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Samstag, 14. Oktober 2006 · Neues Bülacher Tagblatt REGION 5 Zwischen Flughafen und geistiger Anderswelt Herbstwanderung von Kloten über Winkel nach Oberglatt Wegbeschreibung Ab dem Bahnhof Kloten führt uns der Wanderwegweiser in Richtung Oberglatt zuerst aus Kloten hinaus bis zum Flughafen. Nachdem wir etwa 1 / 4 Stunde neben dem Flugha- fengelände zu unserer Linken und dem Himmelsbach zu unserer Rechten gegangen sind, weist eine Tafel nach rechts zum «Goldenen Tor». Schon 5 Minuten später se- hen wir die Quelle vor uns, in der sich der Sage nach ein «Goldiges Tor» zu einer wundervollen Stadt verbirgt. Die Quelle wird von Bir- ken gesäumt, dahinter liegen Kanä- le und eine Riedfläche. Obwohl so nahe dem Flughafen und direkt ne- ben einer militärischen Übungspiste gelegen, ist das «Goldene Tor» auch heute noch ein zauberhafter Ort. Vom «Goldenen Tor» gehen wir zurück zum Wanderweg. Vor der Brücke nehmen wir den Weg nach rechts, der durchs Naturschutzge- biet führt und nach etwa 1 Stunde in die militärische Übungspiste ein- mündet. Ab da laufen wir nach links und ca. 5 Minuten eine kleine Anhöhe hinauf. Oben folgen wir dem Wegweiser nach Seeb (10 Mi- nuten). Nachdem wir die Autobahn überquert haben, folgen wir dem Wanderweg so lange, bis er nach rechts abbiegt. Wir hingegen gehen geradeaus entlang des Wassergra- bens, direkt auf den Reiterhof zu. Von dort wandern wir den Häusern entlang bis zur Hauptstrasse und zur Bushaltestelle nach Seeb. Die Bushaltestelle, die wir suchen, liegt nicht an der Hauptstrasse selbst, sondern etwas nach hinten versetzt an der Strasse nach Winkel, die in die Hauptstrasse mündet. Die Wanderung in Zahlen: Mit dem Zug bis Bahnhof Kloten (437 m ü.M.) – Goldenes Tor (427 m ü.M.): 3 / 4 h; Goldenes Tor – Bushaltestelle Winkel /Seeb: 1 3/4 h; mit dem Bus 530 von der Haltestelle Winkel / Seeb nach Kloten «zum Wilden Mann» oder Richtung Bülach. Kloten – Herbstzeit ist Wander- zeit. In drei Etappen werden die Leserinnen und Leser des NBT an Kraftplätze in der Region geführt. Im ersten Teil der bisher unveröf- fentlichten Wanderwegbeschrei- bung ist die Rede vom «Goldenen Tor», einer Teichquelle, die träu- men lässt. Und ich erzähle die Sa- ge eines Jünglings, der in eine an- dere Welt gelockt wurde und zwei Nixen traf. von Barbara Hutzl-Ronge Vom Bahnhof Kloten ist das «Goldene Tor» in einer knappen Stunde zu Fuss erreichbar (siehe nebenstehenden Weg- beschrieb). Vor uns liegt ein Weiher, der sich bei näherem Hinschauen als Teichquelle entpuppt. Wer den Teich umrundet und aufmerksam auf seinen Grund späht, sieht, wie aus vielen Quellöffnungen Wasser aus dem Grund strömt und dabei den Sand wie kleine Vulkane nach oben wirbeln lässt. Heutzutage können wir vom Flugha- fen Zürich aus in alle Ecken der Welt reisen. Vor noch nicht allzu langer Zeit funktionierte das Reisen ein wenig an- ders, zum Beispiel wie in der nebenste- henden Sage. Da wurde eine Reise in die Ferne plötzlich zu einem Ausflug in die Tiefe, in eine andere Welt (siehe Kasten). Blicken Sie nochmals in den Teich. Wenn die Sonne scheint, dann sehen Sie sogar goldene Körnchen im Sand schimmern. Sie lösen sich noch immer vom «Goldenen Tor», von dem der Hirtenknabe in der Sage erzählt. Sandvulkane beleben die Teichquelle Die Sandvulkane im Teich haben eine faszinierende Anziehungskraft. Wenn man sie eine Zeitlang beobachtet, sich dem ständigen Aufwirbeln und Nieder- fallen der Sandkörnchen hingibt, macht sich eine innere Gelassenheit breit. Ein Wanderer, dem ich an der Quelle be- gegnete, erzählte mir, er hätte in einer solchen Stimmung so manchen Wunsch in den Sand gesendet, und so manche Vision aus ihm herausgeholt. Wer wirklich lang in die Quelle blickt, könnte sogar in einen trancearti- gen Zustand geraten. Dann verwundert einen auch nicht, dass der Hirtenknabe von einem Tor unter der Quelle ge- träumt hat. War er womöglich in einen anderen Wahrnehmungszustand hin- über geglitten, und durfte deshalb der Quellfrau dieses Orts und ihrer Freun- din begegnen? Vielleicht geht es uns beim Betrach- ten der Sandvulkane wie dem Hirten- knaben nach seinem aufregenden Er- lebnis. Wer kennt sie nicht, die aufre- genden Begegnungen, die einem zwar fast das Bewusstsein rauben, die in der Erinnerung aber so stark und lebendig wirken, dass man sich Zeit seines Le- bens nach solchen Begegnungen sehnt? Ein Teich, der glückliche Liebe ver- spricht, scheint mir das Goldene Tor nicht zu sein. Aber ein Teich, der einen unvermutet einen Blick in die andere Wirklichkeit erlaubt, das ist er be- stimmt. Am schönsten ist das «Goldene Tor» am frühen Morgen, wenn die aufgehen- de Sonne unter den Bäumen durch- scheint und den Teich in goldenes Licht taucht. Die Goldblättchen tanzen und funkeln und das Herz hüpft vor Freude gleich mit ihnen. Meist hat man um die- se Tageszeit das «Goldene Tor» für sich allein. Dann ist es an der Zeit, um den eigenen Träumen nachzugehen und ih- nen den Raum zu geben, sich zu entfal- ten. Der Flughafen – das Tor zur Welt Keine Angst. Endgültig in andere Di- mensionen der Welt «abgefahren» ist beim «Goldenen Tor» noch niemand. Die startenden und landenden Flugzeu- ge holen einen in die irdische, unüber- hörbare Wirklichkeit zurück. Und so liegt es ganz an uns zu bestimmen, in welche Teile der Welt wir reisen wollen und ob wir lieber magische oder ganz praktische Tore zum Abflug nützen wollen. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, langsam von Kraftort zu Kraftort zu wandern, während daneben Flugzeuge mit immenser Geschwindigkeit abhe- ben, um in kurzer Zeit weit entfernte Ziele zu erreichen. Wer wandert, hat sich nicht nur dafür entschieden, Entfer- nungen in menschengemässem Tempo zu bewältigen, sondern auch dafür, die Landschaft im Hier und Jetzt zu erle- ben. Schritt für Schritt spüren wir den eigenen Körper, die Sonne auf der Haut oder den Regen im Gesicht, hören und sehen, dass uns diese Landschaft eine moderne Mischung an Vögeln und Flugzeugen, seltenen Riedpflanzen und betonierten Landepisten bietet. Doch Natur und Flugplatz bestehen nicht ne- beneinander, sondern sind auch inein- ander verwachsen. Zwischen den Lan- debahnen erstreckt sich – für unsere Augen unsichtbar – der «Cheibenwin- kel», eine grosse Riedfläche, in der viele Vögel leben. Doch auch auf unserem Weg durch das «Äntennest», die «Rü- tiallmend», die «Winkler Allmend» und die «Bachenbülacher Allmend» können wir neben den erwarteten Enten und Blässhühnern auch seltene Vögel beob- achten. Goldgelbe Brustfedern und ein rötlichbrauner Rücken sind die unüber- sehbaren Kennzeichen der Gold- ammern, denen wir hier unter anderem begegnen können. Ein gutes Vogelbest- immungsbuch hilft zu erkennen, wer sich hier friedlich neben der turbulenten Nachbarschaft eingenistet hat. Warum die Unke gerne Panzer hat Eine bemerkenswerte Koexistenz be- günstigten auch die Schweizer Waffen- plätze. Solange das Militär noch aktiver war, entwickelten sich auf den Schwei- zer Waffenplätzen sehr artenreiche Bio- tope. Durch die Panzerraupen wurde Kies nach oben gebracht und es ent- standen Kieslandschaften, in denen sich viele Arten, z.B. die Gelbbauchunke, sehr wohl fühlen. Voraussetzung für den Erhalt dieser Kieslandschaften ist jedoch, dass sie immer wieder gestört werden, damit sie nicht von Büschen überwachsen werden. Genau diese Stö- rung bewirkten die Panzerraupen. Bis vor zehn Jahren arbeiteten Biologen im Auftrag des Militärs Waffenplatzpläne aus und stellten Fahrrouten für die Pan- zer zusammen, um dieses sensible Gleichgewicht der Kieslandschaften zu erhalten. Heutzutage, da das Militär sei- ne Waffenplätze weniger benutzt, be- ginnt die Landschaft zu verbuschen und der Artenreichtum geht zurück. Schöne Wohn- und Lebensräume ha- ben Tiere und Pflanzen, die Feuchtge- biete und Kieslandschaften schätzen, auf der anderen Seite des Flughafens gefunden. Dort haben Biologen die Alt- läufe der Glatt renaturiert und sorgen künstlich für die Störung der Kiesland- schaften, die den Artenreichtum ermög- licht. Mehr über die Altläufe der Glatt erfahren Sie aber im letzten Teil dieser dreiteiligen Serie. Der Jüngling und die Nixe beim «Goldenen Tor». Illustration von Hans Witzig, in: «Zürcher Sagen» von Meinrad Lienert, 1919 Die Sage vom «Goldenen Tor» Ein Knabe, der Schafe hütete, hatte sich einst neben dem Weiher nieder- gelegt. Plötzlich wurde das Wasser unruhig, die Flut zerteilte sich und ei- ne schöne Jungfrau stand vor dem Knaben. Lächelnd streckte sie ihm ei- nen goldenen Ring entgegen. Als der Knabe ihn jedoch erhaschen wollte, zog sie ihre Hand zurück. Sie neckte ihn mit dem Ring so lange, bis der Knabe ins Wasser fiel. Dann umfasste sie ihn und fuhr mit ihm in die Tiefe. Auf den ängstlichen Schrei des Hirtenknaben, eilte der Bauer herbei. Obgleich der Weiher wie immer klar und seicht war, konnte er den Kna- ben nirgends erblicken – bis dieser plötzlich aus einer Quellöffnung wie ein Pfeil hervorschoss. Als der Hir- tenknabe aus der Bewusstlosigkeit er- wachte, erzählte er dem Bauern, was er erlebt hatte. Die Wasserjungfrau sei in reissender Schnelligkeit mit ihm unendlich tief hinab gefahren, bis sich mit einem Mal unten eine schöne Ge- gend aufgetan habe. Sie hätten da fes- ten Grund erreicht, und eine grosse, herrliche Stadt mit einem goldenen Tor sei gerade vor ihnen gewesen. Da sei eine andere schöne Jungfrau aus dem Tor getreten. Nun habe die Jung- frau, welche ihn umschlungen und ge- tragen habe, rasch die Arme geöffnet, um der anderen entgegen zu eilen. Kaum sei er aber nicht mehr festge- halten worden, so habe es ihn mit sol- cher Schnelligkeit und Heftigkeit em- porgerissen, dass er sogleich das Be- wusstsein verloren habe. Der Bauer war froh, dass sein Hir- tenknabe wieder heil aufgetaucht war, doch der Hirtenknabe selber? Er ist später noch oftmals zum Weiher ge- gangen, aber die schöne Jungfrau hat er nie mehr gesehen. «Magisches Zürich» Das Buch «Magisches Zürich», der in der Stadt Zürich lebenden Auto- rin Barbara Hutzl-Ronge ist im Mai im AT Verlag erschienen. In 24 Wanderungen durch Stadt und Kanton entführt die Autorin zu kraftvollen Plätzen in Natur und Landschaft. Heilige Quellen warten darauf entdeckt zu werden: die sa- genumwobene Pflasterbachquelle auf der Lägern, die geheimnisvolle Tüfels Chile bei Kollbrunn, das Heidenbrünneli bei Männedorf und ein heiliges Pilgerbrünneli im Ober- land, Nymphenweiher locken und Quellen, bei denen Liebeszauber gewoben werden kann. Mit den Anreisetipps, Übersichtskarten, Zeitangaben und detaillierten Weg- beschreibungen ist es ein leichtes, auf den vorgezeichneten Spuren zu wandern. Barbara Hutzl-Ronge, Magisches Zürich. Wanderungen zu Orten der Kraft, Stadt und Kanton, AT Ver- lag, Baden und München 2006, Fr. 39.90 Das Goldene Tor, lieblicher Weiher unweit der Flugpisten. (Bilder: vf) An einigen Stellen am Teichgrund sprudeln kleine Sandvulkane.

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Samstag, 14. Oktober 2006 · Neues Bülacher Tagblatt REGION 5

Zwischen Flughafen und geistiger AndersweltHerbstwanderung von Kloten über Winkel nach Oberglatt

WegbeschreibungAb dem Bahnhof Kloten führt unsder Wanderwegweiser in RichtungOberglatt zuerst aus Kloten hinausbis zum Flughafen. Nachdem wiretwa 1⁄4 Stunde neben dem Flugha-fengelände zu unserer Linken unddem Himmelsbach zu unsererRechten gegangen sind, weist eineTafel nach rechts zum «GoldenenTor». Schon 5 Minuten später se-hen wir die Quelle vor uns, in dersich der Sage nach ein «GoldigesTor» zu einer wundervollen Stadtverbirgt. Die Quelle wird von Bir-ken gesäumt, dahinter liegen Kanä-le und eine Riedfläche. Obwohl sonahe dem Flughafen und direkt ne-ben einer militärischen Übungspistegelegen, ist das «Goldene Tor»auch heute noch ein zauberhafterOrt.

Vom «Goldenen Tor» gehen wirzurück zum Wanderweg. Vor derBrücke nehmen wir den Weg nachrechts, der durchs Naturschutzge-biet führt und nach etwa 1 Stundein die militärische Übungspiste ein-mündet. Ab da laufen wir nachlinks und ca. 5 Minuten eine kleineAnhöhe hinauf. Oben folgen wirdem Wegweiser nach Seeb (10 Mi-nuten). Nachdem wir die Autobahnüberquert haben, folgen wir demWanderweg so lange, bis er nachrechts abbiegt. Wir hingegen gehengeradeaus entlang des Wassergra-bens, direkt auf den Reiterhof zu.Von dort wandern wir den Häusernentlang bis zur Hauptstrasse undzur Bushaltestelle nach Seeb. DieBushaltestelle, die wir suchen, liegtnicht an der Hauptstrasse selbst,sondern etwas nach hinten versetztan der Strasse nach Winkel, die indie Hauptstrasse mündet.Die Wanderung in Zahlen: Mit demZug bis Bahnhof Kloten (437 mü.M.) – Goldenes Tor (427 m ü.M.):3⁄4 h; Goldenes Tor – BushaltestelleWinkel /Seeb: 1 3/4 h; mit dem Bus530 von der Haltestelle Winkel /Seeb nach Kloten «zum WildenMann» oder Richtung Bülach.

Kloten – Herbstzeit ist Wander-zeit. In drei Etappen werden dieLeserinnen und Leser des NBT anKraftplätze in der Region geführt.Im ersten Teil der bisher unveröf-fentlichten Wanderwegbeschrei-bung ist die Rede vom «GoldenenTor», einer Teichquelle, die träu-men lässt. Und ich erzähle die Sa-ge eines Jünglings, der in eine an-dere Welt gelockt wurde und zweiNixen traf.

� von Barbara Hutzl-Ronge

Vom Bahnhof Kloten ist das «GoldeneTor» in einer knappen Stunde zu Fusserreichbar (siehe nebenstehenden Weg-beschrieb). Vor uns liegt ein Weiher,der sich bei näherem Hinschauen alsTeichquelle entpuppt. Wer den Teichumrundet und aufmerksam auf seinenGrund späht, sieht, wie aus vielenQuellöffnungen Wasser aus dem Grundströmt und dabei den Sand wie kleineVulkane nach oben wirbeln lässt.

Heutzutage können wir vom Flugha-fen Zürich aus in alle Ecken der Weltreisen. Vor noch nicht allzu langer Zeitfunktionierte das Reisen ein wenig an-ders, zum Beispiel wie in der nebenste-henden Sage. Da wurde eine Reise indie Ferne plötzlich zu einem Ausflug indie Tiefe, in eine andere Welt (sieheKasten). Blicken Sie nochmals in denTeich. Wenn die Sonne scheint, dannsehen Sie sogar goldene Körnchen imSand schimmern. Sie lösen sich nochimmer vom «Goldenen Tor», von demder Hirtenknabe in der Sage erzählt.

Sandvulkane beleben die TeichquelleDie Sandvulkane im Teich haben einefaszinierende Anziehungskraft. Wennman sie eine Zeitlang beobachtet, sichdem ständigen Aufwirbeln und Nieder-fallen der Sandkörnchen hingibt, machtsich eine innere Gelassenheit breit. EinWanderer, dem ich an der Quelle be-gegnete, erzählte mir, er hätte in einersolchen Stimmung so manchen Wunschin den Sand gesendet, und so mancheVision aus ihm herausgeholt.

Wer wirklich lang in die Quelleblickt, könnte sogar in einen trancearti-gen Zustand geraten. Dann verwunderteinen auch nicht, dass der Hirtenknabevon einem Tor unter der Quelle ge-träumt hat. War er womöglich in einenanderen Wahrnehmungszustand hin-über geglitten, und durfte deshalb derQuellfrau dieses Orts und ihrer Freun-din begegnen?

Vielleicht geht es uns beim Betrach-ten der Sandvulkane wie dem Hirten-knaben nach seinem aufregenden Er-lebnis. Wer kennt sie nicht, die aufre-genden Begegnungen, die einem zwarfast das Bewusstsein rauben, die in derErinnerung aber so stark und lebendigwirken, dass man sich Zeit seines Le-

bens nach solchen Begegnungen sehnt?Ein Teich, der glückliche Liebe ver-spricht, scheint mir das Goldene Tornicht zu sein. Aber ein Teich, der einenunvermutet einen Blick in die andereWirklichkeit erlaubt, das ist er be-stimmt.

Am schönsten ist das «Goldene Tor»am frühen Morgen, wenn die aufgehen-de Sonne unter den Bäumen durch-scheint und den Teich in goldenes Lichttaucht. Die Goldblättchen tanzen undfunkeln und das Herz hüpft vor Freudegleich mit ihnen. Meist hat man um die-se Tageszeit das «Goldene Tor» für sich

allein. Dann ist es an der Zeit, um deneigenen Träumen nachzugehen und ih-nen den Raum zu geben, sich zu entfal-ten.

Der Flughafen – das Tor zur WeltKeine Angst. Endgültig in andere Di-mensionen der Welt «abgefahren» istbeim «Goldenen Tor» noch niemand.Die startenden und landenden Flugzeu-ge holen einen in die irdische, unüber-hörbare Wirklichkeit zurück. Und soliegt es ganz an uns zu bestimmen, inwelche Teile der Welt wir reisen wollen

und ob wir lieber magische oder ganzpraktische Tore zum Abflug nützenwollen.

Es ist schon ein eigenartiges Gefühl,langsam von Kraftort zu Kraftort zuwandern, während daneben Flugzeugemit immenser Geschwindigkeit abhe-ben, um in kurzer Zeit weit entfernteZiele zu erreichen. Wer wandert, hatsich nicht nur dafür entschieden, Entfer-nungen in menschengemässem Tempozu bewältigen, sondern auch dafür, dieLandschaft im Hier und Jetzt zu erle-ben. Schritt für Schritt spüren wir deneigenen Körper, die Sonne auf der Hautoder den Regen im Gesicht, hören undsehen, dass uns diese Landschaft einemoderne Mischung an Vögeln undFlugzeugen, seltenen Riedpflanzen undbetonierten Landepisten bietet. DochNatur und Flugplatz bestehen nicht ne-beneinander, sondern sind auch inein-ander verwachsen. Zwischen den Lan-debahnen erstreckt sich – für unsereAugen unsichtbar – der «Cheibenwin-kel», eine grosse Riedfläche, in der vieleVögel leben. Doch auch auf unseremWeg durch das «Äntennest», die «Rü-tiallmend», die «Winkler Allmend» unddie «Bachenbülacher Allmend» könnenwir neben den erwarteten Enten undBlässhühnern auch seltene Vögel beob-achten. Goldgelbe Brustfedern und einrötlichbrauner Rücken sind die unüber-sehbaren Kennzeichen der Gold-ammern, denen wir hier unter anderembegegnen können. Ein gutes Vogelbest-immungsbuch hilft zu erkennen, wersich hier friedlich neben der turbulentenNachbarschaft eingenistet hat.

Warum die Unke gerne Panzer hatEine bemerkenswerte Koexistenz be-günstigten auch die Schweizer Waffen-plätze. Solange das Militär noch aktiverwar, entwickelten sich auf den Schwei-zer Waffenplätzen sehr artenreiche Bio-tope. Durch die Panzerraupen wurdeKies nach oben gebracht und es ent-standen Kieslandschaften, in denen sichviele Arten, z.B. die Gelbbauchunke,sehr wohl fühlen. Voraussetzung fürden Erhalt dieser Kieslandschaften istjedoch, dass sie immer wieder gestörtwerden, damit sie nicht von Büschenüberwachsen werden. Genau diese Stö-rung bewirkten die Panzerraupen. Bisvor zehn Jahren arbeiteten Biologen imAuftrag des Militärs Waffenplatzpläneaus und stellten Fahrrouten für die Pan-zer zusammen, um dieses sensibleGleichgewicht der Kieslandschaften zuerhalten. Heutzutage, da das Militär sei-ne Waffenplätze weniger benutzt, be-ginnt die Landschaft zu verbuschen undder Artenreichtum geht zurück.

Schöne Wohn- und Lebensräume ha-ben Tiere und Pflanzen, die Feuchtge-biete und Kieslandschaften schätzen,auf der anderen Seite des Flughafensgefunden. Dort haben Biologen die Alt-läufe der Glatt renaturiert und sorgenkünstlich für die Störung der Kiesland-schaften, die den Artenreichtum ermög-licht. Mehr über die Altläufe der Glatterfahren Sie aber im letzten Teil dieserdreiteiligen Serie.

Der Jüngling und die Nixe beim «Goldenen Tor». Illustration von HansWitzig, in: «Zürcher Sagen» von Meinrad Lienert, 1919

Die Sage vom «Goldenen Tor»Ein Knabe, der Schafe hütete, hattesich einst neben dem Weiher nieder-gelegt. Plötzlich wurde das Wasserunruhig, die Flut zerteilte sich und ei-ne schöne Jungfrau stand vor demKnaben. Lächelnd streckte sie ihm ei-nen goldenen Ring entgegen. Als derKnabe ihn jedoch erhaschen wollte,zog sie ihre Hand zurück. Sie neckteihn mit dem Ring so lange, bis derKnabe ins Wasser fiel. Dann umfasstesie ihn und fuhr mit ihm in die Tiefe.

Auf den ängstlichen Schrei desHirtenknaben, eilte der Bauer herbei.Obgleich der Weiher wie immer klarund seicht war, konnte er den Kna-ben nirgends erblicken – bis dieserplötzlich aus einer Quellöffnung wieein Pfeil hervorschoss. Als der Hir-tenknabe aus der Bewusstlosigkeit er-wachte, erzählte er dem Bauern, waser erlebt hatte. Die Wasserjungfrau seiin reissender Schnelligkeit mit ihm

unendlich tief hinab gefahren, bis sichmit einem Mal unten eine schöne Ge-gend aufgetan habe. Sie hätten da fes-ten Grund erreicht, und eine grosse,herrliche Stadt mit einem goldenenTor sei gerade vor ihnen gewesen. Dasei eine andere schöne Jungfrau ausdem Tor getreten. Nun habe die Jung-frau, welche ihn umschlungen und ge-tragen habe, rasch die Arme geöffnet,um der anderen entgegen zu eilen.Kaum sei er aber nicht mehr festge-halten worden, so habe es ihn mit sol-cher Schnelligkeit und Heftigkeit em-porgerissen, dass er sogleich das Be-wusstsein verloren habe.

Der Bauer war froh, dass sein Hir-tenknabe wieder heil aufgetaucht war,doch der Hirtenknabe selber? Er istspäter noch oftmals zum Weiher ge-gangen, aber die schöne Jungfrau hater nie mehr gesehen.

«Magisches Zürich»Das Buch «Magisches Zürich», derin der Stadt Zürich lebenden Auto-rin Barbara Hutzl-Ronge ist im Maiim AT Verlag erschienen. In 24Wanderungen durch Stadt undKanton entführt die Autorin zukraftvollen Plätzen in Natur undLandschaft. Heilige Quellen wartendarauf entdeckt zu werden: die sa-genumwobene Pflasterbachquelleauf der Lägern, die geheimnisvolleTüfels Chile bei Kollbrunn, dasHeidenbrünneli bei Männedorf undein heiliges Pilgerbrünneli im Ober-land, Nymphenweiher locken undQuellen, bei denen Liebeszaubergewoben werden kann. Mit denAnreisetipps, Übersichtskarten,Zeitangaben und detaillierten Weg-beschreibungen ist es ein leichtes,auf den vorgezeichneten Spuren zuwandern.Barbara Hutzl-Ronge, MagischesZürich. Wanderungen zu Orten derKraft, Stadt und Kanton, AT Ver-lag, Baden und München 2006,Fr. 39.90

Das Goldene Tor, lieblicher Weiher unweit der Flugpisten. (Bilder: vf) An einigen Stellen am Teichgrund sprudeln kleine Sandvulkane.