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Pa ri noush Sa niee

Was mir zu stehtRo man

Deutsch von Bet ti na Fried rich

Knaus

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Pa ri noush Sa niee

Was mir zu stehtRo man

Deutsch von Bet ti na Fried rich

Knaus

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Das Buch er schien un ter dem Ti tel »Sahme man« 2003 bei Roo zba han, Iran.Die ita li e ni sche aus ga be er schien un ter dem Ti tel

»Quello che mi spetta« 2010 bei Garz an ti Li bri, mi la no.Die eng li sche aus ga be er scheint un ter dem Ti tel »Book of Fate«

2013 bei Litt le, Brown, Lon don.Die deut sche aus ga be folgt der ita li e ni schen bzw. der eng li schen Fas sung.

Ver lags grup pe Ran dom House FSC-DEU® n001967Das für die ses Buch ver wen de te FSC®-zer tifi zier te Pa pier

EOS lie fert Sal zer Pa pier, St. Pöl ten, aust ria.

1. auf a geCo py right © der ori gi nal aus ga be

by Pa ri noush Sa niee 2003Co py right © der deutsch spra chi gen aus ga be2013 beim alb recht Knaus Ver lag, mün chen,in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH

Ge setzt aus der Sabon von Buch-Werk statt GmbH, Bad aib lingDruck und Bin dung: GGP me dia GmbH, Pöß neck

ISBn 978-3-8135-0524-5

www.knaus-ver lag.de

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Das Buch er schien un ter dem Ti tel »Sahme man« 2003 bei Roo zba han, Iran.Die ita li e ni sche aus ga be er schien un ter dem Ti tel

»Quello che mi spetta« 2010 bei Garz an ti Li bri, mi la no.Die eng li sche aus ga be er scheint un ter dem Ti tel »Book of Fate«

2013 bei Litt le, Brown, Lon don.Die deut sche aus ga be folgt der ita li e ni schen bzw. der eng li schen Fas sung.

Ver lags grup pe Ran dom House FSC-DEU® n001967Das für die ses Buch ver wen de te FSC®-zer tifi zier te Pa pier

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by Pa ri noush Sa niee 2003Co py right © der deutsch spra chi gen aus ga be2013 beim alb recht Knaus Ver lag, mün chen,in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH

Ge setzt aus der Sabon von Buch-Werk statt GmbH, Bad aib lingDruck und Bin dung: GGP me dia GmbH, Pöß neck

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Ge wid met mei nen wun der ba ren El tern, von de nen ich das Le ben

zu lie ben ge lernt habe, und mei nem Ehe mann, der mir stets ein treu er Ge fähr te

und eine zu ver läs si ge Stüt ze ge we sen ist.

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Das Be neh men mei ner Freun din Par va neh brach te mich im mer wie der aus der Fas sung. Sie war in kei ner Wei se um die Ehre und den Ruf ih res Va ters be sorgt. auf der Stra ße sprach sie mit lau ter Stim me, und sie blieb ste hen, um sich die aus la gen der Ge schäf-te an zu se hen. Wenn ir gend et was ihre auf merk sam keit er reg te, zeig te sie mit dem Fin ger da rauf. Ich sag te ihr stän dig, dass das un schick lich sei, aber sie hör te nicht auf mich. Ein mal rief sie mich so gar von der an de ren Stra ßen sei te her an: Sie schrie mei-nen na men, so dass ich am liebs ten vor Scham im Bo den ver-sun ken wäre. Zum Glück war kei ner mei ner Brü der in der nähe, Gott weiß, was sonst pas siert wäre.

nach dem wir von Ghom nach Te he ran ge zo gen wa ren, gab agha Jun – mein »Herr Va ter« – mir die Er laub nis, zur Schu le zu ge-hen, und als ich ihm er zähl te, dass kei nes von den an de ren mäd-chen den Schador trug und dass sie mich des we gen auf zogen, ließ er zu, dass ich nur mit man teau und ru sa ri, Staub man tel und Kopf tuch, vor den Bli cken frem der män ner ge schützt aus dem Haus ging. Ich muss te ihm aber ver spre chen, mich ge sit tet zu be neh men und ihm kei ne Schan de zu ma chen. Ich ver si cher te ihm, dass ich wüss te, wie ich, auch ohne mich zu ver hül len. sei ne Ehre da vor be wah ren konn te, Scha den zu neh men.

Ich hat te es mei nem on kel ab bas zu ver dan ken, dass man mir das al les zu ge stand. Ich hör te ihn ein mal zu mei nem Va ter sa gen: »Da dash – Bru der –, wich tig ist, dass ein mäd chen von sei nem We sen her gut ist, nicht ob sie sich ver schlei ert oder nicht. Wenn sie ei nen schlech ten Cha rak ter hät te, dann, da kannst du dir si-cher sein, wür de ein Schador sie auch nicht da ran hin dern, al les mög li che an zu stel len, was dei ne Ehre für im mer be fe cken wür-

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de! Wo ihr jetzt in Te he ran lebt, müsst ihr euch an un se re Bräu-che hal ten. Die Zei ten, in de nen ein mäd chen ins Haus ver bannt wur de, sind vor bei. Er lau be ihr, die Schu le zu be su chen und sich wie alle an de ren an zu zie hen, sonst wird sie zu de ren Ge spött.«

mein on kel ab bas war wirk lich ein auf ge klär ter mensch. Er wohn te schon seit un ge fähr zehn Jah ren in Te he ran und war nur noch zu uns nach Ghom ge kom men, wenn je mand aus der Fa mi lie ge stor ben war. na neh Jun, mei ne Groß mut ter – möge ihre See le in Frie den ru hen –, bat on kel ab bas je des mal, wenn er wie der in sei ne alte Hei mat stadt zu rück ge kehrt war, sie doch öf ter zu be su chen. Er er wi der te dann im mer in scherz haf tem Ton: »Was soll ich hier denn bloß, mama? Sagt doch un se ren Ver wand ten, sie sol len häu fi ger ins bes se re Da sein über wech seln, da mit ich öf ter an lass habe, nach Ghom zu fah ren.«

aus Ent set zen über sein res pekt lo ses Ge re de schlug na neh Jun sich dann selbst ins Ge sicht, so hef tig, dass rote male zu-rück blie ben, die erst nach ein paar Stun den wie der ver gin gen.

Die Frau von on kel ab bas stamm te aus Te he ran, und wenn sie auch bei ih ren Be su chen in Ghom ei nen Schador trug, wuss ten alle ge nau, dass sie sich in der Stadt nicht so klei de te, wie der an stand es ge bot. Und ihre Töch ter erst! Die wuss ten noch nicht ein mal, was »an stand« be deu te te.

als mei ne Groß mut ter starb, wur de das Haus, in dem mein Va ter sei ne Kind heit ver bracht hat te, ver kauft, und je der Erbe er hielt den ihm zu ste hen den an teil aus ge zahlt. Da mals re de-te on kel ab bas auf mei nen Va ter ein, dass wir eben falls in die Haupt stadt zie hen soll ten. »Bru der, das hier ist nicht mehr der rich ti ge ort für dich, komm doch auch nach Te he ran, lass uns un se re an tei le am Erbe zu sam men wer fen und ge mein sam ein Ge schäft er öff nen. Ich wer de mich per sön lich da rum küm mern, dass du ein Haus in der nähe vom La den fin dest, in dem ihr alle woh nen könnt. Ich wer de al les tun, da mit du und die Dei nen es zu Wohl stand bringen, denn, sei en wir doch ehr lich, Geld, rich-ti ges Geld kann man nur in Te he ran ver die nen.«

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an fangs wi der setz te mah mud, mein äl tes ter Bru der, sich. Er mein te, in Te he ran wür de man un wei ger lich vom rech ten Weg ab kom men und sei nen Glau ben ver lie ren. ah mad, mein zweit-äl tes ter Bru der, hin ge gen war be geis tert. »Das ist es, wir zie hen nach Te he ran, in der gro ßen Stadt wer den wir alle es zu et was brin gen!«

Die mama wie de rum – die wir im mer als Kha num Jun, »Frau mut ter«, an re de ten – mach te sich Sor gen um uns mäd chen. »In Te he ran wer den sie kei nen an stän di gen Ehe mann fin den, kei ner kennt uns dort. al les, was wir be sit zen, ist hier, und auch alle Ver wand ten und Be kann ten le ben hier. masu meh hat ja die mit-tel stu fe in der Schu le hin ter sich ge bracht und so gar noch ein zu sätz li ches Jahr ab sol viert, und es ist da her an der Zeit, dass sie hei ra tet. Fati muss bald ein ge schult wer den, und nur Gott weiß, was al les ge sche hen kann, wenn sie in Te he ran zur Schu le geht. alle sa gen doch, wenn ein mäd chen in Te he ran auf wächst, nimmt es ein schlim mes Ende mit ihm!« mein Bru der ali, der die drit te Klas se der Grund schu le be such te, misch te sich groß-tu e risch ein und er klär te, dass er es auf sich neh men wür de, auf mei ne Schwes ter Fati auf zu pas sen. Und um sei ne au to ri tät un-ter Be weis zu stel len, ver setz te er ihr ei nen Tritt, ob wohl sie ganz ru hig auf dem Fuß bo den saß und spiel te. Sie schrie auf, doch kei ner be ach te te sie, au ßer mir. Ich nahm sie in die arme, um sie zu trös ten, und fauch te, es sei doch dumm zu glau ben, alle Te he ra ner mäd chen be näh men sich al lein des we gen schlecht, weil sie dort leb ten.

ah mad, der plötz lich ganz ver rückt da nach war, nach Te he-ran zu zie hen, be ru hig te mei ne mut ter. »Wenn masu meh das Pro blem dar stellt, dann ver hei ra ten wir sie noch hier in Ghom und zie hen erst da nach nach Te he ran. Das wäre so wie so bes ser – wir wä ren dann eine Sor ge los. Fati hin ge gen, die ver trau en wir alis ob hut an: Der Jun ge wird schon fer tig mit ihr.« Er gab sei-nem klei nen Bru der ei nen kum pel haf ten Klaps auf die Schul ter und mein te: »Der Bur sche hat Ehre im Leib.« Ich fühl te mich plötz lich ster bens e lend. ah mad war seit je her da ge gen ge we sen, dass ich mit der Schu le wei ter mach te, vor al lem auch des we gen,

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weil es ihm selbst im mer an Fleiß und Ehr geiz ge man gelt hat te. Er war mehr als ein mal sit zen ge blie ben, bis er dann ganz mit der Schu le auf ge hört hat te, und des we gen woll te er nicht, dass ich wei terlern te und ihn auf die se Wei se über fü gel te. auch die Groß mut ter – möge ihre See le in Frie den ru hen – moch te sich nie da mit ab fin den, dass ich so viel ler nen woll te. Sie schimpf te im mer wie der mit mei ner mut ter: Ich ver stün de nichts von der Haus ar beit und tau ge des we gen auch nicht zur Ehe frau. »Du wirst se hen, wenn sie zur Fa mi lie ih res Gat ten zieht, dann schi-cken sie sie uns nach spä tes tens ei nem mo nat zu rück.« Und zu mei nem Va ter sag te sie: »Wa rum in ves tierst du so viel in die ses mäd chen. Das lohnt sich doch nicht; sie wird uns ver las sen … sie wird bald ei nem an de ren ge hö ren.«

mit sei nen fast zwan zig Jah ren hat te mein Bru der ah mad noch nichts zu stan de ge bracht. Er soll te ei gent lich sei nen Le bens un-ter halt als Ge hil fe im Ge schäft von on kel astol lah im Ba sar ver-die nen, trieb sich aber meis tens auf den Stra ßen he rum. Er war das ge naue Ge gen teil von mah mud, der den gan zen Tag im La-den von aga mozaf far schuf te te und auf den man sich sei nem ar beit ge ber zu fol ge voll und ganz ver las sen konn te. mein Va ter war stolz da rauf, dass es ei gent lich mah mud war, der den La-den »schmiss«, wie man so sagt. mah mud war nur zwei Jah re äl ter als ah mad, wirk te aber viel rei fer. Er war tiefgläu big, ver-gaß nie zu be ten und be folg te alle re li gi ö sen Ge bo te. Des we gen hiel ten ihn alle für äl ter, als er wirk lich war.

Un se re mama hoff te, dass er Cou si ne Eh te ramsa dat hei ra-ten wür de, die aus sehr gu tem Hau se stamm te – es hieß, sie sei eine Sey yed, eine nach fah rin des Pro phe ten –, doch ich wuss-te, dass er bis über bei de oh ren in mah bu beh, eine Cou si ne vä ter li cher seits, ver liebt war. Je des mal wenn mah bu beh zu uns zu Be such kam, wur de mah mud bis un ter die Haar wur-zeln rot und fing zu stot tern an. Dann drück te er sich in eine Ecke und be äug te sie von dort aus ver stoh len und lüs tern, vor al lem wenn ihr der Schador vom Kopf glitt. Und mah bu beh be saß ein so aus ge las se nes und un be schwer tes We sen, dass sie

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oft nicht auf ih ren Schador ach te te. Wenn mei ne Groß mut ter dann schimpfte: »Schäm dich! Hier sind un ver hei ra te te jun ge män ner zu ge gen«, dann ki cher te sie nur und ant wor te te, dass die se doch wie Brü der für sie sei en. Ich wuss te aber, dass mah-mud, kaum dass sie wie der ge gan gen war, sich min des tens zwei Stun den lang ins Ge bet ver senk te und al lah um Ver ge bung bat: Er hat te sich be stimmt ir gend ei ner sün di gen Fan ta sie vor stel-lung hin ge ge ben.

Der ge plan te Um zug nach Te he ran war, wie ge sagt, an lass für Strei te rei en und Dis kus si o nen. Ei nig schie nen sich alle nur be-züg lich ei ner Sa che zu sein: näm lich dass sie mich vor her noch in Ghom ver hei ra ten müss ten, um mich los zu wer den. Sie ta ten bei na he so, als war te te ganz Te he ran nur da rauf, mich ins Ver-der ben zu stür zen. Je den Tag pil ger te ich zum Grab der hei li-gen Fa ti mah al-masu meh, de ren na men ich trug, und feh te sie um Hil fe an. Sie möge mir bei ste hen, dass ich mit den an de ren in die Haupt stadt zie hen und dort mei ne aus bil dung fort set zen dür fe. mit Trä nen in den au gen jam mer te ich da rü ber, nicht als Jun ge auf die Welt ge kom men oder wie meine Schwes ter Zari als Kind an Diph the rie ge stor ben zu sein.

Zum Glück wur den aber mei ne Ge be te er hört, und wäh rend je ner letz ten Wo chen in Ghom klopf te kein Be wer ber um mei ne Hand an un se re Haus tür. mein Va ter brach te nach und nach alle ge schäft li chen an ge le gen hei ten zum ab schluss, und on kel ab-bas mie te te in Te he ran ein Haus in der Gor gan-Stra ße für uns. Das ein zi ge un ge lös te Pro blem stell te mei ne Per son dar. mei ne mut ter spiel te je des mal, wenn sie im Haus an de rer Leu te ei nem mann be geg ne te, der ihr ak zep ta bel er schien, da rauf an, dass es für mich an der Zeit sei, ir gend wo »un ter zu kom men«, und ich wur de dann im mer hoch rot vor Scham und Wut. Doch die hei-li ge masu meh ver gaß mich, Gott sei es ge dankt, nicht, und kein hei rats wil li ger Jung ge sel le er schien auf un se rer Schwel le.

Das Ge rücht, dass ich be reit sei, eine Ehe ein zu ge hen, drang aber, ich weiß nicht, wie, bis zu ei nem frü he ren Ver eh rer von mir vor. Die mei nen hat ten ihn da mals für un ge eig net be fun den, da

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er schon ein mal ver hei ra tet ge we sen war und sich hat te schei-den las sen. Jetzt sah plötz lich al les ganz an ders aus: Im Grun de war es doch ohne Be deu tung, wenn der mann, den ich hei ra te te, ge schie den war, oder? Das Wich tigs te war, dass sie mich ir gend-wie loswurden. au ßer dem leb te der Herr in bes ten fi nan zi el len Ver hält nis sen und war noch ziem lich jung. Und eigent lich war es auch ohne Be lang, dass nie mand wuss te, wa rum er sich be-reits we ni ge mo na te nach der Hoch zeit wie der von sei ner Frau ge trennt hat te. Wen ging das schon et was an?

Sein Ge sicht wirk te fins ter auf mich, und er föß te mir ir gend-wie angst ein. als mir klar wur de, was mir droh te, warf ich mich trä nen ü ber strömt vor mei nem Va ter zu Bo den und feh te ihn an, mich mit nach Te he ran zu neh men. Tat säch lich ge lang es mir, ihn zu ei nem Sin nes wan del zu be we gen. Letzt lich war mein Va ter mir ge gen über mit füh lend und woll te im mer mein Bes tes, auch wenn ich nur eine Frau war.

mei ne mut ter sag te, nach dem Tod von Zari habe der Va ter be gon nen, sich mehr um mich zu küm mern – oder zu sor gen –, als nor mal war. Ich war näm lich sehr dünn, und er hat te angst, ich könn te eben falls ster ben. Er glaub te, weil er nicht ge nü gend Dank bar keit für die Ge burt mei ner Schwes ter Zari be kun det habe, habe Gott mit ihm ge zürnt und sie ihm wie der ge nom men. Viel leicht hat te er sich auch über mei ne Ge burt nicht son der lich ge freut. Was mich be traf, so lieb te ich ihn je den falls aus tiefs tem Her zen, und es war mir im mer so vor ge kom men, als ver stün de er mich als Ein zi ger von der gan zen Fa mi lie. Wenn er von der ar-beit nach Hau se kam, griff er sich im mer ein Hand tuch und ging zum hoz, dem gro ßen Was ser be cken, das sich mit ten im Gar-ten be fand. Er säu ber te sich die Füße, wo bei er sich auf mei ne Schul ter stütz te, und nach dem er sich auch die Hän de und das Ge sicht ge wa schen hat te, nahm er das Hand tuch, das ich ihm hin hielt. Er schau te mich da bei aus sei nen brau nen au gen vol ler Wär me an, um mir zu zei gen, dass er mich moch te und es gut mit mir mein te. mich über kam dann das Ver lan gen, die arme um ihn zu schlin gen, ihn ganz fest zu drü cken und ihm ei nen Kuss zu ge ben, aber das durf te ich ja nicht, weil es sich nicht ge hört,

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dass ein mäd chen in der Öf fent lich keit ei nen mann küsst, auch wenn es der ei ge ne Va ter ist.

agha Jun ließ sich also er bar men und ver sprach mir, mich mit nach Te he ran zu neh men. Ich schwor ihm, dass ich mich dort gut be tra gen und sei ne Ehre hoch hal ten wür de.

Doch mit dem Um zug nach Te he ran war kei nes wegs das Ende mei ner Prob le me ge kom men. mei ne bei den äl te ren Brü der wa-ren da ge gen, dass ich dort wei ter zur Schu le ging, und die mama war nicht da von ab zu brin gen, dass der Be such ei nes Schnei-der- und näh kur ses viel dring li cher und sinn vol ler sei. mit hil-fe er neu ten Schluch zens und Fle hens ge lang es mir, wiederum die Un ter stüt zung mei nes Va ters zu er lan gen, und ob wohl alle an de ren das für kei ne gute Idee hiel ten, schrieb er mich für die ach te Klas se ein.

Das Schul ge bäu de lag ein paar Häu ser blocks von un se rer Stra-ße ent fernt; zu Fuß brauch te man un ge fähr eine Vier tel stun de dort hin. ah mad war wü tend da rü ber, dass es mir ge lun gen war, mei nen Kopf durch zu set zen. Für ihn war je der Vor wand gut ge-nug, um mir ein paar schmerz haf te Knuffe zu ver pas sen. Da ich je doch wuss te, wie so es ihm so ge gen den Strich ging, dass ich wei ter die Schu le be such te, ließ ich es schwei gend über mich er-ge hen, wenn er sei nem Un mut Luft mach te. an fangs folg te er mir so gar heim lich bis zum Schul ge bäu de, und wäh rend die ser ers ten Zeit ach te te ich sorg fäl tig da rauf, dass ich ihm kei nen an lass gab, mir ir gend wel che Vor wür fe zu ma chen. mah mud ver hielt sich ganz an ders: Er sprach nicht mit mir, ja, er ig no-rier te mich völ lig.

Bei de fan den schließ lich eine ar beits stel le: mah mud im La-den des Bru ders von Herrn mozaf far und ah mad als Ge hil fe in ei ner Schrei ne rei in der nähe von Pi che Shem run. ah mad ge-wann auch vie le Freun de und ver brach te die frei en aben de mit ih nen, um dann spät in der nacht mit nach ar rak rie chen dem atem nach Hau se zu rück zu keh ren. agha Jun senk te dann bei sei nem Kom men den Kopf und er wi der te sei nen Gruß nicht.

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mah mud hin ge gen wand te sich ab und feh te Gott um Ver ge-bung für sei nen Bru der an. Kha num Jun wärm te ihm in al ler Eile das abend es sen auf und mur mel te: »mein Jun ge hat Zahn weh, er trinkt al ko hol, um die Schmer zen zu be täu ben …« Es wa ren merk wür dig hart nä cki ge Zahn schmer zen – sie schie nen je den-falls nie ganz weg zu ge hen. mei ne mut ter ent schul dig te fast alle sei ne Es ka pa den – ah mad war eben ihr Lieb ling.

au ßer mit Freun den in Schen ken rum zu hän gen, hat te der jun-ge Herr noch ei nen an de ren Zeit ver treib für sich ent deckt: näm-lich Par vin Kha num, un se re nach ba rin, von ei nem Fens ter im ers ten Stock aus zu be ob ach ten. Par vin Kha num ver brach te den größ ten Teil ih rer Zeit im Gar ten, wo sie im mer et was zu tun fand, wo bei ihr mit schö ner Re gel mä ßig keit der Schador auf die Schul tern rutsch te. ah mad stand ganz re gungs los am Fens ter und ließ sie nicht aus den au gen. Ein mal er tapp te ich die bei-den da bei, wie sie ver stoh le ne Bli cke wech sel ten.

Wie auch im mer: Dass ah mad mit an de rem be schäf tigt war und an de res im Kopf hat te, war mei ne Ret tung, denn nach ei ni ger Zeit ver gaß er völ lig, dass es mich gab. So gar als mein Va ter mir er laub te, mit man teau und ru sa ri zur Schu le zu ge hen, schimpf-te er nur ein, zwei Tage mit mir und ließ mich da nach in Ruhe. mah mud in des konn te sich über haupt nicht da mit ab fin den. Er sag te nichts, dis ku tier te nicht, doch es war son nen klar, dass ich für ihn die Fleisch ge wor de ne Sün de war. Er wür dig te mich kei-nes Bli ckes mehr.

mir war das aber al les völ lig egal: Ich ging zur Schu le, da rauf al lein kam es an. Und dann be kam ich bald auch die al ler bes ten no ten und schloss Freund schaft mit al len mei nen Klas sen ka me-ra din nen. Was sonst hät te ich mir vom Le ben er hof fen kön nen? Ich schweb te im sieb ten Him mel, vor al lem nach dem Par va neh zu mei ner Her zens freun din ge wor den war und wir uns ge schwo-ren hat ten, uns ge gen sei tig al les an zu ver trau en und kei ne Ge-heim nis se vor ei nan der zu ha ben.

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Par va neh be saß ein fröh li ches, un be schwer tes na tu rell und lach-te ger ne und oft. Sie war eine sehr gute Sport le rin und ge hör-te dem Vol ley ball team der Schu le an. In den an de ren Fä chern zeich ne te sie sich nicht be son ders aus. Sie war ohne Zwei fel ein bra ves mäd chen, wenn sie auch nur we nig da rauf ach te te, wie sie sich in der Öf fent lich keit ver hielt. Ja, man hät te sa gen kön-nen, dass sie den Un ter schied zwi schen gut und schlecht, rich tig und falsch nicht zu ken nen schien. Sie war nicht stän dig um den Ruf ih res Va ters be sorgt und emp fand nicht die ge rings te angst vor ih ren Brü dern. »manch mal krie gen wir uns in die Haa re, und wenn sie mich hau en, haue ich zu rück!«, er zähl te sie mit ei nem Lä cheln. al les er hei ter te und amü sier te sie, und das zeig-te sie, ganz egal, wo sie sich be fand, so gar auf of fe ner Stra ße. an schei nend hat te ihr nie mand bei ge bracht, dass ein mäd chen sei ne Zäh ne nicht se hen las sen darf, wenn es lacht, und dass es so lei se la chen soll te, dass es für an de re nicht zu hö ren ist.

Ich glau be aber, dass ich für sie ein ge nau so merk wür di ges We sen war, wie sie für mich. Wenn ich ihr sag te, dass ir gend et-was sich nicht »ge hör te«, dann schau te sie mich ver wun dert an und woll te wis sen, wa rum nicht. manch mal hielt sie mich wohl für eine rich ti ge Pro vinz le rin. Sie kann te alle au to mar ken und wünsch te, ihr Va ter wür de ei nen schwar zen Chev ro let kau fen. Ich wuss te noch nicht ein mal, wel ches von den vie len ver schie-de nen au tos, die man auf Te he rans Stra ßen sah, ein Chev ro let war, frag te sie aber auch nicht, weil ich nicht als Dumm kopf da ste hen woll te.

als ich ein mal ei nen fun kel na gel neu en schwar zen Wa gen ent-deck te, den ich be son ders schick fand, wies ich sie auf ihn hin und sag te: »Par va neh, so ei nen Chev ro let wie den da hät test du ger ne, nicht wahr?« Sie lach te laut los, nach dem sie erst ei nen Blick auf das auto und dann auf mich ge wor fen hat te. »mein Gott, was für ein Dum mer chen du bist, ver wech selst ei nen Fiat mit ei nem Chev ro let!«, rief sie. Ich wur de rot bis un ter die Haar-wur zeln und wäre am liebs ten vor Scham im Bo den ver sun ken –

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ob des we gen, weil ich mei ne gan ze Un wis sen heit ge zeigt hat te oder weil ihr La chen so un ge hemmt über die Stra ße schall te, weiß ich nicht mehr.

Bei ihr zu Hau se gab es nicht nur ein Ra dio, son dern auch ei-nen Fern seher. Ich hat te bei on kel ab bas schon ein mal fern ge-se hen, wir selbst aber be sa ßen nur ei nen gro ßen Ra di o ap pa rat. So lan ge mei ne Groß mut ter leb te, und dann auch noch spä ter, wenn mah mud sich im Haus be fand, hör ten wir kei ne mu sik, weil bei de das als Sün de an sa hen, und zwar vor al lem dann, wenn eine Frau sang oder die me lo die recht be schwingt klang. mein Va ter und mei ne mut ter wa ren eben falls sehr fromm, aber nicht von ei ner sol chen Stren ge und Un beug sam keit in al len re li-gi ö sen Din gen wie mein Bru der. an ders als er, moch ten sie mu-sik, und so bald er aus dem Haus ge gan gen war, schal te te mama das Ra dio ein. Sie stell te es al ler dings nie laut, da mit die nach-barn es nicht hör ten – die Ehre der Fa mi lie hät te dann Scha den neh men kön nen.

Sie kann te aber so gar ein paar Lie der aus wen dig und sang sie bei der Kü chen ar beit lei se vor sich hin. als ich ihr je doch ein-mal Bei fall spen de te, ver stumm te sie schlag ar tig, aus angst, mein Bru der kön ne et was da von mit be kom men.

auch Papa stell te, wenn er von der ar beit nach Hau se kam, das Ra dio an, un ter dem Vor wand, die Zwei-Uhr-nach rich ten hö ren zu wol len. Wenn die dann zu Ende wa ren, ver gaß er aber re gel mä ßig, den ap pa rat wie der aus zu schal ten. Wenn tra di ti o-nel le per si sche Lie der ge sen det wur den, fing er, ohne es zu mer-ken, im Rhyth mus der mu sik mit dem Kopf zu ni cken an; und ich bin si cher, dass er ganz ver liebt in die Stim me von mar zieh war, denn wenn die aus dem Laut spre cher drang, kam ihm nie in den Sinn, dass es Sün de war, sol chen Lie dern zu lau schen. Wenn man hin ge gen die Stim me von Vi guen hör te, fiel ihm plötz lich wie der ein, dass er mos lem war, und er be gann dann auf den ar me ni schen Sän ger zu schimp fen und rief, wir soll ten den Kas-ten bloß aus ma chen. mir ge fiel Vig uens Stim me aber sehr, und er selbst er in ner te mich ein biss chen an on kel Hamid, wenn ich auch nicht ge nau wuss te, wa rum.

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on kel Hamid war ein fas zi nie ren der mann und ganz an ders als sei ne Brü der und Schwes tern. Vor al lem duf te te er im Un ter-schied zu den an de ren män nern im mer so gut nach Ra sier was-ser. als ich klein war, nahm er mich oft auf den arm und sag te zu mei ner mut ter: »Gut ge macht, Schwes ter. Da hast du wirk-lich ein nied li ches mäd el chen zur Welt ge bracht! Ein Glück, dass sie nicht dei nen Söh nen äh nelt, sie wür de sonst si cher als alte Jung fer en den.« »Was re dest du denn da, Bru der? mei ne Söh ne sol len häss lich sein? Sie sind nicht we ni ger schön als an de re, ihre Ge sich ter sind wohl ein biss chen dun kel, aber das ist ganz gut so«, ant wor te te sie. »Schließ lich muss ein mann nicht hübsch aus se hen, son dern fins ter gu cken kön nen. Es heißt doch seit je-her, ein mann müs se reiz los, häss lich und streit lus tig sein.« Die letz ten Wor te sang sie und be en de te so das Ge plän kel mit on kel Hamid, der in zwi schen in Ge läch ter aus ge bro chen war.

Ich sah mei nem Va ter und mei ner Tan te sehr ähn lich. man hielt mich und mei ne Cou si ne mah bu beh oft für Schwes tern – da bei war sie viel schö ner als ich. Sie be saß ei nen wohl ge run de ten Kör per, ich hin ge gen war sehr ma ger. Und wäh rend ihre Haa re sich in Löck chen um ihr Ge sicht krin gel ten, fie len mei ne ein fach glatt he run ter, al ler Ver su che, sie zu kräu seln, zum Trotz. Wir hat ten aber bei de leuch tend grü ne au gen und eine schö ne wei ße Haut, und auf un se ren Wan gen bil de ten sich Grüb chen, wenn wir lä chel ten. Ihre Zäh ne stan den al ler dings et was schief und nicht so ge ra de wie die mei nen. Sie sag te im mer wie der nei disch zu mir: »Du Glück li che, mit dei nen ma kel lo sen wei ßen Zäh nen.«

mei ne mut ter und die mit glie der ih rer Fa mi lie sa hen ganz an ders aus: Sie wa ren fast alle von dunk le rer Haut far be, hat ten schwar ze au gen und eben sol che au gen brau en. au ßer dem neig-ten sie alle zur Fül le, wenn auch nicht ganz so wie Tan te Gha-mar, die wirk lich fett war. Trotz dem wa ren sie nicht häss lich, vor al lem mama nicht, die, wenn sie sich die au gen brau en zupf te und sich ein biss chen zu recht mach te, ge nau so aus sah wie die ab bil dun gen von Khors hid Kha nun, der »Her rin der Son ne«, auf un se rem Ess ser vice. Ei nen ih rer mund win kel schmück te ein nied li ches klei nes mut ter mal, und sie er zähl te gern, dass un ser

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Va ter, als er ge kom men war, um sie als Braut zu ge win nen, sich un sterb lich in sie ver lieb te, nach dem er ge nau die sen Schön heits-feck ent deckt hat te.

Ich er in ne re mich ge nau, wie es war, als on kel Hamid sich auf den Weg nach West eu ro pa mach te, um dort zu le ben. Ich muss da mals acht oder neun Jah re alt ge we sen sein. Beim ab-schied neh men um arm te er mei ne mut ter und sag te zu ihr: »Ich bit te dich, Schwes ter, ver hei ra te die se dei ne klei ne Blu me nicht zu früh. Das wäre jam mer scha de. Lass sie erst et was ler nen und zu je man dem wer den.«

on kel Hamid war der Ers te aus un se rer Fa mi lie, der ins aus-land ging. Ich hat te nicht die ge rings te Vor stel lung, was das ei gent lich war: das Aus land. Ich glaub te, es müs se so was Ähn-li ches wie Te he ran sein, nur ein biss chen wei ter weg. manch mal schick te Hamid aziz Jun, sei ner mut ter, Brie fe und schö ne Fo tos, alle in ei nem Gar ten vol ler Bäu me und Blu men auf ge nom men, in dem Grün die vor herr schen de Far be war. Dann kam ein Brief mit ei nem Foto, das ihn ne ben ei ner blon den Frau ohne Scha-dor zeig te: Er hat te ge hei ra tet. Ich wer de je nen Tag nie mals ver-ges sen. Es war schon nach mit tag, als aziz Jun zu uns kam, um sich von mei nem Va ter den Brief vor le sen zu las sen. Er saß auf ei nem gro ßen Kis sen und ging den Brief erst ein mal schwei gend für sich selbst durch. Plötz lich rief er aus: »Sieh an, auch Hamid hat eine Fa mi lie ge grün det, und das auf dem Foto ist sei ne Frau.«

aziz Jun schwan den die Sin ne, und na neh Jun, mei ne an de-re Groß mut ter, die sich nie gut mit ihr ver stan den hat te, zog sich den Schador vor den mund und be gann heim lich zu la-chen. mei ne mut ter schlug sich mit der Hand auf die Stirn; sie wuss te nicht, ob sie aziz Jun zu Hil fe kom men oder ih rer seits in ohn macht fal len soll te. aziz kam schließ lich wie der zu sich, und nach dem sie ziem lich viel Zu cker was ser ge trun ken hat te, frag te sie: »aber das sind doch al les Un gläu bi ge dort, oder?«

agha Jun ant wor te te ach sel zu ckend: »So ganz un gläu big sind sie auch nicht. an ir gend et was glau ben sie; sie sind … ar me ni er, ja ge nau, das ist es, was sie sind.«

aziz Jun schick te sich an, sich an den Kopf zu schla gen, doch

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mei ne mut ter hielt sie da von ab, in dem sie ihre Hän de er griff und ihr ver si cher te, Hamid habe sei ne Frau ohne Zwei fel zum rech-ten Glau ben be kehrt; je der mul lah wür de ihr be stä ti gen, dass ein mos le mi scher mann eine Un gläu bi ge zur Frau neh men und sie be keh ren kön ne – wo mit er sich als über aus barm her zig er wei se.

aziz Jun sah sie mit mü dem Blick an, aber sie glaub te ihr. Schließ lich hat ten auch die ae mme at har, die mit glie der die ser al ten Fa mi lie, de ren Ur sprung auf die Zei ten des Pro phe ten zu-rück ging, Frau en ge hei ra tet, die kei ne mus li ma wa ren.

agha Jun mein te lä chelnd: »Insh al lah, so Gott will, wer den sie zu sam men glück lich sein. Wann wer det Ihr ein Fest zu Hamids und sei ner Braut Eh ren ver an stal ten? Wenn die Braut aus län de-rin ist, muss man sich das doch ei ni ges kos ten las sen.«

na neh Jun run zel te die Stirn, als sie ihn das sa gen hör te. Sie war nicht be geis tert da von, dass jetzt eine aus län de rin zur Fa-mi lie ge hör te, und zwar eine, die noch nicht ein mal un se re Spra-che be herrsch te und nicht den Un ter schied zwi schen rein und un rein kann te.

aziz hin ge gen hat te ihre Fas sung wie der ge won nen. Und als sie sich er hob, um zu ge hen, sag te sie: »Die Braut bürgt für den Fort be stand der Fa mi lie. Wir sind nicht wie ge wis se an de re, die die ei ge ne Schwie ger toch ter nicht zu schät zen und zu eh ren wis-sen und glau ben, in ihr eine art Skla vin ge fun den zu ha ben. Wir he ben sie in den Him mel und zei gen sie vol ler Stolz al ler Welt, zu mal wenn sie aus län de rin ist.«

na neh konn te solch groß tu e ri sches Ge re de ein fach nicht schwei gend mit an hö ren. »ach ja, man sieht ja, wie Ihr die Frau von Eu rem Sohn astol lah in den Him mel ge ho ben habt. Und es ist gar nicht si cher, dass Hamids Frau zum Is lam über ge tre-ten ist. Viel leicht ver hält es sich in Wirk lich keit so, dass er zu ei nem Gott lo sen ge wor den ist. Im Grun de wür de ei nen das ja nicht wun dern … Hamid ist nie ein über zeug ter mus lem ge we-sen, sonst wäre er be stimmt nicht in ein Land der Un gläu bi gen ge zo gen«, mein te sie bos haft.

mein Va ter schritt ein, be vor es zu ei nem ernst haf ten Streit zwi schen den bei den al ten Frau en kom men konn te.

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aziz gab schließ lich ei nen gro ßen Emp fang. Sie ließ das Bild von Hamids Frau rah men und häng te es an die Wand. Vor an-de ren prahl te sie mit ih rer eu ro pä i schen Schwie ger toch ter, doch ins ge heim heg te sie Zwei fel, was die se be traf. noch auf dem To-ten bett frag te sie mei ne mut ter, ob es wirk lich si cher wäre, dass Hamids Frau mus li ma ge wor den sei, und nicht etwa sie ihn zur »ar me ni schen Re li gi on« be kehrt habe.

nach ih rem Da hin schei den hör ten wir nur noch sel ten et was von on kel Hamid.

Ein mal nahm ich die Fo tos, die er ge schickt hat te, mit zur Schu le und zeig te sie mei nen Klas sen ka me ra din nen. Par va neh war ganz fas zi niert von ih nen und mein te, mein on kel habe doch gro ßes Glück, wenn er in Eu ro pa lebe; auch sie wür de ger-ne dort hin zie hen.

Par va neh kann te eine men ge Lie der und war eine gro ße Be-wun de rin von Delk ash. Die eine Hälf te der mäd chen in der Schu le schwärm te für Delk ash und die an de re für mar zieh. Ich muss te na tür lich für Delk ash sein, wenn ich wei ter Par va nehs Freun din blei ben woll te. Sie kann te aber auch Sän ger und Sän-ge rin nen aus dem aus land, und bei ihr zu Hau se gab es so gar ei nen Plat ten spie ler. Ein mal zeig te sie ihn mir; für mich sah er wie ein Köf fer chen mit ro tem De ckel aus, aber es handelte sich, wie sie mir er klär te, um ein trag ba res mo dell.

Das Schul jahr war noch nicht zu Ende, und ich hat te schon viel ge lernt. Par va neh lieh sich oft mei ne Hef te und auf zeich-nun gen aus, und manch mal lern ten wir ge mein sam. Sie war ein an spruchs lo ses und ent ge gen kom men des mäd chen und im mer be reit, mich zu besuchen. Es mach te ihr nichts aus, dass un ser Haus klein und die Ein rich tung be schei den war. Vom Ein gangs-tor aus ge lang te man über drei Stu fen in den Gar ten, in des sen mit te sich ein recht e cki ges Be cken be fand, das auf der ei nen Sei-te von ei nem Blu men beet und auf der an de ren von ei ner lan gen höl zer nen Bank fan kiert war. am Ende des Gar tens lagen die zu je der Ta ges zeit fast licht lo se Kü che und da ne ben das Bad. Wir muss ten uns in Te he ran nicht mehr an der Pum pe ne ben dem

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Be cken wa schen, wie wir es in Ghom ge tan hat ten. Links hin ter dem Ein gangs tor führ ten wei te re Stu fen – vier an der Zahl – zu ei nem klei nen Vor hof, von dem zwei Zim mer ab gin gen und von dem aus auch eine Trep pe in den ers ten Stock führ te, wo man in zwei wei te re, hin ter ei nan der ge le ge ne Räu me ge lang te. Der eine, der als Wohn raum diente, be saß zwei Fens ter, von de nen man auf den Gar ten und das Haus von Par vin Kha num blick te. Von dem an de ren Raum, dem Zim mer von ah mad und mah mud, schau te man hin ge gen auf den klei nen Hof und den Gar ten des Hau ses hin ter dem un se ren.

Wenn Par va neh mich be such te, gin gen wir nach oben in den Wohn raum. Dort gab es nicht viel mo bi li ar, nur ei nen run den Glas tisch mit sechs Stüh len auf ei nem gro ßen ro ten Tep pich und in ei ner der Ecken ei nen von Tep pi chen und Kis sen um ge be nen dick bäu chi gen Ka no nen ofen. Das Prunk stück stellte ein Wand-be hang dar, auf den ein Ge bet ge stickt war. Es gab auch noch eine Wand kon so le, auf der ein von Kha num Jun hand ge stick tes Deck chen lag und der Spie gel so wie die bei den Ker zen hal ter, die von ih rer Hoch zeit stamm ten, stan den.

Par va neh und ich hock ten uns auf die Kis sen, schwatz ten mit-ei nan der und lach ten – und hin und wie der lern ten wir auch. mir war es streng ver bo ten, sie in ih rem Haus auf zu su chen. ah mad hat te ver fügt, dass ich kei nen Fuß in das Haus »je nes mäd chens« set zen dür fe, weil sie ei nen er wach se nen Bru der habe und vor al lem weil sie ein fri vo les Ge schöpf sei. Er schwe-rend kam noch hin zu, dass ihre mut ter kei nen Schador trug. Ich ant wor te te je des mal: »Wer trägt denn in die ser Stadt ei nen?«, hat te aber angst, das laut zu sa gen, und mur mel te es des halb nur un deut lich vor mich hin.

als ich Par va neh er zähl te, dass mei ne Brü der mir nicht er-laub ten, ihr Haus zu be tre ten, war sie ganz ver blüfft und woll te den Grund wis sen. »Weil du ei nen Bru der hast«, ant wor te te ich. Doch sie ver stand im mer noch nicht, vor al lem auch des halb, weil ihr Bru der, wie sie mein te, doch noch klein sei; er war ein Jahr jün ger als sie und ich. Ich ver such te ihr klar zu ma chen, dass

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er da mit schon zu er wach sen war, als dass der an stand mir er-laubt hät te, mich mit ihm in ei nem Raum auf zu hal ten; doch ich glau be, dass sie ein fach kein Ver ständ nis für un se re Sit ten und Bräu che hat te. Wie auch im mer: Sie for der te mich da nach nicht mehr auf, sie zu be su chen.

Ei nes Tages woll te Par va neh mir aber ein paar num mern der Zeit schrift Zaneh Ruz – Die Frau von heu te – lei hen, wes we gen ich mich ein ver stan den er klär te, sie zu ih rem Haus zu be glei ten und mit he rein zu kom men, wenn auch nur für ein paar mi nu ten. Ich war be ein druckt von der ge schmack vol len Ein rich tung. Sie be sa ßen eine men ge schö ner Din ge, und an den Wän den hin-gen vie le Bil der von Land schaf ten oder weib li chen Ge stal ten. Im Wohn raum stan den gro ße dun kel blaue Ses sel und Samt di wa ne; die Vor hän ge wa ren von der glei chen Far be und aus dem glei-chen ma te ri al. Die Fens ter gin gen auf den Gar ten hi naus, und das Spei se zim mer war vom Wohn raum durch ei nen reich ver-zier ten Pa ra vent ab ge trennt. In ei nem an de ren Zim mer stand vor ei ni gen kom for tab len Ses seln der Fern seh ap pa rat. Vom Flur aus führ ten Tü ren so wohl in die Kü che als auch ins Bad: man muss te nicht wie bei uns erst durch den Gar ten ge hen, egal, ob es bit ter kalt oder glü hend heiß war, wenn man das Bad be nut-zen woll te. Die Schlaf zim mer be fan den sich im Stock werk da-rü ber. Par va neh und ihre jün ge re Schwes ter Farza neh hat ten ein Zim mer ganz für sich, die Glück li chen!

Bei uns war kaum ge nug Platz für alle. ob wohl es dort vier Zim mer gab, leb ten wir im Grun de alle in dem gro ßen Raum im Erd ge schoss. In ihm aßen wir zu mit tag und zu abend, und im Win ter stell ten wir dort den kor si auf, ei nen nied ri gen Tisch, der von un ter der Plat te an ge brach ten elekt ri schen Heiz stä ben er wärmt wur de und auf dem eine di cke De cke lag. Um ihn he-rum la gen mat rat zen und Kis sen so aus ge brei tet, dass min des-tens zwan zig Per so nen die Bei ne un ter ihn stre cken und sich wär men konn ten. In der nacht schlie fen in die sem Zim mer Fati, ali und ich. Im ne ben zim mer stan den ein gro ßes Holz bett mit mat rat ze, La ken und Kis sen, in dem mama und Papa schlie fen, und ein ge wal ti ger Schrank mit al len un seren Klei dern und al lem

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mög li chen Krims krams. Im Wohn zim mer, dem größ ten Raum im ober ge schoss, stand ein Bü cher re gal. Je der von uns konn te über ein Brett ver fü gen, doch ich hat te so vie le Bü cher, dass ich zwei in an spruch nahm.

Kha num Jun, die nicht le sen konn te, schau te sich gern die Bil-der in Za neh Ruz an, aber sie ach te te da rauf, dass die Zeit-schrift nicht agha Jun oder mah mud in die Hän de fiel. mich be geis ter ten vor al lem die Fort set zungs ro ma ne und die »of fe-nen« Ge schich ten. Das wa ren sol che, de ren aus gang die Le se-rin nen selbst be stim men konn ten. Ich er zähl te den In halt die ser Ge schich ten mei ner mut ter mit sol cher In brunst, dass sie ganz er grif fen war und wir nicht sel ten ge mein sam die eine oder an-de re Trä ne ver gos sen. Ich hat te mit Par va neh ver ein bart, dass sie mir die Il lust rier te jede Wo che zu kom men las sen wür de, wenn sie selbst sie ge le sen hat te.

Die ab schluss prü fun gen des letz ten Tri mes ters lie fen sehr gut für mich, und in der Schu le über schüt te ten sie mich ge ra de-zu mit Lob, doch zu Hau se schien kei ner mei ne Leis tun gen zu wür di gen. mei ne mut ter be griff noch nicht ein mal, wo von ich re de te, Bru der mah mud mein te, das sei kei ne so groß ar ti ge Sa-che, wie ich glaub te, und mein Va ter sag te tro cken, wo ich schon so be gabt und klug sei, könn te ich auch gleich die Klas sen bes-te wer den.

mit dem Be ginn des Som mers sa hen Par va neh und ich uns nicht mehr so häu fig. an fangs kam sie noch, wenn mei ne Brü der nicht da wa ren, vor un ser Haus, und ich ging dann zu ihr, um mit ihr zu plau dern. aber Kha num Jun murr te stän dig da rü ber. Sie schien ver ges sen zu ha ben, dass da mals, als wir noch in Ghom leb ten, auch sie sich je den nach mit tag vor die Haus tür ge setzt hat te, um nüs se zu kna cken und bis zum Ein tref fen mei nes Va-ters mit den an de ren Frau en zu plau dern. In Te he ran hat te sie aber kei ne Freun din nen, und die nach ba rin nen moch ten sie nicht be son ders; sie muss te also not ge drun gen auf die alte Ge-

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wohn heit ver zich ten, und des we gen är ger te es sie, dass ich so lan ge mit mei ner Bu sen freun din re de te.

mei ne mut ter fühl te sich von an fang an nicht glück lich in Te he ran. Sie wie der hol te stän dig, dass wir nicht da für ge macht sei en, an ei nem sol chen ort, in ei ner gro ßen Stadt zu woh nen. au ßer dem leb ten alle un se re Ver wand ten in Ghom, und sie füh-le sich da her ein sam. Die Frau von on kel ab bas scher te sich nicht um un se re Sit ten und Bräu che, und mei ner mut ter zu fol-ge war sie auch zu hoch nä sig; des we gen wa ren die bei den nicht warm mit ei nan der ge wor den. Und wenn es schon schwie rig war, mit ei ner Ver wand ten Freund schaft zu schlie ßen, wie soll te man dann erst Frem den nä her kom men?

Sie murr te so viel und so lan ge, dass sie am Ende mei nen Va ter dazu brach te, uns über die Som mer fe ri en zu ih rer Schwes ter nach Ghom zu schi cken. Ich war über haupt nicht be geis tert von die-ser Idee und mein te nur vol ler Iro nie, wäh rend die an de ren ihre Fe ri en ir gend wo auf dem Land ver brach ten, wo die Luft küh ler war, zö gen wir of fen bar das sen gend hei ße Kli ma von Ghom vor.

mei ne mut ter sah mich schief an, run zel te die Stirn und sag-te vol ler Ver ach tung: »ach, hast du schon ver ges sen, wo du her-kommst? Wir ha ben dort das gan ze Jahr ver bracht, und es hat uns nichts aus ge macht, doch jetzt, wo wir für die paar Som mer-mo na te dort hin zu rück keh ren wol len, ist die jun ge Dame nicht ein ver stan den und ver langt nach ei nem an ge neh me ren auf ent-halts ort. Wir le ben hier nicht ein mal ein Jahr, und schon be nö tigt sie Er ho lung. Und ich hab mei ne arme Schwes ter seit un se rem Weg zug nicht mehr ge se hen, nichts mehr von mei nen Brü dern ge-hört und das Grab mei ner Lie ben nicht mehr be sucht. Du wirst se hen, wenn wir eine Wo che im Haus ei nes je den mei ner Ver-wand ten ver brin gen, wird der Som mer wie im Flug ver ge hen.«

mah mud war zwar da mit ein ver stan den, dass wir den Som-mer in Ghom ver brach ten, er woll te aber nicht, dass wir bei den Ver wand ten un se rer mut ter wohn ten, son dern die gan ze Zeit über bei der Schwes ter mei nes Va ters blie ben, da mit er un se re Cou si ne mah bu beh an den Wo chen en den se hen konn te, an de-nen er sich zu uns ge sel len wür de.

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also fuh ren wir in je nem Som mer nach Ghom, und ich ver-kniff es mir, wei ter da rü ber zu nör geln, vor al lem auch des we-gen, weil Par va neh und ihre Fa mi lie Te he ran eben falls ver lie ßen, um ih ren Groß va ter in Gol-ab-dar reh zu be su chen.

Zu Be ginn des mo nats Sahr ivar – Ende au gust also – kehr-ten wir in die Haupt stadt zu rück, weil ali in der Schu le in ei ni-gen Fä chern sehr schlech te no ten be kom men hat te und er das jetzt aus bü geln muss te, in dem er eine Son der prü fung ab leg te. Ich habe nie be grif fen, wa rum mei ne Brü der, was die Schu le be traf, im mer so faul ge we sen sind. Der arme agha Jun, er wünsch te sich doch so sehr, dass sei ne Söh ne Ärz te oder In ge ni eu re wür-den! Ich war je doch be geis tert über un se re frü he Rück kehr nach Te he ran, weil ich nicht mehr von ei ner Tan te zur nächs ten wei-ter ge reicht wer den woll te. Vor al lem im Haus der Schwes ter mei ner mut ter war es nicht aus zu hal ten. Dort ging es zu wie in ei ner mo schee, ja, schlim mer noch. Die Tan te tat nichts an de res, als zu fra gen, ob wir ge be tet hät ten, und schimpf te mit uns, weil wir an geb lich un se re Ge be te nicht so auf sag ten, wie es sich ge-hör te. au ßer dem ver ging kein Tag, an dem sie nicht ihre ei ge ne Re li gi o si tät und die der Fa mi lie ih res Gat ten, de ren männ li che mit glie der al le samt mul lahs wa ren, he raus strich.

Zwei Wo chen nach uns kehr ten auch Par va neh und ihre Fa-mi lie nach Te he ran zu rück, und als die Schu le be gann, war das Le ben für mich wie der so schön wie vor her. Es freu te mich, die Leh re rin nen und mit schü le rin nen wie derzuse hen. Ich war jetzt kein neu ling mehr und fühl te mich nicht mehr ein sam und ver-wirrt wie im Jahr zu vor. Ich war nicht mehr so ein ge schüch tert von all dem neu en, verstand mich aus zu drü cken und muss te nicht fürch ten, mich zu bla mie ren, wenn ich den mund auf-mach te. mit an de ren Wor ten: Ich wuss te so viel wie die an de-ren mäd chen in Te he ran und war ih nen ge wach sen, und all das ver dank te ich mei ner bes ten Freun din und Leh re rin: Par va neh.

In je nem Jahr ent deck te ich auch die Freu den des Le sens für mich: Par va neh und ich ver schlan gen ei nen Lie bes ro man nach

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dem an de ren, ver gos sen bei der Lek tü re Strö me von Trä nen, tausch ten die Bü cher aus und dis ku tier ten über sie.

Par va neh be saß ein be son de res Heft, eine art Po e sie al bum. alle mäd chen aus un se rer Klas se, ihre Freun din nen und Ver-wand ten hat ten et was zu ver schie de nen The men, die eine ih-rer Cou si nen in ele gan ter Schön schrift ne ben dazu pas sen den hüb schen Zeich nun gen auf ge lis tet hat te, bei ge steu ert. Vol ler Be-geis te rung la sen wir ei ni ge die ser Ge dan ken und an mer kun gen, vor al lem sol che zur Lie be und zum ide a len Part ner. Ir gend ei ne Freun din hat te die in tim sten Ein zel hei ten zu Pa pier ge bracht, an-schei nend ohne die ge rings te angst da vor, was pas sie ren wür de, soll te das Heft der Di rek to rin in die Hän de fal len.

Ich hin ge gen be saß ein Heft, in das ich alle Ge dich te ein trug, die mir ge fie len oder mich am meis ten an rühr ten, und manch-mal zeich ne te ich et was zu ei nem von ih nen oder kleb te ein Bild dazu, das Par va neh mir aus ih ren aus län di schen Il lust rier-ten aus schnitt.

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als wir ein mal an ei nem strah lend hel len Herbst nach mit tag fröh lich schwat zend von der Schu le heim gin gen, zog Par va neh mich mit in die apo the ke, die auf der Hälf te des We ges lag, um Heft pfas ter zu kau fen.

Der Be sit zer, Dok tor ataye, war ein wür de vol ler al ter Herr, den alle kann ten und ach te ten. als wir ein tra ten, war er aber nir gend-wo zu se hen, des we gen rief Par va neh nach ihm, wo bei sie sich auf die Ze hen spit zen stell te, um bes ser über die The ke blicken zu kön nen. Ein jun ger mann in wei ßem Hemd knie te da hin ter und war da mit be schäf tigt, me di ka men te in die un ters ten Fä cher des Schranks ein zu ord nen. Er dreh te sich zu uns um und frag te nach un se ren Wün schen. Dann ging er, um die Pfas ter zu ho len.

Par va neh knuff te mich mit dem Ell bo gen in die Sei te und füs-ter te mir ins ohr: »Wo hat der sich denn bis heu te ver steckt ge-

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hal ten? So ein hüb scher Kerl!« Der jun ge mann reich te Par va neh die Schach tel mit den Pfas tern, und als sie sich über ihre Schul-ta sche beug te, um die Geld bör se he raus zu holen, raun te sie mir noch ein mal zu: »Schau doch bloß, wie hübsch der ist.«

Ich hob den Kopf, und un se re au gen be geg ne ten sich für ei nen füch ti gen mo ment. Eine art elekt ri scher Schlag durch zuck te mich, und ich spür te, dass ich ganz rot wur de. Ich wand te mei-nen Blick schnell wie der ab. Scham stieg in mir hoch: Es war das ers te mal, dass ich et was Der ar ti ges ge fühlt hat te. »Ge hen wir, los!«, zisch te ich Par va neh zu und ver ließ has tig die apo the-ke. Par va neh folg te mir, ver blüfft da rü ber, dass ich es mit ei nem mal so ei lig hat te.

»Was hat dich denn ge rit ten? Hast du noch nie zu vor ei nen mann ge se hen? Wa rum woll test du denn so plötz lich weg?«

»Ich hab mich ge schämt.«»aber wes we gen denn?«»We gen der Sa chen, die du über den mann ge sagt hast. Wo

du ihn noch nicht mal kennst!«»Ich be greif dich nicht. Was hab ich denn Schlim mes ge sagt?«»Hüb scher Bur sche und so … Das ge hört sich doch nicht! Ich

bin si cher, dass er es mit be kom men hat.«»ach wo! Und selbst wenn. Dann hät te er sich doch nur ge-

schmei chelt füh len kön nen. Es war über haupt nichts an stö ßi-ges da ran. Und über dies, un ter uns ge sagt, ich hab ihn mir noch mal ge nau er an ge schaut, ganz aus der nähe, und er sieht doch nicht so toll aus. Ich muss aber un be dingt Papa er zäh len, dass der Dok tor ei nen Ge hil fen ein ge stellt hat.«

als wir am mor gen da rauf auf dem Weg zur Schu le wie der an der apo the ke vor bei ka men – wir wa ren ein we nig spä ter dran und gin gen da her schnel ler als üb lich –, sa hen wir ihn zum zwei ten mal, und er guc kte zu uns he raus. auf dem Heim weg schiel ten wir ver stoh len durchs La den fens ter ins In ne re. Er war mit ir gend et was be schäf tigt, aber ich glau be, dass er uns eben-falls be merk te.

Von je nem Tag an wur de es für uns zu ei ner art Ri tu al, je den mor gen und je den nach mit tag durch die Schau fens ter schei be zu

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spä hen, in der Hoff nung, ei nen Blick auf den a po the ker ge hil fen zu er ha schen; und für Par va neh und mich wur de der jun ge mann zu ei nem neu en, in te res san ten Ge sprächs the ma. Bald be gan nen auch die an de ren mäd chen in un se rer Schu le von dem fas zi nie-ren den und at trak ti ven Bur schen zu spre chen, der seit Kur zem bei Dok tor ataye ar bei te te, und sie gin gen un ter den ver schie-dens ten Vor wän den in die apo the ke und ver such ten, sei ne auf-merk sam keit auf sich zu zie hen. Ich und Par va neh hin ge gen sa-hen ihn bald re gel mä ßig, und ich hät te schwö ren kön nen, dass auch er vol ler Un ge duld auf die se täg li chen »Tref fen« war te te und sein mög lichs tes tat, um sich zur ge wohn ten Zeit zu zei gen.

Ich kann te in zwi schen auch ei ni ge aus län di sche Schau spie-ler – ich hat te wirk lich seit un se rem Ein tref fen in Te he ran gro ße Fort schrit te ge mach t –, und so konn te ich Par va neh bei pfich-ten, als sie er klär te, dass der jun ge a po the ker ge hil fe wie Steve mcQueen aus sah.

Par va neh ver lor kei ne Zeit, Er kun di gun gen über ihn ein zu ho-len. Dok tor ataye war ein Freund ih res Va ters und hat te die sem er zählt, dass sein neu er Ge hil fe Sa eid hieß, in Re zaieh ge bo ren war, an der Uni ver si tät Phar ma zie stu dier te und ein rund um an stän di ger Bur sche sei. Da mit hör te er für uns auf, ein Frem-der zu sein, und Par va neh gab ihm so gar ei nen Spitz na men, von dem er na tür lich nichts wuss te. Sie nann te ihn »der Be sorg te«, weil er, wie sie mein te, »stän dig be sorgt wirkt und vol ler Un ge-duld auf je man den zu war ten scheint. Wer weiß, nach wem er aus schau hält«.

Je nes Jahr war das glück lichs te mei nes Le bens. al les lief bes tens für mich, vor al lem auch in der Schu le. mein Ver hält nis zu Par-va neh wur de je den Tag en ger: Wir wa ren da bei, so et was wie See len ver wand te zu wer den. Ei nen Schat ten über die se fröh li che und hei te re Zeit war fen nur die im Flüs ter ton ge führ ten Ge sprä-che bei mir da heim – sie glaub ten tat säch lich, ich be kä me nichts da von mit –, die mich manch mal be fürch ten lie ßen, mit mei ner Schul zeit kön ne es bald vor bei sein.

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Par va neh trös te te mich: Et was Der ar ti ges könn ten sie mir un-mög lich an tun. Da für war ich doch viel zu gut in der Schu le. Sie konn ten mich doch nicht zwin gen, auf hal ber Stre cke auf-zu ge ben. Doch ich blieb be un ru higt. Par va neh konn te ja nicht wis sen, wie sie bei mir zu Hau se dach ten und dass mei ne gu ten Leis tun gen im Un ter richt kei nen von ih nen be ein druck ten und es ih rer mei nung nach mehr als aus rei chend war, wenn man die mitt le re Rei fe hat te.

»Die mitt le re Rei fe! Was kann man da mit schon an fan gen? Heut zu ta ge ge nügt noch nicht ein mal das abi tur. alle mäd-chen aus mei ner Ver wandt schaft, die die Zu las sungs prü fung be stan den ha ben, stu die ren jetzt an der Uni ver si tät, und ich bin si cher, du wür dest die Prü fung mit ge schlos se nen au gen schaf-fen. Du bist tau sendmal in tel li gen ter als sie alle zu sam men«, mein te Par va neh. Für mich wäre je doch das abi tur schon sehr viel ge we sen, an ei nen U ni ver si täts ab schluss wag te ich gar nicht zu den ken.

Par va nehs mei nung nach durf te ich mich nicht »un ter krie-gen« las sen, doch sie konn te sich nicht wirk lich eine Vor stel lung von mei ner fa mi li ä ren Si tu a ti on ma chen: In ih rer Fa mi lie sah al-les ganz an ders aus. mit Kha num Jun konn te ich dis ku tie ren und mei ne Po si ti on ver tei di gen, was aber mei ne Brü der an be lang te – nun, das war eine ganz an de re Ge schich te: man hät te den mut ei ner Lö win be sit zen müs sen, um ih nen die Stirn zu bie ten, und viel leicht hät te das noch nicht ein mal aus ge reicht …

Bei den Exa men am Ende des Tri mes ters war ich die Zweit bes te. Die Leh re rin für Li te ra tur schätz te mich sehr, und als ich zu ihr ging, um mir mein Zeug nis ab zu ho len, sag te sie, dass ich sehr be gabt sei und mei ne Fä hig kei ten in kei nem Fall un ge nutzt las-sen dür fe; sie frag te, ob ich mir schon über legt habe, wie es mit der Schu le wei ter ge hen sol le.

»Ich wür de sehr gern ei nen ab schluss in per si scher Li te ra tur ma chen.«

»aus ge zeich net. Ge nau das woll te ich dir ra ten, sehr gute Ent-schei dung.«

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»Ja, ich weiß. aber ich wer de das kaum ver wirk li chen kön-nen. Das heißt, mei ne Fa mi lie will es nicht, in ih ren au gen ist die mitt le re Rei fe schon mehr als ge nug.«

Das Ge sicht von Frau Bahr ami wur de schlag ar tig fins ter. miss bil li gend den Kopf schüt telnd, ging sie ins Di rek ti ons zim-mer und be deu te te mir, vor der Tür auf sie zu war ten. nach ein paar mi nu ten kam sie zu sam men mit der Di rek to rin wie der he-raus. Die Di rek to rin nahm mir das Zeug nis aus der Hand und er klär te dann: »masu meh, sag dei nem Va ter, er möch te doch bit-te mor gen zu mir kom men, ich muss un be dingt mit ihm re den. Und ich wer de dir dein Zeug nis erst zu rück ge ben, wenn ich mit ihm ge spro chen habe.«

als ich an je nem abend agha Jun ver kün de te, die Di rek to rin wol le ihn se hen, wun der te er sich; er mein te, ich müs se wohl et-was an ge stellt ha ben. Dann wand te er sich an mei ne mut ter und sag te, sie sol le statt sei ner hin ge hen, um in Er fah rung zu brin gen, was los sei. Er wer de kei nen Fuß in eine mäd chen schu le set zen.

»Wie so nicht? Die Vä ter al ler an de ren mäd chen tun es doch auch. Und die Wor te der Di rek to rin sind ganz un miss ver ständ-lich ge we sen: ›Ich wer de dir dein Zeug nis nicht aus hän di gen, be vor ich nicht mit dei nem Va ter ge spro chen habe.‹« mit die-sem ar gu ment ver such te ich, ihn zu über re den. Dann schenk te ich ihm Tee ein, stopf te ihm ein Kis sen in den Rü cken und lieb-kos te ihn, bis er nach gab: am nächs ten mor gen wür de er mich zur Schu le be glei ten.

Bei sei nem Ein tre ten stand die Di rek to rin von ih rem Schreib-tisch auf, be grüß te ihn herz lich, bat ihn, Platz zu neh men, und gra tu lier te ihm zu den her vor ra gen den Leis tun gen und dem un-ta de li gen Be tra gen sei ner klu gen Toch ter. Ich stand der weil in der nähe der Tür – mit ge senk tem Kopf, so dass nie mand sah, dass ich vor Freu de strahl te. Die Di rek to rin wies mich dann an, drau ßen zu war ten, so lan ge sie mit mei nem Va ter re de te.

Ich weiß nicht, was ge nau sie zu ihm sag te, doch als agha Jun aus dem Büro kam, strahl te auch sein Ge sicht, und sei ne au gen leuch te ten. Er sah mich vol ler Lie be und Stolz an und mach te sich mit mir auf den Weg ins Sek re ta ri at, um mich fürs nächs te

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Jahr an zu mel den. Ich schweb te im sieb ten Him mel, und wäh-rend ich hin ter ihm her lief, hör te ich nicht auf, ihm zu dan ken und im mer wie der zu sa gen, wie lieb ich ihn habe. Ich ver sprach ihm, die Klas sen bes te zu wer den und ihm im mer zu ge hor chen. »Ja, schon gut, jetzt reicht’s aber«, brumm te er schließ lich und füg te dann noch mit ei nem Lä cheln hin zu: »Wenn doch dei ne Brü der, die se Faul pel ze, ein biss chen was von dei nem Lern ei fer ab be kom men hät ten.«

Par va neh, die aus Sor ge eine schlaf o se nacht ver bracht hat-te, ver such te, kaum dass sie mich er blick te, mit hil fe von Ges ten he raus zu fin den, wie es ge lau fen war. Ich setz te erst eine trau ri-ge mie ne auf, um sie zu fop pen, rann te dann aber zu ihr, um sie zu um ar men und ihr die gute nach richt zu ver kün den. Wir fin-gen bei de an, wie die Ver rück ten mit ten auf dem Schul hof he-rum zu hüp fen, und wisch ten uns ge gen sei tig die Freu den trä nen aus dem Ge sicht.

Die Ent schei dung mei nes Va ters lös te zu Hau se gro ßen auf-ruhr aus, doch er bot al len Pa ro li, stell te sich be din gungs los hin-ter mich und wie der hol te, was die Di rek to rin über mich ge sagt hat te, wie be gabt ich sei und zu was ich es al les brin gen kön ne, wenn ich weiter zur Schu le ginge. Was mich be traf, so war ich ein fach zu glück lich, um mir Ge dan ken da rü ber zu ma chen, was die an de ren sag ten. So gar die hass er füll ten, ver nich ten den Bli cke ah mads konn ten mir kei ne angst ein ja gen.

auch wenn ich im Som mer je nes Jah res drei mo na te von Par va-neh ge trennt war, fühl te ich mich doch rund um glück lich, weil ich mich auf un ser ge mein sa mes neu es Schul jahr freu en konn te.

Wir kehr ten nur für ein paar Tage nach Ghom zu rück, und Par va neh ge lang es, ih ren Va ter jede Wo che un ter al len mög-li chen Vor wän den nach Te he ran zu schlep pen, da mit sie mich tref fen konn te. Sie woll te un be dingt, dass ich eine Wo che mit zu ihr und ih rer Fa mi lie nach Gol-ab-dar reh kam. Ich hät te das sehr gern ge tan, doch ich trau te mich nicht, mei ne Brü der um Er laub nis zu fra gen. Par va neh mein te, wenn ihr Va ter den mei-

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nen da rum bit te, wer de der es mir si cher er lau ben. aber ich woll-te agha Jun nicht noch mehr Sche re rei en be rei ten. Ich wuss te, dass er Herrn ahm adi eine ent spre chen de Bit te kaum hät te ab-schla gen kön nen, doch wäre dann bei uns zu Hau se die Höl le los ge we sen.

Um auch Kha num Jun zu frie denzustel len und glück lich zu ma chen, er klär te ich mich in je nem Som mer be reit, ei nen Schnei-der- und näh kurs zu be le gen. Das wür de mir spä ter, wenn ich ein mal ver hei ra tet wäre, zu gu te kom men.

Der Kurs wur de nicht weit von der apo the ke ab ge hal ten. Sa-eid be merk te bald, dass ich je den zwei ten Tag bei ihm vor bei-ging, und er be müh te sich, im mer zum rich ti gen Zeit punkt an der Tür zu ste hen. Schon eine Stra ße ent fernt fing mein Herz wie wild zu klop fen an, und mein atem wurde un will kür lich schnel ler. In Höhe der apo the ke an ge langt, ver such te ich, nicht in sei ne Rich tung zu schau en und nicht zu er rö ten, aber das ge-lang mir nicht. Wenn un se re Bli cke sich tra fen, fühl te ich, wie mir die Röte ins Ge sicht stieg, wäh rend er mich hoff nungs voll und be wun dernd zu gleich an sah und den Kopf zum Gruß neig te.

Ein mal stand er, kaum dass ich um die Ecke ge bo gen war, wie aus dem nichts di rekt vor mir. Ich war so über rascht, dass mir die Schnei der el le aus der Hand fiel. Er bück te sich, um sie auf-zu he ben, und be gann sich zu ent schul di gen. Er habe mich wohl er schreckt, oder? Ich schaff te es nicht, mehr als ein nein zu hau-chen und mich dann ei lends da von zu ma chen. nach die sem Vor-fall war mir ein paar Tage lang ganz schwind lig im Kopf: Je des mal wenn ich da ran zu rück dach te, stieg mir wie der die Röte ins Ge sicht, und ein an ge neh mer Schau der rie sel te mir über den Rü cken.

Zu Be ginn des mo nats mehr, als die ers ten Herbst win de durch die Stra ßen weh ten, war für Par va neh und mich die lan ge Zeit un se res Ge trennt seins zu Ende, und wir nah men vol ler En thu si-as mus das neue Schul jahr in an griff. Wir schie nen uns un end lich viel zu er zäh len zu ha ben: was al les wäh rend der Som mer mo-na te pas siert war, was wir ge macht und so gar, was wir ge dacht

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hat ten. am Ende ka men wir aber un wei ger lich auf Sa eid zu rück. Par va neh woll te wis sen, wie oft ich wäh rend ih rer ab we sen heit in der apo the ke ge we sen sei, und ich schwor, dass ich kei nen Fuß hi nein ge setzt hät te; ich hät te mich nicht ge traut, es wäre mir zu pein lich ge we sen.

»Wie so pein lich? Er weiß doch gar nicht, was wir über ihn den ken und re den.«

»Das glaubst du!«»Hat er dir ge gen über viel leicht ir gend ei ne an deu tung ge-

macht?«»nein, ich habe bloß so eine ah nung.«In Wirk lich keit hat te sich tat säch lich et was ver än dert, auch

wenn nichts Konk re tes ge sche hen war. In der letz ten Zeit hat-ten mei ne Be geg nun gen mit ihm ei nen an de ren Cha rak ter an-ge nom men; es schien erns ter zwi schen uns zu wer den. Ich fühl-te mich ganz tief in mei nem In nern mit ihm ver bun den, so tief, dass es mir nicht leicht fiel, es vor mei ner Freun din zu ver ber gen.

Seit Schul an fang war noch kei ne Wo che ver gan gen, als Par va-neh sich schon ei nen Vor wand aus ge dacht hat te, um die apo the-ke auf zu su chen. Sie schlepp te mich mit, ob wohl ich mich sträub-te. Ich emp fand gro ße Ver le gen heit, und mir war, als wüss te die gan ze Stadt, wie es in mir aus sah. Sa eid war wie vom Don ner ge-rührt, als er uns ein tre ten sah. Er stand wie an ge wur zelt da und starr te mich an. Und auch als Par va neh zum drit ten mal eine Schach tel as pi rin ver lang te, re a gier te er nicht. Dok tor ataye muss te ihn erst auf die Erde zu rück ho len und ihn auf for dern, uns das Ge wünsch te zu bringen.

Ich war über zeugt, dass jetzt an den Tag ge kom men war, was Sa eid und ich für ei nan der emp fan den. als wir uns wie der auf der Stra ße be fan den, rief Par va neh nach denk lich und ver blüfft zu gleich: »Hast du be merkt, wie er dich an ge starrt hat?« Und als ich nicht ant wor te te, fi xier te sie mich arg wöh nisch. Sie lief noch ein paar mi nu ten schwei gend ne ben mir her, dann platz te es aus ihr he raus: »Du bist eine ganz schö ne Lüg ne rin! Von we-gen naiv! Du bist die Durch trie be ne von uns bei den und ich das Dum mer chen. Wa rum hast du’s mir nicht er zählt?«

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»Was hät te ich dir denn er zäh len sol len? Es gibt doch nichts zu er zäh len.«

»ach, hör doch auf. Das sieht man doch von Wei tem, dass ihr bei de in ei nan der ver schos sen seid. man müss te blind sein, um es nicht zu mer ken. Los, raus da mit, wie steht es mit euch, wie weit habt ihr’s schon ge trie ben?«

»aber was re dest du denn da?«»Hör auf, die Un schuld vom Lan de zu spie len. Ich fall nicht

mehr rein auf dein Kopf tuch und dein züch ti ges Ge ha be. Wie blöd ich doch ge we sen bin. Ich hab ge dacht, er wür de sich im-mer für mich an der Tür zei gen. Und wie ge schickt du es ver stan-den hast, mich hin ters Licht zu füh ren. Jetzt be greif ich, wa rum es im mer heißt, dass die Leu te aus Ghom falsch und heuch le risch sind! Das stimmt. Du hast noch nicht ein mal mir, dei ner bes ten Freun din, was ge sagt. Wie hast du nur so et was Wich ti ges vor mir ge heim hal ten kön nen?«

Es schnür te mir die Keh le zu. Ich nahm sie beim arm und feh te sie an, mit ih ren an schul di gun gen auf zu hö ren, sich zu be ru hi gen und lei ser zu spre chen. Ich schwor auf den Ko ran, dass es zwi schen uns zu nichts ge kom men sei, doch Par va neh hör te nicht auf, mich mit Vor wür fen zu über schüt ten, mit im-mer zorn er füllt erer Stim me, bis ich schließ lich zu wei nen be-gann. Erst mei ne Trä nen brach ten sie wie der zu sich und ver-moch ten die in ihr lo dern de Wut zu lö schen. Ihr Herz er trug es nicht, mich wei nen zu se hen. mit be herrscht erer Stim me frag te sie: »Wa rum fängst du denn zu heu len an? Und das auch noch mit ten auf der Stra ße! Ich bin ja bloß ent täuscht da rü ber, dass du es mir ver heim licht hast. Da rum geht’s. Ich selbst bin im mer of fen zu dir ge we sen.«

Ich schwor hei li ge Eide, dass sie mei ne al ler bes te Freun din sei und ich nie et was vor ihr ver heim licht habe und es auch nie mals tun wer de, und sie schloss wie der Frie den mit mir.

Par va neh und ich durch leb ten ge mein sam alle Pha sen mei nes ers ten Ver liebt seins. Die ses neue Ge fühl in te res sier te sie nicht we ni ger als mich selbst, wenn sie auch nicht di rekt be trof fen

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war, und wenn ich mal in nach denk li ches Schwei gen ver sank, woll te sie im mer von mir wis sen, was ich ge ra de emp fand oder was mir durch den Kopf ging. Ich ver trau te ihr dann an, was ich mir für die Zu kunft er sehn te, aber auch, dass ich voll in-ne rer Un ru he sei, weil ich fürch te te, ir gend wann ei nen an de-ren mann als Sa eid hei ra ten zu müs sen. Sie schloss da rauf hin die au gen und sag te seuf zend: »Gott, wie ro man tisch! So fühlt man sich also, wenn man ver liebt ist. Lei der bin ich nicht ganz so sen ti men tal ver an lagt wie du, und ei ni ges von dem, was Ver-lieb te sich so zu füs tern, reizt mich nur zum La chen. au ßer dem wer de ich nie mals rot. Was soll mir bloß ein mal ver ra ten, dass ich ver liebt bin?«

Die wun der schö nen bun ten Herbst ta ge ver fo gen so ge-schwind wie die Win de, die zu die ser Jah res zeit durch die Stra-ßen feg ten.

Sa eid und ich hat ten noch kein ein zi ges mal rich tig mit einan-der ge spro chen, doch dann fing er an, mich lei se zu grü ßen, wenn ich zu sam men mit Par va neh an der apo the ke vor bei ging; und mein Herz mach te je des mal ei nen Satz und schlug hef ti-ger. Ich be gann, Lie bes ge dich te zu le sen, und kann te sehr schnell vie le aus wen dig.

Par va neh grub täg lich neu es über Sa eid aus und konn te es gar nicht er war ten, es mir wei ter zu er zäh len. Wir wuss ten mitt ler-wei le, dass sein Fa mi li en na me Za rei lau te te, dass er in Re zaieh ge bo ren war, wo sei ne mut ter und sei ne Schwes tern nach wie vor leb ten, und dass er sei nen Va ter be reits vor ei ni gen Jah ren ver lo ren hat te. Er war ein an ge se he ner jun ger mann aus gu ter Fa mi lie und stu dier te im drit ten Jahr Phar ma zie. Er galt als in-tel li gent und fei ßig, und der gute alte Dok tor ataye ver trau te sei nem Ge hil fen blind und war rund um zu frie den mit ihm. al-les, was wir über ihn hör ten, war äu ßerst schmei chel haft und be stä tig te nur mei nen ei ge nen Ein druck. Ich ver lieb te mich im-mer mehr in ihn. Es kam mir bei na he so vor, als hät te ich ihn vom Be ginn mei ner Er den ta ge an ge kannt, und ich sehn te mich da nach, auch de ren Ende mit ihm zu sam men zu er le ben. Par va-neh schleif te mich ein paar mal in der Wo che in die apo the ke:

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Sie gab ei nen Hau fen Geld für arz nei mit tel aus, um mit an se hen zu kön nen, wie wir uns ver stoh le ne Bli cke zu war fen, wie Sa eids Hän de zit ter ten und mei ne Wan gen sich un na tür lich rot färb-ten. Sie be ob ach te te jede un se rer Ges ten ganz ge nau, und ein mal gab sie an schlie ßend fol gen den Kom men tar ab: »Ich hab mich im mer ge fragt, was ›be red te Bli cke‹ sind, und jetzt weiß ich es wirk lich ganz ge nau.«

Je den mor gen mach te ich mir die Haa re mit schon fast zwang-haf ter Sorg falt zu recht. Ich kno te te das Kopf tuch so, dass es mir die Stirn fran se nicht zer drück te und ein we nig von ihr frei blieb. Was auch im mer ich an stell te, um mei ne Haa re in Lo cken zu le-gen, funk ti o nier te nicht. Par va neh mach te mir schließ lich klar, dass es so wie so dumm von mir sei, lo cki ge Haa re ha ben zu wol-len, da glat te die gro ße mode wa ren. Und ich hat te von na tur aus wel che, die überdies wun der bar sei dig glänz ten.

Ich wusch und bü gel te re gel mä ßig mei ne Schul u ni form und bat mei ne mut ter, mir den Stoff für eine neue zu kau fen und die sen ei ner pro fes si o nel len Schnei de rin an zu ver trau en. Der näh kurs, den ich be such te, hat te mir näm lich die au gen für die un zu rei chen den Fä hig kei ten mei ner mut ter auf die sem Ge-biet ge öff net: Ihr ging je des Stil emp fin den ab, was ich ihr aber na tür lich nie mals sag te. Par vin Kha num, die sich wirk lich gut da rauf ver stand, schnei der te mir eine schi cke Uni form, und ich bat sie un ter vier au gen, den Rock ein we nig zu kür zen. Er blieb aber den noch der längs te, den man in un se rer Schu le zu Ge sicht be kam. Ich nahm auch ein biss chen was von mei nem Er spar ten und zog mit Par va neh los, um ein neu es Kopf tuch zu kau fen. Wir wähl ten ein sma ragd grü nes aus, da es – wie mei-ne Freun din mein te – die Far be mei ner au gen vor teil haft un-ter strich.

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Der Win ter je nes Jah res war sehr kalt, und es fiel eine men ge Schnee. Die ers te Schnee de cke war noch nicht ge schmol zen, da fie len schon wie der neue Flo cken vom Him mel, und die fah le Son ne war so kraft los, dass sie die wei ße Schicht nie ganz weg-zu tau en ver moch te. mor gens wa ren die Stra ßen und Geh stei-ge ver eist, und man ging wie auf Ei ern. Dau ernd glitt je mand aus und lan de te un sanft, die Bei ne him mel wärts ge streckt, auf dem Pfas ter. Ir gend wann er wisch te es auch mich. nicht weit von Par va nehs Haus rutsch te ich auf ei ner vom letz ten leich ten Schnee fall ver bor ge nen Eis fä che aus und stürz te so un glück lich, dass ich mir den Knö chel ver renk te. als ich mich auf rap peln woll te, durch zuck te mich ein ste chen der Schmerz. Zum Glück traf Par va neh kurz da rauf ein und an schlie ßend auch ali, der auf dem Weg zu sei ner ei ge nen Schu le auch an der Stel le vor bei-kam. Ge mein sam hal fen sie mir wie der auf die Bei ne, und ich hum pel te, auf die bei den ge stützt, müh sam nach Hau se zu rück.

Kha num Jun wi ckel te mir eine Bin de um den Fuß, un ter nahm aber sonst nichts. Sie mein te, wir soll ten erst mal ab war ten. Die Schwel lung und der Schmerz nah men je doch bis zum nach mit-tag im mer mehr zu. als die män ner der Fa mi lie heim kehr ten, gab na tür lich je der sei nen Kom men tar ab. ah mad zu fol ge hat te ich mir nichts Ernst haf tes zu ge zo gen; er konn te sich die Be mer-kung nicht ver knei fen, dass das Gan ze über haupt nur des halb pas siert sei, weil ich nicht, wie es sich für ein mäd chen ge hör te, zu Hau se ge blie ben war. agha Jun woll te mich ins Spi tal brin-gen. mah mud schlug vor, Herrn Is mail zu Rate zu zie hen, den metz ger. Er stand im Ruf, ge nau zu wis sen, was man bei Ver-stau chun gen und Ver ren kun gen tun muss te. mah mud zog da-her los, um ihn zu ho len.

agha Is mail war un ge fähr im glei chen al ter wie agha Jun und be kannt für die tref fen den Di ag no sen, die er stell te. In je-nen Ta gen schef fel te er eine men ge Geld, weil so vie le men schen auf den ver schnei ten und ver eis ten Geh we gen aus rutsch ten. Er brauch te nur ei nen Blick auf mei nen Fuß zu wer fen, um zu er-

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ken nen, dass nichts ge bro chen war, son dern ich mir nur den Knö chel ver renkt hat te. Er hieß mich den Fuß in war mes Was-ser ste cken, mas sier te ihn und renk te dann das Ge lenk mit ei nem jä hen hef ti gen Ruck wie der ein. Ich schrie vor Schmerz auf, und mir wur de schwarz vor au gen. als ich wie der zu mir kam, war er schon da bei, den Fuß zu um wi ckeln, nach dem er ei nen Brei aus Ei gelb, Kräu tern und ver schie de nen öli gen Subs tan zen da-rauf ver teilt hat te. Er riet mir, ihn min des tens zwei Wo chen lang still zu hal ten und nicht zu be las ten.

Was für eine Ka tast ro phe! Schluch zend sag te ich, das gin ge nicht: Ich hät te doch Un ter richt, und die ab schluss prü fun gen des zwei ten Tri mes ters stün den un mit tel bar be vor. In Wirk lich-keit war es bis zu den Prü fun gen noch an dert halb mo na te hin, und ich wein te aus ei nem ganz an de ren Grund.

Ein paar Tage lang konn te ich wirk lich nicht lau fen. Ich lag vie le Stun den vor dem an ge nehm war men kor si aus ge streckt und dach te an Sa eid. mor gens, so bald alle an de ren aus dem Haus wa ren, ver schränk te ich die Hän de hin ter dem na cken, wand te das Ge sicht der trü ben Win ter son ne zu und über ließ mich mei nen Träu men. In mei ner Fan ta sie ver brach te ich vie le glück li che Stun den in sei ner Ge sell schaft.

Die ein zi ge Stö rung ging an die sen ru hi gen, trä gen Vor mit-ta gen von Par vin Kha num, der nach ba rin, aus, der je der Vor-wand recht war, um mei ne mut ter auf zu su chen. Ich konn te die-ses Weib nicht aus ste hen! Kaum hör te ich ihre Stim me, tat ich, als wür de ich schla fen. Ich konn te nicht ver ste hen, wie Kha num Jun, die doch so fromm und ih rer Fa mi lie so er ge ben war, sich mit ei ner Frau hat te an freun den kön nen, von der je der mann wuss te, dass sie es mit der ehe li chen Treue nicht so ge nau nahm – um es mil de aus zu drü cken. an schei nend be griff sie nicht, dass die klei nen auf merk sam kei ten, mit de nen die nach ba rin uns über häuf te, in Wirk lich keit nur ah mad gal ten.

Wenn am nach mit tag mein Va ter und mei ne Brü der ei ner nach dem an de ren wie der da heim ein tra fen, war es mit dem Frie den rasch vor bei. ali war im mer so au ßer Rand und Band, dass man schon fast angst ha ben muss te, er könn te ei nes Ta ges

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das gan ze Vier tel in Brand ste cken. au ßer dem war er auf säs sig und un höf ich ge wor den. Er trat in mehr als ei ner Be zie hung in die Fuß stap fen ah mads und schaff te es, ge nau so ekel haft zu mir zu sein wie die ser, vor al lem jetzt, da ich ans Haus ge fes selt war. Kha num Jun ver hät schel te mich, und agha Jun er kun dig te sich dau ernd, wie es mir ging. Das mach te ali ei fer süch tig, und er warf mir wü ten de Bli cke zu, als wür de ich ver su chen, ihn zu ent thro nen. Er ver schaff te sei nem Är ger Luft, in dem er über den kor si sprang, Fati är ger te, bis sie in Trä nen aus brach, oder mei-ne Bü cher im gan zen Zim mer ver streu te und auf ih nen he rum-tram pel te; au ßer dem stol per te er im mer wie der »ver se hent lich« über mei nen kran ken Fuß, so dass ich vor Schmer zen auf schrie.

mei ne mut ter ließ sich schließ lich durch mein Ge schluch ze und Ge jam me re er wei chen und er laub te mir, ins ober ge schoss um zu zie hen, wo ich vor alis Ge mein hei ten und bö sen Strei chen si cher war und in See len ru he für die be vor ste hen den Prü fun gen ler nen konn te. Kha num Jun brumm elte zwar, ich kön ne doch in mei nem Zu stand nicht die stei le Trep pe rauf- und run ter ge hen, und es sei da oben viel zu kalt, weil der gro ße ofen nicht funk-ti o niere. am Ende aber be kam ich mei nen Wil len. auch wenn ich nur ei nen klei nen elekt ri schen Heiz lüf ter zur Ver fü gung hat-te, um mich ein biss chen auf zu wär men, fand ich in dem Raum den Frie den, den ich brauch te, um mich mei nen Schul bü chern zu wid men, über al les mög li che nach zu den ken und neue Ge dich te in das da für be stimm te Heft ein zu tra gen – vor al lem aber auch, um von mei nem Le ben mit Sa eid träu men zu kön nen. In mei ner Fan ta sie brach ich mit ihm zu lan gen Rei sen in fer ne Ge gen den auf. Ich stell te nach for schun gen zur Her kunft und Be deu tung sei nes na mens an, no tier te das eine wie das an de re in mein Heft. So schien es mir mög lich, den na men mei nes Ge lieb ten auf zu-schrei ben, ge wis ser ma ßen »ver schlüs selt« und ohne ihn tat säch-lich dem Pa pier an zu ver trau en.

In je nen lich ten und hei te ren Ta gen brauch te ich kei nen be-son de ren Grund, um zu lä cheln. Ich fühl te mich so froh und glück lich, dass ich so gar den Schmerz in mei nem Fuß nicht mehr spür te.

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Ei nes Ta ges ge gen Ende des Win ters kam Par va neh mich be-su chen. So lan ge Kha num Jun da bei war, un ter hiel ten wir uns über Schul auf ga ben und über die Exa men, de ren Be ginn für den fünf zehn ten Tag des mo nats Es fand, den fünften märz, an ge-setzt war. Doch kaum hat te mei ne mut ter das Zim mer ver las-sen, mach te Par va neh die Tür zu und füs ter te, sie habe wich ti ge neu ig kei ten für mich. Ich brann te vor neu gier, al les zu er fah-ren, und hat te gro ße angst, ir gend ein Stö ren fried kön nte auf-tau chen, be vor mei ne Freun din die Ge le gen heit ge habt hat te, mir al les zu er zäh len.

»Sa eid, der Be sorg te, ist noch be sorg ter als sonst. Denk nur: Je den mor gen be zieht er auf den Stu fen vor der apo the ke Po-si ti on und hält aus schau. Und wenn er mich dann al lein an-kom men sieht, setzt er eine rich ti ge Lei chen bit ter mie ne auf und zieht sich wie ein ge prü gel ter Hund in den La den zu rück. Heu te hat er’s nicht mehr aus ge hal ten und den mut ge fasst, ein paar Schrit te auf mich zu zu ma chen und mich zu grü ßen, wo bei er ab wech selnd krei de bleich und knall rot wur de. Dann hat er es, stam melnd zwar, aber im mer hin, ge schafft, nach ›mei ner Freun-din‹ zu fra gen; wa rum sie nicht mehr zur Schu le gehe, ob sie sich wohl be fin de und so wei ter und so fort. Ich bin so ge mein ge we-sen, ihn ein biss chen zap peln zu las sen, und hab ge tan, als wüss-te ich nicht, wel che Freun din er ei gent lich mein te. Du hät test se-hen sol len, wie er mich ganz ver wun dert und trau rig an ge starrt hat! Schließ lich hat er sich ge räus pert und ge sagt: ›Ich mei ne das Fräu lein, mit dem Ihr im mer zu sam men seid und das in der Gor gan-Stra ße wohnt.‹ Er kennt also dei ne ad res se, of fen sicht-lich ist er uns nach ge gan gen. Wie auch im mer: Ich hab ge sagt: ›ach so. Ihr sprecht von masu meh Sade ghi. Die Ärms te, sie ist ge stürzt und hat sich den Knö chel ver staucht und kann zwei Wo chen lang nicht zur Schu le ge hen.‹ Er ist ganz blass ge wor-den und hat ge mur melt: ›oh, das tut mir aber leid!‹ Dann hat er sich brüsk um ge dreht und woll te schon wie der in den La den mar schie ren, ohne sich zu ver ab schie den. nach ein paar Schrit-ten hat er aber ge merkt, wie un höf ich er war. Er ist noch mal zu-rück ge kom men, hat mir auf Wied er sehn ge sagt und mich ge be-

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ten, dich zu grü ßen.« all das spru del te Par va neh ra send schnell he raus, fast ohne zwi schen durch atem zu ho len, wie mir schien.

mein Herz zit ter te nicht we ni ger als mei ne Stim me, als ich frag te: »Wa rum hast du ihm mei nen na men ver ra ten?« Er kann-te ihn jetzt also auch! Par va neh mein te je doch, da sei doch nichts Schlim mes dran, und wahr schein lich hät te er schon ge wusst, wie ich hieß, be vor sie es ihm ge sagt habe, da ihm ja auch be kannt war, wo ich wohn te. Ja, er habe sich wahr schein lich auch über mei ne Fa mi lie in for miert, was nur be deu ten kön ne, dass er un-sterb lich in mich ver liebt sei.

»Du wirst se hen, er wird bald zum kha steg ari bei euch er schei-nen und um dei ne Hand an hal ten«, mein te Par va neh im Brust-ton der Über zeu gung.

Ich zer foss vor Glück und konn te nicht auf hö ren zu lä cheln, so dass Kha num Jun, als sie uns Tee brach te, mich über rascht an schau te und den Grund für so gro ße Fröh lich keit wis sen woll-te. Sie über rum pel te mich mit ih rer Fra ge, und mir fiel kei ne ant wort ein, doch Par va neh kam mir zu Hil fe und fun ker te ir-gend et was in der art, dass die Zwi schen zeug nis se ver teilt wor-den sei en und ich die bes ten no ten von al len in der Klas se be-kom men habe.

Wie im mer maß mei ne mut ter mei nen Leis tun gen in der Schu-le we nig Be deu tung bei, und sie sag te, dass es für ein mäd chen kei nen Sinn habe, zu viel zu ler nen. Ich ver geu de te nur un nütz Zeit, denn ich wür de ja bald hei ra ten und mich dann nur noch um den Haus halt und die Kin der küm mern. Ich wi der sprach hef tig: Ich wol le noch nicht so bald hei ra ten, son dern erst das abi tur ma chen, und Par va neh füg te hin zu, dass ich doch da-nach stu die ren und eine Frau Dok tor wer den wol le. Ich schau-te sie böse von der Sei te an, weil es sie of fen sicht lich amü sier te, Öl ins Feu er zu gie ßen.

mei ne mut ter be gann tat säch lich zu schimp fen: »ach, guck mal an, jetzt will sie auch noch stu die ren! Je län ger man sie auf die Schu le ge hen lässt, des to dreis ter wird sie. Da ist ein zig und al lein ihr Va ter schuld, der hört ja nicht auf, sie zu ver wöh nen, als ob sie die Ein zi ge wäre!« Und un ab läs sig wei ter vor sich

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Parinoush Saniee

Was mir zustehtRoman

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 480 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-8135-0524-5

Knaus

Erscheinungstermin: Mai 2013

Eine Frau zwischen Unterwerfung und Aufbegehren – der immer wieder unterdrückte Bestselleraus dem Iran. Bevor Was mir zusteht erscheinen konnte, lag das Manuskript monatelang bei den iranischenZensurbehörden. Die Veröffentlichung 2003 schien ein Anzeichen politischer Liberalisierung. DerRoman wurde ein Bestseller. Doch immer wieder wurde versucht, den Nachdruck zu verhindern.2010 fand das Buch seinen Weg in den Westen, gewann in Italien den „Premio Boccaccio“und erscheint nun weltweit als ein literarisches Zeugnis aus einem Land, das unser Interesseverdient. Masumeh wird in eine traditionelle persische Familie hineingeboren. Drei Brüder lassen dereinzigen Tochter kaum Raum zur Entfaltung. Doch an Klugheit ist sie ihnen weit überlegen.Zielstrebig erkämpft sie sich eine Schulausbildung. Als sie sich in Said verliebt und der harmloseFlirt von ihren Brüdern als „intime“ Begegnung denunziert wird, gerät sie in Lebensgefahr. Siewird mit Hamid zwangsverheiratet. Doch ihr Mann erweist sich als erstaunlich modern – er führtein Doppelleben und arbeitet im Widerstand gegen das Schah-Regime. Nach seiner Verhaftungzieht Masumeh ihre Kinder alleine groß. Jahre später muss sie erleben, wie einer ihrer Söhneein glühender Khomeini-Anhänger wird, während ein anderer ins Exil geht. Der Bruch, der dieiranische Gesellschaft spaltet, zieht sich auch durch ihre Familie.