SCHÄDELSPALTER - Karen Roskekaren-roske.de/wp-content/uploads/2012/07/Spalter_Urban-Gardenin… ·...

3
Urban Gardening 18 SCHÄDELSPALTER URBAN GARDENING IN HANNOVER Eigene Ernte Mit Gemeinschaftsgärten und mobilen Gemüsebeeten setzen sich engagierte Bürger in aller Welt für nachbarschaftliche Selbstversorgung und ökologische Stadtentwicklung ein. Auch in Hannover ist der Trend zum Urban Gardening längst angekommen: Vor einem Jahr entstanden die „Küchengärten Limmer“, jetzt sprießen neue Gartenprojekte aus dem Boden. Text: Karen Roske Die Gartensaison hat begonnen, nicht nur bei den Laubenpiepern, sondern auch bei den Anhängern des Urban Gardening s18-20.qxp 22.04.2012 12:39 Seite 18

Transcript of SCHÄDELSPALTER - Karen Roskekaren-roske.de/wp-content/uploads/2012/07/Spalter_Urban-Gardenin… ·...

  • Urban Gardening

    18 S C H Ä D E L S P A L T E R

    URBAN GARDENING IN HANNOVER

    Eigene ErnteMit Gemeinschaftsgärten und mobilen Gemüsebeeten

    setzen sich engagierte Bürger in aller Welt für nachbarschaftliche

    Selbstversorgung und ökologische Stadtentwicklung ein.

    Auch in Hannover ist der Trend zum Urban Gardening längst

    angekommen: Vor einem Jahr entstanden die

    „Küchengärten Limmer“, jetzt sprießen neue Gartenprojekte

    aus dem Boden. Text: Karen Roske

    Die Gartensaison hatbegonnen, nicht nur bei den Laubenpiepern,sondern auch bei den Anhängern des Urban Gardening

    s18-20.qxp 22.04.2012 12:39 Seite 18

  • Urban Gardening

    M A I 2 0 1 2 19

    Grünkohl und Mangoldhaben den Winter über-standen, Salat und Ra-dieschen sprießen als er-ste im Frühjahr schonwieder frisch aus der Er-

    de. Sie wachsen in alten Kaffee-säcken mit umgekrempeltemRand heran, die sich auf Europa-letten schwer aneinander lehnen.Daneben stehen neu gezimmertehölzerne Pflanzkästen, auch siesind jederzeit transportabel. Das„nomadische Prinzip“ ist für die-sen Garten maßgebend. Er liegtauf einer Asphaltfläche hinter ei-nem abbruchreifen Verwaltungs-gebäude auf dem alten Contige-lände in Limmer. Aber nichtmehr lange. Denn hier entstehtdas neue Wohnviertel „Wasser-stad Limmer“, und die Küchen-gärten Limmer – kurz kügäli –ziehen nicht zum ersten Mal um.„Die Bagger rücken näher, hierwird es langsam ungemütlich“,erzählt Dr. Thomas Köhler, derals Vorstandsmitglied des VereinsTransition Town Hannover e.V.die Gartengruppe organisiert.Hauptberuflich arbeitet der Di-plom-Sozialwissenschaftler beimPestel-Institut, das über Stadt-und Gemeindeentwicklungforscht und die Urban-Garde-ning-Bewegung in Hannover un-terstützt. Im April vor einem Jahrhat der 48-Jährige die hannover-schen Gemeinschaftsgärten kügä-li mitgegründet, damals noch aufder anderen Seite der WunstorferStraße. Nun beginnt die zweiteSaison. An einem kalten Nachmittag imFrühjahr finden sich zum wö-chentlichen Treffen der Garten-gruppe nur zehn ehrenamtlicheAktive ein. Sie planen Feste undVeranstaltungen zum Saisonauf-takt. Denn sobald es wärmer wirdund die Pflanzzeit beginnt, istwieder mit bis zu 50 Freizeit-Gärtnerinnen und -Gärtnern zurechnen, die in den kügäli Gemü-se oder Blumen anbauen. Neuzu-gänge sind jederzeit willkommen,auch in verschiedenen Stadtteil-gruppen und an neuen Standor-ten (siehe Kasten: Saisonstart).Von Studenten über Langzeitar-beitslose, Alleinerziehende undFamilien bis zu Rentnern reichtdas Spektrum der Nutzer. Sie

    können eigene Pflanzkästen oder-säcke bestücken oder sich an Ge-meinschaftsbeeten beteiligen. „Imvergangenen Sommer haben wirunheimlich viele Tomaten geern-tet, außerdem Kartoffeln, Salatund Kohl. Wir haben viel unter-einander getauscht oder ver-schenkt“, erzählt Melanie Pollap,die sich um die Öffentlichkeitsar-beit kümmert. „In der Regel hal-ten sich alle an die Spielregeln“,weiß die 30-Jährige, und sie erin-nert sich lächelnd: „Für Neulingeschreiben wir ein paar Schilder,damit sie nicht gleich die ganzenPflanzen mitnehmen und auf deneigenen Balkon umsetzen! Einkaum merkliches bisschen Mund-raub können wir aber verkraften.“ Die Gartengruppe ist nur eine

    von rund zehn Initiativen des Ver-eins Transition Town Hannover(TTH), der seinen Sitz im Um-weltzentrum hat. Anfang 2010mit kaum einer Handvoll Leutengestartet, hat die informelleGruppe inzwischen fast 300 Mit-glieder, von denen rund 60 regel-mäßig mitarbeiten. Sie veranstal-ten Vorträge oder Workshops, be-treiben zwei Tauschräume zum

    Geben und Nehmen gebrauchterDinge, gestalten Ausstellungen,sammeln Spenden für ein Regen-waldprojekt in Ecuador, besuchenmit Schulklassen ökologischeLandwirtschaftsbetriebe und bie-ten Umweltbildung an.Transition heißt Übergang. Esgeht darum, der Wirtschafts-,Ressourcen- und Klimakrise auflokaler Ebene Paroli zu bietenund neue Widerstandskraft zu ge-winnen. Ausdrückliche Zielesind, den Naturverbrauch zu ver-ringern, die Lebensweise im All-tag zu verändern, mehr Gemein-güter zu teilen, Autonomie undSolidarität in der Bürgerschaft zustärken (siehe Kasten: Standort-faktor). In weltweiten Netzwer-ken gibt es mittlerweile über

    1.000 Transition-Town-Initiati-ven. Denn überall müssen dieStädte auf den Klimawandel unddie Wirtschaftskrisen reagieren. Der Trend zum Urban Gardeningnimmt zurzeit in der ganzen WeltFahrt auf. Entstanden ist er in den1970er Jahren in New York, dieerste Ölkrise gab damals den Aus-schlag. „In Ruanda, Marokkooder Kuba gibt es heute ernsthaf-te Versorgungsprobleme, denendie Menschen mit Selbstversor-gung aus Urban-Gardening-Pro-jekten begegnen können“, erzähltThomas Köhler. „Hier bei uns istes bisher eher ein akademischesFreizeitspiel mit politischem Hin-tergrund. Wir müssen noch keineLebensmittelkrisen bewältigen,aber die Einschläge kommen nä-her!“

    Der Kohlrabi kann geerntetwerden (oben) Mobile Kochstation in vollemEinsatz (links)

    s18-20.qxp 22.04.2012 12:39 Seite 19

  • Melanie Pollap, die Geschichteund Politik studiert hat, betont:„Wir sind eine Dafür-Bewegung.Wir arbeiten nicht gegen die Lo-kalpolitik, die Stadtverwaltungoder gar die Nachbarn, sondernwir suchen immer einvernehmli-che Kooperationen.“ Deshalbnimmt TTH Abstand vom Be-griff „Guerilla Gardening“, beidem auch illegal und ohne Ein-verständnis brach liegende Flä-chen begrünt werden. Als Projektdes Jobcenters hat TTH sogar 15Bürgerarbeiter, deren Jobs von2011 bis 2014 aus Bundesmittelngefördert werden. Für die Garten-gruppe sammeln sie Material undSpenden, sie besorgen Holz undPaletten, bauen Pflanzkisten undgießen im Sommer jeden Tag diemobilen Gärten. Für die kügäli haben die Bürger-arbeiter aus alten Fenstern Früh-beete gebaut – noch stehen siehinter der alten Contihalle undwarten auf den baldigen Umzug.Genauso wie ein veritabler Teichmitsamt Schilf und Seerosen, derhier auf Paletten ruht. Ein eigenesVersuchsfeld bilden die „Bio-Al-chimistengärten“: Riesige Indu-striesäcke, in denen einst Zuckeroder Kakao geliefert wurde, bil-den ein symmetrisches Musterum einen Steingarten, der für den„Stein der Weisen“ steht. Darinerprobt Andrea Preißler-Abou ElFadil eine alte Kulturtechnik zurKompostierung besonders frucht-barer Schwarzerde. „Eine indiani-sche Hochkultur in Amazonienhat diese Methode erfunden, be-vor Kolumbus nach Amerikakam“, erzählt die studierte Ar-chäologin mit spürbarer Begeiste-rung. Die 56-Jährige hat hier einanschauliches Experimentierfeld

    für die Umweltbildung gefunden.Sie düngt die Erde wahlweise mitdem Mist von Schafen, Kühen,Pferde oder Eseln, dazu kommtHolzkohle: „Die Herstellung des‚schwarzen Golds‘ ist ein Ver-mächtnis für die Zukunft“,schwärmt Andrea Preißler-AbouEl Fadil, „eine Schlüsseltechnolo-

    gie!“ Wenn alles nach Plan läuft,zieht ihr Alchimistengarten imMai zum Freizeitheim Lindenum. Umzugshelfer sind willkom-men.

    STADTENTWICKLUNG

    Der idealeStandortfaktorMartin Sondermann forscht an der LeibnizUniversität übergrüne Stadtentwicklung.

    „Die Stadt Hannover ist in derFörderung neuer Formen vonStadtgrün vergleichsweise aufge-schlossen“, weiß der Diplom-Geograph Martin Sondermann.Der 28-Jährige forscht am Insti-tut für Umweltplanung der Leib-nizUniversität Hannover überUrban Gardening. InKooperation mit dem In-stitut für Landes- undStadtentwicklungsfor-schung in Aachen hatsein Team gerade eineAuftragsstudie für dasLand Nordrhein-Westfa-len erstellt über: „Urba-nes Grün in der integrier-ten Stadtentwicklung –Strategien, Projekte, Instrumen-te“. Die Forscher haben mehrereStädte betrachtet und sehen sie alsbeispielhaft für verschiedene Ent-wicklungen in Deutschland an.Ein interessantes Ergebnis siehtMartin Sondermann darin, dassmehr und mehr Kommunen dieEntwicklung ihres Stadtgrünsstrategisch einsetzen: „Idealerwei-se wirken ökologische, soziale undwirtschaftliche Aspekte zusam-men als Standortfaktor. GrüneStädte sind nicht nur attraktiver,sondern auch gesünder, denn siesind kühler und haben bessereLuft.“ In Gemeinschaftsgärten

    verbindet sich ökologische Stadt-entwicklung zudem mit neuenFormen des bürgerschaftlichenEngagements. Diese Projektesprechen jüngere und vielfältigereZielgruppen an als die traditionel-len Schrebergärten. Dass Bürger in ihren Städten Gär-ten zur Selbstversorgung anlegen,ist nicht neu: Im Zuge der Indu-strialisierung entstanden im 19.Jahrhundert die Kleingärten. InPhasen der Lebensmittelknapp-heit zu Kriegs- und Nachkriegs-zeiten bauten die Menschen Kar-toffeln und Gemüse auch in öf-fentliche Parks an. Die moderneUrban-Gardening-Bewegung be-gann in Deutschland 1995 mitden Internationalen Gärten inGöttingen. Bundesweit bekanntgeworden sind die Prinzessinnen-gärten in Berlin-Kreuzberg, 2009von Nachbarn auf einem Brach-

    gelände angelegt.„In Niedersachsen gibt esin vielen Städten Ge-meinschaftsgärten mitverschiedenen Konzep-ten“, erzählt Martin Son-dermann. „Die Städtereagieren darauf unter-schiedlich.“ Ihre Sorgesei verständlich, denntatsächlich gebe es im-

    mer wieder Projekte, die Bürgervoller Elan gestartet hätten, derenPflege dann aber an der Stadtver-waltung hängen bleibe. Dafür ha-ben die Kommunen kein Geld.Trotzdem müssen sie daran inter-essiert sein, den öffentlichenRaum durch mehr Grün aufzu-werten. Deshalb geht der Trendzu grünen Gesamtstrategien. Der-zeit werde auch viel über „Grün inder Stadt“ geforscht, unabhängigewissenschaftliche Studien überdie zivilgesellschaftlichen Initiati-ven seien aber noch selten – genaudaran arbeitet Martin Sonder-mann weiter.

    Urban Gardening

    FOT

    OS:

    EB

    ER

    HA

    RD

    IR

    ION

    (3)

    20 S C H Ä D E L S P A L T E R

    Saisonstart!Neue mobile Gärten und Garten-projekte sprießen derzeit überall inHannover wie Pilze aus dem Boden.Alle sind offen für neue Mitstreiter:• Gartendreieck Rübekamp/EckePrußweg: Hinter dem KulturhausHainholz liegen drei Gärten an einerKreuzung, sie sollen mit regelmäßi-gen Öffnungszeiten auch als som-merlicher Treffpunkt dienen.• Küchengärten am JugendgästehausHannover-Wülfel, WilkenburgerStraße 40: offener Garten mit Mate-riallager und Arbeitsort der TTH-Bürgerarbeiter. Küche und andereRäume können für Ernte- undKochveranstaltungen genutzt wer-den. • Küchengärten Limmer-Linden,Windheimstr. 4: Am Freizeitheim(FZH) Linden werden voraussicht-lich Anfang Mai Paletten- und Alchi-mistengärten aufgebaut, ein Bauwa-gen soll für Werkzeug und Café zurVerfügung stehen. • Küchengärten Limmer, WunstorferStraße 130: kleiner Palettengartendirekt am Kanal, ab Mai. • Küchengärten Südstadt, PeinerStraße: gegenüber des SeelhorsterFriedhofs auf dem Gelände einerehemaligen Gärtnerei mitsamt gro-ßen Gewächshäusern.• Palettengarten-Ausstellung im Juni,Theodor Lessing Platz: mit dem Vor-trag „Mehr Natur in der Stadt“ am18.6.2012Weitere Gärten sind in Planung,zum Beispiel in Ledeburg, Laatzen,Linden-Nord und der Südstadt. Ak-tuelle Infos, Adressen, Termine undKontakte bei Transition Town Han-nover unter:www.tthannover.de

    Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg

    Auch beim Urban Gardening kommt schon mal schweres Gerät zum Einsatz

    Martin Sondermann

    s18-20.qxp 22.04.2012 12:40 Seite 20