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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Philosophie der Mythologie in drei Vorlesungsnachschriften

1837/1842

Herausgegeben von Klaus Vieweg und Christian Danz unter Mitwirkung von Georgia Apostolopoulou

Wilhelm Fink Verlag

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96.

34750

Umschlagabbildung:

Jena - Blick vom Philosophengang (um 1810) kolorierte Radierung von F. W.

Stadtmuseum Jena

f Bayerisch « ] I Staatsbibliothe k 1 l Münche n 1

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Philosophie der Mythologie und Philosophie der Geschichte: ScheUing (1837/1842). - München : Fink

(Jena-Sophia: Abteilung I, Bd. 1,1) Bd. 1. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph : Philosophie

der Mythologie. - 1996 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph :

Philosophie der Mythologie: in drei Vorlesungsnachschriften / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Hrsg. von Klaus Vieweg und Christian

Danz unter Mitw. von Georgia Apostolopoulou. -München : Fink, 1996

(Philosophie der Mythologie und Philosophie der Geschichte ; Bd. 1) (Jena-Sophia: 1)

ISBN 3-7705-3103-5 NE: Vieweg, Klaus [Hrsg.]

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnine, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien,

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ISBN 3-7705-3103-5 © 1996 Wilhelm Fink Verlag, München

Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn

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Zur ,Doppeledition'

Nur überbieten wollen sie, Der Eitelkeit zu Dank; Biegt Hegel erst ein Paroli, Spielt Schelling sein Va banque.

Franz Grülparzer (1843)

Die eine Denkbewegung „Deutscher Idealismus" lebt in der Vielfalt ih-rer Entwürfe, in der Mannigfalt der Ideenarchitekturen. Da vieles darauf hindeutet, daß diese wohl für die Philosophie der Neuzeit einzigartige intellektuelle Schöpfung bezüglich ihrer Genesis, ihrer Entfaltung in ver-schiedenen Konzepten, ihrer Systemformen, ihres Problembestandes keineswegs denkendausgeschritten ist, scheint es geboten, die unterschied-lichen Denkfiguren und Denkgebäude noch intensiver in Beziehung zu setzen. Bezüglich der Textgrundlage für solch komparatistisches Her-angehen bilden die Mit- bzw. Nachschriften von Vorlesungen eine inter-essante Facette. Für die gemeinsame Jenaer Zeit von Schelling und Hegel hat Klaus Düsing mit seinem Buch „Schellings und Hegels erste Metaphysik 1801-1802 - Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler" eine gelungene .Doppeledition' (inklusive Interpretation) vorgelegt.1 Da die entsprechenden kritischen Ausgaben der Mit- und Nachschriften der Vorlesungen Schellings und Hegels in absehbarer Zeit nicht vorliegen werden, erscheint eine rasche öffentliche Vorstellung dieser Dokumen-te durchaus gerechtfertigt.2

Ein Hauptmotiv für die hier begonnene Doppeledition von drei Vorle-sungsmitschriften der Schellingschen Philosophie der Mythologie (1837/ 42) und zu einer der wohl wichtigsten Mitschriften von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (183 0/31) besteht in einer Anregung für weitere Arbeiten zum späten Hegel und späten Schelling in kompara-tistischer Absicht, für weitere Bemühungen zum Vergleich der theoreti-schen Konzepte, der philosophischen Substanz, der Virtualität ihrer Phi-losophien.' Dies wäre, in Anknüpfung an vorliegende Arbeiten zu die-sem Problemkreis, auch unter dem Aspekt einzelner Fragestellungen vor-zunehmen (z. B. die Idee des Absoluten, das Verhältnis von Mythos und Logos, Religion und Philosophie, die Beziehung von Philosophie der Geschichte und Philosophie der Mythologie). Dieses komparatistische Herangehen zielt letztlich auf den Vergleich der Denkungsarten, der Verfaßtheiten von Philosophie bei Hegel und Schelling in ihrer Spätphase als zwei abschließende Entwürfe des Deutschen Idealismus, dessen Denk-

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6 ZUR .DOPPELEDITION'

horizonte stets aufs Neue in den Blick kommen sollten. Dabei finden wir die beiden Schlußakkorde der klassischen deutschen Philosophie kei-neswegs in Harmonie, am Abschluß steht vielmehr ein .Kontrapunkt'. In den Altersvorlesungen der Freunde aus Tübinger Stifts- und Jenaer Uni-versitätszeit werden die sich vorher schon entfaltenden Dissonanzen zwi-schen ihren Philosophien noch deutlicher hörbar, zwischen dieser und jener .Note' scheinen sich Abgründe aufzutun. Nicht zuletzt deswegen wäre man mit dem komparatistischen Anliegen unmittelbar innerhalb heutiger Debatten in der Philosophie (Philosophie der Subjektivität, Metaphysik, absolutes und unvordenkliches Sein, Glauben und Wissen, Philosophie als System, Philosophie der Freiheit etc.).

Um diesem Ziel des Vergleichens näher zu kommen, versteht sich die se Edition als erster Teil einer .Doppeledition'; im nächsten Jahr soll eine bisher unbekannte Nachschrift von Hegels Philosophie der Geschichte von 1830/31 (Mitschreiber Heimann) vorgestellt werden, die insofern inter-essant ist, als sie von Eduard Gans zur Erstausgabe von Hegelsphie der Geschichte verwendet wurde (1837).'' Es ist anzunehmen, daß Schelling diese Ausgabe von Gans vor seinem Auftritt in Berlin gekannt hat. In den Nachschriften der Vorlesungen Schellings finden sich auch direkte kritische Bezugnahmen auf Hegels Philosophie der Geschichte. Es wäre weiter zu prüfen, inwiefern Schelling, der Hegels geschichts-philosophische Grundideen aus der Rechtsphilosophie und aus derklopädie kannte, durch die Kenntnis der Ausgabe von Gans (für welche die Nachschrift Heimann eine wesentliche Grundlage bildete), möglicher-weise zu noch schärferer Auseinandersetzung motiviert wurde. - „Ehe es eine Philosophie der Mythologie gibt, Philosophie der Geschichte nur dem Namen nach existirt". Unabdingbar sei, so Schelling, eine Philoso-phie der Mythologie, ,ohne welche Philosophie der Geschichte weder ihren Begriff rechtfertigen, noch den wahren Anfang der Geschichte fin-den kann'. In der Mitschrift von 1842 wird die Philosophie der Mythologie ausdrücklich zum .ersten Theil der Philosophie der Geschichte' erho-ben.5 Seine Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie und der Offenbarung waren Schellings ausdrücklicher Versuch, .Hegels Konzeption der Weltgeschichte in eins mit ihren politischen Implikationen zu widerlegen'.' Andererseits liegt eine vorgängige, indirekte Kriti k von Hegel an Schellings Mythologiekonzept vor: Die 1831 in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik" erschienene Rezension Hegels von Görres' „ Über Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte"'.' Der in-direkte Bezug zu Schelling besteht darin, daß Görres ,den verlorenen Zu-sammenhang zwischen den ältesten mythologischen Urkunden und der christlichen Offenbarung wiederherstellen will.'8

Beim Vorliegen beider Editionen könnten Ansätze, Methoden, Lö-sungsvarianten beider Denker (nicht nur bezüglich der Geschichtsphilo-sophie) neu auf den Prüfstand kommen.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 9 1.1 Vorbemerkungen zum ersten Band 9 12 Editorische Grundsätze 13 13 Herkunft der Handschriften und Bemerkungen

zu den Mit- bzw. Nachschreibern 15 13.1 Handschrift „Philosophie der Mythologie vorgetragen

von Schelling im Sommersemester 1836/37", Anton Eberz, Bayerische Staatsbibliothek München 15

132 Handschrift „Philosophie der Mythologie vorgetragen v. Jos. v. Schelling. Sommersemester 1836/37" (Nationalbibliothek Athen) 15

133 Handschrift „Philosophie der Mythologie von Dr. Schelling". Vorlesungsmitschrift von Andreas von Chotwas (Berlin 1842), Nationalbibliothek Budapest 18

1.4 Schellings Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie 19 Dokumente 26 Anmerkungen 31

2 Nachschriften von Schellings Vorlesungen in München (1837) 37

2.1 Textdifferenzen zwischen den Nachschriften Athen und München und die Form ihrer Wiedergabe 37

22 Text der Nachschrift „Schelling Philosophie der Mythologie 1836/1837" 37 Anmerkungen 112

3 Mitschrift von Schellings Vorlesungen in Berlin (1842) 117 3.1 Text der Mitschrift „Philosophie der Mythologie

von Dr. Schelling" Berlin 1842 117 Anmerkungen 200

Personenregister 205

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1 Einleitung

„Ueberhaupt ist Ironie (in jeder Bedeutung) der Grundzug sei-ner Erscheinung, und seine Worte: er wolle die Einseitigkeiten des hegelschen Systems korrigieren, nehmen sich gesprochen ganz anders als geschrieben aus. Ich würde jetzt gar nicht er-staunen, wenn Schelling plötzlich sagen würde, er habe die Berliner mit seiner Offenbarungsphilosophie nur zum Besten gehabt; ich würde es eben so für Ironie nehmen wie seine Wor-te in der ersten Rede: er halte sich von der Vorsehung erwählt, der deutschen Philosophie eine neue Richtung zu geben. Denn was Ernst, was Schein ist, läßt sich in seinem Sprechen durch-aus nicht unterscheiden".

Über Schelling Franz Thomas Bratranek (1843)'

1.1 Vorbemerkungen zum ersten Band

Aetes, König der Kolcher, so eine Episode aus dem griechischen Argo-nauten-Mythos, stellt dem nach dem Goldenen Vlies verlangenden Jason die vermeintlich unlösbare und todbringende Auflage, mit zwei flammen-speienden Stieren das Feld des Ares umzupflügen und die aus den gesä-ten Zähnen des Drachens sogleich entstehenden riesigen, furchterre-genden Krieger zu besiegen. Im gewissen Rückgriff auf diese Erzählung der griechischen Mythologie wird Friedrich Wilhelm Joseph Schelling von Friedrich Wilhelm m., König von Preußen, nach Berlin gerufen, um als moderner Jason ,die Drachensaat des Hegeischen Pantheismus' auszu-tilgen.10

Ein Teil dieses .argonautischen' Unterfangens waren neben den Vor-trägen zur Philosophie der Offenbarung Schellings Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie (zu Schellings Berliner Vorlesungstätigkeit vgl. 1.4). Ob Schelling .Berlin aus den Krallen der Hegeischen Vernunft befreite' sei dahingestellt, die Meinungen waren auch hier geteilt, der böhmische Philosoph Franz Thomas Bratranek nennt in einem Brief aus dem Jahre 1843 Schelling den .Patriarchen unserer Philosophie', den .of-fiziellen Offenbarungskämpfer aus fünftausend guten Talergründen, die ihm der Staat bietet, damit ihm sein Gedankenvorrath nicht vor der Zeit auslaufe'.11 Von manchen wurde er als der Heros, als der große Meister

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10 EINLEITUNG

der Philosophie gefeiert. Adolf Hilgenfeld berichtet an seinen Vater, daß ,der tiefsinnige Schelling nach vielen Jahren stiller Zurückgezogenheit nun die Früchte seines stillen Nachdenkens an den Tag bringt'.12 Andere, wie Jacob Burckhardt, Sören Kierkegaard oder Johann Gustav Droysen, hiel-ten Schellings .philosophia secunda' für gescheitert, für eine Blamage." Laut Karl Friedrich Werder verhalte sich Schellings zu Hegels Werk wie ein Fuchsbau zu einer hohen Felsenburg, nach Varnhagen von Ense war Schellings Berliner Auftritt „wider Willen ein Ehrendenkmal für Hegel, der Marmorblock des Xerxes!"14

Das Interesse Schellings für die Mythologie als philosophisches Problem bestand schon seit den jungen Jahren und manifestierte sich später auch in den Münchener Vorlesungen zur historisch-kritischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie und den Berliner Vorlesungen über die Phi-losophie der Mythologie (vgl. dazu 1.4).

Den Themenkreisen Philosophie der Mythologie und dem späten Schel-ling kommt heute wachsendes Interesse zu.15 Bei den widerstreitenden philosophischen Bemühungen um den Mythos gilt es - so Christoph Jam-me - .die Komplizenschaft mit dem Mythos wie auch seine Verdammung im Dienst rationaler Kontrolle zu verweigern'.16

Auch die Meinungen zu Schellings Philosophie der Mythologie gingen und gehen auseinander, sind teilweise konträr. Rochus von Liliencron, der Schellings Vorlesungen beiwohnte, meinte ein .Gespinst von phanta-stischen und willkürlichen Deutungen, weder aber Philosophie noch Mythologie zu hören'17; vernichtend war auch das Urteil von J. G. Droysen bezüglich der Berliner Philosophie der Mythologie: „Wahrhaftig der alte Hegel leistete was darin, die empirische Wahrheit mit Füßen zu treten, aber es waren die rhythmischen Füße einer großen Gedankenwelt, fest und schön und klar in sich. Hier sind es die Spinnen- und Elefantenfüsse der Willkür, Unkenntnis, Unlogik und Phantasterei."18

Aber hier soll und kann nicht der Ort einer eigenen Interpretation sein, es geht um die Vorstellung von Texten, genauer von Vorlesungsmit-schriften bzw. Nachschriften. Vorgelegt wird einmal die Edition von zwei Nachschriften der Vorlesung über die historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie von 1837 an der Universität München sowie zweitens eine Mitschrift der Vorlesung 1842 an der Universität Ber-lin mit dem Titel „Philosophie der Mythologie".

Die Vorlesungsnachschriften werden in einer den kritischen Maßstä-ben angenäherten Form vorgestellt, ohne einer künftigen, historisch-kri-tischen Ausgabe der Schellingschen Vorlesungen vorgreifen zu können. Ziel der Ausgabe ist es, die Texte jetzt schon für die Forschung verfügbar zu machen, und dies aus mehreren Gründen:

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EINLEITUNG 11

- Mit den vorliegenden Mitschriften bzw. Nachschriften von Schelling-Vorlesungen sollen die in den letzten Jahren begonnenen Editionen fort-gesetzt werden.19 In vergleichender Betrachtung können die Perspekti-ven der Schelling-Forschung erweitert werden.

- Die Grundlage für einen Vergleich der Texte mit der Version in den von K. F. A Schelling herausgegebenen Sämtlichen Werken (1856-1861) wird verbreitert, die Differenzen im Wortlaut können interessante Finger-zeige für die Interpretation bieten.

- Durch die Vorlage von in verschiedenen Jahren konzipierten Fas-sungen der Vorlesungen könnte ein Beitrag zum Verständnis des Spät-werks von Schelling als ,work in progress' geleistet werden.

- Mit dieser Edition soll auch eine zusätzliche Anregung hinsichtlich der Debatte um Einheit und Differenz im Schaffen des frühen und späten Schelling geliefert werden. Wie die These vom radikalen Bruch zwischen dem .aufrichtigen Jugendgedanken' und .phantastischen Jugendtraum' (Marx)20, der .brausenden Jugendlust der frischen Ideeneroberung', dem ,auf der ev icatnÄv-Flöte der Idee brillierenden philosophischen Apoll' (K. Rosenkranz)21 und dem Offenbarungspropheten, dem Sophisten und Charlatan (Varnhagen von Ense)22, dem Judas-Ischariot der Philosophie' (L. Feuerbach)23 an der Sache vorbeigeht, so scheinen Interpretations-strategien, welche eine ungebrochene Kontinuität von der Magisterarbeit über die Jenaer Identitätsphase hin zur Berliner Periode attestieren, äu-ßerst fragwürdig.

- In der vorliegenden Mitschrift von 1842 soll der,Drache', die Hegel-sche Philosophie, unmittelbar zum Kampf gestellt und besiegt werden, es tritt verstärkt ,die Polemik gegen Hegel hervor, aber ohne sich auf des-sen Denken sonderlich einzulassen'.24 Somit bietet sich ein unmittelbarer Ansatz für die oben genannten vergleichenden Betrachtungen.

- Die verschiedenen Fundorte der bisher publizierten Schelling-Mit-schriften überhaupt (Schweiz, England, Griechenland, Ungarn)25 verwei-sen auf die europäische Dimension der Rezeption der Philosophie Schel-lings im neunzehnten Jahrhundert, ein bekanntes Indiz hierfür waren auch die prominenten ausländischen Hörer der Berliner Zeit, unter anderen Sören Kierkegaard, Michail Bakunin und Jacob Burckhardt. Die Wir-kungsgeschichte des Schellingschen Denkens im Europa des vorigen Jahr-hunderts bildet ein offenkundiges Desiderat der Forschung.26

Dank für die freundliche Genehmigung zur Publikation der Handschrif-ten gilt der Nationalbibliothek Griechenlands in Athen, der Ungarischen

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12 EINLEITUNG

Nationalbibliothek (Magyar Tudomänyos Akademia Könyvtära Budapest) und der Bayerischen Staatsbibliothek München.

Dank sagen möchten wir Herrn Prof. Jänos Rathmann (Budapest) für die Übermittlung wichtiger Hinweise zu Herkunft und Überlieferung der Budapester Mitschrift sowie für Übersetzungen aus dem Ungarischen.

Weiterhin danken wir Frau Dr. Christina Junghanß (Weimar), Herrn Frank Rühling (Jena) und Herrn Bernhard Pfeiffer (Jena) für die große Unterstützung der Transkriptionsarbeiten.

Für wichtige Hinweise bezüglich der Handschriften und der Edition sei Herrn Dr. Walter Schieche (Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München) und Herrn Prof. Walter Ehr-hardt (Hannover) gedankt.

Ferner gilt der Dank Frau Prof. Georgia Apostolopoulou (Ioannina) für den Hinweise auf die Athener Nachschrift und für die freundliche Zustimmung, das von ihr schon erarbeitete Material bezüglich dieses Dokumentes zur Verfügung zu stellen.

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EINLEITUNG 13

1.2 Editorische Grundsätze

Es wurde versucht, die Authentizität der handschriftlichen Dokumente, soweit es irgend geht, beizubehalten. Allerdings traten bei der Wiederga-be des Textes der Mitschrift 1842 spezielle Probleme auf, es handelte sich beim Mitschreiber um einen ungarischen Studenten, der verständlicher-weise noch gewisse Schwierigkeiten bei der Erfassung und Niederschrift des Gehörten sowie bei der Beherrschung der Orthographie und Gram-matik aufweist. Im Fortgang der Vorlesungsmitschrift sinkt dann die ent-sprechende Fehlerquote.

Die gesonderten Verfahrensweisen mit dieser Handschrift werden unter b) speziell ausgewiesen.

a) Durchgängige Prinzipien der Vorstellung des Textes

Bei der weitgehend manuskriptgetreuen Wiedergabe werden folgende Regeln berücksichtigt:

Die Schreibweise von Wörtern wird vereinheitlicht, ebenfalls die Schreibweise von Eigennamen. Der Apparat teilt bestimmte Abweichun-gen vom Manuskript mit, nicht mitgeteilt werden allerdings Streichungen, Dittographien, offensichtliche Verschreibungen. Ohne Apparatmitteilung werden ganze Wörter in eckigen Klammern ergänzt. Allerdings werden die meisten der damaligen Spracheigentümlichkeiten, welche in allen vorliegenden Handschriften auftreten, beibehalten: (existirte, produciren; Ergebniß, Ereigniß, Verhältniß; Willkühr; Sündfluth, Thatsache, Theil; Seyn, Bewußtseyn; Prädicat, Princip, uncritisch; e-Elisionen etc.). Die vorhandenen Abkürzungen wie „u."; „od." sowie „zb." werden im Text mit „und"; „oder" sowie „z. B." wiedergegeben. Größere Streichungen und Korrekturen in der Handschrift werden im textkritischen Apparat dokumentiert, sofern eine inhaltliche Dimension der Änderung vorlie-gen könnte. Im Original unterstrichene Wörter werden durch Sperrung ausgezeichnet. Die Schreibweise von Eigennamen wurde vereinheidicht.

b) Besonderheiten der Textbearbeitung der Mitschrift 1842

Die Eigentümlichkeit des Textes wurde weitgehend gewahrt, zugleich sollte der Text in behutsamer Weise lesbar gemacht werden. In erweitertem Umfang sind orthographische und besonders grammatikalische Korrek-turen vorgenommen, dies verlangt die vorliegende Form der von einem ungarischen Studenten verfaßten Mitschrift (z. B. kan - kann, Bewust-seyn - Bewußtseyn, Götter Vorstellungen - Göttervorstellungen, Völker Erzählung - Völkererzählung; werden wir einsehen, was sei die Mythologie

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14 EINLEITUNG

eigentlich - werden wir einsehen, was die Mythologie eigentlich sei; kann die Mythologie gehörig verstehen werden - kann die Mythologie gehörig verstanden werden etc.). Stillschweigend sind ebenfalls Personennamen (z. B. Herman - Hermann; Houme - Hume, Kreutzer - Creuzer), griechi-sche Wörter und Begriffe sowie lateinische Zitate richtiggestellt, gleiches gilt für eindeutige Verschreibungen und offensichtliche Hörfehler (z. B. Höllersee - Hellsehen).

Eindeutige Abkürzungen, welche in großer Anzahl enthalten sind, werden (bis auf wenige Ausnahmen wie „z. B.") ohne textkritische Hin-weise ausgeschrieben (z. B. Mythol..- Mythologie, d'ch - durch, n - nicht, v - von, ü - und, Offenb. - Offenbarung, Polyt. bzw. Polyth. - Polytheismus, G. - Gott), in Zweifelsfällen erfolgt eine Apparatnotiz.

In gewissem Umfange sind an manchen Stellen unbedingt erforderli-che Konjekturen vorgenommen, gekennzeichnet durch eckige Klammern (z. B. „Di e Mythologie wäre dann nicht nur ein natürliches, sondern eine organisches [Erzeugnis] gewesen." - „Durch Sprache sind [Völker] in-nerlich getrennt," - „Jetzt hat man versucht, [für den Namen] jener Stadt [eine] andere Ableitung [zu] finden." - „so haben Griechen [als] erste die Namen und [die] Natur [der] Götter erkannt," -„I n der Zeit vor [den] Völkern"). Diese Einfügungen orientieren sich in einigen Fällen am Text der Sämmtlichen Werke.

Mißverständnisse, die nicht durch vorsichtige Konjekturen zu behe-ben sind, bleiben erhalten.

Ein Hauptproblem betrifft die im Text vorhandenen Wortfolgen, wel-che trotz eventueller Konjekturen keine geschlossenen Sätze ergeben. Hier erfolgt zumeist die Streichung und in einigen Fällen, in welchen eine Wiedergabe inhaltlich noch sinnvoll erscheint, die Anführung der Worte im Apparat.

Erläuterung der verwendeten Zeichen und Zahlen

Fettdruck Hervorhebung, Unterstreichung im Original I neue Seite in der Handschrift [ ] Einfügungen seitens der Herausgeber

Weglassungen der Herausgeber hochgestellte Zahlen texterklärende Anmerkungen hochgestellte kleine textkritische Anmerkungen - Erklärung auf" der

Buchstaben betreffenden Seite (?) fragliche Lesart

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EINLEITUNG 15

1.3 Herkunft der Handschriften und Bemerkungen zu den

Mit- bzw. Nachschreibern

13.1 Handschrift „Philosophie der Mythologie vorgetragen von Schelling im Sommersemester 1836/37", Anton Eberz, Bayerische Staatsbibliothek München

Die vorliegende Nachschrift befindet sich unter dem Titel „Cod. germ. 7473 Schelling. Philosophie der Mythologie" in der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München. Das Deckblatt trägt die Auf-schrift „Schelling. Philosophie der Mythologie. Sauber geschriebenes Collegheft nach S. 1836/37 gehaltenen Vorlesung. In 4 to44 Bll. (Schelling hatte 1836 ein Buch darueber angekündigt, das aber nicht erscheinen ist)". Dieses Kollegheft wurde in der Buchhandlung Wilh. Heims in Leipzig gebunden, die Innenseite des Deckblattes enthält die Aufschrift: No. 137. Anton Eberz.27

Der Besitzer der Nachschrift war Anton Eberz, geb. 23. 4. 1817 in Frankfurt/Main, er studierte seit 1836 in Bonn und München, ab 1842 wirkteer als Gymnasialprofessor in Disentis, Graubünden, dann ab 1842 als Lehrer an der Selectenschule in Frankfurt/Main und ab 1853 als Gymnasialprofessor in Frankfurt/Main.28

132 Handschrift „Philosophie der Mythologie vorgetragen v. Jos. v. Schelling Sommersemester 1836/37" Nationalbibliothek Athen

In der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek Griechenlands in Athen befindet sich unter der Registriernummer EBE TXO 1787 ein Do-kument mit der Überschrift: „Philosophie der Mythologie vorgetragen v. Jos. V. Schelling Sommersemester 1836/37". Es ist gebunden, hat die Grö-ße2l ,5xl8cm und besteht aus 24 Blättern, davon sind 21 Blätter, welche mit arabischen Ziffern oben rechts fortlaufend numeriert sind, auf Vor-der- und Rückseite mit schwarzer Tinte beschrieben (42 Seiten). Eine zweite Numerierung nach jeweils acht Seiten erfolgt mit arabischen Zif-fern und Punkt in der Schrift des Nachschreibers rechts oben über der ersten Zeile bzw. rechts neben der ersten Zeile. Rechts unten findet sich, wahrscheinlich durch spätere Eintragung, die entsprechende Nume-rierung mit arabischen Ziffern ohne Punkt.

Diese Handschrift wurde von Frau Georgia Apostolopoulou (Ioannina) entdeckt.29 Sowohl im Katalog der Handschriften der Nationalbibliothek Griechenlands von J. und A. Sakkelion als auch im „Katalog der Archi-

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16 EINLEITUNG

ve" von L. Polites wird der Name „Jos. v. Schilling" statt des richtigen „Jos. v. Schelling" angegeben.30

Für das Sommersemester 1837 an der Universität München hatte Fried-rich Wilhelm Joseph Schelling eine seiner Vorlesungen mit dem Titel „1) die historisch-kritische Einleitung 2) philosophische Einleitung, 3) den ersten Teil der Philosophie der Mythologie" angekündigt.31

Der Inhalt der Handschrift entspricht in großen Zügen dem Gehalt von vier Vorlesungen Schellings, welche in der Ausgabe von K. F. A. Schelling in der „Einleitung in die Philosophie der Mythologie. ErstesBuch. historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie" abge-druckt wurden, der Text reicht bis zur fünften Vorlesung, die vierte Vor-lesung fehlt.

Einige Charakteristika des Textes der Handschrift - kaum orthogra-phische oder grammatikalische Fehler, so gut wie keine Abkürzungen -könnten die Annahme stützen, daß es sich nicht um eine unmittelbare Mitschrift der Vorlesung von Schelling handelt, sondern um eine bear-beitete Fassung einer Kollegmitschrift oder gar eine Abschrift eines Ma-nuskriptes von Schelling. Weder die Handschrift noch der Katalog von J. und A. Sakkelion geben Auskunft über den Verfasser bzw. darüber, wie das Dokument in die Nationalbibliothek Griechenlands kam. Da die Handschiften EBE TXO 1786 und EBE TXO 1788 ein Geschenk von Pantazes Rysios an die Bibliothek sind, vermutete Polites, daß auch die Handschrift EBE TXO 1787 von Rysios stammt, allerdings ohne belegen zu können, daß Rysios der Verfasser war oder eben nur ein späterer Be-sitzer der Nachschrift, welche er dann der Nationalbibliothek überlassen hat.32

In den Matrikeln der Universität München aus dem akademischen Jahr 1835-1836 ist Pantazes Rysios aus Ägina als Student der Philologie ver-zeichnet, während er in den Matrikeln des hier interessierenden akade-mischen Jahres 1836/37 nicht mehr aufgeführt ist.33 Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß er Vorlesungen Schellings als Gasthörer besuchte. Auch andere seiner Handschriften, die er später der Nationalbibliothek übergab, belegen sein philologisches und philosophisches Interesse. Aber ein Vergleich mit der Handschrift EBE TXO 1791, welche laut Polites von Rysios selbst geschrieben wurde, verweist auf einen anderen Verfasser der Nachschrift. Außerdem sind einige Worte aus dem Griechischen (be-sonders aus Hesiods Theogonie) in der Nachschrift teilweise mit lateini-schen Buchstaben geschrieben oder enthalten Fehler in der altgriechi-schen Schreibweise. Diese Fehler sind bei einem Studenten der Philolo-gie wohl kaum zu vermuten.

Es ist schwer zu ermitteln, ob der Verfasser der Nachschrift ein grie-chischer Student Schellings war und wer dieser gewesen ist. In den drei-

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EINLEITUNG 17

ßiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts studierten viele Griechen an der Philosophischen Fakultät der Universität München, wobei nicht alle offiziell immatrikuliert waren.34 Einer dieser nicht Eingeschriebenen war der spätere Hegelianer Johannes Menagias (1811-1870), der nach eigenen Angaben Schellings Münchener Vorlesungen gehört hatte. Bevor er im Sommersemester 1837/38 in Berlin bei Eduard Gans, Gustav Hotho und Karl Friedrich Werder studierte35, war er wohl im Sommersemester 1836/ 37 an der Universität München.36 Aber ein Schriftvergleich mit der Promotionsschrift von Menagias, welche im Archiv der Universität Leip-zig aufbewahrt wird, schließt Menagias als Verfasser der Nachschrift aus.37

Als Nachschreiber käme auch der spätere bekannte Philosophiehisto-riker und Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Athen, Nikolaos Kotzias (1814-1885), in Frage. Er war in München als Jurastudent immatrikuliert, hatte laut eigenen Angaben außer den Vor-lesungen in Jura und Ökonomie auch von 1834 bis 1841 Schellings Vor-lesungen besucht.38 Notizhefte seines Lehrers Schelling brachte er nach Griechenland mit und gebrauchte diese später auch als Quelle, um 1854 in einem Nachruf Schellings Philosophie dem griechischen Publikum vorzustellen.39 Diese Hefte stellten für Kotzias eine besonders wertvolle Quelle für die Kenntnis des späten Schelling dar, da die Münchener Vor-lesungen noch nicht herausgegeben waren. Dieser Nachruf „Schelling, d. h. einiges aus seinem Leben und seiner Philosophie" repräsentiert eine interessante Darstellung der Philosophie Schellings aus der Sicht eines unmittelbaren ausländischen Schülers und Anhängers, welcher sich ca. zwanzigjahre später in seiner „Geschichte der Philosophie" (6 Bände, 1876— 1884) als kritischer Schellingianer erweist.40 Der späte Kotzias betrachtet Schellings Denken als den Gipfel der modernen Philosophie, während er Hegels Metaphysik als eine Episode zwischen dem frühen und späten Schelling abwertet; zugleich wird jedoch auch die Philosophie seines Mün-chener Lehrers der Kriti k unterzogen.41 Bisher ist noch kein Autograph von Kotzias aufgefunden worden, aber die erwähnten Fehler in altgrie-chischen Wörtern schließen seine Autorschaft wohl aus.

Obschon die Frage der Verfasserschaft noch offen ist (die fast perfek-te Beherrschung der deutschen Sprache deutet auf einen deutschen Nachschreiber bzw. .Kopisten' hin), ist die Tatsache des Auffindens der Handschrift in Griechenland ein Indiz für das Interesse, das die Schel-lingsche Philosophie bei griechischen Denkern des neunzehnten Jahr-hunderts gefunden hatte und belegt neben der in diesem Band weiterhin abgedruckten Mitschrift einer Schelling-Vorlesung durch einen ungari-schen Studenten neue Dimensionen der europäischen Ausstrahlung des Schellingschen Denkens. Obwohl nur wenige Griechen sich mit Schellings Philosophie in systematischer Absicht beschäftigt hatten, war die erste

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18 EINLEITUNG

Bekanntschaft mit Schellings Philosophie durch seine Vorlesungen ein wichtiger Impuls für ihre eigene wissenschaftliche Tätigkeit.42

133 Handschrift „Philosophie der Mythologie von Dr. Schelling". Vorlesungs-mitschrift von Andreas von Chotwas (Berlin 1842), National-bibliothek Budapest

Die Mitschrift der Vorlesung „Philosophie der Mythologie"Von F. W. J. Schelling aus dem Jahre 1842 befindet sich in einem Kollegheft, welches unter der Bezeichnung „Chotwas, Andreas v. Akademische Vorlesungen in Berlin 1842 (Schelling, Marheinecke, Neander, Werder, C. Twesten A.; Uhleman Fr., Cybulski, Hengstenberg, Rudorff, A. A .F. elöadäsai utän keszitett jeyzetek" (dt. - .Nachschriften aufgrund der Vorlesungen von Schelling...") in der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek Buda-pest sich befindet. (Signatur: Quart. Germ. 1158)43

Im Beschaffungsbuch der Handschriftenabteilung steht folgendes: Chotväts Andräs egyetemi jeyzetei es szemelyi iratai 2 köt (Andräs Chot-väts Kolleghefte und persönliche Papiere 2 Bde.) - Einkauf von Gyula Lux vom 6.8.1955. Nach schriftlicher Mitteilung von Lux kamen diese Papie-re über folgenden Weg in seine Hände: Den Nachlaß von Andräs Chotväts, evangelischer Pfarrer in Vizesret (slov.: Mokra Lüka) übernahm sein Sohn, Pfarrer in Alsosajö. Nach dessen Tode übergab die Witwe alle Schriften ihrer Schwester Zsuzsanna Schablik, welche diese wiederum an Gyula Lux weitergab.44

Der Mitschreiber Andräs Choväts (Chotväts, von Chotwas) wurde in Kövi (ehemaliges ungarisches Komitat Gömör) geboren, wo sein Vater, Mätyäs Choväts als evangelischer Pfarrer tätig war. Es besuchte bis 1839 das Gymnasium in Kesmärk (slov. Kezmarok) und wurde Lehrer in Ratko (slov. Ratkovä). 1841 ging er zum Studium nach Jena, wo er Heinrich Ludens Vorlesungen zur Geschichte der neueren Zeit hörte, dann war er ab 1842 Student an der Berliner Universität. Nach seiner Rückkehr wirkt er zunächst in Ratkö, dann 1846 in Nyiregyhäza und in Vizesvet als Pfar-rer.43

Im Kollegheft sind folgende Vorlesungen enthalten: 1) S. 1-82. Philosophie der Mythologie von Dr. Schelling; 2) 82-112 Die

Wirklichkeit der neueren Philosophie in der Theologie Marheine-ke; 3 113-126 Logik und Metaphysik von C.Werder; 4) 126-129,131-136 Antiquitates sacra Hebraorum von Fr. Uhleman; 5) 130-131 DePoesi slavorum populari von Dr. Cybulski; 6) 137-138 Exodus von Hengsten-berg; 7) 138-139SophoclisAnügonavonDr.ABoeckh; 8) 139-141 Insti-tutiones et antiquitates Juris Romani von Dr. A. A. F. Rudorff, auf den Seiten 141-143 findet sich eine Eintragung in slovakischer Sprache, am

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EINLEITUNG 19

Ende der Handschrift (Rückseite des Blattes 143) steht: „Konec, dne 27 cervence 1842" (Ende 27. Juli 1842)

Auf dem Titelblatt ist das Jahr 1842 genannt. Die Blattgröße beträgt 26 x 19 cm, beide Seiten der Blätter sind beschrieben.

1.4 Schellings Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründ-lich nennen?"46 Unergründlich erscheint auch der Anfang des Logos. Scheinbar ist er nicht greifbar und verweist so auf eine unergründliche Vergangenheit, woraus der Logos geboren werde. Der alte Schelling zieht aus dieser Einsicht die ausdrückliche Konsequenz, daß eine Philosophie der Mythologie zu den elementaren Themen der Philosophie zu gehören hat. Die von vielen Interpreten Schellings als Bruch empfundene „Rück-wendung zum Mythos"47 ist die Wiederaufnahme eines alten Schelling-schen Themas, eine substantiell neue Variation der Behandlung des My-thologischen. Die Beschäftigung mit der Mythologie durchzieht Schellings gesamtes Schaffen, wobei sich zwischen der Magisterarbeit und den spä-ten Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie durchaus Verän-derungen im Mythologieverständnis vollziehen. Christoph Jamme hat versucht, die entsprechenden, verschiedenen Stufen der Schellingschen Sicht nachzuzeichnen.48 Zwar reicht der Vorlesungszyklus „Philosophie der Mythologie" nur bis in Schellings Erlanger Zeit (1821-1827) zurück, jedoch begegnet uns das Thema Mythologie bei ihm schon früh. Schon die Dissertation des siebzehnjährigen Tübinger Studenten „Antiquissimi de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes III. explicandi tentamen criticum et philosophicum" dokumentiert sein diesbezügliches Interesse.49 In bezug auf die vorliegenden Nachschriften wäre zu bemer-ken, daß Schelling in diesem frühen Zeugnis Auffassungen von Christian Gottlob Heyne vertritt, welche er später in den Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie kritisiert, unter anderem die These vom My-thos als kindheitlicher Denkform der Menschheit.50 Es wurde von der Forschung auch immer wieder darauf verwiesen, in welchem Umfang der junge Schelling die betreffenden Theorien seiner Zeit zur Kenntnis ge-nommen hatte.51 Weitergeführt wird diese Beschäftigung mit der Arbeit „Ueber Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt", die 1793 in der von Paulus herausgegebenen Zeitschrift „Memorabilien" er-schien.52 Der Zusammenhang von Mythologie und Sprache, der in den Vorlesungen des alten Schelling über Mythologie ein zentrales Thema sein wird, reicht ebenfalls in die Tübinger Studentenzeit zurück. So findet sich

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20 EINLEITUNG

im Nachlaß Schellings ein Dokument von 1790, das den Titel trägt „Di e Ursprache des Menschengeschlechts"." Weitere Zeugnisse der Beschäfti-gung und Auseinandersetzung mit der Mythologie sind die umstrittene, mögliche Teilhabe an der Erarbeitung des sogenannten „Ältesten System-programms des deutschen Idealismus"**', aber vor allem das „System des transzendentalen Idealismus", in welchem die Mythologie als das .Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zu Poesie' verstanden wird und die zu-erst 1802 in Jena gehaltene und von Schellings Sohn aus dem Nachlaß herausgegebene Vorlesung „Philosophie der Kunst"?5 Hinsichtlich des Mythologieverständnisses bei Hegel und Schelling sieht Jamme in der Jenaer Zeit (um 1803/04) einen interessanten Optionswechsel bei beiden Denkern: Während der junge Hegel mit Herders Mythologieauffassung sympathisierte, vertrat Schelling einen aufklärerischen Mythos-Begriff.56

Jetzt aber behauptet Hegel ,die Historizität der Mythologie, während Schelling nunmehr auf eine zukünftige ,neue Mythologie' hofft.'57 Hin-sichtlich der „Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der mensch-lichen Freiheit", der Weltalter-Entwürfe sowie der kleinen Schrift „ Ueber die Gottheiten von Samothrake" finden sich in der Literatur verschiedene Interpretationsvarianten. Während ein Teil der Forscher hier den wohl gravierendsten Einschnitt in der Schellingschen Auffassung über die My-thologie sieht und eine neue Verbindung von Philosophie und Religion wie auch von Mythologie und Offenbarung konstatiert58 (ein kleines In-diz hierfür bildet der Beginn der vorliegenden Mitschrift von 1842, wo die erstmalige Verwendung des Titels .Philosophie der Mythologie' auf den genannten Zeitraum nach 1810 festgelegt wird), wird von anderen Inter-preten auf eine größere Kontinuität in Schellings Mythologie- und Reli-gionsverständnis hingewiesen.59

Der kurze Text,, Ueber die Gottheiten von Samothrake" bildet zugleich den Abschluß von Schellings publizistischer Tätigkeit. Außerdem Vor-wort zu den Schriften von Victor Cousin und den nachgelassenen Schrif-ten von Henrik Steffens wurde von Schelling selbst so gut wie nichts mehr herausgegeben. Über den Grund dieses publizistischen Schweigens wird man streiten können, jedoch wäre es zu einfach, wollte man dieses Schwei-gen als Eingeständnis des Scheiterns seiner Philosophie verstehen.

Die uns überkommenen Fassungen der Vorlesungsreihe „Philosophie der Mythologie" gehen in die Münchner Zeit (1827-1841) Schellings zurück, wenngleich die Gestalt des Textes in den Sämdichen Werken, nach Aus-kunft von Schellings Sohn, weitgehend aus der Berliner Zeit stammt.60 Im Sommersemester 1828 las Schelling das erste Mal Philosophie der My-thologie in München. Von dieser Vorlesung, die Schelling über drei Se-mester hielt (SS 1828, WS 1828/29 und SS 1829), existieren Vorlesungs-

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EINLEITUNG 21

nachschriften, die G. Dekker zum Teil in seinem Buch „Die Rückwendung zum Mythos" herangezogen hat.61

Desweiteren hat Schelling die Philosophie der Mythologie in München vorgetragen:

WS 1830/31 Philosophie der Mythologie SS 1831 Philosophie der Mythologie, zweiter Teil SS 1834 Philosophie der Mythologie WS 1835/36 Allgemeine Einleitung in die Philosophie der Mythologie,

sodann ausführlicher Vortrag des zweiten Teiles dersel-ben (ägyptische, indische, hellenistische)

SS 1837 1. die historische, 2. die philosophische Einleitung, 3. den ersten Teil der Philosophie der Mythologie

WS 1837/38 Den vom vorigen Halbjahr noch übrig gebliebenen Teil der Philosophie der Mythologie.

SS 1838 Philosophie der Mythologie. Fortsetzung und Schluß. WS 1840/41 Im 2. Teil des Halbjahres: Philosophie der Mythologie.62

An publizierten Nachschriften der Vorlesungen Schellings aus München liegt bis jetzt nur der von Luigi Pareyson und Maurizio Pagano herausge-gebene Text „La Philosophie de la mythologie de Schelling d'apres Charles SecretanCMunich 1835-36)etHenri-Frederic Amiel(Berlin 1845-46)"Mkno 1991 vor. Der Text von Secretan besteht aus einer Nachschrift der Mono-theismusdarstellung und der Philosophie der Mythologie, während die Nachschrift von Amiel die historisch-kritische Einleitung in die Philoso-phie der Mythologie, die Darstellung des Monotheismus und die Philoso-phie der Mythologie umfaßt. Angekündigt ist die Edition einer Nachschrift der letzten Münchener Vorlesung von 1841, herausgegeben von Andreas Roser und Holger Schulten mit einer Einleitung von Walter E. Ehrhardt (Stuttgart-Bad Cannstatt 1995).

Schelling selbst hat den Vorlesungszyklus „Philosophie der Mytholo-gie" immer wieder bearbeitet. Darüber geben nicht nur seine Nachlaß-bestimmungen Auskunft63, sondern auch die zugänglichen Texte aus je-ner Zeit, eben die Nachschrift von Secretan (WS 1835/36), sowie die Nachschriften vom SS 1837 und WS 1840/41. Zwar bemerkt Schelling in seiner Nachlaßbestimmung von 1853, daß der historisch-kritische Teil der Einleitung in die Philosophie der Mythologie so weit ausgearbeitet ist, daß er „völli g druckreif wäre64, gleichwohl hat er den Aufbau der Vorlesung immer wieder umgestellt. So bringt die Nachschrift Eberz Schellings Auseinandersetzung mit der religiösen Deutung der Mytholo-gie erst nach der Darstellung der Völkerentstehung, während diese Passage in den Werken wesendich früher, nämlich in der vierten Vor-lesung, behandelt wird. Daß Schelling die Vorlesungsreihe immer wie-

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22 EINLEITUNG

der überarbeitet hat, mag auch der Grund dafür sein, daß er die ge-plante Veröffentlichung der „Philosophie der Mythologie" immer wieder aufschob. Schon 1830 war eine Veröffendichung der „Philosophie der Mythologie" geplant, ja schon waren einige Bogen gedruckt, die jedoch von Schelling zurückgezogen wurden.65 Hier mögen didaktische Ge-sichtspunkte eine Rolle spielen, jedoch wird auch Schellings grundsätz-liche Einschätzung nicht unterzubewerten sein, daß eine Veröffentli-chung „noch immer zu früh kommt".66

Die Münchner Vorlesung über Philosophie der Mythologie, von wel-cher hier zwei Nachschriften zur Edition vorgelegt werden, begann am 4. April 1837.67 Am 3. Juli 1837 mußte die Vorlesung wegen Krankheit aus-fallen, hierzu wird in dieser Edition ein Dokument (I) von der Hand Schellings abgedruckt.68 Der schlechte Gesundheitszustand Schellings während dieses Semesters wird auch durch einen Brief von Dorfmüller vom 31. Juli belegt.69

Auch die Berliner Vorlesungen über Philosophie der Mythologie ori-entieren sich in ihrem historisch-kritischen Einleitungsteil an dem in Mün-chen Erarbeiteten. Schelling hat in Berlin die Philosophie der Mythologie erstmals im SS 1842 vorgetragen, der gesamte Zyklus Philosophie der Mythologie wurde jedoch erst im SS 1845 und im WS 1845/46 gelesen. Im SS 1843 kündigte Schelling Philosophie der Mythologie an, jedoch hat er in diesem Semester nicht gelesen.70 Wie das Dokument IV belegt, begann Schelling seine Vorlesung über Philosophie der Mythologie im SS 1842 am 2. Mai.71 Zusätzlich zur Vorlesung bot Schelling viermal im Semester ein Privatissimum an, jeweils sonntags von 13.00 bis 14.00 Uhr. Über den Vorlesungsbeginn vermerkte die „Allgemeine Zeitung" (Nr. 95 vom 28.5. 1842): „Eine neue Wissenschaft ziert diesmal den Lectionskatalog, die .Phi-losophie der Mythologie'. Schelling ist ihr Urheber und hat sie nicht nur angekündigt, sondern liest sie auch ungeachtet des übertünchten Ge-krächzes hochmüthiger Schwätzer von Wissenschaft."72

Die hier publizierte Nachschrift der Schellingschen Vorlesung aus dem SS 1842 bringt neues Licht in die Genese des Textes aus den Werken?1

Schelling behandelt in dieser Vorlesung die historisch-kritische Einlei-tung in die Philosophie der Mythologie, geht dann über zur Darstellung des Monotheismus. Ein wichtiger neuer Gesichtspunkt, der in der Nach-schrift dokumentiert ist, besteht in der Darstellung der geschichtlichen Genese der von Schelling so genannten „philosophischen Religion" zwi-schen historisch-kritischer Einleitung und Monotheismusdarstellung. Diese Entwicklung, die nach den Werken ihren Ort in der ersten Vorlesung der „Philosophischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der reinrationalen Philosophie" gefunden hat, wird hier in der historisch-kritischen Einleitung verhandelt. Der in den Werken edierte

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EINLEITUNG 23

Text beschäftigt sich mit der Frage nach der philosophischen Religion am Ende der historisch-kritischen Einleitung (XI, 250 f.). In der Nach-schrift Chotwas nimmt diese Darstellung einen wesendich größeren Raum ein. Schelling legt hier dar, weshalb die Forderung nach einer philosophi-schen Religion erst nach der philosophiegeschichtlichen Entwicklung bis zum Idealismus entstehen konnte. Erst mit dem durch Kant inaugurierten Kritizismus wurde das Denken auf sich selbst gestellt, so daß die Forde-rung nach einer philosophischen Religion entstehen konnte. Freilich, diese philosophische Religion existiert nicht, wie es der erste Satz der Darstel-lung der reinrationalen Philosophie betont74, weil die Philosophie nicht existiert, die dazu erforderlich wäre.

Zwar führt die historisch-kritische Einleitung nach Ausscheidung aller Deutungsversuche der Mythologie, welche von unhaltbaren Vorausset-zungen ausgehen, zu der Struktur von Bewußtsein überhaupt als der nicht mehr zu hintergehenden Voraussetzung, jedoch bleibt dieses Bewußtsein unbestimmt, da die Prinzipien nicht expliziert werden, welche die Struk-tur des Bewußtseins ausmachen. Nach Schellings Nachlaßbestimmung hat dies der philosophische Teil der Einleitung in die Philosophie der Mythologie zu leisten. „Aber nicht die Absicht dieser Vorträge ist es, jetzt die + Philosophie auszuführen, sondern zu den für die wirkliche Aufstel-lung einer Phil. d. Myth. nöthigen Principien soll auf dem Wege gelangt werden, daß ein zugestandener Begriff (hier der des Monoth.) angenom-men und auf analyt. Wege dessen Voraussetzungen gefunden werden."75

Im Vortrag von 1842 ist diese rationale Philosophie, welche die Prin-cipien zu explizieren hat, nicht als rationale Philosophie ausgeführt. Schel-ling geht nach der historisch-kritischen Einleitung über zur Monotheis-musdarstellung, die in der Handschrift deudich abgesetzt ist, als neuer Abschnitt, der die Überschrift „I . Der Theogonische Proceß des Mono-theismus" trägt. Ausgegangen wird hier von einem zugestandenen Begriff, dem des Monotheismus. Dieser Begriff, der bloß faktisch aufgenommen ist, Wird von Schelling einer Analyse unterzogen, welche im Gespräch mit der 7eitgenössischen Philosophie und Theologie erfolgt. So setzt sich Schelling hier unter anderem mit Schleiermachers Darlegung der Lehre von den Eigenschaften Gottes in „Der christliche Glaube" auseinander.76

Gegenüber dem Text der Werke bringt die Mitschrift von 1842 jedoch eine wesendiche Abweichung bezüglich der Prinzipienexplikation. Geht die Prinzipiengrundlegung in dem Text der Werke von dem Sein-Können-den als dem ersten Moment des Seienden aus77, so ist die Prinzipien-grundlegung in der Mitschrift ganz anders aufgebaut. Den Ausgangspunkt für die Frage nach den Prinzipien bildet hier das notwendig Existierende, und von diesem wird gefragt, ob es auch das seiner Natur nach notwen-dig Existierende sei.78 Die Fragestellung findet ihre Parallele in dem Text

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24 EINLEITUNG

„Andere Deduktion derPrincipien der positiven Philosophie" (XIV , 335-356). Ein Vergleich beider Texte zeigt, daß sie im Aufbau übereinstimmen. Dies berechtigt zur Annahme, daß Schelling die Prinzipienexplikation, wie sie in der „Anderein] Deduktion" ausgeführt ist, 1842 im Zusammenhang der Erörterung des Monotheismus zum ersten Mal vorgetragen hat. (Vielleicht hat Schelling diese Passage nur in diesem Semester vorgetragen, da we-der die Münchener Texte noch die Nachschrift Amiel von 1845 diesen Teil enthält.) Damit läßt sich dieser Text aus den Werken bezüglich seiner Entstehung genauer datieren.79 Im Zusammenhang der Mythologievor-lesung bekommt dieser Text die Funktion des in Schellings Nachlaß-bestimmung genannten philosophischen Teils der Einleitung, der die Prin-zipien für die „wirklich e Aufstellung einer Phil. d. Myth."80 bereitzustel-len hat. Erst mit den aus der Deduktion resultierenden Prinzipien ist es möglich, die Mythologie als realen Prozeß des wirklichen Bewußtseins zu analysieren. Diese Perspektive deutet die Nachschrift vom SS 1842 je-doch nur an.

Zu den Anmerkungen

In den Anmerkungen werden für häufiger zitierte Werke folgende Ab-kürzungen gebraucht:

F. W. J. Schelling. Sämmtüche Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, 14 Bde., Stuttgart/Augsburg: Cotta, 1856-61. - Die Hinweise auf Band- und Seiten-zahlen dieser Ausgabe sind durch römische und arabische Zahlen abge-kürzt (z. B. XI , 64)

F. W. J. Schelling, Historisch Kritische Ausgabe (Hrsg. H. M. Baumgartner, W. G.Jacobs und H. Krings). Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. Im folgen-den: AA Schellings Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung von M. Schröter. München 1965. -Werke Schröter. Eine Konkordanz der 1. Stuttgarter und der 2. Gesamtausgabe (Schröter) findet sich bei H. Zelt-ner, Schelling-Forschung seit 1954, Darmstadt 1975,103-108. Grundlegung F. W. J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vor-lesung WS 1832/33 und SS 1833, herausgegeben und kommentiert von H. Fuhrmans, Torino 1972. Plitt Aus Schellings Leben. In Briefen. Bd. I-Lü, 1821-1854. Hrsg. von G. L. Plitt. Leipzig 1870.

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EINLEITUNG 25

Tilliette X. Tilliette, Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen, Torino 1974-81.

Rariora Schellingiana Rariora. Gesammelt und eingeleitet von L. Pareyson, Torino 1977. Nachlaßverfügung Schellings Verfügung über seinen literarischen Nachlaß, hrsg. von H. Fuhr-mans, in: Kant-Studien 51 (1959/60) Hermann, Mythologie G. Hermann, Ueber das Wesen und die Behandlungder Mythologie. Ein Brief an Herrn Hofrath Creuzer, Leipzig 1819. Creuzer, Symbolik F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Grie-chen, T. 1-7,2. völlig umgearb. Ausg. Leipzig/Darmstadt 1819-23 (Bd. 5 und 6 hrsg. von F. J. Mone). Vgl. XI, 89 Anm. 1: „Bei der Ausarbeitung der gegenwärtigen Vorträge ist die 2. Auflage benutzt." Allerdings verweist Schelling in der gleichen Anmerkung auch auf die 3. Auflage.

TWA G. W. F. Hegel, Theorie-Werkausgabe (Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel), Frankfurt a. M. 1969-70. Jamme Chr. Jamme, Einführung in die Philosophie des Mythos, Darmstadt 1991.

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26 EINLEITUNG

Dokumente

Dokument I - Aushang am Schwarzen Brett (von Schellings Hand), Sign. MS 600 (595). Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt

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EINLEITUNG

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28 EINLEITUNG

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Dokument LTI - Erste Seite Nachschrift .Athen'

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EINLEITUNG 29

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Dokument IV - Aushang am schwarzen Brett (von Schellings Hand), Sign. Aut. Slg. W. M. von Goethe. 711 b. Universitäts- und Landesbibliothek Jena

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30 EINLEITUNG

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Dokument V - Erste Seite Mitschrift Chotwas

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EINLEITUNG 31

Anmerkungen

1 K. Düsing, Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zu-sammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler, Köln 1988.

2 Beispiele für ähnlich gelagerte Editionen wären: L. Pareyson/M. Pagano (Hrsg.), La philosophie de la mythologie de Schelling d'apres Charles Secretan (Munich 1835-36) et Henri-Frederic Amiel (Berlin 1845-46), Milano 1991; A. Roser/H. Schulten, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophie der Mythologie. (Mit einer Einleitung von W. E. Ehrhardt), Stuttgart-Bad Cannstatt 1995.

3 Literatur zur Spätphilosophie Schellings sowie vergleichende Studien zum Ver-hältnis Schelling-Hegel: E. A. Beach, Schelling's Philosophy of Mythology, Albany, N. Y. 1991; K. Brinkmann, Schellings Hegel-Kritik, in: K. Hartmann (Hrsg.), Die ontologische Option, Berlin 1976; Th. Buchheim, Eins von Al-lem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992; K. Düsing, Vernunfteinheit und unvordenkliches Dasein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel, in: Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philoso-phie. Hrsg. von K. Gloy und D. Schmidig, Bern/Frankfurt a. M. 1987; ders., Spekulative Logik und positive Philosophie. Thesen zur Auseinandersetzung des späten Schelling mit Hegel, in: D. Henrich (Hrsg.), Ist systematische Phi-losophie möglich? Bonn 1977; W. E. Ehrhardt, Nur ein Schelling. In: Studi Urbinati 51 (1977); ders., Die Wirklichkeit der Freiheit. In: J. Speck (Hrsg.), Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Neuzeit IL Göttingen 1988; M. Frank, Der unendliche Mangel an Sein, Frankfurt a. M. 1975; R.-P. Horstmann, Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 1991; A. Franz, Philoso-phische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundproblemen der Spätphilosophie Schellings, Amsterdam 1992; Chr. Jamme, Einführung in die Philosophie des Mythos, Darmstadt 1991; P. L. Oesterreich, Philosophie, Mythos und Lebenswelt. Schellings universalhistorischer Weltalter-Idealismus und die Idee eines neuen Mythos, Frankfurt a. M. 1984; L. Procesi Xella, Ipotesi sulla mitologia nel tardo romanticismo tedesco: La Schellingiana intro-duzione storico-critica alla filosofia della mitologia, in: Studi Storico Religiosi 6/1-2 (1982), 253-285; W. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1955; M. Theunissen, Die Aufhe-bung des Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, in: Philos. JB 83 (1976); X. Tilliette, Schelling: Une philosophie en devenir, 2 Bde., Paris 1970, ders., La mythologie comprise. L'interpretation schellingienne du paganisme, Napoli 1984, 65-77; K.-H. Volkmann-Schluck, Mythos und Logos. Interpretationen zu Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin 1969; J. E. Wilson, Schellings Mythologie. Zur Auslegung der Philosophie der Mythologie und der Offen-barung Stuttgart-Bad Cannstatt 1993.

* Es handelt sich um die von Eduard Gans erwähnte und zur Herausgabe von Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte" (Erste Auflage innerhalb der .Freundesvereinsausgabe' 1837) als Quelle verwendete Heimann-Mitschrift. Diese wird im zweiten Band dieser hiermit begonnenen Doppeledition vorgestellt (voraussichtlich 1995/1996). Zu den Mit - bzw. Nachschriften von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte vgl.: F. Hespe, Hegels Vorlesungen zur .Philosophie der Weltgeschichte, in: Hegel-Studien, Bd. 26. Bonn 1991,78-37.

5 In diesem Band, S. 98, 163.

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32 EINLEITUNG

I ' Vgl. K. R. Meist, Mythologie und Geschichte, in: Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik, hrsg. von O. Pöggeler, Wiesbaden 1981, 130.

7 TWA 11,487-513. 8 Vgl.Jamme,56-57. ' Brief von F. T. Bratranek an Unbekannt vom 2. 12. 1843, (Der Empfänger des

Briefes war wahrscheinlich an I. J. Hanus), I. J. Hanus-Nachlaß im Literaturarchiv des PNP Prag.

10 „Er [sc. der Königl bedachte, - um mich seiner eigenen noch vor wenig Mona-ten brieflich ausgesprochenen Worte zu bedienen - ,die Drachensaat des Hegel-schen Pantheismus, der flachen Vielwisserei und der gesetzlichen Auflösung häuslicher Zucht, deren Erndte in jene Tage fallen muß'". Aus Bunsens Beru-fungsschreiben an Schelling, Hubel, August 1840, in: Plitt, III , 36.

" Brief von F. T. Bratranek an Unbekannt, a. a. O. 12 Brief von A. Hilgenfeld an seinen Vater vom 15. 11. 1842, Tilliette 440. 13 Vgl. dazu: Brief von J. Burckhardt an G. Kinkel vom 27. 2. 1842. Tilliette, 466;

Brief von S. Kierkegaard an P. Chr. Kierkegaard vom 27. 2. 1842. Tilliette, 451-452; Brief von J. G. Droysen an Th. Bergk vom 10.6. 1842. Tilliette, 467.

M Vgl. Varnhagen von Ense, Tagebücher, Tilliette, 549 und 436-437. 15 Vgl. hierzu: Jamme, (bes. die Kapitel zu G. W. F. Hegel und zu Schellings

Spätphilosophie, wo die verschiedenen Interpretationslinien aufgezeigt werden); weiterhin: Chr. Jamme, Gott an hat ein Gewand. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorie der Gegenwart. Frankfurt a. M. 1991.

16 Jamme, 17. 17 R. von Liliencron (1841), Tilliette, 448. 18 Brief von J. G. Droysen an Th. Bergk, a. a. O., 467. 19 Vgl. Anm. 2. 20 Brief von K. Marx an L. Feuerbach vom 3. 10. 1843, in: K. Marx/F. Engels,

Werke, Bd. 27, Berlin 1963,420. 21 K. Rosenkranz, Geschichte der Kant'schen Philosophie. (Leipzig 1840), Berlin

1987,404,405. 22 Vgl. Varnhagen von Ense, Tagebücher. Tilliette 436, 437, 458-459. 25 Brief von L. Feuerbach an Chr. Kapp vom 9. 10. 1841, Tilliette, 438. 2< K. Rosenkranz, Tagebuch 1842-1843. Tilliette, 438. 25 Einige ausländische Fundorte von Nach- bzw. Mitschriften Schellingscher Vor-

lesungen: Dornach bei Basel, Genf, Lausanne, London, Athen, Budapest. 26 In Vorbereitung: K. Vieweg, Schelling - Neue Dokumente zur Aufnahme seiner

Philosophie in Ungarn und Böhmen des 19. Jahrhunderts. 27 Signatur der Handschrift: Cod. ger. 7473 (Bayerische Staatsbibliothek München).

Das Deckblatt trägt ein Wasserzeichen. Auf dem Buchrücken steht: Philosophie d. Mythologie v. Schelling.

28 Vgl.: Deutsches Biographisches Archiv. Stichwort: Eberz, Anton. 29 G. Apostolopoulou, Eine Schelling-Nachschrift in der Nationalbibliothek Grie-

chenlands (griech.), in: Dodone 19, 3. Ioannina 1990, 41-46 (Die einführenden Bemerkungen zur Athener Nachschrift stützen sich wesentlich auf diesen Bei-trag).

30 J. und A. Sakkelion, Katalog der Handschriften der Nationalbibliothek Grie-chenlands (griech.). Athen 1892, 302; L. Polites, Katalog der Archive. Universi-tätsvorlesungen Nr. 99 (griech.). (Eine Kopie dieses bisher noch nicht edierten Kataloges befindet sich in der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek Griechenlands).

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EINLEITUNG 33

31 Vgl.: Verzeichnis der an der Königlichen Ludwig-Maximilians Universität zu München im Sommersemester 1836/37 zu haltenden Vorlesungen. München 1836, 13.

32 Vgl. L. Polites, a. a. O. 33 Vgl. Verzeichnis des Lehrer-Personals und der sämmtlichen Studirenden an der

K. Ludwig-Maximilians Universität München in den beiden Semestern des Studienjahres 1835/36, München 1836, S. 37.

M Vgl. G. Apostolopoulou, Die griechischen Schüler Schellings. Eine Übersicht, (griech.), in: Dodone, 20, 3. Ioannina 1991, 9-25.

35 Vgl. G. Apostolopoulou, Der Hegelianer Johannes Menagias. Einführung - Texte - Testimonien (griech.), in: Dodone, Ergänzungsheft 38, Ioannina 1988,32.

36 Vgl. Lebenslauf von Johannes Menagias. In: G. Hermanno, De hippodromo olympiaco dissertatio creation XX. philos. DD. at AA. LL . magg. die XIV m. Februarii a. MDCCCXXXLX , Lipsiae 1839, S. 20. Weiterhin zu J. Menagias: G. Apostolopoulou, Hegel-Studien in Griechenland, in: Hegel-Studien Bd. 21, Bonn 1986,191-192.

37 Die Promotionsschrift von Menagias wurde ediert in: G. Apostolopoulou, Der Hegelianer Johannes Menagias, S. 22-23.

38 Vgl. Matrikel der Universität München aus den Jahren 1843-1841, in denen N. Kotzias als Student der Juristischen Fakultät aufgeführt ist; N. Kotzias, Traktat über das Universitätsstudium (griech.), Athen 1858, 190. Kotzias erwähnt, daß er in München Jura, Ökonomie und Philosophie studiert hat. In seiner Schrift „Schelling, d. h. einiges über sein Leben und seine Philosophie" (griech.) ver-weist Kotzias darauf, daß er sieben Jahre an den Vorlesungen Schellings teilge-nommen hat (44).

39 N. Kotzias, Schelling, a. a. O. <0 N. Kotzias, Geschichte der Philosophie von der ältesten bis zu unserer Zeit

(griech.), Bd. 5, Athen 1878,368-396. 11 G. Apostolopoulou, Die griechischen Schüler Schellings, a. a. O., 22-23. « Vgl. ebd. 43 Orszägos Szechenyi Könyvtar Budapest (Handschriftenabteilung). 44 Beschaffungsbuch der Handschriftenabteilung (vgl. vorher. Anm.) - „Chotväts,

Andräs egyetemi jegzetei es szemelyi iratai. 2 köt." (dt.: Andreas Chotväts' Kolleghefte und persönliche Papiere).

« Vgl. ebd. 4i Th. Mann, Joseph und seine Brüder, GW Bd. IV, 9. 47 So der Titel der Untersuchung von G. Dekker, Die Rückwendung zum Mythos,

München 1930. m Jamme, 26-73. 49 A A I . l . S . 59-100. 50 Vgl. Jamme, 35; vgl. dazu weiterhin: Ch. Hartlich/W. Sachs, Der Ursprung des

Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952, 56-58. 51 Siehe hierzu: W. G. Jacobs, Anhaltspunkte zur Vorgeschichte von Schellings

Philosophie, in: H.-M. Baumgartner (Hrsg.), Schelling. Einführung in seine Philosophie, Freiburg 1975,27.

52 AA I, 1. S. 193-246. Schellings Artikel war der erste Beitrag des 5. Stücks der „Memorabilien. Eine philosophisch-theologische Zeitschrift der Geschichte und Philosophie der Religionen, dem Bibelstudium und der morgenländischen Lite-ratur gewidmet", Leipzig 1793.

53 Abgedruckt in: Schellingiana Rariora. Vgl. auch: „Vorbemerkungen zur Frage über den Ursprung der Sprache" (gelesen in der Klassensitzung der Akademie

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34 EINLEITUNG

der Wissenschaften in Berlin 25. November 1850 X, 419-426 und „Bericht über den pasigraphischen Versuch des Professor Schmid in Dillingen" 1811, SW VIII , 439-454. Auch in der Schrift „Ueber Mythen . . ." verweist Schelling auf Herders Untersuchung „Abhandlung über den Ursprung der Sprache" I, 44, hierzu vgl.: J. Hennigfeld, Schellings Philosophie der Sprache, in: Phil Jahrbuch 91 (1984), 16-29.

54 Zur Frage der Autorschaft: Chr. Jamme/H. Schneider (Hrsg.), Mythologie der Vernunft. Hegels „Ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus", Frank-furt a. M. 1984, X. Tilliette, Schelling als Verfasser des Systemprogramms?, in: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. M. Frank/G. Kurz, Frank-furt a. M. 1975.

55 Siehe hierzu: J. Hennigfeld, Mythos und Poesie. Interpretationen zu Schellings .Philosophie der Kunst' und .Philosophie der Mythologie', Meisenheim 1973.

56 Jamme, 58. 57 Ebd.; zum Mythologieverständnis des jungen Hegel: Chr. Jamme, Ist dennjudäa

der Tuiskonen Vaterland? Die Mythos-Auffassung des jungen Hegel (1787-1807), in: Philosophisch-literarische Streitsachen I: Früher Idealismus und Früh-Ro-mantik. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805), hrsg. von H. Holzhey und W.Jaeschke, Hamburg 1990,137-158.

58 Vgl. Jamme, 58-65; K. Düsing, Vernunfteinheit und unvordenkliches Sein. P. L. Oesterreich, Philosophie, Mythos und Lebenswelt.

59 Vgl. W. E. Ehrhardt, Nur ein Schelling; Chr. Danz, Die philosophische Christo-logie F. W. J. Schellings. Stuttgart-Bad Cannstatt, erscheint 1995.

60 Vgl. XI , V: „Di e letzte Ueberarbeitung von Seiten des sei. Verfassers hat dieser erste, historische Theil der Einleitung theils in den letzten Jahren seines Aufenthal-tes in München, theils noch in Berlin selbst, wo er ebenfalls (1842 und 1845) über Philosophie der Mythologie las, erfahren."

61 Vgl. hierzu Grundlegung, 28 f. a Vgl. H. Fuhrmans, Schellings letzte Philosophie. Berlin 1940, 326 ff. Vgl. auch

Grundlegung, 26-46. 63 Nachlaßverfügung, 14-26. M Nachlaßverfügung, 15. " Vgl. Schelling und Cotta. Briefwechsel 1803-1849, hrsg. von H. Fuhrmans und

L.Lohrer, Stuttgart 1965,157, 159, 172. * Brief an Maximilian, W. E. Ehrhardt, Schelling Leonbergensis und Maximilian

II . von Bayern, Schellingiana 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 73. 67 Vgl. Bayerische Annalen Nr. 128. 68 Siehe S. 26. 69 Plitt III , 132. 70 Vgl. hierzu Grundlegung, 40-46. 71 Vgl. S. 29. 72 Zitiert nach Grundlegung, 43, Anm. 1. 73 Aus der Berliner Zeit ist bisher nur eine Nachschrift von Henri-Frederic Amiel

aus dem WS 1845/46 publiziert, La philosophie, a. a. O. In der ehemaligen Preu-ßischen Staatsbibliothek befinden sich weiterhin noch zwei Nachschriften der Berliner Vorlesung über die Philosophie der Mythologie, die in einem Band zusammengebunden sind (Ms. Germ. Oft. 1984); vgl. hierzu Grundlegung, 43 f.

74 Vgl. dieser Band 171. 75 Nachlaßverfügung, 16. 76 Vgl. hierzu W. Ulimann, Die Monotheismusdiskussion zwischen Schelling und

Schleiermacher, in: Internationaler Schleiermacherkongreß. Berlin 1984 (Hrsg. K. V. Selge), Berlin 1985, Bd. 1,381-387.

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EINLEITUNG 35

77 XII , 49. 78 In diesem Band S. 177 ff. 79 H. Fuhrmans datierte diesen Text auf das WS 1842/43 und verortete ihn in die

Philosophie der Offenbarung. „Der Text SW XIV 337 ff. stellt demgegenüber (sc. XII I 210-261) eine reifere Form dar, die gut vom W.S. 1842/43 sein kann (vgl. auch Nachlaßbestimmung überb, et, ß. Das Stück SW XII I 210-261 dürfte nach 1834/35 nie mehr vorgetragen worden sein, es gibt so nur Ausführungen des W.S. 1831/32 bzw. des W.S. 1834/35 wieder.)" Grundlegung, 42.

80 Nachlaßverfügung, 16.

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2 Nachschriften von Schellings Vorlesungen in München (1837)

2.1 Textdifferenzen zwischen den Nachschriften Athen

und München und die Form ihrer Wiedergabe

Die Nachschrift Eberz wird hier vollständig ediert. Die Nachschrift .Athen' umfaßt nur den ersten Teil der Nachschrift Eberz, diesbezüglich gibt es nur einige wenige Differenzen zwischen den Texten. Alle diese Unterschiede im Wortlaut werden in den Fußnoten auf der jeweiligen Seite mitgeteilt.

2.2 Text der Nachschrift

„Schelling Philosophie der Mythologie 1836/37"

Philosophie der Mythologie vorgetragen von Schelling im Sommersemester 1836/37"

Der Begriff Philosophie der Mythologie setzt die Mythologie auf einen hohen Standpunkt, beinahe auf den von Natur und Sprache. Es muß daher diese höhere Bedeutung der Mythologie gezeigt und begründet werden. Es ist also die Mythologie zu bestimmen:

Ib Als Ganzes II in ihrem Ursprung HJ überhaupt als allgemeine Erscheinung.

* A: Philosophie der Mythologie vorgetragen v. Jos. v. Schelling Sommersemester 1836/37

b A: 1)

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38 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

Weiter ist zu bestimmen die Bedeutung derselben; und was darauf Bezug hat und dieß gibt zu 3 Fragen Gelegenheit, nämlich 1) welche Bedeutung hat sie in subjectiver Hinsicht?, d. h. für mich? 2) da man sie aber nicht anders nehmen kann, als in dem Sinne; in welchem sie sich uns gibt, so fragt sich objectiv, wie ist sie gemeint und 3) Wie ist sie entstanden?

Wer diese 3 Fragen stellt, setzt nothwendig voraus, daß die Mythen nicht als Wahrheit gemeint seyen; oder wenigstens bloß als Möglichkeit. Diese Möglichkeit muß nun untersucht werden. Somit haben wir in der Philosophie der Mythologie eine Untersuchung über die Bedeutung derselben vom Standpunkte der Critik aus. Es kann diese Untersuchung nur eine stufenweis fortschreitende Betrachtung der Möglichkeiten" in der Mythologie seyn, nur eine successive Ausschließung aller vor und außer dem wahren Standpunkt seyenden Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, daß die Mythen als Dichtung und zwar als reine Dichtung, nicht als Wahrheit gemeint seyen, daß sie aber doch Beziehung auf Wirklichkeit haben, d. h. daß ein Sinn in ihnen liege. Ist kein absichtlicher, bestimmter Sinn in ihnen, so sind sie ein universeller Reflex der ersten Erfahrungen und Ansichten in Bezug auf das Weltall.

Verschiedene Erklärungen geben der Mythologie verschiedenen Sinn. Um nun hier sogleich auf die poetische zu kommen, I so ist sie die, welche die Möglichkeit keines Sinnes ausschließt und zugibt, daß durch die Göttergestalten Naturerscheinungen hindurchscheinen, daß der noch rohe Mensch in dem Wirken der Natur bei seinen ersten Erfahrungen moralische Mächte erkannte; was sich zauberhaft in jenen Dichtungen abspiegelt. Jeder Sinn ist speciell, die Mythologie aber ist wie ein Chaos, darum lasse man den Sinn, der ihr inwohnt; und artikulire ihn nicht, man erfreue sich der Unendlichkeit möglicher Bestimmungen, so ist man in der rechten Stimmung sie aufzufaßen. Es hat somit die Vorstellung, die Mythologie habe jeden Sinn, einen innern Gehalt: Wer möchte aber auch nicht spätem traurigen Zeiten des menschlichen Geschlechtes ein Zeitalter vorziehen, wie dieses, ein Alter heiterer Poesie, wo die spätem religiösen, orthodoxen Ansichten rein poetisch in immer idealer Ungeregeltheit verschwimmen. Baco von Verulam nennt mit Recht jene hellenischen Mythen „Augen beßerer Zeiten, die auf die Rohrpfeifen der Griechen fielen"1 Man läßt den spätem geregelten Ansichten so gerne einen geistigen Atheismus vorausgehen. Jeder geht durch diese poetische Vorstellung, wenn er auch nicht in ihr verweilt. Man könnte nun aber sagen, es seye diese Ansicht, d. h. diese poetische Vorstellung nicht geschichtlich, und wir haben also zu fragen: Wie stellt sich Poesie und

* A: der Möglichkeit in der Mythologie seyn, nur eine außer dem wahren Standpunkte seyenden Möglichkeiten.

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 39

Mythologie geschichtlich dar im Gesammtverhältniß? Es kann hierbei eine Stelle Herodot's in Betracht kommen, der von Homer und Hesiod sagt, diese Dichter machten den Hellenen ihre Göttergeschichte.2 Man verstand dieses äußerlich, daß sie nämlich die Sache zuerst besungen haben3 und zwar poetisch, doch ist dies unpassend. Man muß also die Stelle als wesentlicher, man muß sie geschichtlich nehmen; denn was Herodot hierüber spricht, nennt er selbst ein Ergebniß von Forschun-gen und Erkundigungen. Wäre bloß* Hesiod genannt, so könnte man überhaupt die Theogonie darunter verstehen. Diese Dichter also erfan-den die Götter eigentlich nicht, denn Homer hat ja schon Tempel, Opfer und Altäre; aber man kann sagen, daß bei Homer die Götter nur erst poetische Wesen sind, denen er religiöse, doktrinelle Bedeutung gibt. Wenn diese Wesen bei I ihm poetisch erscheinen, so tritt die doktrinelle Bedeutung in den Hintergrund. Homer spricht bloß von der Götter-geschichte, er sagt, woher jeder Gott entstanden sey etc. Herodot sagt ferner, die Dichter gäben den Göttern Namen und Geschäfte.4 Es ist also das Wort Theogonie zu betrachten, da eine Theogonie jedem Got-te Amt, Gestalt und Namen gibt. Dieses verdanken die Hellenen Homer und Hesiod. Herodot sagt nicht, daß diese natürlichen und geschichdi-chen Unterschiede, von Amt, Gestalt und Namen nicht da waren, er sagt bloß, daß sie nicht gewußt wurden.5 Diese Dichter also, indem sie das Volk damit bekannt machten, machten sie aber wirklich zum Daseyn kommend, sie unterschieden sie, sie nahmen sie heraus aus ihrem Seyn in der Potenz. So zeigt sich nun eine doppelte Entstehung der Mytho-logie, nämlich ein Entstehen dem Stoffe nach, wo die Götter ununter-schieden der Materie nach da sind, dann ein Entstehen, wo sie schon entfaltet und da sind. Was nun die erstere Entstehung betrifft, so kann man bloß die ausgesprochene Göttergeschichte poetisch finden; denn da, wo das Bewußtseyn noch mit Bildung der Ideen zu ringen hatte, war sie nicht poetisch. So wäre also die Stelle Herodots gegen unsere Meinung. Man könnte sagen es sey aus Herodot's Stelle nichts zu schlie-ßen, da es sich nicht behaupten lasse, daß Homer die Geschichte der Götter als solche gemacht habe. Homer ist selten mit den Göttern erör-ternd beschäftigt, ihm sind die Götter schon da. Darum nur kann er diese Wesen als unabhängig handelnde mit Dichterfreiheit behandeln. Homer theilt auch weder Namen noch Amter aus. Hesiod besingt aller-dings die Entstehung der Götter; man könnte sagen, er habe die Theo-gonie gemacht; aber hätte die entfaltete Göttergeschichte nicht bestan-

* vor ,bloß' steht in H ein durchgestrichenes .allenfalls'.

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40 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

den, so hätte er sie nicht machen können. Nicht als Folge der Gedichte beider ist die Mythologie entstanden. Das sagt auch Herodot nicht, denn er nennt sie nicht Folge dieser Dichter. Er meint nur, nach seinen Nach-forschungen und dem wovon er sich überzeugt hat, sey in Griechen-land die Göttergeschichte als solche ganz neu. Bloß für die Griechen, welche die Mythologie hatten, ist der Name Hellenen, mit diesen Grie-chen entstand sie. Wenn Herodot sagt; die beiden Dichter hätten die Mythologie gemacht, so sagt er, I was Hesiod auch sagt, indem er besingt, wie Zeus nach Besiegung der Titanen von den Unsterblichen zum Ober-herrn gemacht worden sey und wie dieser unter sie Würde und Ämter verteilte6 Der Geschichtsschreiber nennt hier die historische Person, der Dichter einen Gott. Mit dem Leben des Zeus also beginnt die Zeit und das Leben der Hellenen, denn vor dieser Zeit existiren bei Herodot die Pelasger, von denen er sagt, daß sie den Göttern Alles opferten ohne Namen und Beinamen.7 Es war dies die Zeit der stummen Götterge-schichte.8 In diesem Zustand, wo das Bewußtseyn chaotisch mit den Göttervorstellungen ringt, ist Poesie unmöglich. Wenn sich aber die Gestalten zu scheiden anfangen, tritt die Göttergeschichte aus der Po-tenz in die Poesie. Erst indem diese Vorstellungen den Geist frei lassen, kann sich Poesie entfalten. Also entsteht die Poesie nicht eher, als die Göttergeschichte, beide sind sie das gemeinschaftliche und gleichzeiti-ge Ende eines frühern Zustandes. Die Götter gehen aus einer uner-gründlichen Vergangenheit hervor. Das Religiöse an den Göttern ist das Uralte, aber das Geschichtliche ist das Neue. Wenn dieses Neue, dieses Geschichtliche in Homer als neu erscheint, so sind Homer's Gedichte das Wort der Krisis der Göttergeschichte. Diese Krisis ist in den beiden Dichtern, sie machte ihre Gedichte. Und insofern nun in den Gedich-ten beider die vorher nicht so sehr gekannten Göttervorstellungen neu erscheinen, konnte Herodot sagen, die beiden Dichter machten die Theogonie. Aber sie machten die Theogonie anders als wie die Schwal-ben den Sommer machen, sie machte sich in ihnen. Somit ist nun He-rodot's Stelle gerechtfertigt. Herodot sieht diese Entstehung der Mytho-logie noch nahe genug, um sich ein historisch begründetes Unheil zu-trauen zu können.

Zunächst hinter den Hellenen als Vorgänger in ihrer Mythologie sind die Indier. Sie sind das einzige Volk, das eine freie aus der Theogonie hervorgegangene Dichtkunst mit den Griechen gemein hat. Dazu kommt noch ihre Grammatik und Sprache, die der der Griechen nahe kommt. Aus dem, daß die Indier den Griechen zunächst vorausgehen, erhellt, daß, sie durchaus nicht das Urvolk sind, für das sie gehalten worden. Es dürfte einem Nachfolger Wilhelm v. Humboldts9 und Schlegels10, die sich um den Sanskrit sehr verdient gemacht haben, daß, da nämlich einem Nach-

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 41

folgenden ein geringerer Ruhm zu Theil wird, eine wenige Kenntniß vom Sanskritt noch hinzukommen darf, um das Unterste I zu oberst zu keh-ren, und diesem zudringlichen Einmischen des Indischen, indem kein innerer, sondern nur ein äußerer Anfang gefühlt wird, ein Ende zu ma-chen. Um nun von der Poesie zu sprechen, so wären, existirte ein ge-schichtlich vorweisbarer Zusammenhang zwischen Poesie und Mythologie, die indischen Götter, wie die griechischen poetisch. Obgleich nun aber in den indischen Gedichten sehr viele Poesie ist, so wenig Poesie liegt in ihren ungestalten Göttern, über die sich Goethe in seinem west-ösdichen Divan etwas hart, aber nicht ungerecht äußert. Zum Unterschied von den Grie-chen ist zu bemerken, daß die oben beschriebene Krisis der Poesie gegen die Mythologie den Dichter freier machte, während die schweren indi-schen Gedichte noch ganz dogmatisch sind. Es zeigt sich der ursprüngliche Gott als ein poetisch verklärtes Wesen", was aber durchaus nicht die Abwesenheit und(?)b der Poesie widerstrebenden Wesens beweist, son-dern nur zeigt, daß dieses bloß mehr überwunden sey. Es ist auch in den griechischen Göttern ein sehr reales Princip überwunden, sie gehören zur jüngsten mythologischen Formation. Bei den Indiern erscheint das doktrinelle vorherrschend, bei den Griechen latenter. Von Indien zurück-gehend kommen wir auf Aegypten. Die ägyptische Götterlehre zeigt sich in ungeheuren Denkmalen und spricht in erhabenen Formen die Idee der Gottheit aus, aber von Poesie ist nur wenig von ihnen auf uns gekom-men. Noch weiter zurück ist Phöniziens, Babylons Mythologie. Diese Völker könnten höchstens eine psalmartige Poesie haben, wie die He-bräer. Es mußte also die Mythologie einen eignen Zustand überwunden haben. Wenn wir darauf zurückkommen, daß die Mythologie eine Dich-tung sey, so müßen wir diese Annahme dahin beschränken, die Mythologie als solche sey bloß Dichtung, nicht Wahrheit, schließe aber nicht aus, daß sie außer einer religiösen eine eigentliche, ursprünglich beabsichtigte Wahrheit enthalte. Hieraus ersieht man in der Mythologie etwas Eigent-liches und etwas scheinbar Genommenes, d. h. man erkennt in ihr eine Allegorie, die statt findet, wenn man anders sagt und anders meint.11 Es werden also in der Mythologie Götter gesagt und nicht gemeint, darum wird eine andere Erklärung nothwendig, deren schon viele aufgestellt wurden. Eine solche Erklärung wäre, wenn man glauben wollte, es seyen in ihr Ereigniße aus der politischen Welt bildlich dargestellt, also Helden und ihre Thaten, Auswanderungen und I Verfassungen. Diese historische

* A: keine Hervorhebung b A: kein .und'

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42 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

Ansicht nennt man die Euämeristische. Euämeros ein Epikuräer aus der alexandrinischen Zeit versuchte sie geltend zu machen.12 Die Epikuräer nahmen den Zufall an und leugneten dadurch die Einwirkung einer hö-heren Intelligenz auf die menschlichen Dinge. Dieser Behauptung, es herrsche der Zufall, standen die bestehenden Lehren von Göttern entge-gen und um sie wegzuschaffen, unternahm Euämeros diese Erklärung, über die vor der Hand noch nichts gesagt werden kann. Nur das ist zu bemerken, daß es allerdings einzelne Vorstellungen in der Mythologie gibt, wo seine Versuche nicht unpassend erscheinen. Man könnte nun auf die Natur übergehen und annehmen, es werden davon Erscheinungen persönlich als Götter dargestellt, denn Naturkräft e erscheinen dem Menschen als überlegen, und scheinen nach Laune und Willküh r zu handeln. Daher hält sie der Mensch für solche, die sich besänftigen, versöhnen lassen." Es zeigt sich von dieser Seite die Mythologie als sich mit Per-sonificationen beschäftigend, die sie zu erklären hat. Es läßt sich die Hy-pothese der personificirten Naturkräfte durch Begriffe, wie z. B. Boreas, Eos im Homer rechtfertigen. Wir treffen auch sittliche Personificationen wie Minerva und andere in der Dias an. Daß physikalische Deutungen materiell möglich seyen, ist nicht zu läugnen, es gibt sich dies aus der Universalität der Mythologie, aber sich auf specielle Fälle genau einzulas-sen, ist nur Sache mäßiger Köpfe. So hat man z. B. als der Alchymismus noch im Gang war, den Kampf vor Troja auf die Erfindung der Geheim-nisse desselben bezogen, Helena war der Mond, Ilion das Silber, Helios die Sonne, das Gold. In der spätem Zeit machten die Chemiker die Aphro-dite zum Sauerstoff.

Eine andere Naturerklärungb der Mythologie wäre die, daß sie die Geschichte der dem ruhigen Zustand der jetzigen Natur vorangegange-nen Umwälzungen sey.13

Der berühmte Philolog Heyne denkt sich Philosophen' als Urheber der Mythologie und ihren Inhalt als einen Zusammenhang von Philosophemen und Bildern aus der Kosmogonie.14 Er erklärt z. B. den Sturz des Kronos durch den Sieg des geregelten und geformten Producirens über das Un-gestalte und Ungeheure. Er sucht von dieser Ansicht das Künstliche so viel wie möglich zu entfernen. Nach ihm waren die Philosophen durch Armuth der Sprache genöthigt, was sie in Principien gedacht, I durch Personen zu verdeutlichen. Sie waren ferner von ihrem Gegenstand zu-gleich so ergriffen, daß sie ihre Ideen handelnd, dramatisch den Zuhö-

* A: keine Hervorhebung k H: .Natur' über der Zeile hinzugefügt c A: .Der berühmte Philolog' fehlt.

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 43

rem gleichsam vor Augen stellen wollten. Es konnten sich, meint er und müssen wir zugeben die Urheber über ihre Personen nicht täuschen, nun entsteht aber die Frage, wie diese zu Göttern wurden. Man sollte glauben, Heyne erkläre dies durch den Mißverstand Ungeweihter15; aber er sagt, daß man die Personificationen möge wohl verstanden haben, daß aber die Dichter zugleich die Bemerkung machten, daß diese Personen Stoff zur Unterhaltung gaben. Sogar Homer, der nach seiner Meinung gewiß noch" die Philosophie erkannte, sie aber bloß durchscheinen lasse, sey einer der ersten unter diesen Dichtern; denn dem Volke sagen die Geschichten mehr zu als die Ideen. So aber kamen die Götter zu dieser ihrer Unabhängigkeit vom Wissenschaftlichen und endlich sogar zur Sinnlichkeit im Volksglauben.

In dieser Beziehung ist besonders anzuführen, daß man schon zu Piatons Zeiten sich damit abgab, Mythen zu deuten und Sokrates äußert sich in dieser Hinsicht einmal im Phädonb 16 wie er pflegte, ziemlich ironisch, es gehöre dazu ein sich abmühender Mann, um mit dem groben Verstände Alles in den Mythen ins Gleiche zu bringen. Es spricht auf diese Art auch der Akademiker in Cicero in Bezug auf die Stoa.17 Damals theilten sich überhaupt diese 2 Sekten in historische und naturwissenschaftliche Erklärung der Mythen. Diese letzte historische Erklärung bleibt auch bis auf die Kirchenväter. Hierauf kamen die Neuplatoniker, welche in der Mythologie Metaphysik suchten, weil sie in ihr dem Christenthum eine Opposition, ein Gegengewicht zu schaffen suchten'18; denn es war schwer mit den Mythen, wie sie damals waren, verworren und seh aal die lautere Wahrheit des Christenthums zu besiegen. Sie betrachteten die Mythologie als eine Offenbarung, welche sie als universell geltend aufstellen wollten.

Wir haben nun den Euämeros, der meintd, die Personen der Mythologie seyen keine eigentlichen Götter, wir haben Heyne, der glaubt es seyen' gar keine Götter; es fehlt nunf noch einer, der glaubt, sie seyen keine Personificationen. Diesen letztem haben wir in Gottfried Herrmann, der Heyne's Versuch noch überbot.19 Er sucht die reine Wissenschaftlichkeit der Mythologie zu beweisen, und nimmt dabei Rücksicht auf die Theogonie Hesiod's. Zu diesem Zweck I zeigt er, wie die Namen der mythologischen

' A: .noch' fehlt k A: Phaidon c A: statt .suchten' .bemüht waren' und Satzende d A: Euämeros, welcher glaubt * A: Heyne, der meint, sie seyen ' A: nur

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44 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

Personen durchaus keine nomina propria, sondern daß sie grammatisch erweisbar appelativa* und als solche sich auf physikalische Vorgänge bezögen und aus dahin sich beziehenden Prädikaten gemacht seyen. Er ist nun der Ansicht, daß, wenn man auf die wissenschaftliche und grammatische Bedeutung der Namen und die philosophische Erzeugung der Begriffe auseinander sowieb auf ihr Abstammen von einander Rücksicht nähme, man ein vollkommenes System erhalte. Suche man aber in den Namen bloß Götter, wie vielleicht Hesiod selbst, so sey es ein unzusammenhängendes regelloses Ganzes.20

Nun ist aber nicht zu läugnen, daß die Namen persönlich lauten. „Man könne darum, meint Herrmann weiter, eine Personification von Naturkräften annehmen, dürfe aber darin nicht zu weit gehen, da man die Gründlichkeit und Nüchternheit bemerken könne, mit welcher die Personification in Nichts als die bloße Form des Namens gelegt sey. Der Urheber der Mythologie, (denn einen solchen nimmt er an) suche von jeder Erscheinung bloß den Begriff, und da er die gewöhnlichen Namen dazu nicht hätte bemühen könne, so habe er uneigentliche Namen, die den Begriff mit uneigentlichen Worten ausdrücken, angenommen.21 So nennt z. B. dieser angenommene Philosoph und Urheber der Mythologie den Hagel den Schmetterer, den Schnee, weil er beschwert, Beschwerer, den Regen, den Schüttenden etc. Somit wäre die ursprüngliche Theogonie nicht bloß dem Inhalt, sondern auch der Form nach wissenschaftlich. Dadurch erst, daß sie nach dieser seiner grammatischen Untersuchung als auf sorgfältiger Erfahrung und genaue Berechnung gegründet sich darstelle, nennt sie Herrmann das bewundernswürdigste Meisterstück der Philosophie.

Um ein Beispiel seiner Erklärung zu geben, so sagt er, jener alte Philosoph will das vor Allem Seyende ausdrücken und nennt es X00^ von xav'vm klaffen, gähnen. Diesem folgt das, was den leeren Raum erfüllt, das noch selbst Formlose, die 70:1a, der Urstoff alles künftigen Werdens. Man hat also jetzt das, in welchem und aus welchem Alles entsteht. Um nun auch ein Alles verknüpfendes zu haben, vermittelst dessen Alles entsteht, ist die e'pcoc, da. Es ist aber e'pcoc hier noch nicht im eigentlichen Sinne zu nehmen. Die ersten und einfachsten Erzeugniße dieser sind nun I 'Epeßoc,, das was den Stoff zudeckte, eh etwas geschaffen war, dann v\5c;, die erste Bewegung nach unten, das Fallen. Diese beiden letztern "Epeßoc; und v\5i, erzeugen mit einander den orfGrf p und die f|u£pct, denn wenn der Nebel

" A: appellativ seyen(?) b A: so wie

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fällt, wird es obenher klar und heiter. Die 701a ohne Gemahl erzeugt nun den oupocvtfc,, denn das Feinere scheidet sich von selbst vom Ungestalten und Groben. Auf der Tatet sind die öpea uaicpä und der 7tdvToc.. Sie erzeugt ferner mit otjpavdc. den cöiceavdc, den Schnellläufer, das Alles erfüllende Urwesen. Diesen Urerguß des tuiceavdc, begleitet ein Durcheinanderfahren der Elemente. Dieses Durcheinander wird durch die Titanen, die Kinder der yaia ausgedrückt, die zu deutsch die Weiterstreber heißen und Krieg führen. Der letzte unter ihnen ist Kpdvoc,, der Vollender, da die Zeit erst Alles vollendet.

Hier, sagt Herrmann ist durchaus ein von allem Hyperphysischem entfernter wissenschaftlicher Zusammenhang.22 Das Ganze ist eher atheistisch als theistisch. Wenn nun aber dieser atheistische Geist durch die ganze Theogonie durchgeht, so muß man glauben, der Urheber habe schon vorhandene Götter aufzuheben beabsichtigt. Ein Volk aber, wie dieses, unter dem solche Philosophen aufstehen, dem solch eine Sprache und Grammatik zu Gebot steht, läßt sich kaum mit den Buschmännern, die gar nichts als schnalzende Laute, gar keine Sprache haben, und die man wie jene Südamerikaner, von denen Don Felix Assara erzählt, daß sie von den Geisdichen unfähig zum Empfang der Sakramente gehalten, auch im Verdacht hat, daß sie keinen Begriff von einem Gott haben, unter eine Rubrik stellen.23 Außer den Buschmännern und jenen Südamerikanern, denen es ganz an Göttervorstellungen zu fehlen scheint, kennen wir kein Volk, bei dem wir diese vermissen. Wir nehmen also an, daß die Griechen Götter gehabt, die sie in der Natur zu erkennen glaubten, wodurch dann jene rein philosophischen Allegorien" nach Herrmanns Ansicht entstanden.

Daß also Herrmann Urheber mit der Absicht, den Göttervorstellungen ein Ende zu machen, annahm haben wir gesehen. Wie nun diese edle Absicht mißlang, dadurch, daß sie zwar dem Volke ihr System vortrugen, aber zum Unglück ihre Personificationsmethode nicht erklärten, so daß wieder ein Grad von Sinnlichkeit aufkam, der bis zur Religion ging, und wie dann diese Lehre das Volk aufnahm, können wir nicht verfolgen. Es interessirt eben bloß die philosophische Grundlage und die etwaige Wahrheit in derselben.b Es ist überhaupt das Verdienstliche an Herrmanns Unternehmen', daß er wieder auf diese Theogonie und die wissenschaftliche Bedeutung des Wortes hinwies, I da ja die wissenschaftliche Bedeutung eine Thatsache ist, die eine vollständig seyn wollende Theogonie nicht

A: rein philosophische Allegorie k A: etwaige Wahrheit derselben c A: Unternehmung das

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unbeachtet lassen darf. Auch ist daran die Beachtung der Sprachkunde zu loben. Jedenfalls muß man ein gewisses philosophisches Bewußtseyn in dem Gedichte finden, und nur Schade ist es, daß er dieses Bewußtseyn nicht dem wirklichen, sondern einem fingirten Verfasser zuschreibt. Nur diese zu schnell gefaßte Meinung eines Urverfaßers ließ Herrmann so Manches übersehen, daß nämlich sehr viel Abstraktes und Unmytho-logisches besonders im Anfange der Theogonie ist z. B. daß die Yoia für sich ohne Gemahl die großen Berge erzeugt. Es ist bei den d'pecn ueyäXoic, von gar keiner Personification die Rede. Warum haben, wenn sich der Verfasser vornimmt wissenschaftlichen Dingen Namen zu geben, diese Berge keine bekommen? Wie auffallend ist ferner das Neutrum epeßoc;, das den Dichter nicht hindert, es, das Neutrum mit vdf; zu verbinden. Von einem Darsteller, wie Hesiod, nicht aber von einem Urheber lassen sich diese Vorstellungen erwarten. Um noch weiter einzugehen, was sind ihre Kinder oi&rfp und fijie'pa? Aether ist ein rein physikalischer Begriff, er kommt sonst nirgends persönlich vor, wenn man nicht einige unbedeu-tende Stellen z. B. eine Anrufung des Sokrates in den Wolken des Aristo-phanes24 wiewohl ohne Beweiskräftigkeit vorschützen will . Unter den Enkeln des vdl; befinden sich auch die yevSe'ec, X.dyoi und die du<|>i-A,oYiav, die ebenfalls unpersönlich sind. Diese will nun Herrmann auch nicht in der Mythologie haben, er betrachtet sie als Einschiebsel, was er aber auch beim Eros schon hätte thun sollen; denn der Eros ist ein phi-losophischer Begriff und als solcher der darstellenden, nicht der ursprüng-lichen Mythologie eigen, sowie auch beim Chaos gleich im ersten Vers, denn das Chaos ist einer der ersten Keime physikalischer Philosophie, wie z. B. in Aristophanes, der sich in den Wolken darüber lustig macht.25

Das Chaos galt nie als Person, nie als ein Gott, ja man könnte es als den Gegensatz aller Persönlichkeit in den Anfang stellen. Herrmann ver-sichert, daß Hesiod gar nicht ahnt, daß ihm etwas Wissenschaftliches vorliege und nennt daher die Benennungen, die er manchem Begriff gibt, einfältig. Aber das Chaos z. B. ist ein philosophisches Erzeugniß nach und nicht vor der Mythologie. Dieser Begriff entstand aus einem Stre-ben nach der vorhandenen Mythologie, sie zu begreifen. Nur eine zum Ende gekommene und auf ihren Anfang zurücksehende Mythologie konnte das Chaos an den Anfang stellen. So wenig als Poesie ist also auch Philosophie der Mythologie vorausgegangen. In Hesiod's Gedicht sind einige Regungen I einer sich vom Mythos loswtndenden Philoso-phie. Sein Gedicht bezeichnet einen wichtigen Moment der sich selbst darzustellen suchenden Mythologie. Wie nun, wenn dem ganz überein-stimmend Homer und Hesiod, die früh schon als Gegensatz gedacht wurden, den Ausgang, nicht den Anfang der Mythologie bezeichneten. Wenn wir diese Idee festhalten, so ist es wunderbar, wie sein kritisches

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Gefühl Herrmannen zuließ, die viel spätem Worte und Begriffe aus dem Kopfe Eines frühern entstehen zu lassen.

In dem Bisherigen sprechen sich nun diese beiden Hauptansichten von Philosophie und Mythologie besonders aus. Man könnte nun die bisherigen besondern Annahmen modificiren. Die Absicht war, nicht über die Ansichten als solche, sondern über ihren gemeinschaftlichen Standpunkt zu urtheilen. Es fragt sich nun: Was haben beide mit einander gemein? Gemein ist beiden, daß sie die Mythologie als eine Erfindung betrachten. Ist nun aber eben das so gewiß, daß man nur fragen darf": Ist die Mythologie Philosophie oder Poesie? Diese Voraussetzung erscheint nun aber ungeheuer, insofern als, sobald eine Erfindung angenommen wird, Einzelne als Erfinder auftreten müssen. Freilich es ist nicht schwer Dichter und Philosophen entstehen zu lassen, da man die Urzeit für einen leeren Raum hält, in den man Alles stellen kann. Heyne nimmt auf diese Art Dichter und Philosophen an und Herrmann wendet sich ohne weiteres an das Volk mit seinemb Philosophen. Freilich das bleibt zu fragen übrig, wie es ihn anhörte. Aber dies ist nicht so leicht, man kann eine Mythologie nicht wie Schulbücher einführen. Wie sollten Einzelne es vermögen, ihr eine solche Popularität zu geben. Es ist dies um so weniger wahrscheinlich, als in den Mythen die entferntesten Zeiten und Völker übereinstimmen.' Herrmann gibt dies auch zu, er sieht die Ähnlichkeit ein, sowie auch, daß nach seiner Idee dieselbe Zufallsreihe von Verknüpfungen, Formen und Mißverständnißen verschiedenartiger Völker anzunehmen sehr wunderlich sey. Darum nimmt er an, die einmal mißverstandene physikalische Kosmogonie habe sich von einem Volke zum andern vererbt. Dieses erhöht für ihn nun noch den Werth seiner Ansicht, so daß er in der Theogonie die Reste einer nur zufällig entstandenen Religion sieht. Aber es würde dadurch die Mythologie eine Zufälligkeit erhalten, die nur mit seiner Erklärung der Fabel von der Liebe des Zeus zur Io I zu vergleichen wäre, wo er diesen großartigen Wahnsinn der Io, diese hochpoetische Fabel mit dem Austreten eines Flußes vergleicht.26

Die beiden bisher erörterten Hauptansichten nun erkennen in der Mythologie nur Poesie und Philosophie an. Die welche der Poesie den Vorzug gibt, nimmt den reellen, die Philosophie den poetischen Inhalt als

' A: dafi man fragen darf b A: seinen ' A: keine Hervorhebung d A: seinen Ideen

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zufällig an. Die Philosophie sucht einen doktrinellen Inhalt, sie sucht Wahrheit in der Mythologie. Nun befriedigen uns aber beide Ansichten nicht; wir finden eine systematische Aufeinanderfolge der Götter, wir nehmen oft einen düsteren Ernst in den Fabeln wahr, während die poetische Ansicht Alles zufällig läßt, die Philosophie der Ausleger aber durch Kleinlichkeit und grobe Absichtelei zurückstößt. Es fragt sich nun, ob sich nicht eine Weise der Erfindung annehmen läßt, die anders ist als in den beiden erwähnten Ansichten. Man könnte nämlich auf den Gedanken kommen, Poesie und Philosophie miteinander zu verschmelzen, wenn sie einzeln nicht befriedigen. Man kann fragen, sind beide so außer einander, wie bisher angenommen ist? Denn nur das ist eine poetische Gestalt, in der ein notwendiger und allgemein gültiger Inhalt niedergelegt ist. Wir finden in unserer modernen Poesie, daß es nur großen Geistern gelingt, vorübergehenden Gestalten ewige Begriffe einzuhauchen. Im übrigen fehlt es der neuern Poesie an so allgemein gültigen und nothwendigen Symbolen. Das gleiche fordert man von der Philosophie. Läßt sich nun nicht auch eine Philosophie denken, deren Inhalt nicht allein Begriffe sind, sondern auch reell ist. Gibt es dann" nicht auch philosophische Ideen, deren Inhalt so poetisch ist, daß sie auch in schlichten Worten begeistern. Weiter fragt es sich, woher nimmt die neuere Zeit den höchsten Stoff allgemein gültiger Poesie als aus reeller Philosophie?

Die nächste Frage ist also die: Waren in der Urzeit Poesie und Philosophie auseinander? Keine war vor der Mythologie als solche, und sowie die Mythologie als solche vorhanden ist, scheinen in ihr beide auseinander zugehen. Es geschah diese Trennung nur allmälig und dauerte bis auf Aristoteles, wo die Philosophie in einen bloßen Nominalismus überging. Wo nun beide nicht als solche da waren, folgt nicht, daß sie überall nicht waren, es folgt nicht, daß, wenn sie nicht explicite, sie implicite auch nicht vorhanden seyen. Eben der Umstand, daß beide Erklärungen in der Mythologie möglich scheinen, beweist, daß beide darin sind. Nicht Alles aber, worin entweder I philosophischer Zusammenhang, oder poetische Bedeutung ist, muß darum durch eines beider als solches entstanden seyn. Am wenigsten sollte ein Sprachforscher so schließen. Denn, war es wohl Philosophie, die im Worte die Begriffe der Ursprünglichkeit aufbewahrte, war sie es, die in die verschiedenen Bedeutungen eines und desselben Zeitwortes ein Gewebe philosophischer Begriffe legte, die die bewußteste Philosophie kaum entwirrt? Man nahm hier zwar verschiedene Wörter an, aber warum das, ohne das letzte Mittel angewandt zu haben, nämlich deren reelle Verwandtschaft zu finden. Der Geist der Sprache konnte bei ihrer Grundlegung nicht mit Bewußtseyn in sie gelegt werden und

* A: denn

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dennoch entdecken wir in ihr das tiefste und am meisten philosophische Erzeugniß. Nicht überall also, wo philosophischer Verstand verleuchtet, ist Philosophie als solche, sondern eine immanente, stoffverwachsene Philosophie zu suchen. Ist nun aber schon in der materiellen Bildung der Sprache nicht auch eine immanente Poesie" wirksam gewesen und zwar nicht etwa in Metaphem?b Es liegen Schätze in der Sprache, die der Dich-ter hebt, und nicht in sie hineinlegt. Wenn wir sagen: der Himmel, die Zeit, wie weit ist dies noch bis zur mythologischen Person? Man könnte die Sprache eine verblichene Philosophie nennen.27

Was hintert also, in der Mythologie eine Poesie innerlich von der Phi-losophie nicht frei anzunehmen und umgekehrt, die nicht als solche wir-ken können? Wenn wir in die Poesie Unwillkürliches und in die Philo-sophie Absichtliches legen, so stellt sich, wenn beide ineinander gebun-den sind, eine unabsichdiche, absichdiche, instinktartige Empfindung dar', und es fällt auf diese Art eben die Erklärung, daß Einzelne die Mythologie erfunden, weg. Alles Instinktartige liegt mehr in der Masse, als im Einzel-nen. Es zeigt sich da, wo Viele ohne Verabredung zu einem gemeinschaft-lichen Erzeugniß zusammenkommen, wie z. B. die Thiere, die die künsdi-chen Bauten und dgl. hervorbringen und ausführen. In diesem Sinne lehrt auch Wolf, daß die Ilias und die Odyssee nicht eines Dichters Erfindung sey.28 Auf diese Art muß man freilich gestehen, daß jenes Zeitalter wie ein Mann gedichtet. So ist nun auch die Mythologie ein Erzeugniß der natür-lichen Weltweisheit, die sich, wie wir immer sehen, in Spruchwörtern und Räthseln darstellt. Das Volk personificirte unwülkührlich die Erscheinun-gen und Naturkräfte und drückte in seiner Ansicht die ihm eigne I Natur-philosophie aus. Idee und Form entstehen zugleich und untereinander. Diese Ansicht läßt sich nun mit Recht eine höhere nennen.29 Daß dadurch die Mythologie auf gleiche Stufe mit der Sprache gestellt ist, ist wohltuend und gegen die frühere Ansicht, aber es kommt darauf an, ob diese höhere Ansicht herabsteigen und sich ausführen lassen kann.

Es fragt sich, erklärt nun diese Ansicht die Mythologie selbst oder bloß das Philosophische und Poetische darin? Wenn die Mythologie selbst nicht zu erklären wäre, so enthielte sie nichts als Philosophisches und Poetisches. Findet sich aber unabhängig von der Mythologie Dichteri-sches und Philosophisches darin, so kam es unabsichtlich hinein. Nun fragt sich noch, ob dieses Dichterische und Philosophische die wahre Substanz oder bloß das Zufällige der Mythologie ist. Keine beider Erklä-

* A: immanente Philosophie (vgl. XI, 52). k A: und zwar nicht in Metaphern c Nach XI, 53 muß es .unabsichtlich-absichtliche, instinktartige Erfindung' statt

.unabsichtliche, absichtliche, instinktartige Empfindung' heißen

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rungen ließ Beides das poetische oder philosophische erfunden seyn, sondern nur eines, das andere machten sie zufällig. Damit geben sie die Möglichkeit Beides zufällig zu erklären. Das Wesen der Mythologie ist also ein außer beiden liegendes Drittes. Erklärend ist nur ein Princip als solches und eigentlich wirkend; was nicht eigentlich ist, ist das durchwirkende, nicht das Eigendiche. Wenn daher Philosophie und Poesie durchwirkend sind, so ist das Eigentliche, das sie bindet, ein Anderes, das aber durch das Durchwirkende nicht hervortreten kann. Es kann als solches nur ein ihnen gemeinschaftlich Entgegengesetztes seyn. Beide haben gemein ein freies Erfinden, das Gegentheil also ist Nichterfindung. Also kann die Mythologie keine bloße Erfindung seyn.

Der Versuch also poetische und philosophische Erklärung durch ihre Verschmelzung zu steigern, zeigte, daß weder in der einen, noch in der andern Annahme die Wahrheit liege. Nicht in der bloßen Vermengung beider liegt sie, sondern darin, daß ihr gemeinschaftliches Gegentheil aufgestellt wurde, daß man sagte, die Mythologie sey keine Erfindung. Schon früher setzten wir die Erscheinungen in der Mythologie mit der Sprache in Parallele, und es läßt sich auch jetzt eine solche annehmen; denn in der Sprache vereinen sich sehr viele realphilosophische Elemente, sie ist ebenso wenig etwas Willkührliches, sie folgt tief begründeten, natürlichen Gesetzen, wie ein organisches Wesen. Nur ein von aller ideellen Thätigkeit verschiedenes letztes Princip kann I ihr, wie der Mythologie in letzter Instanz Erklärendes seyn. Welches Resultat, fragt sich nun, kann man daraus ziehen. Ein solches Princip kann Verschiedenes seyn. Der Eine nennt es ein Hellsehen, womit sich allerdings etwas erklären ließe, wenn man mit diesem Hellsehen heller sähe. Epikur erklärt seinerseits die Götter, die er annimmt, durch Traumanschauungen, die übrigens ziemlich lange dauern mußten, bei denen als dann die dem Menschen natürliche Poesie und Philosophie durchwirken konnte.30 Auch der Wahnsinn ist als erklärend nicht abzuweisen, aber es tritt wieder der Umstand ein, daß jeder dieser Zustände geschichdich motivirt und gezeigt werden muß, durch welche natürliche oder göttliche Schickung der Zustand verhängt wurde, denn es läßt sich nicht leugnen, daß die Mythologie geschichtlich ist. Ein Abstraktum ist also nicht genug, um Mythologie, die zu tief in der Menschen Schicksal verflochten ist, zu erklären. Die Mythologie ist eine geschichdiche Erscheinung, sie muß auf geschichtlichen Boden verpflanzt" und dort über ihre wahre Erklärung entschieden werden.

An der letzt erwähnten Vorstellung, die ein instinktartiges Entstehen annimmt, ist das zu rühmen,daß sie statt eines Erfinders das ganze Volk

* A: verpflanzt sein

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setzt. Aber auch diesem lobenswerthen Gedanken liegt etwas stillschweigend Angenommenes zu Grunde. Es sind solche stillschweigend angenommene Hypothesen Korallenriffen auf dem Meere der Untersuchung zu vergleichen.31 Unter dem Volk wird zunächst die Gesammtheit im Gegensatz zum Einzelnen verstanden. Es ist nun die Mythologie in diesem Gegensatz von einem Volk erfunden. Nun ist aber zu untersuchen, ob die Mythologie aus oder unter einem Volk entstanden sey. Daß sie unter einem Volk entstehe, setzen alle frühem Erklärungen voraus; denn auch der Einzelne muß unter einem Volk seyn. Diese zuletzt gezeigte Ansicht aber läßt die Mythologie aus einem Volke entstehen. Wir fragen also, indem wir darauf eingehen, was ist ein Volk? Ein Volk ist nicht" die räumliche Coexistenz physisch gleichartiger Individuen, sondern vielmehr1' das Ganze, das durch die Gemeinschaft des Bewußtseyns zusammengehalten wird; Diese Gemeinschaft' des Bewußtseyns hat in der Sprache ihren Ausdruck, ihren Grund aber in der gemeinschaftlichen Weltansicht. Diese gemeinschaftliche Weltansicht kann für ein Volk ohne Wissenschaft nur in der Mythologie liegen. I Nun entsteht die Frage, ist die Mythologie Folge der Völkerentstehung oder ist diese Folge der Mythologie? Man könnte sagen, ein Volk werde durch gemeinschaftlichen Betrieb, Obrigkeit, Sitten etc. zusammengehalten. Aber wie innig hingen eben diese Richtungen mit Göttervorstellungen bei den ältesten Persern zusammen? Ist wohl alles das, was vorausgesetzt wird, ohne Mythologie zu denken? Um dies näher zu erklären, und zu erweisen führen wir jene Wilden in Amerika an, von denen der geistreiche Don Felix Assara erzählt.32 Sie leben ohne Gemeinschaft unter sich, wie die Thiere des Feldes, sie bilden so wenig ein Volk, als Wölfe und Füchse, ja noch weniger als z. B. die Biber in ihren Colonien. Sie erkennen keine höhere und keine irdische Macht an, und wenn sie in einer gesellschaftlichen Verfassung zu leben gezwungen würden, so würden sie sterben, wie wir das schon an solchen bemerkt haben, die man in eine ihrer Natur fremde Cultur mengte. Vermischung wäre wohl möglich, daß sie aber für sich ein Volk bilden, wäre ihr Untergang. Wo also die Einheit des Bewußtseyns fehlt, läßt sich keine hervorbringen.

Auch hier stellt sich die Sprache neben die Mythologie. Ungereimt wäre es zu behaupten, daß Einzelne die Sprache erfunden haben sollen, ebenso, daß ein Volk ohne gemeinsame Sprache sey. Auf gleiche Weise werden die Gesetze vom Volk im Fortgang seines Lebens erzeugt und ebenso durch seine Gesetze ist ein Volk Volk.d Mit seinem Ursprünge erhält es

' A: ist noch nicht; H: vor .nicht' ein durchgestrichenes .noch' b A: sondern nur das Ganze * H: über .Diese Gemeinschaft': d XI , 64: .dieses Volk'. .Der Begriff Volk hat also ...(?)'; fehlt in A.

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sein Urgesetz, aus dem sich alle andern entwickeln, sein Urgesetz, das ihm mit seiner ursprünglichen Weltansicht, mit seiner Mythologie gegeben ist.

Aber auch diese Thatsache vom Urgesetz des Volkes übersieht die zuletzt erwähnte Ansicht, ebenso wie die Thatsache der unverkennbaren Uebereinstimmung zwischen den mythologischen Vorstellungen verschiedener Völker. Es ist bequem solche in der Tiefe liegende Vereinigungen durch äußeren Zusammenhang zu erklären, aber dennoch kann man ohne eine Mythologie weder einen Hellenen, noch einen Aegypter denken. Jede Mythologie ist nach ihrem Volke motivirt , in der Idee aber stimmen sie allgemein überein.* Z. B. Isis und Demeter, wenn man sie vergleicht, erleiden beide einen Verlust, aber Isis sucht ihren Gemahl, Demeter ihre Tochter.

Nehmen wir aber an, ein Volk habe seine Mythologie von einem andern Volke, so muß das geschichtlich seyn. Ein Volk hat also Geschichte vor der Mythologie. Nun hat aber alle Geschichte mythischen Ursprung. Kann die Geschichte nicht aus dem schon vorhandenen Volke entstehen, so muß sie mit ihm entstehen. Auf diese Weise hängt also der Ursprung I der Mythologie eng mit dem der Völker zusammen. Die Erforschung der Art dieses Zusammenhangs ist nothwendige Aufgabe unsrer Entwicklung und es geht die Untersuchung auf die allgemein geschichdiche Frage über: Wie entstehen Völker?33

Wenn wir von der Ursache der Völkerentstehung reden, so setzen wir voraus, daß Völker entstanden und daß es also eine Zeit ohne Völker gab. Darum fragen wir weiter, was war vor den Völkern? Nur ein homogenes, unterschiedloses Menschengeschlecht, ungegliedertb, indem nur die natürlichen von selbst entstehenden Unterschiede waren nach Linien der Abstammung. Es entstehen daraus die Stämme in die sich dieses homogene Geschlecht schied, die aber noch lange keine Völker sind. Völker sind nicht durch natürliche Unterschiede getrennte, sondern geistig divergirende, in sich unüberwindlich zusammenhängende Massen. Die arabischen Völkerschaften in Afrika sind z. B. in Stämme geschieden, und benennen sich nach ihren Stammvätern. Sie bilden eine homogene Masse, aber auch zu einem Ganzen zusammengefaßt, bilden sie doch kein Volk, sondern nur ein Menschengeschlecht. Das Wort Nation, das heutzutage so sehr in der Mode ist, und das das Verhältniß einer Abstammung im letzten Glied ausdrückt, ließe sich für sie brauchen. In Bezug auf andere sind sie, wenn man will , ein Volk, in sich aber niemals. Es gab nun also eine Zeit, wo die Menschen waren, was die Araber noch heute sind. Es bedarf nun Ursachen um

A: keine Hervorhebung b A: Menschengeschlecht, in dem

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durch sie solch eine gegenseitige Ausschließung zu Völkern zu erklären. Sind es äußere Gründe, etwa Streitigkeiten um Weideplätze oder Brun-nen? Solche Händel sind aber weder von allgemeiner, noch dauernder Wirkung. Oder ist es der numerische Zuwachs? Dabei bleibt aber jeder Theil, was er war, er bleibt sich, und dem Stamm homogen, es gibt dies nur eine Völkerdifferenz. Z. B. die Trennung der abendländischen und mor-genländischen Araber brachte noch keinen Volkscharakter hervor, keine unaufhebliche Trennung, die abendländischen sind noch dieselben, wie die morgenländischen. Dasselbe gilt von jeder andern äußern Thatsache z. B. von Naturereignisse", Erdbeben etc. Es ließen sich also eher natürli-che, aber innere Ursachen annehmen. Man kann sich natürliche Differenzen unter der homogenen Menschheit durch divergirende physische Entwick-lung denken. Man könnte sich hier auf die Folgen berufen, die hervorgehen, wenn große Massen auseinander gehaltener Geschlechter sich berühren. Man kann an die Kreuzzüge, an das entdeckte oder wiedergefundene Ame-rika erinnern und an Weltkriege und Krankheiten, die solchen mächtigen Katastrophen folgen. Oder, wenn man z. B. nur von einem geringern I ein-zelnen Beispiel ausgehen will : Wenn das Proviantschiff von England auf die hintersten Shettlands-Inseln kommt, so verbreitet sich unter den Insu-lanern ein convulsivischer Husten, der erst nach Abgang des Schiffes wie-der aufhört. Wenn also die Coexistenz einander entfremdeter Geschlech-ter Krankheiten erzeugt, so könnten physische Entwicklungen Veranlas-sung zur Ausscheidung nicht verträglicher Menschengattungen geworden seyn. Die Hypothese nun erklärt nur auseinandergehende Gattungen, aber es ist in den Völkern auch etwas Zusammenhaltendes. Wo soll man dieses suchen? Wollten wir darauf eingehen und z. B. die Racen betrachten, so fänden wir, daß es keine größere Divergenz gibt, so daß man sogar deswe-gen die gemeinschaftliche Abstammung der Menschen leugnete. Dieses Urtheil ist übrigens voreilig zu nennen und besonders ist es auffallend, daß sich ein Mann wie Niebuhr34 dazu verstehen konnte; denn obgleich die Schwierigkeit der Annahme der gemeinschaftlichen Abstammung der Men-schen nicht zu leugnen ist, so sind wir doch hierin zu sehr Anfänger um ein letztes Urtheil fällen zu können, da künftige Forschungen unsere Ansich-ten vielleicht noch erweitern. Es ist also billi g im Interesse der Überliefe-rung und der Vernunft die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Abstam-mung nicht zu bezweifeln.

So mächtig nun dieser Racenunterschied ist, so ist er doch nicht mäch-tig genug, die Völker aus einanderzuhalten, denn es finden* sich in den

* A: fanden

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Ragen fast ebenso große und mächtige Unterschiede z. B. unter den In-diern, wo die physischen Verschiedenheiten zwar in Kasten theilen, aber darum das Volk nicht trennen. In Aegypten wurde sogar der Ragen-unterschied selbst überwunden, denn Herodot spricht von einer neger-artigen Menschengattung35, die er, wie es scheint, selbst noch gesehen hat. Wohin soll nun diese aber gekommen seyn? Man findet sie nicht mehr in Bildern, noch im Leben, daher muß sie sich wohl mit dem Volke ver-mischt haben und der Unterschied überwunden worden seyn.

Gibt es nun überhaupt, so fragen wir, Gründe dafür, daß der Proceß, der die Ragen unterschied, ein begleitendes Symptom der Völkerentste-hung war.* Allerdings ist es wahr, daß wir physische Ereigniße in Verbin-dung mit tiefer geistiger Umwandlung wahrnehmen. Große Krankheiten erscheinen als Parallelen von großen geistigen Bewegungen.36 Nun aber sind die Völker nicht gerade nach I Ragen getrennt, wir treffen auch reine Völker an. Dies beweist aber nicht, daß der Racenproceß nicht durch die ganze Menschheit ginge. Man könnte z. B. sagen, die europäische Mensch-heit ist der Theil, der den Racenproceß überwunden hat, die Völker aber, in denen sich die Rage in abweichender physischer Entwicklung fixirt und sich bildend zeigt, sind die, die ihr unterlagen. Die Verschiedenheiten der Völker sind überhaupt mehr geistige als physische, denn bloß physische Verschiedenheiten werden die Vermischung, wie wir gesehen, nicht hin-dern; von geistigen Unterschieden aber fand sich, wie wir gesehen, in der homogenen Masse nichts; also war wohl jene Krisis der Völkertrennung eine geistige.

Indem wir dies annehmen, stimmen wir auch mit der mosaischen Er-zählung vom babylonischen Thurmbau überein.37 Man hielt diese Erzäh-lung für ein Philosophem38, um die Entstehung des Sprachunterschiedes zu erklären. Wäre nun aber diese Erzählung ein Philosophem, so hätte wohl der Urheber derselben die Völkerentstehung erklären wollen. Es ist aber vernünftiger anzunehmen, daß diese Erzählung eine Reminiscenz ist, die sich auch in den Mythen anderer Völker findet39, sie ist eine Reminis-cenz aus dem geschichüichen Theile der Mythologie und hat fast histori-sche Bedeutung. Demnach kann man übrigens die Sache selbst als histo-rische Reminiscenz und die Art der Darstellung scheiden. Der Erzähler sieht z. B. von seinem beschränkten Standpunkt aus die Völkerscheidung für ein Unglück an. Allerdings müßen wir ihm hier zugeben, daß er sich ein Ereigniß, dessen Eintreten ein plötzliches aber ein wirkliches war, wie an einem Tage vollendet dachte. Nach der Erzählung ist das Ereigniß unversehens, der Menschheit selbst unbegreiflich, die Erzählung nennt es ein Gericht, und hier ist eben nun eine Krisis. Die Erzählung nimmt als

A: ,?'

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unmittelbare Ursache der Völkertrennung die Sprachverwirrung an, und es ist diese, wenn die Völker durch keinen ihrer äußern Unterschiede so getrennt sind, wie durch die Sprachen, von der Völkertrennung nicht zu sondern.

Wenn die Verschiedenheit der Völker etwas in der Völkertrennung Entstandenes ist, so kann auch die Verschiedenheit der Sprachen nur etwas Gewordenes seyn. Wir können diesen Völker trennenden I Sprachen nur eine einzige allgemeine Sprache voraussetzen.* Wenn diese ein-zige sich in mehrere geschieden hat, so entstehen erst durch die verschie-denen Sprachen verschiedene Völker. Es muSte aber dieses Entstehen vieler Sprachen aus einer eine geistige Krisi s begleiten, da die Sprache der Ausdruck des menschlichen Bewußtseyns ist1', und es mußte also nach der auf diese Art aufgefaßten und so unzweifelhaften mosaischen Erzäh-lung eine Erschütterung, eine Alteration des Bewußtseyns vor sich ge-gangen seyn, welcher Erschütterung als schon mehr äußeres Zeichen die Verwirrung der bisher einen Sprache folgte. Als äußerstes aber erfolgte das Auseinandergehen der Völker. Diese Affektion des Bewußtseyns nun mußte dasselbe in dem Grunde erschüttern, welcher bisher die Mensch-heit zusammenhielt, und wir müßen nun, so gut wir die Trennung der Völker erklärt haben, auch für das Zusammenhalten der Menschen eine Ursache zu finden suchen.

Diese Ursache liegt einzig in der Idee eines einzigen Gottes40, welcher dieses Bewußtseyn bisher in Ruhe erhielt. Sobald an die Stelle dieses ei-nen Gottes mehrere verschiedene treten, so muß diese bisherige Einheit nothwendig mächtig erschüttert werden. Es bleibt nun noch zu erklären übrig, welcher Zusammenhang zwischen der religiösen Krisis und dem Sprachvermögen Statt findet. Man könnte einfach sagen, „es ist so", oder „es kann so seyn", da wir uns über die Entstehung und das Wesen der Sprache überhaupt sehr unwissend befinden. Jedenfalls fehlt es in dieser Hinsicht nicht an Thatsachen, die einen Zusammenhang von Religion und Sprache darthun, wie z. B. Herodot sagt, daß die Pelasger mit ihrer Ver-wandlung in Hellenen die Sprache umgewandelt hätten.41 Diese Umwand-lung nun war ein Übergang vom unmythologischen zum mythologischen Bewußtseyn. Arzte wollen sogar behaupten, daß Affektionen des Sprachvermögens mit religiösen Umständen zusammenhängen.' Doch abgese-hen hiervon war wohl das mit Zungen reden, wovon der Apostel Paulus als von einer Thatsache spricht42, nichts Anderes, als die Folge einer reli-

* A: keine Hervorhebung b A: keine Hervorhebung c A: keine Hervorhebung

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giösen Affektion; denn die Principien, von denen diese religiösen Bewegungen bestimmt werden, sind so allgemein, daß sie recht wohl auch physisch wirken können.

Der alten Erzählung nun, um wieder auf sie zu kommen, I läßt sich in der Bibel nur ein Ereigniß an die Seite stellen, nämlich die dp.oyXmocifa43

am Pfingstfeste, wo im Christen thum die Wahrheit, die in aller Menschen Herzen wohnt und was aus ihr entspringt, wieder in aller Mund Eine Sprache zu bekommen anfängt*, wo diese eine erhabene Lehre die zerrissenen Völker zu gemeinschaftlichem Streben vereint.44 Auch die Perser hoffen in ihrer Religion nach dem Siege des Ormuzd über Ahriman auf eine solche ö^oyA,axJca'a. Wie bei jenen das böse Princip die Sprachen verwirrt, so fängt nach biblischen Begriffenb das Heidenthum mit Sprachverwirrung und' das Christenthum mit Sprachverein an. Auch die Völkerwanderung könnte man dieser Sprachverwirrung parallel stellen, wo eine der abstoßenden gleiche anziehende Kraft die Völker gewaltig auf den Schauplatz der Welt zum Alles vereinigenden Christenthum führt. Es fehlt überhaupt dann auch wieder nicht an Andeutungen, daß die Sprachverwirrung ein Zeichen des Völkertrennenden Polytheismus war.

Babel ist der Ort, wo sich der Taumelbecher füllte, aus dem die Völker tranken.45 Der Begriff des Heidenthums d. h. des Völkerthums ist so innig mit Babel verknüpft, daß noch in der Apokalypse Babel das Symbol der Verwirrung ist.46 Ein solches Symbol schreibt sich nur von einem unauslöschlichen Eindruck her. In neuerer Zeit etymologisirt man Babel von Ba Bei Pforte des bei, aber diese Etymologie, gibt nicht die wahre Erklärung der Bedeutung von Babel. Vielmehr ist Babel eine Zusammenziehung aus Balbel und dieses Ton nachahmende Wort hat sich bis in eine spätere jüngere Sprache erhalten, nämlich im griechischen ßtitpßapoc,, das man von Bar draußen, extraneus herleitet. Nun ist aber ein solcher extraneus unverständlich, wie auch Ovid sagt: Barbarus hie ego sum, quia non intelligor ulli.47 Cicerod setzt sogar dem barbarus disertus entgegen.48 Es liegt überhaupt in der wiederholten Silbe ßap ßap das Ton nachahmende, wozu auch noch das lateinische balbus balbatire gehört (Unser babbeln, fabeln verdient vielleicht auch hier erwähnt zu werden.)49

* A: keine Hervorhebung b A : „ ' c A: .und' fehlt d H: Vor .Cicero' steht durchgestrichen: ,Auch Paulus sagt einmal:'

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 57

Polytheismus und Sprachverwirrung sind also nahe zusammenhängend. Kann die Mythologie eines Volkes nur mit ihm entstehen, so können die verschiedenen Völker nur aus verschiedenen I Mythologien* entstehen. Der entstehende Polytheismus scheidet die homogene Menschheit. Durch ihn sind verschiedene Götterlehren gesetzt; mit widerstreitenden Götter-lehren aber ist eine Einheit der Menschheit unmöglich. Die Frage also, ob durch den Polytheismus Völker entstanden seyen, ist soweit entschie-den. Wir führen noch zum weitern Beweis nur die Art der Leichenbe-stattung verschiedener Religionen an.50 Die Buddhistenb glauben, der Geist gehe nach dem Tode in lebende Geschöpfe über; darum meinen sie dem Verstorbenen keine größere Ehre erzeigen zu können, als wenn sie den Leichnam lebenden Thieren vorwürfen. Die Aegypter sind das Gegentheil von ihnen. Sie suchen die Glückseligkeit des Todten darin, daß er nach seiner Metempschychose den wohlerhaltenen Körper wiederfindet. Die Zerstörung des Leichnams ist ihnen ein Greuel, darum balsamiren sie den Körper und verwahren ihn in Pyramiden, die dem Zahn der Zeit trotzen. Die Griechen suchten des Todten schnellste Auflösung zu bewirken. Wie könnten nun Völker, die nur in diesem Gebrauch der Bestattung di-vergiren, nebeneinander bestehn? Um das vorgeschichtliche Zeitalter noch sicherer zu vermuthen, und auf die ehemalige Spracheinheit zu schließen, ist noch die Verwandtschaft vieler Sprachen in ihrer Abstam-mung und Formation und in einzelnen Worten, die sich getrennt von ih-rem Stamme in den Sprachen erhielten, anzuführen.

Die Mythologie ist das erste, was das Volk zum gewissen Volk bestimmt.' Vor dieser entstehenden Mythologie ist die Sprache flüßig, be-weglich; es haben sich die verschiedenen Principien noch nicht getrennt und geschieden. Nun entsteht aber in Folge der Krisis die Verwirrung. Eine Verwirrung entsteht, wo mißhellige Elemente weder auseinander kommen können, noch auch untereinander zu bestehen vermögen. Auf die Verwirrung folgt die Scheidung, in der aber die Völker immer noch die ursprüngliche Einheit zu retten suchen. Es erklärt sich hier, was Hero-dot sagt, daß die Namen der Götter von den Barbaren seyen. Die Namen meint Herodot51, denn die ältesten Götternamen sind nicht aus der grie-chischen Sprache. Er ist nun freilich nicht abgeneigt zu folgern, daß auch sie selbst davon herkommen, was aber nicht so historisch gewiß ist. Es erklärt sich ferner aus dem Moment, in dem durch I Sprachen die Völker absolut geschieden sind, daß die Wörter, die hebräisch sind, auch in andern als semitischen Sprachen vorkommen, z. B. Pharao im Ägyptischen. Im

H: Wiederholung von .Völker nur aus verschiedenen' b A und H: Buttisten ' H: keine Hervorhebung

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58 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

Sanskrit, im Griechischen, Germanischen findet man Wörter, die semi-tischen Stamm haben. Diese sind die vorgeschichtlichen Reste aus der anfangs gemeinsamen Sprache. Keine Sprache entsteht dem fertigen Volke, also erzeugt auch kein Volk seine Sprache ohne Zusammenhang mit der ursprünglichen Einheit, die die Völker im Scheiden halten will." Eben dieses Festhalten ist ein Beweis, daß die Völker von einer ursprüng-lichen Einheit ausgingen. Dahin deuten auch die Erscheinungen eines sich Berührens der Völker im Nebel der Urzeit. Es treibt sie ein Stachel inne-rer Unruhe, das Gefühl, nicht mehr ein Ganzes zu seyn. Dieses verzwei-felte Gefühl ist es, das sie von Land zu Land, von Küste zu Küste jagt. War es etwa ein Zufall, der die alten Ägypter ins enge Nilthal führte, oder war es Verzweiflung um im engen Thale im unzufriedenen dunklen Ge-fühl der Zerissenheit den Rest an Einheit zu bewahren.52 Wir haben für diesen extremen Zustand der Trennung noch Belege aufbehalten, die Denkmäler alter Zeiten, einen Trost dem wahren Forscher. Ilb Sie sind sein Glauben, durch sie zieht er aus Thatsachen und zeigt nothwendige Schlüße. Es haben in dieser Hinsicht auch jene Völker des südlichen Amerikas viele Gelehrte zum Gegenstand ihrer Forschungen gemacht. Viele, ja die Meisten hielten diesen Zustand für den ersten, für den der Thierheit nächsten. Wir sagen aber, dies ist eine falsche Philosophie, denn warum ist dieser Zustand hier, warum nicht bei andern so geblieben? Oder sind sie etwa in Barbarei zurückgesunken? Auch das kann man nicht sa-gen, vielmehr müssen wir glauben, daß ihr Zustand das träge Resultat je-ner Krisis ist, aus der alle andern Völker nur den Grund alles menschli-chen Bewußtseyns, die Idee einer Gottheit retteten. Sie sind aber leben-dige Zeugniße der durch nichts gehaltenen Trennung, sie sind die Herde ohne Hirten. Wenn wir auch einige Spuren von Kultur und schwache Gebräuche finden, so ist das nicht von einem zersplitterten Volke, denn der Zustand vor den Völkern ist kein Zustand absoluter Unkultur, sonst hätte aus ihm nie ein Übergang zur geselligen Entwicklung hervorgehen können. Auch jener vorgeschichtliche Zustand erlaubte I materielle Ver-hältniße. Kein möglicher politischer Zufall kann ein Volk mit Gesetz und Ordnung zu solcher Gesetzlosigkeit und Entmenschung herabsetzen, ebensowenig ein physisches Ereigniß. Materiell können sie zerstören, aber seine Vergangenheit, seine Geschichte können sie einem Volke nicht, wie diesen Menschen rauben.

Noch von einer andern Seite läßt sich die Wahrheit, die in der Sprach-verwirrung liegt, hier erweisen bei diesen alten Geschlechtern. Es wirkt in jeder werdenden Sprache die ursprüngliche Einheit, aber hier löste die

* H: Korrigiert aus: .wollte' b Hier endet die Nachschrift A.

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 59

Auflösung der Einheit die Sprache selbst auf und nahm die Menschlich-keit mnt weg; denn das höhere Bewußtseyn, das diesen Völkern genom-men istt, gibt den Menschen die Sprache, die sich bei geistig entwickelten Völkern sogar über weite Räume verbreitet und die mit andern einen innern Zusammenhang bewährt. Dabei ist bei jenen Stämmen jede mate-rielle Libereinstimmung zu bezweifeln, und die Guarana" Sprache, ist noch die unter den meisten bekannte; überall aber wechselt die Sprache von Hütte zu Hütte. Jene Leute nun reden leise, haben eine Abneigung vor dem Reden, besonders dem lauten, darum schreien sie nie, und verrathen durch kein Mimenspiel den Inhalt der Rede. Bei ihnen kann, man sagen, schwebt die Sprache auf der letzten Grenze, wenn überhaupt Idiome, deren Laute durch andere Organe als durch unsere Sprache, nicht mit der Zunge ausgedrückt werden, die wir mit unsern Buchstaben gar nicht bezeichnen können, noch Sprache zu nennen sind.53

Hingegen hielt nun die beisammengebliebenen andern Völker dieses schreckliche Entsetzen vor dem Verlust des Einheit-Bewußtseyns zusam-men, und um die letzte Einheit zu wahren, gab es ihnen die ersten gesetz-lichen Einrichtungen das Gerettete zu erhalten. Sie boten Alles auf, da die Sprachzersplitterung Alles zu zerstören drohte, dieses durch specielle Verbindungen zu erhalten. Dies gab Anlaß zu den Kasten, den strengen Priestersatzungen, zur Feststellung des Wissens als Doktrin.54 Äußerlich sich zusammenzuhalten, führten sie große Bauwerke auf. Alles dies erin-nert an jenen Thurm der vorgeschichtlichen Zeit. Laßt uns einen Thurm bauen, sagten jene ersten Erbauer, daß wir uns einen Namen machen, wir möchten zerstreut werden. Sie fühlten die Krisis, sie wollten sich ei-nen Namen machen, sie wollten ein Volk werden55, denn sie waren I eine namenlose Masse. Ans Feste denkt man, wenn man in die Weite gehen soll, der erste feste Punkt aber gibt Grund zur Ausschließung und Abson-derung. Unter diese großen Bauwerke der Völker gehören auch die Kyklo-penbauten in Griechenland, auf den Inseln des Mittelmeeres und auf dem Festland Italiens. Sie sah Homer, und ob auch ein vorschneller Schüler des Voß seinen Meister darin noch zu überbieten sucht, daß er beweisen will , sie hätten zu Homers Zeit nicht existirt, so spricht Homer doch von dem fest ummauerten Thyrosb und es scheint, daß jener Schüler seinen Homer nicht recht gelesen habe. Auch Hesiod spricht davon56: Kraft und Stärke und Kunstfertigkeit waren in dem Werke und wer anders als ein vorgeschichdiches Geschlecht soll diese ungeheuren Mauern und Zinnen gebaut, diese unbehauenen Massen aufgehäuft haben?'

* XI , 114: Guarani-Sprache b H: schwer lesbar ' SW- Abschluß der 5. Vorlesung und Beginn der 4. Vorlesung.

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In dieser Untersuchung nun ist jeder Fortschritt Übergang zu einem neuen Problem und wir kommen so auf die allen bisherigen Ansichten entgegengesetzte Seite, nämlich auf die religiöse Seite der mythologischen Vorstellungen. Diese religiöse Seite geht bis auf die Völkertrennung zu-rück. Alle andern erwähnten Ansichten suchen diese religiöse Bedeutung der Mythologie zufällig zu erklären z. B. die poetische Ansicht kann reli-giöse Anklänge geben, aber sie verwahrt sich gegen alle religiöse Entste-hung. Die philosophische Ansicht verwirft die religiöse Seite ganz klar, Herrmann legt sogar der Mythologie eine atheistische Tendenz unter, nach Heyne sind die erdichteten Persönlichkeiten keine wirklichen Wesen.57

Aue diese Erklärungen aber sind doch genöthigt der Mythologie ursprüngliche religiöse Vorstellungen voraus gehenzulassen. Auch Herrmann spricht von einer Vorstufe der Mythologie, die er in den Aberglauben setzt.58 All e diese frühern Erklärungen beziehen sich also nur auf die Mythologie als solche, und müßen in ihr eine Art von Religion vorausset-zen. Welches ist denn nun aber die religiöse Bedeutung der vormytho-logischen Wesen? Die ersten eigendichen Götter, sind nach der gewöhn-lichen Erklärung wirkliche für existirend gehaltene Wesen, die der Mensch entweder instinktartig, oder aus thierischem und sinnlichen Erschrecken vor Naturerscheinungen für Götter hält, weil der Mensch, wo er eine Wirkung sähe, sogleich auf einen Urheber schließen. Andere nehmen bei ihrer Erklärung ihre Zuflucht zu einem bloß thierischen Er-1 schrecken vor Naturerscheinungen, hinter denen sie unsichtbare, übermächtige Wesen vermutheten. Da nun diese Wesen dem Menschen bald förderlich, bald entgegen sind, so suchen die Menschen diese Wesen durch Unter-würfigkeit zu gewinnen und zu begütigen. Diese Erklärung des vormytho-logischen Zustandes und der Religion verdanken wir dem englischen Philosophen David Hume.59 Und alle Neuem haben diese Erklärung an-genommen. Herrmann seinerseits nimmt Philosophen als Vermittler an, Voß ruft Dichter herbei60, die diese gestaltlosen, ungebildeten Wesen allmählig ausgebildet, mit schönen menschlichen Eigenschaften versehen, und sogar eine Geschichte derselben gebildet hätten. Man könnte hier die Frage aufwerfen, woher es gekommen, daß man in Deutschland so bereitwilli g war, aus dem rohen Zustand plötzlich Dichter hervortreten lässt, als wäre Poesie die Consequenz der Rohheit. Oder sollten vielleicht Stellen aus den Alten wie z. B. die über Orpheus in Horaz, daß er die wil-den Thiere gebändigt und die rohen Sitten gemildert, Veranlassung dazu gegeben haben?61 Allein Orpheus gab ein bloßes Dogma, wodurch das Leben der Thiere geschont werden sollte, und kein alter Schriftsteller gibt dem Orpheus Antheil an der Mythologie, ja er könnte als Gegensatz der-selben gelten, der sich nicht äußern kann, aber, sobald sie sich zeigt, her-vortritt.

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Es waren also die ersten Götter unbestimmte, wahrhafte Wesen. Es entsteht nun die Frage, ob solchen bis jetzt geschilderten Götterwesen religiöse Bedeutung zukomme. Dagegen erheben sich viele Bedenklichkeiten. Jenen Wilden am La Plata wird es wohl nicht an Scheu vor Naturerscheinungen fehlen, und doch sind sie, wie Assara versichert, ein Mann, dem man in dieser Hinsicht ein Urtheil zutrauen darf, ganz ohne Religion.62 Er konnte sich nicht darüber täuschen, daß sie keine Religion und keinen Kultus haben. Zwar sagt Cicero63, daß es kein Volk ohne Religion gebe, allein diese Wilden sind kein Volk, nur wilde Horden. Scheu und Furcht vor Naturerscheinungen bringen demnach noch keine Religion hervor. Ferner, wären diese Schreckwesen Götter, so müßten auch die Feen, Nixen, Kobolde, Berggeister der alten Deutschen Götter seyn, die doch keineswegs I dafür galten, sondern gewöhnlich nur als Diener und Begleiter derselben gedacht wurden.64 Die Scheu die man vor ihnen hegte und die Geschenke die man ihnen darbrachte waren nicht Folge einer göttlichen Verehrung, sondern, weil sie für gespenstige Wesen gehalten wurden suchte man sie dadurch zu begütigen. Alle diese Versuche also laufen da hinaus, Götter ohne Gott aufzustellen. Polytheismus aber ist, obwohl er falsch ist, nicht Atheismus, so wenig Irrthum ganz frei von Wahrheit ist. Denn in ihm ist ja Theismus. Hume sagt: die Sache genau betrachtet ist diese Religion nur ein mit Aberglauben verbundener Atheismus, die Gegenstände, die man als Götter aufstellt haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit unserer Idee von der Gottheit. Im Gegentheil sie sind ganz ähnlich den Kobolden, Geistern etc.65 Das gesteht Hume selbst ein, und so faßen wir daher alle bisherigen Erklärungen unter dem Titel der irreligiösen zusammen, und gehen zu den religiösen über. Die Frage, ob die Mythologie ursprünglich religiös sey, ist faktisch und muß also faktisch bewiesen werden. Doch handelt es sich hier nicht um die Wirkli c hkeit der religiösen Bedeutung, sondern nur um die Möglichkeit, Begreiflichkeit. Es ist schwierig zu erklären, wie den Göttern Gott zu Grunde liegen könne. Man könnte dies durch ein instinktartiges Tasten nach Gott erklären, man könnte aber nur die beliebte Erklärung von Naturvergötterung durch dunkle* Triebe voraussetzen und wir brauchten hier keine Lehre sich zum Polytheismus entstellen zu lassen.66

Die erste Möglichkeit der Erklärung einer ursprünglich religiösen Bedeutung der Mythologie bietet sich dar, wenn man diese als eine dem Menschen eingepflanzte Kunde der Gottheit betrachtet.67 Der erste, der den Ursprung des Polytheismus zum Gegenstande philosophischer Untersuchung machte, war David Hume, der aber auch alle angebornen

* H: fngliche Lesart

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Begriffe verworfen hat, und doch nur in dieser hätte sich eine Kunde der Gottheit ergeben können. Auf diese Art mußte er den Begriff von Gott selbst verwerfen und konnte allerhöchstem eine Neigung an eine unsicht-bare Gewalt zu glauben zugeben. Er sagt, da nicht zwei Völker, nicht zwei Menschen übereinstimmen über Punkte der Religion, so kann die Religi-on nicht auf einem natürlichen Triebe I beruhen, höchstens auf einer Neigung, an ein höheres intelligentes Wesen zu glauben.68 Um nun dieses zu vermeiden, hätte er nach seinen sonstigen Grundsätzen nur von einem wissenschaftlichen Theismus ausgehen müssen und er hätte leicht aus dem entstellten Theismus den Polytheismus entstehen lassen können. Unter dieser Voraussetzung hat er dann sehr leicht die ursprünglich religiöse Bedeutung des Polytheismus bestritten, indem er nämlich in seiner na-türlichen Geschichte der Religion sagt, was er anderswo anzunehmen nicht so geneigt ist, „man kann durch natürliche Schlüße auf das Daseyn einer Gottheit kommen, wie sollte nun aber diese rohe Menge zuerst auf das höchste reinste Wesen kommen; warum nicht vielmehr auf ein sinn-liches. Ebenso leicht als reine Begriffe vor unreinen, können Palläste vor Hütten gewesen seyn - Wahre und leichte Schlüße werden immer popu-lär, abstruse sind nur einer kleinen Zahl bekannt. Wäre ein Theismus da gewesen, so hätten ihn die leichten Schlüße erhalten, und die abstrusen, wenn er auch wenig bekannt geworden wäre, nicht erhalten. Einen Theis-mus gibt es nur im Zeitalter geübter und gebildeter Religion und Ver-nunft!"69 Nun sahen wir aber im Mosaismus einen Theismus. Dies er-klärt Hume so: Eine Nation, die viele Götter hat, erhebt Einen zum höch-sten Rang. Ist dieses geschehen, so bewirbt sich die ganze Nation um die Gunst dieses Einen, und häuft schmeichelnde Ehrenbezeugungen und Beiwörter auf ihn. Hat nun dieser Wetteifer der Schmeichelei um sich gegriffen, so ergibt sich, daß diese Masse von schmeichelnden Beiwörtern endlich zu einer Grenze gelangt, und so entsteht das, was unserer Gottheit ähnlich ist.70

Aus dem bisherigen sahen wir nun, daß wir einen erfundenen Theismus vorauszusetzen, unterlassen müßen. Es bleibt also nichts übrig als einen von aller Wissenschaft unabhängigen Theismus anzunehmen, und auf diese Art kann man leicht zu einer geoffenbarten Religion übergehen. Dies ist das der Erfindung gegenüber gestellte Princip, wovon früher gespro-chen wurde. Beim Begriff der Offenbarung nun haben wir einen solide-ren Zustand als am Hellsehen, Träumen etc. Auch Herrmann hätte nicht so darauf herabsehen sollen, denn wie leicht konnte er es noch zu dieser frommen Meinung bringen.71 Seine Mythologie wäre auf dem Papier I sehr gut, aber er soll jene Menschenopfer ansehen und mit Horaz ausrufen: tantum religio potuit suadere malorum.72 Dies wäre wohl nie aus den Köp-fen und Sätzen der kosmogonischen Philosophen entstanden, jene

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 63

Menschenopfer nämlich und das Vergessen eingebomer Gefühle über dem Kultus. Nur eine übernatürliche Thatsache, nur eine unabweisliche Autorität konnte den Gefühlen Stillschweigen gebieten. Wenn man nun den Polytheismus als eine entstellte geoffenbarte Religion ansieht, so muß man diesen nicht bloß einen Theismus, sondern einen bestimmtem, Mono-theismus voraus gehen lassen. Denn Theismus ist nur Religion überhaupt, Monotheismus aber bezeichnet den wahren und einzigen Gott. Diese Meinung war seit den ältesten chrisdichen Zeiten bis auf die neueste Zeit einstimmig geglaubt worden, und man hält es für unmöglich, daß Polytheismus anders als durch Verderben der wahren Religion des Monotheismus entstanden sey. Nun entsteht aber eine Hauptschwierigkeit zu erklären, wie aus diesem Monotheismus der Polytheismus entsteht. Die Schwierigkeit liegt schon in dem Begriff Monotheismus, welcher die Ne-gation der Vielheit der Gottheit, die bloße Einzigkeit bezeichnet. Wie soll nun aus dieser Negation ihr Gegentheil die Vielgötterey hervorgehen, was fast undenkbar ist, und auch von jeher empfunden wurde. Lessing in sei-nem Buch über die Erziehung des Menschen73 läßt die Frage sehr schön, indem er sagt: Wenn auch dem Menschen der Begriff von einem Gott gegeben war, so könnte der Geist diese Unendlichkeit doch nicht fassen und die Vernunft bearbeitete und zerlegte sie in eine Vielheit. Ein solcher Begriff, den man in seinem ganzen Umfang erwerben kann, wie der von einem Gott ist allerdings dem Untergang ausgesetzt. Es entsteht also der Polytheismus durch Bearbeitung des ihm vorausgesetzten Begriffes Mono-theismus. Das Mittel zu dieser Zerlegung fand Lessing in Gott, als dem Inbegriff aller Beziehungen auf Natur und Welt. Letztere bietet uns im-mer ein neues Gesicht, und so vergaß man die Einheit über der Vielheit der Veränderungen. Die Namen, die man diesem Wesen beUegte gingen über iti Namen von Gottheiten, man vergaß die Einzigkeit und so ent-stand der Polytheismus. I

Eint andere Art der Erklärung wäre die: Aller Polytheismus ist ein ge-schichtlicher, insofern als die Götter alle aufeinander folgen, der eine herrscht, und hierauf der folgende ihn entthront. Man kann nun sagen, die Offenbarung setzt auch eine successive Selbstoffenbarung Gottes voraus, also wird durch diese der wahre Gott auch in ein geschichtliches Verhäl.nis zu den Menschen gesetzt, und so ließe sich der Schluß ziehen, daß diese successive Offenbarungsgeschichte Gottes in dem Polytheismus verwardelt wurde. - Diese Ansicht wurde gar nicht oder nur wenig be-nutzt. Vielmehr machte man sich über den menschlichen Theil der Mytho-logie, rahm seine Zuflucht zu den mosaischen Urkunden, machte..." Cham

" H: cen (?)

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zum Kronos und erklärte selbst die dogmatischen Theile der Bibel auf euämeristische Weise. Man sagte, es zeigten sich in der Bibel Spuren von Entgegentreten gegen eine falsche Lehre.74 - Doch seit wir das Morgenland mehr kennen gelernt haben sind große Änderungen in den Ansichten eingetreten. Wir bemerken nämlich eine Übereinstimmung, Ähnlichkeit der Mythologien der verschiedenen Völker in Beziehung auf die frühere Einheit, die im Bewußtseyn der Menschheit lag. Man hält sich also be-rechtigt, eine Uroffenbarung, ein über die mosaischen Urkunden weit hinausgehendes großartiges System von Monotheismus anzunehmen, von dem in den mosaischen Urkunden selbst nur ein kleiner Auszug vorhan-den wäre. Da aber die mosaischen Urkunden nicht hinreichten, so mußte man aus den morgenländischen Religionen das Übrige sammeln, um wo möglich das Ursystem wenigstens einigermassen wieder zu erhalten.75

Wir finden nun vermöge der eben angegebenen erweiterten Forschun-gen im Orient Übereinstimmung zwischen der ägyptischen, indischen und griechischen Mythologie, die auf gemeinschaftliche Abkunft hindeutet, also eine Allen gemeine Einheit voraussetzt. Wohin nun, ist die Frage, ist die Zeit der Einheit zu setzen; wir antworten in das Bewußtseyn der ur-sprünglichen Menschen. Darum ging man auch so weit, nachdem man ein großes geoffenbartes Ursystem, von dem Moses nur einen Auszug hatte, vorausgesetzt, dem Mosaismus die fehlenden Bruchstücke einzu-setzen. Der erste, der gestützt auf die orientalischen Götter-1 lehren und ihre Übereinstimmung einen Schluß zog, war der Orientalist William Jones76, Präsident der asiatischen wissenschaftlichen Gesellschaft, der sich unsterbliche Verdienste erwarb in Bezug auf die Kenntniß des Orients. Er ging zwar in manchem, hingerissen von Erstaunen über das Großarti-ge, das ihn der Schluß vermuthen ließ, zu weit, das Schöne und Edle sei-nes Geistes aber erhob sich über die Handwerker von Forschern ande-rer Art und Zeit. Seine Schlüsse sind manchmal nicht genau begründet, aber Friedrich Creuzer1" machte die relative Bedeutung zur unwieder-sprechlichen Evidenz in seiner Symbolik der Mythologie der alten Völ-ker77, welche von Moser78 ganz gut ausgezogen hatb Nicht bloß aufs All -gemeine, die ursprüngliche Bedeutung der Mythologie zur Evidenz zu er-heben, beschränkt sich Creuzers Verdienst, sein philosophischer Blick erweckte auch den Gedanken an ein ursprüngliches Gebäude, an ein Volk, das mit seinen Trümmern den Erdball füllte. Seine Ansicht ist folgende: Da nicht unmittelbar die Offenbarung selbst, sondern nur ihr Resultat im Bewußtseyn sich alteriren, verdorben werden kann, so tritt eine Lehre in die Mitte, in der Gott nicht bloß theistisch, sondern Natur und Welt

H: Kreuzer müßte wohl heißen: von welchem Moser einen guten Auszug hergestellt hat

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NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 65

umfassende Einheit dargestellt wird79, welche bloß dem Pantheismus ähnelt und nach Art der orientalischen Emanationslehre constituirt ist, also ein reale Vielheit in sich enthaltender Monotheismus. In dieser Leh-re sind zwar schon Elemente der Vielheit, d. h. eines möglichen Poly-theismus gegeben, aber noch von der Einheit gebändigt. Wie diese Lehre nun aber von Volk zu Volk* schreiten wird, wird sie mehr und mehr polytheistisch, die Einheit weicht aus den Fugen und wird Vielheit, die dann mit den einzelnen Völkern als Polytheismus ausgebildet wird. William Jones fand auch in den heiligen Vedas eine der Urreligion sich annähern-de Religion. Es zeigt sich auch das Auseinandergehen und die Abweichung in den frühern und spätem Mythologien, denn z. B. die altern morgen-ländischen und die spätem hellenischen mehr ausgebildeten Vorstellun-gen unterscheiden sich dadurch, daß jene monströser sind, weü die Ein-heit mehr Gewalt hat, während diese hingegen gemildert sind, da sie fast ihres doktrinellen Charakters beraubt und haben ihn nur noch in den Mysterien. So wäre also I der Polytheismus ein auseinandergegangener Monotheismus. Niemand wird die Großartigkeit dieser Idee läugnen, da sie nicht von einer unbestimmten Vielheit, sondern vom Mittelpunkt ei-ner die die Vielheit begreifenden und beherrschenden Einheit ausgeht, und daher viele Vorzüge vor den andern schwankenden Systemen hat. Jeder Polytheismus, der es wirklic h ist, setzt Monotheismus voraus. Dies ist ein Satz, der dadurch, daß der Monotheismus geschichdich eine Hy-pothese ist, sich aber geschichtlich darthunb lässt. Vorzüglich dadurch wird diese Hypothese einer geschichtlichen Erklärung fähig, weil sie das Mittel zur Erklärung der verschiedüch' erzeugenden Götterlehren bietet. Man könnte sich wundern, daß Creuzer diesen Vortheil zu wenig beach-tet habe, indem er immer nur einen historischen Zusammenhang aufsucht, den er nicht erweisen kann, während er ein Gesammtsystem wohl vor-aussetzen darf. Um nun dieser Hypothese geschichtliche Bestimmtheit zu geben, sagt Creuzer, muß die Zeit des Menschengeschlechtes festgestellt werden, in welcher der angenommene Monotheismus noch vorherrschend war. Und zwar, fährt er fort, der Monotheismus konnte nur so lange bestehen, als die Stämme beisammen blieben, mit dem Entstehen der Völker entstand auch Polytheismus. So sagt Creuzer.80

Nachdem wir nun die früheren Systeme und Ansichten verworfen haben, bleibt uns diese letzte Hypothese zur Vergleichung mit dem aus unserer frühem Entwicklung gewonnenen Resultat übrig, welche Ent-

* H: .Volk zu Volk ' ist durchgestrichen, der Nachtrag über der Zeile ist nicht lesbar.

b H: korrigier t aus .darstellen' ' H: Verschiedentlich (?)

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wicklung aber von einem Gesichtspunkt ausging, der von dem Creuzers unabhängig war. Es fragt sich also jetzt, wie die aus unserer Entwicklung hervorgegangenen Resultate mit denen Creuzers übereinstimmen.

Bei der Vergleichung beider wird sich sogleich eine Differenz zeigen. Auch wir setzen nämlich Polytheismus und Völkerentstehung in Ver-hältniß. Aber bei uns ist Polytheismus Ursache der Völkerentstehung, während bei Creuzer der umgekehrte Fall statt findet. Welche Ansicht ist nun richtig? Ist man der Creuzerschen Ansicht, so muß die Völker-entstehung eine andere Ursache als Polytheismus haben, was uns aber nach dem Früheren als unglaublich erschienen ist; oder man müßte an-nehmen, daß die Ursache I der Völkerentstehung nicht erklärt werden könne. - Doch hierüber später.81 - Wir haben angenommen, daß über die Zeit des noch einen Menschengeschlechtes ein Princip gewaltet habe, das das Auseinanderstreben der Menschen wehrte, dieselben auf der Stufe der bloßen Natürlichkeit gehalten und ihnen höhere Entwicklung ver-sagt habe. Das war jene Zeit des gerühmten goldenen Weltalters, in dem, wie Plato sagt, die Gottheit selbst der Menschen Hüter war und Vor-steher.82 Hier ist also von keiner Lehre die Sprache. Wenn nun das Princip dieser Unbeweglichkeit der einzige Gott war, so müßten wir noch weiter-gehen und das Bewußtseyn dieses Gottes als Monotheismus aussprechen, um mit der Creuzerschen Hypothese übereinzustimmen. Hier aber ist der Punkt, bei dem wir anhalten und uns bedenken.

Die Einheit der Gottheit ist es also, welche die homogene Menschheit zusammenhält. Soweit stimmen wir mit Creuzer überein. Monotheismus aber ist Bewußtseyn des einzig wahren Gottes, dieser wahre Gott ist aber ein Geist, welcher natürlich nur im Geiste erkannt werden kann83, d. h. in einem freien geistigen Verhältniß. Wie läßt sich nun ein Erkennen des wahren Gottes, eines Geistes im Geiste in einem unfreien natürlichen, ja beinahe rohen Zustand denken in dem sich zu jener Urzeit das Menschen-geschlecht befand? So sagt auch Christus zur Samariterin: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müßen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.84

Wie kann sich also das freie Verhältniß... vertragen mit dem zusammen-haltenden, Entwicklung versagenden Princip. Wie kann sich diese Lehre des Monotheismus mit dem realen, natürlichen Zustand vertragen, in dem sich jene Zeit befand? Wir sahen uns also genöthigt von dieser Hypothe-se des monotheistischen Systems abzustehen; und nur auf dem Wege der frühem Untersuchung und Entwickelung können wir also fortgehen, und auf diese unsere frühem Resultate uns stützend, können wir alsdann schließen: Wenn die Menschheit sich in Völker trennte und die verschie-denen Götter hervortreten, so konnte die vorausgegangene Einheit durch Nichts so sehr erhalten werden, als durch das Bewußtseyn eines gemein-schaftlichen und einzigen Gottes. Nun I ist aber die Frage, ob dieser ge-

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 67

meinschaftliche einzige Gott, eben weil er dies war, deswegen auch der in dem Sinne des Monotheismus eine gewesen, d. h. ob jener allgemeine einzige Gott, weil er dies war, deswegen auch ein absolut unmythologischer war, «ein alles Mythologische ausschließender. Diese Frage kann nicht beantwortet werden, ohne tiefer in die Natur des Polytheismus einzugehen, der jetzt überhaupt in dieser folgenden Untersuchung vorzüglich beleuchtet werden muß.

Es besteht ein wesendicher Unterschied im Polytheismus, der entweder übersehen oder doch nicht gehörig beachtet wurde, nämlich dieser: Bei manchen Völkern sehen wir eine Anzahl kleinerer untergeordneter Götter einem Einzigen Höheren untergeben, und wieder bei andern mehrere Götter, deren jeder in einer gewissen Zeit feststeht und dann den Thron verliert , also eine Aufeinanderfolge von Götterherrschaften wie z. B. in der griechischen Mythologie. Hier sind bekanntlich 3 Göttersysteme, zuerst die Herrschaft des Uranos, dann die des Kronos, und zuletzt die des Zeus. Würden wir die Herrschaft des Letztern allein setzen, so hätten wir nur ein gleichzeitiges simultanes Göttersystem. Zuerst ist Uranos der Höchste, dann folgt Kronos und zuletzt Zeus als der Höchste. Da also diese 3 die Höchsten sind, können sie nicht gleichzeitig seyn, nicht coexistiren, sondern müssen sich gegenseitig ausschließen. Diese Art des Polytheismus nennt man den successiven.85 Nur durch diesen successiven Polytheismus ist also die Einzigkeit Gottes aufgehoben, er ist der wahre Polytheismus. In dem simultanen Polytheismus ist der einzige höhere Gott von der Vielheit nicht berührt, er ist immer der einzige seines Gleichen nicht Kennende, die andern untergeordneten sind in ihm, er gleichsam außer ihnen, er begreift sie, wird aber nicht von ihnen begriffen, er ist, wenn auch nicht graduirende, doch emanirende Ursache derselben. Zwischen ihm und ihnen findet nicht der bloße Unterschied der Individualität statt, wie zwischen ihnen selbst, sondern ein Unterschied der ganzen Art. In diesem Falle besteht eigentlich kein wahrer Polytheismus, den vor dem einen höchsten Gotte schwinden die andern gleichsam in Nichts zusammen; sie sind nur secundäre Götter I etwa vergleichbar den Engeln im alten Testament.86 In diesem Polytheismus ist also zwar Göttervielheit, aber keine Vielgötterei, welcher Unterschied genau zu beachten ist. Vielgötterei entsteht erst dann, wenn mehrere höchste und somit sich gleiche Götter sich aufeinander folgen.

Diese beiden Arten des Polytheismus haben also ein verschiedenes Verhältniß zu jeder Erklärung. Offenbar aber handelt es sich hier hauptsächlich um den successiven Polytheismus, der aber schwerer zu erklären ist als der simultane, der leicht durch ein bloßes Auseinandergehen der Einheit begriffen werden kann.

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Durch alles bisherige ist nun eigentlich für die Erklärung des successiven Polytheismus nichts geschehen, und wir müßen also von vorn anfangen und fragen: Wie ist Vielgötterei entstanden. Durch diese Frage kommen wir jetzt auf einen andern Boden und nähern uns einer Wahrheit, vor der alle Hypothesen wie der Nebel vor der Sonne verschwinden müßen.

Nach der Theogonie Hesiod's gab es eine Zeit, in der bloß Uranos herrschte. Sollte dies eine Fabel seyn, d. h. sollte es nicht eine Zeit gegeben haben, wo bloß der Gott des Himmels verehrt wurde? Werden wir dieser Urkunde gegenüber noch glauben können, die Mythologie sey erfunden worden oder entstanden durch Auseinandergehen der Alleinheit? Nein, wir sahen daß dieser successive Polytheismus das Wahre, Geschichdiche ist, und befinden uns demnach auf historischen Boden. Dieses Historische, das durch die Mythologie selbst bezeugt ist, erscheint als unwidersprüchlich, wenn man die Mythologien der verschiedenen Völker vergleicht. Und hier zeigt es sich daß die vergangenen alten Götterlehren die eigentlichen Götterlehren sind und nur in die herrschenden Götterlehren als Monumente der Vergangenheit übergetragen sind. Jedes Volk hatte seinen ausschließend herrschenden Gott, so z. B. die Phönizier ihren Kronos, den die Griechen aber schon als vergangenen bezeichnen. Zu der Zeit, als der phönizische Kronos herrschte, und als oberster Gott bestand, war der griechische schon verdrängt. Wie hätten nun die Hellenen in dem Kronos der Phönizier den ihrigen wieder erkennen können, wenn sie nicht einer wahren, nicht fingirten Vergangenheit bewußt gewesen wären. Eine solche Folge von Göttern, I wie wir sie bei den Griechen sehen, kann unmöglich imaginirt seyn. Denn wer sich und andern einen Gott macht, macht einen gegenwärtigen keinen vergangenen. Was man als Vergangenes empfindet, muß man als früher gegenwärtig empfunden haben. Doch, um diese Wahrheit noch deutlicher zu zeigen, nehmen wir sogar an, es habe ein Welt erklärender Philosoph der Urzeit die Bemerkung gemacht, daß die Welt nicht ohne Succession von Potenzen habe entstehen können, und daher solche entsprechende Weltursache in einer Kosmogonie personificirt dargestellt, welche als dann vom Volke als Mythologie aufgenommen ward, so würde diese Mythologie nie mit der Scheu und Ehrerbietung betrachtet worden seyn, wie wir sie bei den Griechen z. B. für Kronos, den ohnmächtig gewordenen* sahen. Diese religiösen Schauer vor einem jetzt ohnmächtigen Gott sind keine Lügen und setzen nothwendig ein Bewußtseyn der Vergangenheit voraus.b Die

* H: geworden k H: am linken Rand schwer lesbare Wörter, mögliche Lesart: ,Wo ist das Bewußt

seyn? Wo finden sich überhaupt Spuren des Kronos Cults?'

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 69

Mythologie ist nun die durch diese Succession hervorgebrachte Götter-geschichte. Weil nun die Götter bloß in der Vorstellung existiren, kann es nicht anders seyn, als daß im Bewußtseyn zuerst ein Gott gesetzt ist, an dessen Stelle alsdann ein 2ter tritt, der ihn nicht absolut aufhebt, sondern nur aus der Gegenwart in die Vergangenheit verdrängt, ihn nicht ganz seiner Götterwürde, aber der ausschließlichen beraubt. Wie der 2te Gott auf den ersten folgt erklären wir noch nicht, sondern nur, daß er folgt. Mythologie ist also Aufeinanderfolge, Succession solcher Vorstellungen.

Die Mythologie kann also keine bloß als successiv vorgestellte sondern sie muß eine objectiv reale Succession haben. Dafür spricht nun auch, daß in aden Mythologien zwischen den sich folgenden Göttern ein Kampf statt findet, der sich gewiß nicht fände, wenn er nicht im Bewußtseyn der Menschheit statt gehabt hätte. Daraus erhellt auch, daß der lte Gott nicht zufällig, sondern daß er dem Bewußtseyn eingepflanzt war. Es ist also der successive Polytheismus nur zu erklären, wenn man annimmt, das Bewußt-seyn der Menschen nacheinander in allen diesen Momente eine Zeit lang verweilt. Die Mythologie als Göttergeschichte konnte sich nur ein Leben erzeugen, konnte nichts erdichtetes seyn, sondern etwas Erfahrenes, Erlebtes. I

Wir haben diese Erörterung gemacht, um eine frühere Frage so zu beantworten, ob jener eine und allgemeine Gott nothwendig der unbe-dingt Eine und daher unmythologische seyn müße. Das ist nun keines-wegs nothwendig. Die Wirkung sowohl des Zusammenhaltens als Tren-nens wird ebenso erreicht, wenn man diesen Gott als Anfang, als ltes Glied des Polytheismus annimmt. Denkt man sich einen im Bewußtseyn erschei-nenden Gott A, so ahnt dasselbe noch nicht, daß ein 2ter nach ihm er-scheinen wird. Diesem B ist also schon A vorausgegangen, B ist also nicht mehr in demselben Sinne B wie A A ist. Dem 3ten gingen schon A und B voraiis, A aber ist der, vor dem kein anderer war, und nach dem kein Anderer in dem Sinne seyn wird, was er war. Er ist, so lang er herrscht, der schlechthin Eine. Noch ist keine Vielgötterei vorhanden. Dieser nun vorhandene Monotheismus ist zwar für die zu seiner Zeit lebende Mensch-heit absolut, für uns aber, die wir die folgenden Systeme sehen, ist er bloß relativ monotheistisch; denn der absolut eine Gott läßt nicht einmal die Möglichkeit, der relativ Eine aber nur die Wirklichkeit eines 2ten folgen-den nicht zu. Wir nennen diesen ersten Einen für die erste Menschheit unmythologisch, da er unmythologisches Glied einer Göttergeschichte ist, sc lange B noch nicht gefolgt ist. Er ist noch nicht wirklich, aber kei-neswegs der Natur nach unmythologisch. Er kann, so lang der andere noch nicht angekündigt ist, absolut unmythologisch erscheinen. Däch-ten wir uns nun diesem ersten Gott ein Göttersystem untergeordnet, so

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hätten wir zwar eine Göttervielheit, aber keine Vielgötterei, eine Vielheit also, die der ganzen Menschheit gemein seyn kann; denn jene Götter, die wir dem ersten Gotte untergeordnet haben, sind alle einer Art. Der Gott A bleibt sich selbst gleich, ändert sich nicht und so können auch die untergeordneten sich nicht ändern.

Das bisher Gesagte ist genug zum Beweise, daß ein absoluter Mono-theismus nicht nöthig ist, um das Zusammenhalten der Menschheit zu erklären. Wir müssen nun sehen, ob nicht der relative Monotheismus bei-des, Einheit und Trennung des Menschengeschlechtes erklärt. Hier müßen wir auf die nähern Umstände des Auseinanderstrebens eingehen.

Früher konnten wir uns dabei begnügen zu sagen: Polytheismus ist das Werkzeug der Völkerentstehung. Jetzt aber, nachdem I wir den Unter-schied zwischen simultanem und successivem Polytheismus auseinander-gesetzt und festgestellt haben, dürfen wir nicht mehr dabei stehen blei-ben, sondern wir müßen weiter forschen. Als jene* Frage über Völker-entstehung zuerst von uns aufgeworfen ward, ward sie mit Verwunde-rung aufgenommen, als Beweis, daß diese Frage unerwartet war. Viele glaubten und behaupteten, daß Völker von selbst entstehen. Dies wird aber durch das Frühere hinlänglich widerlegt; ferner, wenn die Völker durch Größerwerden der Generationen entstanden sind, so muß Alles Volk seyn. Nun gibt es aber große Massen, die nicht Völker sind, die aber auch nicht mehr das früher Eine sind, da der vorher allgemeine Gott ihr partieller Gott wurde; denn wenn sich Völker trennen, so erhält sich für die Übrigen die Anziehungskraft der natürlichen Verhältniße noch mehr. Die Stämme sind so noch und vor der Entstehung der Völker etwas ganz anderes als die Völker. Wäre das von selbst Entstehen der Völker ver-nünftig zu denken, so wären es noch physische in die einzelnen gelegte Verhältniße, was durch die Entfernung vom Mittelpunkte gemeinsamer Abstammung noch selbst Völker gäbe. Nimmt man aber dies an, so wäre keine Gesetzmässigkeit, noch vermöge der Gewalt der Differenzen Gra-de zu denken. Damit nun die Entwicklung in einleuchtender Form und non sine numine vor sich gehe, sind folgende Vorausbestimmungen nöthig: 1) Wenn man auch dem Keim nach verschiedene Differenzen zugeben will , so muß doch ein aller Entwicklung widerstrebendes, sie zurückhal-tendes Princip gedacht werden. Nehmen wir nun dieses Princip, nehmen wir eine Zeit der Homogenität an, so muß 2) diese Zeit eine Dauer ha-ben, damit die Zeit, wo bloß Menschheit ist, und die, wo schon Völker sind, unterschieden werden. 3) Die Dauer kann auch nicht zufällig seyn, sie muß durch ein Princip gewährleistet seyn, welche die Entwicklung auf-

* H: vor jene' steht durchgestrichen .diese'

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 71

hält; aber über dieser muß noch eine höhere Macht gedacht werden, die jene überwindet und die Entwicklung befördert.

Der Übergang von der allgemeinen Menschheit also zu den Völkern ist nicht so unerklärlich, macht sich nicht von selbst, sowenig als der vom Unorganischen zum Organischen. In der unorganischen Natur ruhen alle Körper in gemeinsamer Schwere, Wärme, Elektrizität haben sie mitein-ander, aber in der organischen Welt I entstehen Wesen, die diese Kräfte eigen besitzen und die Schwere ist jetzt in die Gewalt des einzelnen We-sens gegeben, daß es zur Bewegung benutzt.87 Dasselbe gilt vom Über-gang der homogenen Menschheit zu Völkern. Die Menschheit in Völkern bildet eine neue Ordnung der Dinge. Das Resultat des relativen Mono-theismus stimmt damit genau überein, da in ihm einem Princip ein ande-res erschütterndes folgen kann. Sowie nun aber das 2te Princip wirkt, sind alle in der Menschheit möglichen Unterschiede, deren Spur früher nicht entfernt da war, gesetzt. Es ist, wie wenn wir uns eine Masse zwi-schen 2 sich gegenseitig überwiegenden Prinzipien aus ihrer bisherigen Ruhe versetzt denken. Zunächst kann der bis jetzt unbewegliche Eine Gott in Conflikt mit dem 2ten nicht mehr derselbe bleiben. Er geht nun selbst von Geualt zu Gestalt. Es ist möglich, daß Uranos, Kronos, Zeus Gestal-ten des Einen sind, der sie, durch diese Gestalten führt.

Im Bewußtseyn nimmt nun der Gott nur Eine Gestalt an, alle übrigen Gestalten sind als Möglichkeiten gesetzt. Mit jeder von diesen Götter-gestalten ist eine eigene Lehre, beim Erscheinen des 2ten Princips also sind die verschiedenen Götterlehren potentiell gesetzt. Mit den verschie-denen potentiell gesetzten Götterlehren sind auch die verschiedenen Völker potentiell gesetzt, bis in einem jeden der bestimmte Punkt des mythologischen Bewußtseyns gekommen ist, wo sie sich trennen. Das Successive im Polytheismus erklärt zugleich die successive Erscheinung der verschiedenen Völker. Diese treten nämlich nicht gleichzeitig hervor; denn d\ die Krisis eine allgemeine ist, so geht auch das für eine spätere Zeit bestimmte Volk durch alle Momente der Succession durch. So ist es nun auch erklärbar, daß die an die verschiedenen Völker ertheilten Mo-mente sich im letzten Volke zur vollendeten Mythologie vereinen. Wir sehen run, daß erst mit dem Erscheinen des 2ten Princips die Völker-unterseniede möglich gesetzt sind, weil die Wirkung des einen Princips alle Diferenzen ausschließt. Erst mit dem Erscheinen des 2ten Princips ist z. B. ein Unterschied möglich zwischen den Hauptstämmen, aus denen das alte Testament die Hauptvölker herleitet, nämlich zwischen den Söh-nen Ncas, Cham, Sem und Japhet. Zwischen den Semiten undjaphetiten besteht der Unterschied, daß jene der Urreligion noch I näher sind als diese, vas sich aus dem Namen entfernt ersehen läßt; denn Japhet ist soviel als Ausbreitung, und unter Sem könnte man den Namen der ursprüngli-

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chen Religion verstehen. Solche Stämme, wie sie das alte Testament nennt, die sich durch Sprache88, folglich durch verschieden gestaltetes inneres Bewußtseyn unterscheiden, sind soviel als Völker und entstehen, wie gezeigt wurde.89

Auch die Sprachverwirrung ist nach allem bisherigen eine Folge religi-öser Einwirkung. Nehmen wir eine Zeit an, wo eine Sprache herrschte, so herrschte ebenfalls ein Princip, das vor der Hand unbewegt die Spra-che auf der Stufe reiner Substantialität erhält, und indem es vom Bewußt-seyn festgehalten wird, sich die Sprache dienend macht. Wenn nun ein neues Princip erscheint, so afficirt es das alte und macht es unkenntlich, und es entstehen nothwendig eine Menge materiell verschiedener Prinzi-pien und Lautgestalten. Ja nachdem zu der substantiellen Sprache noch mehr oder weniger accidentielle Bestandtheile hinzukommen, werden dann mehrere formell verschiedene Sprachen entstehen. Es geht die Menschheit vom relativen Monotheismus, von der Eingötterei im wahren Sinn des Wortes zur Zweigötterei, zur Vielgötterei über und diesen Fort-schritt, und diese durchlaufenen Momente durch Hinzutreten neuer Prin-zipien nehmen wir in der Sprache wahr, die von Monosyllabismus zum Dysyllabismus und Trisyllabismus übergeht. - Diese Ansicht blieb natür-lich nicht unangefochten, und Manche läugneten den monosyllabischen Charakter mancher Sprachen, wie z. B. einer den der chinesischen Spra-che.90 Aber unter seinen verschiedenen schwachen Beweisgründen bleibt sein Hauptmotiv, die Ehre der Chinesen zu retten, weil er eine mono-syllabistische Sprache für ein Zeichen von Barbarei hielt. Die eigentlichen semitischen Sprachen verdanken ihren eigenthümlichen Charakter dem Princip des Dysyllabismus. Für die Bildung der japhetischen Sprachen also z. B. der lateinischen, griechischen, des Sanskrit hatte das Princip des Monosyllabismus alle Bedeutung verloren, und doch will man neuer-dings behaupten, daß in diesen Sprachen die Wurzeln einfach seyen. Ja nicht nur Monosyllabismus, sondern auch Dysyllabismus als Gegensatz desselben ist bereits bei diesen verschwunden, und vergebens hat man sich bemüht einfache Wurzeln in diesen Sprachen nachzuweisen, wie z. B. im Deutschen den Imperativ. I Diese letzte Entwicklung mag nur als indirekter Beweis für den relativen Monotheismus gelten, doch jetzt wol-len wir direkt zu Werke gehen.

Ist in der Menschheit eine solche Folge von Göttern, wie wir angenom-men, und es ist so, so müßte auch einmal in der Menschheit ein solcher Gott A seyn, der noch nicht als ltes Glied einer Succession, sondern als absolut einer erscheint und Friede und Ruhe verbreitet. Sobald aber der 2te Gott erschienen war, verschwand dieser Friede und Hader der Zwie-tracht entstand. Betrachten wir die Zeit, in welcher jener Friede nicht mehr zu finden ist, so finden wir sie nirgends in der Geschichte, er muß also in

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der der vorgeschichtlichen Zeit zu suchen seyn. Nun war zwar der eine über die stille vorgeschichtliche Zeit herrschende Gott, weil er allein herrschte, der eine, aber auch wiederum nicht, weil die Möglichkeit, daß ein 2ter folge, nicht abgesprochen war. Vergleichen wir nun dieses Ergeb-niß mit Creuzers Hypothese, so ist das Zerfließen dieser wahren Lehre in eine schlechtere unbegreiflich. Man könnte keinen Grund angeben für das Zerfließen der reinen Lehre in Polytheismus. Das Auseinandergehen eines ursprünglichen Monotheismus würde nur dann philosophisch mo-tivirt , wenn dieses Auseinandergehen zu einer hohem Entwickelung führ-te. Allein nach seiner Erklärung hatte dieses nur eine Zersplitterung, Verderbniß der beßern Lehre zur Folge. Allein eine solche Remission*, Erschlaffung der frühern Einsicht würde bloß Vergessen der frühern Religion, nicht aber alsbaldb Polytheismus herbeiführen.91

Nur eine positive Ursache der Trennung erklärt den Abscheu der Menschen vor dem Polytheismus. Es mußte ein Strafgericht seyn. Daher konnte auch die Lehre nicht ganz absolut mehr seyn, denn über das ab-solut Wahre bricht Gott nicht den Stab. Das gewöhnliche Wehklagen über die Zersplitterung der Einheit ist daher der Philosophie wie der wahren Geschichte ganz fremd. Der Polytheismus war über die Mensch-heit verhängt, und war, so wenig es jetzt begreiflich ist, Übergang zum beßern, Höhern. Der wahre Monotheismus wurde nur dadurch möglich, daß jener relative zerstört wurde. Dadurch ging wenigstens einem Theile der Menschen der wahre auf. In der Weltgeschichte I darf Nichts um-sonst untergehen.

Wir sind nun zu dem Resultate gelangt, daß alle Hypothesen nichts gelten können, weil der Polytheismus etwas aller Geschichte Zuvorkom-mendes ist, weil ihm kein geschichtlicher Anfang zu finden ist. Zwischen dieser Zeit und der eigendichen Vorzeit liegt eine Übergangszeit, die rela-tiv vorgeschichtliche, in welcher die Entwicklung vorgeht, die Zeit der Einheit ist die vorgeschichtliche. Nun findet sich der Polytheismus be-reits ir der geschichtlichen Zeit überall verbreitet, und jedes der einzel-nen Völker ist bereits einer Mythologie ergeben. In der relativ vorge-schich.lichen ist der wirkliche Polytheismus im Entstehen. Nun könnte man sigen, aber in der absolut vorgeschichtlichen Zeit ist kein Poly-theismus. Doch auch dieser Einwand ist falsch, denn auch in dieser ist schon Polytheismus, zwar noch nicht wirklich, aber doch schon der Grund desselben im Bewußtseyn der vorgeschichtlichen Welt gegeben. Soweit wir in Jer Geschichte zurückgehen, ist er vorhanden, entweder ausdrück-

H: s.hwer lesbar, vgl. XI, 138 b H: asobald (?)

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lieh, in seiner völligen Expansion, oder seinem Grunde nach. In diesem Resultate stimmen wir mit David Hume überein, der dasselbe behaupte-te, wenn sich auch vieles Fehlerhafte in seiner Untersuchung findet, be-sonders dadurch, daß er das alte Testament ganz bei Seite setzt, das bei unserer Untersuchung von der größten Wichtigkeit ist.

In der vorgeschichtlichen Zeit läßt sich nun aber nicht, wie man viel-leicht sagen könnte, eine frühere und spätere Periode denken, nein, sie ist die schlechterdings unzeitheilbare. Denn eine frühere und spätere Zeit wäre schon geschichdich. Jener Gott nun also von Anfang her das Princip der absolut vorgeschichüichen Zeit und das Bewußtseyn dieses relativ einen Gottes das erste Bewußtseyn der Menschheit. Wenn sich dieses nun so verhält, so ist jede Möglichkeit für geschichtliche Voraussetzun-gen genommen, es kann also der Mythologie keine Erfindung zuvorkom-men, es gibt keine Zeit, die ganz frei ist von Mythologie, auch keine zur Entstehung, Entwicklung und Entartung des Monotheismus.

Die vorgeschichüiche Zeit kann nur A nicht A + B seyn, ist ihr I aber eine 2te Zeit gefolgt, so wird die erste ein Glied jener Reihe A, B, C. Die absolut gedachte Zeit A ist frei von aller Geschichtlichkeit, und beinahe selbst eine Art Ewigkeit. Ein anderes Princip konnte ihr folgen, nicht aber Vorausgehen. Folge nun B, so tritt A als Vergangenes ein und ich sage A + B. Das Princip ist also eine Macht, die mit dem Bewußtseyn der Men-schen entstanden ist.

Hier müßte nun der Platz seyn einem Haupteinwurf von der göttlichen Offenbarung hergenommen zu begegnen. Doch bevor wir dies thun, wol-len wir uns ausführlich über den Begriff und die wirklich vorhandene Offenbarung erklären.

Wenn die Offenbarung selbst als Erklärung des Polytheismus gelten sollte, so müßte eine aller Vielgötterei vorausgehende Offenbarung seyn. Allein auch jede Offenbarung, die man doch als einen göttlichen Abguß zu denken hat, mußte sich an ein wirkliches Bewußtseyn halten; allein schon im ersten Bewußtseyn ist die Potenz der Mythologie enthalten. Die Offenbarung findet diese Potenz als eine von ihr unabhängige Voraus-setzung. Läßt sich nun, möchte ich fragen, läßt sich eine Offenbarung denken, die nicht schon eine Potenz einer falschen Lehre voraussetzt; wenn schon, nach Creuzers Meinung", wahrer Monotheismus da wäre, bedürfte es keiner Offenbarung.

Doch ehe wir weiter gehen ist es Zeit, eine Begriffserklärung zu geben. In der neuern Zeit ist das Wort Offenbarung sehr geläufig geworden, aber die Wenigsten denken dabei was Offenbarung ist. Insbesondere christli-

* H: im Text korrigiert aus: ,wie Creuzer sagt'

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chen Theologen sollte es daran gelegen seyn, die Offenbarung als eine geschichtliche Thatsache zu faßen, nicht bloß als einen philosophischen Begriff. Wenn man sie als Thatsache nimmt, kann sie nicht gedacht wer-den, ohne einen so rein thatsächlichen falschen Zustand des menschli-chen Bewußtseyns vorauszusetzen. Wer also den Begriff begründen will , muß sich bemühen, jenen faktischen Zustand des menschlichen Bewußt-seyns vor aller Geschichte aufzusuchen, und zwar in der Mythologie. Sie also wird zur Begründung der Offenbarung, nicht diese zur Begründung der Mythologie beitragen.

Von jeher haben die ächten Vertheidiger der Offenbarung diese nicht I für eine ewige, sondern für eine in eine gewisse Zeit eingeschränkt ge-nommen; also damit den Zustand des Bewußtseyn, in welchem es einer Offenbarung zugänglich ist, als vorübergehend gesetzt; ja auch die Apo-steln sprechen von einer Zeit, in der einst die Weissagungen, sowie jene außerordentlichen Wirkungen aufhören würden. Wenn man so begrifflos eine Offenbarung voraussetzt, und sie als Erklärung der Mythologie her-beiruft, hat man nichts als die zufälligen Thatsachen der Offenbarung gewonnen. (Zufällig ist Alles, was unbegriffen ist.) Dadurch hat man sich jede Aussicht zu einem wissenschaftlichen Verständniß der Offenbarung genommen. Auch wenn man annimmt die Offenbarung sey entstellt, so kann dies nicht gelten, denn auch zu einer Entstellung gibt es keine Zeit. Sie ist da, wenn das Menschengeschlecht da ist, wenn auch nicht in der Entwicklung. Wenn Männer wie Gerhard Voß92 einzelne Mythen als Ent-stellung der Offenbarung betrachteten, so war es diesen nur um die Er-klärung der einzelnen Mythen zu thun, und sie hatten keineswegs jene erwähnte Ansicht. Polytheismus ist also nothwendig in der vorgeschicht-lichen Zeit. Manche würden nun glauben uns durch die Frage in Verle-genheit zu setzen, ob wir auch schon im ersten Menschen einen relativen Monotheismus annähmen. Allein wenn wir die Sache aus jenen mosai-schen Urkunden betrachten, wird die Schwierigkeit dieser Frage wohl verschwinden. Zwar stellt sich eine gewisse Klasse von Theologen den Zustand der ersten Menschen als schon durch Offenbarung erleuchtet vor, sie glauben, er sey schon in der wahren Lehre unterrichtet worden, die sich aber allmählig getrübt und nach und nach in Polytheismus über-gegangen sey. Diese Theologen sind sogar nicht abgeneigt diesem Urver-hältnif; der ersten Menschen eine gewisse Dauer zu geben. Gott kann sich dem Menschen nicht anders und darum erst offenbaren, wenn zwischen ihn und das menschliche Bewußtseyn etwas getreten ist, das die Offen-barung durchbrechen muß. Aber in dem Urverhältniß des Menschen zu Gott, JU der Zeit, wo er gleichsam noch nicht Zeit hatte, sich zu bewegen, sich ZL verändern, lässt sich Nichts zwischen Gott und ihm denken. Die-ses Zwischen konnte nichts ursprüngliches seyn, Gott konnte den Men-

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sehen nicht so erschaffen haben. Auf diesen Moment ist also der Begriff der Offenbarung gar nicht anwendbar, I weil im Begriff der Offenbarung immer ein entferntes und vermittelndes Verhältniß zu verstehen ist. Es ist immer leichter sich mit der altem als neuem Theologie zu verstehen. Nach dem festen orthodoxen Begriff der alten Theologie wurde die Offenbarung stets nur als ein durch frühere Vorgänge Vermitteltes betrachtet. Das Urseyn der Menschen kann nur noch als ein Überzeitliches gedacht werden. Es ist also da kein Raum für eine Offenbarung, diese ist ein Faktum, etwas in der Zeit Geschehendes, ein auf einem actus beruhendes Verhältniß. Es gibt aber keinen actus* ohne Widerstand, der durch die Offenbarung überwunden wird. Wo actus ist, muß etwas seyn, was durch jenen actus negirt, aufgehoben wird. Allein jener Urzustand bot keinen Raum zu einem actus dar; das Urverhältniß zu Gott kann also keinelles seyn.

Wir haben aber angenommen, der Mensch sey seiner Natur nach schon Bewußtseyn von Gott. Mußte ihm aber nun die Kenntniß von Gott durch einen besonderen actus zu theil werden, so mußte er z. B. im Paradiese seyn ohne Kenntniß derselben, d. h. er müßte vorher, ehe er die Offenbarung erhielt, in einem Zustande der Nichtkenntniß von Gott gewesen seyn und da er gleich anfangs im Paradiese war, so mußte er also im Paradiese eine Zeit ohne Kenntniß Gottes gewesen seyn. Er befand sich also, eheb er die Offenbarung erhielt, in einem Atheismus, in einer Unkenntniß von Gott. Das Urverhältniß des Menschen zu Gott mußte also ein ganz anderes seyn.

Es wird nun ferner allgemein angenommen, der Mensch sey durch eigne Schuld aus diesem Urzustände eines bloß wesendichen Verhältnißes zu Gott herausgetreten. Wenn man nun dieses annimmt, so läßt es sich nicht denken, ohne daß er selbst ein anderer geworden wäre. Wenn er aber dies geworden ist, so hat sich auch der Gott für ihn verändert, es läßt sich also der Fall gar nicht denken ohne Alteration' des Bewußtseyns. Es war also gleich nach dem Sündenfalle keine reine Vorstellung von Gott mehr. Wenn wir die Erzählung des Sündenfalls betrachten, so muß sie jeden mit Bewunderung erfüllen, denn sie enthält gewiß eine der tiefsten Offenbarungen des menschlichen Bewußtseyns. Mißt man also dieser Erzählung Glauben bei, so war gerade jene Veränderung, die mit dem Menschen vorging, eine solche Alteration des Bewußtseyns, I welche unserem relativen Monotheismus entspricht. In der Erzählung vom Sündenfall spricht Gott: Siehe, Adam ist geworden als unser einer, und weiß

* H: .actus' hier und im folgenden in lat. Buchstaben b H: vor .ehe' durchgestrichenes Wort bzw. durchgestrichene Buchstaben ' H: in lat. Buchstaben

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was gut und böse ist. Diese Stelle wurde verschieden erklärt und ausge-legt. Der wahre Sinn aber wird nur durch diese Erklärung, die noch Nie-mand gegeben hat ausgedrückt. Nämlich: Der Mensch ist nur noch einer von uns heißt, er ist nur noch den Elohims, einem Engel, nicht mehr der Gottheit gleich. Das Urverhältniß des Menschen zu Gott mußte also auf seiner völligen Gleichheit mit Gott beruhen. In den Worten der Erzäh-lung liegt zugleich, daß der Mensch nicht mehr ein Verhältniß zur ganzen Gottheit habe, weil er nicht mehr ganz Gott ist; dies ist unser relativer Monotheismus.

Nichts also steht im Wege, von dem Sündenfall an, als dem Anfang der Geschichte anzunehmen, daß in das Bewußtseyn statt des absolut Einen der relativ Eine getreten ist, und falsch ist die Ansicht, daß im Bewußtseyn der ersten Menschen die Gotteserkenntniß reiner gewesen als bei den nachfolgenden. Nur das - kann man sagen, daß bei ihnen das Bewußtseyn des relativ einen Gottes reiner und stärker war, weil bei den Nachfolgen-den bereits der 2te Gott sich nähert. Der Grund zu einer Offenbarung ist also erst dann gegeben, wenn die Einheit des ersten Gottes durch das Erscheinen des zweiten in Gefahr gerathen ist.

Obgleich nun dies an sich einleuchtend ist, so ist es doch denen gegen-über, die über den* ersten Zustand des Menschengeschlechts nur der hlg. Schrift trauen, eine Wohlthat, daß die Genesis unsere Behauptung bestä-tigt. Daß nun wirklich schon die Religion der ersten Menschen nicht ab-solut Monotheismus war, erhellt aus einer Stelle der Genesis Mos. Buch I Cap. 5., worin es heißt, das ist das Buch von des Menschen Geschlechtb

Seth war 150'Jahre alt und zeugte den Enos. Nun ist aber vorher am Ende des 4ten Capitels schon eine andere wichtige*1 Stelle vorausgegangen, die so heißt: „Adam erkannte abermal sein Weib und sie gebar einen Sohn, der hieß Seth. Und Seth zeugte auch einen Sohn und hieß ihn Enos. Zu derselbigen Zeit fing man an, den Jehovah bei Namen zu rufen." In dieser letzten Stelle ist also gesagt, von der Zeit des Enos an fing man erst an den Namen des wahren Gottes anzurufen. Klar ist nun, daß der wahre Gott vorher nicht angerufen wurde, also nicht bekannt war. Zwar hat man verschiedene andere Erklärungen versucht wie z. B. einige erklären, I man hätte erst zu dieser Zeit den Namen des Jehovah angerufen, er als Gott wäre schon bekannt gewesen, nur sein Name nicht. Andere: von dieser Zeit an sey erst der Cultus des Jehovah aufgekommen. Doch das sind Erklärungen, die ganz gegen den Sinn und alle philologische Erklärung

H: vcr .den' steht ein durchgestrichenes Wort b H: ebgefügte Punkte « XI , V7: .Seth (...) war 105 Jahr alt' d H: sciwer lesbares Wort, über der Zeile eingefügt

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sind. In dieser Stelle wäre also ein Terminus* angezeigt, von wo aus die wahre Kenntniß Gottes begonnen, nämlich in der 2ten Generation nach den ersten Menschen. Im 5ten Capitel heißt es nun: Seth zeugte den Enos. Was bedeutet der Name Enos: Mensch mit dem Nebenbegriff des Ge-kränkten, Geschwächten. Enos war also nicht mehr ganz wie Adam, wenn dies nicht gemeint wäre, so wäre der Zusatz bei Seth, wo es heißt: „Und Adam war 130 Jahre alt, und zeugte einen Sohn, der seinem Bild ähnlich war, und hieß ihn Seth["], ganz überflüßig. Seth war also noch wie der Vater, allein Enos war nicht mehr ähnlich seinem Vater, mitb ihm trat eine Änderung ein. Mit Enos fängt also ein anderes schwächeres Geschlecht an, nicht mehr von einem Princip beherrscht. Was von 2 Principien be-herrscht wird, ist schwach und krank, welche Bedeutung, wie gesagt schon im Namen liegt. Aber gerade von diesem Geschlechte an, heißt es, fing man an den wahren Gott bei Namen zu rufen d. h. ihn unterscheiden zu lernen. Nun konnte das Bewußtseyn den absolut einen Gott nicht bei Namen nennen, ehe der eine durch das Erscheinen des 2ten als absolut verschwinden mußte. Auch war keine Nothwendigkeit vorhanden, den absolut Einen als solchen zu unterscheiden. Hier ist also der Wendepunkt, oder vielmehr die Andeutung von dem Erscheinen eines 2ten Gottes ge-geben. Ja wenn man noch weiter gehen wollte, könnte man sogar im Namen Enos den Namen des 2ten Gottes nachweisen. Doch soweit wol-len wir nicht gehen. Das Wesentliche dieser Stelle ist noch das, daß der wahre Gott erst nach einer gewissen Zeit unterscheidbar gewesen sey, nämlich erst in der 2ten Generation.

Man könnte nun auf alles dies Folgendes entgegen bemerken: „Man wolle nicht soweit zurückgehen, und sich nur erinnern, daß das ganze Menschengeschlecht von einer Familie, von der Noahs' abstamme, und ihr sey eine göttliche Offenbarung zu theilgeworden, und erst bei diesem 2ten Geschlecht sey dann Polytheismus entstanden.["] Man müßte also von dieser dem Noahd zugetheilten Offenbarung den Grundstoff der Mythologie herleiten. Wenn diese Annahme richtig I ist, so müßte man beweisen können, daß erst nach der Sündfluth Polytheismus entstanden sey, um die Behauptung, daß die Offenbarung der Mythologie zuvorge-kommen sey, zu rechtfertigen. Dies ist nun aber theils schon vorher, theils durch die Erzählung selbst als unrichtig dargethan, durch die Erzählung nämlich, wodurch' die Sündfluth eingeleitet wird, und die soviel mytholo-

* H: in lat. Buchstaben k H: steht über einem durchgestrichenen Wort ' H:Noas d H:Noa Nach .wodurch' wurde über der Zeile ein Wort eingefügt, das nicht lesbar ist.

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gisch religiösen Bezug hat, daß man annehmen muß, diese Erzählung sey nur eine Reminescenz der wahren Entstehungsgeschichte der Mythologie. Nach dieser Einleitung in die Sündfluth heißt es Mosis 6.8 Cap. 6: „Da sich aber die Menschen begannen zu mehren auf Erden, und zeugeten ihnen Töchter, da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern der Men-schen, wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern, welche sie wollten, etc. und ferner: Es waren auch zu den Zeiten Tyrannen auf Erden; denn da die Kinder Gottes die Töchter der Menschen beschliefen, und ihnen Kinder zeugeten, wurden daraus Gewaltige in der Welt und berühmte Leute. Da aber der Herr sähe, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden, und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war im-merdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden und es bekümmerte ihn in seinem Herzen." Nach dieser Einleitung kann man nicht umhin, die mosaische Sündfluth selbst nur als Symptom, als begleitende Erscheinung einer Ungeheuern im Innern der Menschheit vorgegangenen Veränderung zu betrachten. Und diese Veränderung ist, daß der Monotheismus durch Hinzukommen des 2ten Gottes relativ wur-de. Mit dieser Erzählung stimmen auch die übrigen Mythologien wie z. B. die griechische in dieser Thatsache überein. Auch bei ihnen werden sol-che gewaltigen Menschen, Giganten erzeugt, die gegen die Götter strei-ten. Es fragt sich nun wer sind die Söhne des Gottes. Offenbar die, bei denen der für seine Zeit noch allen wahre Gott fortlebte, und die Töchter der Menschen, ohne Zweifel die Anhänger des 2ten Gottes. Aus dieser Verbindung entstanden* die Tyrannen, die dem 2ten schon menschliche-ren Gotte länger zu widerstehen vermochten. Und insofern sucht der Gott, der den Polytheismus vielleicht selbst fördert, die Verbindung bei-der Geschlechter zu beseitigen.

Wenn man nun diese Erzählung der Sündfluth mit andern Mythologien, z. B. der griechischen, syrischen, in welcher letztern die syrische Göttin Derketo93 nichts anderes war, als die unter vielen Namen verehrte erste weibliche Gottheit war, von der der Übergang zum 2ten Gott gemacht wurde, - wenn man ferner weiß, I welche Rolle das Wasser bei allen Über-gängen spielt, nicht bloß bei geologischen, sondern auch in der Geschichte der Myhologie, so wird man in der noahischen Sündfluth nur das göttli-che Zeichen des Wendepunktes der Mythologie sehen, mit welchen der Übergang zur eigendichen Mythologie und dann zum Polytheismus gege-ben war. Zu allen diesem mußten die Anfänge und Keime schon vor der Fluth gegeben seyn. Wenn schon zu Abrahams Zeit Babylon ein Reich von großem Umfang, Phönizien Schiffahrt und Handel treibend, Agyp-

' Vor entstanden' steht durchgestrichen .gingen'.

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ten ein wohlgeordneter Staat war, wenn in allen diesen Staaten schon vollständig entwickelte Mythologien bestanden, so kann man unmöglich annehmen, daß vor der Sündfluth bloß Monotheismus geherrscht habe. Auch die Worte dürften hier noch zu weiterem Beweise entscheiden, die Jehovah ausspricht, daß es ihn nämlich reue, die Menschen gemacht zu haben, denn ihr Dichten und Trachten sey nur böse. Man versteht dies gewöhnlich nur von einer moralischen Verschlechterung, allein wäre nur dies gemeint, so wäre es gewiß nicht in so besondern Worten ausgedrückt, und schon diese* zeigen es an, daß es hier in religiösem Sinne zu fassen sey. Auch noch mehrere andere Stellen zeugen dafür.

Als Nachtrag zu jener Stelle, da sahen die Kinder des Gottes nach den Töchtern der Menschen etc. kann noch die Erklärung eines frühem, nicht unberühmten Auslegers angeführt werden, der sagt: es habe sich bis hieher das Menschengeschlecht in 2 Theile getheilt: dessen einen beßren Theil Moses Söhne des Gottes, und den andern schlechtem Töchter der Menschen genannt habe.94 Doch daß diese Erklärung, wenn auch geist-reich, nicht tauge, ist hinlänglich erwiesen und gezeigt.

Nach allem Bisherigen kann man also wohl vor der Sündfluth Zeichen von Polytheismus annehmen, welche (die Sündfluth nämlich) nur als Zeichen des Übergangs zum völligen Polytheismus, den der Gott doch nicht hindern konnte, betrachtet werden kann. Nach der Sündfluth nun entschließt sich merkwürdiger Weise, Noah Ackerbau und Weinbau zu treiben. Aber gerade jener 2te Gott ist es, welcher der Sage aller Völker nach den Ackerbau und Weinbau einführte. Wenn wir nun auf diese Weise den Polytheismus so frühe hinaufsetzen, so scheint es um so auf-fallender, daß gleich nach der Sündfluth ein Geschlecht auftrat, dem man Monotheismus nicht absprechen kann, nämlich das Abra- I hämische Geschlecht. Wie das geschehen konnte, wollen wir später beantworten; vorjetzt noch einiges Andere.

In der Zeit also, wo bereits Völker sind, wo jedes seinen besonderen Gott hat, finden wir ein von Sem her geleitetes Geschlecht, die Abra-hamiten, oder den Abraham, welches Geschlecht sich ganz außer den Völkern hält. Von diesem Zeitpunkt des Auftretens Abrahams an ist auch schon mit dem Begriff der Völker das Anhängen an mehrere Götter, also der Begriff der Vielgötterei verbunden. Dieser Begriff der Vielgötterei liegt auch in dem hebräischen Worte Arnim und Goim95, welche Worte wir mit Heiden übersetzen, mit welchen Worten auch die Juden das Heid-nische der andern Völker, ihre Vielgötterei ausdrücken wollten. Und die-ser Sprachgebrauch hat sich im alten wie im neuen Testamente fortge-

* H: nach .diese' findet sich durchgestrichen: .Worte'.

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pflanza. Die Abrahamiten werden also' immer genannt im Gegensatzgen diie Völker, sie betrachteten also sich als ein Nichtvolk. Eben dies drücktt auch der Name Hebräer aus. Bei der Gelegenheit nämlich, wo Abrahiam sich mit den Königen der Völker in einen Kampf einließ, wird er Abraham Haibri genannt. Über diesen Namen ward nun verschiedentlich gesprochen und gestritten. Allein in der neuesten Zeit ist man fast allgemein der Ansicht, die wohl am besten seyn mag, daß nämlich nicht von diem Namen Heberb, der in der Genealogie Sem's vorkommt, der Name Abraham komme, sondern daß dieser Name Heber' dem schon vorhandenen Namen der Hebräer sein Daseyn zu danken habe. Der Name Haibri hat allerdings die Form eines Völkernamens, aber gerade um ein im Gegensatz zu jenen Völkern für sich bestehendes Ganzes zu bezeichnen. Das Wort selbst kommt wohl her von affat, welches durchgehen, übergehen, vorübergehen bezeichnet.96 Nun ist das charakteristische Kennzeichen der Völker das, daß sie feste Wohnsitze haben; Abraham und sein Stamm sind also solche, die wandern, die vorübergehen, also ein Nichtvolk, oder kurz Nomaden. Äußerst sinnreich hat Wahl97 dies so erklärt: Araba und Abra bedeuten im Hebräischen Wüste, und Ibri, i. e. Hebräer Arabi, Araber, und Arami, Aramäer Syrer sind nur Abänderung dieser Namen. Jedenfalls bedeutet also der Name einen Wanderer, einen Nomaden. Mit dieser Lebensweise wird nun die Anhänglichkeit an den einen allgemeinen Gott in Verbindung gesetzt, so daß I noch von Jakob im Gegensatz zu Esau gesagt wird: er war ein ganzer, ungetheilter Mann und blieb in den Hütten. Diese Anhänglichkeit an den einen Gott war so sehr mit dem Nichtseyn des Volkes verbunden, daß als die Juden einen König verlangten, ähnlich den Völkernd, Gott sprach: Sie haben dir gethan, wie inimer, von dem Tage an, da ich sie aus Egypten führte, bis auf diesen Tag, und haben mich verlassen, und andern Göttern gedient Sam.8,8.98

Hier wird also Volk seyn und Vielgötterei treiben als parallel betrachtet. Als, Seitenstück mag noch folgendes, wiewohl weit spätere Beispiel die

nen. Die Alemannen, die zur Zeit Caracallas wie ein wachsender Strom Gallien und Italien überschwemmten, kann man nicht für ein ganzes, sondern nur für einen Theil des germanischen Volkes halten. Der Name Alemannen hängt zusammen mit Almende, d. h. unbebauter Weideplatz, was daher Gemeingut, Eigenthum der Gesammtheit ist. Um den Namen Deutsche zu erklären, gab man sich von jeher viele Mühe. Die Römer leiteten ihn von Thuisko, Teucer ab. Allein wir wissen wie zweideutig es mit solchen

' H: vor ,also' steht durchgestrichen: .unter sich'. b H: Eber (zum Namen .Heber' vgl. XI, 157) « H:Eber d H: vor .Völkern' steht durchgestrichen .übrigen'.

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Stammvätern aussieht. Dagegen ist es so ziemlich bewiesen, daß das alt-deutsche Wort Tiot, woher Thiodici, Stammwort ist; Tiot heißt Volk, und dieser Name bedeutet, daß sie sich schon zu Völkern gebildet haben.99 Es würde wohl der Mühe lohnen, die Namen der deutschen Völkerschaften aus jenem Gesichtspunkte zu betrachten, so z. B. die Markomannen, die in Marken, Gauen abgeschlossen waren. Bei so ausgesprochenen Völkern wie z. B. die Gothen hat man freilich Ursache danach zu forschen, ob der Name nicht von einem Gotte herkomme, wie z. B. eben diese ihren Namen nicht von Wotan als Anhänger desselben haben mögen.

Der eigentliche Unterschied Abrahams von den Völkern ist eben der, daß er an dem einen Gott festhält, und daß dieses Festhalten im Gegen-satz zu dem Streben der Völker ihm Mittel wird, sich zum wahren Mono-theismus zu erheben. Der erste Gott war nun, in der Zeit, wo er noch keinen andern auszuschließen hatte, der Menschheit noch der schlechthin ewige, als welcher er aber beim Erscheinen des 2ten Gottes verschwin-det. Von diesem Augenblicke an gab es nun 2 Wege: Entweder dem I zweiten oder dem ersten wahren Gotte anzuhängen. Den ersten Weg schlugen die Völker, den zweiten die Abrahamiten ein, die Verehrer des als den wahren festzuhaltenden Gottes. Der ursprüngliche Gott ist also dem Abraham nicht geoffenbart, sonst wäre er nicht der Ewige; er ist unmittelbar sein natürlicher Gott, er ist der Gott, der ihm nicht zu wer-den braucht, aber er wird ihm auch zum Mittel, den Gott als einen ewigen zu setzen.

Wiewohl nun Abraham außer den Völkern wohnte, so war er doch nicht frei von den Sollicitationen derselben, er kannte ihr Treiben wohl. In diesem Moment des Übergangs zum Polytheismus ist ihm der ewige Gott als solcher erschienen und unterscheidbar geworden, und so bilde-te sich sein Verhältniß zu Gott, und des Gottes zu ihm, das hiedurch be-greiflich wird. Doch darf man nicht vergessen, daß der ewige Gott stets bei ihm durch den natürlichen vermittelt ist.

Es ist nun eine merkwürdige Beständigkeit, mit welcher in der Genesis immer gesagt wird, der wahre Gott oder Jehovah, welcher Name immer den wahren Gott bedeutet, sey Abraham, Isaak, Jakob etc. erschienen.100

Schon dies Erscheinen als Gegensatz des Seyns deutet darauf, daß der wahre Gott kein unmittelbarer gewesen, sondern daß er vermittelt war durch den relativ einen. Das Erscheinen ist daher Beweis daß der wahre Gott nicht der ursprüngliche, sondern nur der vermittelte ist. Da der wahre Gott dem Bewußtseyn nicht unmittelbar gegenwärtig ist, muß ein anderer statt seiner ihm erscheinen, ihn vermitteln. - Ebenso merkwürdig ist der Ausdruck, mit welchem das Verhältniß der Erzväter zu Gott bezeichnet* ist. Es heißt näm-

* H: vor .bezeichnet' steht durchgestrichen: .geschildert war'.

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lieh: Sie haben den Jehovah, i. e. wahren Gott bei seinem Namen gerufen. Der Gott nun, zu dem sie beten, ist der natürliche, allgemeine und urspüng-liche, der auch zu dem Heiden Abimelech im Traume kommt. Der wahre Gott aber wird in der Genesis nur gerufen, zu ihm wird nicht gebetet. Der ewige Gott also als solcher ist dem Abraham durch den natürlichen, nicht nur vorübergehend, sondern beständig vermittelt. Dieses Verhältniß des wahren Gottes zum natürlichen bleibt aber*, damit der wahre Gott immer durch denselben vermittelt werde. Der wahre Gott ist dem Abraham auch der Gott des Himmels und der Erde; dieser ist nicht der falsche, nur ist er nicht bloß Gott des Himmels und der Erde. Zum falschen wird er erst dann, wenn er bloß als dieser gesetzt wird. Dadurch wird er ein ungeistiger und sinkt zum Bewußtseyn I herab. Der absolute Gott ist es, der sich offenbart, aber durch den vermittelnden Gott. Noch später wird dem Israelitischen Volke eingeschärft, den wahren Gott zu lieben, festzuhalten. Dies kann nur gesagt werden von einem Gott, der erscheint, bei diesem Erscheinen ist je-doch an nichts körperliches zu denken.

Die Art der Erscheinung des wahren Gottes im Bewußtseyn, weil sie sich von ihrer Voraussetzung nicht losreißen kann, ist durchaus mytho-logisch, so daß das Polytheistische nur dazwischen tritt. Dadurch werden manche Mythen in der Genesis begreiflich, z. B. als der Elohim den Abra-ham aufforderte seinen Sohn Isaak zu opfern, so unterwirft er sich die-sem Elohim, diesem natürlichen, eigentlich heidnischen oder mytholo-gischen Gotte, und zwar unterwirft er sich aber nur um durch ihn mit dem wahren Gott in Verbindung zu treten. Die Erscheinungsweise des wahren Gottes ist also durchaus mythologisch und danach für die Erzäh-lungen der Genesis keine erdichteten, wie man glaubte, sondern Facta, aber mythologische Facta. In dieser ersten Periode der wahren Religion muß also natürlich die Mythologie noch eine große Rolle spielen. Dieses Dazwischentreten des Polytheistischen zeigt sich mitunter sehr naiv im Au§druck, indem der wahre Gott sich von dem allgemeinen nicht tren-nen kann, weil dieser ihm Mittel zu seiner Erscheinung ist.

Diese Gebundenheit an das Princip der relativen Einheit, und somit an das der Mythologie ist die Ursache, daß der wahre Gott in dem Bewußt-seyn werdender, rein zukünftiger ist. Abraham hat ihn nicht als seyenden, sondern als werdenden betrachtet.101 Deshalb sind auch alle Gedanken der Erzväter auf die Zukunft gerichtet, darum heißt Abraham Vater aller Gläubigen, denn sie glauben immer an den wahren Gott, der aber für sie es nech nicht ist, sondern wird. Erst von der Zukunft erwarten sie das Heil. Die Erzväter selbst erkennen diese Beschränkung als eine solche, in

* Vcr .aber' steht gestrichen: ,nur' .

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die sich ergeben bis zum Tage der Erlösung, mit welchem der Gott auf-hört ein Werdender zu seyn. Im neuen Testamente ist er bereits ein Seyender. Die Strenge, mit welcher die Erzväter in dieser Unterwerfung, in dieser Ergebung in die relative Einheit gehalten werden, ist die göttli-che I Zucht, durch welche sie zur künftigen Offenbarung gebildet wer-den. Wie nun Abraham an die verheißene Größe seines Volkes glauben muß, so glaubt er auch an eine künftige Religion, und dieser Glaube an eine künftige Religion wird ihm selbst schon für die vollkommene ange-rechnet. In Bezug auf diesen Gott, der ihm noch werden soll, wird Abra ham auch Prophet genannt.

Jeder nun der das alte Testament nur als historische Urkunde durch-liest, empfindet deutlich den Unterschied zwischen der Abrahamitischen und Mosaischen Religion. War die Religion der Erzväter nicht frei von der Voraussetzung, daß der wahre Gott immer nur ein werdender sey, schließt sie ihn also als einen gegenwärtigen aus, so ist dies noch mehr in dem Gesetze Mosis gegeben. Als bereits Polytheismus überall verbreitet war, mußte auch dem Volk des wahren Gottes der relative Monotheismus immer strenger werden, es mußte der mosaische Gott immer eifersüchti-ger auf seine Einzigkeit werden. Und gerade diese Strenge und Eifersucht beweist, daß dieser Gott, der der Grund der mosaischen Religion ist, der relativ eine ist, denn nur dieser kann von einem andern Gotte bedroht werden. Die mosaische Religion ist also relativer Monotheismus und im beständigen Kampfe mit dem überall eindringenden Heidenthum. Indeß sollte dieses relativ eine Princip nicht um seiner selbst willen, sondern nur als Grund erhalten werden, und davon liegt das Bewußtseyn selbst im mosaischen Gesetz. Denn dieses ist ganz gemacht, das Volk bei dem relativ einen Gott zu erhalten, damit ihm der Grund zum absolut einen bewahrt werde, es weist daher immer, wenn auch stumm auf die Zukunft. Indem also die mosaische Religion gewissermassen der Notwendigkeit weicht, ist das Princip des Alterthums das Prophetenthum, welches die andere ergänzende Seite der mosaischen Religion ist. Und in diesem bricht nicht mehr in einzelnen Äußerungen der Gedanke an eine zukünftige Religion aus, sondern sie erkennen bereits, daß diese nicht für die Juden allein, sondern für die ganze Menschheit bestimmt sey. Ihnen wird diese Einseitigkeit und Beschränktheit des relativen Monotheismus immer kla-rer.

Soviel nun über die Offenbarung, um das geschieht-1 liehe Verhältniß derselben und* der Mythologie zu zeigen, woraus, wie schon früher ge-sagt, hervorgeht, daß der Mythologie auf keine Weise Offenbarung zu-

' H: vor .und' steht ein durchgestrichenes Wort.

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vorkommen könne. Und so wären wir auf die letzte Grenze einer geschichtlichen Voraussetzung gekommen, nämlich den relativen Monotheismus.

Natch dem wir nun auf diesen Punkt gekommen sind, sehen wir, daß auch bei diesem nicht stehen zu bleiben ist; denn auch dieser relative Monotheismus muß erklärt werden, er kann selbst nichts ursprüngliches seyn. Fragen wir nun, was denn das Nichtursprüngliche daran ist, so kann dies nur darin bestehen, daß er relativ ist. Dem relativen kann nur absoluter Monotheismus vorausgegangen seyn. Wohin sollen wir aber diesen setzten? Selbst in der vorgeschichtlichen Zeit ist er nicht zu finden, wir müßen also noch über diese hinaus gehen, wobei wir dann weiter nichts als den reinen natürlichen Menschen antreffen. Im* ersten Bewußtseyn ist der relativ eine Gott gesetzt, der in der Folge wahr und falsch erscheinen kann. Dieses Falsch oder Wahr erscheinen ist etwas Unwesentliches, Zufälliges. Nun muß gezeigt werden, daß das Bewußtseyn überhaupt Gott setzt. Dieses kann nichts Zufalliges seyn, wenn auch das Setzen des relativen es seyn kann, und muß sich herschreiben als entstehend vor dem ersten Bewußtseyn, das aber nichts anderes seyn kann, als das reine, unbewegliche Bewußtseyn in seiner reinen Substanz, ohne actus, d. h. ehe das Bewußtseyn sich selbst bewußt wird. (Substanz ist der Gegensatz von actus). Das Urbewußtseyn also, so wollen wir es nennen, mußte das seiner Natur nach an sich Gott Setzende nicht mit Wissen oder Wollen seyn, und zwar das Setzende des wahren Gottes. Wenn es daher überhaupt zulässig ist, auf ein solches Setzen des natürlichen Gottes einen Ausdruck anzuwenden, so muß man sagen, jenes natürliche Gott Setzen sey Monotheismus.

Man könnte etwa in der Art dies argumentieren: Der Polytheismus kann nichts ursprüngliches seyn, was Alle zugeben,

ebenso wenig aber läßt sich mit einem ursprünglichen Atheismus etwas anfangen, denn ein Polytheismus aus Atheismus wäre nie begreiflich. Man könnte also glauben, die nothwendige Voraussetzung von Polytheismus sey Theismus. Wenn man so schließen würde, wäre der Schluß nicht I unrichtig, nur umfaßt er nicht Alles. Denn die Frage ist hier, ob das Urbewußtseyn bloß theistisch sey, was wir aber läugnen, weil ein Gott überhaupt nie Inhalt eines wesentlichen, natürlichen Bewußtseyns seyn kann. Denn ein Gott überhaupt ist schon Abstraction. Theismus kann nur Inhalt eines abstracten und demnach künstlichen Bewußtseyns seyn. Aus alle dem folgt also, daß wir durch den schon im ersten Bewußtseyn gesetzten Monotheismus genöthigt sind, das Urbewußtseyn selbst als einen Monotheismus zu setzen, also als Bewußtseyn des wahren Gottes.

* H:In

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Es kann auffallend erscheinen, wie man sich so allgemein geweigert hat, die religiöse Bedeutung der Mythologie anzuerkennen. Doch ist dies leicht zu begreifen, denn die Schwierigkeit war, zu erklären, wie Mythologie sich mit religiösen Vorstellungen in der Urzeit sich beschäftigen und davon eingenommen seyn konnte. Man fragte immer, wie kommt das Bewußtseyn zu Gott. Nun geht aber die erste Bewegung des Bewußtseyns schon vom wahren Gott weg. Hieraus erhellt, daß das Bewußtseyn nicht zu Gott kommt, denn die erste Bewegung ist ja schon ein Entfernen von demselben. Wenn sich nun dieses so verhält, so bleibt Nichts übrig, als daß das Bewußtseyn den Gott an sich habe; in dem Sinne gesagt, wie z. B. er hat eine Untugend an sich. Wir drücken also* damit aus, daß der Gott etwas ihm Unbewußtes ist, etwas, das es gar nicht weiß und will . Das Urbewußtseyn ist ein bloß substantielles Setzen Gottes, kein aktuelles, und der ursprüngliche Mensch ist das Urbewußtseyn selbst. Der Mensch in seinem Wesen oder Urseyn ist nur Bewußtseyn, aber nicht nothwendig Bewußtseyn von sich; denn dieses wäre für ihn nicht möglich ohne actus, also ist das aktuelle Bewußtseyn schon dem Begriff nach vom Urbewußtseyn ausgeschloßen. Wenn aber dies ist, so kann der Mensch nur Bewußtseyn eines Andern seyn, und dieser andere kann nur Gott seyn. Der Mensch ist also an und gleichsam vor sich selbst I Bewußtseyn Gottes. Er hat es nicht, sondern er ist es, und zwar hat er es nicht, weU er es nicht für sich selbst ist. Der Mensch ist also gerade im Nichtactus, und in der Nichtbewegung der den wahren Gott Setzende, und so ist leicht be greiflich, wie der Mensch von diesem rein substantiellen Zustand keinen Übergang zum actus machen kann, ohne in diesem unvermeidlichen Übergang sich jene Affektion zuzuziehen, vermöge welcher er zwar nicht aufhört überhaupt Gott, wohl aber den wahren Gott zu setzen. Geht er also von der Stelle weg, an die er in der Schöpfung gesetzt ist, so ist er nicht mehr der den wahren Gott setzende. Doch ist natürlich dies rein wesentliche Verhältniß nur als Moment zu denken, denn es ist unmöglich, daß der Mensch in diesem substantiellen Zustande verharre. Der Mensch muß aus seinem Verhältniß heraustreten, um es in ein freies zu verwandeln. Bei jenem Verhältniß ist er nichts; um nun etwas zu werden, muß er aus jenem reinen wesendichen Verhältnisse zu Gott heraustreten. Und so bewahrt er statt der wahren Einheit nur noch ein Moment derselben, und dieser ist der relative Monotheismus, mit dem auch schon implicite Polytheismus gesetzt ist.

Es ist nun gezeigt worden, daß das Urbewußtseyn nicht atheistisch und auch nicht bloß theistisch seyn könne. Denn Theismus ist nur das, was in

* H: unleserlich

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dem einen oder andern, im Monotheismus oder Polytheismus existiren kann. Denn es wäre wieder der Übergang von den reinen Göttervor-stellungen zu den falschen schwer zu erklären. So wenig nun das Urbe-wußtseyn bloßer Theismus seyn kann, so wenig läßt sich dasselbe schon als wirklicher Monotheismus denken. Es ist also nicht wirklicher, son-dern nur wesentlicher Monotheismus. Er hat nun eine positive und nega-tive Seite; die positive ist, daß er Bewußtseyn des wahren Gottes ist; in-wiefern wir ihn aber als Ausgangspunkt setzen, muß er etwas Negatives enthalten, und dies liegt nicht darin, daß er bloß Theismus, sondern daß er bloß wesentlicher Monotheismus ist. Und weil er nun erst wirklich werden muß, so macht er, um nicht seine Einheit zu verlieren, den Über-gang vom wesentlichen zum relativen Monotheismus, von diesem zum Polytheismus, und endlich von ihm zum wirklichen Monotheismus. I

Seit der Zeit David Hume's ist es eine allgemein erörterte Frage, was eher gewesen sey, Polytheismus oder Monotheismus. Einige entscheiden sich für den ersten, an ihrer Spitze Hume, andre dagegen für den Monotheismus. Hume scheint eigendich vom Monotheismus nichts zu wissen, denn er spricht immer von Theismus; doch spricht er immer von Theismus als dem Gegensatz von Polytheismus, und auf diese Weise versteht er doch Mono-theismus darunter. Aber da er den Polytheismus nicht aus dem Mono-theismus, sondern aus einer ganz fremden Quelle herleitet, so erhellt, daß ihm der Theismus ganz abstrakter Monotheismus ist, d. i. ein solcher, der einen Polytheismus ganz ausschließt. Andere nun behaupten die Priorität des Monotheismus, aber sie verstehen darunter einen auf einer" wirklichen Erkenntniß beruhenden. Wir würden sagen, keiner von beiden war zuerst, der lte ist zwar Monotheismus, der es ist und nicht ist, ist, so lange das Bewußtseyn sich nicht bewegt, nicht ist, bei der ersten Bewegung dessel-ben. Der Monotheismus, der die Möglichkeit seines Gegentheils noch vor sich hat, ist ein sich selbst noch nicht verstehender, jener abstrakte Mono-theismus aber kann höchstens in einer Schule existiren. Es könnte nun aber jemand ein Gewicht darauflegen zu sagen, der Monotheismus, der nicht als solcher gesetzt und sich selbst bewußt sey und nur als gemeinschaftliche Potenz von Monotheismus und Polytheismus sich verhalte, sey eben Theis-mus, denn gerade dieser sey ja die Gleichmöglichkeit von beiden. Wenn also hierauf jemand ein Gewicht legen würde, so könnten wir ihm dies aller-dings in einem gewissen Sinne zugeben, denn jede Wahrheit, die noch nicht als solche gesetzt ist, ist der Möglichkeit nach sowohl Wahrheit als Irrthum. Allein es ist ein großer Unterschied, ob man sagt, die Voraussetzung verhält sich wie Theismus, oder die Voraussetzung ist Theismus. Die Mythologie bedarf durchaus eines in sich positiven Anfangs, und dieser kann nur Be-

" H: vor .einer' steht gestrichen: .alles'.

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wußtseyn des wahren Gottes seyn, möge es nun als bloß wesentlich oder als aktuell gedacht seyn. Monotheismus ist allerdings die letzte Vorausset-zung aller Mythologie102, aber nicht ein Monotheismus des menschlichen Verstandes, der Wissenschaft, sondern der Natur, des Wesens des Men-schen. Der Mensch ist ursprünglich nur, um das Gott setzende Wesen zu seyn, um gleichsam die in Gott verzückte Natur103 zu seyn. Es läßt sich wohl erwarten, daß I man sagt, dies sey eine schwärmerische Lehre. Dies geste-hen wir zu, wenn man diesen Begriff zur Regel des gegenwärtigen Lebens machen will , wie z. B. die Sophis* Persiens und unsere Mystiker. Diese letztem, müde des Jochs, das ein abstrakter Glaube ihnen auflegt, suchen jene Versenkung in Gott praktisch zu erlangen. Allein dies wäre ein Zu-rückgehen, der Mensch kann aber nur in dem Vorwärtsgehen Beruhigung finden. Am wenigsten nun können wir uns diesen Monotheismus als eine Lehre uns denken, gleichviel ob geoffenbart oder selbst erfunden. Denn nicht einmal ein schon erkannter ist dieser Monotheismus, sondern viel-mehr ein solcher, der aller Erkenntniß zuvorkommt. Er ist nicht zufällig, sondern mit dem Wesen des Menschen selbst gesetzt, und nur darum bleibt jener Urmonotheismus immer im Hintergrund stehen, von dem sich die Menschheit nicht trennen kann, wenn auch bereits Polytheismus da ist.

Auf diese Weise sind wir nun zu dem Punkt gelangt, wo wir frei sind von Voraussetzungen geschichdicher Art, denn diese letzte ist keine ge-schichdiche. Außer dem Bewußtseyn in seiner Substanz und der ersten Bewegung aus der reinen Substantialität heraus, durch welche er sich jene Affektion zuzieht, bedarf es keiner andern Voraussetzung. Aber auch diese Bewegung ist als eine bloß natürliche zu denken; nicht als eine geschicht-liche. Es ist dieses Urbewußtseyn als ein der Natur ewiges und überge-schichtliches zu denken, und ebendeswegen sind beide Voraussetzungen nicht geschichtlich.

Wir sind also jetzt von der vorgeschichtlichen Zeit in die übergeschicht-liche gewiesen, der letzte Anfang der Mythologie ist also übergeschichtlich. Nach diesen Voraussetzungen kann sich nur eine Erklärungsweise der Mythologie als richtig darstellen. Mit unserer Voraussetzung ist ein bloß zufälliges Entstehen, wie dies bei den frühern Hypothesen der Fall war, von selbst hinweggefallen. Der Grund der Mythologie ist nämlich schon in das lte wirkliche Bewußtseyn der Menschheit gelangt, und wenn der Grund da ist, ist die Sache in ihrem Grund schon da. Der Polytheismus ist also im Grunde schon da. Hieraus folgt, daß dieser Akt nicht in das erste wirkliche Bewußtseyn, sondern außerhalb desselben fallen muß. Es findet sich schon mit dieser I Affektion. Hieraus folgt, daß diese Bestimmung etwas dem

' XI , 186:Sofis

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Bewußtseyn Unbegreifliches hat, eine Bewegung, die dasselbe nicht wuß-te, nicht wollte. Obgleich also diese Bestimmung keine zufällige ist, verwan-delt sich das Bewußtseyn in ein Nothwendiges. Diese Alteration desselben besteht darin, daß im Bewußtseyn nicht mehr der absolute, sondern der relativ eine herscht, nicht zufällig, sondern nothwendig. Aus der Natur der Mythologie haben wir eine solche Göttersuccession geschlossen. Mit der ersten Bestimmung des Bewußtseyns ist es zugleich der nothwendigen Aufeinanderfolge von Vorstellungen unterworfen, an deren Verstand Frei-heit keinen Theil mehr hat. Diese Bewegung verhält sich zum Bewußtseyn als ein Schicksal, Verhängniß gegen das es nichts vermag, von dem es nichts weiß, wie es sich dieses zugezogen hat.104

Vor allem Denken ist es schon von jenem Prinzip eingenommen, des-sen nothwendige und natürliche Folge Vielgötterei und Mythologie ist. Wenn wir auf diese Weise gleich anfangs das Bewußtseyn einer ihm frem-dem Macht unterworfen annehmen, so ist dies freilich nicht im Sinne der Philosophie, die da lehrt, daß der Menschen ursprünglicher Zustand ein wilder, thierischer gewesen sey. Es befindet sich der erste Mensch in ei-nem Zustande der Unfreiheit, der uns freilich unbegreiflich ist, nicht aber von thierischer Stumpfheit. Die Vorstellungen also, durch deren Aufein-anderfolge unmittelbar der formelle, mittelbar der materielle simultane Polytheismus entsteht, erzeugen sich ohne Zuthun, ohne Wissen und Willen des Bewußtseyns, durch einen in Ansehung des Bewußtseyns selbst nothwendigen Proceß105, dessen Ursprung dem Bewußtseyn selbst sich verbirgt. Hiermit wäre also als allgemeiner Begriff der Entstehungsweise der Mythologie der Proceß aufgestellt. Aber auch dieser Proceß läßt noch viele mögliche Bestimmungen zu.

Um zunächst eine Möglichkeit zu berühren, wollen wir eine Erklärung des Polytheismus erwähnen, welche den letzten Grund auch in das Ur-seyn, in das Urbewegen der Menschen setzt, in den Sündenfall; eine An-sicht, die lobenswerth ist, da sie begreift, daß die Mythologie nicht weiter zurück erklärt werden kann, und die" Entstehung der Mythologie ohne einen reellen Grund nicht zu denken ist. Wenn man aber diese Erklärung weiter verfolgt, so ruft sie zur Erklärung I des Polytheismus die Natur herbei, eine Identificirung Gottes mit Natur. Doch daß diese Ansicht nichts tauge, ist aus unsern frühern Untersuchungen hinlänglich gezeigt.

Unsere obige Meinung nun wäre wohl noch einer höhren Steigerung fähig, und man könnte sie als mystische Form des Polytheismus bezeich-nen. Allerdings müssen wir nicht von einem ursprünglichen Wissen, son-dern von einem Seyn in der Gottheit ausgehen. Solange sich der Mensch in diesem Centrum befindet, sieht er die Dinge, wie sie in Gott aufgenom-

" H: vor .die' ist durchgestrichen: .sich'.

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men sind. Aber, wie er seinen Platz verläßt, verwirrt sich seine Peripherie und es entsteht ihm nach und nach die mittelbare oder mythologische Welt. Er sucht seine centrale Stellung noch zu behaupten, während er schon an einem andern Orte ist, und so entsteht in der That auf eine un-willkürliche Weise durch jenen Widerspruch, durch jenes Ringen und Kämpfen die mitdere oder Götterwelt, oder so wäre nach dieser Voraus-setzung die Mythologie nichts Zufälliges, und eine solche Vorstellung wäre also allerdings möglich. Unsere Ansicht unterscheidet sich nur von der andern vorgetragenen darin, daß der Proceß, den wir aufgestellt haben nichts andres bedarf als das den Proceß selbst besümmende und bestäti-gende' Bewußtseyn, während jene die Natur zu Hilfe rufen. Es bedarf aber keiner andren Mächte als deren die im Bewußtseyn aufstehen; das Be-wußtseyn aber gehört selbst zur Weltschöpfung, also sind die kosmo-gonischen Ursachen auch die Ursache der Mächte des Bewußtseyns. Die-ser Proceß ist also ein reiner Proceß des Bewußtseyns, nun müssen wir aber den Begriff des Processes von einer andern Seite von andern Vor-stellungen unterscheiden. Wir haben nämlich von einem in Polytheismus auseinandergehenden Monotheismus gehört, und dies ist doch auch ein Proceß. Wäre dies, so wäre die Mythologie Entstelltes einer ursprüngli-chen Wahrheit, während doch nach unserer Annahme das, was in dem Proceß zerstört wird, nicht absolute, sondern relative Wahrheit ist, die eben darum auch falsch seyn kann. Ferner kann hier die Rede von einer Zerstörung des Monotheismus gar nicht seyn; da wir dieselbe schon als Übergang zur Wahrheit gedacht haben. Das letzte Ziel dieses Processes wird also seyn, daß dieser Monotheismus, dem ein Bewußtseyn anfäng-lich bloß wesentlich war, später wirklich werde. I

Der Anlaß zu dem Processe ist allem Anschein nach gegeben durch eine Potenz, die sich des Bewußtseyns mit Ausschließung der andern Potenzen bemächtigte. Aber eben diese Potenz verwandelt sich durch den Proceß in die die Einheit nicht mehr stillschweigend, sondern cum ictu et actu setzende Potenz. Im Proceß liegt Wahrheit, weil er der Aufhe-bungsproceß des Falschen ist. Im Fortgange desselben erzeugt sie sich, in den einzelnen Momenten zwar nicht, wohl aber im Proceß als Ganzen; der vollendete Proceß enthält Wahrheit.

Aus diesem nun näher besümmten Proceß folgt nun, daß die Mythologie durchaus nicht Entstelltes einer ursprünglichen Wahrheit seyn kann. Zu dieser Entstellung dahin hat man nämlich gegriffen, wed man in der My-thologie keine Wahrheit sehen konnte, weil die Vorstellungen nicht in ihrer Folge, sondern in ihrer Abstraction betrachtet wurden. Wir kön-nen nun zugeben, daß alles Einzelne in der Mythologie falsch sey, das

H: Lesart fraglich

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 91

Ganze aber nicht. Die Vielgötterei ist nur das Accidentelle, das hebt sich in der Folge wieder auf. Man könnte demgemäß sagen, das Falsche der Mythologie sey entstanden in Folge des Mißverständnisses des Proceßes, allein dies ist der Fehler der Betrachters, der die Mythologie nur äußerlich, nicht innerlich ihrem Proceß nach betrachtet. Die Mythologie entsteht durch einen Proceß, der in der Stetigkeit seiner Glieder betrachtet Wahrheit erzeugt und daher in seinem Resultate Wahrheit enthalten muß. Man könnte um dies weiter zu vertheidigen, die Mythologie mit den Sätzen in der Philosophie vergleichen. Jeder Satz für sich betrachtet, wenn er aus der stetigen Reihe herausgenommen wird, ist auch falsch. So z. B. wäre der Satz: „Gott ist das ursprüngliche Princip der Natur" falsch und wahr. Wahr ist er, weil er es ist, falsch, weil er dies nicht allein ist, indem er Alles ist. Stellte einer* ihn so: Gott ist nichts als das ursprüngliche Princip der Natur, so wäre natürlich der Satz ganz falsch, allein aus dieser Falschheit folgt nicht, daß das Gegentheil stattfinden1" müsse. Dieser Satz für sich betrachtet ist daher wahr und falsch, wie man ihn nimmt.

Wenn es aber nun mit der Mythologie sich so verhält, so könnte man einwerfen', nach dieser Ansicht wäre I Polytheismus keine falsche Religion, ja es gäbe überhaupt keine falschen Religionen. Die Mythologie ist nur nicht in sich falsch, unter ihrer Voraussetzung ist sie wahr, ob nun aber die Voraussetzung das Rechte oder Unrechte ist, das ist eine andere Frage. Die geoffenbarte Religion hebt die Voraussetzung der Mythologie auf, und somit sie selbst. Diese Voraussetzung fällt nicht in die Mythologie herein, sie ist bestimmt durch Ursachen, die außer der Mythologie liegen. Was nun den 2ten Einwand betrifft, es gäbe überhaupt keine falschen Religionen, so muß zugegeben werden, daß jedes Moment der Mythologie für sich betrachtet, falsch sey. Nun hat man aber die verschiedenen Mythologien der Völker nur als Momente einer Mythologie anzusehen, und so ist freilich jede einzelne als falsch zu betrachten. Wir aber betrachten die Mythologie vom philosophischen Standpunkte aus als Ganzes. Die einzelnen polytheistischen Religionen sind insofern allerdings falsch, jedoch nur insofern, wie alle Dinge der Natur abgesondert von dem Processe des Lebens. Die heidnischen Völker sowohl, die ihr Daseyn bis auf unsere Zeit fortgesetzt haben, als auch die Griechen befinden sich in ihren Göttervorstellungen in einem stupiden, sinnlosen Verhältniß zu ihren Göttern. Die falsche Religion ist auf diese Weise eine Superstitio, welches Wort man fälschlich als Aberglauben der Überlebenden' erklärte,

H: .man' (?) b H: vor .stattfinden' steht durchgestrichen .nicht' * H: vor .einwerfen' durchgestrichenes Wort : .folgen' (?) d H: Einfügung am Rand .der Überlebenden'

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denn da Superstes nicht nur von Personen, sondern auch von Sachen gebraucht wird, so wird beßer Superstitio als das todte Überbleibsel ei-nes nicht verstandenen Processes erklärt, wie z. B. die sympathetische Kur, deren Praxis, wenn sie auch noch wirkt, nicht mehr verstanden wird. So kann man die polytheistischen Religionen allerdings durch ein sinnlos gewordenes System erklären.

Durch alles bisherige wäre also gezeigt, daß die Mythologie nicht etwas Entstelltes sey, so wenig, als man sie für eine bloße Verkleidung, Um-hüllung der Wahrheit ansehen kann.

Diese letzte Vorstellung entstand daraus, daß man nicht begreifen konn-te, wie in den mythologischen Vorstellungen Wahrheit enthalten sey, und so griff man zu 2 Mitteln. Die eine Ansicht nahm die Mythologie so wie sie ist, aber ohne doktrinellen Sinn, die andere ließ letztern zu, ohne jedoch den eigentlichen Sinn der Mythologie anzuerkennen. Allein das erste unbefange-1 ne Gefühl urtheilt, daß die Mythologie eine eigentliche sey, schließt aber mit dieser eigendichkeit den doktrinellen Sinn nicht misse. Beide Ansichten also die Mythologie als Lehre aber ohne eigendichen Sinn, und sie im eigendichen Sinne aber mit Ausschluß des doktrinellen zu fas-sen, sind so wenig historisch als natürlich. War die Mythologie ursprüng-lich Dichtung, so mußte sie Lehre werden, sobald sie in den Volksglauben überging.

Hat man den Gedanken der Entstehung der Mythologie durch einen Proceß gefaßt, so kann man sich nicht wundern, daß die ganz materiell betrachtete Mythologie so räthselhaft erschien, da sie natürlich dem, der den innern Vorgang derselben nicht kannte, ganz unbegreiflich erschei-nen mußte. Nach Aufstellung der wahren Entstehungsweise der My-thologie können wir sogar den beiden erwähnten Ansichten ihre Argu-mente zugestehen, daß die Vorstellungen unmöglich als wahr gemeint seyn können, was sich aus dem Verlauf des Processes ergibt. Wären die Per-sönlichkeiten und Begebenheiten in der Mythologie derart, daß man sie für mögliche Gegenstände einer unmittelbaren Erfahrung halten könn-te, so hätte Niemand daran gedacht, sie anders als im eigentlichen Sinne zu nehmen. Wenn wir aber nun dies wirklich voraussetzen, so werden wir diesen Glauben der frühern Völker an die Wahrheit der mytho-logischen Vorstellungen nur aus dem Grunde der Erfahrung begreifen. Hätten wir also dies gleich anfangs für möglich gehalten, so hätten wir einfach angenommen, daß diese Persönlichkeiten und Begebenheiten der Menschheit wirklich so vorgekommen seyen, welche Annahme uns in den Standpunkt der Geschichte versetzt.

Diese nun begründete Ansicht kann nun Antwort geben auf die Frage, wie es möglich war, daß die Völker des Alterthums diesen mythologischen Vorstellungen nicht nur Glauben schenken, sondern sogar die größten

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Opfer bringen konnten. Sie waren für das Bewußtseyn von unabweisbarer, unzweideutiger Realität, denn es stand nicht bei der frühern Menschheit sich dieser Vorstellungen zu entziehen oder sie anzunehmen, da sie nicht von Außen her kamen, sondern im Bewußtseyn selbst gegeben waren.

Weil nun die Mythologie nicht etwas künsdich, sondern natür- I lieh und nothwendig Entstandenes ist, so lassen sich Form und Inhalt, Stoff und Einkleidung nicht unterscheiden, denn die Vorstellungen entstan-den mit und in der Form. Diese ist so nothwendig als der Inhalt selbst. Weil nun das Bewußtseyn weder die Vorstellungen noch auch den Aus-druck derselben erfindet oder erwählt, so entsteht die Mythologie als solche. Zufolge der Notwendigkeit, mit welcher sich die Vorstellungen erzeugen, haben sie von Anfang an reelle und daher doktrinelle Bedeu-tung; zufolge der Notwendigkeit, mit welcher die Form entsteht, ist die Mythologie eigentlich. Damit wären nun alle allegorischen Vorstellungen der Mythologie verworfen und wir würden dann im Gegensatz zu diesen sagen, die Mythologie ist nicht allegorisch, sondern tautegorisch zu ver-stehen, d. h. so wie sie sich gibt, wie sie sich ausspricht.106 Was bisher allein nicht für möglich gehalten wurde, nämlich einen doktrinellen Sinn in der Mythologie zu finden mit der Eigentlichkeit derselben ist durch unsere aufgestellte Behauptung möglich gemacht worden.

Allein nicht bloß doktrineller Sinn, sondern auch Wahrheit liegt in der Mythologie. Daraus, daß die den Proceß bestimmenden" im Bewußtseyn selbst aufstehenden Mächte objeetive sind, d. h. auch kosmogonische, erhellt, daß in der Mythologie nicht bloß doktrineller, sondern auch wah-rer Sinn sey.

Bringen wir nun die bisher über Mythologie ausgesprochenen Ansich-ten unter Rubriken, so ergibt sich folgendes Resultat: Die Hauptfrage ist, ist Wahrheit in der Mythologie oder nicht?107

A B.

Überall keine Wahrheit oder bloß Es ist Wahrheit in der Mythologie, zufällige a) aber nicht in der Mythologie als a) daher entweder bloß poetische solcher, sondern als eine in dersel-b) oder ursprünglich sinnlose Vor- ben verhüllte, so daß die Mytho-stellungen, aus Stupidität entstan- logie nur Einkleidung ist. den und durch die spätem Dichter a) die verhüllte Wahrheit histo-veredelt und verdumpft. risch (Euämeros) Diese letzte Ansicht ist die von Joh. ß) physikalisch. (Die alten Stoiker HVoß. und Heyne.

* H: vor .bestimmenden' steht durchgestrichen .selbst'

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b) zwar eine Wahrheit, aber nur ei-ne entstellte. et) rein wissenschaftliche, irreligiö-se, ja sogar antireligiöse (Gottfr. Herrmann) ß) entstellte Wahrheit einer ur-sprünglich religiösen Wahrheit. (Friedr. Creuzer).

C.)

Es ist eine Wahrheit in der Mytho-logie als solche. (Schelling)

Diese letzte Ansicht vereinigt die beiden ersten sich gegenseitig ausschlie-ßenden, indem sie die doktrinelle Wahrheit annimmt, ohne den Sinn aus-zuschließen; sie ist nun durch die Erklärung möglich gemacht. Von der jedesmaligen Ansicht hängt immer die Behandlung der Mythologie ab. Und die, die sich nach unserer Ansicht ergibt, hat nun die unbedingte Eigendichkeit der Mythologie zu zeigen. Aus dem, was früher über Poly-theismus gesagt wurde, läßt sich behaupten, daß in der Mythologie wirk-lich von Göttern die Rede ist; und zu keiner möglichen Zeit konnten diese Göttervorstellungen einer zufälligen Entstehung überlassen seyn. Es gibt von Anfang an kein Polytheismus als mythologischer, d. i. der, der durch den von uns nachgewiesenen Proceß gesetzt ist, und in dem Götter seyn müßen. In diesem Sinen ist also das polytheistische Moment ganz eigent-lich zu nehmen und nicht als ein sogenanntes. Nun ist aber Mythologie nicht bloß Polytheismus überhaupt, sondern auch Geschichte, so daß, wenn ein nicht actu oder potentia gesetzter* Polytheismus nicht geschicht-lich ist, er auch nicht mythologisch ist. Es sind also diese Göttervor-stellungen nicht zufällig, sondern nothwendig; ja selbst in den speciellen Aufeinanderfolgen der Götter ist nichts zufälliges, sondern Notwen-digkeit, und es werden sich im Bewußtseyn jene Vorstellungen nachwei-sen lassen, wie sie ganz natürlich und nothwendig entstanden sind. Ge-schichte kann man also hier von Lehre nicht unterscheiden, Lehre ohne Geschichte ist nicht vorhanden. Objektiv betrachtet ist die Mythologie das, wofür sie sich gibt, wirkliche Göttergeschichte und daher Erzeugniß Gottes im Bewußtseyn, zu dem sich die einzelnen Götter wie einzelne Momente verhalten. Subjectiv betrachtet ist die Mythologie ein theo-gonischer Proceß, und zwar 1) ein Proceß überhaupt, den das Bewußt-

' H: vor .gesetzter' steht durchgestrichen .geschichtlich'

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seyn wirklich vollbringt, I so daß es die Bewegungen im eigentlichen Sinne erlebt 2) ein wirklich theogonischer Proceß, der sich herschreibt von einem wesendichen, allem Denken zuvorgekommenen Verhältniß des Be-wußtseyns zu Gott. Das Bewußtseyn* kann aber eben darum dieses Ver-hältniß nicht verlassen, ohne durch einen Proceß in dieses Verhältniß zu-rückgeführt zu werden, und dadurch wird es, sobald es aus diesem Verhält-niße herausgetreten ist, das Gott mittelbar setzende Wesen und dieses ist das Theogonische.

Das letzte Resultat unserer Untersuchung ist also das, daß die Mytho-logie wirkliche Theogonie sey. Mit diesem Resultat ist also die Existenz eines theogonischen Processes in dem Bewußtseyn der Menschheit be-wiesen. Betrachten wir diese Thatsache des theogonischen Processes, denn sie wichtig und von Belang, so ist dieselbe eine neue, reiche, in-haltsvolle Welt und Erweiterung der Erfahrung über ihre Grenzen, die man nicht erwartete. Eine solche Thatsache kann nicht verhehlen, das menschliche Denken und Wissen zu erweitern. Schon das ist nichts Ge-ringes, daß wir durch sie in Stand gesetzt sind, jene Zeit der vorgeschicht-lichen Menschheitb, jener leeren Räume, die man mit mehr oder weniger erdichteten Erzählungen ausfüllte, mit einer Folge reeller Ereigniße, mit einer wahren Geschichte zu erfüllen. Denn die Mythologie in ihrer Ent-stehung hat auch eine wahre Geschichte, und diese ist ebenso reich an Scenen des Krieges und Friedens, Kämpfen und Umstürzung. Diese That-sache nun kann nicht ohne Wirkung bleiben auf die Philosophie der Geschichte' und auf die Geschichtsforscher. Da die Geschichte ein Gan-zes seynd muß, damit der Begriff Philosophie der Geschichte' möglich ist, denn Gegenstand der Philosophie kann nur ein Ganzes seyn, kann man fragen, ist die Geschichte ein in sich abgeschlossenes Ganze, oder gehört die Zukunft nicht auch zur Geschichte? Doch was bekümmert uns die Zukunft, da wir sie nicht kennen; vielmehr wollen wir uns an die Vergan-genheit halten und fragen, ob von Seiten der Vergangenheit die Geschichte als etwas Geschlossenes, Ganzes betrachtet werden kann, ob nicht auch die Vergangenheit für uns eine unbestimmte Zeit ist. Wenn es eine Philo-sophie der Geschichte gibt, so muß die Geschichte wenigstens von einer Seite abgeschlossen seyn. Nun fragen wir, ob nicht die Vergangenheit uns etwas anderes darbietet, als etwas Un-1 bestimmtes, Unbegrenztes. Man betrachtet vorgeschichtliche und geschichtliche Zeit als 2 in sich abge-

H: vor .Bewußtseyn' durchgestrichen .Proceß' b H: vor .Menschheit' steht durchgestrichen .Zeit' ' H: Korrektur in H, ursprünglich stand .Geschichte der Philosophie' d H: vor ,seyn' steht durchgestrichen .ist' * H: Korrektur in H, ursprünglich .Geschichte der Philosophie'

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schlossene Zeiten. Allein nur dann könnte die vorgeschichtliche Zeit der geschichtlichen zur Begrenzung dienen, wenn die vorgeschichtliche eine im Innern verschieden wäre. Allein der ganze Unterschied zwischen bei-den ist bloß zufällig, und besteht darin, daß wir von der einen etwas wis-sen, von der andern aber nichts. Die vorgeschichtliche Zeit ist eigentlich bloß die vorhistorische, d. i. die, von der die Historie nichts weiß. Kann es nun aber etwas Zufälligeres geben, als Mangel an schriftlichen Denkmalen, welche uns den Zustand der vorhistorischen Zeit hätten überliefern kön-nen. Ein wahrer Unterschied wäre erst dann, wenn der Inhalt der ge-schichtlichen Zeit ein anderer wäre, als der der vorgeschichtlichen. Nun fragen wir weiter, welchen Unterschied der Begebenheiten könnte man zwischen beiden Zeiten aufstellen? Etwa den, daß die Begebenheiten der geschichtlichen Zeit bedeutend seyen, die der vorgeschichtlichen unbe-deutend. Wenn man sich mit dieser Unterscheidung begnügen wollte, müßte man sagen, die geschichtliche Zeit fange mit bedeutenden Ereig-nissen an. Allein, was sind bedeutende und unbedeutende Ereigniße. Verbirgt uns nicht vielmehr die vorgeschichtliche Zeit bedeutende Ereig-niße, da sie entscheidend und wichtig für die Folge sind. Eben daraus, daß alle Historiker verlegen sind, oder nicht im Stande sind, einen Grenz-punkt zwischen vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit anzugeben, erhellt, daß kein innerer Unterschied zwischen historischer und vor-historischer Zeit statt finde. Denn ihnen geht der Anfang der historischen Zeit ins Unbestimmte zurück, weil eben kein wahrer Unterschied statt findet. Die Vergangenheit ist also nur einerlei Zeit, unbegrenzt, unbe-stimmt. In einem solchen Unbestimmten, Ungeschlossenen kann sich die Vernunft nicht erkennen und in Bezug hierauf kann von keiner Philoso-phie der Geschichte die Rede seyn, wenn auch viel davon in Frankreich und Deutschland gesprochen wird. Indeß hat sich uns unmerklich durch die vorhergegangenen Untersuchungen die Zeit der Vergangenheit an-ders gestaltet. Es ist nicht mehr eine grenzenlose Zeit, es sind wirklich in sich verschiedene Zeiten, in die sich die Vergangenheit für uns gegliedert hat.

Die geschichtliche Zeit ist bestimmt worden als die Zeit der voll- I brachten Trennung der Völker. Insofern ist äußerlich betrachtet der Inhalt der vorgeschichtlichen Zeit ein anderer als der der geschichtli-chen. Erstere ist die Zeit der Krisis der Völkertrennung, welche aber wieder nur Folge einer innern Crisis, der Entstehung der Mythologie ist. Die Mythologie ist in der geschichtlichen Zeit bereits ein Fertiges; in der vorgeschichtlichen wird sie und gerade dieses Werden der My-thologie ist der Inhalt der vorgeschichtlichen Zeit. Dieser Proceß der Entstehung der Mythologie ist der wahre Inhalt der vorgeschichtlichen Zeit.

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Eben diese Zeit, welche nach außen so arm an Thatsachen erscheint, nur erfüllt mit Erschütterungen des Bewußtseyns, die die Entstehung der Mythologie entweder zur Folge hatten oder sie begleiteten, und dies Aus-einanderstreben dieser hatte wiederum die Trennung der Menschheit in Völker zur Folge. Auf diese Weise sind aber nun beide Zeiten nicht mehr relativ sondern absolut verschiedene sich gegenseitig ausschließende und deshalb begrenzende Zeiten. Denn es findet der wesentliche Unterschied statt, daß das Bewußtseyn in der vorgeschichdichen Zeit einem Processe, einer innern Nothwendigkeit unterworfen ist, durch die es der äußern Welt gleichsam entrückt wird. Dagegen ist jedes Volk durch jene Krisis frei von dem Proceß, insofern dieser in ihm sein Ende erreicht hat. Indem es nun vom Proceß frei wird, kann es sich jener Folge von Thaten über-lassen, wodurch und womit die historische Zeit anfangt, indem es aus der innern Welt heraustritt; und erst von dieser Zeit an wird es historisch.

Diese vorgeschichüiche Zeit, von welcher die geschichdiche begrenzt ist, ist selbst wieder durch eine andere Zeit begrenzt, die aber nicht eine geschichtliche, sondern eine absolut vorgeschichtliche ist, jene Zeit der Unbeweglichkeit, von der schon früher gesprochen wurde. Aus diesem Grund, weil in der absolut vorgeschichdichen Zeit selbst keine Folge von Zeiten mehr ist, weil sie eine relative Ewigkeit, eine idealische Zeit ist, wiewohl man nicht behaupten kann, es seyen keine Begebenheiten in ihr vorgefallen, sie konnten entstehen, verschwanden aber schnell ohne Be-deutung und Folge, - bedarf sie selbst nicht wieder einer andern Zeit zur Begrenzung; ebendarum begrenzt sie eigentlich nicht eine Zeit, sondern die Zeit I überhaupt. Über diese letzte Zeit hinaus ist kein Schritt mehr als in das Übergeschichtliche, Überzeitliche, denn im Verhältniß zur folgen-den Zeit ist sie allerdings eine Zeit, aber in sich nicht.

Die geschichtliche Zeit ist also begrenzt durch die vorgeschichtliche und diese durch die absolut vorgeschichdiche. Wir haben also jetzt nicht mehr eine wilde, unbegrenzte Zeit, sondern ein System von Zeiten, von dener jede durch eine ihr vorhergegangene und wesentlich verschiedene begrenzt wird, die absolut vorgeschichdiche Zeit ausgenommen. Insofern aber der Begriff Geschichte weiter ist als Historie, läßt es sich beßer so eint heilen: Vorgeschichdiche, vorhistorische und historische Zeit.108 Wah-re Wissenschaft ist gewiß daran zu erkennen, daß sie bemüht ist Alles soviel wie möglich in bestimmte Grenzen zu fassen. Mit einer grenzenlo-sen geschichtlichen Zeit wäre aller Willkühr Thor und Thür geöffnet. Es muß Jäher der wahren Wissenschaft daran gelegen seyn, einen solchen termhus der Zeiten aufgestellt zu sehen.

Diese Wissenschaft also, zu welcher wir durch die bisherigen Untersu-chungen den Grund gelegt haben, nämlich die Philosophie der Mythologie ist es,ohne welche Philosophie der Geschichte weder ihren Begriff recht-

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fertigen, noch den wahren Anfang der Geschichte finden kann. Es ist also klar, daß ehe es eine Philosophie der Mythologie gibt, Philosophie der Geschichte nur dem Namen nach existirt. Diese äußere Folge nämlich, in welcher die Wissenschaften nach einander auftreten, ist oft innerlich eine ganz andere. Es können Wissenschaften lange bearbeitet werden, ehe die Entdeckung gemacht wird, daß eine andre Wissenschaft erst bearbeitet werden müsse, um sie zu besümmen. So verhält es sich auch mit der Philosophie der Mythologie. Offenbar war es längst die Forderung aller Forschungen, die in die Urzeit der Menschheit zurückgingen, daß diese über jene Zeit verbreitete Dunkelheit klar und erkennbar dargelegt werde, was nur durch die PhUosophie der Geschichte geschehen konnte. Von jeher sind Fragen über die ursprünglichen Verhältnisse der Menschheit aufgeworfen worden, wie z. B. über I den Ursprung der Sprachen, welche Frage, da sie über die Geschichte hinausfällt, der Philosophie auch anheimfiel. So hat z. B. ein Göttinger Geschichtsforscher109 erklärt, daß die Stufe, welche die Griechen und Ägypter in der Kunst erreicht hatten, durch ein Anfangen von der untersten Stufe an wie die der BuschHottentotten und dann durch immer höhere Steigerung und Vervollkommnung erlangt worden sey. Allein diese Lehre beruht auf einer ganz falschen Philosophie, daß der Mensch nämlich von Anfang an sich selbst, d. h. dem freien Streben überlaßen gewesen sey, womit die Geschichte aber keineswegs übereinsümmt. Im Gegentheile solche Werke, wie die der Ägypter konnten nicht durch die Länge der Zeit entstehen, sondern das Volk stand gleich in seinem Beginn auf einer solchen Stufe, daß es diese ungeheuren Bauten erdenken und ausführen konnte. Solche Werke fordern reale Ideen; reale Ideen sind Wesen nicht von zufälliger, vorübergehender, sondern von ewiger Bedeutung.

Diese Wesen sind Götter, Mythologie ist also Ursache der Kunst, und es werden sich die BuschHottentotten wohl nie zu jener Kunst erheben, da sie keine realen Ideen besitzen. Das Eigenthümliche der mythologischen Gestalten ist, daß sie allgemeine Begriffe nicht bedeuten, sondern vielmehr sind. Ebendeswegen sind sie nicht allegorische sondern symbolische zu nennen; denn Allegorie bedeutet den Begriff, Symbol ist der Begriff.*

Wenn Gestalten von ewiger Geltung im Bewußtseyn nicht mehr existiren oder ihre Bedeutung verloren haben, so sinkt die Kunst zu jener Zufälligkeit herab, wie wir sie an der neuem sehen. Bei den griechischen Werken spricht sich die Wahrheit und Nothwendigkeit der Produktion

* H: Nach .Begriff' steht ein Fragezeichen, vermutlich von fremder Hand eingefügt.

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aus; deswegen kann man bei diesen altern Werken nicht fragen, wozu dies, was bedeutet dies? Vielleicht also, daß eine tiefere Betrachtung der Mythologie dazu dient, auch den Sinn für die an sich poetische Welt wieder zu erwecken. Denn mit Gegenständen dieser poetischen Welt erhält die Kunst wieder einen bestimmten und somit beschränkten Sinn. I

Dieselbe Gewalt also, welche nach Innen die mythologischen Idee hervorbrachte, erzeugte nach außenhin die ungeheuren Kunstmassen, die Conceptionen der Vorwelt. Jene erste Inspiration wirkte auch in der Kunst fort; sie war die erste Lehrmeisterin des Tiefen und Erhabenen, sie hob die Menschen leicht und sicher über jene untern Stufen weg und stellte sie sogleich auf solche, von wo aus sie im Stande waren, solche Werke hervorzubringen.

Doch um nun wieder auf unser Früheres zurückzukommen, so ist jener Proceß, in welchem sich die Mythologie erzeugt, ein theogonischer und insofern wesentlich religiöser Proceß. Von dieser Seite ist also die Thatsache des theogonischen Proceßes für die Geschichte der Religion wichtig, sowie auch nicht ohne Einwirkung auf die Philosophie derselben. Freilich ist die Religionsphilosophie in ihrem Begriff zu wenig bestimmt, weil sie zu sehr von der allgemeinen Philosophie abhängig war und großentheils die Bewegungen in sich wiederholte, die in jener vorgegangen waren*[,] weil es von jeher viele Dilettanten in derselben gegeben hat, die schrecklich viel darin gepfuscht haben.b In Bezug auf diese Entwicklung hat sich Hermann seinerseits über Religion' so ausgesprochen: nach seiner Meinung, sagt er, gäbe es keine andre Religion, als die von einer angeblichen Offenbarung sich herschreibende, oder eine natürliche, und somit philosophische.110 Da er aber erstere nicht anerkennt, so glaubt er also, daß es nur eine philosophische Religion gäbe. Mit diesem Ausspruch steht unsere Ansicht ganz in Widerspruch. Unsere Religion, die aus dem mythologischen Processe entstand kann nichts anders als eine natürliche seyn, aber keine raüonale oder philosophische. Mythologie ist eine ursprüngliche und natürliche Religion, die entsprang aus einem wesentlichen und somit natürlichen Verhältniße zu Gott. Dieses waltet durch den ganzen Proceß durch. Man hat zwar den Ausdruck Naturreligion für Mythologie gebraucht, allein soviel ist wenigstens gewiß, daß alle, die diesen Ausdruck annehmen, sich denken, daß eine wesentliche Ingredienz dieser Religion die äußere sichtbare Natur sey, welche Ansicht aber als bei der Mythologie untauglich schon widerlegt ist. Vielmehr

* H ab ,weil sie' handelt es sich um eine Einfügung am Rand b H Nach ,haben' sind einige Zeilen getilgt und infolge der Durchstreichung ist

der betreffende Text weitgehend unleserlich ' H ab ,In Bezug' Einfügung am Rand

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ist natürliche Religion eine von allem Wollen und Wissen entfernte spontan entstandene, eine wildwachsende Religion.111 Nun kann aber bestimmt diese Religion nicht eine natürliche seyn, ohne den Gegensatz, dieoffenbarte Religion hervorzurufen, die gewöhnlich aber natürlich Inannt wird und ebendaher uns unbegreiflich ist. Um also diese zu begreifen muß die natürliche vorausgesetzt werden. Und so behauptet derwöhnliche Supematuralismus, der gleich mit dem Übernatürlichen beginnt, etwas Unnatürliches. Um nun diesen Satz, daß die natürliche der geoffenbarten vorausgehen müsse, besser zu zeigen, wollen wir einen Satz zu Hülfe nehmen, daß Religion, so weit sie dies ist, von Religion nicht verschieden seyn kann. Nun ist die Mythologie nicht zufällig, sondern an sich Religion, und so müssen sich auch die erzeugenden Principien, die Faktoren der wirklichen Religion in der Mythologie finden. Aber eben diese Faktoren müssen sich auch in der geoffenbarten finden, wenn diese eine Religion seyn soll. Nur die Bedeutung dieser Prinzipien ist anders in beiden Religionen, denn die eine, die göttliche wird nur götdiche und die natürliche Religion nur natürliche Prinzipien haben. Durch das Vorausgehen der natürlichen Religion muß also das göttliche Prinzip in der geoffenbarten begründet werden. Ferner zu weiterm Beweise haben wir in der Mythologie eine erste Potenz angenommen, die sich des Bewußtseyns bemächtigt. Die folgende Potenz schließt diese erste aus, und so stehen beide in gegenseitiger Ausschließung oder Spannung. Diese beiden Potenzen sind nicht Nicht Gott, aber nicht ist ihnen Gott als Gott, d. h. seinem Wesen nach. Gott ist zwar in diesen 2 sich ausschließenden Potenzen; aber er ist in ihnen außer sich, außer seiner Gottheit. Diese 2 Prinzipien sind also außergöttlich und daher natürlich. Das Göttliche ist daher der Mythologie nicht ganz entfremdet, wenn auch nicht die Gottheit als solche darin ist.

Was nun die geoffenbarte Religion betrifft, so müssen wir altes und neues Testament unterscheiden. Das alte Testament wird unter dem Gesetze des ausschließlichen Monotheismus, unter dem Gesetze der ersten Potenz gehalten. Der lte Gott ist hier der Vermittelte, sich offenbarende, darum erscheint der wahre Gott immer als ein Werdender, zukünftiger. Das Ende aller Offenbarung, denn als ein solches muß das Christenthum gefaßt werden, ist die Befreiung von jener Voraussetzung, unter der bisher alle Religionen gestanden haben. Diese Befreiung ist nur durch eine götdiche That möglich, deren Folge ist, daß dfe Potenzen, die im Prozeß I nur als außergöttlich, natürlich erscheinen, in göttliche umgewandelt wurden. Diese göttliche That ist der einzige wahre und göttliche Inhalt des neuen Testaments. Eine That muß es seyn, denn dem Proceß kann nur die That entgegenstehn, und so kann der Proceß als etwas nicht Vorgestelltes, sondern Wirkliches, nicht durch eine Lehre, sondern durch

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eine alle menschlichen Vorstellungen übertreffende That aufgehoben werden. Das Christenthum ist am wenigsten mit jenen Vorstellungen einverstanden, nach welchen Mythologie nichts Wirkliches, sondern nur Vorgestelltes sey. In dieser Hinsicht macht es sogar keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden, da es als Befreierin von allem Heidnischen auftritt. Es ist also jeder Versuch, die Offenbarung gleich in den Anfang zu setzen, widersinnig. Die Offenbarung ist also ein nicht bloß Wesentliches, sondern actu Übernatürliches, ein übernatürlicher actus. So wäre also das Resultat der bisherigen Untersuchung der erste wissenschaftliche Begriff der Offenbarung.

Durch das bisher nachgewiesene Verhältniß der Offenbarung ist nun die ganze Stellung derselben verändert. Die geoffenbarte Religion ist in der geschichtlichen Folge erst die 2te, also die schon vermittelte der realen, d. h. der von der Vernunft unabhängigen natürlichen Religion, die mythologische ist die vorausgegangene. Die geoffenbarte Religion hat nun die Unabhängigkeit von der Vernunft mit der mythologischen gemein; denn sonst im entgegengesetzten Falle wäre sie eine Vernunftreligion. Nun wird nur daraus der Begriff der geoffenbarten Religion gehörig bestimmt, wenn sie der mythologischen oder natürlichen entgegengestellt wird. Eben daraus folgt, daß, weil beide zugleich auch Unabhängigkeit von der Vernunft mit einander gemein haben, daß die geoffenbarte Religion nicht mehr allein, sondern mit der natürlichen dem Rationalismus entgegensteht. Daß beide auf gleiche Weise von dem Rationalismus behandelt werden, zeigt, daß sie gleiches Verhältniß zur Vernunft haben. Die Behandlung der Offenbarung besteht darin, daß der Rationalismus das ewig Gültige der geoffenbarten Religion von der Einkleidung derselben scheidet, indem er nur das Vernünftige in derselben zugibt, das Übervernünftige aber der Form und I Einkleidung zutheilt. So geschieht es auch mit der Mythologie. Er sucht ihr einen ihm vernünftig scheinenden Gehalt zu geben, und das Übrige betrachtet er als zufällig und formell. In dieser ganz gleichen Behandlung lag ein Wink für die Theologen, wie sie ihre Apologie der Offenbarung hätten beginnen sollen; allein sie haben diesen Wink versäumt und sind nun ganz auf die Defensive beschränkt.

Aber nicht bloß die reelle Bedeutung, sondern auch den Stoff hat die geoffenbarte Religion mit der natürlichen gemein. Denn, da die natürliche Voraussetzung der geoffenbarten ist, und in der Philosophie Stoff und Voraussetzung eins ist, so haben sie folglich Stoff mit einandermein. Die Offenbarung, da sie die natürliche aufhebt, erkennt sie darum als eine reale. Auch die Offenbarung ist sowenig als die Mythologie etwas Vorgestelltes, sondern eine wahre Geschichte in den reellen Vorgängen, deren Tiefen wir nur durch die Mythologie erkennen. Eben jene Denkart, welche kein reelles Verhältniß des Bewußtseyns zu Gott zugibt, hat schon

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längst Alles, was ihr in den chrisdichen Dogmen missfällig war, als heidnisch erklärt. Aber gerade diese Heidnische macht das Wesentliche des Chri-stenthums aus, den Zug des Übernatürlichen; ohne dieses wäre das Chri-stenthum eine allgemeine', VernunftReÜgion.112

Bisher haben wir nun die Religion in 2 Formen, in der natürlichen oder mythologischen und in der geoffenbarten betrachtet. In dieser geschicht-lichen Aufeinanderfolge ist erst der dritte Platz für die phUosophische Religion, vermittelt durch beide vorhergehende. Das Gemeinschaftliche beider ist, daß sie unabhängig vom menschlichen Denken sind, die eine gesetzt durch einen nothwendigen Proceß, die andre durch eine göttli-che That. Weil nun der mythologische Proceß des Bewußtseyns ein un-begreiflicher ist, und die geoffenbarte Religion es an sich ist, so fordern beide eine dritte Religion, die unabhängig von jedem realen Verhältniß beide voraussetzt. Der eigendichen philosophischen Religion ist also der Zeit nach nicht nur Mythologie, sondern auch Offenbarung vorausge-gangen, wie denn vor der Offenbarung keine eigentliche ReligionsphUo-sophie I seyn kann wie z. B. die griechische, die darum keine eigendiche Philosophie ist; und zwar aus sehr begreiflichen Gründen. Die Mythologie hatte in Griechenland gerade in ihrer höchsten Entwicklung das Verlan-gen nach einer außer ihr sich setzenden Religion, sie fühlte also ihre Unzu-länglichkeit, erkannte aber auch, daß nur eine von außen herkommende Religion möglich sey. So enthielt sich z. B. Aristoteles, eine philosophi-sche Religion aufzustellen, wenn er vielleicht auch in seinem Geiste sich sehr damit beschäftigte.

Das mythologische Prinzip wurde nun durch die chrisdiche Offen-barung aufgehoben, und eben darum, weil dasselbe sich im Gegensatz zum Heidenthum behauptet hatte, und behaupten musste, mußte es sich als eine freie reale Macht zeigen und das geschah in der Kirche. Aber erst von der Zeit an, als die Macht der Kirche gebrochen war, also von der Zeit der Reformation an war an eine philosophische Religion zu denken. Ist nun diese von uns aufgestellte Aufeinanderfolge die richtige, so kann es keineswegs demgemäß seyn, wenn die philosophische Religion das negiren will , wodurch sie hauptsächlich vermittelt und begründet wurde. Es ist also, wenn man von plülosophischer Religion spricht, eine wahre und falsche zu unterscheiden. Wahr ist die, welche die mythologische und geoffenbarte Religion zu begreifen vermag, die falsche sucht ihre Voraus-setzung die geoffenbarte Religion zu negiren. Aber die Prinzipien der philosophischen Religion können keine andern seyn, als die, welche in der natürlichen und geoffenbarten enthalten sind, nur in anderer Gestalt.

H: Vor .allgemeine' steht ein durchgestrichenes Wort: ,heidnische'(?).

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 103

Die philosophische Religion nämlich muß diese Prinzipien als frei betrachten, während sie bei der Mythologie als unfrei erkannt wurden. Die frühern Erklärungen, die darauf hinaus gingen der Mythologie einen uneigentlichen Sinn zu geben, beruhten auf dem Fehler, daß sie die Prinzipien der mythologischen Religion nicht als wirkliche angesehen hatten. Das wahre Begreifen der Mythologie und der Offenbarung kann nicht darin bestehen, das Irrationale darin aufzuheben, sondern vielmehr darin, daß die philosophische Religion dieselben Faktoren, die sie in jener als real erkennt, in sieht selbst als Resultat der freien Erkenntniß sieht. In der That wird es hier auch die Aufgabe seyn, das, was wir in der Mythologie und I Offenbarung als wirklich betrachtet haben, in der philosophischen als möglich nachzuweisen. Hier entsteht nun aber die Frage, wo die philosophische Religion nachzuweisen sey, die Mythologie und Offenbarung in ihrer ganzen Eigendichkeit zu begreifen verstände. Um sich als besondre Wissenschaft aufzustellen, muß die Religionsphilosophie ein von der allgemeinen Philosophie unabhängiges Prinzip der Religion aufstellen. Sie kann sich nun entweder als bloß objeetiv oder auch als subjeetiv darstellen. Als objeetiv kann sie die allgemeinen Erscheinungen der Religion darstellen, als subjeetiv aber auch nachweisen, wie die Religion im Individuum entsteht. Gibt es also eine besondre Wissenschaft unter dem Namen Religionsphilosophie, so muß es ein spezifisches Prinzip derselben geben. Man sagt gewöhnlich, Jacobi habe das Gefühl als eigentliches Prinzip des Wissens von Gott aufgestellt. Allein Jacobi hat sich zwar gegen Physik und Mathematik, nicht sowohl auf das Gefühl überhaupt, als vielmehr auf die besondre Energie seines eignen Gefühls gestützt.113 Aber außerdem, daß der das Gefühl eigentlich nicht als Prinzip aufstellt, war ihm das Gefühl so wenig von der Vernunft unabhängig, daß er später sogar für Gefühl Vernunft setzt. Doch unterschied er wissenschaftliche Vernunft, die zum Atheismus führe, und Vernunft vor aller Wissenschaft, in ihrer reinen Substanz, in der Wissen Gottes enthalten sey. Er selbst suchte dieses unmittelbare Wissen Gottes in und mit der Vernunft so zu beweisen: „Nur der Mensch weiß von Gott, nicht das Thier. Der einzige Unterschied zwischen Mensch und Thier besteht in der Vernunft, nicht in dem Verstand, welche diese nicht besitzen. Es muß also Vernunft Ursache des Wissens von Gott seyn." Nun fragt sich aber, in welchem Sinn dieses Wissen genommen ist. Man weiß von einer Sache, auch wenn man bloß davon gehört hat, z. B. durch ein Gerücht, so daß dieses Wissen mich in dem Fall läßt, entweder die Wahrheit des Gehörten zu bejahen oder zu verneinen. Nun kann das Wissen auch in bejahendem affirmativen Sinne genommen seyn. Allein als dann ist der Obersatz in seinen 2 Gliedern in 2erlei Sinn genommen. Denn im Obersatz heißt es, der Mensch weiß von Gott, d. h. er bejaht Gott, dann ferner: das Thier weiß nicht von Gott,

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d. h. es weiß weder etwas, noch nichts von Gott, es bejaht weder, noch verneint es Gott. Außerdem kann man auch nicht sagen, Gott bejahen. Jedenfalls geht dieser Satz Jacobis immer nur auf ein Wissen I von Gott hinaus.

Inwiefern nun philosophische Religion Resultat der Philosophie ist, wird wohl keine Philosophie da seyn, welche das, was wir durch eine Reihe von Schlüssen in der Mythologie zu erkennen genöthigt waren, zu begrei-fen verstünde. Hier könnte man uns den Einwurf machen, gerade aus dem Grunde, weil die Philosophie es nicht begriffe, könne unmöglich das wahr seyn, was wir behaupteten. Allein wir sind bei dieser ganzen Unter-suchung von keiner vorgefaßten Meinung, keiner Philosophie ausgegan-gen, sondern nur stufenweise fortschreitend verwarfen wir die Ansich-ten und Erklärungen, die Nichts erklärten. Eine solche Methode einer fortschreitenden alles bei Seite setzenden Kriti k befolgend sind wir auf den Punkt einer Ausschließung jeder andern Ansicht gekommen. Aller-dings ist bei den* Meisten von ihren philosophischen Ansichten leicht begreiflich, daß sei sich damit nicht begnügen. Aber deswegen dürfen sie dieser Ansicht nicht widersprechen, sei müssten denn eine Unrichtigkeit in den Schlüßen finden.

Unsere nun faktische begründete Ansicht darf sich nun auch heraus-nehmen, die Philosophie über ihre bisherigen Schranken zu führen: Wenn die Philosophie nicht im Stande ist, die Resultate in der Mythologie zu begreifen, so folgt daraus, daß sich dieselbe erweitern müsse. Allein nur durch eine Thatsache ist eine Erweiterung möglich. Es ist allgemein zuge-standen, daß ein System, welches zu einer unwidersprechlichen Thatsache kein Verhältniß hat, kein wahres seyn könne. Die Fortschritte sind in der Philosophie entweder nur formelle oder reelle. Erstere sind von keiner Bedeutung, und haben keinen wesendichen Einfluß, letztere würden nur in Folge neuer Erfahrungen gemacht, jedoch nicht daß gerade neue That-sachen sich ergeben müßten, sondern daß man in alten neues sah, was man bisher nicht darin sah. Durch Kants Kriti k der reinen Vernunft ist eine große Erweiterung in der Philosophie geschehen, und er hat zuerst die menschliche Freiheit als ein nothwendiges Prinzip in der Philosophie festgesetzt. Allein nur zu bald setzte man Alles beiseite und beschränkte Alles auf die menschliche Freiheit. Allein, da die verschiedenen Seitenb

der Philosophie sich immer wieder in Gleichgewicht setzten, so mußte auch gegen diese sich wieder eine andere Seite der menschlichen Er-kenntniß erheben, I nämlich die Naturphilosophie. Man kann als sicher annehmen, daß das, was zu jeder Zeit als Philosophie gilt, immer nur ein

H: der k H: Zeiten

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Resultat von Thatsachen ist, auf die sie berechnet ist. Es ist dann ganz natürlich, daß eine solche Philosophie unzufrieden ist, wenn Ansichten, die sie längst beseitigt glaubte, wieder hervorgezogen werden. Überhaupt ist Niemand gern geneigt, früher gefaßte Ansichten aufzugeben oder sie zu erweitern, was man im Allgemeinen auch von der philosophischen Denkart der neuern Zeit sagen kann. Die Begriffe der Philosophie richte-ten sich nach dem, was sie konnte, und dafür mögen sie gut gewesen seyn. Die Welt, auf die sich die gegenwärtige PhUosophie bezieht, ist noch die vor 30 Jahren. Es mag sich also jetzt die Philosophie gefallen lassen, daß man ihr neue, vorher unbekannte und nicht in Betracht gezogene That-sachen vor Augen stelle. Man hat behauptet, in letzter Zeit habe sich das Interesse an der Philosophie in Deutschland vermindert, ja verloren. Aber hätte sich eine Theilnahme für einen dürren Formalismus, für eine Philo-sophie finden sollen, die statt neue Wege zu bahnen und die Schranken zu durchbrechen, diese nur unüberwindlich machte. Nie war vielleicht ein lebhafteres Verlangen nach einer wirklichen Aufschluß gebenden Philosophie. Beweise eines solchen Verlangens finden sich überall. Es wird also das durch unsere Untersuchung gewonnene Resultat der Philoso-phie einen neuen Schwung geben, und zwar ist unser Verfahren bei die-ser Untersuchung ähnlich den Verfahren des Sokrates und Piatons in ihren Dialogen. Der Anfang oder überhaupt die Einleitung der platoni-schen Dialoge ist nicht zufällig, sondern hat den Zweck, den der Arzt hat, der einen klagenden Menschen, welcher übermäßig genossen hat, auf schmale Kost setzt, nämlich den Schüler durch Fragen vorerst von allem falschen philosophischen Schwulste zu befreien. Denn am meisten in der Philosophie ist der Schwulst am hinderlichsten. Der sinnige Plutarch bemerkt ausdrücklich von Sokrates, daß er den Schwulst der Philoso-phen (Hauptsächlich der Eleatiker) wie einen leichten Rauch weggeblasen habe, (st also nun der Schüler durch Vorfragen vorbereitet, so wird er plötzlich durch eine leichte Wendung zu den tiefsten Wahrheiten und Spekulationen geführt, die ihn zur Einheit und zur Wahrheit führen.

Wein wir von unserm gewonnenen Standpunkt aus einen Blick auf die äuiern Voraussetzungen zurückwerfen, mit denen man I die Mytho-logie zu erklären suchte, so kann es schon als ein wesendicher Fortschritt zur pHlosophischen Betrachtung der Mythologie gelten, daß wir sie in das Imere des Menschen gesetzt haben, d. h. daß wir angenommen ha-ben, en menschliches Bewußtseyn sey der eigentliche Sitz der mytholo-gischen Bewegung.

Aus allem Frühern folgt nun, daß der mythologische Proceß ein ur-sprünglich religiöser, wenn auch nicht ausschließlich religiöser ist. Inso-fern als unsere Ansicht keinen Sinn der Mythologie ausschließt, ist sie die vereingende der frühem. So versteht es sich von selbst, daß die Mytho-

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logie auch historische Wahrheiten enthält, ebenso auch physikalische, denn die Natur ist notwendig bei dem ganzen Proceß der Mythologie. In der Mythologie haben wir nun bereits die in Allem seyende Idee, die Idee des Processes und die Idee der durch Nichts aufzuhebenden Einheit. Wenn man die Idee als bloß logisch in ihrer Abstraktion und das Bewußtseyn als die verwirklichte Idee ansieht, so liegt zwischen beiden die Welt. Und so liegt zwischen dem Bewußtseyn des Menschen in seiner Wesentlichkeit und Wirklichkeit der mythologische Proceß dazwischen. Die Mythologie hat gerade ihre Wahrheit in dem nothwendigen Proceß, durch den sie entsteht, und daher wird sie nur wahrhaft erkannt, wenn sie im Proceß erkannt wird. Nun ist aber der Proceß der allgemeine, absolute Proceß; die wahre Wissenschaft der Mythologie also ist die, welche in ihr den absoluten Proceß darstellt; und dies ist Sache der Philosophie und die wahre Wissenschaft der Mythologie ist also nothwendig Philosophie der Mythologie.114 Darin liegt zugleich, daß die andern Betrachtungsweisen die Wahrheit der Mythologie nicht erkannten, und dies gestehen sie ja selbst zu, da sie keine Wahrheit in derselben erkennen.

Wenn man nun voraussetzt Mythologie sey ein allgemeines Phänomen, so muß man auch nur aussprechen, daß sie auch nur aus allgemeinen Ursachen zu erklären sey. Und wo eine Untersuchung sich mit allgemeinen Vorstellungen beschäftigt, ist sie nicht weit von der Philosophie. Kommt dazu noch die Betrachtung der Übereinstimmung der mythologischen Vorstellungen selbst bei den verschiedensten und entferntesten Völkern, so führt dies auf den Gedanken, daß die Mythologie von allgemeinen und nothwendigen Ursachen bestimmt sey. Demgemäß hätte man die Mythologie gleich anfangs I auf dieselbe Stufe mit der Sprache setzen können, denn auch sie ist ein allgemeines Phänomen; auch in ihr finden sich außer der formellen Übereinstimmung zwischen dem materiellen Element derselben eine Ähnlichkeit und Übereinstimmung, daß man auf Zufälligkeiten nicht verfallen kann. Hier zeigt sich also die Mythologie ganz so wie die Sprache, und so hätten wir also die Mythologie eben so gut als eine mögliche Wissenschaft ansehen können wie die Sprache, und zwar nicht als eine bloß mögliche, sondern auch nothwendige. Was der Orient etwa von unmythologischen Systemen enthält, hohe* Lehren, die selbst nur durch Reaktionen gegen den mythologischen Proceß, aber doch aus demselben entstanden sind, z. B. der Buddhismus und die Orphischen Lehren. Die Sollicitation zum mythologischen Proceß sowie die Nothwendigkeit dazu war durch alle Völker durchgegangen. Sogar das Volk Israel welches der Theorie nach freilich ein monotheistisches war, war

* H: Lesart unsicher

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 107

dennoch der Wirklichkeit nach ein polytheistisches und zwar nicht allein der Pöbel, sondern hauptsächlich die Ersten, z. B. Salomo, der sich bei aller seiner Weisheit vorzugsweise zum Polytheismus hinneigte.

Es ist nun hinlänglich gezeigt worden, daß die Mythologie ein allgemei-nes Phänomen sey und demgemäß gleich auf dieselbe Stufe wie die Spra-che hätte gestellt werden können. Was hat uns also verhindert diesen ein-fachen Weg zu nehmen, was hinderte uns den Begriff Philosophie der Mythologie als schon begründet anzunehmen. Die frühern Erklärungen nehmen überhaupt an, die mythologischen Vorstellungen seyen zuerst unter einem Volke oder unter mehreren sich ähnlichen Völkern entstan-den, und von diesen hätten sich dann diese Vorstellungen weiter fortge-pflanzt. Wenn diese Voraussetzung eine richtige wäre, so wäre die Über-einstimmung der mythologischen Vorstellungen der verschiedensten Völker eine zufällige, und die Mythologie wäre als dann kein allgemeines Phänomen, wenn sie auch den Schein hätte, als wäre sie es. Das Resultat aller Erklärungen war immer die mehr oder minder zufällige Natur der Mythologie. So lang aber ein Phänomen als ein zufälliges betrachtet wird, kann sich die Philosophie nicht mit demselben befassen. Diese I Voraus-setzungen aber konnten nicht übergangen werden, weil sie zum Theil von Männern gemacht wurden, die sich auf dem Feld der kritischen Untersu-chung schon Ruhm erworben haben. Konnten wir sie also ignoriren, oder als nicht philosophisch verwerfen? Sollte man ihnen sagen, die Mythologie lasse sich nicht aus äußern, sondern innern, nothwendigen Gründen er-klären? Nein, denn die Urheber dieser frühem Erklärungen konnten ein-fach antworten: „Unsere Erklärungen sollten nicht philosophische seyn, und es ist die Frage, ob die Mythologie philosophisch ist." Gerade das war die Frage, ob in der Mythologie ein wirkliches inneres, immanentes Prinzip, eine wahre Natur enthalten sey. Wir mußten uns also in diese Fragen einlassen, mußten die Voraussetzungen an sich prüfen, ob sie möglich, glaublich, oder nicht. Der Ursprung der Mythologie geht frei-lich in eine Zeit zurück, wohin keine geschichtlichen Forschungen drin-gen können, und aus der keine schriftlichen* Denkmale aufb uns gekom-men sind. Allein es lassen sich doch aus der ältesten Geschichte Schlüße ziehen, die ziemliche Gewißheit verschaffen. Außerdem ist uns als unver-werfliches Denkmal aus der vorgeschichtlichen Zeit die Mythologie selbst gegeben. Sind also alle Hypothesen und Erklärungen als unmöglich er-wiesen, so fallen diese. Allein es war nicht hinlänglich die gemachten Er-klärungen abzuweisen, sondern man mußte alle nur möglichen in Erwä-gung ziehen, so daß wir von Stufe zu Stufe immer mehr und zuletzt alle

* H: durchgestrichen: .historischen' b H: Vor .auf steht durchgestrichen: .übrig'

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übrigen nur möglichen Erklärungen ausschlössen und auf den Punkt ge-langt sind, auf dem wir uns jetzt befinden, nämlich zum Begriff Philoso-phie der Mythologie. So haben wir also unsern Begriff von unten herauf begründet und nicht gleich a priori angenommen. Der Standpunkt der ganzen bisherigen Untersuchung war also ein historisch kritischer, allein doch keineswegs ein unphilosophischer.

Der Begriff Philosophie der Mythologie subsumirt sich unter den all-gemeinen einer Theorie der Mythologie. Denn erhebt sich die Wissen-schaft zum Wesen, so wird sie Theorie, und so wird Theorie nur I davon möglich, worin ein wahres Wesen ist, Wesen aber ist Prinzip der treiben-den Bewegung. Ein solches inneres treibendes Prinzip fehlt der Mythologie nach den frühern Erklärungen, die daher fälschlich Theorie genannt werden. Die Theorie jedes natürlichen oder geschichtlichen Gegenstan-des ist bloß eine philosophische Betrachtung eines Gegenstandes, und hier kommt es nur darauf an die Natur desselben zu erkennen. Auf den ersten Blick scheint Nichts disparater zu seyn als Wahrheit und Mytho-logie, und daher auch Philosophie und Mythologie, weswegen letztere auch mit dem Namen Fabellehre bezeichnet wurde. Aber eben in diesem Gegensatz selbst liegt die Aufforderung in dem sinnlos Scheinenden Sinn zu suchen aber nicht so, wie es von frühern Erklärern geschah. Die Ab-sicht muß vielmehr seyn, daß in der Mythologie die Form nothwendig und somit vernünftig ist. Wem aber die Mythologie als unwürdig der philoso-phischen Betrachtung erscheint, mag dies beherzigen: die Natur erregt freUich dem gedankenlosen abgestumpften Menschen kein Erstaunen mehr; allein wir können uns gar wohl eine geistig sittliche Stimmung vor-stellen, in welcher uns die Natur nicht weniger unbegreiflich erscheint, als jetzt die Mythologie. Wer immer in einer Art geistiger Verzückung zu leben gewohnt wäre, könnte leicht bei Betrachtung der Natur fragen: Wozu dieser nutzlose Stoff, konnte Gott sich an solchen Produkten er-freuen, wozu solche Thiere, deren Daseyn keinen Zweck hat, wozu das viele Anstößige in den Handlungen derselben, wozu überhaupt diese ganze Körperwelt. - Und dennoch können wir nicht unterlaßen diese Natur zum Gegenstande der Philosophie zu machen. Es gibt allerdings Gegenstän-de, zu denen die Philosophie kein Verhältniß hat, z. B. zu dem, was keine Wirklichkeit in sich hat. Aber der mythologische Proceß ist etwas Wirk-liches, von der menschlichen Meinung Unabhängiges, ein nothwendiges inneres Erzeugniß, wenn wir auch zugegeben haben, daß die Mythologie ausgeschmückt und erweitert werden könne. Ferner kann sich die Philo-sophie mit nichts Corruptem befassen. Nun mögen sich freilich in ver-schiedenen Götterlehren einzelne aus ihren Fugen gerissene Theile fin-den; allein Mythologie ist, wie wir gezeigt haben, nichts Entstelltes. Ein Ferneres, worin sich die I Philosophie nicht erkennen kann, ist das Gren-

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zenlose; aber die Mythologie ist etwas Abgeschlossenes, ein Proceß ähn-lich ein<er eintretenden und sich wieder verlaufenden Krankheit, eine Beweguing, die aus einem bestimmten Anfang, durch bestimmten Mittel-punkt zu bestimmtem Ende geht. Endlich widerstrebt der Philosophie das Todte, Stillstehende; Mythologie aber ist etwas sich selbst Bewegendes. Es ist also der Ausdruck Philosophie der Mythologie ganz eigendich zu nehmeni wie Phdosophie der Sprache. Man könnte den Ausdruck etwas unbequem nennen, allein jeder andere Ausdruck würde bald zu weit, bald zu eng erscheinen. Denn Mythologie bedeutet zwar Wissenschaft der Mythen, aber auch das Ganze der mythologischen Vorstellungen.

Ein Verhältniß zum Inneren der Mythologie hat die Phdosophie erst mit ihrer eignen geschichdichen Gestalt erhalten. Das Successive in der Philosophie* mußte auf das Successive in der Mythologie aufmerksam machen. Unstreitig hat freilich die Mythologie die nächste Verwandt-schaft mit der Natur und demnach ist eine materielle Identität des Stof-fes zwischen beiden nicht zu verkennen. Dieser Zusammenhang gereich-te jedoch den ersten Versuchen der neuern Zeit zu großem Nachtheil, weil sie mehr von einer allgemeinen Gährung als von wissenschaftlichen Begriffen ausgingen und dadurch ins Weite und in Methodenlosigkeit ausschweiften. Es war ein großes Glück, daß Friedrich Creuzer seine Thätigkeit auf die Mythologie richtete; und durch seine klassisch schö-ne Darstellung und durch seine reelle Gelehrsamkeit brachte er zuerst die Ansicht von der höheren Behandlung der Mythologie hervor, und machte diese bald in die weitesten Kreise allgemein verbreitet. Allerdings erhoben sich sogleich die Gegner, die Anhänger des alten Sauerteigs, unter ihnen hauptsächlich Johann Heinrich Voß115, und Hessen es an Schreien und Lärmen nicht fehlen. Sie hofften mittelst hergebrachter Verläumdungen bei dem weniger unterrichteten Publikum den Versuch, die Mythologie von einem höhern Standpunkte aus zu betrachten, ver-ächdich machen zu können. Allein gerade das Gegentheil wurde dadurch bewirkt, man wurde dadurch angeregt den lange vernachlässigten Ge-genstand wieder aus seinem Dunkel hervorzuholen, I ihn näher zu be-trachten und zu untersuchen, und gelangte dadu-ch zu besserer Er-kenntniß. Hat sich nun herausgestellt, daß ein befriedigender Abschluß mit bloß empirischen Annahmen nicht zu erreichen sey, so erscheint auch damit die Idee der Mythologie zugleich als eine äußerlich durch die Zeit begründete Idee.

Nach diesem könnten wir jetzt, da wir alle frühern Erklärungen besei-tigt haben, fortschreitend zur Aufstellung der Wissenschaft d. i. des Be-

* H: durchgestrichen: .Mythologie'

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griffs der Philosophie der Mythologie gelangen. Allein die Mythologie ist freilich jetzt als Erzeugniß eines theogonischen Processes von uns erkannt, aber dieser Begriff des theogonischen Proceßes ist selbst nur durch kombinirte Schlüsse gefunden worden, keines wegs ein von seinen eig-nen Prämissen aus begriffener. Dieser Begriff ist bis jetzt nur die letzte Grenze, zu welcher wir auf der bisherigen dialektisch historischen Unter-suchung gelangt sind. Um nun zu einem Ziele zu kommen, müssen wir fragen: Welches sind die Elemente dieses theogonischen Processes, war-um ist überhaupt ein solcher Proceß? -

Nun könnten wir von den höchsten Prinzipien der Philosophie aus zu diesen Begriffen gelangen, allein wir würden dadurch auf eine ganz andre Art verfahren als früher. Unsere Absicht kann also nur seyn diese letzte Voraussetzung wieder in ihre Voraussetzungen zu verfolgen, bis wir zu dem Punkt gelangt sind, von dem aus herabsteigend wir die Mythologie von ihren höchsten Prinzipien aus betrachten.

Die nächste Voraussetzung ist also ein theogonischer Proceß des Be-wußtseyns, allein dieser hat wieder eine Voraussetzung, nämlich den mit dem Wesen der Menschheit gesetzten Monotheismus. Liegt in ihm der Grund der theogonischen Bewegung des Bewußtseyns, so liegt in ihm auch der Grund der theogonischen Bewegung überhaupt. Das Nächste ist also allerdings, einen theogonischen Proceß des Bewußtseyns begreif-lich zu machen, aber um diesen zu begreifen, müssen wir auf den Proceß der theogonischen Bewegung überhaupt zurückgehen, und dieser liegt im Monotheismus. Und dann werden wir den Monotheismus, wie früher die Mythologie, als eine gegebene Thatsache voraussetzen, und die Frage wird nur I seyn: welche Bedeutung, welchen Inhalt hat der Begriff Mono-theismus. Den Begriff Monotheismus als Thatsache zu behandeln hat um so weniger Schwierigkeit, als dieser Begriff unter allen religiösen und philosophischen sich vielleicht der allgemeinsten Zustimmung erfreut. Die mythologische, geoffenbarte und phUosophische Religion enthalten die-sen Begriff; den beiden ersten liegt er als reales Prinzip zu Grunde, die philosophische enthält ihn als einen frei erkannten. Es kommt nun dar-auf an, wie er verstanden wird. Das Einzige, was man dieser Untersuchung entgegensetzen könnte, wäre die Verwunderung darüber, daß man fra-ge, was in dem Begriff Monotheismus enthalten sey, da doch der Begriff kein Schulbegriff, sondern ein allgemeiner, ein Begriff der Menschheit sey, über dessen Inhalt die Menschheit längst einig seyn müsse, es brau-che also gar keiner Untersuchung. Dagegen kann man sagen, der Mono-theismus ist allerdings nicht durch die Wissenschaft in die Welt gekom-men, allein es ist gar wohl möglich, daß die Menschen sowie von andern Begriffen, so auch von dem Monotheismus beherrscht sind, ohne sich des Begriffes bewußt zu seyn. Aber irgend ein Sinn, wird man und mit

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Recht sagen, muß doch nothwendig mit einer so allgemeinen Lehre ver-bunden seyn. Fragen wir also, welcher Sinn mit dem Begriff des Mono-theismus gewöhnlich verbunden wird. Der Sinn dieser Einzigkeit und also auch der Lehre von der Einzigkeit Gottes beschränkt sich auf die Behaup-tung, daß außer Gott kein andrer sey. Dies wird gewöhnlich unter Monotheismus verstanden. Betrachten wir dies etwas näher, so heißt es nicht außer einem Gott, sondern schlechthin außer Gott könne kein andrer seyn: Nun könnte man versucht seyn außer Gott noch einen an-dern Gott zu setzen. Da aber schlechterdings nur Gott, nicht ein Gott gesetzt ist, so wäre es Ungereimtheit, ihn mehrmals zu setzen. In diesem Sinne hat es nie Polytheismus gegeben, und so kann auch die Verneinung des Polytheismus nicht Monotheismus seyn. Es erhellt also daraus, daß das, was man bisher allgemein für Monotheismus ausgegeben hat, dies nicht ist, sondern nur eine ganz überflüßige, ja ungereimte Versicherung enthält. Warum ist es nicht einem der Theologen, die so gerne Philoso-phie bei der Theologie anwenden, nicht eingefallen, sich vorerst nur an diesem ersten und einfachsten Begriffe zu versuchen, I ehe er sich so hoch versüege. Eine Ahnung, daß es mit diesem Begriffe nicht ganz richüg sey, kann man auch darin finden, daß bei Behandlung dieser Lehre überall eine große Unsicherheit, ein Schwanken im Ausdruck wahrzunehmen ist. Neuere philosophische Lehrbücher haben diesen Begriff ganz übergan-gen. Daß die Theologen aber verlegen sind über die Erklärung desselben und zwar nicht wegen der Dunkelheit, sondern wegen der zu großen Klar-heit des Begriffes, wird dem unbefangenen BeurtheUer nicht entgehen. -Wenn nun außer Gott ein anderer nicht wirklich sondern nur möglich wäre, so wäre jener nicht als Gott, sondern als ein Gott gedacht. Darum sprachen Hume und andere Philosophen immer nur von Theismus, da sie Monotheismus immer als pleonastisch angesehen haben. Die Theolo-gen haben den Begriff Monotheismus noch beibehalten, da mit dem Be-griff Theist früher eine unangenehme Bedeutung verbunden war, näm-lich Theist ein solcher genannt wurde, der zwar Gott aber nicht seinem Wesen nach anerkennt. Aber diese Bedeutung hat sich jetzt ganz verlo-ren, so daß sich z. B. Jacobi Theismus als das Höchste und Wünschens-wertheste dachte. Bei den Theologen folgt nach dem Capitel De deo ein anderes über die göttlichen Attribute. Diese werden unterschieden in positive und negative. Erstere sind solche, durch welche' Gott der wahre, der bestimmte Gott ö GEOC, wird, die negativen machen die eigentliche Gottheit nicht aus, z. B. Ewigkeit, denn ewig könnte auch eine todte Sub-stanz seyn. Es läßt sich daraus erkennen, daß ein bloßer Theismus genug ist, und wie es möglich war, Theismus gleich Atheismus zu setzen. Die

' H: welches

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negativen Attribute könnte man also die bloß theistischen, die positiven die monotheistischen nennen.

Der Begriff Monotheismus ist also weder in der Philosophie noch in der Theologie vorhanden und gern gäben beide ihn auf. Monotheismus hat aber nur Sinn in Bezug auf Polytheismus. Ist der Begriff des Mono-theismus von dem des Theismus nicht geschieden, so gibt es keine Eigent-lichkeit der Mythologie, keinen Polytheismus.

Worin nun die Wahrheit und Einheit Gottes besteht, die wir früher als Erklärung des Monotheismus angenommen haben, das ist noch zu zei-gen. Gesetzt es fänden sich in dem richtig bestimmten Begriff des Mono-theismus die Elemente, die uns in den Stand setzten, einen theo-1 gonischen Proceß überhaupt zu begreifen, so werden uns 2) mit dem wesentlichen Monotheismus die Mittel gegeben seyn einen theogonischen Proceß des Bewußtseyns unter einer gewissen Voraussetzung zu begreifen, und 3) die Wirklichkeit eines solchen an der Mythologie selbst nachzuweisen, welches letztere Philosophie der Mythologie seyn wird.

Anmerkungen 1 Vgl. XI , 14, in Anm. 1 ist auf den lateinischen Text ohne Zitatangabe verwiesen:

„Aurae temporum meliorum, quae in fistulas Graecorum inciderunt." Francis Bacon, De sapientia veterum.

2 Schelling verweist hier auf Herodot, L. II , c. 53 ' Anspielung auf F. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum, 1795. 4 Herodot, L H , c. 53. 5 Ebd. 4 Schelling bezieht sich hier auf Hesiod, Theogonie, 881 ff.; XI , 19, Anm. 1. 7 Herodot, L. II , c. 52. 8 Vgl. VII , 292: .stumme Dichtkunst'; Plutarch, Moralia 346F; G. E. Lessing,

Vorrede zum Laokoon, Bd. 6: Kunstheoretische und kunsthistorische Schrif-ten. München 1974, 635 f.

' Schelling bezieht sich hier unter anderem auf W. v. Humboldt, Ueber die unter dem Namen Bhagava-Gita bekannte Episode des Maha-Bharatas, GS I, Berlin 1823-1826,170-232,325-344.

10 A. W. Schlegel, Indische Bibliothek, 1820 ff. 11 Schelling verweist auf Clericus, Anmerkungen zur Theogonie des Hesiodos; J.

L. Mosheims Anmerkungen zu Cudworth systema intellectuale (Cudworth, rud., systema intellectuale hujus universi seu deveris naturae rerum origin. commentarii, quibus omnis corum philosophia, qui deum esse negant funditus erertitur: acced. religuaejus posucula, recens. varr. observatt. et dissertt. illustr. J. L. von Mosheim Fol. Jena 1733) und K. D. Hüllmann, Anfänge der griechischen Geschichte, Königsberg 1814. Vgl. XI , 27.

12 Euhemeros von Messene, iepäcwavpai)>rj (300-270 v. Chr.); Euhemeros versuch-te eine rational-pragmatische Erklärung der Götter. Das Original der Schrift ist nicht erhalten. Eine lateinische Übersetzung überliefert Ennius, vgl. Jacoby, die Fragmente der griechischen Historikerl. S.300-313.

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NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 113

13 XI , 30, Schriften von K. F. Dornedden. In Frage kommen folgende Arbeiten: Phamenopis, oder Versuch einer neuen Theorie über Ursprung der Kunst und Mythologie. Göttingen 1797; Versuch einer Theorie zur Erklärung der griechi-schen Mythologie, Göttingen 1801; Neue Theorie zur Erklärung der griechischen Mythologie, Göttingen 1802.

H Schelling bezieht sich hier auf Chr. G. Heyne, De origine et causis Fabularum Homericarum. Göttingen 1778. Zu Heynes Mythos-Verständnis: Jamme, 23-25; A. Horstmann, Mythologie und Altertumswissenschaft. Der Mythosbegriff bei Christian Gottlob Heyne, in: Archiv für Begriffsgeschichte 16 (1972), 60-82, W. Burkert, (Art.) Mythos, Mythologie, in: Historisches Wörterbuch der Philoso-phie, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984,282; Ch. Hardich/W. Sachs, Der Ursprung des Mythos in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952, 169-171; H. Gockel, Mythos und Poesie, Zum Mythosbegriff in Aufklärung und Frühromantik, Frank-furta. M. 1981,34.

15 Chr. G. Heyne, De origine, 38. 14 Schelling bezieht sich hier auf Piatons .Phaidros' p. 229 und nicht auf den

Phaidon. Vgl. auch de Rep. III , p. 391. 17 Cicero, De nat. D. L. III , c. 24: „Magnam molestiam suscepit et minime neces-

sariam primus Zeno, post Celanthes, deinde Chrysippus commentitiarum fa-bularum reddere rationem, vocabularum, cur quique ita appellati sint, causas explicare. Quod cum facitis, illud profecto confitemini, longe aliter rem se habere atque hominum opinio sit: eos enim, qui Dii appellentur, rerum naturas esse, non figurasDeorum.

18 Schelling verweist hier auf zwei Artikel von V. Cousin über Olympiodor, in: Journal de Savants.Juni 1834 und Mai 1835. Vgl. XI , 33 Anm. 3.

" Schelling bezieht sich auf G. Hermann, De mythologia Graecorum antiquissima, Lipsiae 1817. Ueber das Wesen und die Behandlung der Mythologie. Ein Brief an Herrn Hofrat Creuzer, Leipzig 1819. Dissertatio de Historiae Graecae prim-ordiis ... (1818); G. Hermann und Fr. Creuzer, Briefe über Homer und Hesiodus, Heidelberg 1818.

20 Hermann, Mythologie 47. 21 Ebd., 107. 22 Hermann, Mythologie 38. 101. 23 Vgl. Don Felix Azara, Voyage dans l'Amerique meridionale T II , p. 186, 187.

(Voyages dans l'Amerique Meridionale par F. de Azara depuis 1781 jusqu'en 1801, contenant la description geographique, politique et civile du Paraquay et de la riviere de La Plata . .. 4 tom. Paris 1809)

24 Aristophanes, Wolken (423). In XI , 44 zitiert Schelling die Stelle ohne Angabe der Quelle: „ O König und Herr, unermeßliche Luft, die den Erdball schwe-bend umherträgt, und leuchtender Äther".

25 Aristophanes, Wolken, 424. 24 Schelling bezieht sich hier auf G. Hermann, Dissertatio. Vgl. XI , 58 Anm. 1. 27 In XI , 52 steht: „die Sprache selbst sey nur die verblichene Mythologie". 28 SW nennen Wolfs „Untersuchungen über den Homer" (XI , 60). Gemeint ist:

F. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum, 1795. 29 Die hier angesprochene Ansicht bezeichnet Schelling in den SW als „organi-

sche Auffassung" der Mythologie, vgl. XI , 51, 53. 30 Schelling könnte sich hier auf eine Aussage von Sextus Empiricus beziehen:

„Epikur war der Meinung, daß die Menschen ihren Begriff von Gott durch die Vorstellungen während des Schlafes gewönnen." (Gegen die Wissenschafder 9, 25.)

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114 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

31 XI , 61: „Annahmen solcher Art sind dem Forscher, was unter dem Wasserspiegel verborgene Korrallenriff e dem Seefahrer."

32 Don Felix Azara, Voyage, T. II , p. 16, 43, 44, 91, 151, 113. 33 In XI , 94 beginnt hier die fünft e Vorlesung. 34 C. Niebuhr, Beschreibungen von Arabien, Kopenhagen 1772. Journal Asiat. Tom.

VI , 179. 35 Herodot, L. II , c. 104. 34 Schelling verweist auf Schriften von F. Schnurrer (XI , 100 Anm. 1). Folgende

Arbeiten von F. Schnurrer könnten in Betracht kommen: Epidemien und Con-tagien, Tübingen 1810; Geographische Nosologie oder die Lehre von den Ver-änderungen der Krankheiten in den verschiedenen Gegenden der Erde, in Ver-bindung mit physischer Geographie und Naturgeschichte des Menschen, Stutt-gart 1813; Chronik der Seuchen in Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgän-gen in der physischen Welt und in der Geschichte des Menschen, Tübingen 1823-25.

37 Gen. 11. 38 XI , 101 f.: „erfundenes mythisches Philosophem". 3' Schelling verweist auf Bruchstücke des Abydenos bei Eusebius im ersten Teil

seines Chronikons (Eusebius, Praeparatio evangelica, IX , 41) sowie auf Piaton, Politicus p. 272. B. (XI , 102 Anm. 1).

40 In XI , 104 findet sich nicht die Formulierun g „Ide e eines einzigen Gottes", son-dern: ,,nur ein Gott [...], der das Bewußtseyn ganz erfüllte" .

41 Herodot, L. I, c. 57. 42 l.Kor . 14, 1-40. 43 Vgl. Apg. 2,1-13. Das Wort O^ioyKwsaiafindet sich hiernicht und kommt in der

biblischen Sprache nicht vor. Es könnte sich um eine Bildung aus tttpoyküxsooiq im Anschluß an 1. Kor . 14, 21 handeln. Siehe auch Jes. 28, 11; Jes. 45, 23 und Phil. 2, 11.

44 Schelling verweist auf Plutarch, de Isid. et Osir., c. 47. (XI , 109 Anm. 1). Vgl. auch XIII , 524.

45 Jer. 51,7: „Ei n goldener Becher war Babel in Jahwes Hand, der die ganze Erde berauschte. Von seinem Weine haben die Völker getrunken, bis sie rasend wurden."

44 Apk. 17, 1-6, bes. V. 2 und 4. 47 Ovid, Tristi a v. 10,37. Vgl. auch 1. Kor . 14, 11: „Wenn ich nun die Bedeutung

der Sprache nicht kenne, werde ich den nicht verstehen, der redet, und der re-det, wir d mich nicht verstehen."

48 Cicero, Tuscul., II , 17. 49 Vgl. XI , 107, Anm. 1. 50 Die Ausführungen über den Bestattungskult fehlen an der betreffenden Stelle in

SWXI . 51 Herodot, L . II , 50. 52 Anspielung auf Deuteronomium 32, 8: „Al s der Höchste die Völkersitze verteil-

te, als er die Menschenkinder schied, legte er den Völkern Grenzen fest nach der Zahl der Söhne Gottes." Siehe auch Genesis 10 und Apg. 17, 26. Schelling verweist in XI , 111 Anm. 2 noch auf Piaton, Politic. p. 271. D. und ebd. Anm. 3 auf Herodot, Lib . II , c. 104.

53 Vgl. Azara, Voyage T. II , p. 5. (SW XI , 114-115) 54 Schelling verweist auf Lucian, de Syria Dea c. 2. (SW XI , 116, Anm. 1). » Gen. 12,2 (SWXI , 116, Anm. 2) 54 Vgl. dazu XI , 117-118.

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NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 115

57 Vgl. XI , 67-68. 58 Vgl. XI , 68. 59 XI , 69. D. Hume, The natural history of religion, 1757 (= D. Hume, Die Natur-

geschichte der Religion, hrsg. von L. Kreimendahl, Hamburg 1984). Zu Humes Auffassung von Religion und Mythologie: J. C. A. Gaskin, Humes Philosophy of Religion, London 1978; G. Gawlick, Einleitung, in: D. Hume, Dialoge über natürliche Religion, Hamburg 1980.

40 J. H. Voß, Mythologische Forschungen aus dem Nachlaß, hrsg. von Brzoska, Leipzig 1834; Über den Ursprung mystischer Tempellehren, Mythologische Briefe. (I. 1794, II , Stuttgart 1827). (Vgl. XI , 69-70). Zur Kontroverse Creuzer-Voß: Jamme 51-52.

41 Horaz, Sylvestres homines sacer interpresque Deorum Caedibus et victu foedo deterruit Orpheus, Dictus ob hoc lenire tigres rabidosque leones. De arte poetica, 391-393. Vgl. XI,70.

42 Don Felix Azara, Voyages, T. II , p. 3. (XI , 72-73). 44 XI , 72. 45 Schelling bezieht sich hier auf D. Hume, The natural history, 25, 35 - franz.

Übersetzung (XI , 74), vgl. D. Hume, Naturgeschichte, S. 15. 44 XI , 76 - Verweis von Schelling auf C. F. de Volney, Les Ruines ou meditations

surles revolutions des empires, Paris 1791 sowie auf C.-F. Dupuis, Origine de toui les cultes ou religion universelle, Paris 1794-1795.

47 Bezieht sich auf die Lehre der Notitia insitam, als Teil der Lehre der cognitio Dei naturalis et supranaturalis; vgl. etwa Quenstedt, theoligica didacticopolemica, 1691,1.251.

48 D. Hume, The natural history, 110 (XI , 78 Anm. 1). 49 Ebd., 8-10, vgl. D. Hume, Naturgeschichte, S. 3 f. 70 Ebd., 45 f., vgl. D. Hume, Naturgeschicchte, S. 28 f. 71 Hermann, Mythologie 25 f. 72 Horaz, tantum religio potuit suadere malorum (vgl. XI , 82). 73 Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, § 6 und 7. 74 Scl.elling spielt hier an auf Gerhard Voß, De theologico gentili et physiologia,

sw de origine ac progressu idololatriae, libri IV , Amsterdam 1641; posthum libri IX , Amsterdam 1668, dazu Jamme 8; Samuel Bochart, Geographia sacra, Cadomi 16<6 sowie Daniel Huet, Demonstratio Evangelica, Paris 1679; vgl. XI , 86. Dazu Janime, 18.

73 Screlling gibt einen Hinweis auf seine Arbeit, Ueber die Gottheiten von Samo-thrike, VIII , 345-424, ( XI , 88 Anm. 1).

74 Wi liam Jones, Asiatic researches, Calcutta 1788; The Works of Sir William Jones, Lojdon 1799.

77 Vg. Creuzer, Symbolik. 78 F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen,

im \uszuge vonG.H. Moser. Leipzig und Darmstadt 1821. Vgl. XI , 89, Anm. 1. 79 Creuzers Auffassung findet sich von Schelling dargestellt: XI , 89-90. 80 Bri-fe über Homer und Hesiodus, vorzüglich über die Theogonie, von G. Her-

main und F. Creuzer, Heidelberg 1818, 100 f. 81 Hi:r endet nach den SW die 4. Vorlesung, und die 6. Vorlesung beginnt. 82 Pltfon, Politicus, 271 c. 83 Gctt als Geist - diese Passage fehlt in diesem Kontext in XI , 191-120. 84 Jol.4,21-24 85 Zu Schellings Unterscheidung des simultanen und succesiven Polytheismus: XI

121-122.

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116 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN

84 Vgl. etwa Gen. 1, 26; Ex. 23, 20 etc. 87 Zu den naturphilosophischen Beispielen vgl. Von der Weltseele, eine Hypo-

these der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus (II , 345 ff.). 88 Weitere Ausführungen Schellings zur Bedeutung der Sprache u. a.: XI , 133-

136. 89 Gen. 9. 18-28. 90 Schelling bezieht sich hier auf Jean-Pierre Abel Remusat, Recherches sur les

langues Tartares, Paris 1820; Milanges Asiatiques, Paris 1825-1826. (XI , 134 Anm. 1, Fundgruben des Orients B. III , S. 279).

91 Vgl. dazu XI , 137-139. 92 Gerhard Voß, De origine, a. a. O. 93 Schelling verweist (XI , 152-153) auf Ernst Friedrich Karl Rosenmüller, Das alte

und neue Morgenland oder Erläuterungen der heiligen Schrift aus der natürli-chen Beschaffenheit, den Sagen, Sitten und Gebräuchen des Morgenlandes. Leipzig 1818-1820. Th. I, S. 23 sowie auf Stolberg, Geschichte der Religion Jesu Christi. Th . I, S. 394.

94 XI , 149-150. 95 Vgl. XI , 156 94 Schelling zum Namen Hebräer: XI , 157 (Vgl. W. Gesenius, Geschichte der

hebräischen Sprache und Schrift) 97 Vgl. dazu XI , 158 Anm. 1. 98 l .Sam.8,8. 99 Vgl. XI , 159.

100 Schelling verweist auf Gen. 12, 7; 17, 1; 18, 1; 26, 2; 28, 12. (XI 161 Anm. 1). 101 Zum wahren Gott als werdenden vgl. XI , 165. 102 Vgl. dazu XI , 182-185. 103 XI , 185. 104 Zu dieser Passage vgl. XI , 192. 105 In XI , 193 wird dieses Moment besonders hervorgehoben (Fettdruck). 104 Vgl. XI , 195-196. 107 Die folgende Übersicht findet sich in XI , 214. 108 XI , 235-236. 109 Schelling spielt an auf: Arnold Hermann Ludwig Heeren, Ideen über die Poli-

tik , den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt, Göttingen 1793-1796. Th. I, Abth. 11,311 (XI , 238).

110 Vgl. XI , 244. ' " XI , 246. 112 Vgl. XI , 248. 113 Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume, oder Idealismus und Realismus. Ein

Gespräch (1787), in: F. H. Jacobi, Werke, Leipzig 1812-1829, II , 8-9. 114 XI.216-217. 115 Dies könnte sich auf den Streit zwischen F. Creuzer und J. H. Voß beziehen -

J. H. Voß, Mythologische Briefe; weiterhin J. H. Voß, Antisymbolik, Stuttgart 1824(-26). Vgl. Jamme, 51-54.

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3 Mitschrift von Schellings Vorlesungen inBerlin (1842)

3.1 Text der Mitschrift „Philosophie der Mythologie

von Dr. Schelling" Berlin 1842

Philosophie der Mythologie von Dr. Schelling

Was den ungewöhnlichen Titel dieses Namens betrifft, so wurde er zuerst 1814* gegeben; diese Frucht erlaubt die Wissenschaft freier zu behandeln, als wenn sie schulmäßig vorgeschrieben wird. Wie kommt aber die Philosophie dazu sich mit der Mythologie zu beschäftigen? Es ist nicht schwer zu beantworten. Der bloße Gelehrte wird sich nur mit einer besseren Mythologie abgeben, die Vorstellung eruiren. In dieses Geschäft greift der Philosoph nicht, denn er hat die Thatsachen als fertig constant vorauszusetzen. Je mehr in der Mythologie fortgeschritten wird, desto mehr entdeckt man die Gemeinsamkeit zu Erscheinungen. Wie man sich nicht begnügt, die bloßen Erscheinungen ohne das Wesen kennen zu lernen; so verhält es sich auch in der Mythologie. Hermann ist vor allen anderen Philologen zu nennen,... Zu bemerken ist, wie Horatius: „Ne Deus intersit, nisi dignus vindice nodus in ciderit".1 Schon durch diesen Titel ist dieser Wissenschaft eine Stellung angewiesen, es ist ein Zeugniß, wo objective Realität zu erkennen seyn wird, und zwar durch verschiedene Ansichten zu begründen. Gesetzt es ließe sich die Mythologie aus zufälligen Ursachen ihrem Ursprung und Inhalt nach nachweisen, so wäre die Philosophie der Mythologie nicht nothwendig; alle anderen Ansichten müssen zuerst ausgeschieden werden. Dazu wird eine bloße Aufzählung der Thatsachen nicht hinreichen, wir müssen uns der Totalität aller Ansichten ihrer Entdeckung nach bewußt werden. Eine solche Methode könnte eine von unten aufgestandene seyn, diese wenn die zweyte aufgehoben wird, dann wenn die dritte aufgehoben werden kann u.s.f.

H1810(?)

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118 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN

bis diejenige vernichtet würde, die nicht mehr aufgehoben werden kann, wenn also nicht mehr das Seynkönnen stattfindet, sondern die noth-wendige Wirklichkeit. Dieses Fortschreiten würde auch auf anderen Gründen beruhen, indem sie nur stufenweise hervorgingen. In aller My-thologie ist etwas gemeinschaftliches, übereinstimmendes; erst am Ende werden wir einsehen, was die Mythologie eigentlich sey; der Titel ist vor-läufig mehr [ein] Nomineller. Nur das Ursprüngliche gehört in unsere Mythologie; dies soll ein Gegenstand seyn, eine unbestimmte Menge ver-ehrter Persönlichkeiten, die mit den Menschen und der Welt in vielfa-cher Beziehung stehen, wir werden dies das polytheisüsche Element nen-nen. Im Allgemeinen ist die Mythologie Götterlehre, wenn in der griechi-schen Mythologie xpdvoc, adpocvöc, genannt wird, so ist dies ein ganz natürliches Element, Moment. Doch das Geschichdiche gehört mit zu dem Inhalt; es ist nichts zufälliges oder bloß von Außen hinzugekommenes. Die Mythologie ist also nicht bloß Götterlehre, sondern auch Götterge-schichte - Theogonie. Je tiefer wir anfangen, desto gewisser sind wir, kei-ne Ansichten ausgelassen zu haben. Denken wir uns an die Stelle eines solchen, der nie von Mythologie etwas hörte, und jetzt zum ersten Male einen TheU hört, fragen wir dabei, was empfindet* derjenige dabei? Wie habe ich es zu nehmen? Nothwendig geht derjenige von der ersten Frage zur zweyten: wie ist wohl die Mythologie gemeint? Dies heißt fragen nach ihrer Bedeutung. Un-1 sere Aufgabe ist, sie auf negative Weise zu begrün-den, auf positive Weise kann es nur durch die positive Wissenschaft ge-schehen, erst durch die der Ansicht entsprechende Erklärung kann die Mythologie gehörig verstanden werden. Hierbei mache ich drei Abstu-fungen: 1:) es ist nicht möglich 2:) möglich aber nicht glaublich 3:) glaublich aber nicht wahrscheinlich, nicht historisch. Eine tüchtige hi-storische Dialektik möchte noch immer [mehr] erkennen lassen, als die Willkühr, deren man sich oft bedient. Nach diesen Bemerkungen wird es darauf ankommen, die erste mögliche Ansicht über die Mythologie zu untersuchen und zu erklären. Wir sahen nun, daß man gleich mit der ersten Bekanntschaft nach der Mythologie fragt, welche Bedeutung sie habe? Der Grund, warum wir keine wirklichen Verhältnisse in der My-thologie finden, liegt ganz auf der Hand. Die Götter der Mythologie sind jedenfalls wenn nicht extramundaner doch praetermundaner Natur, die-se Begebenheiten überschreiten alle Geschichte. Nur diese Unmöglich-keit zu sehen, wirft die Frage auf: wie sey die mythologische Vorstellung zu verstehen? Schon in der Frage liegt die Vorstellung, daß die mytho-logische Vorstellung auch nicht als möglich betrachtet werden kann. Es ist demnach die Möglichkeit vorhanden; die zweyte Möglichkeit wird

* H: empfiehlt

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MITSCHRIFT CHOVÄTS 119

sodann eine Nothwendigkeit, bloß dabey, daß die Vorstellungen im Ent-stehen nicht als Wahrheit zu denken sind, wie waren sie denn? Selbst der Irrthum meint Wahrheit zu haben. Es ist nun eine Antwort, daß sie bloße Dichtung und poetisch entstanden sey. Jeden stellen sich gleich die Schwierigkeiten dar, der sich zur Erklärung dieser Vorstellungen setzt. Wäre [es] denn so, so könnte unser Resultat nur zufällig seyn. Andere die mehr als einen idealen oder poetischen Sinn finden wollen, fürchten sich vor der bloßen ersteren Ansicht, andere wollen dies auf einen phy-siologischen Sinn beziehen, ein Werk von Moritz ist hierzu zu empfeh-len.2 Unbeschränkt genommen würde die poetische Erklärung den Sinn haben, daß sie darum erfunden sind, um einen unbegreiflichen Trieb zur Poesie zu befriedigen. Diese Ansicht schließt jeden doctrinellen Sinn [aus]. Dagegen ist dies einzuwenden: Die wahre Poesie hat nicht weniger eine Grundlage aus den Begebenheiten des Lebens, das sogenannte Wun-derbare in der heiligen Geschichte kann nichts dagegen haben; der Göt-terglaube scheint der Grund der Poesie gewesen zu seyn. In Folge dieser Bemerkungen würde sich die poetische Wahrheit so herstellen, daß sie nur etwas zufälliges sey, wie in einem Märchen, man kann sich eine sol-che Dichtung vorstellen, in der That ist dies die eigentliche Mythologie, die die täuschenden Töne hervorbringt. Das System scheint sich in der Mythologie zu zeigen, bei den Neuplatonikern heißt es: die Materie, wenn man sie sucht, entflieht sie, aber mit der absichüich hineingelegten An-sicht kann die Mythologie nicht erklärt werden; jeder Sinn ist potentiell, er liegt wie in einem Chaos. Bei der bloßen poetischen Erklärung stehen zu bleiben, wer würde dies nicht wünschen, wer dachte sich nicht gern ein Menschengeschlecht mit der ganzen Phantasie im Reich der Fabelwelt. - Wir haben jetzt das Verhältni s der Mythologie zur Poesie zu behan-deln. Hier[her] möchte vor Allem die berühmte Stelle von Herodotos gehören, bei welchem die Entstehung der Götter herrlich dargestellt ist, diese Theogonie ist bloß von Dichtern besungen worden, aber etwas Geschichtliches muß ihr doch zum Grunde liegen, wo wieder nur die Sache der Göttergeschichte gemeint ist. Schon Homeros kennt Tempel, Altäre, Opfer als etwas Altes, eben darum meinten einige: „Homeros stelle die Götter bloß als dichterische Wesen dar." Herodotos aber erklärt I sich so: woher ein Gott stamme, sey erst seit gestern gewußt, jedem war seine Ehre und Gestalt zugewiesen worden; - jene Götterlehre verdanken aber die Griechen besonders dem Hesiodos, der am berühmtesten davon ge-sungen hat.3 Offenbar liegt in der Theogonie das Schlagende; die Götter sind also nur zur Entfaltung aus dem Chaos gekommen, in Potentia ist die Göttergeschichte nicht poetisch entstanden, da sie gleichsam im Keim eingewickelt war. Für unsere ganzen Untersuchungen ist dies schon ein Resultat; der Grund der Mythologie ist also nicht in der Poesie. Wie läßt

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120 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN

sich dies nun behaupten, daß Homeros die Göttergeschichte machte? Mit der Entstehung derselben beschäftigt er sich nicht, die Götter sind nicht mehr werdende, sondern daseiende Wesen. Alles wird als ein Gegebenes vom Poet - Homeros - behandelt; von Hesiodos könnte man dies zwar früher behaupten, daß er die Göttergeschichte machte. Dies muß man also zugeben, durch die Poesie von Homer sind die Götter nicht entstan-den. In dieser Behauptung müssen wir auf eine Stelle [Herodots] Rück-sicht nehmen: Es ist die Absicht des Geschichtsschreibers, die Neuheit der Göttergeschichte darzuthun; hieraus folgt, daß Herodotos nur eine Zeit bezeichnet, er vertheilte ihnen die Ehre; Herodotos sagt von beiden Dichtern dasselbe, was Hesiodos von Zeus; Herodotos konnte [es] so sagen, weU er der Vertreter einer ganzen Zeit ist. Die Pelasgiatische Zeit ist die Zeit der stummen Götter; in diesem Zustande hatte also das Be-wußtseyn ein bedrängtes Verhältniß. Poesie und Mythologie entstehen zu gleicher Zeit, umgekehrt ist auch die Göttergeschichte nicht eher da gewesen, als die Poesie. Wir gehen nun einen Schritt weiter: in Homer sehen wir die Götter entstehen, das Religiöse funkelt gleichsam in seiner Neuheit; diese Crisis vollzieht sich in den Dichtern" selbst; sie ist es, die das homerische Gedicht gemacht; es ist also die in das Bewußtseyn fallen-de Göttergeschichte; und so hätten wir den Geschichtsschreiber bis auf die dunkelsten Stellen gerechtfertigt; so zeigt es sich vorzugsweise in der Volkspoesie. Gehen wir weiter zurück, so schließen sich die Indier an; die Indier sind das einzige Volk, welches einfach für sich zur Entwicklung gelangte; derjenige mußte alle Entwickelungsstufen ignorieren, der die Indier erhebt und zum Urvolk macht; diese Erhebung wäre eine teleolo-gische1' Anschauungsweise; es ist bequem ein Volk oben an zu stellen und äußerlich zu fassen, wenn man z. B. die indischen Mythen vermischt. Eine solche kritische Theorie anzuwenden kann unmöglich fortdauern. Wil l man Volk als Volk erforschen, so muß man umsichtig in der kritischen Theorie seyn. Wäre Mythologie eine poetische Erfindung, so wäre [es] auch die Indische; dagegen wollte man die indische Götter nicht genug poetisch finden, wie es bey Goethe geschieht. Unerklärt kann man sie nicht lassen, mit einem Geschmacksurtheil ist es nicht abgethan, kurz man muß sie erklären, sie sind einmal da. Der Unterschied zwischen indischen und griechischen Göttern ist: die griechischen Götter sind freier, poe-tisch verklärter, unabhängiger als die indischen. Eigendiche Poesie findet sich außerdem nur bei den Indiern, wo das Doctrinelle vorherrschender ist, als bei den Griechen. Den Ägyptern scheint die Poesie ganz zu fehlen, ihre Götter sind in den verschiedenen colossalen Bausäulen versteinert,

H: Göttern H: geologische

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MITSCHRIFT CHOVATS 121

aufbewahrt, doch nirgends zeigt sich Poesie so ursprünglich, wie manche sagen. Der Poesie setzt aber vielmehr einen früheren Entwickelungsproceß voraus. Zur bloß poetischen Ansicht haben wir darum unsere Zuflucht genommen, weil wir unmöglich finden, solche Vorstellungen für wahr zu halten und anzunehmen; eine bloß zufällige Wahrheit konnten wir zwar annehmen. Wir sehen uns genöthigt zu behaupten, daß in der Mythologie ursprünglich auch eine I Wahrheit gemeint war; aus diesem Grunde aber werden wir [uns] nicht so leicht entschließen, diese Wahrheit als solche anzunehmen. Hier gibt es verschiedene Abstufungen, denn man behauptet auch, daß hier an Götter nicht gedacht wurde. Schon im Alterthum gab es Philosophen, die die Existenz von Göttern annahmen, zwar nahmen sie sie für Persönlichkeiten an, aber nur für vermenschlichte Götter; diese Erklärung setzte also eigendiche Götter voraus: Epikur glaubte an solche Götter. Manche Gelehrte suchen wieder diese euemeristische Methode auf; hieraufist zu verweisen [auf] Hüllmans Mythologie4; hier sind eigendich nur Naturkräfte gedacht, die in Göttern poetisch personificir t wurden. Diese Deutungen sind vorzugsweise die allegorischen. War indes einmal Mythologie vorhanden, so konnten solche analytischen Personificationen wieder nachgebildet werden, aber wie schwach erscheint es. Ein solches Nachentstehen der Götter müssen wir zwar zugeben, wie es in Beziehung auf Sitdichkeit geschah, darum wollen wir dies später tiefer untersuchen. Diese Ansicht nimmt an, daß in der Mythologie eine Wahrheit enthalten sey, aber keine religiöse Wahrheit; allein sie setzt eigendiche Götter voraus. Auf einzelne Mythen könnte es wohl angewendet werden, uns ist es aber [darum zu tun,] das Ganze darzustellen. Die zweyte Meinung ist: man hat nur moralische Personificationen in Naturerscheinung darstellen wollen, so Calderon war auch dieser Meinung, dasselbe thaten auch die Jesuiten.5 Als Symbole sind die Mythen in neuerer Zeit in Hofdichtungen gebraucht worden. Was das Physicalische betrifft, so ist das Materielle nicht zu läugnen; daß die physicalischen Deutungen möglich sind, beweist, wie hoch die Mythologie steht, ja man ist in Verlegenheit zu sagen, was sie bedeute oder nicht. Zur Zeit der alchemistischen Theorie mochte dies so erklärt worden seyn: oeA.rfvr| [...] war das Symbol des Silbers in der Alchymie, die Sonne des Goldes; heut zu Tage beschäftigt die Physiker der Electromagnetismus. Man möchte solche Erklärer erinnern an Kants Anektode von einem WUden, der zuerst eine entstöpfelte Flasche sah, und den heraussteigenden Schaum bewunderte.6 Dann ging man noch weiter zu einer physicalischen Cosmomythologie. Vielen ist die Mythologie ein System von PhUosophengebilden; man fragt, wie kamen die PhÜosophen dazu? Sie haben den Stoff nicht gewählt und aus Armuth der Sprache nahmen sie reale Personificationen an, von denen sie sehr gerührt waren; die Personificationen sind einmal da und

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122 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM BERLIN

manche glauben, daß diese Mythen sich zur Unterhaltung und Märchen umkleiden lassen. Es scheint ein bemerkenswerter Umstand, daß den Griechen der Götterursprung nicht klarer war als uns; schon zu Piatons Zeit sind solche Deutungen vorgekommen; ganz ähnlich sind die Aca-demiker bei Cicero in Bezug auf die Stoiker, daß sich die Ansichten in historische und physicalische theilten; die Neuplatoniker bemühten sich kaum tiefer auf die Mythologie einzugehen, offenbar hielten sie dieselbe für eine Offenbarung7; so eben erzählt Gottfried Hermann Dissertationes de mythologia Graecorum antiquissima: „Da ich nichts erschleichen und nicht überraschen will , so will ich die Acten ihrem eignen Urtheile vorle-gen. Eine Mythologie scheint auszudrücken, daß sie sich auf Prädicate beziehen, doch diese Namen sind nur Bezeichnungen des Gegenstandes; hält man sich an dies reine wissenschaftliche Verständniß, so entdeckt sich ein inneres Zusammenhängendes; dieser wissenschaftliche Zusam-menhang kann nicht zufällig seyn, sondern absichtlich. Es waren einmal unter einem unwissenden Volke einzelne über das Gemeine sich erhe-bende Männer, welche Kräfte der Erscheinung beobachteten, und den Zusammenhang darzustellen suchten; sie wollen also nur den Begriff, z. B. wenn wir den Hagel KÖTTOC, einen der 100 armigen Riesen, Schnee, daß er lastet, den Regen [den Furchenmacher nennen] etc. Der Gegen-stand ist also nur I grammatisch personificirt."8 So weit erkannte Her-mann etwas poetisches in den Darstellungen; es gibt auch solche Volks-witze z. B. nennt der deutsche Bauer einen starken blasenden Wind den heUigen Blasius; Brand - Brenner; den Fallenden - Valentinus, hydrops Entropius etc. Hermann sucht nicht eine Theorie von Hypothesen, son-dern eine reiche lange Erfahrung und tiefe Weisheit in den Mythen; 9

Man muß also den Anfang festhalten, um den Geist des Ganzen aufzufas-sen. Den Anfang der Theogonie bei Hesiod erklärt Hermann so: Dieser alte PhUosoph wollte von da, wo es nichts war, ausgehen, der von aller Materie endeerte* Raum, diesem kann natürlich nichts folgen, als was wirkt, woraus etwas wirkt: nachdem das gesetzt ist, so fehlt noch das dritte, durch welches alles geschieht, dies ist das Band e'pax;. Und nun, nachdem [der] Philosoph die drei Sätze gestellt hat, kann [er] die Schöpfung annehmen: so e'peßoc., was die Finsterniß bedeckte; v\5£ richtig Nacht; diese beiden erzeugen Äther und Tju.e'po:, so Klarheit und Heiterkeit sind Kinder der vtä,. Der gröbere TheU wird angedeutet durch Berge, so ist die Bedeu-tung der Erde, sie ist Erzeugniß ist Okeanos, nicht Weltmeer; dieses be-gleitet eine ungeheure Menge der Elemente, die paarweise zusammenge-stellten Titanen: Kpto'c, und KOtoc, der Scheider und [Menger; Hyperion und Japetos, der Steiger und] Stürzer, Theia und Rheia, Themis und

H: erfülle

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MrrscHRiFT CHOVÄTS 123

Mnemosyne, Phoibe und Thetis; Kronos der Vollender von Kpctfvoa vollenden.10 So ist nun hier durchaus wissenschaftlicher Zusammenhang und zwar die ächte Philosophie, die alles natürlich erklären will , und wenn man bis an die ersten Anfänge zurückgeht, so müssen wir urtheüen, daß die Absicht des Verfassers [eine] polemische, gegen Götter gerichtete ist. Übrigens bezieht Hermann seine Erklärung nur auf mythologische Götter, nicht überhaupt auf [den] Ursprung der Götter. Ein solches Volk, unter dem solche Philosophie entstand, konnte nicht ähnlich seyn mit den Wilden des südlichen Amerikas", die Menschen sind ohne aller Göttervorstellungen. Des Volkes Religion, wie Hermann bemerkt, war schroffer Aberglaube, daß die Götter nur Natur und Kräfte sind, es erklärt sich, warum Mythologie bisher unbegreiflich war! Wäre nun die edle Absicht der Theogonie erreicht, so ein Mann könnte sich freuen, gefunden ein Geschlecht, was alles natürlich erklären wollte Dies begreift sich doch einigermaßen, wie die Götter oder sinnlose Namen sich erklären. Wir nehmen diese Ansicht vor, weil sie möglich ist, und weil sie für uns etwas wichtig[es] hat, denn einer Meinung liegt gar nichts Wahres zu Grunde. Wir können also diese wissenschaftliche Bedeutung bloß als poetische Bedeutung annehmen; diese wissenschaftliche Bedeutung ist auch eine Thatsache, zumal in der Wahrnehmung können wir nicht umhin. Nur damit, daß Hermann gleich bereit ist, dieses wissenschaftliche Bewußtseyn poetisch anzunehmen, glaubt(?) er, es dem Urverfasser des Urgedichts oder der Lehre beizulegen. [Da] Hermann aber Theogonie nicht in der griechischen, sondern in einer orientalischen Sprache annahm, darum liegt sie vor uns nicht im Geiste des Hesiodos. Hermann konnte nicht auffassen, daß gerade der Anfang so unpersönlich, unmythologisch ist. Die Berge waren bei ihnen Individuen, aber nicht Personen, wie später der Name Titanen auch mehreren gemeinschaftlich war. Bei Hermann bedeutet e'peßoc; Ort der Dunkelheit, wie bei großen Bergen ist persönliche Benennung, so ist hier bei e'peßoc, künsdich mythologisiert. Die Kinder des Erebos und Nyx sind rjue'Pa und Äther, Äther ist aber keine mythologische Persönlichkeit, zwar Anrufung des Äther kommt öfters hervor. Unter den Enkeln6 der verderblichen vü£, finden sich I zweydeutige Worte. Aber vor allem hätte Hermann gleich den ersten Vers der Theogonie annehmen [sollen], der die erste Regel einer freien Phdosophie verkündet. Es ist zu bedauern, wie das grammatische Princip der Persönlichkeit gleich im ersten Verse verschwindet; also Äther etc. sind offenbar philosophische Begriffe, aber solche, die jetzt entstanden sind; er

H: Afrikas b H: Engeln

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versichert, daß Hesiodos nicht etwas Wissenschaftliches vortragen woll-te." Der Begriff des Chaos ist eigendich ein speculativer, aber nicht Zeit, die der Philosophie der Mythologie vorausgeht, sondern die aus ihr her-vorkommt. So wenig als Poesie ist die Philosophie der Mythologie vor-ausgegangen Welche Unglaubwürdigkeit ist bei Hermann? Viele Na-men verbindet er miteinander, das ist aber unbegreiflich. Wir haben zwey Meinungen: 1. In der Mythologie ist keine Wahrheit. 2. es ist eine Wahr-heit in der Mythologie; wir haben diese Meinungen jede für sich zu be-urtheilen; aber eben darum ist das, was beiden gemein ist, nicht [schwer] zu beurtheilen. Diese zwey Annahmen könnten zwar unhaltbar seyn, so müßten wir [uns] dieser beiden gemeinschaftlichen Voraussetzung be-wußt werden, nämlich, daß die Mythologie eine Erfindung sey, eine poe-tische oder philosophische Erfindung. Von beiden Erklärungen schließt keine die andere aus: eine Hypothese nimmt nicht beabsichtigten Sinn, andere beabsichtigten zufälligen an; ohne dem scheint dies alles, daß in der Mythologie alles Thun und Lassen enthalten sey, poetisch zu seyn, ob beide Elemente zu einer höheren Stufe zu erheben sind. Es ließe sich fra-gen, ob die Poesie und Philosophie an sich so aus einander sind, ob nicht in beiden eine Anziehungskraft bestehe? Es wird von wahrhaft poetischer Gestalt nicht weniger* Nothwendigkeit gefordert, als von philosophischer. Wenige sind wahre Dichter, andere sind nur so genannte. Die Philoso-phie hat die Aufgabe, nothwendige Principien aufzustellen, in rein philo-sophischen Gedanken kann etwas seyn, was auch poetisch gefunden wird. Wie in Mythologie geboren ist nach verschiedenen Richtungen, so wenn die erste Spur der Philosophie und Poesie in Hesiodos zu bemerken ist, so bey allen Poeten. Man war versucht die monas nicht als Wesen, son-dern als Persönlichkeit hervor[zu]heben. Uns soll nicht begegnen, was Hermann bei [der] Erklärung [von] Hesiodos begegnet ist; man muß un-terscheiden, was den ursprünglichen Stoff der Mythologie ausmacht. Es ist in der Mythologie ein philosophischer und poetischer Versuch; in der Bildung der alten Sprache läßt sich ein Schatz der alten Philosophie ent-decken. In jenem emphatisch zu nennenden Satz: „a ist b", in „ist" ist Bedeuttmg: a kann b seyn und b kann a seyn, die Copula ist Beweis von zwey Möglichkeiten. Eben so sind die Benennungen mancher geistigen Umstände, namendich die arabische Sprache hat solche Bedeutung. ... Es geschieht, daß Untersuchungen anderer Art uns auf einen Punct stel-len. Die Wurzeln der semitischen Sprache sind zweysilbig, so kann man nicht vermeiden zu sagen, es sey hier der philosophische Begriff ausge-sprochen, so hatte der Geist der hebräischen Sprache auch [ein] Zeitwort schon gedacht im Worte: „Vater". Da sich ohne Sprache kein menschli-

H: mehr

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MrrscHRrFT CHOVATS 125

ches Bewußtseyn denken läßt; so ist ihre Tiefe sehr groß, mit der Sprache ist [es] so wie mit [dem] Organismus. Ist aber etwa Poesie auch schon in materieller Sprache erkennbar, welche große Schätze in sich hält I... Nach allem diesen können wir sagen, daß in [der] Entstehung der Mytho-logie eine Poesie war, aber mit Philosophie verbunden, oder es war Phi-losophie, aber nicht frei[e]; so war in der Mythologie eine Wahrheit, aber zufällig. Die Mythologie wäre dann nicht nur ein natürliches, sondern ein organisches [Erzeugnis] gewesen. In Poesie und Philosophie ist ein Prin-cip der freien Erfindung, eine bestimmte Art der Erfüllung, den tiefsten Sinn, und reale Beziehung. Dies wäre das Höhere, wozu die beiden Erklä-rungen hingehen In der Mythologie ist eine durchwirkende Phdoso-phie. Was ist das Höhere? Dies ist es, wodurch die beiden verbunden werden, das poetische, dichterische und wissenschaftliche. Inwiefern keine von diesen erfunden sey, damit ist die Möglichkeit gegeben, beides zu erklären. So könnte die höhere Auffassung wirklich geschehen. Die-ses außer bei den Liegende muß außer beiden seyn, also wäre eine freie Erfindung ganz entgegengesetzt. Der Fehler beider Erklärungen [ist] in [der] gemeinschaftlichen Voraussetzungen beider, daß in der Mythologie keine Wahrheit sey. So könnte einer wohl Hellsehen" vorschlagen, so wäre Traumzustand nicht unangenehm, der Wahnsinn wäre nicht auszuschei-den15; aber was wäre mit diesen Begriffen gewonnen? Nicht das Gering-ste! Denn die Mythologie ist vor allem das geschichtliche Element. So ist auch damit noch nichts gewonnen, denn dieses müßte nun bezeichnet werden, was in der Philosophie vorherrschend ist. Eben diese Bemerkung erinnert uns, daß wir [uns] bloß mit der abstracten Voraussetzung be-schäftigt haben, jetzt werden wir äußere voraussetzen Daß die Mytho-logie eine Erfindung und von Einzelnen erfunden sey, ist schon abge-wiesen', eine Mythologie einzuführen ist nicht leicht geworden Frei-lich ist die Mythologie nicht von Einzelnen erfunden, sondern sie ist vom Volk entstanden Man erkennt [es] doch an der Existenz einer Volks-poesie, die älter ist als alle Dichtkunst und in Sagen, Märchen besteht. Gewiß gäbe es eined Wahl zwischen einzelnen und Volk, wer würde wo-für sich jetzt entscheiden? Desto mehr mag man zusehen, ob hier auch eine Stillschweigung sey. Der critische Geist unterscheidet sich vom un-critischen, daß er' alles hervorzieht, was unerklärtes, unerörtertes war. Das Volk ist doch ein Volk und eine Gesamtheit, also unter jedem Volk

SWXI, 55. H: HöUersee b H: auszuschneiden c H: gewiesen d H: keine H:der

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ist die Mythologie nicht von Einzelnen, sondern von der Gesamtheit aus-gesprochen. Die Mythologie ist Sache nicht eines Volkes, sondern vieler Völker. Hier tritt also vor die Gemeinschaft der verschiedenen Meinun-gen die Verwandtschaft der Thatsachen. Dies denkt man nicht aus Um-ständen einer Art. Etwa auf diese Weise, daß die Mythologie von einem Volke zu andern sich verbreitet hat, allerdings mit Modificationen. Her-mann findet hier soviel Übereinstimmendes mit dem Orientalischen, daß er meint, es sey auf einmal entstanden, seine Standhaftigkeit wird darum nicht erschüttert. Sollten wir aufrichtig auftreten, so erinnern wir uns an [die] Fabel von Io, die von Zeus geliebt wird. Was kann, sagt Hermann, die Enkelin des Oceanos anders seyn, als ein durchströmendes, fort-fließendes Gewässer, etymologisch heißt Io Wandlung.12... I... Es sind auch andere, welche gerade ohne Voraussetzung, ohne Specialität das-selbe erklären, daß die Mythologie nur ein Phaenomenon sey. Die Art der Übereinstimmung widerspricht der Annahme, sie deutet hin auf ei-nen Ursprung, wäre die Vorstellung der griechischen Demeter von ägyp-tischer Isis seyn, so wäre Isis eine geraubte Tochter,... Wenn man daher die großen Thatsachen achtet, so bleibt anzunehmen, daß in Folge einer allgemeinen Nothwendigkeit die Mythologie unter jedem Volke für sich entstanden sey, aber damit wäre vorausgesetzt, daß die Mythologie in oder unter einem Volke entsteht. Ist es aber möglich, daß die Mythologie in einem Volke entstehen kann? Erst muß man sagen, was ist das Volk. Die Gemeinschaft des Bewußtseyns macht das Volk, es scheint unmöglich, daß in einem vorhandenen Volke die Mythologie zu ihm käme, weil es undenkbar ist, daß es Volk sey ohne Mythologie. Alles zwar wie Götter, Ackerbau", Sitten, Obrigkeit, Gesetzgebung gehört zu einem Volke, ob aber dies alles sein kann ohne religiöse Vorstellungen, ohne Mythologie? Die Menschen des südlichen Amerikas waren ohne religiöse Vorstellun-gen. Sie reden wenig von Gemeinschaft, da sie keine sichtbare oder un-sichtbare Macht anerkennen, ja sie leben wie Thiere ... Wo ursprüngli-che Einheit [und Gemeinschaft des Bewußtseyns fehlt, keine] sich her-vorbringen läßt, da läßt sich kein Volk denken.6 Es wäre ungereimt, daß ein Volk ohne gemeinsame Sprache seyn könnte. Jedes Volk hat ein Urgesetz, welches [die] ihm angeborene Weltansicht seyn kann, diese aber kann nicht ohne Mythologie seyn, es ist unmöglich, daß die Mythologie unter einem Volke entstehe, denn sonst man muß das Volk voraussetzen. So Hellene müßte vor Hellenen seyn! Nein! [Der Ägypter] wurde Ägyp-ter, indem er die Mythologie hatte.... So [wie] in der Mythologie der al-ten Indier ihre ganze Geschichte enthalten sey, entsteht also die Geschich-

H: acker b XI , 64

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MITSCHRIFTCHOVATS 127

te als sein individuelles Volksbewußtseyn mit der Mythologie zugleich, also kann die Mythologie nur mit den Völkern überhaupt entstehen. So werden wir [zur Frage] geführt: wie die Völker ent stehen? Es ist nichts anders zu finden, als das, wie die Völker entstehen? Man könnte antwor-ten: die Frage sey überflüssig, die Völker waren von jeher; es gab also keine" Zeit, wo keine Völker waren; die Frage sey überflüssig, die Völker entstehen von sich selbst, dies führt6 auf die Stämme, aber die Stämme sind kein Volk, wenn sie auch verschieden zertheUt sind, und wenn sie zertrennt sind, so entstehen nur gleichartige Zweige, die Stammeseinheit geht nicht in verschiedene Völker über, Völker aber sind von Geburt an ungleichartig, überhaupt kann man die Entstehung der Völker nicht ge-schichdich ähnlich erklären. Die Geschichte ist nur seit Entstehung der Völker, unter allen gibt es gegenseitige Angriffe, ohne daß sie Geschichte haben. Durch welches die Menschheit in Völker getrennt wird, sind die Ursachen innerlich im Menschen vorhanden. Um diese Gewalt zu bezeich-nen, könnte man sich darauf berufen, was schon Horaz sagt, man könnte sich erinnern an die verheerenden Krankheiten ... so können anfangen-den Divergenzen oder entstandene Krankheiten Ursache der Verschie-denheit seyn ... in Völkern muß etwas Zusammenhängendes seyn, nicht sollte dies etwas physisches seyn, nicht die Reduction der moralischen Differenzen auf physische IncompatibUität. ... Eine größere physische Divergenzentwickelung läßt sich nicht denken, als in dem I Unterschiede zwischen Menschenrassen. Die Annahme der gemeinschaftlichen Entste-hung aller Völker hat viele Schwierigkeiten; wir können nicht behaup-ten, daß unsere Richtung ganz anders wird, nicht etwa zu Gunsten der überlieferten Lehre, sondern [der] Vernunft. Dagegen könnte eine an-dere Ansicht von der Entstehung der Menschenrassen entstehen. Hier-her gehört die Trennung der Menschheit in Völker, es ist aber nicht er-wiesen, daß dieser Proceß der Entstehung der Menschheit vorausgegan-gen sey, [daß] er in einem Theü der Menschheit stattgefunden hat...

Die Indier sind also Beispiel eines Volkes, daß die Rassen nur Abt-heilungen des Volkes, aber nicht [das] Volk selbst sind. Dies sind nur einige Andeutungen. Der Rasseproceß war eine begleitende Erscheinung, andere Thatsachen können hier nicht angeführt werden. Um vom Physi-schen wegzukommen, nehmen wir eine allgemeine Erfahrung: eine geisti-ge Bewegung, welche gewisse physische hervorgebracht. Schnurrer.13

Wenn nun also physische Differenzen im Menschengeschlecht sich fin-den, diese nur aus geistigen Differenzen hervorgebracht waren. Wenn wir eine Zeit annehmen, wo Völker unzertrennlich waren, so muß ein

H: wirkte b H: eine

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Princip gedacht werden, wovon die Völker zur Entwicklung oder nicht zur Entwicklung fortgegangen sind. Sie sind geistig unterschieden, aber doch zusammenhaltend. Was sie trennt, sind tiefe innerliche Differenzen, die Menschheit wäre in ursprünglicher Homogenität geblieben, ohne eine geistige Crisis, die allein stark genug war, die Menschheit in Völker [zu] zersetzen.... so können wir uns wundern, wie etwas nicht unmittelbar erkannt worden ist. Durch Sprache sind [Völker] innerlich getrennt, die ist aber etwas Geistiges. Ist die Verschiedenheit der Völker etwas ent-standenes, so kommt dies von Verschiedenheit der Sprachen, wenn eine Zeit war ohne Verschiedenheit der Völker, so war keine Verschiedenheit der Sprachen. Der Völkerentstehung muß eine geistige Crisis vorausge-hen; hier treffen wir mit Genesis zusammen. Die Absicht der Erzählung der Genesis* ist, nicht nur die Verschiedenheit der Sprachen darzustel-len, vielmehr aus wirklicher Erinnerung Geschöpftes. Diese wirkliche Erzählung ist eine Reminiscenz auf [die] mythische Zeit. Dieser Mythos, wie man die Erzählung nennen kann, hatte [den] Werth einer wirklichen Überlieferung, der A. T. Erzählung von der Schöpfung knüpft sich an ein Unglück.14 Wir sollen von diesem allen abstrahieren. Diese Erzählung ist ein Ereignis, darin liegt die Wahrheit, die Völker entstehen durch die Länge der Zeit. Es sind zwar einzelne Menschen ohne religiöse Vorstel-lung, ohne Mythologie, aber die sind ohne Bewußtseyn. Es muß jedem anheim gegeben werden, ob er diese Frage: wann die Völker entstanden? für überflüssig hält. Wenn man annimmt, daß mit [dem] Volke entstand die Mythologie, so mußte [es] eine Zeit geben, wo keine Völker und Mythologie waren.... sofern geistige Differenzen sich entwickeln, so war die Trennung unvermeidlich. Die folgende Trennung der Völker ist auch durch geistige Macht geworden. Durch die Verschiedenheit der Sprachen ist auch etwas geworden, diese Entstehung der Sprachen geschah nur durch geistige Crisis der Macht. Eben darin besteht die Wahrheit dieser Erzählung, daß diese Entstehung ein wahres Ereigniß nicht ohne Ur- I Sachen geworden ist. Die Völkerentstehung ist [dem alten Erzähler]6 ein Gericht, eine Crisis. Die Verwirrung der Sprachen läßt sich nicht ohne [eine Erschütterung des] Bewußtseyns denken.... Aber auch die Ver-wirrung konnte nicht rein seyn, [es] mußte das Bewußtseyn erschüttert werden. Wir kennen nicht jene Zeit, wo [ein] homogenes Geschlecht

existirte, von der man erzählt Eben diese geistige Macht, welche die Menschheit auf vollkommene Gleichartigkeit erhalten hat, muß wankend werden. Es ist erst anzusehen, daß es ein Princip im Bewußtseyn seyn muß. Wo zwey Prbcipien sind, dort ist immer eine Entwickelung, und

H: die absichtliche Erzählung der Genesis b H: Die Völkererzählung

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MTTSCHRIFTCHOVATS 129

fortwährend. Ein solches Princip, das kein anderes zu sich ließ, ein un-endlic hes, dies ist nur Gott. Nur die Macht Gottes wird im Bewußtseyn erfüllt, ein Gott, der die Menschheit bewegt, kann jenem Zustand eine Dauer geben, wenn es eine Zeit gab, wo keine Völker waren. So lange ein Gott das Bewußtseyn beherrscht, so lange bleibt das Bewußtseyn Gottes. Mit solchem war eine Einheit der Völker möglich." Mögen sich andere Ursac hen ersinnen6 lassen, was die Trennung der Völker machte, war entschiedener Polytheismus. Diese Bestimmung des innersten Vorgangs ist bei Moses nicht geliefert, aber Polytheismus angedeutet! Daß sie als Schauplatz der Verwirrung [Babel] andeutet, als den Ort, wo [der] Kelch sich gefüllt, von dessen Wein die Völker trunken waren', wie der Prophet sagt. Der Begriff des Völkerthums ist so viel als Heidenthum, denn Babylon wurde als Heidenhauptort angesehen. Jetzt hat man versucht [für den Namen] jener Stadt andere Ableitung [zu] finden, von bab Pforte, aber dies ist arabischer Dialect, darum heißt es Babel, daß der Herr die Spra-chen verwirrt hatte. Das Wort kommt gewiß von Babel nachahmend, oder Balbel, griechisch barbaros von chaldäisch bar - extra abgeleitet; bei Römern hat Wort barbarus nicht so allgemeine Bedeutung—" also alles bezieht sich auf die Sprache. Wie kann der entstehended Polytheismus als unmittelbare Ursache der Verwirrung der Sprachen seyn? Das Ver-dienst der Forschung ist nicht nur die Fragen aufzulösen, sondern ein Neues hervor[zu]heben, aber gerade [dies] wird uns verhindern, ober-flächlich zu handeln.... Die Umwandlung des pelasgischen Wesens ins Hel-lenische war der Übergang in entwickeltes mythologisches Bewußtseyn. Affectionen des Sprachvermögens, - mit Zungen reden in Corinth -, was konnte diese Erscheinung anders seyn, als die Folge einer religiösen Affection. Diese sind Principien von allgemeiner Bedeutung. Wir wollen doch eine merkwürdige Parallele erwähnen: öuoYXxDooi'a im Pfingst-feste16..., die anderen Parallelen aus persischem Leben. Mag es nicht als überflüssig erscheinen, wenn wir sagen, daß eine Trennung der Völker war, denn nur eine Macht konnte es seyn, die jene Völker auf [den] Schau-platz [der Weltgeschichte] stellen [konnte]. Jedenfalls ist klar: Völker-entstehen, Sprachverwirrung sind AT.-Begriffe. Der Ursprung der Mytho-logie wird in dem Übergang seyn, da es noch kein Volk war, aber in Be-griff [war,] sich [zu] entwickeln, nicht rein von anderen Sprachen ein wahres yTubaoaiq bei jedem Volke vorausgesetzt werden muß. ... was wir bei Herodot Denken sollen, die Pelasger sind nichts anders, als in

H: unmöglich b H: scheinen ' ,der güldene Kelch sich füllte, der alle Welt trunken gemacht* Jerem. 51, 7 d H: entschiedene

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Hellenen übergangene Völker. Von dort her, wo die Sprache nicht war, war zwischen Materiellem und Formellem kein Unterschied. Einige Spra-chen sind Dialekte einer Sprache; andere gehören zur [selben] Formati-on wie Sanskrit, Latein, Deutsch; allein es gibt Sprachen, die weder zum Stamm noch zur Formation gehören,... homogene Bestandteile sind nicht nur auf eine Art zu erklären, so arabische Worte im Spanischen und Fran-zösischen. Die zweyte, mögliche Erklärung ist, I [daß] aus der Formation in schon wirklich vorhandenem Volke keine Sprache entsteht, sondern mit dem Volke Es war das Gefühl dies zu trennen, was in sich bewah-ren sollte. Auch zu diesem extremen Zustand sind uns Belege erhalten, so jene aufgelöste Bevölkerung des südlichen Amerika, in ihnen jenen rohen Zustand zu erblicken, ist ganz unmöglich, so Beispiele der Völker, die aus Bildung in Barbarey gefallen sind. Wenn die Entstehung der Völ-ker erklärt wird, so müssen jene Völker erwähnt werden, die ohne sittli-chen Zustand sind, sie sind die Herde, die ohne Hirten herumirren. Ge-bräuche und Sitten beweisen nicht, daß sie Trümmer eines Volkes sind, denn aus Roheit [zu] Entwickelung, gesellschafticher Bildung [zu kom-men], ist nimmer möglich. Auch Stämme kennen wenigstens Eigenthum, aber kein möglicher politischer Vorfall kann ein Volk zu einem solchen Zustand absoluter Gesetzlosigkeit herabbringen, physische Ereignisse können seinen materiellen Zustand zerstören, nicht aber geistigen Zu-sammenhang. Die Völker sind nicht bloß durch Auseinandergehen zu er-klären, es muß eine Einheit angenommen werden,... Verwirrung entsteht nur, wo mißheilige" Elemente in einer Sache sich [nicht] zerstreuen.... Die Sprache hat etwas allgemeines, wo die Einheit vergeht, dort wird auch die Sprache verloren werden, diese Sprachen bewahren in sich ... Züge, Spuren der ursprünglichen Einheit, die Elemente, auf die man kommt, sind die letzten Elemente. Aber auch unter diesen ist [nach] Azara eine Sprache Guarani [eine] von Horde zu Horde, von Hütte zu Hütte, ihre Stimme ist niemals stark, nur leise; sie bewegen beim Sprechen keine Lip-pe, auf hundert Schritte hört man sie nicht.17 Ob aber solche Idiome noch Sprachen heißen? - Dieses Entsetzen [vor dem] Verlust eines Einheits-bewußtseyns gab die erste Anstalt in religiösen und bürgerlichen Rich-tungen ein, denn nach verlorner Einheit schließen viele sich zusammen6, durch specielle Gemeinschaft des Allgemeinen, die bei verschiednen Leu-ten so alt erscheint, als die Geschichte. Zweytes Mittel war Festsetzung der Doctrin, so haben Griechen [als] erste die Namen und [die] Natur [der] Götter erkannt, diese festgestellt, ausgesprochen, zur Doctrin aus-gebildet . . .. Äußerlich suchten sie sich zusammen [zu] einigen durch

H: mißfällige H: viele sich anschließen

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MITSCHRIFT CHOVATS 131

Festsetzung großer Städte, ehe die Sprache sie verwirrt" hatte. Sie wollten sich einen Namen machen, bis dahin waren sie also namenlos Mit den ersten festen Städten entsteht erst die Völkertrennung und Absonderung, hierher gehören also Werke, die Homer [und] Hesiod. schon segnen, so nennt Homer Tyros. Hesiod: Ihre große Kraft und Entwickelung durch Bau. Kunst war in ihrem Werke. Cydopische Werke bestehen aus Mau-ern und Zinnen, andere Betrachtung von Werken sind Grotten, unge-heure indische Tempel. - Dies alles ist als Text anzusehen, zu welchen der folgende Commentar geht, dies muß also in Unbestimmtheit gelassen werden, bis [es] sich selbst bestimmen wird, wir sollen es zum Bewußtseyn bringen, ergreifen das, was geschichtlich dargestellt wird. ... Die mytho-logische Vorstdlung muß als Wahr-1 heit, als rdigiöse Wahrheit darge-stellt werden. In der Zeit vor [den] Völkern finden wir [k]einen Gott im eigendichen Sinn, die religiöse Bedeutung ist also nicht ursprünglich, son-dern erklärt von anderen, nur daß die Bedeutung der Mythologie rdigiös seyn mußte. Sie suchten diese als eine zufällige darzustellen. Zwar kann die rein poetische Ansicht auch religiösen Ursprungs seyn. Noch ganz anders verhält [es] sich mit philosophischer Erklärung, die ursprüngli-che Religiosität ist hier gar nicht vorhanden, daß die Götter gefürchtete Wesen sind, und dies ist atheistisch, also alle bisher vorkommenden Mei-nungen [sind] als irreligiös zu betrachten, der Mythologie müssen solche Vorstellungen vorausgehen, die religiöse Bedeutung haben,... Eine dem Menschen eingepflanzte Kenntniß müßte den Menschen antreiben, den bestimmten Gegenstand zu besitzen. Nur auf diese Weise wird der Poly-theismus die Vergötterung der Natur. Ein mehr philosophisches Denken erhielt aus dieser notitia Dei insita als das Bewußtseyn Gottes in potentia, welches zu einem wirklichen Gott sich entwickelt. Dieser im Bewußtseyn bloß potentiell vorhandene Idee Gottes liegen etliche Momente zu Grun-de und sie sdbst kann nur actuell sich im Bewußtseyn regen, denn alsdann alle potentiellen Momente [sich] aufheben, verwirklicht [sie] sich dadurch in ihrer absoluten Universalität. Das Ziel der Bewegung ist immer die höchste Idee, also Gott, aber Bewußtseyn wird sich trennen, um zu höhe-ren Momenten fortzugehen und die höchste zu erreichen, wo der alle Momente überragende Gott ins Bewußtseyn treten wird. Diese Erklärung wäre die erste, wdche in der Mythologie ein inneres Bewußtseyn voraus-setzt, insofern würde sie sich der philosophischen am meisten annähern und auch daran wäre nicht [zu] zweifeln, daß die verschiedenen Mytho-logien sich aufeinander stellen, ohne daß darum jemand die Natur durch Entwicklung der Idee entstanden sich denken will . Ein solches System hat immer bloß logische Bedeutung und nachdem [die] Methode gefun-

H: sich bewirkt

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den ist, mechanisch sich [alles] vorzustellen. Um in der Mythologie einen solchen Gang zu vermuthen: wir können nicht das Ende aller Möglichkeiten ersehen: wir können uns unmöglich [zu] einem idealen Fortgang entschließen, sondern unsere Entwicklung fortsetzen, was in der letzten Theorie enthalten ist. In der Mythologie muß Vernunft seyn, aber nicht, daß die Mythologie bloß aus der Idee entstanden sey!... David Hume... zieht den Schluß, daß das religiöse Gefühl nicht in uns liegt, sondern in [einer] Neigung an eine Existenz einer höchsten Gewalt. In seiner Zeit war diese Idee ganz verloren; seine Absicht war, daß der Mythologie eine religiöse Lehre vor[her]gegangen sey. Diese kann ein wissenschaftlich gefundener Theismus seyn, aber Hume kennt keine religiöse Qudle als Theismus raisonnement, und wenn dieser entsteht, [so] entstdle [er] sich nicht zum Polytheismus.18 Eine Merkwürdigkeit ist dabey, daß er voraussetzt, was er bei Philosophie nicht voraussetzt, daß die Vernunft von Natur ausgeht, [um] zu dem Urheber [von] Allem zu gdangen. Dieser Theismus bei ihm ist [etwas] ganz gehaltloses ... I... es ist schwerer eine Wahrheit zu entdecken, als [eine] entdeckte zu beweisen. Die Beweise sind entweder grad und vollständig, so sind sie verbreitet oder sie sind abstoßend, so werden sie in Vergessenheit begraben werden....

Am Ende selbst was im A.T. einen wirklichen Theismus ausmacht, erklärt sich so: eine Nation erhebt sich zu großem Rang, wed sie die Meinung hegt, daß einer über die anderen' herrscht, so seine Attribute steigernd. So kann sich nicht läugnen [lassen], daß eine Grenze erlangt [wird] , [man] erhält eine Vorstellung von einem Wesen gleich mit dem, was wir Gott nennen; aber ein solcher Theismus ist gerade ein Atheismus. Aber auch jener Theismus eines intelligenten Welturhebers bei Hume6 ist zuviel inhaltslos, dieser müßte eine mehr inhaltsvolle, rein systematische Lehre seyn. Es bleibt noch eine 2te Annahme übrig, die, [daß eine religiöse Lehre] unabhängig von menschlicher Erfindung existirt, so ist ein neuer Erklärungskreis. Aber eher bemerke ich, wie wir die voraufgegangene Erklärung mit irreligiösem Namen fassen, so geht eine Erklärung vor, [wdche] die götdiche Offenbarung voraussetzt, die ein reelles Verhältniß Gottes zu den Menschen ist von der potentiellen, im Bewußtseyn liegenden Idee Gottes ausgehen. In der Offenbarungstheorie ist nicht von einer Idee die Rede,... Wenigstens sollte man an eine göttliche Offenbarung etwas stärkeres voraussetzen, als Träume, also nichts zweifelhaftes in sich und zweydeutiges Ein Entstehen der Mythologie muß angenommen werden, sobald eine Wahrheit erfunden sey, so kommt Herrmann mit [der] Offenbarungstheorie überein, er drückt sich zwar nicht

H: einer wie der andere b H: einer intelligenten Welt

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MrrscHRiFTCHovATs 133

so entschieden [aus]; außer Selbsterfindung und Offenbarung nimmt er drittes nicht an Dem natürlichen Gefühl konnte nur eine übernatürliche Thatsache StUlschweigen bringen. Wenn man die Mythologie als eine entstellte Offenbarungswahrheit annimmt, so ist Theismus nicht hinrei-chend: es ist Monotheismus, der vorausgesetzt wird, denn Theismus ist nur neue Erfindung des Polytheismus. Man hidt es für unmöglich, daß Polytheismus durch Verderben der rdigiösen Sittlichkeit entstehen kön-ne. Die Hauptschwierigkeit ist zu erklären, wie Monotheismus zu Poly-theismus gelangt, wie soll aber aus Negation Vielheit, gerade das Gegentheil herauskommen. Es entstand nach Lessing Vielgötterei aus [dem] Abstrac-ten, die Worte sind Beweise, daß der Mann sich mit dieser Frage beschäf-tigte, ... Daß die Erziehung des Menschengeschlechts einen Geist wie Lessing nicht befriedigen konnte, bedarf keines" Beweises.19 Kehren wir auf seine Worte zurück, [daß ein nicht erworbener Begriff, solange er nicht ein erworbener geworden, dem Verderb ausgesetzt ist.]6 Der Poly-theismus entsteht der Vernunft, nur [der] dem Polytheismus vorausge-hende Begriff ist unabhängig von der Vernunft, ... daß die Einheit als Inbegriff aller Beziehungen Gottes in Natur und Welt gedacht wirdd, also Gottheit [wird] mit besonderen Namen bezeichnet, solche Namen sind auch im Alten Testament 20 Der Polytheismus ist also nicht bloß Göt-terlehre, sondern auch Göttergeschichte, die in der Offenbarung gege-ben I ist. Anstatt die Offenbarung selbst und ihre Verhältnisse als Stoff in der Mythologie zu suchen, wollte man es in chrisdichen Urkunden offen-baren, und zuerst im historischen Buche des A.T., im 1. Buche Mosis, so sollte der griechische Kronos zu [dem von] Heiden vergötterten Cham erklärt werden, so Vorstellung von Uranos. Der Haupturheber dieser euemeristischen Erklärung war Voß21,... französische Bischof Huet, des-sen Demonstratio Evangelica [behauptet], daß alle göttlichen und mensch-lichen Personitäten [der verschiedenen Mythologien] nur ein Individu-um sind, nämlich Moses.22... Also die A. T. Sprüche waren [es], worin man Mythen suchte. Dann suchte man [diese zu] finden in dem mehr

dogmatischen Theil des Moses, Gen 1 Cap Auch ohne jene Beziehung ist es anerkannt, daß Polytheismus längst existirte, als mosaische dogma-tische Schriften [entstanden], Moses kommt mit seinem Volke aus Ägyp-ten, wo Götterlehre schon war. So stand die Sache mit [der] Bekannt-schaft des Orients, als sich eine Übereinstimmung bildete, die hindeutet auf Gemeinschaft, hinführt auf einen Gedanken. Diese Einheit in der

* H: sich nicht b H: dem erworbenen Begriff gibt er den Namen Wort. (XI, 84) c H: aller Begriffe d H: enthalten wird

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Mythologie kann man sich nicht im Bewußtseyn eines Volkes denken, denn jedes Volk entsteht nur mit seiner Mythologie. Man kann sagen, diese Einheit war im Urbewußtsein eines Volkes, aber dieser Begriff löst sich selbst auf, denn Urvolk wird betrachtet entweder als ein Volk mit allen Eigenthümlichkeiten, [das] also keine Einheit war, oder ohne Einheit, und so ist [es] die Menschheit selbst. Also in der Vorzeit vorausgehendes System einer Uroffenbarung ..., von dem die Lehre Mosis die reine Nega-tion des Polytheismus ist. Man ist berechtigt ein System einzunehmen, welches mit Polytheismus entstanden ist, aber es wird von positiven Ele-menten nur sehr wenig ertappt. So können Moses Schriften nicht voll-ständiges Bild solchen Systems geben, sondern wir müssen verschiedene Bruchstücke des Orients gebrauchen. Der erste der diese relative [Über-einstimmung des] Inhalts der orientalischen Göttersysteme mit griechi-schen und alttestamendichen wahrnahm und zu Ursystemen hingezogen wurde, war ... William Jones " Der philosophische Tiefblick [Creu-zers]24 hat besonders lebhaft den Gedanken eines Urgedanken erwek ket, [der] mit seinen Trümmern die ganze Erde bedeckt hat. Näher be-stimmt: da nicht die Offenbarung selbst, sondern nur im Bewußtseyn Offenbarung ist, so tritt hier eine Doctrin [auf], in welcher Gott als natur-und weltbegreifliche Einheit betrachtet wird, die ebensoviele Manife-stationen oder Incarnationen seines Wesens entfaltete.25 Es sind zwar Elemente eines künftigen Polytheismus, doch die Einheit waltet vor, bis sie zuletzt ganz zurück vor dem Polytheismus blieb. So fand Jones fand in [der] Sündflut Mosis noch ein für religiös geltendes System, daß [der] spätere Polytheismus Indiens nur allmählich entwickelt.26 In den älteren morgenländischen Vorstellungen und Mythologien tritt die Einheit im-mer mehr zurück. So wäre die Mythologie ein auseinander gegangener Monotheismus. Hier wird nicht mehr bloß phUosophisch behauptet, daß der Polytheismus den Monotheismus voraussetzt. Monotheismus ist hier zu einer geschichtlichen Voraussetzung [der Mythologie] geworden und er [ist] von einer Uroffenbarung I hergeleitet.... Zur vollen geschichdi-chen Bestimmtheit der Hypothese wird gewiesen, in welcher Zeit der Polytheismus herrschte. Monotheismus blieb, als die Stämme unterein-ander lebten. Indessen versteht Creuzer statt Scheidung der Stämme Scheidung der Völker. Er macht aber die Völkertrennung zur Ursache des Polytheismus, wir [behaupten] aber umgekehrt, daß Polytheismus Ursache der Völkertrennung sey.... so ist unsere Sache: ehe Völker ge-wesen sind, war Monotheismus und folgender Schluß ist ganz wider-sprüchlich: Wenn die Völker sich trennen, dann entstanden verschiede-ne Götter, es konnte die Einheit des Menschengeschlechts nicht besser zugelassen werden, als durch die Einheit einer Macht, ob dieses gar der Sinn der monotheistischen oder geoffenbarten Religion, ob dieser Gott

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MITSCHRIFT CHOV ATS 135

alles mythologische von sich abschließt, er war unmythologisch, ob er absolut unmythologisch oder anders war. Ich werde dies nicht erklären, ohne tiefer in die Natur des Polytheismus einzugehen Die Theogonie des Hesiod nimmt drei Göttergeschlechter [an], hätte er nur eins, z. B. Zeus, so hätte er alle anderen in Zeus aufgelöst, er hat aber drei Göt-tersysteme, (tcpdvoc,, ovpccvdc,, £e\5cj. So lange einer herrschte, konnte nicht anderer. Dieser Polytheismus ist der successive, dieser ist der wah-re Polytheismus. Ist einer der sie begreifende, nicht von ihnen begriffene, so ist [dies] kein wahrer Polytheismus, nur etwa so wie jüdische Theolo-gie Gott Elohim nennt. Hier ist zwar Göttervidheit, aber nicht Vidgöt-terey. Vielgötterey ist, wenn viele Götter so groß sind, daß sie nicht in Einheit übergehen können. Successiver Polytheismus ist wahr, der simul-tane ist schwach, der gleich in Einheit übergeht. Dieser erklärt sich aus sich, der successive kommt auch darum in Betracht, wed er den simulta-nen in sich schließt, er steht aber frei und absolut. Wie ist Vielgötterey zu begreifen? Mit dieser Frage stehen wir nur auf [dem] Boden der Wirk-lichkeit. Nach der griechischen Theogonie gab es [eine] Zeit, wo allein Uranos herrschte. Wenn die Mythologie Erfindung ist, worauf nur simul-taner Polytheismus hervorgeht, nicht der lebendige, hat in der That die Hypothese eine wirkliche Abstufung der Götter nicht hervorgebracht. Urtheilen wir richtig, so ist in [der] Mythologie nur successives, worin die Wahrheit ist, mit diesem befinden wir auf historisch wirklichen Boden, das ist etwas historisches, was die Mythologie selbst bewahrt hat; hier zeigt sich, daß die Götterlehre der früheren Völker war. So ist [die] Überein-stimmung der Mythologie richtig aufgefaßt, nicht bloß [als] Beschränkt-heit von hellenischen Göttern,... tcpövoc, der Griechen und Phönizier verhalten sich wie [der] vergangene und [der] gegenwärtige.27 Nehmen wir lieber an, ein solcher Volksgott* kann nicht erdichtet seyn; wer sich einen Gott macht, macht sich [einen für die] Gegenwart. Was nie Reali-tät für uns hat, kann kein Moment erhalten; wenn ein Gott verschwindet, so muß er mit Kampf verschwinden. ... Diese religiösen Schauer sind wirklich nicht poetisch erfunden; allerdings hat die Mythologie keine Realität außer dem I Bewußtseyn. Diese Succession ist nicht von der Mythologie gemacht, sondern umgekehrt; gerade wed die Götter in Vor-stellungen existirten, im Bewußtseyn war nur ein Gott, aus dem die Göt-ter entstanden. Hiermit ist die reine Thatsache erkannt, wir erklären nicht, wie aus diesem Gott die andern entstanden, nur daß die Mythologie im Bewußtseyn entstanden sey, sie ist keine [bloß] als successiv vorgestellte Götterlehre, also nicht erfunden, nicht [so] entstanden. Successiver Poly-theismus ist zu erklären, wenn man annimmt, daß die Götter sich des

H; solches Volk

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Bewußtseyns immer mehr bemächtigt haben. Niemand kann verkennen", daß eine successive Entstehung des Polytheismus ist. Nun gehen wir auf die Frage, ob jener [der] ganzen menschlichen Gemeinschaft gemeinsame Gott also wirklich ein unmythologischer war. Die Wirkung sowohl was das Zusammenhalten als das Trennen [an]belangt, wird eben so wenig erreicht, als dieser erste [Gott] nach seiner Natur ganz erstes Element [einer Götterlehre ist], nur daß er noch nicht als Anfang erklärt wird. Denken wir uns [den] im Bewußtseyn entstehenden Gott: der erste ist nicht überhaupt, sondern in einem Sinn, [daß] der Gott B im Bewußtseyn [des] Gottes A ist, aber A ist der, vor dem kein anderer war, also [der] unbedingt eine. Es ist also noch keine Vidgötterey; nur Monotheismus ist im Bewußtseyn für uns relativer Monotheismus, welcher wirklich vor und nach sich keinen Gott hat. Hermann bemerkt: eine Sache, welche wahrhaft einen Gott kennt, ist wahrer Monotheismus.28... Dächten wir uns mit ersten Gott, mit diesem sogar ein System [von] Göttern gesetzt, so würde ein Göttersystem, sie würden aber nicht verschiedenartig, jedes Element bleibt sich gleich. Wenn der erste Gott sich nicht verändert, so können auch die andern sich nicht verändern. Um diese Einheit zu erklären, ist ein absoluter Monotheismus nicht nothwendig. Wir aber müssen weiter gehen, ob ein relativer Monotheismus beides, das Eins und Auseinanderseyn erklären wird. Ich will nicht darauf zurückkehren, die Meinung zu wiederholen: die Völker entstehen von selbst6, sondern wie entstehen die großen Massen, die zuvorc nicht Volk gewesen sind, denn die Menschheit ist ein Volk und nicht ein Volk. Der allgemeine Gott wird nun zu ihrem partiellen Gott, die Stammverhältnisse erhalten ihre absoluten Kräfte. Um die Entwicklung weiter zu führen, müssen wir sagen: [wenn] das Physische zur Äußerung und Entwicklung kommt, so werden Völker durch bloße Zeit entstehen. Aber wo wäre dann Gesetzmäßigkeit? Damit ein so großes Ereigniß nicht ohne Irrung sey, war die Vernunft erleuchtet. Nehmen wir eine Zeit an, wo die Völker nicht waren, so können wir diese Zeit.. .d Dauer nennen; die Dauer jener Zeit war auch nicht etwas Zufälliges, es mußte eine Macht vorausgesetzt werden, diese kann ihre Gewalt nicht verlieren, sondern [es] kann ein zweytes Princip angenommen werden. Wenn in unorganischer Natur alle Körper ruhen, alle sich ausgleichen, so entstehen in organischer Natur selbständige Mittelpuncte. Die Entstehung der Völker ist nicht eine ruhige Folge, sondern eine Unterbrechung der Ordnung, wodurch das Alte vergeht,

* H: erkennen b H: mit sich c H: bevor d H: nicht

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MrrscHRiFT CHOVATS 137

und Neues eingesetzt wird. Auf den ersten Blick scheint ein I absoluter Monotheismus stärker [zu] seyn, als [ein] relativer, aber dies ist nur Täu-schung. In ursprünglicher Einheit der Menschheit war etwas blindes, et-was vom menschlichen Willen unabhängiges. Wenn Monotheismus wäre, so wäre das Bewußtseyn wissendich zum Polytheismus übergetreten, dies aber scheint unmöglich [zu] seyn. ... die ganze Einheit tritt auf einmal auseinander. Es müßten also auch die Völker auf einmal entstehen, hier müssen aber Schranken gesetzt werden. Im Bewußtseyn der ursprüngli-chen Menschheit ist ein Gott herrschend, nun erscheint aber zweyter Gott B, der aus a angenommen ist, der kann keine Bewahrung im Bewußtseyn finden ohne A. Auf diese Art wird der absolute Gott A selbst beweglich, er bleibt sich nicht gleich, wohl möglich [ist], daß selbst jene griechischen Götter nur solche Verstattung des ersten Gottes sind. Hier ist also eine fortwährende Succession der Gestalten, mit jeder [der] Gestalten des Urgottes ist eine veränderte Götterlehre. Mithin sind mit Erscheinen des zweyten Princips alle Götterlehren vorhanden, aber in Wirksamkeit tre-ten [sie] nur allmählich. Mit diesem Conflict ist also auch successives Erscheinen der Götterlehre [gegeben], dem verschiedenen Entstehen der Götter entsprechen die Entstehungen der Völker, bis der Augenblick gekommen ist, da jedes Volk in ursprünglicher Einheit ist. Durch das Successive des Polytheismus sind auch Völker entstanden. Da nun aber die Crisis, welche Wirkung des 2ten Gottes ist, allgemein ist, so geht [sie] über alle Völker. ... Hierbey wäre noch Rücksicht [auf einen Einwand zu] nehmen: nämlich ein Verhältniß zur Mythologie zeigte sich bereits zwischen den Stämmen, nicht [erst] zwischen den Völkern.,Die Semiten sind der Urreligion näher gefunden als japhetitische Völker, jene [sind] im allgemeinen der Urreligion näher geblieben, [während] die Japhetiten sich weiter entfernen.29 Es mußte doch eine Möglichkeit zu dieser Entfer-nung gewesen seyn, diese Möglichkeit war nur in Erscheinung des 2ten Princips, so müssen wir sagen: mit dieser geistigen Bedeutung sind die Stäm-me da nur mit den Völkern die mit der Entstehung verschiedener Völ-ker entstehende Sprachverwirrung sollte nicht vollständig begriffen wer-den? Wenn wir eine Zeit [mit] einer Sprache voraussetzen, so war [es eine] Zeit, wo die Sprache durch ein Princip der Substantialität geleitet war. War dieses Princip nur geistig, so zeigt sich, daß es [die] ganze Annahme des Bewußtseyns beherrschte. Jenes erste [wird] zuletzt unkenndich gemacht; da die Sprache von 2 Principien geführt wird, [ist] ihr substantieller Cha-racter berührt. Sie erscheint nicht nur materiell, sondern formell. Nach unsern Voraussetzungen wird die Menschheit vom rdativen Monotheismus oder von Eingötterey zur Zweygötterey, Dytheismus", und dann erst zum

H: Theismus

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Polytheismus übergehen. Aber dies ist nur Prindp und Fortschritt in [den] Sprachen. Es ist hier also ausgesprochen, daß der monosyllabische Cha-racter des Chinesischen bezweifelt worden ist.30... I... Es ist nicht unsere Meinung, daß die Menschheit überall von Barbarey ausgegangen sey. Hat nur der französische Kenner des Chinesischen31 uns dies mitgetheilt, so ist [dem] entgegen die Semitische, die dissylabische Sprache, wo sich die unmittelbare Verbindung mit dem Monotheismus darstellt, man wollte sie auf monosyllabische Wurzel zurückführen, viele..." Worte scheinen eine Wurzd zu haben, der Zuwachs eines Vocals dient zur Aussprechung der Bedeutung: so hebräisch cham Feuer, Wärme, chamar roth werden. Das Hebräische ist hebräisch nur durch Zweysilbigkeit seiner Worte. Diese Thatsache beweist gerade, daß im Monosyllabismus ein Princip.. .b

war. Für die Japhetischen Sprachen sollte man glauben, daß in diesen [das] monosyllabische Princip verloren sey.... Dissyllabismus ist als Princip und Gegensatz also verloren. Wer dies ins Auge faßt, der wird geneigt sein, den Monosyllabismus hervorzusuchen. Polysyllabismus sey hier wesentlich, d. h. solcher, in welchem weder Monosyllabismus noch Dysyl-labismus0 wesendich, sondern nur zufällig sind. In der Chinesischen Spra-che ist das Princip noch bewahrt, welches [bei] der ersten Menschheit vorherrschend war. - Mögen wieder diese Erinnerungen als Beweis seyn für den einzig möglichen [relativen] Monotheismus. Dies ist successiver Polytheismus, es ist in der Menschheit eine Folge von Göttern, eine That-sache so gut als irgend eine historische Erscheinung; es mußte also in der Menschheit ein erster Gott seyn. Dieser Friede konnte nicht mehr beste-hen, als der andere Gott entstand. Wenn wir den Raum des ersten Gottes suchen, wir finden ihn nicht in der Zeit, er ist in vorgeschichtlicher Zeit zu suchen. Entweder war unser Gott A nicht, oder Gott hatte im Bewußtseyn [der] unzertrennlichen Menschheit [geherrscht]. Oder der eine Gott war das einzige bis dahin Seyende, bis der andere ihm wirklich nicht gefolgt war, so war er eine potentia mythologica. Vergleichen wir dies mit der Annahme des Polytheismus, so gehört eine solche unter Unbegreifliches, welches nicht zum Übergang zur höheren Ansicht führt, sondern zum Un-tergang.32 Aber ehe alle solche Annahmen von Besseren zum Schlechte-ren angenommen werde, der Polytheismus ist nicht zwecklos, er ist als Übergang zu einer Befreiung des menschlichen Bewußtseyns.... Es ist aber bloß negative Ursache, Verdunkelung; es würde nicht bloß Poly-theismus folgen, das einmal erschlaffte Bewußtseyn wird zum Polytheis-mus hingeführt werden. Nur eine positive Ursache erklärt jenes Entset-

H: radicale b H: überwunden 0 H: Polysyllabismus

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MrrscHRiFT CHOVATS 139

zen der Menschheit; im Polytheismus war diese Einheit nicht absolut der Polytheismus war der Menschheit angemessen, er war trotz der An-schauung wahrhafter Übergang zum Besseren. Dies ist eine erfreuliche Ansicht. Zum ersten Mal nun scheint uns, ein fester Punct erreicht zu seyn, auf welchen wir cathegorisch bauen können, nämlich das Daseyn des relativen Monotheismus.... Es ist hier noch eine Voraussetzung, die-se aber wäre, wenn [es] eine Offenbarung gäbe. Aber wir können sagen, wir nehmen nicht bloß Monotheismus, sondern eine Offenbarung [an]. Verwerft ihr eine Of-1 fenbarung, wie könnt ihr einen Monotheismus an-nehmen? ... Oder ihr selbst nehmt eine Offenbarung an, aber dieser re-lative Monotheismus kann so nicht aus Offenbarung hergdeitet werden, er wird ihr entweder zuvorkommen oder gleich mit ihr, ihr entgegenkom-men. Dieses Zuvorkommen haben nicht bloß Theologen, sondern auch Historische PhUosophen gefunden, wenn sie erklären, daß die Religion des ersten Menschen relativer Monotheismus war....

Dort konnte man, wie man annimmt, nichts zwischen Gott und Menschen kommen(?), wo[-durch] Mensch und Gott getrennt war; denn die Of-fenbarung ist etwas Actuelles. Wäre der Mensch nicht an sich, in seinem Urseyn Bewußtseyn von Gott, müßte ihm das Bewußtseyn von Gott auf andere Weise zu Theil' werden. Und so [haben] Catholische Priester ange-nommen6, alle Wissenschaft hat den Zweck, etwas Religiöses [her]vor-[zu]heben.33 Nun wird angenommen: der Mensch ist aus jenem Urseyn von Gott versetzt, so ist der Mensch anderer geworden, und der Gott ist ihm auch anderer geworden; so war jene Alteration mit dem Falle gesetzt, ge-nau dem [rdativen] Monotheismus entsprechend. Er war also einem Elohim gleich; es liegt in jenem Worte, daß das Bewußtseyn nicht mehr zuc der gan-zen Gottheit, sondern zud einem [von der] Gottheit in Verhältniß steht.

Weit entfernt der Frage aus dem Wege zu gehen, nehmen wir keine Anstalt, übereinstimmend mit diesem zu behaupten: von dort an sey im Bewustseyn nichts als ein falscher Gott, denn dies war noch nicht34; inso-fern war der wahre Gott der Inhalt des Bewußtseyns der ersten Mensch-heit. ... Im Bewußtseyn der ersten Menschheit war die Erkenntniß voll-kommner als [bei] den Nachfolgern, ja reiner war als in der Nachfolge, wo der 2te Gott sich schon angekündigt hat. Nicht also daß [das] Be-wußtseyn zu relativem Gott gefehlt hat, sondern darin liegt der Unter-schied, [daß] dort bei [der] ersten Menschheit Gott selbst unbedingt war, aber schweigend, nicht als solcher [zu] erkennender, von Polytheismus

H: getheilt b H: Lesart fraglich c H: von d H: von

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war noch keine Vermuthung; gerade darum konnte hier wahrer Gott als solcher nicht erkannt seyn, denn dies geschieht nur im Gegensatz So haben wir zu betrachten, daß die Genesis dies alles wördich bestätigt, nämlich die erste Menschen können vom wahren Gott als solchen wirklich nichts wissen. Ich habe diese Schrift [weder] mit Augen eines Theologen noch [eines] Gegners betrachtet, sondern als Philosoph ... Mosaisches und A. T. drückt den Gott als unmittelbares Bewußtseyn aus: der Gott als un-mittelbarer Inhalt des Bewußtseyns ist ihnen Elohim, der wahre Gott als solcher, ist Jehova. Nun findet sich 5 cap. Genesis35 [eine] Genealogie, die Urkundlichste der Menschheit von Adam bis Noah. Nachdem die Genealogie bis [zur] Genealogie der Schöpfung fortgegangen war, war Adam nach [dem] Bilde Gottes geschaffen, sein Sohn Seth ... er zeugte Enoch - also Mensch wie Adam - enosch Krankseyn, der Gekränkte; mit Enoch fängt wirklich eine andere Menschheit [an]. Also [wird] Enoch nicht mehr nach Bilde der ersten Menschen geschaffen.36... Es ist nun die Frage, wodurch dieses durch Enoch repräsentierte, 2te menschliche Geschlecht sich vom ersten unterschieden hat? In Seth war das erste Geschlecht noch stark und mächtig, in ihm lebte der eine Gott, im 2ten schwachen Geschlecht war nicht mehr ein Princip, sondern der 2te Gott erhob sich; also dies ist nur Einleitung; jetzt folgt die I Hauptsache: In Gen 4 cap: Seth zeugte Sohn Enoch, dieser verehrte schon Jehova, also vor Enoch, vor [dem] 2ten Geschlecht war der wahre Gott nicht angeru-fen, wie schon Dr. Luther übersetzte.37 Von dieser Zeit hat man den Na-men Herrn angerufen, besser aber so: Jehova wurde beim Namen geru-fen -Jesaja 43, 1. Dieses Rufen Jehovas beim Namen findet [sich] nur beim 2ten, durch das 2te Princip afficirten Menschengeschlecht, es hatte den absolut ewigen Gott. Aber diesen als solchen mit Namen zu bezeich-nen, dazu entstand die Nothwendigkeit, als der erste Gott durch 2ten, als der wahre Gott durch 2ten zu verschwinden [drohte], relativ geworden ist. So entstand die Nothwendigkeit, den wahren Gott beim Namen zu rufen. Dies war [der] einzig mögliche Weg von dem relativen zum absolu-t[en Gott]" überzugehen. Für uns genügt es zu beweisen, daß der wahre Gott erst dem 2ten menschlichen Geschlecht bekannt war, aber dem 2ten Gott unterworfen, so entsteht mit [dem] 2ten Gott der Polytheismus, d. h. Monotheismus, in welchem der Eine gedacht wird, entsteht in diesem Sinne nicht ohne zugleich Polytheismus zu werden. Wir könnten hier noch weiter gehen, wir können im Namen Enoch den Namen des 2ten Gottes finden, so war bei [den] Griechen des 2ten Gottes Name Dionysios, ... So - Herr - enosch ... der Herr der Menschen mit Götterkraft. In dem großen Entwicklungsgange stehen sich Offenbarung und Mythologie

' mögl.

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MrrsCHRIFTCHOVATS 141

nahe. Es steht also in der Genesis, daß mit dem 2ten Geschlecht der wah-re Gott als solcher bei Namen gerufen war. - Nach diesem entsteht in der Genesis [die] Sündfluth: da sich die Menschensöhne mehrten, da sahen die Söhne der Götter etc. [nach den Töchtern der Menschen]. In dieser Stelle ist ein so offenbarer Bezug auf Mythologie, daß diese Erzählung aus [der] wirklichen Geschichte der Mythologie sey. Es wird erzählt wie die Söhne Gottes, in denen der erste Gott lebte, sich zu Töchtern, den Anhängern des 2ten Gottes [wenden], sich mit ihnen verbinden, wo sie ebenfalls zwischen Gott der ersten Zeit und anthropomorphen Göttern in [der] Mitte stehen, und wo sie diese Entwicklung aufhalten, dies führ-te dann allgemeine Sündfluth herbei. Das erwähnte Bruchstück - wdches in Genesis ohne Verbindung steht - bewahrt die Authenticität seines In-halts, hier ist entschieden etwas Vormosaisches. Diese hochmythologische Fabel unterscheidet dieses Bruchstück von diesem, was folgt, dennoch

ließ [es] den Grund der Sündflut nicht wahr erkennen In Anrede zu Moses spricht Jehova: Lehre die Kinder Israds, ich will sie ins Land brin-gen, denn ich weiß ihre Gedanken, ihre Gebild.38 Zu Salomo: Und du mein Sohn erkenne den Gott, denn er versteht das Gebild aller Gedanken; wenn du ihn wirst verlassen, er auch dich verläßt. So spricht auch David im letz-ten Gebete. Wenn Noah sich der Gott offenbart, Luther übersetzt: Ein Mann, der nicht dem zweyten Gotte sich zuneigte.39 Aber was ist Resultat der Sündflut? Der Gott sieht, daß menschliches Herz böse sey, und in-dem der Gott erklärt, daß er sie nicht mehr erhalten werde, zeigt er, daß die Menschheit nie mehr vom Polytheismus abgetrennt werden kann. Also dies war ein dem anthropomorphischen, mythologischen Gott ergebe-nes Menschengeschlecht. Vergleichen wir die mosaische Erzählung mit Überlieferungen der andern Völker: So nennt eine Überlirferung den Gott Kpdvoc, als den, zu dessen Zeit Sündfluth war. In Hierapolis war ein Tem-pel, wo[hin] sich I die Wasser zurückgezogen. Also die Götter der ande-ren Überlieferungen sind ganz verschieden von den mosaischen. Wer dies erwägt, was für einen Werth Wasser auch in Mythologie hat... wird an-ders verfahren. Wenn [er sie] auch als physisches Ereignis annimmt, so wird [er] doch [die] Noahsche Sündfluth als Wendepunct des menschli-chen Geschlechts zur Vielgötterey annehmen. Wenn schon zur Zeit Abra-hams in Babylon und Ägypten ein Monarch war, so waren die Mythologien schon vorhanden. Fernere Andeutung liegt darin, daß Noah sich Acker-bau, Weinbau vornahm, dies erklärt sich aus diesem: die vorigen Men-schen waren Nomaden, so bei Jeremia: „Wi r trinken nicht Wein, denn unser Vater sagte uns: ihr sollet nicht mehr trinken, nicht ackerbauen, säen".40 So war ein Stamm, der nicht zu Israeliten gehörte, allem dessen

* unlesbares Wort

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sich zu entschlagen, war diesen Rechabiten durch Religion [geboten]. Zur Zeit Nebukadnezars" waren in der Nähe Jerusalems solche Nomaden -Rechabiten -. Wenn also Noah ersten Wein pflanzt, so ist er Stammvater [eines] anderen Menschengeschlechts, wdches nicht nomadisch ist, son-dern feste Grundsitze" hat. Resultat ist: erst mit dem 2ten Menschen-geschlecht wird der wahre Gott als Jehova vom Urgott unterschieden. Das Menschengeschlecht muß zum 2ten Gott übergehen, denn der wah-re Gott war an relativen gebunden; das Bewußtseyn kann vom relativen Gott befreit werden, der Polytheismus ist unvermeidlich, diese Crisis ist eben die Sündfluth, von da findet sich die Offenbarung und Verehrung des wahren Gottes. Diese Unterscheidung des wahren Gottes und [die] Offenbarung finden sich nur noch bei [einem] einzigen Geschlecht, wel-ches sich an [den] Gott der Urzeit gebunden glaubt. Dies Geschlecht ist jenes vom Sem abgeleitete, das Geschlecht der Abrahamiten bei Hebrä-ern sind Wörter: Arnim - Gojim - Völker, unter diesen Worten ist kein Unterschied, die Abrahamiten nennen selbst die Israeliten gojim. Diese Verbindung beider Begriffe Polytheismus und Völkerthum hat sich so tief herein geworfen, daß die Heiden eBvr| genannt wurden. Unter [den] Königen Abrahams ist einer genannt als König der Völker - also Heiden. Abraham wird Ibri genannt, daher ist [der Name] Hebreer mit [den] Völkern gegeben.41 Der Name des Volks soll auch [den] Unterschied zu den übrigen Völkern geben, wie Doros Dorier und Ion Ionier, Chus heißt Ethyopia, Misraim heißt Ägypten.42 Also hier wäre abergläubische Ver-ehrung des Buchstaben nicht an ihrer Stelle. Weder die Abstammung von Heber, noch andere Ableitung, daß [sie] über [den] Euphrat gegangen sind, gibt den Unterschied von [den] Heiden. Der Name Ibri hat solche Construction wie die anderer Völker. So ist Ableitung von Abar „vor-übergehen", Abraham - haibri, der durchzieht, vorübergeht, kein festes Land hat. Die einzige vorzuziehende Etymologie wäre [die] sinnreiche von Wahl: Abraham von Araba-aphra - Wüste, daß Ibrim Ebreer, Arabim Araber bloß Abänderungen eines Namens sind, also Hebreer waren Nomaden, die in der Wüste lebten.43 Von Jacob ist gesagt, er war ein ganz ungethedter Mann, der bei Einem bleibt, im Gegensatz von Esau....

Die Wichtigkeit des Übergangs der Menschheit zum I Volke, oder des Nichtvolkes zum Volke, läßt sich angeben: Der Name Aleman stimmt über-ein, wo man auf Alemanas denken kann. Gibt man dem ala verneinende Bedeutung, so ist [es] ein noch nicht in Grenzen beschlossenes Geschlecht, so entgegen: Marcoman.44 ... Wenn aber Thiod Volk bedeutet, so wür-den die Deutschen alle diejenigen Germanen seyn, die sich als Volk be-wahrt haben. Bei so ausgesprochenen Völkern wie [den] Gothen kann

* H: Grundsätze

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MITSCHRIFTCHOVATS 143

man fragen: ob sie nicht Anhänger eines Gottes oder von einem Namen Gottes sich nennen, von Godan mercur? Wir sind also in der geschicht-lichen Entwicklung dahin fortgeschritten, wo sich der wahre Gott bei ei-nem Volke erhalten hat. Bei Abrahamiten ist allein die Offenbarung und die Bedingungen der Offenbarung. So konnte [die] Offenbarung von der Mythologie nicht ausgeschlossen werden, wie wir im Anfang der My-thologie sagten. Die Frage war: ob Offenbarung der Mythologie zuvor-käme? Nun haben wir gezeigt, daß das erste Menschengeschlecht den wahren Gott als relativen verehrt hat, aber ihn doch unterschied, also in der ersten Zeit ist in strengen Sinne genommen die Offenbarung nicht gekommen; von der zweyten Zeit [an] ist [die] Möglichkeit der Offen-barung, aber hier finden wir schon das Princip des Polytheismus, dem 2ten Geschlecht ist die Offenbarung zu Theil geworden. Aber die hervor-ragendste Gestalt ist Noah, die Sündfluth ist Übergang zum neuen Welt-alter, zum Polytheismus. Erkenntniß des wahren Gottes hatten [die] Abrahamiten durch die Offenbarung. Also: Mit wdcher Beständigkeit Genesis von Jehova sagt: Er sey dem Abraham, Isaak [und Jacob] er-schienen, ... Wenn Jehova nicht unmittelbar Inhalt des Bewußtseyns ist, so kann dieser unmittelbare Inhalt Elohim seyn45, dieser Name ist Plural. Lessing deutet [darauf] hin, daß dieser Plural auf Polytheismus hindeutet. Allerdings ist dies nur pluralis magnitudinis, qui unam sed magnam rem indicat.46 Welcher Gegenstand hatte Anspruch auf Erstaunen, als jener Eine Gott, also [ist] Elohim aus [der] Urzeit des allein herrschenden Gottes hergenommen, damit stimmt überein das Wort bei Arabern: ob-stupuit.47 Singularis Eloah kommt nur später in poetischen Büchern vor. Auf diese Abwechslung des Namens hat man die Hypothese gesucht, daß [die] Genesis aus 2 Satzungen zusammengesetzt sey, der einen Urkunde von Elohim, der anderen bei Jehova.48 Man kann sich leicht überzeugen, daß die Namen Elohim und Jehova in Genesis nur zufällig wechsdn*.... Elohim ist allgemeiner Gott, den auch die Völker (Gen. 20,11), die Hei-den verehren. Jehova ist bei Abrahamiten nur als erscheinender6 Gott. Elohim ist allgemeiner Gott, durch welchen Abraham zur Opferung0 des Sohnes aufgefordert wird, es war ein Gebrauch aller Völker ein Opfer zu bringen, aber Jehova ruft ihn davon zurück. ... der werdende Zustand erlaubt vielem, nicht zu Bewußtseyn zukommen, was im Trau-1 me sich erhebt. Also Elohim ist [der] Urgott; das ursprüngliche menschliche Ge-schlecht hatte auch im relativen Gott den wahren und ewigen Gott ge-dacht; aber erst der zweyte Gott lehrte, den wahren [zu] unterscheiden;

' H: sind b H: unterscheidener c H: Beschneidung

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bis hierher ist das menschliche Geschlecht ohne den zweyten Gott, ohne Polytheismus wäre aber nicht Fortgang zum wahren Monotheismus. Abraham, nach dem ihm der erste Gott offenbar geworden, wendet sich ihm mit Bewußtseyn zu, also dieser Gott ist ihm nicht [der] Ursprüngli-che, sondern [der] Gewordene. Der wahre Gott ist ihm gezeigt worden. Dieser als solcher unterschiedene Gott [wird] eben darum jetzt auch mit [einem] besonderen Namen gerufen", weU es keine Erkenntniß des wah-ren Gottes ohne Unterscheidung [gibt]. Allerdings kann sich Abraham nicht von seiner Voraussetzung lossagen, der unmittelbare Gott bleibt im Bewußtseyn; nur im relativen kann er [den] absolut einen ansehen. Der wahre Gott ist ein beständiges Werden, wie der Name [sagt]: Jehova. Abraham's Religion besteht nicht darin, daß er jenen Gott [der Urzeit aufgibt]6, er hält fest am Gott der Urzeit. Der wahre Gott ist in rdativer Urzeit offenbar, der wahre Gott ist vom Gott der Urzeit untrennbar, so: „El olam" olam hebräisch bezeichnet die Zeit, vor welcher die Mensch-heit keine Zeit findet, weU sie keinen Anfang hat. Ein Prophet49 nennt ein Volk: „me olam"c: die Chaldeer; Josua50 sagt: eure Väter wohnen me olamd: seit der Zeit, wo die Völker sind; also Gott, der schon damals war, ehe die Menschheit war, von dessen Anfang niemand weiß. Also dem Abraham [ist] der El olam, der wahre Gott, [er] ist nicht metaphysisch, sondern als Gott des Himmds und der Erde, der seit der Zeit war, wo keine Völker waren.51 Eine Gestalt der älteren menschlichen Gesellschaft angehörend ist Melchisedek52, Priester des Gottes, der Himmel und Erde besitzt: hier sind alle Namen merkwürdig; sein Name gewöhnlich: res justitiae also .sedeck' Festigkeit: der unbeweglich bei einem bleibt53; dasselbe wie Is-lam - die vollkommene, ungetheilte eine Religion; Moslem - ganz der ei-nen Religion hingegeben; in der That ist [der] Islam die letzte Reaction jener Urzeit, weil der Islam im Unrecht ist, weil er den Polytheismus über-wunden hat, und jene Urreligion herbeiführen will . Er verbot den Wein, aber der Wein ist Gabe der späteren Zeit, die Urreligion verwirft ihn. Jener König von Salem fordert den Abraham, er unterwirft sich jenem höch-sten Priester; Mdchisedek: gehörte zu dem Geschlecht, was zu wahren Gottesverehrern in der Urzeit gehörte. Gegen dieses Geschlecht findet sich auch Abraham geleitet, denn er ist dem Polytheismus nicht treu ge-blieben, ja darum hat [er] seine Vorväter verlassen, in ihm ist die bewuß-tere Rdigion, in Melchisedek der wahre Gott der Urzeit; er bringt dem Abraham Brod und Wein entgegen, die rdativen Zeichen des wahren

H: beruht b H: vorzeigt « Hielolah d H:elolah

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MrrscHRiFT CHOV ATS 145

Bundes; diese Entfernung [vom Urgott] hat er mit [den] Völkern gemein.* Also der Jehova ist dem Abraham kein anderer, als [der] Urgott, eben darum wie er ihm der Gott der Himmel und der Erde ist54, er [ist] El Schadai55; diese Form ist eine archaistische Pluralform; der Grundbegriff ist Stärke, Macht; man könnte dies übersetzen: der starke Gott. Nun sagt Jehova zu Abraham: Ich bin das wahre Subject, das du in El Schadai ver-ehrst hat; also El Schadai ist der Name des vorausgehenden Gottes; Exodus 6,3 ist von großer I Wichtigkeit. Elohim sagt zu Moses: „Ich bin Jehova, Gott Abrahams, Isaaks, Jacobs; der Jehova ist dem Abraham nicht unmittelbar erschienen, sondern nur in El Schadai, also im vorausgesetz-ten Gott. Der Name Jehova ist erst von Moses gebraucht, nicht also von [den] Patriarchen, denn in der Genesis ist dies nur vermöge historischer Prolepsis, wenn den Vätern der Jehova in den Mund gelegt wird.6 Es ist gesagt zwar: Jehova ist ihnen offenbar in El Schadai, denn er ist ihnen offenbar aber nicht im Namen Jehova; Jehova aber sagt: ich war ihnen bekannt als El Schadai; ich bin den Vätern in El Schadai erschienen und in meinem Namen Jehova bin ich ihnen nicht erschienen, also ohne Ver-mitdung des Schadai wußten sie nichts, durch unmittelbare Erscheinung meiner selbst war ich ihnen nicht bekannt. Es ließe sich übrigens die Stel-le so übersetzen: ich war ihnen in El Schadai erschienen, denn als Jehova war ich ihnen nicht bewußt. Diese Stelle ist also in völliger Übereinstim-mung mit unseren Entwickelungen, aber nicht, daß diese Stelle uns zu Grunde liegt0, aber wir haben diese Stelle zu dieser Entwicklung [.. . ] d

hervorgehoben. Dieses Verhältniß ist nicht [ein] stationäres, sondern immer [ein] bewegliches, die Erscheinung ist also nicht, wo das Bewußt-seyn unthätig bleibt. Unter [dem] Engel Jehovas könnte man auch den zweyten Gott verstehen, oder Engel Gottes ist bloß die Erscheinung Gottes56; zu diesem betet Abraham, er soll ihn gesund machen. ... Die Beschränkung die dem Bewußtseyn eingelegt ist, die Wirklichkeit des Bewußtseyns ist erfüllt von [dem] Urgott; daß der wahre Gott nicht Herr-scher ist, denn Abraham wendet sich zu Elohim - [dies] muß als Beschrän-kung empfunden werden, aber so, daß der wahre Gott, als er jetzt er-scheint, sey. Die Religion Abrahams ist Monotheismus aber der wahre Gott ist ihm nicht gegenwärtig, sondern der nur wird, Jehova ist archa-istisches futurum von: hawa - seyn, in andern Übersetzungen ist überall „Herr" nicht Jehova: dies bedeutet: er wird seyn; wie Jacob - Jahwo, Jewo.

* H: gemeint b H: denn die Genes, ist dies nur vermöge histor. Prolepsis wenn es den Vätern in

Mund des Jehova gelegt wird c H: dient d H: Entwick. u. Bedeutung hervorgehoben

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Die futurische Bedeutung ist gewiß, denn Jehova antwortet Moses: dies ist mein Name: ich werde [seyn], daß ich seyn werde57 - es ist nicht Aus-druck der metaphysischen Ewigkeit sondern er spricht sich aus: der seyn wird. So heißt Abraham nicht nur seines Volkes, sondern auch anderen orientalischen Völkern Stammvater der Gläubigen; der erwartete ein Heil, ...; aus dieser Erwartung hinausgeführt und errettet werden, eine Vor-aussetzung, die Gott nicht wegnehmen kann. Fürs erste menschliche Geschlecht war [der] relative Gott, für [das] 2te Menschengeschlecht war götdiche Vorsehung sdbst, wdche jenen relativen Gott zum Herrscher machte, denn das wesentliche Verhältniß zu Gott stellt sich als Bewußt-seyn her. Damit [geht] also dieses Verhältniß einen anderen Weg, [den] des successiven Polytheismus, denn der Polytheismus [ist] nicht bloß vom Judentum ausgeschlossen, sondern ganz abgesondert, in dieser Enge ist die Religion unvollkommen. Das Christentum unterscheidet sich vom Judentum, denn wie könnte Paulus sagen: „Christus hatte eins von bei-den gemacht."58 Der relativ Eine mußte dem Bewußtseyn erhalten* wer-den; der Gott der Urzeit, jener relativ eine ist Ausgangspunkt, der wahre Gott ist bei Abraham, er erscheint ihm nur im Rdativen. Der rdative Gott ist sdbst künftig, Abraham ist in [der] Gegenwart dem re-1 lativen unter-worfen6, ... dies sieht Jehova als Gehorsam gegen sich an. Diese Gebun-denheit an [das] Princip des Monotheismus macht vieles begreiflich: Abrahams Bewußtseyn ist nicht absolut unmythologisch, aber darum sind die Erzählungen nicht Mythen, nur wirkliche Erzählungen unter der My-thologie stehend; daß dies ihm innerlich erschienen sey, dies ist histori-sches Factum. Dies ist götdiche Zucht, durch welche zu Religion gezogen wird: Abraham ist ein Mann der Zukunft, er hat alles nur [als] Verhei-ßungen! Wie er auf diese Verheißungen viel legte, so glaubte er auch an zukünftige Religion. Daß er an Gott glaubte, ist ihm zugerechnet an Ge-rechtigkeit.59 So heißt Abraham ein Prophet60, er sieht über das Gesetz hinaus, wie die späteren Propheten. So hat der Verfaßer Genesis 4 cap. eine solche Verheißung vor Augen; ich weiß nicht welcher Gott bei Eva gemeint sey, denn der wahre Gott war dem ersten Menschc nur ein zu-künftiger. Bei der Composition der Genesis war [ein] allgemeiner Ge-danke von Verheißung. Das mosaische Gesetz setzt noch weniger vor-aus, er setzt zwar Einheit Gottes voran, in Moses ... ein unmittelbares Verhältniß zwischen ihm und Gott; als die Mythologie fortschritt, war der relative Gott schon im Kampf mit [dem] Polytheismus. Dieser Charakter der strengsten negativen Einzigkeit kann nur von [dem] relativen Gott

H: enthalten k H: verworfen H:M.

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MrrscHRiFT CHOVATS 147

herrühren, denn der wahre Gott ist nicht einzelner; das mosaische Ge-setz ist nur relativer Monotheismus ... die superstiten Gebräuche noch etwa in Zeiten Davids [anzunehmen], ist eine Unkenntniß der rdigiösen Ansichten. Jenes Princip indes: relativer Monotheismus sollte als Grund erhalten werden, und so ist mosaische Religion voll mit Zukunft; in dem auch das mosaische Gesetz der Nothwendigkeit gehorchte, ist das eigent-liche Princip der Zukunft in [die] Propheten gdegt; in [den] Propheten ist... nicht bloß die befreiende Religion Israels, sondern aller Völker. So stellt sich demnach das Verhältniß zwischen Offenbarung und Mythologie historisch dar, die Frage: ob die Offenbarung der Mythologie vor oder nach gegangen sey, hat uns dazu veranlaßt. Also ist die Offenbarung des Monotheismus der Urväter sdbst vermittelt, wodurch auch Polytheismus der Völker vermittdt ist. Zum Schluß dieser Untersuchung bemerken wir noch allgemein: die nächste Hypothese war: aber jede Offenbarung kann sich [nur] an [ein] wirkliches Bewußtseyn wenden, aber im ersten Bewußt-seyn finden wir Relatives, die Mythologie ist bereits als potentia vorhan-den. Diese Potenz ist nicht durch Offenbarung gesetzt, die Offenbarung muß diese Potenz als unabhängig finden; wirkliche Offenbarung ist nur, wo etwas Verdunkelndes durchgebrochen wird, so setzt sie etwas Verdun-kelndes voraus.* Der Gebrauch des Begriffs der Offenbarung ist [ein] schlechter Beweis von einer Verehrung dieses Begriffs; ... und doch Offenbarung ist im eigendichen Sinne, wo etwas so sehr unbegreifliches ist, als Mythologie. Die Offenbarung erklärt, was diese sdbst ist, sie macht uns vorgegebene Thatsachen begreiflich; sie haben den Zustand des Be-wußtseyns als I vorübergehendes erklärt: Chrisdiche Lehrer sollten diese Offenbarungen achten, damit sie in ihrer strengen Geschichtlichkeit er-halten werden. Einen solchen Zustand des Bewußtseyns hätten sie in der Geschichte nachzuweisen; gesetzt er werde durch Mythologie gegeben, so würde Offenbarung von Mythologie hervorgehen; denn eine begrifflose Offenbarung führt zu Thatsachen. - Ich spreche aus: daß mit [der] Offen-barung die letzte Voraussetzung der Mythologie verschwunden ist. Wir sind durch stufenleitrige Voraussetzung von [der] untersten bis in die höchsten, welche die Mythologie von [der] höchsten Offenbarung ablei-tet, fortgegangen. Wir meinen jenes Resultat, wdches sich durch Thatsa-che des Polytheismus ergeben hat, daß der Gott der ersten Menschheit nicht [der] wahre und eine, sondern der relative Gott war Jener abso-lut eine [Gott] ist dennoch [ein] bloß relativer,.. .6; wenn er auch nicht als solcher erkannt, doch folgt daraus Vielgötterey. Wir müssen dem Poly-theismus keinen geschichdichen Eingang und Anfang einräumen; denn

' H: vor b H: der einen seinen Satz entsetzenden haben kann

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er ist schon vorhanden, er ist wenigstens potentia oder seinem Grunde nach vorhanden. Wenn die Geschichte mit [der] Trennung der Völker anfing, und die Zeit der Völkercrisis eine relativ geschichtliche ist, so werden wir [sie] als absolut vorgeschichtliche Zeit bestimmen; doch müs-sen wir einen letzten Terminus setzen, wo der Fortgang nicht möglich war, wo Zeit nur als Moment, als Grund betrachtet ist. Diese schlechthin iden-tische Zeit, die irgend einmal gesetzt werden muß, konnte nur vorge-schichtliche Zeit seyn. Daraus folgt, daß wir dem Polytheismus keinen geschichdichen Anfang einräumen, denn sein Grund ist gdegt in [der] unzertrennten Menschheit, wo ein relativer Gott lebte. In dieser Mensch-heit ist der Grund des Polytheismus schon gelegt, zwar er setzt einen ge-schichdichen Monotheismus voraus; aber die Menschheit fängt mit Poly-theismus an; mit Aufhebung dieser Hypothese wird alle geschichtliche Erklärung aufgehoben. Auf frühere Erklärungen kehren wir nicht zurück: denn der majestätische Gang der Geschichte hat einen anderen Anfang. Entweder" hat ein noch höher begabtes Geschlecht existirt6 oder ihm war andere Offenbarung gegeben. In das erste Bewußtseyn ist schon Poly-theismus gelegt. Merkwürdig ist bei dem Gange, indem wir uns mit David Hume befinden, der sagte: je weiter wir gehen in die Geschichte, desto mehr finden wir den Polytheismus.61 Hume scheint hier an mosaische Bücher zu denken. Halten wir [uns] an die Geschichte, sagt er, desto mehr sehen wir die Leute in Abgötterey gesenkt. Hierher gehört auch jene vorgeschichdiche Zeit, wo von Abgötterey keine Rede war. Dann sagt er: alle älteren Monumente stehen als öffentliche Lehren des Polytheismus: so weit wir dem Faden der Geschichte folgen, so finden wir die Völker der Menschheit [der Vielgötterei]62 hingegeben wir stimmen ihm dar-in bey, daß er die heidnischen Schriften betrachtete,... Hume untersucht, wie der Polytheismus habe entstehen können I in der That, was möch-ten wir von [der] Vorzeit wissen, da auch die ägyptischen Monumente, oder [die] erhaltenen Syrischen uns ein Licht von Religion darstellen. Also hat Polytheismus keinen geschichtlichen Anfang, es ist nur eine That-sache, daß das Bewußtseyn der ersten Menschheit mythologisch war: dieses Bewußtseyn kann aber auch nur ein gewordenes, aber kein ge-schichdich gewordenes, also übergeschichdich [gewordenes] seyn. So sehen wir uns hier von Vorgeschichdichem zu Übergeschichtlichem fort-fahren. Wie früher von Volk zu Menschheit, so müssen wir jetzt von [der] ersten Menschheit zu [dem] ersten Urmenschen hinausgehen; im Über-geschichdichen ist nicht Mensch, nur Menschheit. Wir nehmen noch eine andere Betrachtung [vor]... wir haben die Menschheit im Verhältniß zum

* H: Entw. k H: stattgefunden

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MITSCHRIFT CHOVATS 149

relativ einen [Gott] gesehen: es gibt aber außer einem wahren und relati-ven Monotheismus... noch einen dritten, einen absoluten der Mensch muß jenseits der ersten Menschheit seyn; und dies ist Bewußtseyn in sei-ner Substanz, oder Urbewußtseyn in seiner reinen Substantialität. Dieses Verhältniß, in welchem wir Gott allein denken, ist wesendich und [kann] so [ein] Verhältniß mit [dem] wahren Gott seyn. Dieses Urbewußtseyn kann in einem wesentlichen Verhältniß zu Gott seyn. Gott in seinem Wesen ist zugleich Gott in seiner Wahrheit. Der Mensch nach seinem ersten Ursprung ist nur Bewußtseyn, aber nicht Bewußtseyn von sich, denn dies wäre ein Actus, denn die Natur von diesem Bewußtseyn kann zwar die Basis aber nicht Gegenstand seyn; dies kann also nur Bewußtseyn von Gott seyn, denn sonst wäre nicht Bewußtseyn in reiner Substanz. Nun wäre Gott bloß überhaupt gedacht als abstract, der rdative Gott..." dem wirklichen Bewußtseyn [angehörend, daher] muß das Urbewußtseyn in reiner Substanz Gott in reiner Substantialität setzen. Wenn wir unter Monotheismus bloß substantielle Setzung Gottes verstehen, so wäre dies das letzte Moment des Polytheismus, die letzte Voraussetzung der Mytho-logie, also [ein] übergeschichüicher [Monotheismus]. Denn nicht ein Monotheismus des menschlichen Verstandes, sondern der menschlichen Natur, der Mensch kann nur gottgesetzende Natur6 seyn; der wahre Mensch kann nur noch dem Gott gemäß seyn, er kann nur existiren [als] das Gott setzende Wesen: die in Gott verzückte Natur der Menschheit ist

das natürliche ursprüngliche Wesen des Urmenschen c In der ganzen Natur hat jede Potenz darum wahre Bedeutung als seiner Natur nach Gott setzendes Wesen. Es ist also eine Frage: wie das menschliche Bewußtseyn von Anfang an mit religiöser Natur beschäftigt ist? Wie es vor allen andern mit religiösen Vorstellungen befangen wurde? Man fragte, wie kommt das Bewußtseyn zu Gott, aber das Bewußtseyn kommt nicht zu Gott, son-dern geht von Gott ab, denn im wirklichen Bewußtseyn ist nur ein Mo-ment des Göttlichen, also bleibt übrig, daß ihm Gott [ursprünglich] an-gethan sey, oder daß das Bewußtseyn Gott I in sich habe. Der Mensch ist an und gleichsam von sich selbst, eher er etwas anderes ist, sich vor [sich] setzt, wie er eben ist, er hat Bewußtseyn, er ist das [den] wahre Gott Set-zende. Wenn man also unter ursprünglichem Monotheismus nur das wahren Gottsetzen versteht,... also kann man sagen, das Urbewußtseyn ist Monotheismus, aber so wäre nur Theismus, - natürlicher blinder Mono-

H: bedacht b H: Begriff (Vgl. XI, 185) ' H: ... wenn man einen großen Fortschritt gethan macht: wie die .sofis' erst gethan

hat; beschaulichen Indiens Mythen(?) auch darum des Vorstellens müde dieses Werdens; sie suchen den Weg nur immer rückwärts

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theismus - es wäre nicht [ein] accidenteller, sondern substantieller, und eben darum nicht geschichtlich voraussetzender, sondern an ewiges Wesen des Menschen gebundener. Dieses wesentliche Verhältniß ist nicht bloß in der Idee; jenes Urverhältniß möchte insofern Monotheismus ausdrük-ken, aber weil dieser substantiell ist, so ist der wahre Gott mit Unterschei-dung gedacht. Im Urbewußtseyn ist keine Unterscheidung; der ursprüng-liche Mensch ist ganz ins götdiche Wesen versenkt. Wollen wir also [den] Inhalt des Bewußtseyn ausdrücken, so sagen wir: er sey wesentlicher Theismus; dieser hat aber nichts gemein mit [dem] abgelebten Theismus Humes, dem Polytheismus vorausgehen muß; Theismus ist noch Gemeinschaft zwischen Monotheismus und Polytheismus,... Humes Theismus ist nur absoluter Monotheismus, und dieser konnte also nicht vorausge-hen, ... Es gibt noch viele, wdche die Priorität des Monotheismus behaup-ten, der auf bewußter Erkenntniß beruht. Also von diesen war keiner zuerst; Polytheismus war nicht zuerst, er konnte nicht [zuerst] seyn, aber damit läßt sich nicht Atheismus behaupten. Aber auch Monotheismus kann nicht vorausgehen, indem man entweder abstrakten Monotheismus meint, der sein Gegentheil ausschließt; oder wirklichen Monotheismus, der auf wirklicher Lehre beruht, so war Monotheismus auch nicht vor-ausgegangen. Polytheismus kann nicht ursprünglich seyn, er kann nicht im Urbewußtseyn seyn, er entsteht nur; also muß Monotheismus voraus-gehen? ! Allerdings! Aber [einer der] Monotheismus ist und nicht ist, nicht so ist, daß er Polytheismus wäre. Das vorausgehende ist zwar Monotheis-mus, das von Polytheismus und von sich selbst als Monotheismus nicht weiß. Monotheismus kann abstracter seyn, der den Polytheismus aus-schließt; oder er kann wirklicher Monotheismus seyn, dieser kann auch nicht ursprünglich seyn, weU er Polytheismus in sich enthält. Ein solcher Monotheismus ist also Theismus;... - Unsere Betrachtung hatte uns zum Bewußtseyn der Menschheit [in] der Einheit geführt, die vorausgehen konnte; aber in diesem ersten Bewußtseyn in welchem sie sich findet, ist nicht mehr das reine göttliche Selbst, sondern Gott in reine Potenz der Momente gesetzt, in einer seiner Existenzform; dennoch ist der Inhalt dieses Bewußtseyns noch immer Gott, nicht bloß zufällig, sondern mit Notwendigkeit Gott. Jenseits des ersten wirklichen Bewußtseyns ist nichts mehr zu denken, als das Bewußtseyn in seinem reinen Moment; es ist nur das Gottsetzende, es kann in seinem Verhältniß ein Moment haben. Dies ist als Moment identisch, wo der Mensch nicht um sich [sdbst] wegen ist, sondern um [des] Gottsetzens willen, er muß aus [dem] wesendichem Verhältniß heraustreten, um [ein] actuelles zu verwirklichen. Aber der Mensch kann dazu nicht unmittdbar gelangen, nur stufenweise kann er dahin kommen, I wenn sich sein Verhältniß aufhebt, er hat Verhältniß zu dem wirklichen Gott; oder er fällt dem Gott in Wirklichkeit anheim. Es

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MITSCHRIFT CHOV ATS 151

ist ein Unterschied zwischen [dem] Verhältniß zu Gott in seinem Wesen und [dem] wirklichen Gott; denn so können' wir nicht vermeiden auch den stupidesten Menschen in [einem] Verhältniß zu [dem] wirkli -chen Gott stehen [zu lassen], aber hat er darum [ein] Verhältniß zu [dem] wahren Gott? Gewiß nicht! Eben darum ist er gotdos! Nehmen wir an, daß der wirkliche Gott seinen Formen nach [mehrere, wie er seinem gött-lichen Selbst oder Wesen nach]6 einer ist, so begreift sich, worauf das Successive des Polytheismus beruht; es ist ein mit Bewußtseyn erlangter Monotheismus, den wir in aller Mythologie finden; diese Mythologie ist nur eine Naturschule, der Monotheismus ist also nur Resultat; also Vielheit wird nicht dem Polytheismus anheimfallen, er wird nur in Potenz vorhan-den seyn, er ist als Stellvertreter im Bewußtseyn. Dies ist jener Gott, der die Menschheit in verschiedene Stämme theUte. Ich will noch bemerken, daß diese ungetheUte Menschheit war nur Natur war - Goldene Zeit -Naturzustand0; jene Wdt, von der1* die platonische Erzählung sagt: „Gott leitete sie, es war keine Verfassung, er selbst war ihr Hüter"63 so ist die Menschheit' auf einen Kreis eingeschlossen; damals war Gott den Men-schen einf realer; bemerken sie hier einen großen Wendepunct; es kann sich handeln um Vorstellungen, wo ein wirkliches Handeln vorhanden war. Nicht mehr kann hier die Rede seyn von bloßen Gottesideen, es sind die Welt erzeugenden8 Potenzen in der Mythologie! Der Gott ist in Ge-staltung seiner Wirklichkeit, hier ist nichts von Wissen: dagegen daß Monotheismus nur Resultat ist, drückt aus, daß der Mensch nur einen Begriff hat. - Wenn Gott in seinem Wesen, Wahrheit in seiner Reinheit absolut freier Geist ist: so können die, wdche Gott in reinem Wesen an-beten [nur zugleich im Geist anbeten]6 - aber nicht im Urbewußtseyn -solang sie ihn im reinen anbeten. Dieses Verhältniß kann nur [ein] freies seyn: in demselben Zusammenhange, wo Christus von Anbetung spricht, sagt [er] zu [der] Samariterin, und zugleich zu Heiden: ihr betet an, was ihr nicht wißt, d. h. wozu ihr kein Verhältniß habet64; wir die Juden - als Monotheisten - beten an, was wir wissen, als zukünftiges; so beten mythische Menschen an, was sie nicht wußten. Im Gegensatz mit dieser Phdosophie müssen wir aussprechen: der Gott, der nicht gewußt wird, wäre kein Gott; Monotheismus hat von je her als Wissenschaft, als schrift-

* H: kennen b XI , 189. c H: Zustand * H: wo " H: M. 1 H: kein (vgl. XI , 176) * H: bezeigten k XI , 176.

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liehe [Lehre] existirt, er ist nicht bloß eine Lehre überhaupt! Wenn aber die Menschheit der Mythologie dem wahren Gott entfernt ist, so folgt nicht, - der Polytheismus sey als Atheismus angesehen - daß sie auch in keinem Verhältniß zu Gott in Wirklichkeit stehen. Im Polytheismus hat das Bewußtseyn kein Verhältniß zu Gott in seiner wahren Einheit, nur in seiner Wirklichkeit, freÜich in keiner Gestalt ist Gott für sich. Nennen wir diese Gestalten a - b - c so wird keine von diesen Gott für sich seyn, nur in seiner Wirklichkeit also ist Polytheismus ist nicht Atheismus, nur Theismus. Gott ist immer in seinem Bewußtseyn. Es ist also das Verhältniß zu Gott in seiner Wirklichkeit, denn das letzte Ziel der Offenbarung war: den Mensch" zu Gott in seinem Wesen zu versetzen. Christus sagt: ,CKorr|pva' ist bei den Juden d. h. der Anfang ist die Befreiung von dem, was die Menschheit anbetet, ohne es zu wissen.65 Und das Positive ist: die Menschheit erheben zu I Gott in seinem wahren Wesen. Der Anfangsproceß war jener blinde Theismus des Bewußtseyns, es müßte erklärt werden, wie das Bewußtseyn zugleich Gott seyn kann. Wenn der Theismus Inhalt des Urbewußtseyns ist, so erhellt, wie die Religion hoch gestellt ist; das höchste zu wissende ist Monotheismus, der sich dem Pantheismus nicht entgegensetzt. Diese Entwicklung ist bloß vorläufig, dessen Wahrheit durch folgendes bekannt werden wird. Also: der Sinn der Mythologie wird so begriffen werden, einen Theismus anzunehmen, wovon das Bewußtseyn sich zu Gott erhebt, aber sie ist noch nicht begrif-fen. Einstweilen sind wir von der letzten zufälligen Voraussetzung getrennt, diese war ein Monotheismus; und so sind wir jetzt frei von allen zufälligen Erklärungen. Diese mußten der Natur nach geschichtlich seyn, die aber unhistorisch geworden sind; so hat sich die erste Spur des Monotheismus der Offenbarung nicht gezeigt. Hiermit außer dem Bewußtseyn kommt die natürliche Bewegung durch die sich das Bewußtseyn jene Affection zuzieht bedarf es keiner anderen Voraussetzung, und es blieb der Weg ins Übergeschichdiche. Jener blinde Theismus des Bewußtseyns von dem wir ausgehen, ... das vor allem Geschehen gesetzte Bewußtseyn ist überwirklich, übergeschichdich und ebenso läßt sich jene Bewegung als ein übergeschichtliches Ereigniß denken. Mit dieser Voraussetzung er-klärt sich die ganze Erklärungsweise der Mythologie; dies müßen wir also im einzelnen zeigen. Zuerst wie mit dieser Voraussetzung wird alles zu-fällige Entstehen [hinwegfallen]... Der Grund der Mythologie ist gelegt im Urbewußtseyn; dieser Act und dieser Vorgang findet sich außer dem ersten Urbewußtseyn, dieses Bewußtseyn kann nicht mehr in [das] we-sentliche Seyn zurück, es kann nicht über sich hinaus. Diese Bestimmung hat etwas für Bewußtseyn Unbegreifliches. Die Alteration des Bewußt -

H: M.

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MITSCHRIFTCHOVATS 153

seyns besteht darin, daß in ihm nicht mehr der Gott in seinem Wesen, sondern [der] relative Gott lebt, diesem folgt ein zweyter nicht zufällig, sondern nothwendig; die erste Affection ist die Bewegung des Bewußt-seyns . .. Das Bewußtseyn ist unpersönlich; diese Bewegung verhält sich zu ihm als Schicksal, vor allem Denken ist das Bewußtseyn schon [von jenem Princip] eingenommen;... also freilich nicht im Sinn einer Philo-sophie, wohl aber in dem Sinn, daß die Menschheit mit einem Gott behaftet und geschlagen sey, in diesem Sinn befindet sich die erste Menschheit in [einer] Zeit der Unfreiheit, stupefacta quasi et attonita, von einer frem-den Gewalt genommen, außer sich. Die Vorstellungen, formell und mate-riell, erzeugen sich dem Bewußtseyn ohne sein Zuthun, oder gegen sei-nen Willen: die Mythologie entsteht durch einen im Bewußtseyn liegen-den [nothwendigen] Proceß, dessen Ursprung sich ins Übergeschichdiche

verliert, und im Bewußtseyn sich verbirgt* so ist die Frage entstanden: wie die mythologische Vorstellung mit [ihrer] Entstehung zusammen-hängt? ... Wenn diese Meinung darauf beruht, daß in der Mythologie keine Wahrheit sey; so sagen wir, daß die Sachen der Mythologie nicht zufällig erfunden sind, sondern sie waren unabhängige Realität. Die Völker sind nur Resultate dieser Processe, sie kommen aus dem Bewußtseyn. Ist man auf den Gedanken eines Processes gekommen so [begreift es sich voll-kommen, daß die bloß] materielle Betrachtung der Mythologie immer räthselhaft [schien]; wir können I die Mythologie nicht begreifen und ver-stehen, wenn wir den Proceß nicht begreifen und nicht verstehen. Un-eigendichen Sinn nimmt man darum [an], weil man sich die Gegenstände nicht [im] Innern vorstellen konnte; man hatte angenommen, daß diese Persönlichkeiten wirklich unterschieden seyen, wie z. B. die Abrahamiten, die für jetzt unmöglich sind, aber sie konnten wahr seyn. Eben dies ist die nun mögliche Erklärung: wie [es] möglich ist, daß die Völker dem Stand-punkt des A. T nicht nur Glauben schenken, sondern sich ihm hinge-ben? Weil nämlich die Mythologie natürlich und nothwendig entstanden ist, dort lassen sich nicht Form und Inhalt unterscheiden, die Formen entstehen mit und in allgemeiner Form, das Princip des Processes aber war damals nicht vorhanden6. Es entsteht also die Mythologie gleich als solche, sie hat von Anfang an reelle und doctrinelle Sätze, zufolge der Nothwendigkeit ist sie eigendich, d. h. es ist alles so zu verstehen, wie [sie] es sagt. Die Sätze sind kurz, die Mythologie ist nicht allegorisch, sondern tautegorisch', so Coleridge66,... er gebraucht dies Wort so als Philosophem, zwar hat er beim Wort tautegorisch nicht gerade dies gedacht. - Er hat

H: verwirklicht b besser: gefunden c H: Wort unlesbar (Korrektur nach XI, 196)

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mich beauftragt, ich soll ihm die Abhandlung von den Gottheiten von Samothrake" hinschicken -. Die Phdosophie gibt die Eigentlichkeit, wir sind genöthigt, die Einheit und Untheilbarkeit [des Sinnes] zu brauchen6

... so werden wir behaupten, das was gesagt ist, ist wirklich die Wahrheit, nur, daß die Mythologie ihrem Proceß nach im ersten Urbewußtseyn vorhanden sey. Für diesen vormythologischen Monotheismus, aus dem man nach Hermann und Hume den Polytheismus ableitet, ist hier keine Zeit mehr. Das erste wirkliche Bewußtseyn war in potentia schon Poly-theismus ... dieser Polytheismus ist historisch bewiesen, [auch] daß [es für einen] vormythologischen keine Zeit gibt, also kein Polytheismus vor [der] Mythologie. - Aber die Mythologie ist geschichtlicher Polytheismus, daß der, welcher nicht actu und potentia mythologisch sey, auch nicht Mythologie sey. In [der] speciellen Aufeinanderfolge ist nicht Willkühr, sondern Nothwendigkeit, so werden in [dem] Bewußtseyn stets die Ver-hältnisse sich nachweisen lassen. So wenig, als man in der Mythologie Inhalt und die Form, die mit einander entstehen und gleich sind, kann man - wie es anderswo geschehen - in Ansehung der Mythologie Lehre und Geschichte unterscheiden, das Geschichdiche gehört zu der Sache selbst, das Doctrinelle ist nicht von außen, sondern von innen ist [es] in der Geschichte enthalten, das Geschichdiche ist Reelles. Betrachten wir die Mythologie objeetiv, sie ist wirklic h Theogonie, indem sie die Götter als einzelne Momente darstellt; subjeetiv - nach ihrer Entstehung ist die Mythologie ein theogonischer Proceß, denn sie ist überhaupt ein Proceß, ja ein theogonischer Proceß, so sie natura sua Gott setzt voraus, weil das Bewußtseyn an [das] Wesen gebunden ist, und es kann nicht heraustreten, ohne durch einen Proceß in dasselbe zurückzuführen. Hierbey kann das Bewußtseyn nicht mehr erscheinen, nur als dem Gott mittelbare, als Gott erzeugende, als theogonisches. Werfen wir von diesem Standpunkt den letzten Augenblick zu äußeren Verhältnissen, war der erste Schritt zu dem menschlichen Bewußtseyn, daß nicht menschliche Dichter sondern das menschliche Bewußtseyn als der wahre Sitz der mythologischen Thätigkeit bestimmt ist. Nehmen sie mir nicht übel, wenn ich diesen Schritt in der Genesis mir vindicire, wo! ich dies auf die Quelle zurückgeführt habe! So wird der Proceß selbst Gegenstand unserer Untersuchung seyn, ja auch Gegenstand der Wissenschaften. Es kann [uns] nicht entgehen, daß wir jenes Resultat benutzt haben, diese Seite mußte vor allem erledigt wer-den: was also diese Frage betrifft, so ist Aufschluß0 wirklich erreicht. Aber eben darum sind wir zu Höherem aufgefordert, nämlich was der Proceß

* H: Gott aus Samotraken. Vgl. XI , 196 Anm. 1. b besser: zu behaupten c H: Anschluß

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MrrscHRiFT CHOV ATS 155

an sich sey? also in objectiver Bedeutung? Wir haben gesehen, daß es eine subjective Wahrheit sey, aber ob auch der objectiven Vorstellung Wahrheit oder Nothwendigkeit zukommt? Hier sind Erklärungen, die sich uns in dem Wege finden - die wir erwähnen, die Erklärung, die bis auf Sündenfall zurückgeht und welche moralische, pietistische und mystische Form annimmt, jede geht also ins Übergeschichdiche. 2. daß sie die My-thologie nicht ohne Zerrüttung der Menschheit denken glaubt! Der Mensch, durch die Sünde immer tiefer in die Attractionssphaere [der Natur] sinkend, hört auf mit Gott zu seyn. Ins mystische gewendet kann [es] sich so aussprechen: von einem Seyn des Menschen" in Gott müssen wir ausgehen. Solange sich der Mensch im Centrum mit Gott befindet, sieht er die Dinge, die in Gott sind; wie aber der Mensch aus [dem] Mit-telpunkt heraustrat, verlor er die göttliche Einheit, indem er also auf an-derem Orte ist, entsteht daraus jene mittlere - Götterwelt, nachdem er herabgesunken ist; entsteht diese Götterwelt auf wUlkührliche Weise, der Mensch freut sich,... von diesem Unmittelbaren loszuwerden. Hier wird also das Urseyn des Menschen auch gedacht, die Mythologie ist Folge eines unmittelbaren Naturprocesses. Aber Mythologie wäre so nicht bloß et-was rein, sondern subjeetiv, von solchen Vorstellungen ausgehend, die in sich falsch, nicht wahr sind, denn vergötterte Naturobjekte sind nicht wahr an sich,... es sind also im Inneren des Bewußtseyns selbst aufstehende Mächte, von denen allerdings6 der Proceß bewegt wird; die Ursache und [der] Gegenstand des Processes sind die theogonischen Potenzen0. Der Inhalt des Processes ist nicht bloß vorgestellt, sondern die Potenzen sdbst, wdche im Bewußtseyn ursprünglich geschaffen sind, stehen im Bewußt-seyn selbst auf und erheben sich, also hat [das] Bewußtseyn mit [den] Weltpotenzen zu thun. Das ursprüngliche Bewußtseyn der Potenzen ist die Einheit mit Gott [als eine] in der Natur gewordene. Es sind also eben darum - weil die Potenzen in [dem] Bewußtseyn aufstehen - auch wirkli -che Mächte. Also die Erklärun g ist ganz ins Objective durchgedrungen; wir wollen jetzt alle vorher gegebenen Erklärungen, rdigiöse oder ir-religiöse, ... subjeetiv nennen, und jetzt ist allerdings die objective Erklä-rung: Der mythologische Proceß, von Theogonie bewegt, ist nicht nur an sich, sondern auch objeetiv religiös; ... es könnten die Potenzen ganz objeetiv seyn, aber sie könnten auseinander gehen, und die Bewegung bewirken, so wäre die Mythologie [das] entrissene, zerstörte Bewußtseyn. Wir haben inzwischen ein wenigstens wesendiches geschichtliches, po-tentielles Urbewußtseyn angenommen, dieselben Potenzen werden in

* H: der ml. b H:all . c H: Bewegungen

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ihrem Auseinandergehen die Ursache des Processes, so wäre die Mythologie doch etwas Entstelltes. Wie I sollte aber in diesem Proceß die Wahrheit sich zerstören? oder im Polytheismus, da er als Zerstörung des Falschen, der die wahre Einheit hervorbringt, erklärt war. Also die Mythologie ist successiver Polytheismus, in wdchem die wahre Einheitsetzt wird, eine Potenz auf [die] andere unmittelbar folgt, und die Einheit erreicht. Eben dieses successive Hervortreiben ist das Auseinandergehen, und so ist Polytheismus der auseinander gegangene Monotheismus und setzt so die Wahrheit voraus. Aber diese fällt nicht in den in [der] Mythologie erscheinenden Proceß, sie erscheinen nur, um die Wahrheit [wieder zu] setzen*, der Proceß selbst besteht also nicht in der Trennung, sondern in der Wiedervereinigung. Aber eben diese Potenz verwandelt sich in die, die Einheit nicht stillschweigend6, sondern wirklich die Einheit cum ictu et actu setzende. Im Proceß als solchen ist nichts Falsches, sondern Wahres, es ist nicht in [dem] einzdnen Momente Wahrheit; die Wahrheit ist Ende des Processes, der die Wahrheit in allen Momenten enthält, denn wir müssen den Proceß nicht im Einzelnen, sondern im Ganzen nehmen. Wenn man [es] unmöglich fand, in der Mythologie eine Wahrheit [zu finden], so kam diese Unmöglichkeit davon her, daß man nicht zum Begriff des Processes sich hervorhob. Wenn man schlechterdings sich entschloß, eine entstellte Wahrheit in der Mythologie zu erkennen, kam dies bloß daher, daß sie nicht in ihrer Folge genommen wird. Man kann annehmen, in der Mythologie ist etwas falsch; aber nicht [der] Proceß, nicht das Ganze der Mythologie. Die Vielgötterey ist nicht die eigentliche Intention des Processes; man könnte also sagen, das Falsche in der Mythologie ist vorhanden durch Mißverstand des Processes. Man könnte dies mit den Sätzen der Philosophie vergleichen: jeder Satz ist wahr: so gibt es unvermeidlich einen Punkt0, wo gesagt werden muß: Gott ist auch unmittelbar Princip der Natur. Auf einem gewißen Standpunkt kann man also nicht sagen: Gott ist alles, denn dies ist Pantheismus; so in diesem Sinn, weil Gott alles ist, so ist [er] auch das Gegentheil dieses Princips, der Satz ist also wahr: Gott ist Princip der Natur sich als Geist zu setzen, nicht um es zu seyn, aber [um] sich als solches aufzuheben; der Satz ist auch falsch: Gott ist das Princip der Natur [in ausschließlicher Weise]d. Also Polytheismus ist keine falsche Rdigion, so ist die Mythologie nur nicht in sich selbst falsch, ja sie ist wahr, weil die Natur unter einer Voraussetzung wahr ist. Was die andere Folgerung betrifft: er ist also keine

' H: einsetzen b H: mit stillschweigen c H: ein Kunst 6 H: sich ausschließende

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MrrscHRiFT CHOV ATS 157

falsche Religion: man hat die verschiedenen Momente der Mythologie, diese Thatsache als Momente des Processes angenommen; aber wir be-trachten die Mythologie nicht im Isoliren ihrer Momente, sondern in ununterbrochener Bewegung. So lange der Mensch auf dem Wege der Wahrheit ist, so lange muß er dies festhalten. Auf diese Art müßte das letzte mythologische Volk im Besitz der wahren Religion seyn? Es ist auch gewiß so, soweit es möglich ist für Menschheit die ein Verhältniß... mit Gott hat, in seiner Wirklichkeit. Das höchste auf dem Wege des Processes erreichbare Bewußtseyn war das griechische Mysterium, der Inhalt die-ses Bewußtseyns war nicht die wahre Rdigion, sondern Mythologie. Das BUd im Spiegel ist ein wahres, nicht fal- I sches Bild, und doch ist der Gegenstand nicht wahr. Die polytheistischen Religionen einzeln genom-men, sind falsch, aber abgesondert aus gemeinen" Leben, und durch das Gefühl, daß das Naturobject nicht Wahrheit haben kann. Wie wir aber durch diese membra aufgefordert sind, die Wahrheit in der Natur aufzu-nehmen, so müßen wir dies im Ganzen annehmen. Nicht [nur] diejenigen heidnischen Völker befinden sich in stupiden Verhältniß, auch der ge-meine Grieche hatte nur solche Verhältnisse. Die falsche Rdigion ist et-was Todtes und Überbleibsel des in sich wahren Processes. Früher meinte man: superstitio sey Aberglauben von Überlebenden; aber diese Ab-leitung ist nicht richtig, ja man kann sagen: jede falsche Religion ist ein superstes quid, ein Überbleibsel. So superstitio von Heilung der Krank-heit; indeß bei Ovid sind die Götter dii praestites6, ja superstites genannt67, also dies Wort konnte von der diesen Göttern bezeugten Verehrung her-genommen werden. Die Einheit dieser Trümmer in verschiedenen My-thologien ist nicht mehr in [einem] Ursystem, [sondern] im begriffenen Processe. Der mythologische Proceß hat nicht bloß subjektive Wahrheit für die begriffene Menschheit, sondern Wahrheit für sich, objective Wahr-heit. Es ergibt sich also: daß in der Mythologie - gerade als solcher, inso-fern sie ein Proceß ist, - Wahrheit sey. Ich wil l ihnen ein Schema68 dar-stellen: wird also nicht die subjektive Wahrheit, sondern die in der Mytho-logie selbst ist, zum Hauptgesichtspunkt0 genommen, so ist diese Ansicht: A: ) Es ist überhaupt keine Wahrheit in der Mythologie; die Mythologie ist entweder: a:) bloß poetisch entstanden gemeint; oder b:) 2te Möglich-keit: die Mythologie beruht auf sinnlosen Vorstellungen, welcher sich die Kunst bemächtigte, dies ist die Vorstdlung von Johann Heinrich Voß. B:) Es ist eine Wahrheit in der Mythologie, aber nicht in der Mythologie als

* H: gemein. b H: presbytes < HHp.Vgl. XI, 214. d H: Eintheilung

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solcher; die Mythologie ist 1:) entweder bloße Einkleidung01, Verhüllung; entweder einer historischen Wahrheit oder einer physicalischen Wahr-heit, dieses ist die Meinung von Heyne, 2:) oder die Mythologie ist Miß-verstand, Entstellung, entweder a:) einer rein wissenschaftlichen, nicht rein rdigiösen, ja sogar antireligiösen Wahrheit - von Hermann oder b:) sie ist Entstellung einer religiösen, ja geoffenbarten Wahrheit - von Jones - Diesen steht unsere Annahme entgegen: G) Es ist Wahrheit in der Mythologie als solcher. Unter diesen drei Ansichten ist ein Fortgang, aber die dritte ist auch eine Synthesis, die zweyte hat einen doctrinellen [Sinn, sie] hat uneigendichen; die dritte aber hat eigentlichen doctrinellen Sinn, die erste hat keinen doctrinellen Sinn. - Diese Ansicht ist nur durch Er-klärung möglich, so werden wir genöthigt, der Mythologie Wahrheit als solcher zuzuschreiben. Wir werden also in der Mythologie Wahrheit erkennen, nämlich speciell, diese Wahrheit ist religiös und unstreitig subjeetiv. Aber hat sie dadurch keine allgemeine Bedeutung, nur specielle? Jene realen wirklichen Mächte - deren Succession im Bewußtseyn [eben] der Proceß ist - sind zugleich als dieselben bestimmt worden, wie" die das menschliche Bewußtseyn constituirenden Mächte, und diese sind die, durch wdche die Natur entstanden und geschaffen sey, denn die mensch-liche Natur ist selbst Bewußtseyn. Die im Innern des Bewußtseyns wie-der aufstehenden und theogonisch aufstehenden Mächte sind nur die, die I Welt allgemein erschaffenden Mächte. Der mythologische Proceß kann nie [nur] gedacht [seyn], nur Wiederherstellung der verlornen Ein-heit seyn, [der] durch alle Entstellungen Hinderniße hindurch geht. Die äußere Natur hat wenig Gewalt über [das] Bewußtseyn; ja der mytholo-gische Proceß muß durch diese Gesetze hindurchgehen, die durch die Natur gehen, es ist ein allgemeiner Proceß, darum ist die Wahrheit im mythologischen Proceß allgemein, dso [auch] religiös wahr. Denn der Proceß selbst ist ein historischer Vorgang,... Der mythologische Inhalt ist nicht [ein] religiöser allein zwischen Bewußtseyn in [seinem] wahrem Wesen und Bewußtseyn in Wirklichkeit - zwischen diesen liegt die Welt in der Mitte, sie sind Momente von allgemeiner Bedeutung: die Mythologie wird wahrhaft erkannt, erst diejenige Wissenschaft, wdche in der Mytho-logie absolute Wahrheit darstellt, ist wahre Wissenschaft. Nachdem sich als letztes Resultat darstellt: die Mythologie muß aus dem Processe ent-standen [seyn], so folgt aus diesem Resultat: die subjective Wahrheit, die durchgängige Einheit und ein theogonischer Proceß; es folgt, daß [in] ihm eben darum auch die objective Wahrheit zu erkennen sey; endlich daß der mythologische Proceß zwar religiös, aber nach [der] absoluten Bestimmtheit [ein] allgemeiner Proceß sey; und daß die [Philosophie der]

H: durch

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MITSCHRIFT CHOV ATS 159

Mythologie eine wahre Wissenschaft sey. Der Proceß soll doch nicht nur vorgestellt, sondern an wirklicher Mythologie dargestellt [werden]. Üb-rigens ist in [den] letzten Sätzen ausgesprochen, daß viele der Mythologie Wahrheit absprechen. Es steht jedem frei, die Philosophie mit einem Gegenstand zu verbinden", wie in Frankreich die Philosophie der Koch-kunst, in Deutschland Philosophie des Postwesens, ... Es ist also eine strenge Ansicht der Mythologie, wenn sie wahrer Ausdruck sey. Die objec-tive Entstehung der Mythologie gibt auch den objectiven Inhalt, zwar kann es erscheinen, daß die Begründung auf kürzerem Wege erreicht werden konnte; und jene Begründung6 können wir jener Erklärung entgegen-stellen, wdche nicht gering geachtet werde. Wie sollten wir [uns] über-haupt gegen die frühere Erklärung verhalten? Sie sey nicht plulosophisch? ist leicht zu sagen: das sey die Frage bey uns: ob die Mythologie eine wah-re Wissenschaft sey oder ob sie nicht ein zusammengesetztes sey? Also wir müssen es beim0 Wort nehmen. Ein ganz Unplulosophisches war die-ses Geschäft nicht zu nennen, es ist bewundernswerth, wasd der gemeine Verstand in Dingen nicht entdeckt, sondern was in allen Dingen vorhan-den ist; und auch formell war das Geschäft philosophisch, die Methode war successiv negativ und absolut wahr'. Es ist die Voraussetzung eines ewigen und unendlichen Verhältnisses zwischen Gott und Menschheit und so haben wir unseren Begriff nicht von oben herab dictatorisch, son-dern von unten heraufgenommen. War dieser Theil der Untersuchung [ein] historisch - critischer - so fühlen wir, daß kein sicherer Anfang der Geschichte sey. Der Begriff Phdosophie der Mythologie subsumirt eine Theorie der Mythologie und eine Theorie ist nur von dem möglich, wo ein wahres Wesen ist; ein mechanisches Werkzeug ist nicht wahres We-sen. Ein solches Wesen nach früheren Erklärungen fehlt der Mythologie; aber sie bringt es mit sich, denn die Theorie ist bloß I eine phüosophische Erklärung. In dem Gegensatz: Philosophie von Mythologie ist ein Grund, daß alles übrige zufällig entstanden sey, ja auch die Form muß vernünftig seyn. Die Natur freilich erregt kaum Verwunderung, daß wir uns aber eine sittliche Stimmung vorstellen; wer in einer Art Moral gewöhnt wäre, könnte fragen: Wozu dieser nutzlose Stoff? Wozu die Gestalten der Thiere, von denen sich kein Zweck einsehen läßt? Wozu das viele Anstößige?f

Wozu viele Körper? Warum sind nicht lauter reine Geister? Es können

H: binden b H:Begr. 0 H: mit d H: welches H: war

' H: die vielen Anstöße. Vgl. XI, 221.

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jetzt vide die Mythologie gleich abhanddn, wenn sie sie als Fabdsammlung ansehen: wer denkt aber jetzt an den Hochmuth [über die] Naturphilo-sophie? Anders wird es mit der Philosophie der Mythologie auch nicht gehen. Die der Natur das Prädicat sinnlos, unwirklich beilegten, können nicht der Mythologie [Sinn] beilegen. H[ierh]er gehört, was keine Wirk-lichkeit in sich hat, aber der mythologische Proceß ist ein natürliches, nothwendiges Erzeugniß, sie ist mit der größten Freiheit vom Menschen unabhängig,... die Mythologie ist nicht durch Verderben entstanden. Worin die Philosophie" sich nicht befindet, ist unbegrenzt, aber der my-thologische Proceß ist für sich [eine Welt], ein nothwendiges Bestreben, sich entwickelnde Entstehung und Vollendung; der Philosophie wider-spricht das Tote, aber die Mythologie ist etwas lebendiges, als wahre, -nothwendig absolute Macht. Der Ausdruck Philosophie der Mythologie ist ganz ähnlich wie Philosophie der Natur, der Kunst: der Ausdruck ist ein wenig schwer, besonders wenn ich sage: Philosophie der Mythenwelt. So lange es ein möglicher Gedanke war, die Mythologie als ein ganzes [zu] betrachten, [ein Gedanke,] der auch Aristoteles nicht fremd war -konnte man in der Mythologie eben die untergegangene Mythologie6

vorstellen. Wäre es der Philosophie [darum] zu thun, sich nur Einfluß auf Mythologie zu vindidren, so wäre [es] nicht begründet: ein Verhältniß hat die Philosophie mit ihren Gestalten, indem sie durch Momente fort-schreitet69; reeller aber wurde der Zug, als man speciell die Natur als Moment der Entwicklung in [die] Philosophie aufnahm0. Das nächste*1 ist eine materielle Identität, so kann man die Mythologie ansehen durch Refraction' des Geistes. Frühere physicaliche Erklärungen in diesem Sinn wären bedeutender ausgefallen, hätten sie größere Rücksicht auf Natur-phüosophie genommen.... Johann Arnold Kanne70 - wenn man dies nicht mit einfachen Zügen darstellen kann, so suchte er diesen ganzen Plunder der Gdehrten von sich abzuwenden, am Ende aber erkennt er, daß die Analogien nicht beweisen; seine Schriften, die man nicht ohne Wehmuth lesen kann, stellen ein Pantheon [der ältesten Naturphilosophie] dar, so ein Werk: die Mythologie der Griechen, es wäre zu wünschen, daß je-mand diese Mythologie auf vollkommene Weise darstelle; denn er hat in der Mythologie nur einen Monotheismus oder Pantheismus anerkannt. Nach den vorübergehenden Untersuchungen war es ein Glück für die

H: Mythologie. Vgl. XI, 222. b H: unter Myth. gegangene ' H:Philos. annahm. Vgl. XI, 223. d H: Demnächst H: Retraction

' H: er. Vgl. XI, 226.

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MITSCHRIFT CHOV ATS 161

Mythologie, daß [Creuzer]f seine Aufmerksamkeit auf sie wendete.71 Sie konnte wenigstens I darauf rechnen, alle Versuche zu beurtheUen; dieser in die allgemeine Beweisung die allgemeine Frage behandelte. Der Streit über die Bedeutung Ursprung deutete eine große Analogie, so: ob auch das Christenthum auf Zufälligen sich bewähre, ob auch nicht die Mytho-logie sich so verbreitete. Die Mythologie gehört unter diese Forschun-gen, die einmal erforscht stehen bleiben. Daß ein von individueller Denk-weise unabhängiges Resultat zu erweisen ist, und aus Voraussetzungen der Natur die nothwendigen abzuleiten, so ist die Mythologie durch die Zeit befördert.... Es kann aber keine neue Wissenschaft entstehen, ohne das menschliche Gebiet von neuem zu bereichern. Geburt es sich ferner, daß jede Wissenschaft bestimmt werde, so [haben] wir in Ansehung der Philosophie der Mythologie die Seiten aufzustellen, welche auf die Wis-senschaft Eindruck machen. Was nun mit dem Begriff der Philosophie der Mythologie [die] Begründung betrifft, so ist [es] die Existenz eines theogonischen Processes im Bewußtseyn der ursprünglichen Menschheit; diese Thatsache schließt [eine neue Welt] auf,... das erste Verhältniß hat diese Thatsache zur Geschichte; wir nehmen die Zeit, wo nichts zu erkennen war,... Allerdings kann diese Thatsache kann nicht ohne Bedeu-tung* seyn für6 Philosophie der Geschichte und ohne Rücksicht auf die, die sich mit [ihr] beschäftigen. Was die Philosophie der Geschichte betrifft: sie ist ein Ganzes, Umgeschloßenes, Ungeendetes, möge es die Ansicht seyn, ob die Geschichte auch [in] die Zukunft oder in Ewigkeit fortgeht; was seinen Anfang nicht findet, findet auch nicht [sein] Ende, also es ist die Frage: ob uns die Geschichte als abgeschlossenes Ganzes erscheint? Ob die Vergangenheit als unbeschränkte Zeit [sich] darstellt? Ob diese Zeit in sich unterschiedene sey. Man unterscheidet in [der] Ver-gangenheit die geschichtliche und vorgeschichdiche Zeit! Aber ob dieser Unterschied nicht bloß [ein] zufälliger sey? Ist die vorgeschichdiche Zeit so gedacht, daß die geschichtliche durch sie beschränkt sey, so wäre sie eine: aber in vorgeschichdicher Zeit ist etwas anderes als in [der] geschicht-lichen? Nein, der Unterschied ist nur, daß wir von [der] vorgeschichdichen nichts wissen, und von [der] geschichtlichen wissen; die vorgeschichtliche ist nur vorhistorische; für die eine Zeit existiren Denkmäler, für [die] andere keine! Einige weigern sich der mosaischen Zeit die historische Würde zuschreiben72, andere den Griechen; aber eine wirklich andere -nicht [eine] bloß zufällig [andere] wäre dann, wenn sie [einen] andern Inhalt gäbe, als die Geschichtliche. Nach diesen Begriffen ... ist gleich was man von Kindheit sagt, so hat die vorgeschichtliche Zeit in Ansehung

* H: Bemerkung b H:ohne

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der Menschheit die Verhältnisse wie die der Kindheit.73... weil zwischen der geschichdichen und vorgeschichdichen Zeit kein innerer oder wah-rer Unterschied ist, so ist keine Grenze zwischen beiden, niemand kann sagen, wo ... jene Zeit angefangen hat, es ist nirgends unbegrenzte Zeit, die geschichtliche Zeit ist, wo man sie nur zufällig anfängt. Also wir sind jetzt nur entfernt von Phdosophie I der Geschichte, wed es uns am An-fang fehlt; es ist [die] bloße Anwendung eines Schemas auf die Geschich-te, mit allem dergleichen ist es nicht gethan. Unbemerkt und ungesucht hat sich durch die Untersuchung eine andere Gestalt hervorgehoben; in der That sind [es] wirklich von einander verschiedene Zeiten, in die sich für uns die Vergangenheit abgesetzt hat. Indem die geschichdiche Zeit für jedes einzelne Volk ... anfängt von [dem] Augenblick, wo es sich trennt, jene vorgeschichdiche Zeit ist die Völkerscheidung, Crisis des Übergangs, aber die wahre Zeit ist die Entstehung der Mythologie über-haupt also ein geschichtlich Vergangenes, ein Daseyn erfüllte [die] vor-geschichdiche Zeit, die Mythologie im Entstehen und Processe ist Inhalt der vorgeschichdichen Zeit. Diese Zeit aber war erfüllt von jenen Bewe-gungen des Bewußtseyns wdche die Völker begleiteten, und deren letz-tes Resultat war die Trennung der Völker. Es sind nicht bloß relative Unterschiede einer und derselben Zeit - wie gestern und heute - in ge-schichtliche und vorgeschichdiche Zeiten, sie sind zwey wesentlich ver-schiedene Zeiten, in der vorgeschichdichen Zeit sey das Bewußtseyn ei-nem Proceß unterworfen, während jedes Volk durch innere Scheidung zum Volk geworden und nun erst jenen Thaten und Folgen sich überläßt: jedes Volk ist in jenes Innere der Entstehung hineingezogen, ohne eine Freiheit zu haben; von nun an ist es frei: Die geschichtliche Zeit setzt sich nicht in [die] vorgeschichdiche [fort],sondern sie ist dadurch begrenzt, denn auch die vorgeschichdiche Zeit ist voll von Ereignissen, nur in ganz anderer Art; diese Zeit von welcher die geschichdiche Zeit abgeschlos-sen, ist bestimmt; diese andere oder dritte Zeit kann nur absolut vor-geschichtlich seyn, der unzertheuten Menschheit, ohne daß in ihr eine Folge der Zeit wäre, sie ist durch sich selbst begrenzt. Ich sagte, daß in jenen absoluten vorgeschichdichen Zeiten keine Succession von Bege-benheiten war, aber freilich: auch damals ging die Sonne auf, die Völker aßen, schliefen, [sie] liebten sich; aber dies war nicht geschichtliche Zeit, denn in [der] geschichdichen Zeit ist wieder eine Folge von Zeit, inner-halb der geschichdichen Zeit ist eine wahre Folgerung durch Begeben-heiten, welche den Zustand im ganzen ändern. Aus diesem Grunde also, weU im Vorgeschichtlichen zeitlose Zeit ist, bedarf es nicht [einer] Be-grenzung durch andere, die Zeit ist selbst begrenzt, sie ist die letzte Zeit, in sich selbst ist sie keine Zeit, weU sie eine Art von Ewigkeit ist. Es ist demnach nicht eine grenzenlose Zeit, sondern es ist ein Organismus wor-

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MITSCHRIFT CHOVATS 163

auf sich ... unsere Geschichte anschließt: es geht nicht in einer Linie fort, sondern es sind abgegrenzte Glieder, jede Art ist selbständig, a + b + c nicht a + a usw. - dies sind Gedanken für alle Zeit, Fortschreiten durch abge-grenzte Zeit. Wir können von [der] Gegenwart alle Zeit durchdringen, die gefundenen Glieder sind absolut vorgeschichtliche, relativ vorge-schichdiche Zeit. Geschichte ist die Folge der Ereignisse, Historie ist die Kunde davon; absolut vorgeschichdich ist die vorgeschichdiche Zeit, re-lativ vorgeschichdiche Zeit ist vorhistorisch; so ist: vorgeschichdiche -vorhistorische und historische Zeit. Mit einer grenzenlos fortgehenden geschichdichen Zeit, die nur zufällig abbricht - ist aller WUlkühr [Thür und Thor geöffnet], ist gar nichts mehr zu un-1 unterscheiden. So läugnet Hermann, daß der Mythologie ein Theismus vorangegangen war74, denn ihm fehlt eine vorgeschichdiche Zeit; so kann es für keine mögliche Erfin-dung an Zeit fehlen, Hermann selbst könnte [den] nicht widerlegen, der ein [solches] System erhoben hätte.75 Sie sehen, daß wenn geschichdiche Zeit ins Grenzenlose geht, so kann gar nichts behauptet werden; ist dage-gen mit einer grenzenlosen Zeit alle WUlkühr möglich*, kann es eben [auch nur] eine so barbarische Philosophie seyn; so kann es erwünscht seyn, einen so bestimmten terminus a quo, einen solchen Begriff aufzusteUen. ... [Da] also eine Mythologie vorhanden ist, so muß die Phdosophie der Mythologie als erster TheU der Phdosophie der Geschichte [genommen werden]. Aber in welche Zeit unsere Erforschungen hinaufsteigen, im-mer stoßen wir auf jene Dunkelheit.... Auf alle jene Forschungen wird nur schlechte PhUosophie angewendet. Aus der PhUosophie sind die größ-ten Axiome hervorgegangen. Demgegenüber stellt ein verstorbener Hi-storiker über den indischen Tempel [Betrachtungen an]76,... Dies ist aber eine Ansicht, nach welcher diese indische Kunst unmöglich sey,...; sonst müssen wir die Zeit angeben, daß etwas aus Nichts geschafft werde. ... wenn die ersten Völker in der Geschichte auftreten - errichten [sie] staunenswerte und kunstreiche Baue; am Anfang der griechischen Gilt ur steht Homer, der in [einer] andern Zeit nicht möglich wäre. Dieses Sy-stem beruht auf [der] falschen Voraussetzung6, daß die Menschheit von Anfang ihrem Bestreben überlassen sey: dies ist allgemeine Meinung. Denn jene Offenbarung kann nur ein kleiner Theil der Menschheit nachwei-sen. Aber wenn ein TheU durch Offenbarung erleuchtet wird, wodurch wurden0 die andern Völker erzogen. So mußte der Offenbarung etwas anderes, und doch analogisches entgegenstehen, und dies ist der mytho-

* H: aufgehoben b H: System c H: würden d HEntgeg.

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logische Proceß. Das Heidenthum ist nicht bloß Entgegensetzung*1 der götdichen Offenbarung, sondern etwas Positives; dieser Proceß ist auch eine Quelle, und nur solche Inspirationen können ungeheuere Werke hervorbringen. Dieselbe Gewalt [, die] in der Kunst hervortrat, sie war die Macht, welche die Menschheit auf [eine] höhere Stelle von [der] nied-rigsten Stufe hervorhob. Es war dieselbe Macht, die jene in dieser Zeit unerreichbare Größe hervorbrachte. Wie ich bemerkte, daß die Philosophie der Mythologie sich auf Philosophie der Geschichte bezog, so [auch] auf Philosophie der Kunst*, denn auch hier wird von Gegenstän-den gehandelt. Um uns auf die Poesie zu beschränken, wir sehen die Gegenstände nur, wie jene der Mythologie,... Scepticismus sucht eine trosdose Zeit. Wir haben gezeigt, wie [die Mythologie] eine große That-sache für die Entwicklung6 der Menschheit ist. Wenn es keine bloße Re-densart ist, so wird man dem Alterthum ein Princip zugestehen, daß es anderen Mächten zugethan war, als unsere Zeit. ... muß beruhen auf Thatsachen der Völker, besonders des religiösen Lebens. Es ist eine schö-ne Eigenthümlichkeit der Deutschen, daß sie sich um die phUosophische Wissenschaft bemühen, weil sich die Religionsphilosophie in Abhängig-keit von [der] allgemeinen Philosophie behauptet, und so auf die allge-meine Philosophie zurückgeht; es kommt hinzu, daß es in keiner Sache der Natur so viele I Dilettanten gibt als in der Religion. Wir nehmen hier Rücksicht also auf Religionsphilosophie: Hermann erklärt, daß es keine andere Religion gäbe, als entweder von Offenbarung gegebene oder na-türliche, also daß es nur phUosophische Religion gäbe. Unter den PhUo-sophen wird Jacobi genannt, welcher die Religion im Gefühl suchte von Wissenschaft und Vernunft unabhängige [Religion].77 Aber da das Ge-fühl nur ein Unwissen oder Wissen sey, so bemerken wir, daß Jacobi das Gefühl als Princip aufstellt, er hat sich auf [das] Gefühl berufen, und der Sinn dieser Berufung war nur Plan, nicht [das Gefühl] als Princip aufzu-steUen, sondern nur sein persönliches Gefühl aufzustellen. Das Gefühl erschien bei ihm also als etwas zufälliges, individueUes;... er selbst hat sich also veranlaßt, wissenschaftliche Behandlung zu geben, so suchte er das Gefühl mit Vernunft zu identifidren, die er als ursprünglich anerkannt, daß sie unmittelbar Gott selbst sey, aber er versteht die Vernunft des 19. Jahrhunderts, also nicht [die] Vernunft Lessings und Spinozas, er argu-mentiert so: nur [der] Mensch weiß von Gott, nicht [das] Thier weil der Mensch Vernunft hat, die ist also vom Daseyn Gottes ihm gegeben. Der Deutsche hat ein Sprichwort: was ich nicht weiß, das macht mich nicht

' H: Künste b H:Ent. c H: das bewahre ich nicht heiß

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MrrscHRiFT CHOVATS 165

heiß0, entweder ist Sinn von Gott genommen als gleichgültiges Wissen, [weder] Bejahung noch Verneinung [ist] gemeint. So kann der Schluß-satz nicht sagen, daß der Vernunft Gott offenbar ist, denn die Offenbarung ist Bejahung der Existenz: oder im 1. Satz ist zweyerlei Sinn: der Mensch weiß von Gott - bejaht Gott, das Thier weiß nicht von Gott, also weder bejaht, noch verneint: und der Satz soll allgemein seyn: Jacobi behauptet aber [,daß] alle PhUosophen Gott . .. läugnen. Wenn dies so ist, so kann er schließen: der Mensch nur läugnet nicht, das Thier läugnet nicht, also die Vernunft läugnet Gott; oder der Mensch bejaht Gott, das Thier we-der bejaht noch verneint, also die Vernunft ist das, was Gott verneint. Dies ist vom Obersatze. Der Untersatz in diesem SyUogismus: das einzig Unterscheidende [des Menschen vom Thier ist] die menschlichen Ver-nunft, ist gewöhnliche Rede, aber sie versteht aUe [geistigen] menschli-chen Eigenschaften [unter Vernunft], und so versteht Jacobi die Ver-nunft. Nie hat jemand von einer thierischen Vernunft gesprochen - diese kennen wir aber alle, indem ich oft höre von einem vernünftigen Pferde im Gegensatz gegen unvernünftige, ja man hat [als] ein Analogon der Ver-nunft den Instinkt bezeichnet, nicht aber Analogon des Verstands. Zwar wird auch vom Verstand nur analogisch, accidentell gesprochen, denn Verstand als Vermögen kann [man] niemanden zuschreiben, [so wie] Vernunft ihnen zugeschrieben* wird. Ein Analogon der Vernunft6 kann man auch einzelnen Handlungen der Thiere zuschreiben,... Wenn also ein christlicher Philosoph wie Jacobi ein Verhältniß zu Gott [durch]die Vernunft nicht kennt, so ist die PhUosophie jetzt nur eine Religion. Zwar ist diese nicht als besondere PhUosophie behandelt, wodurch sollte sich [dann] die Rdigionsphilosophie von anderen Wissenschaften unterschei-den? Hermann glaubte, daß [es] entweder Offenbarungsreligion0 oder natürliche, d. h. phUosophische Religion gäbe. Wir haben aber gezeigt, 1: daß es außer diesen noch [eine] dritte, die mythologische Religion gäbe, zwar [hat] Hermann diese als etwas zufälliges bezeichnet: aber es ist ge-zeigt, daß diese die I älteste [der] Offenbarung vorausgesetzte Religion sey, daß sie in eine Zeit geht, wo von keiner wissenschaftlichen Zeit die Rede seyn kann. Wir haben diese dritte bloß auf historische Weise gefun-den und gelangen dazu, wo die Mythologie so alt, als [das] menschliche Geschlecht sey, daß keine Zeit war etwa zur Erfindung, sondern [daß es] nothwendige Vorstellungen des Processes [sind], dem die Menschheit unterworfen [war], auf Einem allem Denken [zuvorkommenden] und we-

H: abgeschrieben b H: des Verstandes 0 H: Offenbarung d H: Wesen

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sentlichen Verhältniß*1 zu Gott [gründe], dem sie verpflichtet ist. Aus dem Verhältniß kann sie nie heraustreten, der Proceß also setzt Gott auf na-türliche Weise. So soUte die Mythologie die natürliche Religion seyn. Ein Apostd vergleicht das Heidenthum [als]" die wddwachsende Religion -mit [einem] Odbaum78, eine solche Thatsache, als natürliche Religion kann nicht ohne Folge seyn: die natürliche Rdigion zieht von selbst gleich die geoffenbarte [nach sich]6, wenn die Mythologie von Vernunft unabhän-gig ist, so wird [es auch]0 die geoffenbarte Religion [seyn]. Hat man dies gefunden, so wird diese Schwierigkeit nicht mehr vorhanden [seyn]: eine Realität der [ge]offenbarten Religion hat die Realität der natürlichen zur Folge, zwar erscheint Supranaturalismus als übernatürlich*1, weU man ein reales Bewußtseyn unmöglich fand, was jetzt die Mythologie voraussetzt. So setzt sich die Stellung der geoffenbarten Religion, sie steht in Gemein-schaft mit... der natürlichen Religion [dem Rationalismus] entgegen: hätte der Rationalismus die Mythologie in bloße PhUosophie aufzulösen, er müßte eher die PhUosophie der Mythologie widerlegen. Schon überhaupt in einem System wird nichts klar, bis jeder Begriff nicht erkannt wird, solche Unabhängigkeit hat die Offenbarung mit [der] natürlichen [Reli-gion] gemeinsam, aber kein Begriff kann [isoliert] vollkommen bestimmt werden. Die Offenbarung - indem sie das ewige als reine Vernunft dar-stellt - unterscheidet [sich] von [der] gemäßen Form, die Mythologie unterscheidet [sich] auch durch Form und Inhalt, eine Art von Ver-nunftinhalt. Die Theologen hätten schon längst erkennen' [soUen], wel-che Apologie sie der Offenbarung annehmen soUten, [aber] der wahre Inhalt [war] noch nicht gefunden. Wahre Religion kann von Religion nicht verschieden seyn, also [die] zeugenden'Principien aller Religion finden sich in jeder Religion aber ist die Mythologie wahre Religion in sich, so hat sie die Factoren der Religion [in sich]: die mythologische Religion muß die Factoren der [ge]offenbarten Religion enthalten, so wie diese jene; eine Religion ist götdich, eine natürlich gesetzte Religion; Offenbarung setzt [das] Ungöttliche voraus, [das] Ungötdiche ist dem Götdichen ver-wandt.79 Jene erste Potenz - die sich im Proceß [als] erste ausschließende* - Potenz verhält, die zweyte bestreitet, beide sind nicht schlechthin nicht Gott, aber Gott ist [in] ihnen nicht als solcher, in seinem Wesen, sondern er ist [in] ihnen außer seiner Gottheit, in dem Proceß sind jene Potenzen

H:für b H: Absicht 0 H: sie so als d H: „un" steht über „übernatürlich" H: annehmen

1 H: zeigenden « H: aufschließ.

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MITSCHRIFT CHOVATS 167

relativ außer dem Göttlichen. Das Bewußtseyn hat kein Verhältniß zu Gott als solchen, so sagt Paulus zu Heiden, sie seyen außer Gott.80... Was die Offenbarungsreligion betrifft : das A. T. wird gesetzt unter ausschließli-chem Monotheismus, der wahre Gott ist nur [der] durch Potenz vermit-telte, also offenbart; das Ende aller Offenbarung - das Christenthum - ist jene Befreiung ... von dieser Voraussetzung, die Aufhebung durch eine götdiche That, deren Folge ist, daß die Po-1 tenz als natürliche verwan-delt wird. Dieser Proceß ist wirklich, er kann nicht durch eine Lehre, sondern durch eine That aufgehoben werden. Die Realität der Einen [Religion] hat die Realität der anderen zur Folge. Das Christenthum gibt sich nur für Erlösung von [der] blinden Macht des Heidenthums, wäre das Christenthum nicht real, so wäre auch das Heidenthum nicht real. ... Viele haben im Christenthum Elemente für heidnisch erklärt, aber eben dies heidnisch Reale macht das Christenthum reell. Das Christenthum schafft diesen Stoff nicht, es findet ihn [vor], der Inhalt der Offenbarung ist verwandelter Stoff, aber sie verwandelt nicht nur die natürliche Religi-on, hat [diese als] aufgehobenes in sich, und die Offenbarung ist auch durch Vernunft begreiflich. Die Geschichte ist Inhalt des Christenthums, aber sie hat [ihre] Voraussetzung nur in reellen Vorgängen, die in der PhUosophie der Mythologie erschlossen* sind. So vid über das Verhältniß der Mythologie zur [ge] offenbarten Religion. Ich kehre zurück auf die Bestimmung des Begriffs der Religionsphilosophie. Diese wird zu ihrer Aufgabe machen, verschiedene Formen der Religionen6 [aufzusteUen]; die PhUosophie kann nur allgemein erklären, aber die RdigionsphUosophie muß alle Formen der Religionen natürlich aufstellen. So auf Wissenschaft beruhende - geoffenbarte und mythologische Religionen. Der wissen-schaftliche Geist wird ein Verhältniß daran aufstehen0, und dies ist wirk-lich geschehen, denn man bemühte sich die Mythologie in PhUosophie aufzulösen. So sagte man, daß die Mythologie eine [ge]offenbarte Religi-on seyn soll, wie alle Religionen.... die älteste Form der Religion ist die Mythologie, denn Gott ist der Potenz nach mythologisch, aber nicht nur geschichtlich, sondern wahrhaft allgemeine Religion, während die [gelof-fenbarte Religion nur auf ein Geschlecht gerichtet ist, ohne den Glanz der stolzen Macht des Heidenthums nur relativ brechen zu können. Der mythologischen folgt die [ge]offenbarte Religion: in der Mythologie ist die blinde, unfreie, ungeistige Rdigion, die Offenbarung ist Rdigion des Geistes, und dies ist die phUosophische Religion, sie ist also durch beide vermittelt, und so auch die dritte . Die älteste unvordenkliche Rdigion ist

* H: geschloßen b H: R.R. - Religionsrichtungen (?) c H: zustellen

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die Mythologie, diese ist blind, unfrei, die [ge]offenbarte Religion vermit-telt aber die Religion des Geistes oder die phUosophische Religion. Wen-den wir nur den Grundsatz auf sie [an], daß die Factoren aUer Religion dieselben sind; wenden wir dies auf die phUosophische Religion an, so wird diese die wahre Religion seyn, welche in sich die Mittel besitzt jene von [der] Vernunft unabhängigen Religionen wahrhaft* zu sehen, die alle Principien in sich enthält. Dieselben Factoren müssen aber frei begriffen werden. Die phUosophische Religion als geschichdich durch beide ver-mittelt hat [die] SteUung, diese zu begreifen, denn sonst würde6 sie beide aufheben;... Die phUosophische Religion muß selbst von einem Gott wis-sen, der in der Vernunft existirt; man könnte aber folgendes bemerken: Sie kann [nur] auf freier Erkenntniß beruhen, nicht ds das Unfreie, Bün-de, dso war eine philosophische Religion im Alterthum unmöglich. Aber bei [den] Griechen heben sich unmittelbar auch andere Spuren hervor, dso PhUosophie hat sich in Griechenland in höchsten Puncte entwickelt, der Proceß war aber zu Ende, aber die Voraussetzung des Processes war nicht aufgehoben. Das Alterthum stand unter I der Gewdt des mytholo-gischen Princips, so ist eine philosophische Religion im Alterthu m unmöglich. Das Verhältniß war nur ein vorübergehendes, welches aufge-hoben werden soUte; ein Gefühl des Zukünftigen kann man in manchen Äußerungen Piatons und Socrates finden: eine phUosophische Religion in dem Sinne wie wir es finden, war im Alterthum unmöglich, denn sie konnten [die] Mythologie nicht verstehen. Aristotdes81 hat sich von al-lem Mythologischen abgewandt0, aber so oft die Mythologie ihn anzieht, hatte er ein Gefühl, daß die Mythologie eine unvollendete Thatsache ist. Er ist entfernt, den wahren Gott der Mythologie zu ahnen;.. .d er kann keine Quelle durch Offenbarungserkenntniß machen. Die Wahrheit der

Mythologie sehen wir erst durch Erscheinung des Christenthums Aber auch mit Erscheinen des Christenthums konnte [die phUosophische Re-ligion] nicht gleich nachgewiesen werden und entstehen ... die Offen-barung muß selbst ds red ds unverstandene gefaßt werden; die Kirche hatte immer das drohende Princip des Heidenthums, welches die Kirche bestreiten wußte. Aber nur später kommt [der] Moment der [ge]offen-barten Religion, wo sie aufhört ds redes Moment zu seyn, wo sie sich auf freien Standpunct setzt. Erst nachdem die Gefahr des vorhergehenden'

H:wh b H: wäre c H: aufgegeben d H: aber es ist - bewunderungswürdig in dem er enthält seine religiösen Untersu-

chungen unterscheiden H: vorh.

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MITSCHRIFTCHOVATS 169

Princips völlig beseitigt war, tritt das Bewußtseyn in [die] Offenbarung; es steUt* sich in [das] Denken, welches ein mitderes zwischen Bewußtseyn und Denken ist, welches aber Übergang zu einem freien Erkennen wird, das Bewußtseyn setzt sich auf [einen] vöUig reinen Standpunct - diese freie Erkennen ist das letzte. Nicht sofort konnte das der blinden Er-kenntniß entbundene Bewußtseyn zur freien Erkenntniß kommen, indem das Bewußtseyn zugleich aUer wirklichen Erkenntniß endeert [war], kann [es durch die] Macht des freien Erkennens ersetzt werden. Dieses rein negative Verhalten zu aller Erkenntniß ist auch etwas gewordenes; es war anerkannt, daß etwas der Vernunft vorausgegangen sey. Man kann sei-nen Anfangsproceß betrachten: die bloße Vernunft wurde durch ratio pura übersetzt; das Negative des Reinen war verloren; die Vernunft ist selbst die Freiheit,... aber auch damit war die Freiheit nicht erreicht. Um zur absolut freien Erkenntniß zu gelangen: zu dieser vollkommenen Nega-tivitä t des Denkens konnte nicht so leicht gelangt werden, denn es hat sich eine positive Philosophie gebUdet, die glaubte... im Besitz einer von Offenbarung unabhängigen Theologie zu seyn, so nannte [man sie] na-türliche Theologie. Diese Metaphysik hatte 3 ErkenntnißqueUen ange-nommen: 1:) die allgemeine Erfahrung -Offenbarung war ausgeschloßen: die PhUosophie est srire rerum, quae ratio sola cognoscere potest. 2:) die Vernunft - welcher von Erfahrung unabhängige Principien zugeschrie-ben wurden; 3:) das Vermögen des Schließens, indem man annahm, wenn die vorausgesetzten Grundsätze von der Vernunft unabhängig in der Erfahrung gegeben wurden.82 Es wäre möglich auf das schließen, was überall [nicht] zu erfahren sey: so woUte man das Daseyn Gottes ... I er-kennen; der ontologische Gottesbeweis6 war davor nicht bekannt. Wir kommen dso zu [dem] Punkt der Vernunftreligion; das wichtigste ist: die dte Metaphysik glaubte, die Existenz Gottes zu beweisen - und glaubte, dazu mit religiösem0 Lnhdt zu gelangen. Wirkliche Religion beruht aber auf [dem] wirklichem Gott, sie setzt einen solchen voraus: die Offen-barung läßt sich gar nicht denken ohne voraus existirenden Gott[;] so blieb [dem] lnhdt der natürlichen Religion dso nur die Form der Offen-barung behdten: vor allem war mit dieser natürlichen Theologie dler-dings der lnhdt einer Vernunftreligion gegeben, an welcher auch jene Denker festhielten. Später war die Unterscheidung*1 zwischen Deisten, die an eine blinde Wurzel - und Theisten, die an ein freies Wesen ds Ur-heber, dachten.83 Allerdings konnte die Criti k bei Vernunftreligion nicht

* H: steht b H:ontol.G. 0 H:Rel. d H:Ur s

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stillstehen, sie mußte sich nach dem lnhdt der Vernunftrdigion nach rich-ten, denn ein wirklicher Gott ist nicht [ein] immanenter, sondern [ein] transcendenter - dies wurde also aufgehoben: die Reformation ist wirklich noch nicht erschienen, sie blieb unvoUendet, da* sie über Metaphysik stehen blieb.84 Erst nach beständig wiederholter [Vermischung von] Metaphysik und Religion hatte sich die Kirche ausgebUdet, und so kam eine Vermischung von positiven und negativen Principien - positiv, was sich bezieht darauf, was außer dem Denken ist - die Kirche fing an die positiven Elemente auszustoßen: dies geschah mehr tumdtartig6; nur lang-sam kam die Vernunft dazu, wo die Scheidung cognita causa erfolgte: dies war die Sache Kants: Critik der Vernunft, denn es handelte sich gewiß um eine Crisis, wo die Vernunft über alle Existenz hinausgesetzt wird. Das Resultat war: daß die Vernunft die Existenz Gottes nicht beweisen kann. Nur von Existenz Gottes war die Rede bei Kant, der Begriff Gottes blieb ihm immer die letzte Idee, womit man nicht anfangen könne, weil sie nicht constitutiv, nur regulativ gebraucht seyn kann.85 Das größte Resultat war, daß es keine Vernunftreligion gibt, die Vernunft aber ... war bei Kant auf practische Forderung begründet, woran alles Speculative ausgesetzt sey: aber Kant meinte: sollte dabey alles Speculative ausgesetzt seyn - und [von] einer höchst exdusiven Wahrheit, so [sie] in [der] Vor-steUung der Offenbarung ist, [ließ er] nur soviel gelten, ds sich mit der practischen Vernunft verglich, so entstand Natur-Rationdismus. Die Begründung auf mordische PhUosophie hat für Natur-Religion0 diese Folge, daß in der VorsteUung nur so viel ds wirkliche Religion gelten soll. Religiöser lnhdt des Christenthums reduciert sich darauf, daß aUes aus-geschloßen wurde, was nicht den Gott ds VoUstrecker des Sittengesetzes darstellte.86 Diesem ungemein flachen RationaÜsmus hat sich in neuer Zeit ein objectiver Rationdismus entgegengesetzt.87 Diesem objectiven Red-Rationdismus oder dieser PhUosophie von welcher er sich herleitet sind folgende Betrachtungen zu bemerken: Der Inhalt der Offenbarung ist wesendich ein geschichtlicher überhaupt, specieU einer höheren Welt, was der gemeine Rationdismus nicht erreichen konnte, denn das Begrei-fen besteht hier darin, daß das Geschichdiche zum Logischen gesetzt wird: dieser Rationdismus erkennt dem Christenthum Wahrheit*1 zu, aber nur ds Form, darum ist sie nicht wahrhaft Wahrheit88; es ist keine Kunst die Mythologie zu erklären, so auch die Offenbarungsreligion, wenn man ihre Eigenthümlichkeit erkennt... I... ds geschichdiche enthdt sie auch für

H:daß b H:tumult(? ) c Natürliche Religion (?) d H: chr. Wh.

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MrrscHRiFT CHOVATS 171

[den] objectiven Rationdismus keine Wahrheit. Der eigendichen Recht-gläubigkeit ist [es] zu thun, die dogmatischen Thatsachen von Mensch-werdung, Christi Auferstehung - ds geschichtliche zu erklären,... Religi-on innerhdb der Grenzen der Vernunft Kants: er wollte das Kunststück nur gegen gemeinen Mann im Unterricht anwenden, hier auch gegen ge-lehrte Männer. Der subjective Rationalismus erklärt , jede Offenbarungs-lehre anzuerkennen, wenn [sie] ihm erklärt wird; dieser ist zwar von Natur sceptisch und kann sein Zid nicht ohne Gelehrsamkeit erreichen, die historischen Forschungen bei ihm sind nur ein Verdienst. Jede Lüge ist verdorben, am verdorbensten jede historische Lüge;... FreUich muß man eine PhUosophie nun nicht* denunzieren6 und [zu] verdächtigen suchen, dies ist etwas ehrloses. Wir müssen eine Lehre, daß das ewige Leben nur jenseits seyn wird, als christlich anerkennen. Nach dem Resultate dieser Vernunftreligion können wir sagen, daß eine phUosophische Religion in solchem Sinne nicht existirte, das was wir in der Mythologie und Offen-barung als wirklich anerkennen; [ist] keine philosophische Religion -[denn] die Factoren gibt es bis jetzt nicht. Es ist die Frage: ob diese auf die Philosophie und Wissenschaft begründete Religion später Vernunft-religion [folgen] werde? Allerdings, wenn die Wissenschaft auf reinen Punct der Vernunft gesetzt seyn mußte. Wo Vernunft ist, ist Vernunft -in diesem weiteren Sinne ist die phUosophische Religion gewiß PhUoso-phie0; aber dies ist sehr allgemein. Eine phUosophische Religion ist zuerst [eine] solche, durch wdche das Verhdtniß des menschlichen Bewußtseyns zu [dem] wirklichem Gott bewußt wird. Ist nun eine solche philosophische Religion nicht vorhanden, so erheUt, daß auch die PhUosophie nicht existirt, wdche uns in [den] Standpunct unserer Betrachtung einsetzen könnte. Dieser Mangel einer solchen PhUosophie ist kein Grund gegen die Richtigkeit oder Wahrheit unserer Untersuchung, denn wir sind von keiner Philosophie ausgegangen; wir haben die Mythologie auf keinem andern Puncte gefunden ds jeder andere [auch], nur stufenweise - in ge-schichtlicher Entwicklung - durch successive Ausschließung dies unwah-ren, während das Wahre in so kleinen Räume sey, daß man es anerken-nen muß.89 Wir sollen also dies philosophisch betrachten: Bei dieser Abhängigkeit ist zu erwarten, daß sich viele Gründe finden, die ausge-sprochene Ansicht sich nicht zu gefallen [zu lassen];... Unabhängig von jeder PhUosophie kann nicht widersprochen werden, weU sied sich mit keiner philosophischen Denkweise verträgt. ... Unser Resultat fordert,

H. nn. (?) k Lesart fraglich * H: philosophische Religion d sie = unsere Ansicht von Mythologie

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daß ein anderes redes Verhdtniß des Menschen zu Gott begründet ist: daß sich unabhängig von aller PhUosophie hdten muß, es muß mit der Erfahrung zusammenstimmen. Reelle Fortschritte hat die PhUosophie nur in Folge einer weiteren Erfahrung gemacht; so wie sich die PhUosophie durch Kant I die Welt erweitert hat. Da indeß die verschiedenen Seiten des menschlichen Bewußtseyns sich auseinander setzen, so trat nach [dem] subjectiven Ideaüsmus Fichtes eine andere Seite des menschlichen Bewußtseyns [hervor]. Seit man durch [den] Versuch, der PhUosophie aUe Natur zu entziehen, genöthigt war, daß sie nicht ein bloßes Nicht-Ich, sondern ein Ich sey, so mußte die Natur ds nothwendiges Element in die PhUosophie eintreten. ... Erkannten Thatsachen kann man doch nicht widerstehen, so zweifelten die Begriffe der jüngsten PhUosophie nicht an [der] VoUständigkeit des Erfahrungswissens; dso die Welt sey selbst nur eine beschränkte Wahrheit: von geschichdicher Seite hat eine geschicht-lich neuere Welt begonnen. Ein Phaenomen in der Art so allgemein war die Mythologie bis jetzt von der PhUosophie äußerlich unberührt. Es ist viel gewonnen, wenn die Untersuchung auf einen Gegenstand gerichtet wird; allerdings nur [eine] erweiterte Philosophie kann uns gewähren, das was in [der] Mythologie ist, ds wirklich anzuerkennen. Die Mythologie ist ein Begriff des theogonischen Processes, er ist überflußig bis jetzt, er ist nicht von sich [aus] begriffen, er ist nur die letzte Grenze: aber er muß nun jetzt selbst zu Grunde der Untersuchung [gdegt werden*]; die-ser Begriff ist für uns bloß ein factischer; aber nicht von sich selbst aus [wird der] wahre Begriff gewonnen, er ist die Grenze, jetzt aber muß untersucht werden, welches ist sein Element! Wir können hier zwey Wege einschlagen6, entweder vom höchsten Punkte aus, von [der] PhUosophie aus, aber so wären wir auf [einem] anderen Standpunct,... die nächste Voraussetzung ist bereits gefunden, nämlich der mit dem Wesen des Menschen [gesetzte] potentielle Monotheismus, nach diesem muß der Gott0 des theogonischen Proceß [im] Bewußtseyn liegen; von [dem] Be-griff des Monotheismus her muß das ganze Element des theogonischen Processes gefunden werden; auf diesen Begriff als höchste Vorausset-zung hat sich unsere Untersuchung zu richten, nämlich wie früher die Mythologie, so jetzt diesen Begriff Monotheismus als Thatsache zu behandeln. Dieser hat nicht so viele Schwierigkeit ds in phUosophischen Begriffen sich findet. Dieser Begriff ist der gemeinsame Mittelpunct der Offenbarung und natürlichen Religion; eine von dien Seiten zugelassene

* H: liegen b H: anschlagen « H:G.

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MITSCHRIFT CHOVATS 173

Voraussetzung...; so läßt ihn jeder gelten. Um daher eine Übersicht* [zu] geben, werden wir 1. den Sinn oder lnhdt dieses Begriffs näher geben -in der früheren Entwicklung haben wir diesen Begriff im Gegensatz zu Theismus und relativen Monotheismus vorläufig bestimmt, aber worin die wahre Einheit und Wahrheit Gottes besteht, wird jetzt folgen. Gesetzt sodann, es entdeckten sich im verstandenen Begriff des Monotheismus [die Elemente, die uns in den Stand setzen, einen theogonischen Proceß überhaupt zu begreifen]6, so werden uns auch 2:) die Mitt d gegeben seyn den theogonischen Proceß unter [einer] Voraussetzung [ds notwendig] zu begreifen; dso 1 den theogonischen Proceß: in allem zu begreifen 2 die Mittd, den theogonischen Proceß im Bewußtseyn einzusehen0; und dann erst 3:) denken wir die Wirklichkei t eines theogonischen Processes an [der] Mythologie fort [zu] setzen....

I . Der Theogonische Proceß des Monotheismus90

Man dürfte fragen, ob wohl die verschiedenen Principien, die [in] Herr-schaft stehen I in Folge wissenschaftlicher Erkenntniß [dort] stehen*1, wie das Königthum von jeher gestanden hat, ohne daß man sich nach ihm wissenschaftlich erkundigte; so war [der] Übergang zum Christenthum eine plötzliche Umkehr der Menschheit, dso nicht wissenschaftlich be-handdt, weU es damds übergeschichtlich war. Wäre es nicht zu wünschen, wenn ein Begriff zum Gegenstand freier wissenschddicher Untersuchung genommen' wäre? Und daß gerade diese Begriffe welche zum Grunde unserer BUdung gehören, am wenigsten untersucht worden [sind] - aus Furcht, und weil jeder voraussetzt, sie müßten längst vertraut seyn? ... Was überhaupt die Theologen und philosophischen Theologen-Rationa-listen betrifft - von denen man erwartet, daß sie in diesem Begriff klar werden sie haben dies nicht zur Klarheit gebracht: jetzt läßt man es un-erwähnt oder... was die positiven Theologen betrifft, bei diesen ist auch ein Schwanken zwischen [dem] Ausdruck Einheit und Einzigkeit wahrzu-nehmen^91 Sieht man sich um, so ist die Verlegenheit nicht schwer, nicht wie bei andern Dogmen [wegen der]8 Dunkelheit, sondern [wegen der]6

H: Übers. b Vgl. XII , 10 c H: einsetzen d H: haben * H: unternommen ' H: anzunehmen ist » H: von h H: von

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Klarheit; [die Formd für] den einzigen Gott ist ihnen, daß kein anderer sey: nun hat man diesen - einzigen -, [den] die Theologen voraus schon Gott genannt [haben] - dso jetzt sich nur ds Begriff gedacht; dso haben sie dieses, daß kein anderer ist, schon damit gedacht, daß außer ihm kein anderer ist: und so müßte der Monotheismus eher gefunden werden. Dieser Begriff wird aber nur stillschweigend vorausgesetzt, und bedarf keiner Versicherung, daß außer ihm kein anderer Gott sey, und so wäre [es] auch eine Ungereimtheit. Im Grunde muß entweder der Begriff des wahren Monotheismus gesucht werden, oder [der] Begriff der Einzigkeit ausgdassen werden, man kann nur sagen: „Gott " [oder] „Theismus" nicht Monotheismus: viele Theologen haben dies auch aufgegeben: nur wenn Begriff des Monotheismus ds etwas Besonderes ausgegeben' wird, so sagt ein Mann92: die Einheit Gottes wie sie gewöhnlich vorgesteUt wird, ist ei-ner Erörterung wenig fähig und erläutert ds Begriff Gottes, daß dieser Begriff der Einheit6 nicht mehr enthdte ds Theismus: so er läßt die Ein-heit Gottes von [den] Attributen weg. Man soUte glauben, es sollte dieser Begriff in besonderen Capiteln behandelt werden, dies ist aber schon längst aufgegeben. Aber es existirt in der Dogmatik seit längeren Zeiten [die Lehre] von [den] göttlichen Attributen: diese Attribut e werden eingetheUt in negative, bei wdchen Gott ds ruhend gedacht wird, so Ewigkeit atttri-buta quiescentia: Einheit [etc.], und positive, wo Gott wirkend, in einem Verhdtniß gedacht wird. Man sollte also erwarten, daß bei ihm von Monotheismus gar nicht die Rede ist, dlein er redet von Unterscheidung zwischen Christenthum und Heidenthum, hier sagt er: die Einheit sey Unterscheidung der monotheistischen Religionen093 - indeß wenn auch eine unterscheidende Formel - doch muß sie etwas der Sache ... Eigen-tümliches aussprechen, und zwar nicht unter diesem selbst, sondern in Abhandlung von anderen göttlichen Eigenschaften, wo er sagt, daß die Einheit eine Eigenschaft und nicht eine Eigenschaft [wie die anderen] sey.94 - Wir sollen also diesen Begriff einer Criti k zu unterwerfen: Es ist leicht zu sagen: Monotheismus hat nur Sinn und Bedeutung im Gegen satz zum Polytheismus; jetzt aber, nach dem Viel-1 götterey verschwun-den ist, hat er keine Bedeutung [mehr]; eigentlich sind nur Theisten und Atheisten, [die Anhänger der] Vielgötterey sind nur Atheisten; dso der Begriff des Monotheismus ist von großer Wichtigkeit, er entscheidet [über] Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit der Mythologie. Wenn einmal von Gott die Rede ist, wenn Monotheismus mit [dem] Gedanken Gott feststeht, so kann Polytheismus nicht von Monotheismus ausgehen. Die-

' H: aufgegeben b H: des Monotheismus c H: Monotheismus

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MITSCHRIFT CHOVATS 175

ser Begriff dso, daß außer Gott kein Gott sey, beweist nicht, daß Gott nur einer sey. Der Gott außer dem kein anderer ist, muß einer seyn, er kann dso wohl Gott aber auch Eins* seyn. Daß außer Gott nur kein an-derer Gott wäre, aber so können die Theologen [es] nicht verstehen, sie können dies unmöglich anerkennen, sie weichen davon ab, daß außer Gott kdn anderer Gott ist, die Einheit wird von ihnen ds etwas [gedacht, was] vor [der] actueUen Einheit sey; dso müssen sie zugeben, daß außer Gott ein anderer unabhängig von ihm existire, wenn er auch nicht sey. Demjenigen aber, der nur zufällig Gott wäre - muß seiner Natur nach Streben seyn, den ersten sich wirklich actu gleichzusteUen, dso den er-sten seiner Stelle zu entsetzen, und in seine Stelle sich einzusetzen. So wären wir auf andere Art von Gott geführt; der Dudismus nämlich kann nicht für Polytheismus gdten, weil er nur einen wahren Gott anerkannte, aber auch nicht für Monotheismus, denn er behauptet die Einheit nicht seinem Wesen nach, sondern ds zufällige Einheit.95 Der Gott . .. der [ei-nen] andern Gott außer sich hat, wäre so ds das gute Princip ... und so wäre auch der gute zufdlig; absolut gut wäre [keiner],... er müßte die Schöpfung des ersten einschränken; so müßte eine mittlere vermischte Welt entstehen. Wir nun erkennen aber ds Geschöpfe des wahren Got-tes den bösen Gott nicht an; denn jener Gegen-Gott zu6 dem bösen Gott hätte dasselbe Recht, er hätte Macht, die Achtung [des Guten] böse zu nennen. Sey der Gegensatz Gottes innerhdb der Welt, so hätten auch diese Geschöpfe der Welt das Recht, [Gutes] ds Böses zu nennen. Das Restrictive läßt sich dso nicht hervorbringen; eben so wenig können die Theologen so erklären: Gott ist nur ein Gott, weil außer ihm zwar etwas anderes, aber nicht Gott sey. Dies wäre eine Meinung, die gewöhnlich für platonisch gdt. Sie können dso nicht diese Erklärung sagen, daß außer Gott kein anderer Gott sey, denn auf diesem Standpunct müssen sie sa-gen, daß außer Gott nichts ist, was mit Gott in absoluter Relation stehe, ... So ist Monotheismus nur zufällig erklärt, wenn nur kein Gott außer Gott ist, weil außer ihm nichts ist: der Fehler ist dso darin, daß sie nur von absoluter Einzigkeit reden, und diese sey ds besondere Einzigkeit, so daß kein anderer Gott sey. Daraus entsteht nur eine Täuschung. So können wir [nicht] sagen: Gott ist nur Gott, sondern er ist der schlechthin Einzi-ge,... er ist der einzige Gott. Wenn der vöUig gleiche Ausdruck sey, dies ist soviel, ds wenn ich sage: der schlechthin Einzige - das schlechthin Ein-zige: daraus erhellt aber, daß die Gottheit nicht in der Substanz liegt. Denn sonst wäre Gott als solche Substanz auch der einzige Gott, so wäre Spinoza ein ebenso guter Monotheist, ds der christlichste Theolog: wenn man aber

H: Ein b H:mit

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[von] Monotheismus I in plurdi redet, so wäre es soviel, ds von vielen einzigen Göttern zu reden.96 Daß in jener absoluten Ewigkeit Gott nicht ds Gott, sondern ds Substanz gedacht wird das erkennen die Theologen: so Reinhard: unita est illud attributum Dei, quo negatur plures sub-stantias infinitas esse97 - dso hier ist nicht Einzigkeit Gottes ds solchen [gemeint], sondern [die] Ewigkeit Gottes ds unendliche Substanz. Aus aUem folgt, daß [der] Begriff Monotheismus aufgegeben wird, er ist nur Theismus, denn es wird bestimmt: bloßer Theismus ist, wenn Gott überhaupt nach negativen Attributen gedacht wird,... im Monotheis-mus muß die Einheit ds Gott gedacht werden: Die Theologen sagen, daß außer Gott kein anderer sey, dies ist auch nicht richtig, sie soll-ten sagen: „kein anderer seyn könne", denn apodictische Wahrheiten sind keine Dogmen. ... die Einzigkeit Gottes muß in ihrer eigentlichen Bedeutung erforscht werden; wir müßen von [der] absoluten Einzigkeit ausgehen, aber nicht die Einzigkeit, die von Gott ausgesagt, von Gott aus so, daß er terminus a quo sey - sondern Gott ist erst Gott, wenn er absolut ist: wir können nicht sagen: der schlechthin Einzige - bevor er Gott ist, auch nicht: das schlechthin Einzige: nicht nach dem er Gott ist, sondern vor seiner Gottheit ist er das schlechthin Eine. Allerdings der Ausdruck der Einzigkeit von einer Substanz kann nur uneigentlich gebraucht werden. Wir haben die negativen Attribute als diejenigen erklärt, welche Gott vor seinem Thun hat, und daher vor seiner Gott-heit hat. Wie die Einheit, so sind alle negativen Attribute die, ohne welche Gott nicht wäre, wenn er nicht vordem wäre. Ebenso kann ohne die Ewigkeit Gott nicht Gott seyn, aber auch durch diese negativen Attribute kann er nicht Gott seyn. So erklärt sich die Verlegenheit, die negativen Attribute in Sätzen auszusprechen: Gott ist ewig, Gott ist ein-zig: aber auch Gott ist der Ewige, der Einzige, [diese] sind im Grunde verkehrt, sie müssen so lauten: das Ewige ist Gott, das schlechthin Ein-zige ist Gott; die Gottheit ist also immer das Folgende, das Posterius -so kann man dso zum Monotheismus gelangen. Gehen wir nun zur Begründung des Monotheismus vom schlechthin Einem aus, daß Ein nur ein Ausdruck jenes Prius der Gottheit ist, die Aseität, Ewigkeit, Unendlichkeit gehört auch dazu: wir können so vom schlechthin Ewi-gen ds vom schlechthin Einen ausgehen: die verschiedenen negativen Attribute lassen sich auf eines zurückführen, so konnte [das] Eine nur ein Ausdruck seyn für das, daß ein Gott sey: ... Gott ist nur in seinem Thun Gott, nicht seiner Substanz nach: aber in ihm ist etwas, was ohne sein Thun seyn kann, denn er handelt, er muß seyn, Gott ist nicht ein Seyn, er ist das Seyn selbst, er ist nicht das, wozu das Seyn kommt, sondern das, was diesem Seyn a priori vorausgeht, daß dem Seyn nicht das Seyn vorausgeht, quod ne cogitari potest nisi existens - Spinoza - das

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MrrscHRiFT CHOVATS 177

primum quod de Deo concipi potest, ist das, daß er Seyn ist.98 Von dien endlichen Dingen kann* ich ein I vorausgehendes Seyn voraussetzen; allein6

Gott ist actus purus, in dem nicht von einer Potenz, von einem Actus die Rede ist, sondern von einer Negation; Gott ist das Seyende, dem keine Potenz vorausgeht, er ist seiner Natur nach schlechthin eins. Aber alle Potenz ist ausgeschloßen, denn der Begriff der wirklichen Dinge verhdt sich wie Potenz. Alles Seyende aber hat Potenz in sich, der Begriff ist an sich unendlich, aber er wird nicht erfüllt; die Pflanze hat das Thier ds Potenz in sich. Derselbe Begriff kann in mehreren seyn, aber er ist noth-wendig eins. Gott ist dso das rein Seyende, aber darum ist das Primum, qoud de Deo concipi potest, in diesem Begriff noch nicht Gott, nur ein Begriff. Dieser Begriff ist nicht etwa [einer] des falschen Gottes, aber auch nicht des wahren Gottes, d. h. in seiner Gottheit. Wir wissen jetzt von Gott nicht mehr, nur daß er existirend ist; eben dieses nothwendige Seyn Gottes erweist sich später ds nothwendige Freiheit Gottes, das Prius der Gottheit ist nicht bei endlichen Dingen, sondern die Potenz und Materie ist durch unvordenkliches Seyn. [Der] Fehler des Pantheismus liegt darin, daß Gott nur unendliche Substanz ist. Er wUl von diesem Begriff nicht hinweg gehen. Wo wir im allgemeinen Standpunct der Philosophie wa-ren, war nicht alles nothwendig, hier ist es uns um Monotheismus zu thun. Das, welches gleich wirklich und nicht erst möglich ist, ist metaphysisch nothwendig existirend; so ist uns folgende Frage [gestellt]: Ist dieses nothwendig Existirende das nur actu nothwendige Existiren oder [ist es das] seiner Natur nach nothwendig Existirende? Das was seiner Natur nach nothwendig existirt, wird auch actu nothwendig existiren; dl dies würde ganz fdsch, wenn dies so verstanden wäre, daß es seinem Begriff nach existirte, so ist es nicht es ist unvordenklich! So [ist] unser Aus-gangspunct genau bestimmt: ds ipsum existens, ds existirend, mit dem was seiner Natur nach existirt ist der Begriff Existiren nicht nothwendig verbunden. Das Erste ist das, von dem das Existiren den ganzen Inhalt ausmacht, das was existirt, ist von dem, was wir existiren nennen, nicht verschieden; man sagt auch von Gott: in Deo essentiali; d. h. id quod existit; auf diesem Standpunct heißt dies so viel: das was ist, wird nicht bloß un-terschieden vom actu puro, das Seyende wird nicht nicht unterschieden. Anderer Ausdruck Deus est ipse sua existentia; dies muß umgekehrt wer-den: existentia sua est Deus ipse, wir wissen, daß er existirt, aber wir wis-sen nicht0, was in ihm existirt wir müßen beides aus einander hdten,

damit wir von dem bloß actu nothwendigen Existiren zu dem nicht bloß

H:habe b H: all. c H: n. n.

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actu, sondern wesendich nothwendigen existirenden Gott geführt wer-den, das erste ist bloß necessario existens, aber nicht natura necessaria. Meine Absicht ist zu zeigen, wie von necessario existens zu natura neces-saria zu gdangen* ist. Wer actu existiert, diese nothwendige Existenz ist bloß zufdlig, alles was bloß actu ist, ist nur zufällig, so auch Gott der bloß actu wäre, wäre nur zufiUlig, wir wollen aber, er soU natura necessaria existieren - wir können bei bloß zufälliger Existenz nicht bleiben, wir woUen, was über [den] Actus hinaus ist, wir wollen zur6 natura necessaria! Wir woUen, daß es uns erkennbar sey - denn jetzt ist es I unerkennbar0. Gott ist jetzt unzugänglich, unnahbar; wie kann aber [der] Actus des Existirens aufgehoben werden? Dies kann aufheben nur das wesendich Existirende selbst, freilich absolut wird der Actus nicht aufgehoben seyn, denn dieser Actus mußte vorausgehen, um aufgehoben zu seyn: die Auf-hebung des Actus ist nur a posteriori; nicht das es schlechthin nicht seyn könne, sondern daß [es] Actus nicht seyn könne. Es ist nur ds Actus aufzuheben. Dieser unvordenkliche Actus des Existirens kann nur [ds] Actus aufgehoben werden, er kann nur daddurch(?) Potenz werden; und dann erst erscheint, daß es mehr ds Actus ist. Wir werden es nicht unmit-telbar setzen, sondern nur, daß etwas anderes sey, entgegensetzen, sonst müßte etwas anderes seyn, was seinem unvordenklichen Seyn Vorgänge, und dieses würde durch neu Entstandenes aufgehoben. Dieses mögliche andere Seyn, was wir hier fordern ds einziges Mittel, das unvordenkliche Seyn aufzuheben, mußte von dem herkommen, was [das] nothwendig Existirende sey: was nicht bloß actu nothwendig existirt, sondern auch nothwendig ist. Dieses muß überhaupt auch ein anderes Seyn können: dies mögliche Existiren*1 ist sich selbst gleichbleibendes', sich nicht verän-derndes. Das nothwendig Existirende ist über [das] unvordenkliche Seyn hinaus. Und zwar wird ein anders Seyn können vermöge seines Wollens: das hier entstehende Seyn wird dadurch, daß es potentidisirt wird, es wird bloße Potenz seyn. Hier ist dso Proceß, wozu erste Grundlage und Anlaß ist. In der Lehre von [der] Schöpfung wird auch eine Grundlage vom göttlichem Willen angenommen,... so könnte für [den] Augenblick je-nes andere Seyn nicht bestehen, es ist nicht äußerlich, sondern ein dem-selben Einwohnendes: der Schöpfer ist es, denn jenes andere Seyn ist nur wegen seines Willens. Nur dadurch, daß jenem Existirenden sich ande-res Seyn darsteUt durch WUJen, legt [es] sich in Freiheit, weil jene Exi-

H: geworden b H: in 0 H: unverkenbar d H:Exist. * H: bleibendes

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MITSCHRIFT CHOVÄTS 179

stenz sich nicht setzen, sich auch nicht aufheben kann, das Existirende ist berechtigt, das Andere ds zufällig anzusehen: aber es kann ihm anderes gesetzt werden, wodurch es überwunden wird. Der erste Anblick des gewoUten Seyns ist im unvordenklichen Existiren, denn nur mit diesem Anblick zeigt es, daß es etwas wolle. Dies alles sollte nur vorläufig die Eigentlichkeit* auflösen; jetzt von Anfang her definitiv herleiten. Es han-ddt sich hier um Begriffe, von denen lange in der PhUosophie nicht die Rede war, und darum ist [es] schwer! Wir sahen das bloße Seyn - actu puro Seyn, sonst ist das Seyn, das Existiren immer ein Attribut; hier ist aber nur ein bloßes Existierendes, und dies ist uns Subject, damit ist aber ein vorausgehendes Subject ausgeschloßen, das Subject ist nicht das Prius, aber nicht auch das Posterius: ... Das actu nothwendig Existirende ist der Begriff seiner selbst nach, es ist allen voraus das actu Existirende; die Einschränkung im ersten Begriff nöthigt uns das zu suchen, was noth-wendig existirt; wir können nicht sagen, daß das was natura necessaria nothwendig existirt, auch actu nothwendig existire: jenes, das aUem Den-ken Zuvorkommende, ist grundlos, aUes Denken ist seiner Natur nach Zweifel, dso das was I unvordenklich ist, das actu necessaria existirt: wenn [man] nämlich von einer Hypothesis ausgeht, ist in der Wissenschaft die Schlußweise hypothetisch; wenn das bloß actu nothwendige Existiren die natura necessaria ist, dann muß es in der Erfahrung [vorkommen,] aber es findet sich in der Erfahrung, so ist [es] das nothwendig Existirende selbst. Der Gedanke ist: wenn in [dem] unvordenkhchen Seyn das noth-wendig Seyende selbst ist, so muß dies dem wirklich Existirenden gleich-gültig seyn, es kann [es] auch aufheben: das actu nothwendige Existiren jenem unvordenklichen Seyn gleichgültig für sich behandelt es aufhebt, nicht direct und unmittelbar, weU dies unmöglich ist, weU es sich aufhe-ben müßte. Es muß demnach jenes unvordenkliche Seyn ds vorausge-hend bestehen lassen, und kann es nicht absolut, sondern [nur] ds Po-tenz bestehen lassen; und ihm anderes Seyn entgegensetzt, durch wel-ches jenes nur ds actus negirt, aber als Potenz gesetzt [wird] . Dem seiner Natur nach nothwendig Existirenden ist [das] actu nothwendige Seyn nur ein ihm zugestoßenes, dso etwas zufälliges; das nothwendig Existiren-de hat sein Thun frei gegen dies erste Seyn; dso daß [es] darüber hinaus seyn kann, das nur ein anderes seyn kann; dies Seyn-Könnende kann nur ein anderes Seyn [seyn]. Das seiner Natur nach nothwendig Existirende kann nur Seynkönnen seyn, dies ist seine erste Bestimmung, daß es sei-ner Natur nach - actu unvordenklich sey. Wir können dies nicht ds Prä-dicat betrachten, denn daß es das actu Seyende ist, ist das Erste, und kann nicht das zweyte seyn. Alles was sich von ihm aussprechen läßt, ist nur...

H: Eigentl.

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Zukunft, dso das Seynkonnende zu seyn ist die erste Bestimmung, nicht bloß in actu, sondern inwiefern es [das] Existirende selbst ist. Das noth-wendig Existirende kann nichts anderes seyn als Seynkönnen; das We-sen, was im zufäUigen Seyn ist, kann nicht anders seyn als Seynkönnen, dies ist bewiesen: aber es ist dies Seynkönnen - wenn ich erst wüßte, daß es nothwendig zufäUig ist, aber dies muß erst bewiesen werden; so hat Spinoza [die] nothwendige Existenz gehabt, aber in diesem nothwendigen Existiren hat [er] nicht [das] Existirende gesehen. FreUich erklärt Spinoza nicht die mannigfache Abstufung der Welt, eine logische Folge hat hier nicht statt, weU kein Begriff ist. Wenn es in dem zufdlig nothwendigen, -im blinden Existiren - etwas gibt, so ist dies ist nur das Seynkönnen. Ein anderes ist noch zu erwähnen: In [dem] blind Existirenden sey ein Seyn - das wirkliche Existiren selbst - so wird [das] Existirende darum sich nicht ds dieses unabhängige bewußt seyn, es wird sich nicht ds das Seynkon-nende wissen;... Es muß erklärt werden, wie es über das blinde Seyn hin-aus seyn kann, weil eben hier das Wollende ist. Dieser Schluß ist ganz richtig : jenes unvordenkliche Existiren ist nicht ein durch [den] Begriff bestimmtes, oder gesetztes, eben darum zwar nothwendig, aber nur zu-fäUig nothwendig;... es ist [ein] Übergang, welcher gleich mit actus an-fängt: nur vermöge des Begriffs seiner selbst hätte es jenes Andersseyn ausschließen können. Dieses Andere hat keinen Anspruch auf Wirklich-keit, aber das bloß zufällige Seyn - wenn das blinde Seyn gewollt(?) ist, dann ist auch - dies andere Seyn als Möglichkeit zugelaßen. Wäre das Blinde unvordenkliche I Seyn nicht, so wäre auch das andere nicht, aber es ist jenes unvordenkliche, so ist auch jenes Andersseyn bloß zufällig. Durch Übergang a potentia ad actus, durch diesen erscheint ihm [die] Möglichkeit objectiver Wirklichkeit, wird jene vom Blindseyn zugelasse ne Möglichkeit. Das notwendige Existieren [ist] selbst Möglichkeit in ihm, daß es selbst ds Seynkönnen ist. Nun aber entsteht die Frage: Wie kann das, was das blinde Existieren ist, jenes Andersseyn wollen ? Denn dahin, daß es das andere Seyn wolle, führt diese Untersuchung! Daß es dieses Seyn wirklich woUe? Wie kann es dasselbe woUen? Wenn es in potentia Herr desselben ist, um sich in Wirklichkeit hinzusetzen? Da verhdt es sich gegen dies Seyn, nicht ds Seynkönnen. In jenem Seyn hervorgetreten ist [es] nicht mehr ds SeynwoUen, es ist ds Seyn, was [es] sich selbst zu-gezogen hat, es ist nicht mehr das Seynkönnen, es ist seiner selbst ohn-mächtig, außersich gesetzt! Wenn es bloß Seyn wäre, so wäre es noth-wendiges Seyn; wenn das Wesen im blinden Seyn' bloß Seynkönnendes wäre, so wäre es nicht das wahrhaft Seynkonnende; nun ist es aber in der That nicht bloß das Seynkonnende,... was [das] zuerst Vorkommende

H: Wesen

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MrrscHRiFT CHOVATS 181

war, wird jetzt das zweyte, das blinde wird zum zweyten; dso: das Wesen kann nur dadurch wirklic h seyn, daß es sich in solchem unvordenklichen Seyn, - in diesem weiß ds Herr, auch ds wirklich Gewordenes. Aber es ist nicht bloß das Seynkönnen, in dem Seyn zeigt sich das Wesen, ds wirkli -cher Herr geworden! Dazu gehört, daß es sich sicher und gewiß ist. Jenes vorkommende Seyn ist nur ds actus aufzuheben, so daß es deswegen immer noch ds Macht, ds Potenz bleiben werde, auch gegen das jetzt schon ihm wirklich entgegengetretene Seyn. Wäre das nothwendig Existirende, von dem wir ausgehen, - nicht in actu Existirendem zu finden, um das nothwendig Existirende zu seyn, so wäre sein GegentheU - zufd-liges Existiren - ausgeschlossen. Aber das nothwendig Existierende ist es nicht, um es zu seyn, es ist dso nur zufälliger Weise. So schließt es sein GegentheU nicht aus; diesem gegenüber hat [der] Übergang eine Mög-lichkeit zu seyn, sie kann ds Möglichkeit nur erscheinen, nachdem unvor-denkliches Seyn ist; denn für sich ist diese Mögüchkeit eine bloße Erschei-nung, sie ist nur da, um dies zu sagen, daß es selbst das Seynkonnende ist; so ist auch jene Möglichkeit..., aber nur ds erscheinende Möglichkeit, ds diese, [welche] sich nicht redisirt hat. - Aber dies war die Frage: wie kann das, was im unvordenklichen Seyn ds Seynkönnen ist, wie kann das Seynwollen sich selbst verlieren in ein anderes Seyn? Wir antworte-ten: nicht für sich allein ist das Seynkönnen, jetzt nämlich weiß es sich erst und wird es sich inne ds unvordenkliches Seyn. Erst dadurch, daß es sich ds Seynkönnendes weiß, weiß es sich auch [ds] unvordenldiches Seyn. Überhaupt ist das Seynkonnende in sich selbst, zugleich weiß es sich im Seynkönnenden, daß es durch sein unvordenkliches Seyn zufälli-ges Seyn werde, es sieht sich dadurch [eine] Reihe in diesem nachfolgen-den Seyn hervorbringen. Diese kann [sich] zwar nur ds actu aufheben, aber ds Potenz bleiben. - Das Eine, das Ewige, ist das Selbstseyende, was wirklich ewig ist, und was wesentlich Eines ist; indem sich dies ds Seyn-könnendes sieht, sieht es auch [die] 2te Möglichkeit, nämlich dies [in] seiner I impotentia. Also das Seyende sieht auch [die] 2te Möglichkeit des negirten, aber unvordenklichen Seyns, es sieht sich durch diese Nega-tion sdbst zu impotentia, zu Impotenz hervorgehoben ...; dieses Seyn von seiner Stelle zur Höhe ziehen, und so ursprünglich Nothwendiges in zu-fällige Gestdt zu setzen,... es jedoch seiner Natur nach nicht bleiben kann, indem es actus sey. Es ist nicht das reine Existiren, sondern ein Exi-stirendes, es ist nicht frei zu wirken oder nicht zu wirken, sondern es muß wirken, um seine Natur herzusteUen. Wir sehen, daß hier die Aussicht auf eine lebendige Bewegung ist. Das unvordenkliche Seyn in actus gesetzt, muß wirken, gerade durch die Negation des entgegenstehenden Seyns ist ihm Macht gegeben, sich dieses entgegengesetzte Seyn zu unter-werfen, und so sieht sich das Seyende jetzt durch Vermitüung desselben

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ds unendliches Seyn, sieht sich ds Herrn dieses nicht bloß möglichen, sondern jetzt wirklich gewordenen Seyns: Jene andere Potenz gibt ihm die Freiheit sich [in] dieses zufällige Seyn wirklich zu erheben; denn die-ses Seyn an seinen Willen gesetzt, kann es nicht absolut entbehren, nicht aus seiner Hand entfliehen, dieses Seyn gibt einem zweyten Wesen das Seyn - Herr des entgegengesetzten in einer Potenz, nicht Herr des wirk-lichen ist, so weiß es sich schon doch in seinem zur Potenz erhobenen Existiren im voraus ds Herr des wirklich entstandenen und gewordenen Seyns.... aber durch dieses zur Potenz erhobene und zu Seyendem ge-wordene unvordenkliche Existiren wird das nachfolgende Seyn wie-der negirt; - jetzt dürfen wir [es] mit diesem Namen nennen, Gott, wel-cher sich ds das Seyende manifestirt, dieses ist erst Gott in seiner Gottheit und daher auch Gott zu nennen, Gott durch Seynkönnen des unvor-denklichen Seyns,... so wird er jetzt durch wirldiches Seyn jenes ungezo-gene Seyn los, um sich nach allen diesen in seinem Reinen durch das Können von Seyn und durch Seyn von Können zu setzen. Und dieses ist das dritte , was nicht bloß Seyn oder Seynkönnen [seyn] kann, sondern Geist, in wdchem das Seyn von Können befreites Wesen, Seyn im Seyn-können ist. Den Geist nennen wir das, was in actu, im Handeln nicht auf-hört Seyn zu seyn, im Actus auch nur Seyn ist. Der menschliche Geist ist solcher, daß er auch wenn er handelt, nicht aufhört Potenz und in sich selbst [zu sein]. War nun das unvordenkliche Seyn ds der actus und Potenz gesetzt: Das Seyn und Wirken müssen, daß es seiner Natur nach das Seynmüssende ist, so ist das letzte das Seynkönnen. Bei diesem, beim Ende der Antwort will ich jetzt [die] ds Resultat gewordene Folgerung sagen: Gott ist das nothwendig Seyende, aber er ist das eine nothwendige vor seiner Gottheit, daß er... ds notwendig Existierendes aufhören kann, und dies ist [das] Wunder, darin ist er Gott, darin manifestirt er sich, daß er sich ds nothwendig Existirendes aufheben kann. Was nothwendig Existiren actu ist, darin zeigt er, daß er nicht bloß actu necessario existens, sondern natura necessaria sey; die ganze Welt ist das nothwendige Existi-ren Gottes; wenn Gott wäre, sagt man, so müßte er in der Natur seyn I nun ist er überhaupt.. .*, so muß er natura seyn. - Dies ist ds Übergang, denn das Wesen welches das unvordenkliche Seyn von sich sdbst weg bringt, durch Andersseyn, ist durch seinen WiUen bestimmt; das Wesen, - welches auf diese Weise befreit ist, geht dann von Seyn und von Seynkönnen ds Geist aus, d. h. was nicht mehr ds das Seynkönnen ds erstes, sondern wo das Wesen sich erhebt, was in sich sdbst das Seyende ist, oder es ist nicht bloß Seyendes, sondern auch Seynkönnen. In dieser Freiheit sein unvordenkliches Seyn aufzuheben und anderes von ihm

H: u. oder n.(?)

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MITSCHRIFT CHOVATS 183

verschiedenes zu vermittdn - in ihr ist Gott in seiner Gottheit. Der wah-re Gott ist der lebendige; lebendig aber ist nicht, was an sein Seyn gebun-den ist, sondern was aus seinem Seyn hervorgehen kann. Derjenige -welcher jene Momente voraussieht - ist Gott, dieser hat sich auf solche Weise in seinem Sdbst begriffen, er ist nur für sich Gott. In diesem Be-griff ist er ds Seynkönnendes, im 2ten ds Seynmüssendes, im 3ten ds SeynsoUendes, und in diesen drei Momenten ist er Herr, aber nicht ds eines von ihnen, sondern nur in unauflösender Einheit. Wenn wir die drei aufeinanderfolgenden Potenzen jede mit [einer] Zahl bezeichnen, so ist Gott nicht Gott ds eins, nicht ds zwei, nicht ds drei, sondern [ds] 1*+ 2 + 3, und da er ein unauflösender Gott ist, existiren nicht mehrere Götter, sondern ein Gott. Um aber den wahren Namen für diese Einheit [zu] fin-den, müssen wir die Natur der Mehrheit betrachten; die drei Substanzen können [wir] nicht [ds] Aprioritäten dies Seyns bestimmen; dies was nicht a priori seyend ist, was erst ins Seyn kommt, ist vor dem Seyn ent-weder durch unmittelbares Seynkönnen, oder es ist Seynmüssendes, dies ist das nur secundo loco, weU es eine Negation voraussetzt, was zwar verhindert ist Seyn zu seyn, aber in ihm eine innere Nothwendigkeit des Seyns ist. Das seiner Natur nach Seyende ist nur das secundo loco Seyn-können, nur an 2ter Stelle Seynkönnen, diese Können ist ihm nur durch eine Negation gegeben; nach dem unmittelbaren Seynkönnen und Seyn-müssen kann auch Drittes seyn, wdches nur in Actus Potenz und in Po-tenz Actus sey, das SeynsoUen, welches auch Seynkönnen ist,... So sind die drei Formen des Gotteslebens nur pluralitas absoluta, id quod omnibus numeris absolutum est, Abgeschlossene, das Geendete, Beschlossene in sich, dies was Anfang und Ende hat. In diesen drei Formen ist aber das unmittelbar Könnende der nothwendige Anfang, das Seynmüssende ist das vermittelnde, das SeynsoUen ein beendetes; Gott ist aber die unüber-windlich zusammenhdtende Einheit; der wahre lnhdt des Monotheismus, der wahre Begriff des Monotheismus ist, daß er der Alleinige ist; indessen ist doch Folgendes einzuwenden: weU Gott sich weiß ds der in der Aus-schliessung der Potenz und der Spannung, wobei sich die Gestdt verän-dert, weU I er sich weiß: er ist frei zu thun, dadurch daß die nothwendige Folge jener Folgehandlung in unmittelbarer Erfahrung wirklich statt1* findet. Es fragt sich dso: was sich als Folge jener Handlung darstelle? Zunächst die gegenseitige Ausschließung und Spannung der Potenzen, [welche] durch jene Einheit gezwungen sind, in Einheit [zu] bleiben; so kann hieraus ein Proceß entstehen, in dem nur die Potenzen sind, Gott ist nicht die Ursache. Man kann fragen: wie dies Zurückbringen möglich

H: eins b H: findet

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sey? In Gott ist nichts anderes ds ruhendes WoUen, dies Seynkönnen. Nun wird der Voraussetzung nach in diesem Gott [das] wirklich WoUen-de, aber in diesem WoUen hat er aufgehört WoUen, Potenz zu seyn, so ist er auch überwindlich, das WoUen ist das Einzige aus Potenz Hervor-tretenkönnende. Dieses gdassene Seyn kann sich ds nicht wissendes Seyn betrachten, wie wenn in unserem Wollen ein UnwUle unversehens ent-stand. Wollen, das Seyn negirt, eben aber damit diesem gelassenen Seyn ein Wirken zdäßt, wie durch Wirken jenes ausgelassenen Wdlens wieder in sich zurückgebracht wird und so zurückgebrachtem WoUen höheren Raum gibt; so ist es auch in [dem] Proceß nur ein Wollen, Gott wird im-mer Grund der Natur; es ist auch nur ein Wollen, von dem die Spannung ausgeht; es ist zdetzt dies auf Freyheit berechnet. Es sucht die höhere Potenz dieses seyend gewordenen seines Seyns wieder zu entsetzen, um sich damit dieses Seynmüssens zu endedigen und zum Actus purus zurück-[zu]treten, und so geht die Intention des Processes dahin, daß an die Stelle des Nicht-SeynsoUenden, aber doch Seyenden, und die zweyte Potenz überwindenden, nicht um die erste zu seyn, sondern die erste zu ein-hauchen. Dieses Dritte, welches [sich] weder [als] bloßes Seynkönnen noch ds Seynmüssen, sondern [ds] Einheit bestimmen läßt, ist nothwendig das Beisichbleibende, weil es in kein anderes Seyn übergehen kann, so muß es Potenz bleiben, es ist dso Potenz des Seinwissens. Dies ist aller-dings das Höchste, aber auch dies selbst ist eine Potenz, zwar ist Gott über diese Potenz hinaus: diese Potenz ist nur ein Seyendes, denn Gott ist an sich und" ds Geist, er ist daran nicht gebunden, und dies ist über-schwengliche Freiheit. So wäre also vorläufig der Proceß dargestellt, den wir mit Recht den göttlichen nennen, nicht das er Gott verwirklicht6, denn Gott ist sich vor [der] Verwirklichung bewußt, er ist sich bekannt und bewußt, ds das AUes. Wenn irgend eine PhUosophie Gott in Proceß denkt, so wird sie [den] Lebenslauf des Absoluten enthdten. Die Schrift sagt: wer Ohren hat, wird nicht Hören! Aber nach Hegel ist [es] umgekehrt: Der blind ist, wird hören! Jacob Böhme hatte einen Lebenslauf des Ab-soluten angenommen,... Wir haben den Proceß götdich genannt, weU er unauflöslich seyn soll, Gott sich in ihm verwirklicht, aber so, daß die Idee Gottes dem Bewußtseyn I vorausgeht; so nennen wir diesen Proceß auch [den] theogonischen, in welchem Gott die Möglichkeit in Wirkung setzt. In [den] Potenzen ist noch nichts Concretes, sie sind rein von dler Con-cretion der Ursachen; so ist mit [den] Potenzen der Übergang zu Con-cretem gegeben. Der Anfang des Processes liegt in jener Macht Gottes, der Grund in jenem anderen Seyn, welches die Potenzen ausschließt, so

H: u. oder n.(?) b H: als der Gott wirkte

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MITSCHRIFT CHOVATS 185

entstehen Momente desselben, in jedem Moment ist dieses Seyn auf ge-wisse Weise überwunden; die Dinge sind unterschieden von einander nur durch innere Stufen der Wirklichkeit. Die Grundpotenz ist außer sich ohnmächtig gesetzt, um mächtig zu seyn, auf jedem Puncte des Werdens ist die Potenz geworden, nicht durch sich selbst, sondern durch die 2te Potenz. Der Schöpfer schließt 2 Momente in sich: das Moment der Ver-äußerlichung und das der Verinnerung. Die Grundlage aUer Schöpfung ist der blinde WUle, aber nicht daß er in diesem blinden WUlen Gott wäre; dies ist er außer Gott, er ist nicht ohne zweite Potenz ds Herr des Seyns-woUens. Vermöge jenes WoUens wäre keine Schöpfung möglich, weU es aUer Natur entgegengesetzt ist,.. .Jenes WoUen ist durch [die] 2 Potenz zum Grund gemacht, nicht gewdtsam, denn in diesem Princip ist diese Negation Wohlthat, darum heißt es: den Gott liebt hat, den züchtigt er, denn diese Züchtigung bringt ihn zu sich selbst, und der Mensch wird sich mächtig, so ist bei der Erziehung die Züchtigung Wohlthat. Das lte Princip ist dso Function der 2ten Potenz, die sich von einander nur durch verschiedenes Maß unterscheiden,... darum ist die 2 Potenz schon ge-wissermaßen verwirklicht. Darum ist in jedem Momente die 3 [Potenz] ds SeynsoUen verwirklicht, daß jedes Ding so seyn soU. Näher ist die 1 Potenz bezeichnet ds anfangende, vorbereitende causa externa und causa materidis; die 2te Potenz ist diejenige, durch welche etwas ds für sich Bestehendes [ist], die causa intua. Die 3te, welche jedes Gewordene voll-endet, diese ist die causa in quam, oder causa secundum quam omnia fit. Die verschiedenen Stufen der Verwirklichung sind auch dadurch, daß Verschiedenes in ihnen hervortritt. Hier* ist causa causarum, die ds ab-solute Ursache ist, die anderen sind nur relativ. In jedem Gewordenen ist daher auch die Einheit gesetzt, so geht ein Schein dieser Gottheit [durch] dieses Gewordene;... Also in eben jenem frei gewordnen Proceß ist der Proceß der Schöpfung gegeben; Monotheismus kommt also mit der Be-gründung der Schöpfung, und ... die Schöpfung kommt nur mit [dem] Begriff des Monotheismus zustand. Der AU-Eine kann nicht überhaupt Einer [seyn], sondern nur nach Gottheit aUein. Der verstandene Begriff des wahren I Gottes wird sich bei Nothwendigkeit ein Pantheismus ge-dacht, dieses wäre dem Monotheismus entgegengesetzt; Pantheismus ist nur Affection der götdichen Substanz, man hat Ursache mit dieser Be-zeichnung vorsichtig zu seyn; im Gegensatz gegen eine Lehre, die für Verhdtnisse Gottes zur Welt nichts anderes hat, im Vergleich mit solcher Lehre, kann Monotheismus sdbst als Pantheismus erscheinen; ja man kann sagen: Der wahre Pantheismus sey nur wahrer Monotheismus. Aber Monotheismus ist darum nicht Pantheismus zu nennen, weU Gott eine

' H:die

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unendliche Substanz ist, Gott aber erhebt sich über sein wahres Wesen. Nicht der Begriff des unendlichen Seyenden, sondern was diesem Begriff sich unterwirft, dies ist der wahre Begriff Gottes oder der Begriff des wahren Gottes; eben dieser Begriff macht den wahren Begriff, d. h. den Monotheismus erst möglich; nur diese Nothwendigkeit seiner selbst gibt Freiheit sich zu setzen und aufzuheben. Er weiß, daß er jedes Contrario überwindet. Monotheismus ist nur esoterisch Pantheismus. Jacobi meinte, es wird sich statt Pantheismus Cosmotheismus nennen - aUein Jtciv doch geistigeren Begriff in sich einschließt,... darum Spinoza: Gott ist ihm id cuius conceptus non aget conceptus dicuius rei, dies endliche ist ihm die Welt; und wenn Cosmotheismus Pantheismus wäre, so wäre [es] verkehrt bei Spinoza, Gott ist ihm nothwendig Wdt. In neuerer Zeit ist ein anderes Wort vorgeschlagen worden, Hegel sagt: Spinozas Lehre wäre richtiger ... ds Acosmismus bezeichnet99; dies müssen wir nicht von CIKOOLIOC ab-leiten, sondern [dies wird] nach Andogie von Atheismus gebildet, der nicht Redität, sondern nur wahre Substanz in der Welt läugnet; Spinoza läugnet freUich die Welt ds außer Gottes seyende, sondern er nimmt die in Gott seyende Welt an, er hebt die Welt nur außer Gott auf, er sagt: Gott sey auf keine Weise causa rerum, ds causa sui, die Form seiner Existenz ist so nothwendig ds seine Existenz selbst. Es gibt dlerdings ei-nen wahren Pantheismus, eine wahre Alleinheitslehre - Monotheismus. Bis jetzt haben wir [uns] mit bloßem Begriff des Monotheismus beschäf-tigt, erinnern wir uns jetzt, daß diese Untersuchung ausgegangen ist von der Voraussetzung, was wir in der Mythologie zu begreifen haben; wir haben schon einen theogonischen Proceß, einen Gott überhaupt, einen aUgemeinen Proceß der Schöpfung. Zu jenem fortzuschreiten bedarf es nur einer weiteren Entwicklung des gegebenen Princips, daß der Proceß sich im Bewußtseyn entwickele. Gott ist in seinem Urseyn suspendirt, negirt, die Potenz verhdt sich ds Gott in seinem Seyn negirende; inwie-fern es stufenweise in Gott verwandelt wird, verhdt es sich in dem Proceß ds das Gott subjektiv setzende; jenes Princip ist nur theogonisch, denn es bedarf keines Beweises, daß das Ziel der Schöpfung in dem menschli-chen Bewußtseyn sey; in dem menschlichen Bewußtseyn an sich oder in seiner reinen Substantialität ist jenes Ziel erreicht, wo das Gottsetzende in Gott verwandelt* ist, wie es in der Schöp- I fung das Gott negirende war. Das erste wirkliche Bewußtseyn zeigt sich ds mythologisch dficirtes, in diesem mußte der Mensch Gott schon haben. Das menschliche Bewußt-seyn ist nur Princip, das im Anfang der Schöpfung ausgebracht, im Ende der Schöpfung zu sich gekommen sey. Der letzte Grund aUes menschli-chen Bewußtseyns ist in seinem Außer-sich-seyn, aber eben dies ist in

* H: verwandt

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MITSCHRIFTCHOVATS 187

seiner Rückkehr das Gott setzende seiner Natur oder Substanz nach, dso im Nichtwissen, dso weit entfernt von ursprünglichem Atheismus, eben so von einem Begriff ausgehend, sondern das menschliche Bewußtseyn ist das Gottsetzende, es ist dazu geworden, es ist von [der] Form her a priori das Gottsetzende. Gott ist ihm angethan wohlzuwollen, mehr ds Etwas, das mit seinem Wesen verwachsen ist. Aber hier ist eben Grund zu weiterem Fortgang, andere Bewegung gibt es für das, was nichts an-ders ist ds Potenz, ds die Bewegung aus Potenz. Dies läßt sich so denken: nennen wir das zu Grund der Schöpfung liegende A, das Liegende B, so ist die Substanz des menschlichen Bewußtseyns nicht B, aber eben so wenig reines A. Auf diese Weise kommt das Bewußtseyn in der Mitte zu stehen, das reine B und wdches dem B entgegengesetzt ist, - der Mensch versteht sich immer ds ursprünglicher Mensch, der vermöge seiner Frei-heit dieses B wieder in Wirkung setzen, erheben kann. Solches gesetzte B ist freUich von [der] Schöpfung verschieden, aber weU es seiner Natur nach nur Gottsetzendes seyn kann, fdlt es nur einem unmittelbaren Proceß anheim, der Proceß muß ds theogonischer erkannt werden. Wird dies vorausgesetzt, dann kann der Mensch das Princip wieder in sich auf-heben, so daß es in seinem Bewußtseyn allherschend ist, - doch wie kommt es, daß diese höheren Potenzen in einem höheren Princip aufgehen und Gott allein [es] ist, der den Potenzen auch in [der] Ausschließung mäch-tig bleibt, daß sie doch so in diesem [sich] verwirklichen?... durch diese innerliche, götdich bleibende Natur sind sie angewiesen", das menschli-che Bewußtseyn nicht verloren seyn zu lassen. AUe Gottheiten wurden bei [den] Alten irjüvcripec,genannt. -So weit ist die Aufgabe eines theo-gonischen Processes, und die Principien und Factoren dieses Processes; aber wir müssen den Begriff des Monotheismus zu Ende führen: wir kom-men zurück auf die Erörterung des Monotheismus, daß nur von Gott schlechthin - und vom wahren Gott - gesprochen [wird]. Zunächst muß vom wahren Gott uns zu thun seyn; [daß] der wahre Gott nur allein sey, so Gott nur der Einzige seiner Gottheit nach ist. Von dem bestimmten wahren Gott läßt sich sagen, daß außer ihm kein anderer seyn kann; die-se Einzigkeit ist darin ds eine negative, sie schreibt sich nicht von Gott ds solchem her, sondern von dem, was vorher ist; Gott ist seiner Natur nach das Freiseyende, dso keine Potenz, ... daß außer [dem] wahren Gott, kein anderes ist; das unendliche Seyende für sich ist nicht Gott, sondern nur Materie Gottes in metaphysischem I Sinne; dso das Existirende selbst [ist] nicht zufällig, sondern [ds] nothwendig Existirendes erscheint [es]; das woher anfängt, [es] ist actu nothwendig existirend, aber Gott ist frei. Aus diesem erhellt, wie verkehrt die Versuche waren die absolute Einzig-

* H: hingewiesen

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keit Gottes zu beweisen; sie ist ja zugleich nothwendige. Nun fragt sich: ob diese nothwendige Einzigkeit der lnhdt eines Dogmas seyn könne, wofür der Monotheismus gelten solle? Wenn ich sage, daß außer [dem] wahren Gott kein anderer seyn kann, so ist dies Monotheismus, aber die-ser Satz ist eine apodictische Wahrheit, deren Möglichkeit unmöglich ist; - dso außer Gott ist kein anderer. Dies haben auch die Theologen ge-fühlt, wie wohl sie von absoluter Einzigkeit sprachen. Dazu gehört, daß 1:) überhaupt außer Gott etwas sey, denn auf dem Standpunkt, wo uns Gott schöpfte, läßt sich das sagen, daß außer Gott kein anderer sey, aber dies gehört nicht dazu, sondern dazu gehört, daß er bereits Schöpfer [ist]; aber erforderlich ist 2:) daß das Außer Gottes nicht schlechthin nicht Gott sey, zwar wurden im Heidenthum auch [die] concreten Dinge verehrt, aUein was hier wie z. B. bei Ägyptern ... gedacht wurde, kann man nicht wissen, unmittelbar wenigstens bezog sich die Verehrung niemds auf die concreten Dinge, daß dso außer Gott ein solches Ding seyn muß, ein solches sind nun aU jene in [der] Schöpfung gesetzten Potenzen. Aus der Einheit gesetzte sind sie nicht Gott, nicht concrete Dinge, sondern potentia pura*, wahre Elohim, vbgl. nicht Jehova, nicht der Herr, sie sind nicht schlechthin nicht Gott,... sie sind ... in die Einheit, d. h. in die Gottheit zurückgesetzt. Um sich den Monotheismus deutlich zu machen, muß man sich auf den Standpunkt setzen, wo die Potenzen in ihrer Spannung, und Gott [sich] im Plurd der Potenzen und Einzigkeit setzen kann; die Po-tenzen, deren mehrere sind, sind nicht Gott, hüte dich sie für Gott zu hdten, die ds Potenzen mehrere sind, sondern nur Gott [ist] in Einzigkeit

- im Decdog Mosis -, weU praeter unicum auch jene Mehrheit gesetzt ist100, darum ist dieser Standpunct bis jetzt noch nicht gefunden - darum geht unsere Untersuchung auch über [diesen] Standpunct hinaus. Die Lehre hätte keinen Sinn, wenn nicht mehrere da wären, welche nicht im wahren Sinn Gott sind; diese können auch nicht als falsche Götter betrachtet werden, denn falsche Götter müssen wenigstens scheinbar [Götter] seyn; sie sind nicht Gott, nur ds solche in der bloßen Wirklichkeit. Auch das A. T. widerspricht nicht der Redität der Götter, sondern sagt nur überhaupt, daß keiner von [den] anderen der wahre ist.101 Polytheismus besteht nicht darin, daß ein Gott mehrmds angenommen wird, sondern daß er über-haupt nicht anerkannt wird, dies ist die objective Seite des Polytheismus. Die subjective Seite ist, daß die Potenzen stark an Gott liegen, so ist ein Verhdtniß zu den bloßen Potenzen. Aus diesem Proceß wurde die Mensch-heit durch Christi Erscheinen erlöst, sie wurde befreit von [einem] eso-terischen Verhdtniß zu Gott. Indem die Potenzen die Gewdt über

* Lesart fraglich

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MrrscHRiFT CHOVÄTS 189

menschliches Bewußtseyn verloren, so ist dem Bewußtseyn die Alleinheit verloren gegangen, denn die Einheit ist eine lebendige;... I... ja manche Erzeugnisse des Heidenthums waren mehr religiös ds im gelehrten Chri-stenthum; ja im Pantheismus ist freiere Gesinnung - um sich vom Pan-theismus zu entfernen, müssen wir dessen wahren Gehdt erkennen,... und* der erfüllten Einheit Gottes entgegensetzen. Vor dem bloßen Theis-mus habe ich Pantheismus voraus, der mit Monotheismus das gemein hat, daß beide eine Einheit voraussetzen. Spinoza hat zwey Attribute neben einander, die Substanz ist ihm eine äußere Einheit; so fest bleibt6 bei ihm ein Dudismus. Jeder Modification der ausgedehnten Substanz entspricht eine Modification des Denkens; aber andere Modification hat nicht am menschlichen Denken einen AntheU: darum weiß Spinoza nicht [zu] er-klären, wie die einzelnen Dinge entstanden sind: das unendliche Denken konnte an [der] Substanz jene Veräußerlichung hervorbringen. Wir ken-nen in den Dingen nicht mehr das grenzenlose Seyn, das Ding ist bei uns in noumenon verwandelt0. War eine Modification der ausgedehnten Sub-stanz begriffen, so war auch eine Modification des endlichen Denkens .. .d begriffen. Schon das Passive was in [dem] Ausdruck substantia finitia liegt, deutet auf ein Princip der absoluten Verzichtung der Selbstheit, welche sich aus seiner Potenz zu sich selbst erhoben. Die zwey Attribute sind unsere 2 Potenzen: allerdings0 im Spinozismus sind [die] zwey Attri-bute materieU: im Monotheismus ist die Einheit geistig, durchdringend. Wenn dso eine Mehrheit nicht ausgeschloßen, sondern affirmirt wird, wie der sagt: er ist ein einziger Jehova102, nur ds Jehova ist er einer, er sagt nicht, daß außer Gott nichts anderes ist, sondern nur daß außer ihm kein anderer Gott sey. So wird praeter ipsum eine Mehrheit vorausge-setzt. ... dieses erinnert an die hohe Lehre der Dreieinigkeit - welche das Princip des Christenthums ist - und gehört [in eine] höhere Ent-wickelung, so füge ich aus der Philosophie der Offenbarung zu.103 Wenn der Anfang [des] Processes in jener Macht liegt,... von seinem ewigen Seyn hervorzutreten: wenn Gott [in] der Spannung eben in jenem a potentia ad actum erhobenen Seyn liegt: so wird der Gott, welcher diese Potenz in Wirkung setzt, Urheber nicht nur [des] Processes, sondern Urheber und Vater von Allem. - So ist [er] nicht für sich Vater, sondern Potenz, das Princip, wonach es genöthigt ist durch Überwindung des

' H: sondern b H:harret(?) c H: verwandt d H: war H:all.

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entgegenstehenden Actus sich zu setzen*. Dieser Actus kann wohl und muß eingesetzt werden. So könnte man glauben, daß zur Potenz gewor-dene Seyn - welches in Ordnung der Potenzen zum 2ten geworden ist, -ist [der] Sohn, die2te Potenz, bis sie das entgegengesetzte Princip nicht überwindet, sie erhebt sich nur zur ersten Potenz. Wenn der heUige Geist den Sohn und Vater vermittelt, ist [sie] zur ersten Potenz geworden. Be-merken sie: in jeder götdichen Persönlichkeit wird eine Einheit der Po-tenzen gedacht z. B. der Vater ist zugleich der in der höheren Spannung sich setzende - er ist nicht bloß das erste, er setzt die Ursache, durch wdche und in welcher dies geschieht; er ist immer das Ganze. Der Sohn begreift nicht bloß sich selbst, sondern auch [das] überwundene Seyn; und I die dritte Potenz begreift alles in sich. Wir betrachten diese hier nur ds Po-tenzen; die höhere Ansicht [der] Entwicklung gehört einer höheren spä-teren Entwicklung [an]. Wir betrachten die Potenzen bloß in ihrem Ent-gegensetzen; die Spannung ist nicht durch Gott gesetzt; die gegenwärtige Spannung [des] Processes ist nicht durch Gott, sondern durch [den] Menschen gesetzt. Mit dieser Bemerkung wollen wir [die] Mythologie betrachten, in dem dies eine Nothwendigkeit einschließt: das Anfangen-de wie Vermittdndes und Ende sind materielle wie im dlgemeinen Proceß. Da es wichtig ist, das Verhdtniß6 dieser Potenzen wieder zu erkennen, so wUl ich die Bedeutung über ihren Zusammenhang angeben: also 1:) ihre Bedeutung: Hegel hat gegen den Ausdruck Potenzen in der PhUosophie Einwendung gemacht104; „bei diesen Potenzen sagt er ist nicht an frOVccuu; [des] Aristoteles gedacht." Bei diesem Satze fäUt der phUosophische Be-griff der ftüVauic, auf, ds wäre er nur Aristoteles eigen, während der Ge-gensatz von Potenz und Actus ganz dlgemein ist, der eben darum in jeder Philosophie vorkommen muß, außer der Hegeischen PhUosophie. Dies ist nur im Vorübergehen0 bemerkt. Daß bei diesen Potenzen nun Potentia [des] Aristoteles gemeint sey, [wird] von mir umgekehrt, sie heißen so, weil jede von ihnen nur ein Seynkönnen von [der] andern ist. Als das nächste am Seyn findet sich das unmittelbare Seynkönnen, denn es ist aller Übergang a potentia ad actum. Außer dem unmittelbaren Seyn-können läßt sich nichts weiter Denken, als das bloß mittelbare Seyn-können. Dies unmittelbar nicht Seynkonnende, ist nur das reine Seyn, was in sich selbst nicht Potenz seyn kann. Wo es aber das Seyn und nicht Seynkonnende, sondern das Seynmüssende ist, auf diese Weise ist dem Seynmüssenden, dem was bloß Seyn konnte, eine Superiorität gegeben; das erste erscheint, ds zuerst immer Vorausgehendes, dso eigentlich nicht

' H: aufsetzend) b Wort schwer zu entziffern 0 H: vorüber

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SeynsoUen, sondern nur Vorausgehendes. Das Seynmüssende ist auch nur um jenes zu negiren: Das SeinsoUen kann aber nur ds [das] Dritte seyn: es muß erst eines gedacht seyn, dann das andere. Wie wenig passend das von Hegd Gesagte ist, ist klar, freUich, [die] potentia [des] Aristotdes hat mit Potenz etwas Eigenthümüches [gemein],... Als einzi-gen Grund warum nicht an potentia [des] Aristoteles im phUosophischen Sinne [zu] denken" sey, ist, daß die Potenz von 1-3 gezählt ist, nicht im phUosophischen, sondern [im] mathematischen Sinne. Aber hier in phi-losophischen Sinne sey, aus der Hinzufügung von Zahlen - die übrigens berechtigt6 ist - zu schließen, es sey hier mathematisch so vid, ds bei [der] Trichometrie [von] Hegels Logik - Seyn - Wesen - Begriff. So kann man sagen, daß es auf die pythagoreische Zahl hinausläuft: so gut er dso seine 3 Begriffe nennen kann, so muß er uns zugestehen: das Seynkonnende, -müssende und -sollende. Also seine Art ist zweydeutig, und bezieht sich nicht auf mich, denn vide meiner Anhänger haben meine Idee mißbraucht. Hegd sagt: Es ist in der Kindhdt [des] PhUosophirens I die pythagoreische Zahl für die Bestimmung [genommen worden]105; aber die Gedanken bei Hegd sind bloße Begriffe, die ügend einer Anschauung entsprechen kön-nen: während diese ds Faktum0 des Denkens eine rede Macht des Seyns sind. Für dieses Reale - daß das Denken sich nothwendig ins Seyn bewegt - war ein Moment gefunden, darum behandelt Hegel die Begriffe ds et-was Redes. Hier handelt es sich um tiefe Begriffe, während jene PhUoso-phie durchaus mit Redem zu thun hat; hier sind die Potenzen von Bedeu-tung, dort die Begriffe, die etwas Redes sind. Das Schwierigste in der Er-örterung ist der Übergang von Gott in sich zu Gott ds solchem. Wenn dies nur ein Moment ist, so wird die Erklärung keinen Anstoß erregen, daß die reine Aseität eben das bloße unendliche Existiren ist, weU alle Potenz entfernt ist - es ist rein Existiren ohne Bewußtseyn. Das erste nun, was sich Gott darstellt, ist nicht dies unendliche Existiren, sondern das unendliche Seynkönnen, daran findet er es vor, der sich ds Seynkönnen bewußt [wird] . Hieraus sehen sie, daß das Seynkönnen das erste ist, das Bewußtseyn das zweyte: das Seynkönnen geht nicht dem Seyn in unvor-denklicher Reinheit, sondern dem Seyn ds bewußten voraus, es geht ihm, ds dem die Potenz zu setzenden, [voraus]. In diesem göttlichen Bewußtseyn ist also das Seynkonnende das erste, allem vorausgehende Potenz; nach diesem steUt sich das Bewußtseyn nicht ds unmittelbare Potenz, [sondern] nach dem Seynkönnen ds zweyte Potenz [dar]. Bis jetzt ist aUes Zukunft, jetzt ist noch nichts ds Potenz gesetzt, sondern voraussetzend.

* H: gedenken b H: gerechtigt c Wort schwer zu lesen, „Inh." od." Fak."

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Indem nun Gott auf diese Weise das Seyn, nämlich durch Potenzialisierung [bestimmt], bleibt ihm sein reines nur von Seyn freies Wesen, dies ist als freies unvordenkliches Seyn; ist daher reine Potenz, aber die nicht mehr Potenz eines von sich verschiedenen Seyns, wie das erste seyn kann, also wird sie nur Potenz eines Seynkönnens, die Potenz des Geistes ist, denn [der] Geist ist sich selbst gleich bleibend. Dieses dritte, welches Gott ur-sprünglich auch noch ds Möglichkeit sieht, und [was] wir den Geist nen-nen, - dies ds Seynkönnendes ist ds dritte Potenz. Solche Bezeichnung scharf bestimmter Begriffe, und solche Erklärung auf nothwendigen Standpunct herabsetzen, ist so scharf, ds disjunctiven Schluß ausspre-chen, a ist entweder b oder c, wenn nicht c, dso b. - In allen diesen Möglichkeiten weißt sich das, was zum Existirenden geworden, über das Exi-stiren hinaus, ds Herr ... eines Processes, in welchem das aufgehobene, suspendirte Gottseyn hervorgenommen wird: das Seyn wird wiederher-gestelt, der Proceß ist dso ein theogonischer. In dem Proceß werden alle jene Möglichkeiten auch Wirklichkeiten, insoweit sie nicht vorauszusehen sind; z. B. es ist nur Stoff zuerst zu diesen Stoff; im Proceß ist wirklich Potenz, nicht potentia potentiae, nur das unmittelbare Seynkönnen ist hier actus; ds solcher ist nicht (a) der ersten Potenz, sondern: b; vor dem Proceß ist das Seynkonnende bloße Potenz nur ds actus, in Proceß ist wirklich actus. Dieser Proceß findet sein Ziel in dem Menschen, versteht sich im ursprünglichen Menschen, der nichts ds Bewußtseyn ist; aber der Mensch, der wieder Herr der Potenz ist, kann dlerdings jenes, I das gött-liche Seyn aufhebende Princip in Wirkung setzen. Allein: so würde er in Bewußtseyn des Todes faUen, wenn die 2te Potenz nicht wieder in Span-nung geht, die von [der] ersten sich unterscheidet, zwischen aUgemeinen Proceß und 2ten Proceß". Das Gottsetzende ist das Princip des mensch-lichen Bewußtseyns; also dieser Proceß, obwohl er ein objectiver ist, ist dennoch zugleich ein subjectiver, inwiefern er nur im Bewußtseyn besteht. - Hier sehen wir gleich auf die psychologische Seite der Mythologie: 1 die mythologischen Vorstdlungen verhalten sich immer ds reine im mensch-lichen Bewußtseyn, sie können nicht von außen in [das] menschliche Bewußtseyn kommen, sie sind nicht äußerlich in dieses6 gebracht.... die VorsteUungen konnten nur mit dem Bewußtseyn entstanden [seyn]; sie konnten daher 2:) nicht Erzeugniße einer Thätigkeit, sondern [nur] des Bewußtseyns seyn: dies erklärt, wie durch Jahrhunderte Vernunft in den VorsteUungen war. Von Anfang an zeigen sich die polytheistischen Vor-stellungen mit dem Bewußtseyn verwebt; doch können die mythologischen

' H: Potenz b H: an ihn

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VorsteUungen betrachtet werden 3:) als Erzeugungen' des Bewußtseyns in sich; 4:) obwohl Hervorbringungen des menschlichen Bewußtseyns, sind sie doch nicht Erzeugnisse des menschlichen Bewußtseyns sondern des Bewußtseyns, sofern nur das Princip des menschlichen Bewußtseyns hervorgetreten ist, sofern dies Princip aufgehört hat das menschliche Bewußtseyn zu seyn: es ist hervorgetreten aus [dem] Verhdtniß der Ruhe, dies Princip war bei der Schöpfung als höherer negativer Attractionspunct. Die mythologischen Vorstellungen sind Erzeugungen des aus seiner Mit-te hervorgetretenen menschlichen Bewußtseyns, so sind 3 Momente: das menschliche Bewußtseyn wie es am Ende der Natur ist ohne Substan-tidität; dann wo jenes Princip wieder wirkend geworden ist, in dem es zu Potentidität geworden ist, aber dem menschlichen Bewußtseyn unter-worfenes. Insofern können die mythologischen VorsteUungen betrach-tet werden ds Erzeugnisse des relativen vormenschlichen Bewußtseyns; ... Also ist [es] vöUig verkehrt, die Ideen über [die] Natur personificieren zu lassen: das menschliche Bewußtseyn ist in Kampf gesetzt mit der Na-tur. Die mythologischen VorsteUungen entstehen dadurch, daß jenes in der Natur unterworfene Princip sich noch bewegt: der Mensch ist außer-hdb der Natur. Das Princip der Vergangenheit soll eben durch diesen Proceß in Gott gesetzt, in seine Potentidität zurückgesetzt werden, und so [wird] das Princip des menschlichen Bewußtseyns zur reinen Substan-tialität gethan; und wenn es sich aus der Subjectivität erhebt, so wird das Transcendentde gemacht. Und am Ende ist damit hervorgetreten, daß es den Mensch besiegt; dso begreift sich 5:) wie diese Vorstellungen in der Menschheit ds objective und wahre erscheinen: denn sie waren Zeugnis-se eines dem Menschen entgegen objeetiv Gewordenen; aber auch posi-tiv müssen die VorsteUungen ds wahr erscheinen; nur dadurch wird die Redität erklärt, aber wir werden es nie wirklich begreifen und begrün-den. Bis jetzt wurde die Mythologie im Allgemeinen bloß ds Historische betrachtet: I die Empiriker lassen oft nur eine Thatsache zu. Wie weit das Reine festzuhdten war, haben wir schon in der Erörterung erklärt. Eine solche, Thatsachen erdichtende Theorie scheint zwar schwärmerisch, aber sie enthdt darum keine Schwärmereyen; deswegen nennt man solche Theorien besonnen. Wogegen eine Theorie, die eine Erscheinung aus

aUgemeinen Ursachen zu erklären unternimmt, schwärmerisch wird In früheren Bestrebungen die Mythologie zu erklären war es nicht schwer, a priori genannte6 Sätze anzunehmen, weU PhUosophie und Empirie ne-ben einander stehen; wer aber im Stande ist, eine Theorie aufzustellen, eine Theorie, wdche nur in ihrer Vereinzelung sich zeigt, zeigt sie nicht

* H: Erzeugnn. b H: angenante

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wissenschaftlich und [als] Wahrheit. Das wahrhaft Geschichtliche besteht nicht darin, sondern daß [es in] ' dem Gegenstand sdbst liegt, so ist der Gegensatz in Bezug auf phUosophische und historische Schden, in die-sen steht der objective Grund; von nun an muß der Gegenstand in seiner Entwicklung selbst folgen. Von einer solchen Theorie ist in der Folge auein die Rede die Mythologie, wdche zwar nicht uneigentlich für unser Bewußtseyn ist, indem wir diese Ausdrücke setzen, wo sie wissenschaft-liche Bedeutung erklären, so erklärt sich die Mythologie selbst. Es steht nicht in unserer Gewdt die Mythologie anders zu beurtheUen. Sie gehört zu [den] Dingen, deren voUständige Erkenntniß von [einer] höheren Entwicklung abhängt. So lange die PhUosophie den gegenwärtigen Zu-stand ds ewig voraussetzt6, so lange konnte sie nicht begreifen, was im Bewußtseyn intranscentirt,... wird begreifen, daß diese Erscheinungen jetzt ds unbegriffenes Phaenomen in der Geschichte bleiben wird; und die man begreift, nur insofern man wagt, über sie hinaus zugehen. Was mich dann bestimmte, war die natürliche Bedingung; diese Erklärungen wül ich ihnen verständig machen. - Das Princip des Ausgangspunctes ist uns gegeben: der Mensch in seinem ursprünglichen Wesen ist nichts anderes ds jene Potenz, die in [der] ganzen Natur außer ihm war, und in dem Menschen [zu sich] gekommen ist. Aber dieses Sich°-selbst-Seyn-können ist nur ein Gewordenes, in metaphysischen Sinne eine Hyle, eine Materie. Diese Materie bleibt ds außer sich bewegtes, sie ist mächtig, doch außer sich gewesen, ds actu aufgehoben, aber sie kann sich immer ins Seyn aufheben. Aber eben diese nicht aufzuhebende Möglichkeit ist Doppdheit, diese macht das ganze Seyn mächtig: diese Möglichkeit des Andersseyn [, die] nicht auszuschließen Möglichkeit, [die] für sich nichts I ist, sie ist nur etwas, wenn das andere mächtig ist. Insofern dso, ds sie das Unvermögliche ist, erscheint [sie] ds weibliche Möglichkeit nach [dem] WiUen der Männlichkeit; diese Möglichkeit, [die] für sich nichts sey, nichts vermöge; diese Möglichkeit aber zeigt sich, wo dies mächtige Seyn in Unwissenheit sey; diese aber macht die Unwissenheit aus: eben dadurch ist dieses Seyn nur ein Seynkönnendes. Die Zweydeutigkeit muß entschieden [werden], sie darf nicht bleiben*1; sie ist ein Gesetz, was for-dert, daß nichts verborgen werde, sondern offenbar sey. In der That ist dies das Höchste. Inwiefern schon jene Möglichkeit nicht auszuschließen ist, insofern muß dies entschieden werden; demnach ist vermöge dessd-ben Wdtgesetzes nothwendig, daß diese Möglichkeit entschieden gesetzt

H: man b H: vorangeht c H: seiner d H: leiden

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MrrscHRiFT CHOVATS 195

werde. Zufolge jenes Gesetzes ist [es] nothwendig daß jenes Seynkönnen die Möglichkeit erregt, sich in Stande setzt, sich ihm zeige und voraussteUe. Als die Ursache dieser Aufregung ist nur jenes Weltgesetz: diese Ursache, diese Macht ist Nemesis: wenn wir nach Aristoteles annehmen, so ist Nemesis unwillig über [einen der Glücklich ist] ohne sein Verdienst, [ohne] eigenes Zuthun106; so war jener Mensch in seinem Ursprung. Gott sdbst ist [es], welcher ihm die Möglichkeit gibt, auch von dem das GegentheU zu seyn, was er jetzt ist. So hoch ist in seinen Augen die Freiwüligkeit angesehen. In der That, was ist die Natur gegen die lebensvoUe Geschichte? Die ganze Natur ist bloß Vergangenheit, sie ist ungeschichdich. Die Ansicht, daß die Gottheit jene Unsdigkeit des Menschen nicht woUe ist keineswegs eine heidnische, sie findet sich in [der] göttlichen Offenbarung; so ist im A. T. ist eine dem Heidenthum entgegengesetzte Religion angesehen: eben darum auch die Möglichkeit mit seinem WiUen zu seyn: diese Art besteht darin, daß Gott verbietet von [den] Früchten [des Baumes der Erkenntniß, des Guten und des Bösen,] zu essen107; aber eben durch dies Gesetz wird ihm die Möglichkeit des GegentheUs offenbart, darum sagt Paulus: ohne das Gesetz war die Sünde todt, mit dem Gesetze war [die] Sünde lebendig.108 Die mythologische VorsteUung ist, nach welcher [die] Nemesis [ein] das ganze UnheU bringende Wesen ist.109 Hier bemerken wir : Das Bewußtseyn ist einmd dadurch abgeschnitten, 2* es folgt keine Erinnerung an früheres; so ist meine Meinung nicht, daß diese Nemesis sich von [der] VorsteUung der Nemesis begreife: so wird das mythologische Bewußtseyn [sich] über seinen Anfang erst in [der] Nemesis begreifen6: der Begriff der Nemesis begreift0 sich dso nur am Ende. Eine [Nemesis] kommt zuerst bei Hesiodos vor, nicht ds Zeugnis der entstehenden, sondern schon klaren, bewußten Mythologie.110 Nemesis erscheint bei Hesiodos unter den Kindern der Nacht, wo das seiner sdbst Mächtige sich selber noch nicht weiß, er gebahr aber auch Verderben, ein UnheU, den Sterblichen bringend. Hesiodos enthdt die Trümmer, aber dcht ursprüngliche Mythologie; der Zusatz „UnheU der Sterblichen" wird

als Veranlassung zum Zustand der Unsdigkeit bezeichnet Erklärung [der] Nemesis ds Adrasteia von einem Altar; den der König Adrastos der Nemesis errichtet hatte; sein Name ist nach Herodot I ebenso eine mythologische Person: Adrasteia heißt Nemesis, wdche die unmögliche, unbewegliche zur Thatsache voUendet, die Macht, welche den WUlen zur Bewegung bringt, denn Nemesis ist nur die Macht jenes nicht verborgenes Gesetzes.1" Nemesis heißt doppelwillig, Horaz: toUere in dtum ut lapsu

* „2" steht über durchgestrichenem „es" H: greifen

c H: greift

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graviore ruat, sie erhebt es, damit es stürze; jenes UnheU bringende We-sen wird ds Übergang zur Wiedererhebung beschrieben. Es ist übrigens hier um die Bedeutung der Nemesis [zu tun], wenn dso dieser Begriff sich vermischt mit anderen Göttern' doch ist [es] unrichtig, aus [der] Erzählung [von] Agorakritos6 zu schließen, [in] welcher [Nemesis] in Athen ein BUd ds Aphrodite erhdte. Wie ein Athener Künsder nach der Zeit Phidias ein BUd ds Nemesis aufsteUte112, dies kann man verschieden erklären; Nemesis hat aber mit Aphrodite nichts gemein, nur das, daß sie beide weibliche Gottheiten sind. Jenes Können welches sich im Bewußtseyn darstellt, ist nur ein scheinbares, es ist für sich Können; um sich dies bewußt zu machen, bedarf [es] einer eigentlichen Erfahrung; man pflegt zu sagen: der edle Mensch ist der, der nicht aUes thut was er kann. Jenes Können ist Potenz des Seyns, aber nur um Können zu bleiben. Die dTtctTn, bei Hesiodos bedeutet die Urtäuschung, der der Mensch unterliegt.113 Da es indes materidl dasselbe Princip sey, welches dem götdich bewegten Bewußtseyn ds Möglichkeit [sich] darstellt, so läßt sich der indische Begriff Majah hier anwenden; dies Wort ist verwandt mit [dem] deut-schen: Macht, Möglichkeit, zwar majah ist Möglichkeit, aber dies ist das-selbe Wort mit [dem] persisch, griechischen Wort ,mayet',... das persi-sche Wort unserem deutschen entsprechend.114 In der That ist das ganze Wesen diese noch ruhenden Willen Magie, denn es ist das aUes Vermö-gende, was selbst Gott an sich zieht. Jenes lautere Seynkönnen, ist daß, das Gott nicht durch actus, sondern durch Nichtactus bewirkt wird, Gott ist dso magisch. Dasselbe ds transitiv genommen, ds Princip anderen Seyns, ist auch .Magie' des anders; darum ist es bloß eine scheinbare magia. [Das] Griechentum hatte ein ewiges Fest Apathura - ein Gott von dram, - hier stimmt das griechische, persische und indische [überein]; aber man kann es nicht bloß aus [dem] indischen herleiten: die Begriffe sind ähn-lich, so beweist das Historische nichts,... Die erste Veranlassung ist dso Nemesis [ds] ein nur scheinbares Können; in diesem sich ds unwirkend darsteüenden Können liegt die Versuchung; das unmittelbar Versuchen-de war eben jene Möglichkeit. Sie ist jene Schlange im A. T., d. h. jene mit dem Menschen entstandene, ja noch eher.115 Diese nähert sich nach dem griechischen Mythos mit0 der bethörenden Macht; eine Schlange wurde von gewissen Ceremonien einbezogen116, ein Doppelsinn jener Unglück-lichkeit, ein BUd der Ruhe, aber wenn sie sich erhebt*1,1 mit tödtlichen

H:G . b H: agoractitos 0 H: von d H: aufhebt

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MrrscHRiFT CHOVATS 197

Bissen verwundet. Wir haben dso 1: Urbewußtseyn, das menschliche Bewußtseyn, dies ist seiner selbst mächtig, in diesem 2:) ist die Möglich-keit in sich überzugehen 3:) die Macht, die bis jetzt zufällig war, d. h. was seyn kann, und nicht ist, was seyn kann, und nicht seyn konnte; so wird auch das Seyn offenbart. Ein Unabhängiges von sich selbst ist nicht zufd-lig: die Macht dso, die dies aUes umfaßt, ist Nemesis. Diese ist [es] auch, wdche [die] jetzt bloß ds zufällig gesetzte Möglichkeit zeigt, oder wdche diese Möglichkeit erregt, daß sie sich im Bewußtseyn darsteUen kann 4:) die Möglichkeit inwiefern sie sich wirklich darsteUt: aber diese ist nur betrügend, nur ein Betrug. Nachdem der WUle die Möglichkeit gefaßt hat*, so 5:) kommt es dem bezeichneten Seyn zu, sich wirklich [zu] erheben; es ist der Anfang der Urgeschichte, Urereigniß; dies fäUt ganz in [die] Übergeschichte, jener Vorgang ist jener übergeschichtliche Anfang der Mythologie, er ist UrzufaU selbst, das älteste unvordenkliche Verhängnis6, nicht weil sich nichts darin denken läßt, sondern als Erinnerung, denn vor ihm kann sich das Bewußtseyn nichts denken und erinnern; darum Verhängnißvolles, weil der WUle auf eine unbegreifliche Weise sich ge-täuscht [sieht], denn der WiUe glaubt, das in der Wirklichkeit zu finden, was in der Möglichkeit war. Aber nur die Folge der That bleibt im Be-wußtseyn und dies Bewußtseyn nach der That ist das erste Bewußtseyn, dies kann aber deswegen sich nicht wieder bewußt werden, woher es entstanden. Dieser Vorgang versinkt für das nun wirklich Gewordene; die dunklen Spuren dieses Vorgangs finden sich nur in [der] späteren Mythologie, welche sich in Griechenland vollendet, so finden wir diese Gestdt nur in [der] griechischen Mythologie bei [der] Nemesis; und so auch die Spuren des wirklichen Vorgangs, besonders in der Personi-fication. Ehe ich einen Begriff der Persephone erkläre, bemerke ich: das ursprüngliche Bewußtseyn ist sich selbst mächtig, es ist A, denn B war nur eine Möglichkeit des Anders; A ist das Erschaffene, der eigentliche Mensch. B ist aber gewißermaßen als der Mensch0, dso auch Mächtiges. Diesem A dso oder dem Menschen ist diese Möglichkeit gegeben, B ist Uim dargesteUt, diese für sich nichts vermögende Möglichkeit ist nur Weib-lichkeit, der WUle aber Männlichkeit; denn von den ersten Principien des Daseyn ist die Differenz der Geschlechter: so die Pythagoräer und hier konnte [man] oudc, ds weibliche aussprechen, povöu; ds männliche. Und damds wurde sie nothwendig ds weibliche Person gedacht, so wenn wir selbst einen Gott vor Schöpfung der Wdt denken, und [ihn] ds ein Wesen vorsteUen, weil sie nämlich Urmöglichkeit ist. Die Personification in der

H:ist b H: Verhältniß (?) * H:d.m.

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Mythologie ist bei den ersten Begriffen ganz unvermeidlich. Persephone ist das Urbewußtseyn selbst in seiner Ungeschiedenheit in seinem Fort-gange; sie bedeutet nichts anders, sie ist selbst das Urbewußtseyn. Ich erinnere sie, daß die im Bewußtseyn gesetzte I Möglichkeit, dso das Seynkonnende und Seyende ineinander sind, denn das A bloß Seyende ist doch noch A, so ist das Bewußtseyn noch ganz von androgyner Natur, das Weibliche ist mit Männlichem zusammen. Also so lange Persephone, d. h. das Urbewußtseyn in diesem Nichtwissen von sich selbst im Stande der Unschdd ist - diese ist Jungfrädichkeit, die Jungfrau ist noch nicht weiblich sie ist Geschlechtslosigkeit; Persephone ist dso Jungfrau: - so lange ist sie dargesteUt in einer unzugänglichen Urgeschichte.117 Die Pytha-goräer sagten dies von Pan: dies sind nicht zufäUige, sondern nothwendige Urgedanken: so setzt [die] Genesis den Urort, den Urmensch in Eden, in Freude, wo dies ursprünglich ist118; der Zufall ist nicht ein wesentlicher, sondern [ein] UrzufaU, so auch jener Ort der Freude, was nun in jenen Mythen genannt wird, ich bemerke: Die" Genesis versetzt den Mensch in einen geschlossenen, verwahrten Raum - circumseptum, conclusum, dso in einem Garten. Jetzt wird es in der Mythologie, selbst die PhUosophie ausgeführt; diese Übereinstimmung der Persephone mit [der] Genesis wäre unrecht, wenn wir gesagt hätten, daß jede Mythologie aus Umstel-lung der Genesis entsteht; und dies sind nothwendige Gedanken,... Wir haben bis jetzt von [dem] Begriff der Jungfrädichkeit der Persepho-ne.gesprochen. Schon griechische Philosophen haben [die] Doppelheit in Persephone erkannt: die innerlich bleibende und die herausgegangene, nämlich Proserpina - das eigendich Seyende dieses Moment ist das seiner selbst mächtige Seynkönnen; und eben dies PotentieUe kann das Bewußt-seyn sich darstellen und verwirklichen. Diese Möglichkeit ist ursprüng-lich als Unbewußtes; wie aber diese Potenz im Wesen ist, ohne bemerkt zu werden, so ist es [ein] Hervortreten im Wesen, dies ist serpere, jede Bewegung, ein Schleichen wird so genannt, so [ist] Proserpina nur die Schlange. Rhodos oder das Herausgehen ist in Proserpina nicht gedacht, so fortuna im allgemeinen ist stets [das] Bewegliche, niemds Gleiche; aber ds wirklich hervorgetretene ist die Persephone fortuna adversa - Unglück, und zwar nicht bloß ds zufdliges Unglück. Die Pythagoräer leiteten Per-sephone nicht aus der Lehre von der Dyas ab, sondern umgekehrt. Dyas ist ihnen nur eine Potenz wegen [der] Doppelsinnigkeit ihrer Natur.119

Die Pythagoräer stehen am Anfange der Philosophie; Aristoteles hat die Bedeutung von [den] Potenzen geltend gemacht, potentia und actus:

' H:In

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MITSCHRIFT CHOVATS 199

sumus Aristoteles Wer sich weiter [über den]" Zusammenhang der Persephone und [der] Dyas unterrichten wiU, den verweise6 ich auf das Creuzersche Werk. Der Schlüssel der Mythologie ist durch diese selbst gegeben: man kann sich0 wundern, wie es ihn nicht davon überzeugt hat, daß die Quelle der Mythologie tiefer gesucht werden muß, nicht bloß in äußerlichen, empirischen Sachen. Dann sind die auf Persephone sich beziehenden griechischen Lehren von [den] Mysterien; dieses offenbart sich dem Bewußtseyn erst am Ende des Proceßes; die Mysterien gehören nicht dem I Anfange der Mythologie [an]; sondern in einer solchen Vor-steUung wird der Übergang so beschrieben*1: die jungfräulic h gewesene Persephone wird eine Schlange von Zeus, der ihr Gewdt antun' will - so ist ein Übergang zum Stand der Unsdigkeit durch Gewdt; dso diese mysteriösen Vorstellungen sind [aus der] spätesten Zeit. Dies wird so erklärt : Alle Götter endigen in Zeus, alle früheren Götter waren nur Zeus, in aUen früheren war nur Zeus. Zeus der erste Anfang - und Ende - Mittel: er war dso am Anfange aUer Mythologie; so lange Persephone, [das] Urbewußtseyn, sich gleich blieb, aber wie die Einheit bringende Möglich-keit Dyas ist. Sobdd [sie] sich wirklich aus [der] Jungfrädichkeit nach außen zurückwendet, ist nun ein Proceß geworden, dem zugezogenen Seyn nach ist SeynsoUen. Persephone kommt in [der] wirklichen Mytho-logie z. B. bei Hesiod nicht eher vor, ds [dort], wo sie wirklich [des] Eidos beraubt [ist], aber sie wird bekannt, inwiefern sie in [der] Mythologie, im Bewußtseyn als unrechte erklärt wird. Diesen tieferen tragischen Zug... wird von Persephone, vom ganzen Proceß [des] erscheinenden Bewußt-seyn, als eine unabhängige Nothwendigkeit gesetzt'. Dies wird veranlaßt durch eine Täuschung des Bewußtseyns; der Mensch stellt sich vor jene Potenz auf, danach wird [er] ihr unterthan, wenn sie sich zum Wirkli -chen erhebt, zeigt sie ihm aber in anderem Anblick, er ist schon in [der] Gewdt dieses Princips. In der Erzählung des A. T. heißt [es]: Gott setzte den Mensch in [einen] Garten, daß er ihn baue und bewahre -colere.120

Deum terram - die Grundbedeutung von colere ist vieUeicht in occdere verborgen; dies ist aUerdings Gegenstand alles Unglücks, indem er dies niederhdt, erbaut er die Gottheit in sich. Das Princip, wie Gott in Wir-kung setzt, macht ihn seiner Gottähdichkeit verlustig. Bekanntlich sagt Gott von [dem] Menschen: [Der] Mensch ist geworden wie etc.121; so

H: von b H: unterweise ' H: es ist zu d H: geschrieben H: machen

1 H: besetzt

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200 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN

veränderten sie dies in jenes, ds Verlust der Gottähdichkeit. AUe bishe-rigen Versuche diese Schwierigkeit zu heben sind unrichtig: die Andogie der Sprache erlaubt dies nicht; oder man erläuterte ironisch: siehe wie schön ist der Mensch, aber dieser Hohn gegen Adam wäre auch unschick-lich - oder: er [ist] geworden, wie unser [einer], so setzt [es] voraus, daß vide Götter waren, und einer wiU dazu treten. - Am besten aber: er ist geworden, wie einer von uns, von [den] Elohim, wie B von uns, dso von uns nur einem gleich ist, und dadurch nicht [mehr] der Gottheit gleich ist. Denn Gott ist dcht einer in Einzigkeit, sondern wenn er bloß B. ist, ist er selbst außer seiner Gottheit. Der Mensch dso, indem er einer von [den] Elohim [geworden] ist; aber noch mehr, der Eine, welcher den Anderen ausschließt, und insofern ist [er] dcht der wahre Gott - wenn es mögl: ~h wäre Gott bloß ds B zu setzen, so wäre er Ungott. Nun aber thut dies der Mensch in seinem Bewußtseyn; die Potenz um sich ds Mysterium zu bewahren - im menschlichen Bewußtseyn gesetzte Potenz, indem [er] sie im Bewußtseyn wieder aufnimmt, schließt er damit die 2te Potenz aus, welche I das Seynmüssende ist: Um dies zu erklären: es ist bekannt, daß jede flüssige Substanz eine gewiße Quantität Wärme absorbirt: die Wär-me erscheint mit [der] flüssigen Substanz identificiert: dagegen wenn sie veradaßt wird, stark zu werden, z. B. Wasser gefriert, so wird das jetzt erstarrende das Erstarrte ausschließen.... In dem überwundenen Blut sich höhere Potenz verwirklicht; nur in dem beruhigten verwirklicht sie seine höhere Potenz, und zwar nothwendiger Weise, denn die wieder-erhobene Potenz, indem es dieses B sich selbst aufhebt, in nicht... setzt A der dritten Potenz in seine SteUe; er versagte sich auch der höchsten Potenz; der verwirklichte Gott im Bewußtseyn ist wirklich wieder aufge-hoben. Darum aber, daß die höhere Potenz am Bewußtseyn entsteht, sind sie nicht vöUig aufgehoben, sie sind vom Menschen ds vom Bewußtseyn ausgeschloßen, denn daß B herrschend ist, hat [es] sich der höheren Potenzen unzugänglich gemacht. Aber eben dies ist die Anlage zu einem künftigen Polytheismus, denn im Bewußtseyn ist ein fdscher Gott: sie sind auch nicht der wahre Gott, und da sie auch schlechthin nicht Gott sind, so sind [sie] daher [ds] drei Potenzen gesetzt, so ist hier die Anlage zum successiven Polytheismus gegeben.

Anmerkungen 1 Horaz, De arte poetica ad Pisones, 191. (XI, 4). 2 Karl Philipp Moritz, ,,Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten"

Berlin 1795. 3 Herodot L. II , c. 53. (XI, 15). 4 Karl Dietrich Hüllmann, Anfänge der griechischen Geschichte. Königsberg 1814.

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MITSCHRIF T CHOVAT S 201

5 XI , 28. ' XI , 30; I . Kant, Kriti k der Urteilskraf t $ 24, A 222 f./B 226. 7 XI , 32-33. 8 Schelling verweist hier auf Hermann, Mythologie, 43 f. (vgl. XI , 35-36). * Ebd. *> XI , 47-49. 11 XI , 53-56. c Zur Fabel derjo: XI , 58-59. 0 XI , 100. Zu F. Schnurrer a. a. O. 14 Gen. 11. " In der Handschrift finden sich Hinweise auf den Apostel Paulus, Cicero und auf

die lateinische Fassung, vgl. dazu: XI , 106-107 (besonders die Fußnoten). * XI , 108-109 (109 Fußnote); vgl. auch XIII , 24. v Don Felix Azara, Voyage. B David Hume, Die Naturgeschichte der Religion, hrsg. von L. KreimendaK.

bürg 1984, S. 1,10. XI , 83-84; G. E. Lessing, Erziehung, SS 6 und 7.

20 In der Handschrift findet sich hier ein Hinweis auf Cudworth und auf Mosheim (vgl. auch XI , 95).

21 G. Voß, De origine. (XI , 86). 22 Vgl. XI , 86. 23 XI , 88-89. 24 Vgl. ebd. 25 Ebd., 90. 26 Ebd. 100-101. 27 Ebd., 123. 28 Ebd., 127. 29 Zur vorhergehenden Passage: XI , 130-131. 30 Zur Frage Monosyllabismus und Disyllabismus vgl. XI , 133-136. }1 Abel Remusat, a. a. O., (XI , 134). 32 XI , 136-137. 33 In SW findet sich an der betreffenden Stelle kein Hinweis auf das Katholische. 31 XI , 144-145. * Gen. 5,1-32. 36 XI , 145-148. 37 Gen. 4, 26. * Deut31,19-21. 39 Gen. 7, 1. 40 Jer.35. 41 XI , 156-157. 42 Ebd., 157. 43 Ebd., 158 (Fußnote) 44 Ebd., 169. 45 Ebd., 161. * Ebd., 162. Hinweis von Schelling auf Gottlob Christian Storr (1746-1805), Tü-

binger Theologe, einer der Lehrer Schellings (Obss. p. 97). 47 XI , 172-173. 48 Bezieht sich auf die sogenannte ältere Urkundenhypothese, vgl.: Johann Christi -

an Eichhorn, Urgeschichte. Ein Versuch. In: Repertorium für Biblische und

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202 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN

Morgenländische Litteratur, Teil 4. Leipzig 1779, 129-256; ders., [Rez.], Die äl-testen Urkunden der Hebräer im ersten Buch Mose, in: ABBL 1.6. Leipzig 1788, 984-999.

Jer.5,15. Jos. 24, 2.

51 XI, 165-166. 52 Vgl. Gen. 14,17-24. 53 Schelling verweist auf .saddik'(1. Mos. 6, 9) XI , 167. 54 Gen. 14,22;19,20. 35 Gen. 17, 1. Vgl. etwa Gen. 22, 11.

57 Ex. 3,14. 58 Gemeint ist wohl Rom. 1, 6: „ihr , die ihr von Jesus Christus berufen seid". » Gen. 15, 6 ;Ga l .3 ,6. a Gen. 20, 7. 41 D. Hume, Die Naturgeschichte der Religion, S. 2. 62 Vgl. XI . 182 f. Piaton, Polit .p. 271. E. (XI , 175).

64 Joh.4,23-24. Joh.4 ,22. In XI , 196 Anm. 1 verweist Schelling auf den Aufsatz von Samuel Taylor Coleridge

(1722-1834), On the Prometheus of Aeschylus. In: Transactions of the Royal Society of Literature of the United Kingdom. Vol. II , part II , London 1834, S. 384-404; 391: „The Prometheus is a philosopheme and Ton>Tr)YopiK(5v."

47 XI , 213 findet sich ein Hinweis auf Ovid und Plutarch; Plutarch, Questiones Romanae ed. Reiske p. 119.

68 Vgl. XI , 214. XI , 223 Anm. 1, hier verweist Schelling aufsein „System des transcendentalen

Idealismus". 70 Johann Arnold Kanne (1773-1824), Pantheon der ältesten Naturphilosophie,

Stuttgart/Tübingen 1807; ders., Mythologie der Griechen, Erster Teil, Leipzig 1803. Vgl. auch Jamme, 49-50.

71 Creuzer, Symbolik. 72 Anspielung auf D. Hume, The natural history. 73 Vgl. Anm. 48. 74 Hermann/Creuzer, Briefe, 67. 75 G. Hermann, De Mythologia, X.: „i n quo nos senescente iam, medii inter duas

ruinas, aeternitatem, serius ocius novis fluctibus perituram inani labore con-sectamur." (In XI , 236 Anm. 2 ist das Zitat nicht korrekt wiedergegeben)

74 A. H. L. Heeren, Ideen über die Politik, Th. I, Abth. LI, S. 311. (XI , 238 Anm. 1). 77 F. H. Jacobi, David Hume, (Vgl. XIII, 116 ff.). 78 Rom. 11. 75 Zu dieser Formulierung vgl. auch VII , 12: „ohne ein Ungöttliches gibt es wohl

keine Vergötterung". *> Eph.2, 12 a In XI , 257 Anm. 1 ist auf Aristoteles, Metaphysik XII , 8 (p. 254,5 ss. ed. Brandis)

hingewiesen. 82 Varianten zu dem Schema: XI , 261; XIII , 35-38. Das enthaltene Zitat könnte von

Aristoteles sein, vgl. XIII , 37: „schon Aristoteles sagt das bedeutende Wort: scire est agere intelligere est pati."

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MrrscHRiFT CHOVATS 203

83 Schelling hat hier wohl Kants Unterscheidung von Theismus und Deismus im Blick, vgl. KdrV HG 31/B 659.

84 Anspielung auf Melanchthon, Locis theologicis; vgl. XI , 262 Anm. 1. 83 Vgl. Kant, KdrV A 583 ff./B 611 ff. * Vgl. hierzu auch V, 299 sowie F. W. J. Schelling, Urfassung der Philosophie

der Offenbarung, Hamburg 1992, S. 17 f. 87 Dies könnte sich auf Hegel beziehen. 88 Vgl. u. a. G. W. F. Hegel, Einleitung in die Geschichte der Philosophie. TWA

18,81-113. Anspielung auf Baco von Verulam; vgl. XI , 251.

* Die Nachschrift von Amiel bringt auch die Unterteilung: „Partie systematique, ler Aoüt, TROISIENNE PARTIE: De proce divin", Secretan/Amiel, 249.

91 Vgl. XII , 13. Schelling verweist auf Johann Gerhard, Loc. Theoll. Vol. III , c. VI . * F. Schleiermacher, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evange-

lischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Auflage. Berlin 1830, l.Teil, S 56.2: „so ist dieser Ausdrukk Einheit Gottes weniger eine einzelne Eigen-schaft, als der monotheistische Kanon, welcher aller Untersuchung über göttli-che Eigenschaften immer schon zum Grunde liegt, und eben so wenig bewiesen werden kann, als das Sein Gottes selbst." (Vgl. XII , 22).

93 Schleiermacher, Der christliche Glaube, S 56. 2., 260. 94 Schleiermacher, Der christliche Glaube, S 56: „Unter den gewöhnlich ange-

führten götdichen Eigenschaften würden als keinen Bezug habend auf den in den Erregungen des frommen Bewußtseins statthabenden Gegensaz vornehm-lich noch hieher gehören die Einheit, Unendlichkeit und Einfachheit Gottes; allein diese können nicht in demselben Sinne wie die bisher abgehandelten als göttliche Eigenschaften angesehen werden."

95 Anspielung auf Friedrich Schlegel, Ueber die Sprache und Weisheit der Indier, ein Beitrag zur Begründung der Altertumskunde, Heidelberg 1808.

* Anspielung auf Hegel, Enzyklopädie S 573: „Von den Philosophien, welchen man eben diesen Namen gegeben, z. B. der Eleatischen oder Spinozistischen, ist schon früher erinnert worden, daß sie so wenig Gott mit der Welt identifizie-ren und endlich machen, daß in diesen Philosophien dies Alles vielmehr keine Wahrheit hat, und daß man sie richtiger als Monotheismen und, in Beziehung auf die Vorstellung von der Welt, als Akosmismen zu bezeichnen hätte." Enzy-klopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), TWA, 10, 387.

97 Franz Volkmar Reinhard (1753-1812), Vorlesungen über Dogmatik 1801, S 33; vgl. XII , 73 , die Einheit Gottes sey „illu d attributum Dei, quo negatur plures substabntias infinitas esse".

* Spinoza, Ethik I, Prop. XV. » Hegel Enz. S 573, TWA Deut. 6,4. Vgl. etwa Deut. 6, 14-16. Deut. 6,4.

10 Vgl. XIII,310-336. "4 Hegel: „Besonders ist es das Potenzenverhältnis, welches in neuerer Zeit auf

Begriffsbestimmungen angewendet worden ist. [...] Hiergegen fällt sogleich auf, daß die Potenz, so gebraucht, eine Kategorie ist, die dem Quantum wesentlich angehört; - es ist bei diesen Potenzen nicht an die potentia, Swctuic,, des Aristo-teles gedacht. So drückt das Potenzenverhältnis die Bestimmtheit aus, wie die-selbe als der Unterschied, wie er im besonderen Begriff des Quantums ist, zu seiner Wahrheit gelangt, aber nicht wie daselbe am Begriff als solchem ist."

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Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), hrsg. von H.-J. Gawoll, Hambur g 1985, S. 362. Vgl. auch XII , 60 Anm. 1.

I0S Hegel, ebd., S. 362: „E s ist in der Kindheit des Philosophierens, daß wie von Pythagoras Zahlen- und erste, zweite Potenz u.s.f. haben insofern vor Zahlen nichts voraus - zur Bezeichnung allgemeiner, wesentlicher Unterschiede gebraucht worden sind."

" Aristoteles, Rhet. IX . (Sylb. 80, 7). Vgl. XII , 143. w Gen. 2 .16 f. und 3, 11. Rom. 7,7-10.

109 Hesiod, Theogonie, v. 223. " ° Vgl. ebd. 111 Schelling verweist auf F. Creuzer, Symbolik, Bd. 2, 501 f. und auf J. J. Winckel-

mann, Anmerkungen zur Geschichte der Kunst, (Dresdener Ausg.), 90; vgl. XII , 146 f. Vgl. auch Pindar, Olymp. VIII , 114 (7).

10 Vgl. Plinius, Histori a naturalis, XXXVI , 4, 17. 10 Hesiod, Theogonie, 224: djröVm, 114 Schelling weist hin auf W. v. Humboldt , Ueber die unter dem Namen Bhadagva-

Gita bekannte Episode des Maha-Bharatas, Berlin 1825-26 sowie auf A. W. Schle-gel, Indische Bibliothek, (XII , 149).

115 Gen. 3 ,1 ff. 114 Clemens von Alexandrien, Protepticos p. 14 (XII , 151). 117 Hinweis von Schelling auf Creuzer, Symbolik, Theil IV , S. 546 (XII , 157 Anm. 1). '» Gen. 2,15 ff. 119 Porphyr, vita Pythagorae, 50. 00 Gen. 2, 15. E1 Gen. 3 ,22.

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Personenregister

Abimelech 83 Abraham 79-84,141-146 Abydenosll4 Adam77f.,140 Adrastda 195 Adrastos 195 Agorakritos 1% Amid, Henri-Frederic 21,24,31,34,

203 Aphrodite 196 Apostolopodou, Georgia 12,15,32 f. Aristophanes 46,113 Aristotdes 48,102,160,190 f., 195,

198,202-204 Azara, Felix 45,51,61,113-115,

130,201

Bacon, Francis 38,112,203 Bakunin, Michail 11 Baumgartner, Hans Michad 24,33 Beach, Edward A. 31 Bergk, Theodor 32 Bochart, Samud 115 Boeckh, August 18 Böhmejacob 184 Bratranek, Franz Thomas 9,32 Brinkmann, Klaus 31 Brzoska 115 Buchheim, Thomas 31 Bimsen, Christian Karl Josias 32 Burckhardt, Jacob 10 f., 32 Burkert,Wdterl l3

Calderon de la Barca, Pedro 121 Caracalla 81 Chotwas, Andreas von 18,23,30,33 Choväts, Mäty äs 18 Cicero 43,56,61,113 f., 122,201 Clemens von Alexandrien 204 Clericus 112 Coleridge, Samuel Taylor 153,202

Cotta, Johann Friedrich 34 Cousin, Victor 20,113 Creuzer, Friedrich 25,64-66,73 f.,

94,109,113,115 f., 134,160, 199,202,204

Cudworth, Rdph 112,201 Cybdski 18

Danz, Christian 34 David 141 Dekker, Gerbrand 21,33 Derketo79 Dionysios 140 Dornedden, Karl F. 113 Droysen, Gustav 10,32 Dupuis, Charles-F. 115 Düsing, Klaus 31,34

Eberz, Anton 15,21,27,32,37 Ehrhardt, Wdte rE. 12,21,31,34 Eichhorn, Johann Christian 201 Engds, Friedrich 32 Ennius 112 Enoch 77 f., 140 Epikur50,113,121 Esau 81 Euhemeros 42 f.,93,112 Eusebius 114 Eva 146

Feuerbach, Ludwig 11,32 Fichte, Johann Gottlieb 172 Frank, Manfred 31,34 Franz, Albert 31 Friedrich Wilhelm HL von Preußen 9 Fuhrmans, Horst 24 f., 34 f.

Gans, Eduard 17,31 GaskinJohnC. A. 115 C i awlick, Günter 115 Gerhardjohann 203

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206 PERSONENREGISTER

Gesenius, Wilhelm 116 Gloy, Karen 31 Gockel, Heinz 113 Goethe johann Wolfgang 41,120

Hanus. IJ .32 Hartlich, Christian 33,113 Hartmann, Klaus 31 Heeren, Arnold Hermann Ludwig

116,202 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 9-

11,17,20,25,31 f., 34,184,186, 190 f., 203 f.

Heimann 31 Heims, Wilhelm 15 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 18 Hennigfeld, Jochem 34 Henrich, Dieter 31 Herder, Johann Gottfried 20,34 Hermann, Gottfried 25,33,43-47,

60,62,94,99,113,115,117, 122,123 f., 126,132,136,154, 158,163-165,201 f.

Herodot 39 f., 54 f., 57,112,114, 119 f., 129,195,200

Hesiod 39 f., 43,44,46,59,68, 112 f., 113,115,119 f., 122-124, 131,135,195 f., 199,204

Hespe, Franz 31 Heyne, Christian Gotdob 19,42 f.,

47,60,93,113,158 Hilgenfeld,Adolfl0,32 Holzhey, Helmut 34 Homer 39 f., 42 f., 46,59,113,115,

119f.,131,163 Horaz 60,62,115,117,127,195,

200 Horstmann, Axd 113 Horstmann, Rolf-Peter 31 Hotho, Gustav 17 Hubd32 Huet ,Dan id l l5 ,133 Hüllmann, Karl Dietrich 112,121,

200 Humboldt, Wilhelm von 40,112,

204 Hume, David 60-62,74,87,111,

115 f., 132,148,150,154,201 f.

Isaak82f.,143,145

Jacob 143,145 Jacobi, Friedrich Heinrich 103 f.,

111,116,164 f., 186,202 Jacobs, Wilhelm G. 24,33 Jacoby 112 Jaeschke, Wdter 34 Jakob 81 f. Jamme, Christoph 10,19 f., 25,31 -

34,113,115 f., 202 Jeremia 141 Jesaja 140 Jones, William 64 f., 115,134,158 Junghanß, Christina 12

Kanne johann Arnold 160,202 Kant, Immanuel 23,32,104,121,

170-172,201,203 Kapp, Christian 32 Kierkegaard, Peter Christian 32 Kierkegaard, Sören 10 f., 32 Kinkd, Gottfried 32 Kotzias, Nikolaos 17,33 Krings, Hermann 24 Kurz, Gerhard 34

Lessing, Gotthold Ephraim 63,112 , 115,133,143,164,201

Liliencron, Rochus von 10,32 Lohrer, Lieselotte 34 Lucian 114 Luden, Heinrich 18 Luther, Martin 140 f. Lux.Gyda 18

Mann, Thomas 33 Marheineke, Philipp Conrad 18 Marx, Karl 11,32 Maximilian LI. von Bayern 34 Meist, Kurt-Rainer 32 Melanchthon, Philipp 203 Melchisedek 144 Menagias Johannes 17,33 Michel, Karl Markus 25 Minerva 42 Moldenhauer, Eva 25 Mone, Franz Joseph 25

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PERSONENREGISTER 207

Moritz, Karl Philipp 119,200 Moser, Georg H. 64,115 Moses 80,133 f., 141,145 f. Mosheim Johann Lorenz 112,201

Neander Johann August Wilhelm 18 Nebukadnezar 142 Nemesis 195-197 Niebuhr, Carsten 53,114 Noah 78,80, 141 f.

Oesterreich, Peter Lothar 31,34 Ovid 56,114,157,202

Pagano, Maurizio 21,31 Pareyson, Luigi 21,25,31 Paulus (Apostel)55,146,167,195,

201 Paulus, Heinrich Eberhard Gotdob

19 Persephone 197-199 Pfeiffer, Bernhard 12 Phidias 196 Pindar204 Platon43,66,105,113-115,122,

168,202 Plinius 204 Plitt, Gustav L. 24,32,34 Plutarch 105,112.114,202 Pöggeler, Otto 32 Polites, Linos 16,32 f. Porphyrius 204 Procesi Xella, Lidia 31 Proserpina 198

Quenstedt 115

Rathmann Jänos, 12 Reinhard, Franz Volkmar 176,203 Remusat Jean-Pierre Abd 116,201 Rosenkranz, Kad 11,32 Rosenmüller, Ernst Friedrich Kad

116 Roser, Andreas 21,31 Rudorff, Adolf August Friedrich 18 Rühling, Frank 12 Rysios, Pantazes 16

Sachs, Walter 33,113

Sakkelion, Alkibiades 15 f., 32 Sakkelion Johannes 15 f., 32 Salomo 141 Schablik, Zsusanna 18 Schelling, Karl Friedrich August 11,

16,24 Schieche, Wdter 12 Schlegel, August Wilhelm 40,112,

204 Scdegel, Friedrich 203 Schleiermacher, Friedrich Daniel

Ernst 23,34,203 Schmidig, Dominik 31 Schneider, Helmut 34 Schnurrer, Friedrich 114,127,201 Schdten,Holger21,31 Schulz, Walter 31 Secretan, Charles 21,31,203 Selge, Kurt Victor 34 Sem 81,142 Seth 77,78 Sextus Empiricus 113 Sokrates 43,46,105,168 Speck Joseph 31 Spinoza 164,175 f., 180,186,189,

203 Steffens, Henrik 20 Stolberg, Friedrich Leopold von 116 Storr, Gotdob Christian 201

Theunissen, Michad 31 Tilliette, Xavier 25,31 f., 34 Troxler, Ignaz Paul Vital 31 Twesten, August 18

Uhlemann, Friedrich 18 Ulimann, Wolfgang 34

Varnhagen von Ense, Karl August 10 f., 32

Vieweg, Klaus 32 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz31 Volney, Constantin Felix de 115 Voß, Gerhard 75,115 f., 133,201 Voß Johann Heinrich 59 f., 93,109,

115 f., 157

Wahl 81

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208 PERSONENREGISTER

Werder,Carll8 Wolf,Friedrich August49,112f. Werder, Karl Friedrich 10,17 f. Wilson John Elbert 31 Zeltner, Hermann 24 Winckelmann Johann Joachim 204 Zeus 199

f Bayerisch « ^ I Staatsbibliothe k I l München