapitalismus Michael R. Krätke Institute for Advanced...

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Rosa Luxemburg‘s Analyse des modernen Kapitalismus Michael R. Krätke Institute for Advanced Studies Lancaster University

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Rosa Luxemburg‘s Analyse des modernen Kapitalismus Michael R. KrätkeInstitute for Advanced Studies Lancaster University

Rosa Luxemburg als Ökonomin Studium der Nationalökonomie in Zürich von

1889/90 bis 1896/97 Abschluss mit einer Dissertation über “Die

industrielle Entwicklung Polens” Rosa Luxemburg’s Studienzeit: - 1894 erschien der dritte Band von Marx’ “Kapital”,

damit begann die Welle der akademischen Marx-Kritik

- in Deutschland / Schweiz dominierte die “Historische Schule”

Geschichte und Theorie des Kapitalismus Rosa Luxemburg’s Dissertation – eine theoretische

und empirisch/historische Arbeit (keine Marx-Exegese)

raum-zeitlich bestimmte industrielle Entwicklung Differenzierung der Faktoren des industriellen

Entwicklungs-/Wachstumsprozesses – und das Studium ihrer Interaktion

Pointe: die industrielle Entwicklung Polens bietet wegen der Integration der polnischen Industrie in die “östlichen Märkte” keine Basis für eine selbständige staatliche Existenz

Rosa Luxemburg’ s Kritik des zeitgenössischen Marxismus Seit 1894 bzw. 1895 theoretische Stagnation obwohl die Marxsche Theorie – und zwar auch die

ökonomische - offensichtlich unfertig, obwohl die Marxsche Methode eine Forschungsmethode

die Marxisten haben die “theoretischen Lücken” in Marx’ Werk nicht gesehen, sich mit der “unfertigen Darstellung” der Theorie (auch der Werttheorie) zufrieden gegeben

Weil sie das Bedürfnis nach theoretischer Weiterentwicklung nicht verspürten

Rosa Luxemburg versus Eduard Bernstein Rosa Luxemburg lehnt Kautksy’s Angebot ab:

Marxologin wollte sie nicht werden! Sie verdient ihre Sporen in der Bernstein-Debatte

(Revisionismus-Debatte) 1899ff Worum ging es? - was ist neu an der jüngsten Entwicklung des

Kapitalismus (seit 1873 bzw. seit 1895)? - wie sind die neuen Phänomene in das Gesamtbild

des Kapitalismus einzuordnen?

Kontext der Revisionismus-Debatte Lange Prosperität seit 1895 (nach der langen

Grossen Depression) Dominanz der Hochfinanz, der internationalen

Finanzmärkte (mit London als Zentrum) Eine Globalisierungswelle rollte (nur vergleichbar

mit der der 1980er und 1990er Jahre) Eine Periode des Hochimperialismus (Wettlauf um

die Aufteilung / Kolonialisierung der Welt seit 1873)

Rosa Luxemburg über den Kapitalismus ihrer Zeit Der Kapitalismus wird nicht krisenfest / ultrastabil Der Kapitalismus nähert sich auch nicht dem

“Zusammenbruch” Der Kapitalismus ist ein historisch endliches, aber

höchst wandlungsfähiges System RL: Wir befinden uns nicht im Endstadium, sondern

in einem Übergangsstadium Aber: die Periode der “Alterskrisen” kann einmal

kommen, wenn der kapitalistische Weltmarkt fertig ausgebildet sein wird

Rosa Luxemburg versus Bernstein Warum ist die Marxsche Werttheorie nicht

überholt? Nicht nur weil die theoretische Alternative –

die Grenznutzentheorie – nichts taugt sondern weil sie der Schlüssel zum

Verständnis der Historizität, der Endlichkeit und Vergänglichkeit des Kapitalismus ist

Rosa Luxemburg als Wirtschaftsjournalistin 1898/99 regelmässig eine “Wirtschaftliche und

Sozialpolitische Rundschau” Länderberichte / Kommentare zu einzelnen

Ereignissen Wie? Einordnung in die “allgemeine Geschichte des

Kapitalismus” Leitthema: die strukturellen Veränderungen im

kapitalistischen Weltsystem (Aufstieg der NICs und NACs, Niedergang des britischen Weltmarktmonopols)

Rosa Luxemburg als Lehrerin Seit 1906 lehrt RL Politische Ökonomie an der

Parteihochschule der SPD in Berlin Eine Vorlesungsmanuskripte / einige

Mitschriften erhalten (nicht alles veröffentlicht)

Seit 1910/11 schreibt RL ein Lehrbuch, eine “Einführung in die Nationalökonomie”

(1925 veröffentlicht)

Rosa Luxemburg‘s „neue Marx-Lektüre“ “dialektische Methode” nach RL – Behandlung aller

ökonomischen Kategorien als historische (also veränderliche) Kategorien

der (historische, an bestimmte Zeit und bestimmten Raum gebundene) Gesamtzusammenhang der ökonomischen Kategorien ist wichtig

Erst die Analyse des “Gesamtprozesses” erlaubt die sinnvolle Analyse von “Einzelproblemen der Ökonomie”

Rosa Luxemburg’s Lektüre von Band II und III des “Kapital” unbekannt und ungelesen bei den

Sozialisten / Marxisten unfertig / unvollendet – voller gut und richtig

gestellter Probleme, ohne abgeschlossene, fertige Lösungen

Ergo: Marx’ Forschungsprozess war im Jahre 1881 noch bei weitem nicht abgeschlossen

Ungelöste Probleme der Marxschen PolitischenÖkonomie? Wert Lohn – eine politische Theorie des Lohns Geld und Kredit Finanzkapital und Finanzmärkte Weltmarkt – Kapitalismus als Weltsystem Krisen

Rosa Luxemburg und die Krisen Band II des “Kapital” ist die Grundlage für

eine Krisentheorie Kurzdarstellung der Krisengeschichte von

1815 bis 1907 in RL’s Vorlesungen zur Politischen Ökonomie

RL hielt gar nichts vom berühmten “Gesetz” des tendentiellen Falls der Profitrate

Radikalisierung der Marx-Kritik Marx’ Theorie der Akkumulation ist nicht

nur unfertig, unabgeschlossen, sondern falsch, eine “Fehlkonstruktion”

Warum? Weil die Annahme eines “geschlossenen” kapitalistischen Weltsystems falsch sei

Theorie versus Geschichte – was kann eine allgemeine Theorie erklären?

Rosa Luxemburg‘s Erklärung des Imperialismus Die Rolle der nicht-kapitalistischen Räume Die Bedeutung von Wachstum und Expansion

– nicht denkbar ohne nicht-kapitalistische Räume

Imperialismus – der Kampf hoch entwickelter kapitalistischer Nationalstaaten um die schrumpfenden nicht-kapitalistischen Räume

Rosa Luxemburg und die Grenzen des Kapitalismus Nicht-kapitalistische Räume sind endlich Wenn die kapitalistische Produktionsweise in

nicht-kapitalistische Räume expandiert, zerstört und transformiert sie diese

Kap. 27ff von Rosa Luxemburg’s “Die Akkumulation des Kapitals” zeigen wie kapitalistische Länder nicht-kapitalistische Räume kolonisieren und transformieren

Rosa Luxemburg und das Finanzkapital Die Panik von 1907 Die grösste internationale Finanzkrise, die Rosa

Luxemburg miterlebt hat Aber: Eine Finanzkrise ohne Auswirkungen auf die

„Real“wirtschaft Keine Weltfinanzkrise Aber: der Anlass zum Abschied von der

traditionellen marxistischen Vorstellung von den Finanzmärkten als “Reflex” der Bewegung von Industrie und Handel

Kredit und Expropriation – die Rolle der Hochfinanz im Imperialismus Wie Kolonien und formell unabhängige Staaten

ausserhalb Europas in dauerhafte Abhängigkeit gebracht werden

Auslandsanleihen, Auslandskredite – die goldenen Fesseln Lateinamerikas, Ägyptens und Chinas

Kapitalexport – als Ausbeutungs-mechanismus (Ausbeutung durch fremdes Kapital mit tätiger Amtshilfe der einheimischen Steuergewalt)

Wie kommt es zu einer Finanzkrise? RL studiert internationale Finanz- und

Kreditverhältnisse (deren Zentrum und Schwerpunkt in den entwickelten kapitalistischen Ländern liegt)

RL kennt zwei Typen von Finanzkrisen - Überschuldungskrisen in den abhängigen, (noch)

nicht kapitalistischen Ländern - Geldmarkt- und Spekulationskrisen in den

kapitalistischen Hauptländern

Wie wird die Finanzkrise überwunden? Indem finanzielle Risiken “sozialisiert”

werden (durch Staatsgarantien Die Kosten dieser “Sozialisierung” werden

extrem ungleich verteilt (zu Lasten der Nicht-Kapitalisten (nicht nur Lohnarbeiter, auch Bauern, Mittelklassen)

Der moderne Steuerstaat spielt die zentrale Rolle

Die Zukunft des Kapitalismus – nach Rosa Luxemburg Das logische (nicht notwendigerweise auch das

historische) Ende des Kapitalismus: die ganze Welt ist durchkapitalisiert, die kapitalistische Produktionsweise herrscht weltweit

Die kapitalistische Produktionsweise stösst an ihre eigenen, selbst erzeugten Grenzen

Reifer Kapitalismus: Die ganze Welt besteht aus konkurrierenden kapitalistischen Ökonomien und rivalisierenden Nationalstaaten

Jenseits des Kapitalismus Rosa Luxemburgs Sozialismusvorstellung –

die klassisch marxistische Idee einer selbstverwalteten, demokratisch gesteuerten Wirtschaft auf der Grundlage von Gemeineigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln

Rosa Luxemburg hat in die Sozialisierungsdebatte, die 1918/1919 begann, nicht mehr eingreifen können