Sartre, Freud + The Secret Passion - 1980
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Transcript of Sartre, Freud + The Secret Passion - 1980
Sartres widersprüchliches Verhältnis zu Freud
Die Beziehung zwischen dem im April dieses Jahres verstorbenen französischen Philo-
sophen Jean Paul Sartre und der französischen Psychoanalyse war — alles in allem—
unerfreulich. Sartre betrachtete die Psychoanalytiker als Leute, die ihren Patienten die
Freiheit rauben. Eine der letzten intellektuellen Auseinandersetzungen, die Sartre in der
von ihm gegründeten Zeitschrift „les temps modernes" entfachte, drehte sich um die
Ethik der Psychoanalyse. Im Jahre 1969 wollte Sartre die Tonbandaufnahmen einiger
Analyse-Sitzungen veröffentlichen. Dabei fühlte er sich durchaus auf moralisch
gesicherter Grundlage, denn die Aufnahmen stammten nicht vom Analytiker, der etwa
seine neuesten Interventionstechniken der Außenwelt demonstrieren wollte - sondern
vom Analysanden. Sein Name: Jean Paul Sartre. Er hatte sich bei einem belgischen
Psychoanalytiker auf die Couch begeben und war daran interessiert, den Inhalt des
therapeutischen Gesprächs zu veröffentlichen.
Sartres Psychoanalytiker-Freunde in Paris waren zutiefst geschockt. Zwei der führenden
französischen Psychoanalytiker, Bernard Pinguad und Jean Bertrand Pontalis, warnten
Sartre: das, was er da vorhabe, sei eine schwere psychoanalytische Sünde. Die Analyse
habe privat und vertraulich zu sein - und zu bleiben. Aufgrund dieses Zwistes schieden
die beiden Analytiker aus dem Redaktionsstab der „temps modernes" aus. Und in
Intellektuellen-Zirkeln wurde gemunkelt, Sartre verstünde nicht nur nicht im entfern-
testen etwas vom psychoanalytischen Vorgehen, sondern er stehe diesem auch ausge-
sprochen feindselig gegenüber. Die Veröffentlichung einer Tonbandabschrift zeigte denn
auch ausschließlich diese Ablehnung.
Doch obwohl Sartre wahrscheinlich tatsächlich der psychoanalytischen Praxis feindselig
gegenüberstand, gibt es einige Hinweise darauf, daß er von Freud und dessen Lehre
fasziniert war. Sie müssen allerdings entweder ein Film-Kenner, ein Freud-Kenner oder
ein Sartre-Kenner sein, um zu wissen, daß Sartre das ursprüngliche Drehbuch zu einem
Film über das Leben Freuds geschrieben hat. Titel des Films: „The Secret Passion" (Die
geheime Leidenschaft). Dem Regisseur John Huston lieferte Freud ein Film-Manuskript
ab, das fast 900 Seiten stark war und sich auf die Ursprünge der Psychoanalyse kon-
zentrierte. Sartres Abhandlung befaßte sich ausführlich mit Freuds Jugend, mit seinen
frühen Auseinandersetzungen als Medizinstudent, mit der umstrittenen Kokain-
Forschung und schließlich mit seinen Arbeiten über Hysterie, die zur eigentlichen
Psychoanalyse führten. Letzten Endes erschien ein doch ganz anderer Film und Sartre
ließ seinen Namen aus dem Vorspann streichen. Dennoch verraten seine 900 Seiten eine
paradoxe Verehrung für Freud.
Die französische Zeitung le matin druckte in ihrer Ausgabe, die dem Tod des Philosophen
Sartre gewidmet war, einen kurzen Auszug aus dem Mammut-Manuskript ab, das
ansonsten bis heute noch unveröffentlicht ist. Darin beschreibt Sartre einen kritischen
Dialog zwischen Freud und Breuer, seinem früheren Mitarbeiter, Breuer besucht Freud,
um ihn zu bitten, die Schrift über die „Entstehung der Neurosen" nicht zu veröffent-
lichen, in der Freud zu dem Schluß kommt, daß eine Neurose auf einem unverarbeiteten
sexuellen Trauma in früher Kindheit beruht. Breuer meint dazu, es sei zu schockierend,
so etwas zu sagen. Freud antwortet ihm, daß er in seiner Praxis dreizehn Fälle hatte, bei
denen genau das der Fall war. Breuers schlimmste Befürchtungen bestätigten sich, als
Freud hinzufügt, daß in allen dreizehn Fällen es ein Elternteil war, der das Kind sexuell
attackierte, und daß genau diese schlimme Erfahrung ins Unbewußte verdrängt werden
mußte. Sartre macht aus Breuer die Figur eines standhaften Konservativen, der Freud
warnt. Er möge sich an den Kokain-Fall erinnern - Freuds Forschungen über Kokain
führten dazu, daß einige seiner Patienten drogenabhängig wurden. Doch Freud setzte
sich über die Bedenken Breuers hinweg: „Ich bin nicht wirklich ein Arzt oder ein haar-
spalterischer Experimentator", läßt ihn Sartre sagen, „ich bin ein Abenteurer". Dieser
mutige Satz ist eine Anspielung auf Freuds bekannten Ausspruch, er könne sich der
Liebe seiner Mutter so sicher sein, daß er sich wie ein „Konquistador" fühle, stark genug,
Mythen zu zerstören, mächtiger als Mexiko.
Das Interessante an diesem Manuskript-Auszug ist, daß darin ein Bild von Freud
entworfen wird, mit dem die orthodoxe Psychoanalyse bis heute hausieren geht: der
mutige Sigmund, der Erforscher der verbotenen Nebenwege des Geistes, der Sexualität
und der Seele, riskiert alles gegen das konservative Wien. Der vorsichtige Breuer will
ihm mehr Respekt verschaffen, die Puritaner in Wien aber reagieren mit Abscheu auf
Freuds schockierende Vorstellungen. Offensichtlich fühlte sich Sartre in einer gewissen
Weise Freud ähnlich. Dabei haben inzwischen historische Forschungen ergeben, daß
Freuds Ideen weitaus besser aufgenommen wurden, als man die Welt glauben machen
wollte. Er selbst stilisierte sich zur Pose eines intellektuellen Helden hoch.
Sartre hatte aber auch noch eine andere Verbindung zur Psychoanalyse: Seine existen-
tialistischen Theorien wurden in den 60er Jahren — etwa von Ronald Laing und David
Cooper — aufgegriffen, die sich in ihrer „Vivisektion" der Psychiatrie zum guten Teil auf
Sartre berufen. Heutzutage ist es allerdings schwierig festzustellen, ob und wenn ja wo
Sartres Ideen noch Eingang in Psychoanalyse und Psychotherapie gefunden haben,
obwohl sich einige seiner Vorstellungen mit Praktiken der Gruppenarbeit vermischt
haben. Doch insgesamt scheint sich bei europäischen Analytikern eine deutliche
Abwendung von Sartres Existenzialismus zu vollziehen. Abgesehen von Lacan berufen
sich heute selbst die Analytiker, die sich selbst als existentialistisch bezeichnen, wie etwa
der Engländer Medard Boss, eher auf Heidegger als auf Sartre.
Festzuhalten bleibt, daß Sartre mit Freud wohl mehr verband, als er selbst oft zugeben
wollte. Wie sagte er doch an anderer Stelle: „Le coeur a des raisons que la raison ne
connait pas" — das Herz versteht, was der Verstand nicht kennt.
(Quelle: psychology news Nr. 8/80 bzw. PSVCHOLOGIE HEUTE 1980)