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Schülermitbeteiligung im Fachunterricht

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Schülermitbeteiligung im Fachunterricht

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Reihe Schule und Gesellschaft

Herausgegeben von

Franz Hamburger Marianne Horstkemper Wolfgang Melzer Klaus-Jürgen Tillmann

Band 22

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Meinert A. Meyer Ralf Schmidt (Hrsg.)

Schülermitbeteiligung im Fachunterricht Englisch, Geschichte, Physik und Chemie im Blickfeld von Lehrern, Schülern und Unterrichtsforschern

Leske + Budrich, Opladen 2000

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Die Herausgeber: Meinert A. Meyer, Dr. phil., Jg. 1941, ist Professor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Allgemeine Didaktik an der Universität Hamburg; Ar­beitsbereiche: Unterrichtsforschung, Reform der Sekundarstufe 11, Verhältnis der Allgemeinen Didaktik zur Fachdidaktik, historische Didaktik.

Ralf Schmidt, M.A., Jg. 1968, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung der Martin-Luther­Universität Halle-Wittenberg.

Gedruckt auf säurefreiem und alters beständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schülermitbeteiligung im Fachunterricht: Englisch, Geschichte, Physik und Chemie im Blickfeld von Lehrern, Schülern und Unterrichtsforschern / Meinert A. Meyer ; Ralf Schmidt (Hrsg.). - Opladen : Leske + Budrich, 2000

(Reihe Schule und Gesellschaft; Bd. 22)

ISBN 978-3-8100-2625-5 ISBN 978-3-322-97464-8 (eBook)

DOI 10.1007/978-3-322-97464-8

© 2000 Leske + Budrich, Opladen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi­kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Ralf Schmidt

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Unserem verstorbenen Kollegen

Prof. Dr. Michael Lichtfeldt

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Inhalt

MEINERT A. MEYERIRALF SCHMIDT Vorwort ............................................................................................................ 9

MEINERT A. MEYERI RALF SCHMIDT I JOSEF KEUFFER Einleitung: Zugänge zur Schülermitbeteiligung über Unterrichtsforschung .................... 11

Teil 1: Stand der Forschung

MEINERT A. MEYER I JOSEF KEUFFER 1.1 Transfonnationsprozesse, Allgemeine Didaktik,

Unterrichtsmethodik, Wissenschaftspropädeutik und psychologische Lehr-Lem-Forschung ............................................ 21

MEINERT A. MEYERI MATTHIAS TRAUTMANN 1.2 Fachdidaktik Englisch ........................................................................... 33

JOSEF KEUFFERIRALF SCHMIDT 1.3 Fachdidaktik Geschichte ....................................................................... 41

HEINZ OBST I CHRISTINE ZIEGLER I MICHAEL LICHTFELDT t 1.4 Fachdidaktik Physik und Chemie .......................................................... 49

MEINERT A. MEYER 1.5 Zusammenfassung ................................................................................. 57

Teil 2: Ein Forschungsprogramm

JOSEF KEUFFERIRALF SCHMIDT 2.1 Zielsetzungen ........................................................................................ 61

RALF SCHMIDT I JOSEF KEUFFER I INGRID KUNZE 2.2 Die Forschungsmethoden des Projekts .................................................. 65

Teil 3: Beispiele

MEINERT A. MEYER I MATTHIAS TRAUTMANN 3.1 Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Englisch ................. 93

RALF SCHMIDT I JOSEF KEUFFER 3.2 Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Geschichte ............ 143

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CHRlSTINE ZIEGLER / HEINZ OBST 3.3 Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Chemie .................. 177

RALF SCHMIDT / JOSEF KEUFFER 3.4 Bewertung der Analysen ..................................................................... 199

Teil 4: Zusammenfassung und Ausblick

MEINERT MEYER / JOSEF KEUFFER / INGRlD KUNZE / RALF SCHMIDT / CHRlSTlNE ZIEGLER Perspektiven für die zukünftige Projektgestaltung, für die qualitative Unterrichtsforschung und für die Lehreraus- und -fortbildung .................... 209

Literaturverzeichnis ..................................................................................... 221

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .................................................... 233

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Meinert A. MeyerlRalf Schmidt

Vorwort

Unsere Publikation bezieht sich auf ein von der Deutschen For­schungsgemeinschaft gefordertes Projekt, das in der Zeit vom 1.10.1995 bis zum 30.9.1996 als Pilotphase und seit dem 1.1.1998 in der Hauptphase am Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung der Martin­Luther-Universität Halle-Wittenberg läuft: "Schülermitbeteiligung im Fach­unterricht an Schulen in den neuen Bundesländern". Die jetzt vorgelegten Untersuchungen sind in der Pilotphase erhoben und nachfolgend ausgewertet worden. Wir legen unsere Forschungsinteressen dar, entwickeln das methodi­sche Instrumentarium und exemplifIzieren es an der Analyse von drei Unter­richtsstunden.

Beteiligt an dem Projekt sind Prof. Dr. Meinert A. Meyer, Prof. Dr. Heinz Obst, Dr. Josef Keuffer, Ralf Schmidt und Matthias Trautmann, seit dem 1.2.1998 Christine Ziegler. Auch wenn jetzt, dem jeweiligen Anteil an der Textproduktion entsprechend, verschiedene Autoren für die einzelnen Kapitel verantwortlich zeichnen, ist das Buch doch substantiell eine Gemein­schaftsarbeit. Kooperationspartner für das Projekt sind Prof. Dr. Heinz-Her­mann Krüger, Dr. Ingrid Kunze, Prof. Dr. Hans-Jürgen Pandel und Prof. Dr. Sibylle Reinhardt. Im Kontext des Projektes sind bereits eine Reihe von Pu­blikationen der beteiligten Wissenschaftler erschienen. Eine Übersicht der Aufsätze ist im Literaturverzeichnis auf Seite 215f. zu fmden.

Unser Kollege Prof. Dr. Michael Lichtfeldt, der maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Projektes hatte, verstarb im Frühjahr 1998. Wir wid­men ihm das Buch mit großem Dank. Er hat uns gelehrt, Brücken des Ver­stehens zu suchen und zu beschreiten.

Unser Dank gilt den am Projekt beteiligten Schulleitern, Lehrern und Schülern, ohne deren Geduld und Bereitschaft das Projekt nicht möglich gewesen wäre.

Hamburg und Halle, den 21.07.1999

Meinert A. Meyer Ralf Schmidt

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Meinert A. Meyer / Ralf Schmidt / Josef Kenffer

Einleitung: Zugänge zur Schülermitbeteiligung über Unterrichtsforschung

Der Begriff Schülennitbeteiligung bezeichnet den Sachverhalt, daß sich die Schülerinnen und Schüler am Unterricht beteiligen, zugleich aber auch, daß der Lehrer oder die Lehrerin sie am Unterricht beteiligt. Unser For­schungsinteresse richtet sich deshalb auf diejenigen Handlungen, durch die der (schulische) Lehr-Lern-Prozeß gestaltet wird. Schülennitbeteiligung ist die aktive didaktische Gestaltung dieses Lernprozesses, die im Rahmen der unterrichtlichen Interaktion der Lehrenden mit den Lernenden durch die Lernenden selbst realisiert wird und die deshalb nicht nur als Reaktion auf das didaktische Handeln der Lehrer verstanden werden kann. Schülermitbe­teiligung ist nach unserem Verständnis, normativ betrachtet, ein Handeln, durch das die Schülerinnen und Schüler sich selbst einbringen und zugleich als tendenziell gleichberechtigte Partner von den Lehrern in die Planung, Gestaltung und Auswertung des Unterrichts einbezogen werden.

Schülermitbeteiligung ist ein von uns absichtlich gewählter Kunstbegriff. Wir verwenden ihn mit Bezug auf die didaktische, methodische und inhaltli­che Gestaltung von Fachunterricht und fächerübergreifenden Unterrichtsvor­haben (Keuffer 1996, S. 163). Der Begriff ist auf kein vorhandenes didakti­sches Modell festgelegt. Er grenzt sich von dem umfassenderen Begriff der Partizipation ab und konzentriert sich auf Phänomene des Unterrichts alltags. Er korrespondiert mit dem Begriff der Schüleraktivierung, wie er zum Bei­spiel von Fritz Bohnsack und Hartmut Wenzel (1984) verwendet wird.

Bisherige Untersuchungen zur Schülennitbeteiligung begrenzen sich weitgehend auf außerunterrichtliche und nicht fachgebundene Fragestellun­gen. Im bewußten Kontrast hierzu legen wir den Schwerpunkt unserer Unter­suchungen auf den Fachunterricht in der gymnasialen Oberstufe. Auf der Grundlage allgemeindidaktischer Überlegungen zum Begriff der Schülermit­beteiligung und mit Bezug auf die Entwicklungen in den Fachdidaktiken untersuchen wir, welche fachgebundenen Formen der Schülermitbeteiligung für den Unterricht in den Fächern Englisch, Geschichte und ChemielPhysik in der gymnasialen Oberstufe in den neuen Bundesländern bestimmt werden können.

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Während in der Erziehungswissenschaft, der Psychologie und den Fachdi­daktiken der Selbstorganisation des Lernens große Beachtung geschenkt wird, steht die Frage, wie man diese Zielsetzung auf den Schulalltag beziehen kann, noch nicht im Zentrum der Anstrengungen. Daß Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Selbsttätigkeit im Unterricht immer nur über einen Ausbau der Schülermitbeteiligung ablaufen kann, ist noch nicht ausreichend im Blick. Wie Schülermitbeteiligung konkret aussieht, wie sich Schüler am Fachunterricht beteiligen, wollen wir deshalb in Mikroanalysen von Unter­richtssequenzen erheben. Wir meinen, daß eine solche Untersuchung ertrag­reich ist, weil Lehrer, Erziehungswissenschaftier und Fachdidaktiker, wir alle zusammen, dazu neigen, nicht mehr genau hinzusehen. Wir meinen, sobald wir vor der Klasse stehen oder als Forscher Schüler und Lehrer beobachten, schon zu wissen, wie Unterricht abläuft. Die ersten Analysen, die wir jetzt vorlegen, machen demgegenüber deutlich, wie komplex die Konstitution der Unterrichtswirklichkeit ist. Sie wird von Schülerinnen und Schülern und von Lehrerinnen und Lehrern aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven wahrge­nommen, wobei die Deutung dessen, was im Unterricht passiert, sehr unter­schiedlich sein kann.

Die Interaktion der Beteiligten, der Schüler und Lehrer und Forscher, ist ein Prozeß der Aushandlung von Bedeutungen. Ein Hinweis auf den amerika­nischen Pädagogen, Psychologen und Philosophen John Dewey soll das ver­deutlichen. Dewey versuchte konsequent, seine Unterrichtstheorie aus seiner Anthropologie, aus der Bestimmung der gesellschaftlichen Situation und der pragmatischen Erkenntnistheorie heraus zu entwickeln. Die Aufgabe des Erziehers ist es, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern eine Lern­welt zu schaffen, die die Reaktionen der Lernenden stimuliert und die den Lernweg der Lerner in die richtige Richtung führt. Die Lehrer sollten sich deshalb nicht mit dem Stoff (subject matter) an sich beschäftigen. Vielmehr sollten sie fragen, wie dieser Stoff in Beziehung zu den jeweiligen Bedürfnis­sen und Fähigkeiten der Schüler treten kann.

Die Frage, die Dewey sich stellt, ist also, wie die Erfahrungen der er­wachsenen Generation und aller Generationen vor ihr methodisch so zube­reitet werden können, daß die junge Generation diese Erfahrungen tatsächlich verarbeiten kann. Dewey schreibt:

"The subject matter of education consists primarily of the meanings which supply content to existing social life. The continuity of social life means that many of these meanings are contributed to present activity by past collective experience. As social life grows more complex, these factors increase in number and import. There is need of special selection, formulation, and organization in order that they may be adequately transmitted to the new generation. But this very process tends to set up subject matter as something of value just by itself, apart from its function in promoting the realization of the meanings implied in the present experience ofthe immature. Especially is the educator exposed to the temptation to conceive his task in terms of the pupil's ability to appropriate and reproduce the subject matter in set statements, irrespective of its organization into his activities as a developing

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social member. The positive principle is maintained when the young begin with active occupations having a social origin and use, and proceed to a scientific insight in the mate­rials and laws involved, through assimilating into their more direct experience the ideas and facts communicated by others who have had a larger experience" (Dewey 1916, S. 192/93).

Dewey denkt dabei zunächst an die Naturwissenschaften, aber die Argumen­tation gilt selbstverständlich mit entsprechender ModiflZierung auch für die anderen Fächer. Er leugnet nicht, daß die Erwachsenen viel mehr Erfahrun­gen als die Heranwachsenden gesammelt haben, daß sie also, salopp gesagt, bis auf weiteres klüger als ihre Schüler sind. Daraus folgt aber nicht, daß sie die Heranwachsenden belehren müßten:

"When information is purveyed in chunks simply as information to be retained for its own sake, it tends to stratify over vital experience" (Dewey 1916, S. 208).

Mit Bezug auf Jürgen Habermas könnte man sagen, daß Dewey hier vor der inneren Kolonialisierung der Lebenserfahrung der Schüler durch den vor­gegebenen, an den Erfahrungen der Erwachsenen ausgerichteten In­haltskanon der Schule warnt (Habermas 1981, Bd. 2, S. 452). Deshalb ist es unser Anliegen, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern, uns selbst und anderen Unterrichtsforschern eine neue Sicht auf Schule und Un­terricht zu ermöglichen, eine Sicht, die, wie der Verweis auf John Dewey deutlich macht, theoretisch gar nicht neu ist.

Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Dokumentation ist es deshalb, ein Verfahren der Unterrichtsanalyse und der Triangulation von Unterrichtsdo­kumentationen, Lehrerinterviews und Schüler-Gruppendiskussionen vorzule­gen und zur Diskussion zu stellen. Uns interessiert vor allem, ob sich unser Verfahren tatsächlich eignet, Schülerrnitbeteiligung in methodischer Strenge zu rekonstruieren. Wir liefern noch nicht Ergebnisse, die als repräsentativ für die Gestaltung der Schülerrnitbeteiligung an deutschen Schulen gelten kön­nen, auch wenn die ersten Analysen der Hauptphase unseres Forschungspro­jektes und umfangreiche Hospitationen in den alten und neuen Bundeslän­dern und im Ausland uns jetzt schon die Gewißheit geben, daß der dokumen­tierte Unterricht "ins Bild" paßt (vgl. Kunze 1999. Meyer 2000).

Wenn, wie wir jetzt darlegen wollten, die Wiederbelebung der Unter­richtsforschung geboten ist, muß man sich zugleich fragen, warum sie seit den 70er Jahren im Sande verlaufen ist. Aus systemtheoretischer Perspektive ist die Antwort auf diese Frage klar: Man hat immer nur handlungstheore­tisch gedacht und gefragt, was man verändern muß, damit bestimmte Verän­derungen im Unterricht und im Lernerfolg bei den Schülerinnen und Schü­lern auftreten. Man wollte über die Unterrichtsforschung zur Entwicklung von Methoden kommen, um den Lehrern dabei zu helfen, den Unterricht effektiver zu gestalten. Man vergaß darüber jedoch, daß Unterricht sich selbst steuert, daß er ein Eigenleben fUhrt.

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Niklas Luhmann, mit seinem phänomenologischen Blick immer ein zuverläs­siger Provokateur aller Arten von Idealismen, hat schon seit langem darauf hingewiesen, daß die Ebene des faktischen Unterrichtsvollzuges auf Selbst­steuerung angewiesen bleibt. Unterricht sei so komplex, daß man keine sim­plen Ratschläge für seine Gestaltung entwickeln darf und daß der Zufall neben der Steuerung gleichgewichtige Berücksichtigung finden muß (Luh­manniSchorr 1988, S. 124). Annette Scheunpj1ug entfaltet in ihrer Habilitati­onsschrift eine Reihe von darauf bezogenen Schwierigkeiten, die alle auf das Technologieproblem im Anschluß an Luhmann und Schorr bezogen werden· können:

"Jedes technizistische Erziehungsverständnis, also jedes Erziehungsverständnis, das hand­lungstheoretisch argumentierend eine kausale Zweck-Mittel-Relation definiert, wird para­dox" (Manuskript, Hamburg 1998, S. 96).

Damit stellt sich für uns die Frage, wie die Unterrichtsforschung für den unterrichtlichen Alltag relevant werden kann.

Die Erziehungswissenschaft hat sich zwar seit den 80er Jahren verstärkt an Alltagskonzepten orientiert. Man ist aber heute endgültig von der Vor­stellung abgekommen, daß Wissenschaft über dieses oder andere Verfahren Praxis missionieren kann. Wir haben unsere Grenzen kennengelernt und befinden uns deshalb jetzt in einer Phase der Aufwertung der Erfahrungen der Lehrer. Die Frage ist nicht mehr, ob die gängigen didaktischen Modelle als "Feiertagsdidaktiken" bezeichnet werden müssen. Vielmehr wird endlich gefragt, welche subjektiven didaktischen Theorien die Lehrer haben, wie sich in diesen Jugendforschung, Fachdidaktik, Allgemeine Didaktik, Fachwissen­schaft und Erziehungswissenschaft widerspiegeln und wie tragfähig die Leh­rer-Didaktiken sind. Man traut Lehrern nun endlich eine Problemlösungs­kompetenz zu. Man entwickelt endlich einen deskriptiven Blick auf Schule und Unterricht.

Dewe und Radtke haben dazu einen Vorschlag vorgelegt, der am Beispiel des sprachlichen Wissens ein Modell entwirft, das den Erwerb didaktischer Handlungskompetenz(en) beschreiben soll (Dewe/Radtke 1990). Sie verglei­chen praktisches Wissen mit muttersprachlichem grammatischem Wissen (ebd., S. 12). Pädagogischem Handeln liege kein vorab verfügbares, bewuß­tes Entscheidungswissen zugrunde, es sei keine explizite Regelanwendung oder -erlernung. Der Kompetenzerwerb erfolge vielmehr im Referendariat bzw. vor Ort in Form der Einübung. Der Novize trete wie beim Eintritt in eine Sprachgemeinschaft in "kollektiv erwirtschaftete Lösungen" ein, wobei Handlungsmaximen als langlebige Kompromisse vorfindlich seien; er müsse diese biographisch durchlaufen und nachholen (Dewe 1996, vgl. Terhart 1996, S. 452). Dies heißt: Über Imitation und Gewöhnung erfahren die Refe­rendare vorgegebene Lösungen als "beste Kompromisse" und eignen sich durch Routinen implizites Wissen an; es gibt kein handlungsleitendes Wis­sen, das vor einer Entscheidung irgendwie abrufbereit verfügbar wäre. Han-

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deIn wird durch Können (als eingewöhnte Konvention) und nicht durch Wis­sen gesteuert. (Dewe 1997, S. 230, 236 ff., 240 und ähnlich auch ders.: 1996, S.742-749).

Eine solche Position ist provokativ. Dewe und Radtke nehmen der wis­senschaftlichen Theorie zwei klassische Aufgaben: Sie orientiere nicht mehr die Wahrnehmung der Akteure und sie liefere keine nachträgliche Legitima­tion des Handelns. Wir meinen, daß die Provokation förderlich für die Selbstverständigung der Zunft ist, daß sie aber dennoch überzieht. Wir versu­chen deshalb nachfolgend, doch Unterrichtsforschung zu betreiben, von der wir uns in the lang run praxisförderliche Wirkungen erhoffen. Wir warnen aber schon jetzt vor der naiven Vorstellung, Theorie lasse sich technizistisch mit Praxis vermitteln. Theorie und Praxis stehen in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander.

Die Kritik von Vertretern der Ersten Phase der Lehrerbildung an dem, was im Referendariat passiert, und von Vertretern der Zweiten Phase an dem, was in der Universität passiert, mag dies veranschaulichen. Im Grunde sind beide Seiten enttäuscht worden, als klar wurde, daß Praxis nicht technizi­stisch angewandte Theorie ist. Die Universität produziert vielleicht für den Eigenbedarf und erbringt unerläßliche Voraussetzungen fiir Politik und Schul organisation; sie wird aber für den Lehrer nicht im strengen Sinne handlungsleitend und erbringt vor allem kein Rezeptwissen fiir den konkreten Unterricht. Deutlich wird dies am Stellenwert der didaktischen Modelle fiir die Lehrerbildung. Didaktische Modelle decken sich nicht mit der Unter­richtspraxis, weil mit ihnen versucht wird, nachträglich in einer idealisierten Form Konkretes ins Allgemeine zu verwandeln. Wichtige Aspekte des Unter­richts werden in ihnen nicht erfaßt. Was wir brauchen, sind deshalb nicht etwa neue Unterrichtsplanungsmodelle. Vielmehr brauchen wir zunächst die Beschreibung von Unterricht im Rahmen der Beschreibung von Schulkultur.

Es gibt viele Studien über Schulkultur (vgl. z.B. Keuffer u.a. 1998). Uns interessiert besonders die Frage, wie die Entwicklung der Schule mit der Entwicklung des Unterrichts korreliert. Wir vermuten, daß wir langfristig nur dann zu einer substanziellen Verbesserung der Schulkultur kommen werden, wenn es gelingt, die Unterrichtskultur im Sinne einer tragfähigen Parti­zipation der Schüler auszugestalten.

Aus unserer Sicht ergibt sich so ein neues Aufgabenfeld fiir Schulpäd­agogik und Allgemeine Didaktik und nicht zuletzt auch fiir die Fachdidakti­ken. Wenn Schüler zunehmend Verantwortung fiir ihr eigenes Lernen über­nehmen sollen und wenn die Lehrer ihre Lehrtätigkeit darauf konzentrieren sollen, dieses den Schülern zu erleichtern, dann müssen die Schüler didakti­sche Kompetenz entwickeln und didaktische Verantwortung übernehmen. Die Lehrer müssen dafiir sensibel werden, didaktische Kompetenzen ihrer Schüler zu erkennen und produktiv einzusetzen und die Schüler müssen be­reit sein, von sich aus im Unterricht aktiv zu werden.

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Wir können nun auf dem Hintergrund der Problementfaltung die Gliederung unserer Arbeit darstellen.

Die Ausgestaltung unseres Forschungsthemas wird in Teil 1 mit Bezug auf den Stand der Forschung und in Teil 2 mit Bezug auf unsere spezielle Zielsetzung und auf die Methodik der Arbeit erläutert. Auch wenn wir in unserer Publikation nachfolgend vor allem berichten, was wir gesehen haben und wie wir das, was wir gesehen haben, bewerten, ist dies das hinter den Analysen stehende konstruktive Interesse. Wir möchten, daß Unterricht zu­nehmend reflektierter durch Lehrer und Schüler gemeinsam gestaltet wird.

In Teil 3, der seinem Umfang nach der größte ist, stellen wir an drei Un­terrichtsstunden die Mikroanalyse von Unterrichtssequenzen vor. Wir präsen­tieren, analysieren und bewerten ausgewählte Unterrichtssequenzen aus den Fächern Englisch, Geschichte und Chemie und die darauf bezogenen Leh­rerinterviews und Schülergruppendiskussionen.

Teil 4 bringt eine kurze Zusammenfassung unserer Forschungser­gebnisse, der Teil geht aber darüber zugleich methodisch und inhaltlich hin­aus. Wir stellen die Frage, ob und wie die Erforschung der Schüler­mitbeteiligung, wie wir sie in den drei Stunden gesehen haben, trotz der von Dewe und Radtke eingebrachten Kritik fiir die Aus- und Fortbildung von Lehrern Bedeutung erhalten kann.

Dabei liegt es nahe, daß wir auch auf die internationale Perspektive, wie sie jetzt durch die TIMS-Studien auch in Deutschland umfangreich diskutiert worden ist, näher eingehen (Baumert/Lehmann u.a. 1997, Baumert u.a. 1998). Es ist denkbar, daß bei der Analyse von Fachunterricht ein deutsches Skript ausgemacht werden kann. Ob sich fiir die Fragestellungen und Per­spektiven, die die Hauptphase erbringen soll, durch Internationalisierung unseres Forschungsprogramms konstruktive Antworten finden lassen, ist aber eine Frage, die wir derzeit noch unbeantwortet lassen müssen. Nach der ex­plorativen Pilotphase, über die wir jetzt berichten, werden wir in der Haupt­phase versuchen, fiir die Beantwortung unserer Fragen eine solidere, breitere Basis zu erhalten, die aber selbstverständlich immer noch qualitativ­explorativ auf Deutschland begrenzt bleibt.

Im Verlaufe der Auswertung der Daten der Pilotphase ergab sich ein Problem, das die Kombination der Ergebnisse der Einzelanalysen betrifft, wie es sich aus den drei verschiedenen Erhebungsmethoden (Unterrichtsdo­kumentation, Lehrerinterview und Schülergruppendiskussion) ergibt, und das in der Fachliteratur die Bezeichnung "Triangulation" trägt. Den Möglichkei­ten und Grenzen der Triangulation kommt in unserem Projekt besondere Bedeutung zu. Deshalb werden in Teil 2 auch die methodischen Probleme der Triangulation durch die Dokumentation der aktuellen kritischen Diskussion dieses Verfahrens vorgestellt.

Wir sind überzeugt, daß die Schülermitbeteiligung systematisch entwik­kelt werden sollte, in den neuen wie den alten Bundesländern. Dies verlangt

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Einleitung 17

von Unterrichtsforschern und Lehrern, die an einem solchen Ausbau interes­siert sind, ein neues Nachdenken über fachdidaktische und allgemeindidakti­sche Strukturmerkmale ihres Unterrichts, was Kritik am alltäglichen Unter­richtsgeschehen einschließt. Wir hoffen, daß die vorliegende Publikation dafür Anregungen geben kann.

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Teil 1: Stand der Forschung

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Meinert A. Meyer I Josef Keuffer

1.1 Transformationsprozesse, Allgemeine Didaktik, Unterrichtsmethodik, Wissenschaftspropädeutik und psychologische Lehr-Lern-Forschung

Ausgehend von der Frage nach den institutionellen Transformationsprozessen der Schulkultur in den neuen Bundesländern (vgl. das Projekt von Werner Helsper: "Institutionelle Transformationsprozesse der Schule" des Zentrums rur Schulforschung der Martin-Luther-Universität und das Projekt der Berli­ner DFG-Forschergruppe von BennerlMerkenslSchmidt 1996 zu "Bildung und Schule im Transformationsprozeß von SBZ, DDR und neuen Ländern -Untersuchungen zu Kontinuität und Wandel") untersuchen wir Unterricht in den Fächern Englisch, Geschichte, Chemie und Physik in der gymnasialen OberstufelKursstufe. Der Umfang fiir das Projekt zu berücksichtigender Erträge der Forschung und die Bestimmung ihrer Leerstellen resultieren aus der Komplexität der verschiedenen erziehungswissenschaftlichen, allgemein­didaktischen, fachdidaktischen und lernpsychologischen Zugänge zum The­ma. Dies ist näher zu erläutern.

Transjormationsprozesse

Die gesellschaftlichen Veränderungen in den neuen Bundesländern seit 1989 haben wesentliche Orientierungs- und Sinnprobleme mit sich gebracht (Helsper/Krüger/WenzeI1996), was sich auch in der Schule und in der Unter­richtsgestaltung zeigen muß. Die Forschungslage zur Transformation der Schule in den neuen Bundesländern ist jedoch uneindeutig. Weegen spricht von einer vollständigen "Demontage" des Bildungswesens in der ehemaligen DDR und von einer totalen Negation des aus der DDR Überlieferten (Weegen 1994, vgl. auch KlemmlBöttcher/Weegen 1992). Tillmann sieht, ohne den "Wandel" der Rahmenbedingungen abzustreiten, ein hohes Maß an "Kon­tinuität" in den Schulen der ehemaligen DDR (Tillmann 1993). Kontinuität und Diskontinuität, Beharren und Innovation sind in ihrem Stellenwert rur den unterrichtlichen Transformationsprozeß also ungeklärt. Zu einer ähnli­chen Schlußfolgerung kommen WeilerlMintroplFuhrmann (1996):

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"Eastern German Schools, judging from our experience, have been transformed quite radically, but they are not hotbeds ofreform despite or perhaps because ofthe tremendous societal changes that are going on around them" (S. 113).

Gleichzeitig stellen sie rur Unterricht als den Kernbereich der Schule fest:

"Reforming teaching methods ( ... ) is still on the back burner" (S. 112).

Sie deuten an, daß es in beträchtlichem Maße die Schüler sind, die den alten Lehrmethoden kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und die neue Wege einfordern. Wir erwarten, daß in unserem Projekt durch Konzentration auf Fachunterricht und Schülermitbeteiligung Fortschritte fiir die Klärung dieser Fragestellung möglich werden. Unsere Untersuchung hängt also nicht im luftleeren Raum der Methodik der Unterrichtsforschung. Das Thema Schü­lermitbeteiligung interessiert uns auch, weil es in Ost und West diesbezüglich deutliche Differenzen gegeben hat, weil es rur uns ein zentrales Element der Unterrichtsforschung darstellt und weil sich aus unserer Sicht die Bedingun­gen rur die Gestaltung des Unterrichts in den letzten Jahren und Jahrzehnten verschlechtert haben, was sich vereinfacht daran festmachen läßt, daß Lehrer, Schüler und Unterrichtsinhalte "schwieriger" geworden sind:

Die Lehrer befmden sich heute in einer subjektiv wie objektiv anderen Situation als in vergangenen Jahrzehnten (Oelkers 1996, S. 42). Diese Situa­tion ist durch steigende Modernisierungserwartungen der Öffentlichkeit und durch Erweiterung der staatlichen Aufgabenzuschreibungen gekennzeichnet. Es gibt teilweise widersprüchliche, allemal steigende und oft überzogene An­sprüche der Gesellschaft, speziell der Eltern, an die Schule. Zugleich ändern sich fachliche Standards, etwa bezüglich der Methodik des Fremdsprachen­unterrichts und bezüglich der Beherrschung der fremden Sprachen, bezüglich des Niveaus der naturwissenschaftlichen Leistungskurse usw. Professionelle Standards des Könnens verändern sich, z.B. bezüglich der methodischen und thematischen Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer und bezüglich ihrer Fähigkeit, lebensbedeutsame Fragen zu thematisieren. Wir müssen davon ausgehen, daß der Beruf des Lehrers zunehmend den semiprofessionellen Status verliert, den er derzeit etwa mit dem Beruf der Krankenschwester gemein hat. Zugleich ist zu fragen, wie sich Lehrer im Konfliktfeld zwischen den hohen Ansprüchen und der Wahrung eigener Interessen bewegen. Wie­viel Engagement ist in der Unterrichtspraxis zu beobachten? Wie wird im Kurssystem der gymnasialen Oberstufe der Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern aufrechterhalten? Wie verkraften die Lehrerinnen und Lehrer, daß sie mit diesen hohen Erwartungen konfrontiert werden und ihnen zugleich ihr Gehalt gekürzt wird? Wie gehen sie damit um, daß sie gegen die demotivie­rende Angst vor der Arbeitslosigkeit ankämpfen müssen? Wie vermitteln Lehrerinnen und Lehrer den Anspruch ihrer didaktischen Verantwortung und pädagogischen Führung mit der verstärkten Forderung nach zunehmend offe­neren Formen des Unterrichts und nach erhöhter Lernerautonomie?

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Transjormationsprozesse ... 23

Nicht nur Lehrer befmden sich in einer veränderten Situation. Auch die Si­tuation der Schülerinnen und Schüler verändert sich, was aus Lehrersicht oft zu der generalisierenden Aussage fiihrt, die Schüler würden schwieriger. Man spricht davon, daß sich die Familie von einem Befehls- zu einem Verhand­lungshaushalt gewandelt habe (du Bois-Reymond/Büchner/Krüger 1994). Zugleich hat sich die Zusammensetzung der Schülerschaft nicht nur an den Gymnasien geändert. Manche Kritiker behaupten, das Gymnasium habe eher "Volksschulniveau", was immer das heißen soll. Unstrittig ist, daß das Gym­nasium heute nicht nur besucht wird, um die QualifIkation rur das Studium, die Allgemeine Hochschulreife, zu erlangen. Die heutigen Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich erkennbar bezüglich ihrer Ziel- und Wertvorstel­lungen, ihrer schulischen Startbedingungen und ihrer sozialen Herkunft. Ihre Interessen sind dementsprechend breit gefächert (Büchner/Krüger 1996). Sie sind teilweise sehr stark von den Medien beeinflußt; ihre Wahrnehmungsge­wohnheiten haben sich deutlich verändert; sie leben stärker in ihrer Gegen­wart, sind stärker erlebnisorientiert. Kurz und noch einmal: Schüler haben sich verändert, und daraus erwachsen neue Ansprüche an den Unterricht. Dabei ist die Frage, ob die Ansprüche gerechtfertigt sind, in gewisser Weise sekundär. In der Bedingungsanalyse rur guten Unterricht müssen sie berück­sichtigt werden.

Drittens und letztens: Auch die Unterrichtsinhalte haben sich verändert: Am gravierendsten wirkt sich hier die Pluralisierung von Bildungskonzeptio­nen aus. Man mag zwar weiter so tun, als ob es ein verbindliches Allgemein­bildungskonzept gäbe, aus dem heraus sich die Fächer und die Unterrichts in­halte in den Fächern legitimieren lassen, überzeugend ist das jedoch nur sel­ten, und die Schüler wissen dies auch, selbst wenn die Lehrer es verdrängen sollten. Selbstverständlich können wir uns auf "allgemeinverbindliche" , weil allgemein nützliche Kulturtechniken verständigen (Lesen, Schreiben, Rech­nen, Englisch, Computern), aber die Allgemeinverbindlichkeit des Lehrange­bots hört spätestens mit dem Abschluß der Sekundarstufe I auf. In der gym­nasialen Oberstufe kann man nicht mehr ohne ModifIkationen sagen, Eng­lisch sei allgemeinbildend, wenn ein Teil der Schüler Englisch abwählen und stattdessen eine andere Fremdsprache wählen kann. Geschichtsunterricht wird problematisch, wenn er trotz der Globalisierung in der Substanz auf deutsche Geschichte beschränkt bleibt. Und man kann nicht mehr Physik über ihren Beitrag zur Allgemeinen Bildung rechtfertigen, wenn die ökolo­gisch-technologischen Probleme unserer Zeit gar nicht behandelt werden. Kurz und gut: es gibt nicht mehr den Konsens über die klassische Allgemein­bildung als Initiation in unsere Kultur. Es gibt auch keinen Konsens bezüg­lich der Frage, wie wir mit der kulturellen Vielfalt im "Einwanderungsland Deutschland" umgehen sollen.

Unterricht müßte, wenn man von den beschriebenen Bedingungen und Voraussetzungen ausgeht, entweder chaotisch-anarchisch oder willkürlich-

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oktroyierend sein, und eben dies wird auch in der erziehungswissenschaftli­chen Forschung konstatiert. Ewald Terhart spricht von der "Unsteuerbarkeit, Unplanbarkeit und Unverfügbarkeit pädagogischer Prozesse" und ihrem "anarchischen", "eigendynamischen Charakter" (Terhart 1996, S. 457 u. 462). Unterrichten ist fiir ihn "ein Arbeitsprozeß, der bei unklaren und zum Teil widersprüchlichen Zielen unter sehr großen operativen Unsicherheiten und nur bedingt möglicher Wirkungskontrolle verläuft, dabei jedoch unaus­weichlich ein hohes Maß an persönlichem Involviertsein mit sich bringt" (ebd., S. 464). Wenn Terhart mit dieser Behauptung recht hat, läßt sich kein Unterricht mehr durchführen, der auf den herkömmlichen Lehrstrategien basiert, die vor zehn oder zwanzig Jahren noch ihre Berechtigung gehabt haben mögen, vielleicht aber auch damals schon unangemessen gewesen sind.

Unser Interesse an der Erforschung der Schülermitbeteiligung sollte aus dieser Problemanalyse heraus verständlich werden. Schule soll Schüler zur Selbständigkeit erziehen und zur Demokratiefahigkeit führen, wir gehen aber davon aus, daß diese Erziehung durch Schule nur gesteuert werden kann, wenn zeitgemäße Formen der Schülermitbeteiligung systematisch entwickelt werden. Selbsttätigkeit geht über Mitmachen, kommt nicht einfach von selbst, wie die Pubertät.

Allgemeine Didaktik

Anspruch und Wirklichkeit eines Unterrichtsverständnisses, das die Schüler zu Selbsttätigkeit, Selbstbestimmung, Selbststeuerung und Eigenverantwor­tung befahigt, klafften nicht nur in der DDR weit auseinander (vgl. etwa Klingberg 1962 und 1990, S. 45ff., Fuhrmann 1997); auch in den alten Bun­desländern ist die von Erziehungswissenschaftlern geforderte Beteiligung der Schüler an der Unterrichts gestaltung entweder nur zum Teil eingelöst oder als Widersprüchlichkeit in den Zumutungen verordneter Partizipation erkannt worden (vgl. Combe/Helsper 1994, 164ff.). Theoretisch wurde die "Partizipa­tion" der Schüler an der Unterrichtsplanung legitimiert (Schulz 1983), wurde die Befahigung zu Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität als Kern der allgemeinen Bildung ausgewiesen (Klafki 1994, S. 52ff.), wurden die Schüler- und die Handlungsorientierung gefordert (Hilbert Meyer 1987, passim). Praktisch wird eine so definierte Unterrichtsgestaltung bis in die gymnasiale Oberstufe hinein von den Unterrichtenden aber nicht als metho­dische Zielsetzung wahrgenommen. Wir können deshalb feststellen, daß so unterschiedliche und zugleich fiir die Gestaltung der Schule in Deutschland so prägende allgemeindidaktische Konzepte wie die von Wolfgang Klafki, Theodor Schulze oder Lothar Klingberg zwar die Problematik der Schüler­mitbeteiligung jeweils in ihrer Terminologie in die Definition der allgemei-

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Transformationsprozesse ... 25

nen Bildung als Ziel des Unterrichts und in die Defmition des Unterrichts­prozesses aufnehmen, daß aber speziell zur Frage der Schülermitbeteiligung im Unterricht als Konkretion dieser Zielangaben nicht empirisch geforscht wird bzw. schon lange nicht mehr geforscht worden ist (vgl. Wragge-Lange 1983, Bohnsack u.a. 1984, Hage u.a. 1985 und Wenzel 1987, S. 117ff.).

Wenzel hat untersucht, wie durch die methodische Gestaltung des Unter­richts ein Beitrag zur Verwirklichung der Bildungsziele Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität erreicht werden kann. Ausgehend von der pädagogischen Diskussion über Phänomene wie Schulmüdigkeit und heimli­chen Lehrplan konstatiert er einen Mangel bezüglich der Einbeziehung der Lernenden in den Unterricht und fordert, die Subjektivität der Lernenden stärker zu berücksichtigen. Er legt Bedeutung und Möglichkeiten selbstge­steuerten Lernens unter Berücksichtigung kognitiver Lerntheorien dar und bezieht die Ergebnisse dieser Diskussion auf seine anschließende Untersu­chung zum Physik- und Englischunterricht. In weIchem Maße die Forderung nach selbstgesteuertem, eigenverantwortlichem Lernen in der pädagogischen Praxis der neuen Bundesländer realisiert wird, ist deshalb eine der zentralen Problemstellungen unseres Projektes. Wir versuchen in diesem Rahmen aber nicht, die Vergangenheit der Schule in den neuen Bundesländern zu rekon­struieren und streben keinen expliziten Ost-West-Vergleich an. Dennoch können die Ergebnisse des Projektes bezüglich der heutigen Gestaltung des Fachunterrichts und der Schülermitbeteiligung auch fiir die alten Bundeslän­der Relevanz erhalten, obwohl die Zielsetzungen fiir den Unterricht in der Bundesrepublik und in der DDR im Grundsatz verschieden waren. War dort der mündige Bürger erklärtes Ziel der schulischen Bildung, so war es hier de facta der linientreue Bürger, der sich nur in dem vorgegebenen gesellschaftli­chen Rahmen "frei" bewegen durfte, worüber schlagwortartige Forderungen wie "Ausprägung der Individualität" oder "Förderung der Subjekt-Position der Schüler" nicht hinwegtäuschen können.

Die deutsche Diskussion über Schüleraktivierung, Selbsttätigkeit und Mitbestimmung legt es nahe, internationale Entwicklungen zu kommentieren. Lorin W. Anderson weist in seiner Einleitung zu der zweiten Auflage der "International Encyclopedia of Teaching and Teacher Education" darauf hin, daß es im englischsprachigen Forschungsraum im Vergleich zu den 70er und frühen 80er Jahren zu einem Paradigmenwechsel gekommen sei:

"Philosophically, the search for universallaws and truths has been replaced with a search for 'conditional knowledge' (that is, the need to understand both the knowledge and the conditions within which this knowledge holds)" (Anderson 1995, S. xvi).

In seiner Einleitung zu dem Abschnitt über "Students and the Teaching­Leaming Process" konkretisiert Anderson dieses Bild mit Bezug auf die Un­terrichtsforschung. Nach dem alten Paradigma sah Unterricht so aus:

"Teachers initiated, students responded, and teachers evaluated" (a.a.O., S. 376).

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Das neue Bild ist dagegen das folgende:

"The student is now an 'active inquiring agent.' Active means that the student is continu­ously involved in trying to make sense of the classroom environment and his or her place in it, as weil as the task demands and the resources available to hirn or her to meet those demands. Inquiring implies that the student formulates tentative explanations to aid in this 'sense making' and routinely tests them as instruction unfolds. Finally, the term 'agent' suggests that the student does not merely observe and receive information, he or she also defines goals and seeks information to enable hirn or her to attain those goals. At some point, he or she may decide that the goal is unattainable or not worth the effort ( ... ). In this new conceptualization, then, students are believed to construct meaning based on what they bring to the classroom and what transpires therein. They do this by attending to certain things at the expense of others ( ... ), organizing the diverse elements ofinstruction ( ... ), and integrating these new experiences with their prior knowledge ( ... )" (a.a.O., S. 376).

Die Auffassung, daß Bedeutung (meaning) konstruiert wird und daß sie für die Erfassung der unterrichtlichen Interaktionen zentral ist, ist für uns wich­tig. B.J. Fraser schreibt in der Enzyklopädie:

"Traditionally, teachers have conceived their roles to be concemed with revealing or transmitting the logical structures of their knowledge, and directing students through ratio­nal inquiry toward discovering the pre-determined universal truths expressed in the form of laws, principles, rules, and algorithms. Developments in history, philosophy, and sociology have provided educators with a better understanding of the nature of knowledge develop­ment. At the level of the individual leamer, there has been a reaJization that meaningful leaming is a cognitive process of making sense, or purposeful problem-solving, of the experiential wor1d of the individual in relation to the totality of the individual's already constructed knowledge. This sense-making process involves active negotiation and consen­sus bu1ding" (Fraser 1995, S. 418).

Für die Frage, wie die unterrichtliche Aushandlung (negotiation) von Be­deutung aussieht, wieweit dadurch Verständigung (shared meaning) tatsäch­lich erreicht wird, bleibt in der empirischen Forschung, soweit wir das über­blicken, offen, nicht zuletzt auf grund des heute dominanten konstruktivisti­schen Paradigmas, das statt der Verständigung mit anderen vor allem das autopoietische, selbstreferentielle kognitive System im einzelnen Lerner sieht. Uns interessiert demgegenüber die Frage, wie Verständigung an der Schülermitbeteiligung beteiligt ist. Uns interessiert die auf empirischer Basis zu beschreibende didaktische Kompetenz, die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Schulzeit entwickeln.

Die Konzentration auf die Frage, wie Schülermitbeteiligung im Fachun­terricht der gymnasialen Oberstufe in den neuen Bundesländern gestaltet wird, legt einen konkretisierenden Bezug auf den Stand der Forschung zur Unterrichtsmethodik, zur Diskussion über Wissenschajtspropädeutik und zur psychologischen Lehr-Lern-Forschung nahe.

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Transjormationsprozesse ... 27

Unterrichts methodik

Wie man den Unterricht methodisch gestalten kann, ist in der didaktischen Forschung ein aktuelles Thema (vgl. Hilbert Meyer 1987, Bd. 1 und 2; Terhart 1989, S. 23ft'. mit einer Übersicht und Adl-AminiiSchulzelTerhart (Hrsg.) 1993). Daß sich die Schülermitbeteiligung unterrichtsmethodisch konkretisiert, ist selbstverständlich. Mit Bezug auf Hilbert Meyer (1987, Band 1, S. 44), und Wenzel (1987, S. 101-109) kann davon ausgegangen werden, daß Lehrer und Schüler eine unterrichtliche Methodenkompetenz entwickeln, die die Schülermitbeteiligung steuert und die den Aufbau des Wirklichkeitsbildes bestimmt, das die Schüler im Laufe der Schulzeit ent­wickeln. Unterrichtsmethoden sind mit Hilbert Meyer die Formen und Ver­fahren, in und mit denen sich Lehrer und Schüler die sie umgebende natürli­che und gesellschaftliche Wirklichkeit unter institutionellen Rahmenbedin­gungen aneignen. Schule ist Ort der gesteuerten Gestaltung dieser Wirklich­keit. Das heißt, Schüler konstruieren im Unterrichtsprozeß ihre eigene Wirk­lichkeit, aber sie werden dabei durch den Lehrer/die Lehrerin angeleitet (KrüsseI1993, Mercer 1995, Roth 1995a).

Der Handlungsspielraum, der sich rur die Schüler bei der methodischen Gestaltung des Unterrichtsprozesses eröffnet, läßt sich also im Spannungsfeld der pädagogischen "Führung" durch den Lehrer und der "Selbsttätigkeit" bzw. der "Selbststeuerung" des Lernens durch die Lerner ausmessen. Auf der einen Seite gibt es das Extrem eines rein rezeptiven Wissens erwerbs unter strenger Lehrerfiihrung, auf der anderen Seite das autonome, fast bis ins Autodidaktische fiihrende Lernen, in dem der Lehrer keine Funktion oder nur noch eine Hilfsfunktion hat. In welcher Art und Weise sich Lernen, der Er­werb von Wissen und Können, als sozialer Prozeß unter den institutionellen Rahmenbedingungen der Schule zwischen diesen beiden Extremen gestalten läßt, bestimmt also den Fragehorizont fiir unser Forschungsvorhaben.

Aufgrund einer Expertenbefragung zur Unterrichtsmethodenforschung kommen Terhart und Wenzel (1993) zu dem Schluß, daß heute der inhaltlich­lernbereichsspezifischen Einbindung von Methodenfragen eine zunehmend größere Bedeutung zukommt (vgl. die Entwicklungen im angelsächsischen Sprachraum mit der Konzentration auf domain specijic research). Die Auto­ren weisen auch daraufhin, daß die unterrichtsmethodische Forschung sich in den letzten Jahrzehnten erheblich ausdifferenziert hat, während rur den Leh­rer die Unterrichtsmethode noch immer ein ganzheitliches, situativ zu bewäl­tigendes Handlungsproblem darstellt. Der Einsatz von Unterrichtsmethoden ist damit rur die praktizierenden Lehrer in der Regel etwas anderes als das, was in der Lehr-Lern-Forschung (vgl. Terhart 1997) untersucht wird. Auch diese Theorie-Praxis-Differenz ist rur unser Forschungsvorhaben von Be­deutung.

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Unsere ThemensteIlung, die Schülermitbeteiligung im Fachunterricht, kann in einen größeren bildungspolitischen Rahmen gestellt werden. Daß im Schulalltag demokratische Strukturen entwickelt werden müssen, damit die Schüler einen Bildungsprozeß durchlaufen können, der sie zu "mündigen Bürgern" der demokratischen Gesellschaft macht, wird in der Allgemeinen Didaktik zwar als notwendig erkannt (vgl. Blankertz 1980, Klajki 1985/1994, von Hentig 1994); welcher Art diese Strukturen sind und welche Rolle dabei die Schülermitbeteiligung an der Unterrichtsgestaltung spielen kann und soll, bleibt aber weitgehend ungeklärt. Unsere Problemstellung ist also zugleich deskriptiv und normativ. Zu fragen ist, wie Fachunterricht unter der Perspek­tive der Schülermitbeteiligung in den neuen Ländern tatsächlich aussieht (Ist­Stand) und wie er aussehen sollte (Norm-Vorstellung). Eine Erweiterung der Fragestellungen der interpretativen Unterrichtsforschung (vgl. Terhart 1978 und 1989) bietet sich für diese AufgabensteIlung an.

Der Ausbau der Schülermitbeteiligung betrifft. prinzipiell alle Schulfor­men und Schulstufen, ist aber nach unserer Auffassung für die gymnasiale Oberstufe besonders wichtig, weil die Schüler mit dem Abschluß dieser Schulstufe ihre Schullaufbahn beenden und in ihrer außerschulischen Le­benswelt in zunehmendem Maße Selbständigkeit erringen, das heißt, ihre Lebensstile, Interessenschwerpunkte, Lerngewohnheiten, Arbeitsweisen usw. selbst bestimmen (vgl. KrügeriKabat vel Job 1994). Die Untersuchungen zur Entwicklung und Erziehung im Wertebereich (OserlAlthof 1994 und Bericht des Ministeriums NRW 1995) zeigen allerdings, daß die außerschulische Ausweitung der Selbständigkeit nicht notwendig heißt, daß die Schüler in der Schule die gleiche Selbständigkeit einfordern. Wer sich verselbständigen will, ist hochgradig unterstützungsbedürftig. Wir müssen unser Forschungs­thema, die Schülermitbeteiligung, also auch auf diese politisch-moralische Dimension beziehen.

Fachunterricht und WissenschaJtspropädeutik

Auch wenn die Frage, wieweit die Fachsystematik der Unterrichtsfächer die Systematik der universitären Bezugswissenschaften widerspiegelt, schon lange kontrovers diskutiert wird, besteht kein Zweifel daran, daß die Bereit­schaft der Lehrer, die Schüler an Entscheidungsprozessen im Unterricht zu beteiligen, wesentlich durch ihre Deutung der in Richtlinien kanonisierten fachlichen Anforderungen bestimmt wird. Für unser Forschungsprojekt ergibt sich damit ein Bezug zu fachwissenschaftlichen Fragestellungen. Da wir voraussetzen, daß sich Wissenschaftspropädeutik in den verschiedenen Schulfächern unterschiedlich realisiert, untersuchen wir exemplarisch Fächer aus dem sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeld, dem gesell­schaftswissenschaftlichen und dem mathematisch-naturwissenschaftlich-

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technischen Aufgabenfeld. Wir erforschen die Gestaltung der fachlichen Systematik jedoch (nur) aus der Perspektive der Wissenschaftspropädeutik. Wir fragen nicht, ob das Bild, das die Lehrerinnen und Lehrer von den Wis­senschaften haben, angemessen ist.

Die Diskussionen zur Reform der gymnasialen Oberstufe im Anschluß an den Strukturplan fiir das Bildungswesen und die Etablierung der "KMK­Oberstufe" von 1972 kreisten überwiegend um Fragen der Wissenschafis­propädeutik. Unter der Federführung von Herwig Blankertz erschien 1972 der Entwurf einer Konzeption fiir die nordrhein-westfälische Kollegschule (vgl. Heft 17 der Schriftenreihe des Kultusministers NRW 1972), in dem Begriff und Anliegen des Konzepts der Wissenschaftspropädeutik eingehend beschrieben wurden. Wissenschaftspropädeutik bezieht sich auf wissen­schaftliche Verfahrens- und Erkenntnisweisen, wissenschaftliche Attitüden (Haltungen) und auf die Explikation des sich jeweils historisch wandelnden Gesellschaftsbezugs und damit auf das Erkenntnisinteresse, das wir mit den Wissenschaften verbinden.

Der Kollegschul-Ansatz wurde in der Erziehungswissenschaft und ins­besondere in der Allgemeinen Didaktik vielfach aufgegriffen und als kriti­scher Maßstab zur Beurteilung der gymnasialen Wirklichkeit herangezogen (vgl. u.a. v. Hentig 1980, Eckerle 1983, Klajki 1994, S. 162ff.), ohne daß es zu einem Konsens der beteiligten Forscher über den Stellenwert der Wis­sensehaftspropädeutik in der sich ändernden gymnasialen Oberstufe ge­kommen wäre. Von Hentig weist als wichtigste Merkmale rationaler Er­kenntnis Intersubjektivität, Lehrbarkeit, Überprüfbarkeit, Offenheit und me­thodische Selbstkritik aus und betont so die soziale Dimension der Wissen­schaftspropädeutik (von Hentig 1980, S. 107). Eckerle definiert als Aufgabe der Wissenschaftspropädeutik die Befähigung zum kritischen Umgang mit Wissenschaftswissen und stellt damit die reflexive, gegenüber den abzubil­denden Wissenschaften durchaus kritische Aufgabe der Wissenschaftspropä­deutik heraus. Klajki warnt vor allem vor falsch verstandener, überzogener Wissenschaftsorientierung des Unterrichts auf allen Schulstufen. In jüngster Zeit scheinen die wissenschaftspropädeutischen Diskussionen eine Art kon­struktiver Renaissance zu erleben (vgl. Huber 1990, 1991, 1994, und das Gutachten der Expertenkommission tUr die KMK 1995). Für die Arbeiten Hubers ist kennzeichnend, daß er auf dem Praxis-Hintergrund des Bielefelder Oberstufen-Kollegs ausdrücklich den Übergang vom Gymnasium zur Uni­versität thematisiert und die unterrichtsmethodischen Konsequenzen im Wechsel vom schulischen "Unterricht" zur wissenschaftlichen ,,(Aus-) Bil­dung" und zur Einfiihrung in die universitären "Fachkulturen" in den Vorder­grund der Betrachtung stellt. Huber postuliert, daß in Unterrichtsprojekten die "höchste Form" der Selbständigkeit und Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler realisiert wird, weil so die beengenden Grenzen fachunterricht­licher Systematik überwunden werden können.

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Fachübergreifenden Fragestellungen kommt heute besondere Bedeutung zu (vgl. Frommer 1997). Wir gehen auf grund unserer Unterrichtsbeobachtungen aber davon aus, daß wir in unserem Forschungsprojekt nur wenig Unterricht dokumentieren können, der die fachübergreifende Perspektive ausweist. Dennoch erscheint uns diese Perspektive aufschlußreich für die Fragestellung der Schülermitbeteiligung im Fachunterricht.

Psychologische Lehr-Lern-Forschung

Den Erörterungen zum selbst gesteuerten Lernen im Bereich der psycholo­gisch orientierten Lehr-Lern-Forschung kommt in der Gegenüberstellung mit der Konzentration auf Instruktion rur unser Projekt besondere Bedeutung zu (Neber 1982, Mandl et al. 1990, Simons 1992, Reinmann-RothmeierlMandl 1998), weil die methodische Gestaltung des Fachunterrichtes der gymnasia­len Oberstufe als Untersuchungsfeld für die Prüfung der Erkenntnisse dieser psychologischen Disziplin fungieren kann.

Reinmann-Rothmeier und Mandl kennzeichnen den Wissenserwerbs­prozeß als aktiven, selbstgesteuerten, konstruktiven, situativen und sozialen Prozeß; sie unterscheiden mit Bezug auf diese Ausdifferenzierung drei Gru­ndorientierungen der Lehrer bezüglich der Schaffung der Lernvoraussetzun­gen: systemorientierte, problemorientierte und adaptive Lernumgebungen (Reinman-RothmeierlMandI1998, S. 46lff.).

Unsere Fragestellung, die Gestaltung der Schülermitbeteiligung, tangiert in diesem Rahmen vor allem die Dimension des Wissenserwerbs als eines so­zialen Prozesses. Lernen ist auf der Makroebene als Enkulturation zu ver­stehen. Man kann untersuchen, wie die Schüler lernen, zunehmend an der community 0/ practice der jeweiligen Fachrichtung (domain 0/ discourse) teilzunehmen, wie sie von Anfängem zu Experten werden. Auf der Mikro­ebene des Unterrichtsprozesses kann man fragen, welche Arten kooperativen Lernens praktiziert werden und ob diese Kooperation auch zwischen Leh­renden und Lernenden stattfmdet. Unsere Untersuchungen konzentrieren sich auf diese Mikroebene.

Bezüglich der Gestaltung der Lernumgebungen ist der Unterricht in der gymnasialen Oberstufe u.E. am ehesten als system orientiert zu verstehen. Das Wissen eines Fachgebiets hat eine "spezifische Struktur" und kann "zu Instruktionszwecken entsprechend systematisch organisiert werden" (ebd. S. 476). Wir haben also zu prüfen, ob die Lehrerinnen und Lehrer ihren Unter­richt tatsächlich systemorientiert gestalten und ob und wie sich die Lernenden die Systematik der Unterrichtsfacher in selbstgesteuerten Lernprozessen erschließen. Problemorientierte Lemumgebungen sind demgegenüber durch ein aktives, verstehendes, selbstgesteuertes und exploratives Verhalten der Lerner bestimmt, während die adaptiven Lernumgebungen, die von Rein-

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mann-Rothmeier und Mandl präferiert werden, "den Lernenden sowohl Frei­raum für individuelle Wissenskonstruktion gewähren als auch vielfältige Möglichkeiten gezielter Unterstützung anbieten" (Reinmann-Rothmeier/ Mandl 1998, S. 485). Wir können also mit Bezug auf die kognitionspsycho­logische Lehr-Lern-Forschung untersuchen, welche Strategien die Lehrer einsetzen, um den Wissenserwerb ihrer Schülerinnen und Schüler zunehmend selbstgesteuert zu gestalten, und welche Strategien die Schülerinnen und Schüler einsetzen, um sich den notwendigen Lernfreiraum zu schaffen und das Handeln der Lehrer ihrem eigenen Lernprozeß anzupassen.

Festzustellen ist jedoch, daß die Entwicklung der didaktischen Kompe­tenz der Lernenden im Sinne unserer Defmition der Schülermitbeteiligung in der Lehr-Lern-Forschung, wenn man von Neber (1982) absieht, nicht im Zentrum des Interesses steht. Während die Instruktion als Aktivität der Leh­rer und das Lernen als Aktivität der Schüler umfangreich erforscht werden, wird die in diesem Rahmen naheliegende Frage, wie die Schüler an den Lehr­handlungen bezüglich ihres eigenen Lernens beteiligt sind, weitgehend aus­geklammert. Zugleich stellen wir fest, daß die Erträge der Forschungen zum selbstgesteuerten Lernen und die Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung bisher nicht konsequent und systematisch in unterrichtsmethodische Konzepte ein­gegangen sind und in der Regel in den Fachdidaktiken nicht rezipiert werden, während die fachdidaktischen Eigenwege und die Kenntnisse der kognitiven Lehr-Lern-Forschung wiederum von der Allgemeinen Didaktik ignoriert werden. Nachfolgend erörtern wir deshalb unsere fachdidaktischen Erkennt­nisse bezüglich der Beteiligung der Schüler am Unterricht.

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Meinert A. Meyer / Matthias Trautmann

1.2 Fachdidaktik Englisch

Das sprachlich-literarisch-künstlerische Aufgabenfeld ist in unserem For­schungsprojekt exemplarisch vertreten durch das Fach Englisch. Aufgabe des fremdsprachlichen Unterrichts ist die Befähigung zur Kommunikation in fremden Sprachen und zur Auseinandersetzung mit fremdsprachiger Literatur und Kultur. In diesem Rahmen kommt dem Fach Englisch besondere Be­deutung zu. Der Englischunterricht führt in die wichtigste Sprache der inter­nationalen Verständigung ein.

Interlanguage-Forschung

Die bundesdeutsche fremdsprachendidaktische Forschung ist wesentlich durch die internationale Interlanguage-Forschung der vergangenen zwanzig Jahre geprägt worden. Mit dem Konzept der Interlanguage (Interimssprache) werden "Sprachen" identifiziert, die Lerner in der Schule oder außerhalb der Schule in natürlichen Lernsituationen entwickeln und die in ihrer Struktur und in ihrem kommunikativ-funktionalen Einsatz von dem abweichen, was Muttersprachler mit ihrer erstsprachlich erworbenen Sprache machen können. Die Interlanguage-Forschung der achtziger Jahre ist von konfliktreichen Kontroversen zwischen Vertretern zweier Richtungen bestimmt worden, der der Theorie des (weitgehend durch bewußte Eingriffe unbeeinflußten) Zweit­sprachenerwerbs, wie er etwa von Gastarbeitern oder beim Aufwachsen in mehrsprachigen Familien vollzogen wird, und der des bewußten, schulisch gesteuerten Fremdsprachenunterrichts, wie er in Deutschland für die eta­blierten Fremdsprachen erteilt wird (Bausch/Königs 1986). Dabei ist klar, daß die Schüler der verschiedenen Schulformen und Bildungsgänge ihren fremdsprachlichen Lernprozeß in der Regel auf einem Kompetenzniveau beenden, das von einer "Beherrschung" der fremden Sprache in Wort und Schrift weit entfernt ist. Es liegt deshalb nahe, die Entwicklung einer ange­messenen Foreign Speaker-Kompetenz als Zielsetzung schulischen Fremd­sprachenunterrichts auszuweisen. Diese ist in ihrer Qualitätsbeschreibung deutlich von der Near Nativeness abgesetzt, also von einer fremdsprachlich­kommunikativen Kompetenz, die derjenigen der Muttersprachler nahekommt (M. Meyer 1995). Wenn dabei aus der Perspektive der Interlanguage­Forschung die vorrangige fachdidaktische Frage nicht die der Unterrichts­planung und -durchführung ist, wenn es vielmehr darum geht, wie Schüler

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am besten lernen, ist das Forschungsinteresse der Fachdidaktik als schüler­orientiert zu bezeichnen (Dietrich 1994).

Wesentlicher Streitpunkt zwischen Sprachlehrforschern auf der einen und Zweitsprachenerwerbsforschern auf der anderen Seite war die Frage, wie hilfreich das bewußte, gesteuerte Lernen fremder Sprachen ist. Stephen Krashen (1981, 1982, 1992) hat die These vertreten, daß man fremde Spra­chen am besten en passant lernt, dadurch also, daß man - rezeptiv - versucht, Kommunikation in der fremden Sprache zu verstehen, um dann nach einiger Zeit auch selbst - produktiv - an fremdsprachlicher Kommunikation zu parti­zipieren. Krashen hat dafiir zwischen acquisition und learning unterschieden. Effektiv, so seine These, ist nur die acquisition, der "natürliche" Spracher­werb. Learning verlangt dagegen vom Lerner, sein grammatisch­lexikalisches Regelwissen wie an einem Monitor in den Textproduktionspro­zeß einzubringen, was in normalen fremdsprachlich-kommunikativen Situa­tionen nur selten möglich ist und fUr das Lernen der fremden Sprache nur sehr begrenzt hilfreich ist.

Die Thesen von Krashen und anderen Spracherwerbsforschern, die durch umfangreiche empirische Untersuchungen abgesichert werden sollten (im deutschsprachigen Raum unter anderem durch Wode und Felix), sind kontro­vers rezipiert worden. Eine klare Entscheidung fiir oder gegen language learning oder language acquisition ist nicht erfolgt; sie war auch nicht zu erwarten. Krashen weist selbst darauf hin, daß man bei Zielsetzungen, die über die reine Förderung der Kommunikationsflihigkeit hinausgehen - dies ist im Unterricht der deutschen gymnasialen Oberstufe der Fall-, sehr wohl auch Unterricht über fremde Sprachen, über ihre Syntax, Semantik und Pragmatik durchfUhren dürfe.

In den letzten Jahren hat sich in der Sprachlehr- und Lernforschung auf diesem Hintergrund ein Paradigmenwechsel vollzogen, der am besten mit den Begriffen der Sprachbewußtheit, der language awareness (Hawkins 1984, rev. ed. 1987, Woijf1992) und der Lernerautonomie, der learner auto­nomy (Holec 1981, Little 1991, 1997), gekennzeichnet werden kann. Auch wenn die Automatisierung der Verwendung der Mittel der fremden Sprache in natürlichen Kommunikationssituationen die legitime Zielsetzung des Un­terrichts ist, fUhrt der Weg zu diesem Ziel über die Bewußtrnachung der Lernprobleme und die Förderung von Lernstrategien. Woijf schreibt bezüg­lich der Sprachbewußtheit (1992, S. 196): "Ein Unterricht, der auf language awareness fokussiert, ermöglicht es dem Lernenden, ein eigenes Kategorien­system aufzubauen, eine individuelle psychologische Grammatik, deren Be­schreibungskategorien er versteht, weil er sie selbst oder zusammen mit ande­ren entwickelt hat." Holec zeigt in seiner wegweisenden Publikation aus dem Jahre 1981, daß Autonomie auf Schule und Lernen bezogen heißt, daß man als Schüler die Verantwortung fiir das eigene Lernen übernehmen kann und daß dies selbstbestimmtes Lernen ermöglicht. Er defmiert:

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Fachdidaktik Englisch

"To take charge of one's leaming is to have, and to hold, the responsibility for all the decisions concerning all aspects ofthis leaming, Le.:

detennining the objectives; defining the contents and progressions; selecting methods and techniques to be used;

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monitoring the procedure of acquisition properly speaking (rhythm, time, place, etc.); evaluating what has been acquired" (Holee 1981, S. 3).

Das Konzept der Lernerautonomie ist für unser Forschungsprojekt nicht nur im Fach Englisch von zentraler Bedeutung. Selbstverantwortliche Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler läßt sich nur dann realisieren, wenn sie zu ihrem Teil als autonome Interaktionspartner akzeptiert werden. Henri Holec stellt deshalb auch klar heraus, daß Autonomie nur umgesetzt werden kann, wenn auf Macht von Seiten der Lehrer verzichtet wird: "The principle of participation is that of sharing power between those at the 'base' and those at the 'summit' of adecision structure" (a.a.O., S. 7). Und David Liftle schreibt bezüglich der Lernerautonomie: "Essentially, autonomy is a capacity - for detachment, critical reflexion, decision-making, and independent action. It presupposes, but also entails, that the leamer will develop a particular kind of psychological relation to the process and content ofhis learning" (Little 1991, S.4).

Dabei konzentriert sich in der Fremdsprachendidaktik in Parallelität zur Entwicklung in der Allgemeinen Didaktik/Unterrichtsforschung (Mercer 1995) und in der Kognitionspsychologie (Reinmann-Rothmeier/MandI1998) das Interesse auf die konstruktiven Leistungen der Schüler im Lernprozeß. Schülerorientierung, Prozeßorientierung und Lernerautonomie lassen sich "theoretisch mit den konstruktivistischen Lernprinzipien absichern" (Wolff 1993, vgl. Wolff1994, kritisch Terhart 1998).

David Little hat sein Konzept der Lernerautonomie weiter ausgebaut. Er definiert in einer Publikation aus dem Jahre 1997 wie folgt:

"In fonnal educational contexts, the basis of leamer autonomy is acceptance of responsibi­Iity for one's own learning; the development oflearner autonomy depends on the exercise ofthat responsibility in a never-ending effort to understand what one is learning, why one is learning, how one is learning, and with what degree of success; and the effec! of 1earner autonomy is to remove the barriers that so easily erect themselves between fonnal learning and the wider environment in which the learner lives" (Little 1997, S. 227).

Unverändert wichtig ist daher für Little die Freigabe von Verantwortung an die Lerner. Mit Bezug auf Wygotski präzisiert er nun aber die Aufgabe derje­nigen, die erziehen. Sie müssen den Lernern dabei helfen, auch bezüglich der Eigenverantwortung "Zonen der nächsten Entwicklung" zu erkunden:

"Note that in this account the gradual handing over of control to the learner - in other words, the progressive acknowledgment of the learner's developing autonomy - is not an option that the tutor may or may not adopt according to ideological preference: it is essen­tial to the success of the tutoring process. Note also that the handing over of control to the learner is more than a psychological phenomenon. In order to gain the psychological bene-

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fits of successfullearning, the learner must gradualIy assume control of the social interac­tion that gives outward form to the learning process" (a.a.O., S. 233).

Neu ist auch die systematische Kopplung von learner autonomy und langua­ge awareness. Little bezieht sich dabei auf Jerome Bruners Begriff der "re­flective intervention", der Fähigkeit, den Aufbau von Wissen selbst in der sozialen Interaktion zu steuern:

"It is worth emphasizing that the development of this 'sense of reflective intervention' depends on social as welI as psychological factors. In any c1assroom, however it is organi­zed, there are likely to be a handful oflearners who achieve it largely by implicit (that is, unconscious) processes of internalization. But if it is to be the explicit goal of education, our pedagogy must be based on patterns of interaction that require learners to take initiati­ves and assurne social (that is, organizational) control of the learning process" (a.a.O., S. 234).

Die Schlüsselbegriffe der language awareness und der learner autonomy ermöglichen eine Konkretion der Frage nach der Schülermitbeteiligung im Fremdsprachenunterricht. Der erste Begriff, language awareness, führt dazu, neu über die Frage nachzudenken, ob man acquisition und learning nicht doch konstruktiv miteinander koppeln kann (vgl. Kasper, Düwell, Rampillon u.a. in Bausch/Christ/Krumm (Rrsg.) 1995). Der zweite Schlüsselbegriff, learner autonomy, hypostasiert, daß Schüler, die das fremdsprachliche Ler­nen in ihre eigene Hand nehmen, besser als diejenigen Schüler lernen, deren Lernprogramme fremdbestimmt sind, auch wenn das fremdbestimmte Lern­programm - in der Regel über die komplexen Lehrwerkprogramme der Schulbuchverlage gesteuert - systematischer, überlegter und insofern auf den ersten Blick effIzienter gestaltet ist. Die allgemeindidaktisch begründete Forderung, Schülermitbeteiligung im Fachunterricht zu stärken, erhält aus dieser Perspektive eine fachimrnanente Bestätigung

Die Interlanguage-Forschung hat sich weitgehend auf Anfanger konzen­triert, weil man bei diesen Kausalzusammenhänge zwischen treatment und effect leichter als bei Fortgeschrittenen nachweisen kann (so auch die Ar­beitsgruppe Wienold/Achtenhagen 1985). Schüler der gymnasialen Oberstufe sind jedoch als fortgeschrittene Lerner zu betrachten. Kausalaussagen bezüg­lich des Effektes bestimmter Lehr -Lern-Verfahren sind für sie wesentlich problematischer als für Anfanger. Die Frage, wie sich Sprachbewußtheit und Lernerautonomie auf die Schülermotivation und auf ihre Lernerstrategien auswirken, und die Frage, wie die Schüler die Aktivitäten der unterrichtenden Lehrer in ihren Lernprozeß integrieren, lassen sich dagegen bei fortgeschrit­tenen Lernern besser in evaluative Konzepte umsetzen, weil man sie besser befragen kann.

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Fachdidaktik Englisch 37

Englischunterricht in den neuen Bundesländern

Die besondere Situation des Englischunterrichts in den neuen Bundesländern bedarf eines fachdidaktischen Kommentars:

• Russischunterricht ist in der ehemaligen DDR massiv gefördert, Eng­lischunterricht ist behindert worden. Die Methodik des Fremdsprachen­unterrichts der DDR (vgl. die methodische Rückschau von Apelt 1991 und die Verteidigung des "kommunikativ-funktionalen" Ansatzes bei Lademann (Hrsg.) 1991) muß zugleich - im Vergleich zu der durch die Interlanguage­Forschung der alten Bundesrepublik und durch die Internationalisierung der bundesdeutschen Lebenswelt angeregten Methodik - als weniger efftzient gelten.

• Die Horizonterweiterung, die man sich von der Begegnung der Schüler mit der Literatur und den sonstigen kulturellen Produkten der fremden Län­der erhofft, ist direkt oder indirekt immer auch auf die Verfassung des eige­nen Kulturraumes, die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Bildungs­tradition bezogen (Bredella 1995). In dieser Hinsicht gab und gibt es mar­kante Differenzen zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Die Auseinandersetzung mit fremdsprachiger" hoher" Literatur hatte in der EOS der DDR einen deutlich niedrigeren Stellenwert als in der bundesdeutschen gymnasialen Oberstufe, was für das Fach Englisch schon deshalb galt, weil das Gesamtvolumen des Englischunterrichts deutlich unter dem der alten Bundesrepublik lag.

• Von einem anspruchsvoll gestalteten, interkulturell orientierten Frem­dsprachenunterricht wird die Entwicklung von Empathiejähigkeit gegenüber Fremden erwartet. Die von vielen Fremdsprachendidaktikern erhobene For­derung, deshalb der interkulturellen Auseinandersetzung gegenüber der In­terpretation fremdsprachiger Literatur und der Reflexion über Sprache den Vorrang einzuräumen (vgl. M. Meyer 1993b), bestimmt noch nicht den All­tag des fremdsprachlichen Oberstufenunterrichts in Ost und West. Ob der fremdsprachliche Unterricht in den neuen Bundesländern auf grund der tradi­tionell schwächeren literarisch-literaturwissenschaftlichen Orientierung die "fortschrittlichere" interkulturelle Orientierung schneller entwickeln kann, als dies in den alten Bundesländern zu erwarten ist, bleibt allerdings abzuwarten, da die konstruktive Auseinandersetzung mit fremden Kulturen außerhalb der Schule in den neuen Bundesländern noch nicht im gleichen Umfang wie in den alten Bundesländern stattfindet.

• In den Rahmenrichtlinien ./Ur das Fach Englisch an Gymnasien und Fachgymnasien im Land Sachsen-Anhalt (1994) taucht der Begriff der Schülermitbeteiligung nicht auf, auch wenn darauf beziehbare Begriffe wie Gruppen- und Partnerarbeit, Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zu fmden

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sind (Rahmenrichtlinien 1994, S. 27, S. 31). Sie spielen offensichtlich eine gegenüber der inhaltlichen Fixierung und der Strukturierung nach fremd­sprachlichen Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) untergeord­nete Rolle.

Entwicklungsstufen der Schülermitbeteiligung

Die fachdidaktischen Diskussionen über language learning und language acquisition, über language awareness und learner autonomy und der Hinweis auf die besondere Situation des Englischunterrichtes in den neuen Bundes­ländern erlauben rur unser Forschungsvorhaben die Konstruktion eines Stu­fenschemas bezüglich unterschiedlicher Formen der Schülermitbeteiligung durch Lehrende und Lernende, das wir tUr die Analyse und Bewertung des dokumentierten Englischunterrichts einsetzen können:

• Die fremde Sprache und ihre landeskundlichen wie literarischen Inhalte werden auf einem ersten Niveau von den Lehrern so präsentiert, daß die Ler­nenden keine oder nur wenig Möglichkeit erhalten, ihre eigene Interlanguage und ihr eigenkulturelles Vorverständnis einzubringen. Realität und Authenti­zität der fremdsprachlichen Kommunikation werden lehrerseitig definiert. Die fremde Sprache, Literatur und Kultur werden "formal" - als letztlich nicht realisierbares, am Native Speaker-Ideal orientiertes Lernpensum - erar­beitet, bleiben dabei aber aus Schülerperspektive fremd. Der Lehrer weiß und kann alles besser als die Schüler; Adaption an das Lehrerwissen ist deshalb die einzig mögliche Lernstrategie der Schüler.

• Die Lernenden greifen sich auf einem mittleren Niveau aus dem ,,Ange­bot" des Lehrers diejenigen Elemente der fremden Sprache, Literatur und Kultur heraus, die sie in ihr eigenes Sprach- und Kulturscherna einpassen können und emanzipieren sich insofern von der dominanten "Vorgabe" des fachlich kompetenten Lehrers. Sie erleben die Differenz der Fremdsprache und der fremden Literatur und Kultur zur eigenen Sprache und Kultur, ent­wickeln aber noch keine Ansätze interlingualer, literaturwissenschaftspropä­deutischer oder interkultureller Vermittlung. Die Lehrer sehen die Differenz zwischen dem Kompetenzspektrum der Lernenden und ihrem eigenen Native Speaker-Ideal, sehen aber keine "Brücken des Verstehens", über die die Schüler zu ihnen herüber gelangen könnten.

• Die Lernenden strukturieren sich auf oberstem Niveau in kooperativer, u.u. auch konflikthafter, Auseinandersetzung mit den Lehrern ihr Lernpro­gramm, indem sie ihre Interlanguage, ihr Literaturverständnis und ihre Be­arbeitung der Fremdheit der fremden Kultur als Produkt eigenen Wissens und Könnens in den Unterricht einbringen. Die Lehrer sind bereit und fähig, die Interlanguage, das eigenständige Literaturverständnis und das interkultu-

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Fachdidaktik Englisch 39

relle Wissen und Können der Schüler zum Angelpunkt der methodischen Gestaltung ihres Unterrichts zu machen. Sie helfen den Schülern also bei der Suche nach "Brücken des Verstehens ", fördern ihr Sprachbewußtsein und unterstützen ihre Lernerautonomie.

Das Stufenschema der zunehmend besseren Gestaltung der Schülermitbetei­ligung erlaubt die folgende Verallgemeinerung:

Die Schülermitbeteiligung im Englischunte"icht wird um so größer und für den Lernfortschritt der Schüler ertragreicher sein, je besser es den Beteilig­ten, den Lehrenden und den Lernenden, in der unte"ichtlichen Interaktion gelingt, die fachlich-systematische Erarbeitung der fremden Sprache, Lite­ratur und Kultur mit dem Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und didaktischer Autonomie zu ver­knüpfen. Es hängt von der pädagogischen Einstellung, dem Wissensstand, der methodischen Kompetenz und dem fachlichen Selbstbewußtsein der Leh­renden ab, ob sie für die Lernenden und sich selbst akzeptieren, daß Lehren­de und Lernende nur eine Interlanguage beherrschen, daß es nicht nur die eine Interpretation der fremden Literatur gibt und daß es ihre Aufgabe ist, zwischen den Kulturen, die bei allem Verständnis ein Stück weit fremd blei­ben müssen, zu vermitteln. Schülermitbeteiligung im Fachunterricht heißt also, daß die Realität und Authentizität der Interlanguage und der interkultu­rellen Problematik und die Gleichberechtigung von Schülern und Lehrern bei der Interpretation der Literatur akzeptiert werden. Die Bewußtmachung die­ser Lehr-Lern-Situation, die zwischen Lehrenden und Lernenden nur eine graduelle, keine prinzipielle Verschiedenheit bezüglich der Aneignung des Fremden impliziert, ist wesentliches Merkmal einer Unterrichtsgestaltung, die das dialektische Verhältnis von pädagogischer Führung und Schüler­selbsttätigkeit über Mitbeteiligungsverfahren in der didaktischen Gestaltung des gemeinsamen Lernprozesses der Lehrenden und der Lernenden "auf­hebt".

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Josef Keuffer / Ralf Schmidt

1.3 Fachdidaktik Geschichte

Das gesellschaftswissenschaftliche Aufgabenfeld ist in unserem Projekt ex­emplarisch vertreten durch das Unterrichtsfach Geschichte. Geschichtsunter­richt verstehen wir als gezielte Planung, Organisation, Gestaltung und Aus­wertung von Lehr-Lern-Prozessen im Hinblick auf historisches Lernen. Ge­schichtsunterricht vermittelt historische Kenntnisse und Einsichten und kann so Verständnis, Urteile und Wertungen mit Bezug auf historische Entwick­lungen fundieren.

Geschichtsbewußtsein

Die Aussage, daß es Geschichtsdidaktik mit dem Geschichtsbewußtsein von Schülerinnen und Schülern zu tun hat, gilt unter Geschichtsdidaktikern als unbestritten (von Borries 1988, Kuss 1994 und 1995). Seit den 70er Jahren wird in Westdeutschland Geschichtsdidaktik mit der "Fundamentalkategorie" des Geschichtsbewußtseins (Rohlfes 1986) verbunden. Unterhalb dieser Fun­damentalkategorie hat Jeismann die drei Dimensionen der historischen Sach­analyse, des Sachurteils und der Wertung expliziert. Für Jeismann definiert sich Geschichtsbewußtsein durch die Fähigkeit, die unterschiedlichen Zeit­formen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sinnvoll miteinander in Be­ziehung zu setzen. Historisches Denken kann deshalb als "Sinnbildung über Zeiterfahrung" (Rüsen 1982, von Borries 1995) verstanden werden. Dazu braucht es nach von Borries (1995, S. 12) einen Dreischritt von der "Wahr­nehmung" von geschichtlichen Phänomenen über ihre "Deutung" zur "Ori­entierung" auf Gegenwart und Zukunft.

Für viele Geschichtsdidaktiker stellt sich in diesem Rahmen die Aufgabe, die gegenwärtige Gesellschaft in ein 'bewußtes' Verhältnis zu ihrer Ver­gangenheit zu setzen. Der Begriff des Geschichtsbewußtseins erlaube es, die Problemperspektiven der Geschichtsdidaktik über die engen Grenzen des Schulunterrichts hinauszuführen. Jeismann sieht in dieser Ausweitung der Fragestellung "ein(en) 'Emanzipationsprozeß' sowohl von der Unterrichts­methodik im engeren Sinne wie von der allgemeinen Didaktik als Schulwis­senschaft" (Jeismann 1990, S. 45). Die Verknüpfung der Zeitebenen ist für dieses Geschichtsverständnis entscheidend. Geschichte ist nicht einfach nur Rekonstruktion der Vergangenheit oder bloße Versicherung der Herkunft, sondern ein komplexer Zusammenhang von Vergangenheitsdeutungen, Ge-

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genwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen. Einigkeit besteht unter Geschichtsdidaktikem darüber, daß die Fähigkeit zur selbständigen Deutung historischer Sachverhalte höher zu bewerten ist als die bloße Kenntnis histo­rischer Daten ("Fakten") oder die nur chronologische Zuordnung von ver­gangenen Ereignissen. In jüngster Zeit gibt es allerdings kritische Anfragen bezüglich der Reichweite und Operationalisierbarkeit des durch Sinn bildung über Zeiterfahrung definierten Begriffs Geschichtsbewußtsein als Ort, Be­zugspunkt und Vollzugs größe historischen Lemens. Zugleich werden die von Rüsen dargelegten vier Sinnbildungstypen - die traditionale, exemplarische, kritische und genetische Form der historischen Deutung der menschlichen Vergangenheit - (Rüsen 1985 und 1994, S. 16ff.) im Hinblick auf Ge­schichtsbewußtsein hinterfragt (Walz 1995, S. 315). Die Kontroverse zwi­schen Pandel/Rüsen und Walz hat, auch wenn es in der Sache keine Einigung gibt, Einigkeit darüber hergestellt, daß empirische Untersuchungen im Span­nungsfeld der Allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktik Geschichte, wie wir sie mit dem Projekt zur Schülermitbeteiligung durchfUhren, ein Desiderat der Forschung darstellen.

Geschichtsunterricht in den alten und neuen Bundesländern

Für unser Forschungsprojekt ist im Rahmen der Transformationsproblematik auf die Differenz der Geschichtsdidaktik in Ost und West näher einzugehen. Die Ziele des Geschichtsunterrichts in der Zeit vor 1989 waren in der DDR und der Bundesrepublik grundsätzlich verschieden.

In der DDR-Geschichtsmethodik waren didaktische Entscheidungen dar­an zu orientieren, daß sie dem obersten Ziel der Ausbildung der sozialisti­schen Persönlichkeit dienten (z.B. Gora 1976). Eine intensivierte Anstren­gung in Richtung auf Schülermitbeteiligung im Geschichtsunterricht konnte es in diesem Rahmen auf grund fehlender Durchsetzungsperspektiven rur divergierende Schülerinteressen kaum geben. Dies galt auch im Hinblick auf die von der Allgemeinen Didaktik konstatierte Dialektik von Führung und Selbsttätigkeit (Klingberg 1987 und 1994), die im Unterrichtsalltag zumeist undialektisch zugunsten der Führung durch den Lehrer aufgelöst wurde.

Die Mehrzahl der Vertreter der gymnasialen Geschichtsdidaktik in der BRD hat sich demgegenüber bis weit in die 60er und 70er Jahre hinein zwar stets der Floskel der "Schülergemäßheit" bedient, sich aber im Grunde um die Schülerinnen und Schüler wenig gekümmert (Rohlfes 1992). Erst die allgemein- und fachdidaktischen Ansätze im Gefolge der 68er-Bewegung haben aus der Diagnose eines autoritär-manipulatorischen Grundzuges der traditionellen deutschen Schule die emanzipatorische, kritisch­kommunikative Didaktik entwickelt (vgl. z.B. von Borries 1988). Parallel dazu haben vor allem Kuhn (1974) und Bergmann/Pandel (1975) einen Ge-

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Fachdidaktik Geschichte 43

schichtsunterricht im Interesse der Schülerinnen und Schüler gefordert. So band Kuhn (1974) die historischen Gegenstände an die Interessen der Schü­ler, konstatierte ihr kritisches Interesse an Mündigkeit und entwickelte aus diesem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse heraus ein Konzept der Schü­lermitbeteiligung. Im Interesse der Schüler wurde - verkürzend formuliert -Hermeneutik zur Ideologiekritik. Rohlfes (1992) stellt jedoch heraus, daß die Schüler in der Regel nicht recht wissen, was sie eigentlich aus der Geschichte lernen wollen. Ihre historischen Kenntnisse und Vorstellungen sind nicht gründlich genug, um daraus substantielle "Fragen an die Geschichte" ableiten zu können. So blieb der emanzipatorischen Didaktik nichts anderes übrig, als sich selbst zum Sachwalter der wahren Schülerinteressen zu machen und so die Zielsetzungen des Geschichtsunterrichts aus den eigenen geschichtstheo­retischen und politischen Optionen abzuleiten.

Schülerorientierte Entwürfe der Geschichtsdidaktik, in denen vor allem Schüleremotionen und ein ganzheitlicher Zugang zur Geschichte gefördert werden sollten (Schulz-Hageleit 1982 und Knoch 1983), wurden zum Teil eher skeptisch aufgenommen. Emotionalität, Phantasie der Schüler und histo­rische "Tatsächlichkeiten" gerieten einigen Skeptikern zu weit auseinander; Emotionalität und Phantasie müssen auch dann auf das empirisch Triftige bezogen bleiben, wenn akzeptiert wird, daß historische Tatsachen konstruiert und gedeutet werden.

Das Spannungsverhältnis von Rationalität und Emotionalität wird in der Praxis des Geschichtsunterrichts zumeist zugunsten intellektueller Wissens­anforderung und -abfrage aufgelöst. Der Geschichtsunterricht wird deshalb -gerade in den neuen Bundesländern - von vielen Schülern als ein Paukfach eingeschätzt, in dem Geschichtsdaten und Wissen wichtiger sind als die Fä­higkeit, Probleme zu lösen, Perspektiven zu entwickeln, Fremdverstehen einzuüben und Reflexivität zu stimulieren (von Borries 1995,419 ff.). Wenn diese Einschätzung der Fachdidaktik korrekt ist, kommt der zentralen Frage unseres Projekts, wie sich im Fachunterricht die Schülermitbeteiligung reali­siert, auch rur den Geschichtsunterricht besondere Bedeutung zu. Wir gehen davon aus, daß die Kluft zwischen Rationalität und Emotionalität des Lern­prozesses in den neuen Bundesländern noch tiefer als in den alten Bundeslän­dern ist. Zu klären ist also, ob Schülermitbeteiligung bei der Planung und Gestaltung des Geschichtsunterrichts das Spannungsverhältnis von wissen­schaftspropädeutisch getragener Rationalität auf der einen und die Identi­tätsbildung der Lernenden stabilisierender Emotionalität auf der anderen Seite konstruktiv "aufheben" kann.

Der wissenschaftspropädeutische Anspruch des Geschichtsunterrichts hat sich traditionell an der Quellenanalyse festgemacht. Sie erschien als methodi­sches Hilfsmittel gegen indoktrinierenden Unterricht. Die fachdidaktische Diskussion ist aber heute dadurch geprägt, daß Textquellen im Unterricht im Spannungsfeld von "Ärgernis und Erfordernis" diskutiert werden (pandei

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1995, S. 14ff., Pande11997, vgl. von Borries 1992). Auch in unserem Projekt muß also der Umgang der Lehrerinnen und Lehrer und der Schülerinnen und Schüler mit den historischen Quellen als ein Beobachtungsschwerpunkt aus­gewiesen werden. Schülermitbeteiligung setzt in diesem Rahmen die Ent­wicklung fachspezifischer Kompetenzen voraus:

• Methodenkompetenz im Umgang mit Geschichte (Hey u.a. 1992, Pandei 1995)

• historische Sinnbildungskompetenz (pan dei 1991, Rüsen 1994)

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß angesichts der Kontroversen der Geschichtsdidaktik seit Ende der 80er Jahre eine "praktische Wende" im professionellen Selbstverständnis von Geschichtslehrern vollzogen worden ist, die auf die Didaktik der Geschichte zurückwirkt. Die konzeptionell ar­beitende Geschichtsdidaktik hat sich weitgehend verabschiedet. Die Unter­richtspraxis und ihre Bedürfnisse dominieren. Dies gilt für die alten wie auch für die neuen Bundesländer. Von Borries weist angesichts dieser Lage zu Recht darauf hin, daß dominante "Stofforientierung" und belehrender Ge­schichtsunterricht künftig schwerlich vertreten werden können. Für ihn ver­lieren zunehmend auch die "Problemorientierung" und der "reflektierende Geschichtsunterricht" an Glaubwürdigkeit (von Borries 1994, S. 380 ff.). Er konstatiert in seiner empirischen Studie zum Geschichtsbewußtsein Jugendli­cher das Faktum einer fundamental verschiedenen Beschreibung des gleichen Unterrichts durch Lehrende und Lernende (von Borries 1995, S. 313; vgl. von Borries 1999) und erkennt in den Selbstdeutungen einerseits eine illusionäre Selbsteinschätzung der Lehrer und andererseits überzogene Ansprüche der Schüler an die Methodenkompetenz der Lehrer. Die beiden "Hauptkonzepte" der Stoff orientierung und der Problemorientierung sieht er als gleichermaßen desavouiert an. Kriterien tUr eine wünschenswerte Neuorientierung sieht er darin, historische Prozesse der Bildung und Veränderung von Identitäten im Unterricht zu studieren. Zu erproben und einzuüben sind aus seiner Sicht deshalb Fremdverstehen, Wandelserklärungen, Multiperspektivität und die Fähigkeit und Bereitschaft, Ambivalenz zu ertragen (von Borries 1995, S. 409).

Schülermitbeteiligung im Geschichtsunterricht

Der Stand der fachdidaktischen Diskussion bezüglich Geschichtsbewußtsein, Geschichtswissen, sozialem Lernen, Emotionalität und Reflexivität legt es nahe, in der Analyse und Bewertung des in unserem Projekt zu dokumentie­renden Geschichtsunterrichts besonders darauf zu achten, welche Einstellun­gen die Schülerinnen und Schüler zur Geschichte und zum Geschichtsunter­richt entwickeln, wenn sie sich selbst in den Unterricht einbringen (vgl. von

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Fachdidaktik Geschichte 45

Borries 1985). Wenn man Geschichte - wie oben vorgeschlagen - dabei als "Sinnorientierung über Zeiterfahrung" defmiert, dann heißt dies zugleich, daß man zwischen beobachtbarem Verhalten im Unterricht und intellektuellen Operationen zu differenzieren hat. Eine bedeutsame Schwierigkeit der Ope­rationalisierung und Erfassung der Schülermitbeteiligung im Geschichtsun­terricht besteht allerdings darin, daß diese Beteiligung sich in intellektuellen Operationen äußert, die sich durchgehend einer einfachen methodischen Erfassung entziehen. Die Korrelation der Unterrichtsbeobachtung mit Schü­ler- und Lehrerinterviews ist deshalb für das Fach Geschichte besonders wichtig. Zu klären ist, ob die Schülerinnen und Schüler den Zusammenhang von Schülerinteressen, Unterrichtsmethodik und Entwicklung historischen Lernens und geschichtlicher Kompetenz erkennen und wie sie sich selbst mit ihren Emotionen einbringen. Die Geschichtslehrer sind bezüglich der Förde­rung bzw. Verhinderung von Beteiligungschancen zu befragen, und dies ist mit ihrer Unterrichtspraxis zu vergleichen. Es ist darauf zu achten, ob und wie das jeweilige Schülervorverständnis thematisiert und im Unterricht als "Brücke des Verstehens" genutzt wird.

Dabei kommt den curricularen Vorgaben besondere Bedeutung zu. Die Einfiihrung des Kurssystems in der Bundesrepublik im Jahre 1972 fiihrte dazu, daß es in der gymnasialen Oberstufe oftmals keinen kontinuierlichen Lehrgang Geschichte mehr gab und daß sich viele Lehrerinnen und Lehrer auf gegenwartsorientierte Fragestellungen an das 19. und 20. Jahrhundert beschränkten (Kuss 1994/1995, S. 8). Die Rahmenrichtlinien des Bundeslan­des Sachsen-Anhalt postulieren demgegenüber einen kontinuierlichen Durchgang durch die Geschichte, indem sie folgende Rahmenthemen vorge­ben: 11/1 Staatenbildung und -entwicklung am Beispiel einer frühen Hoch­kultur oder der griechisch-römischen Antike, 11/2 Entwicklungen im Mittel­alter, 12/1 Neue Ideen und ihre Auswirkungen in der Neuzeit, 12/2 Deutsch­land und die Welt des 20. Jahrhunderts. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Bereich "historisches Wissen", das zwar "nicht streng chronologisch vermit­telt" werden soll, sich aber dennoch am Prinzip des Lehrgangs und der Chro­nologie orientiert (Rahmenrichtlinien Geschichte 1994). Wir gehen davon aus, daß die Stoffiille beim Durchgang durch die Menschheitsgeschichte in vier Kurshalbjahren im Rahmen eines stoff orientierten oder systemorientier­ten Ansatzes und die Vorgaben durch das Zentralabitur die Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung erschweren. Dennoch läßt sich eingrenzen, wo und wie unter Alltagsbedingungen Schülermitbeteiligung im Geschichtsunterricht zum Tragen kommen kann:

• Ein schon seit den 70er Jahren diskutiertes Thema in der Geschichtsdi­daktik ist die Schülermitbeteiligung bei der Inhaltsauswahl. Die Nützlichkeit dieser Art der Beteiligung wird kontrovers diskutiert. Es liegt deshalb nahe, das Verhalten der Lehrenden und Lernenden bezüglich der Konstituierung der Unterrichts inhalte zu untersuchen, um dann zu fragen, ob die Ansprüche

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der Jugendlichen mit dem von der Fachdidaktik geforderten Anspruch an die Sache in einer angemessenen Form vermittelt werden können.

• In der Praxis des Geschichtsunterrichts sind die Lehrer zumeist selbst für die Methodenschulung der Schülerinnen und Schüler in den Grund- oder Leistungskursen verantwortlich. Eine entlastende Unterstützung durch Hilfs­mittel (systematische Anleitungen, Einfiihrung in Methoden) gab und gibt es nur vereinzelt. Ob Geschichtslehrer auf Bücher zurückgreifen können und wollen, die methodische Anleitungen für die Schülerinnen und Schüler ent­halten, ist also gleichfalls rur unser Forschungsvorhaben von Bedeutung.

• Schülermitbeteiligung konkretisiert sich in der Gestaltung des Unter­richtsprozesses. Handlungsorientierte Formen von Mitbeteiligung bei der Unterrichtsgestaltung sind u.a. der Umgang mit Geschichtskultur (lebens­weltliche Ebene), Arbeiten im Archiv (methodische Ebene) und Schülerwett­bewerbe (heuristische Ebene). Diese Formen stützen sich erkennbar auf die Förderung der sozialen Dimension des Lernprozesses. Wir gehen davon aus, daß Schülermitbeteiligung auch in der Entwicklung und Anwendung dieser didaktischen Kompetenzen sichtbar wird, während ihre Entwicklung bei einem lehrer- und kanonzentrierten Unterricht schwerer fallen dürfte.

Entwicklungsstufen der Schülermitbeteiligung

Die dargelegten Bedingungen für Schülermitbeteiligung werden hier - par­allel zum Englisch-, Chemie- und Physikunterricht - zu einer Entwicklungs­stufung von Schülermitbeteiligung im Geschichtsunterricht aus geformt, die anband der Begriffe Lernen und Erzählen (pandeI 1988) konstruiert werden kann:

• Traditionslernen / Nacherzählen: Der Unterricht wird von den Lehren­den als Vermittlung von Faktenwissen ("Stofforientierung") gestaltet. Das Nacherzählen von Geschichten geschieht anband eines vorgegebenen Erzähl­plans und vorgegebener Ereignisse. Die Funktion des Nacherzählens besteht darin, Tradition fortzusetzen und einen Kommunikationszusammenbang zwischen den Generationen aufrechtzuerhalten. Da Schülerinnen und Schüler historische Kenntnisse und eigene Fragestellungen nur in geringem Umfang einbringen können, besteht ihre Mitbeteiligung im wesentlichen in der ge­konnten Rezeption dessen, was die Lehrerinnen und Lehrer ihnen bezüglich ihrer Sinnorientierung über Zeiterfahrung zu vermitteln suchen.

• Argumentationslernen / Umerzählen: Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Möglichkeit, ihr Interesse an Geschichte und ihre Emotionalität bezüglich der Schicksale der Menschen dadurch in die Unterrichtsgestaltung einzubringen, daß sie historische Quellen auf grund ihrer eigenen Erfahrung

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Fachdidaktik Geschichte 47

argumentativ bearbeiten und bewerten und daß sie lernen, Geschichte um­zuerzählen. Im Umerzählen erfolgt eine distanzierende Stellungnahme zu einer erzählten Geschichte. Das Bedürfnis nach historischer Sinnfmdung beschränkt sich dabei nicht auf die Erkenntnis, daß vieles in anderen Zeiten und anderen Ländern anders war. Vielmehr denken die Schülerinnen und Schüler historisch-kontrastiv und suchen nach Gründen fiir diese Andersar­tigkeit im Sinne einer Alteritätserfahrung.

• Historische Reflexivität/Historische Methodenkompetenzl Wissenschafts­propädeutik! Rezensierendes Erzählen: Auf einem obersten Niveau der Be­teiligung an der Unterrichtsgestaltung erkennen die Schülerinnen und Schü­ler, daß sie jeweils aus den Vergangenheitsdeutungen, den Gegenwartswahr­nehmungen ihrer eigenen Situation und den Zukunftserwartungen heraus Geschichte individuell erzählen und deuten. Die Erzählhandlung dieses re­zensierenden Erzählens ist bewertend. Es wird geprüft, welche Anteile an Nacherzähltem und Umerzähltem eine Geschichte enthält. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln also den reflexiven Umgang mit Alteritätserfahrung (eigene Kultur) und Fremdverstehen (Multikulturalität) durch die Rekon­struktion ehemaliger Andersartigkeit und auf grund ihrer Wahrnehmung zwi­schenzeitlicher Entwicklungen. Sie arbeiten nicht nur mit historischen Inhal­ten, vielmehr machen sie historische Methoden und Darstellungsweisen zum Gegenstand des Unterrichts. Sie entwickeln ein historisches Bewußtsein, das die hermeneutische Rekonstruktion der Geschichte transparent macht, und sie entwickeln die Fähigkeit zur Metanarration.

Das Stufenschema erlaubt bezüglich der Erforschung der Schülermitbeteili­gung im Geschichtsunterricht die folgende wertende Verallgemeinerung:

Ein Geschichtsunterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler lediglich als rezeptive Instanz in einem Nacherzählungsprozeß und als Adressaten von Lehr-Lern-Prozessen fungieren, behindert ihr Lernen. Andererseits ist ein Geschichtsunterricht, der unkontrollierte Einfohlung, Spontaneität, Lebens­nähe und ungebundene Subjektivität favorisiert, abzulehnen, da er zwangs­läufig die sachlich disziplinierende Wissenschaftspropädeutik vernachlässigt. Die Balance zwischen den genannten Extremen und die Beachtung des Schülervorverständnisses (z.B. durch Spontanphasen, Sammlung emotionaler Eindrücke, Alltagsbezug, Gegenwartsbezug) ist also for die Lehrerinnen und Lehrer ein Steuerungselement, das sie im Sinne der fachlichen Umsetzung der Schülerinteressen einsetzen können. Die methodische Balance zwischen Sachorientierung/Wissenschaftspropädeutik! Rationalität auf der einen und Schülerorientierung/Selbstbestimmung/ Selbsttätigkeit/Subjektivität auf der anderen Seite ermöglicht Freiräume for die Schülermitbeteiligung. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Chance erhalten, ihren Interessen im Unter­richtsfach nachzugehen, Vorlieben und Abneigungen zu thematisieren und ihre Emotionalität einzubringen, werden sie auch verstärkt Anforderungen

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an Inhalte und Methoden des Unterrichts stellen und so ihren Beitrag zur Unterrichtsgestaltung geben. Die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zum historischen Fremdverstehen und die Entwicklung historischer Reflexi­vität werden sich nur dann entwickeln, wenn die Schülerinnen und Schüler an der Planung und Gestaltung des Unterrichts beteiligt werden.

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Heinz Obst I Christine Ziegler I Michael Lichtfeldt t

1.4 Fachdidaktik Physik und Chemie

Das mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Aufgabenfeld wird in unserem Projekt durch die Unterrichtsfächer Chemie und Physik vertreten. Im Vergleich zu anderen naturwissenschaftlichen und mathematischen Fä­chern ähneln diese beiden Fächer einander in ihrer unterrichtsmethodischen Umsetzung, so daß je nach den Bedingungen an den Versuchsschulen der Unterricht in dem einen oder anderen Fach beobachtet werden kann.

Im Chemie- und Physikunterricht werden Naturphänomene untersucht und beschrieben. Es wird versucht, diese zu erfassen und dabei zugleich zu "idealisieren", so daß sie mit Hilfe formelhafter Kalküle beschreibbar wer­den. Experimentelles Vorgehen sollte dabei die Regel sein. Es ermöglicht den Lernenden eine authentische Auseinandersetzung mit Naturphänomenen und verhilft ihnen durch die Gestaltung und Beobachtung der Experimente zu einem vertieftem Verständnis der im Experiment jeweils idealisierten Natur­beschreibung.

Schülermitbeteiligung liegt auch im Chemie- und Physikunterricht im Spektrum zwischen weitgehender Entscheidung der Lernenden über Ziele, Inhalte und Methoden in einem schülerorientierten Lernprozeß und ihrer nur partiellen, rezeptiven Beteiligung in einem vorwiegend lehrerzentrierten Unterricht.

Bei der Analyse und Bewertung der Schülermitbeteiligung im Physik­und Chemieunterricht ist das weite Feld der Lehr-Lern-Prozeß-Forschung unter dem Aspekt des Schülervorverständnisses (Schülervorstellungen, mis­conceptions, alternative frameworks) zu beachten. Untersuchungen hierzu sind in den letzten 15 Jahren intensiv in den meisten Inhaltsbereichen der beiden Schulfächer durchgefiihrt worden (vgl. die Bibliographie von PfundtlDuit 1994). Sie werden ergänzt durch die kognitionspsychologische Betrachtungsweise des Chemie- und Physiklernens (vgl. Fischer 1994, Be­cker 1994).

In den fiihrenden konstruktivistischen Ansätzen des Konzeptwechsels geht es nicht darum, Lernen so zu gestalten, daß die Vorstellungen der Schü­lerinnen und Schüler "ausgemerzt" und durch die wissenschaftlichen "richti­gen" Vorstellungen ersetzt werden (Jung 1986). Verschiedene Untersuchun­gen haben gezeigt, daß dies meist nicht gelingt, auch wenn man sich darum bemüht (Sumfleth 1996). Ziel des Unterrichts sollte es vielmehr sein, den Schülerinnen und Schülern zu verdeutlichen, daß die naturwissenschaftlichen Vorstellungen in bestimmten Kontexten fruchtbarer sind als die Alltagsvor-

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stellungen (Hewson/Hewson 1992). Schülervorstellungen sollten deshalb nicht als Lernhemmnisse, sondern als wichtige Anknüpfungspunkte des Ler­nens angesehen werden. Ähnliche oder übereinstimmende Elemente in Schülervorstellungen einerseits und in wissenschaftlichen Theorien anderer­seits können dabei als Brücken zum Verständnis genutzt werden (Katt­mann/Duit/ Gropengießer/Komorek 1997).

Kernaussage der konstruktivistischen Sichtweise des Wissenserwerbs ist, daß das Wissen der Lehrenden nicht durch einfaches Mitteilen in die Köpfe der Lernenden übertragen werden kann. Die Lernenden müssen das Wissen auf der Basis der vorhandenen Vorstellungen für sich aktiv rekonstruieren. Nach Mandl u.a. (1995) hat deshalb der aktive, selbstgesteuerte und selbstre­flexive Lerner im Mittelpunkt des Forschungsinteresses zu stehen, aber auch die Rolle der Lehrerin/des Lehrers wird auf grund der Bedeutung der Interak­tionsprozesse im Unterricht zunehmend wichtiger (Fischler 1994, 1995). Besondere Beachtung fmden Unterrichtsansätze, die unter konstruktivisti­schen Gesichtspunkten Unterricht so entfalten, daß die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit bekommen, ihren eigenen Erkenntnisprozeß meta­kognitiv zu reflektieren. Dabei werden Interessen, Vorkenntnisse und Vor­stellungen der Schülerinnen und Schüler in der methodischen und inhaltli­chen Gestaltung berücksichtigt (siehe Driver u.a. 1994). Einen sozialkon­struktivistischen Ansatz für die Unterrichtsgestaltung schafft Roth ("situated cognition", 1995a und b). Authentische Lernumgebungen spielen darin eine entscheidende Rolle für den Wechsel der Lernenden von einem soziokultu­rellen Kontext (Alltagskontext) zu einem neuen wissenschaftlichen Kontext. Beide Ansätze, der von Fischler u.a. und der von Roth u.a., setzen die Förde­rung der Schülerrnitbeteiligung voraus, was besonders beim sozialkonstrukti­vistischen Ansatz unter Einbeziehung von "technology and science (STS)" hervorgehoben wird (siehe auch Bybee 1993).

Die Bedeutung didaktischer und methodischer Entscheidungen der Leh­renden in der Planungsphase und während des Unterrichts für die Gestaltung der Lernprozesse ist unbestritten. Als Basis für die Entscheidungen der Leh­renden werden deren "subjektive Theorien" angesehen, auch wenn nicht nur die Anfänger im Lehrberuf Probleme haben, den Unterricht ihren Vorstellun­gen entsprechend zu gestalten. Das Forschungsfeld "Subjektive Theorien" ist in den Naturwissenschaften im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr ausgeprägt (siehe Fischler 1994 und 1995). Mit Bezug auf allgemeine Ansät­ze (Mandl/Huber 1983, Schlee/Wah/1987) und in Anlehnung an amerikani­sche und angelsächsische Forschungsergebnisse ("Teacher Thinking"; vgl. Bromme/Brophy 1986, Borko/Shavelson 1990) lassen sich die fachspezifi­schen Erkenntnisse mit denen der allgemeinen Untersuchungen zum Lehrer­verhalten (siehe z. B. Voigt 1984 und Wahl u.a. 1983) abgleichen:

• Besonders zu berücksichtigen ist die jeweilige Fachsozialisation der Lehrenden. Durch starke Orientierung auf Mathematisierbarkeit, formel-

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hafte Beschreibung und abstrakte Modelle werden die Unterrichtenden -gerade in Chemie und Physik - von den Sichtweisen der Lernenden ab­gelenkt. Universitäre Lehrveranstaltungen, welche die Genese der Theo­riebildung bei den Schülern nachzeichnen, sind - wenn überhaupt - nur in fachdidaktischen Veranstaltungen zu fmden, von denen die heute un­terrichtenden Chemie- und Physiklehrer in der Regel keine Notiz neh­men.

• Die wenigen fachdidaktischen Veranstaltungen, die die Lehrenden in ihrem Studium besucht haben (in den alten Bundesländern waren es in der Gymnasiallehrerausbildung manchmal überhaupt keine), können nur in bedingtem Maße ein Korrektiv zur fachwissenschaftlichen Modellbil­dung liefern. Die starke fachmethodische Ausbildung in der ehemaligen DDR war fast ausschließlich am jeweiligen Fach und seiner Wissen­schaftsmethodik orientiert, so daß pädagogische Fragestellungen wie die der Schülerrnitbeteiligung nur bedingt behandelt wurden.

Die Situation des naturwissenschaftlichen Unterrichts in der DDR ist fur unser Projekt von nachwirkender Bedeutung: Der Unterricht sollte "wissen­schaftlich" gestaltet werden. Das Lehrplanwerk hatte "Gesetzescharakter". Abweichungen etwa im Sinne des Projektgedankens waren nicht möglich. Andererseits wurde in den 80er Jahren zunehmend deutlicher, daß Schüler­mitbeteiligung rur den Lernprozeß förderlich ist. Vor diesem Hintergrund sind sowohl offensichtlich unterschiedliche als auch dem Anschein nach gleiche Forschungsansätze der Bundesrepublik und der DDR kritisch zu werten. Im Schulalltag konnten in der DDR proklamierte Aufforderungen zur Erhöhung der "Schüleraktivität" wie die durch "problernhafte Unterrichts ge­staltung im experimentellen Unterricht" (z.B. E. Rossa beim "Magdeburger Schulversuch" von 1982) im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland (z.B. H. Schmidkunz/H. Lindemann 1982) nicht umfassend zum Tragen kommen.

Schülermitbeteiligung im Chemie- und Physikunterricht

Aus den Erkenntnissen der fachdidaktischen Forschung leiten wir zwei Schwerpunkte ab, an denen Schülerrnitbeteiligung im Chemie- und Physik­unterricht festgemacht werden kann: den Prozeß des problemlösenden Er­kennens und darin integriert das experimentelle Vorgehen. Dabei spielen fiir uns die folgenden Merkmale der Lehrer-Schüler-Interaktion eine herausra­gende Rolle (vgl. auch schon Wenzel 1987, S. 166-197):

• Im Rahmen der Präsentation chemischer und physikalischer Sachver­halte drängen sich häufig weitergehende Fragestellungen auf, die nur mit Hilfe fächerübergreifender Verfahren (z.B. zur Biologie, Ökologie, Ökono-

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mie oder Geschichte) zu beantworten sind. Solche komplexen Problemstel­lungen entsprechen häufig den Bedürfnissen der Lernenden, schließlich fm­den sie hier auch ihren Alltagsbezug wieder.

• Das Einbringen aktueller Probleme der Naturwissenschaften durch die Lernenden zeugt von ihrem hohen Interesse am Fach und von einem entspre­chenden Erwartungshorizont, der mit Kompetenzzuwachs durch das Lernen im jeweiligen Unterrichtsfach beschrieben werden kann.

• Häufig besteht bei Lernenden der Wunsch, bei bestimmten Themen zu verharren, um tiefer in die Prablemlösung einzudringen. Dabei können die Lernenden durch inhaltliche Schwerpunktsetzung und Auswahl der Beispiele versuchen, Einfluß auf den Ablauf und die Gestaltung des Unterrichts zu nehmen.

• In Problemlösungsprozessen bieten Lernende eigene Lösungswege oder spekulative Lösungen an.

• Bei Demonstrationsversuchen der Lehrenden schlagen Lernende Vari­anten vor, die von den Lehrenden nicht eingeplant waren.

• Bei Schülerexperimenten weichen die Lernenden von vorgegebenen Anleitungen ab. Sie versuchen, einzelne Schritte zu variieren oder Neues auszuprobieren, was zu unvorhergesehenen Fragen fiihren kann.

• Lernende berichten von chemischen und physikalischen Erscheinungen und deuten diese mit eigenen, einleuchtenden Vorstellungen. Diese können die Wahrnehmung und Deutung der im Unterricht präsentierten Phänomene beeinflussen (Stark 1995).

• Die Lernenden werden von den Lehrenden aufgefordert, Problemstellun­gen selber zu formulieren. Sie beteiligen sich an der Planung, Durchfiihrung und Auswertung von Experimenten.

• Lernende nennen Alltagsbeispiele fiir die im Unterricht behandelte Theo­rie und schaffen damit die Bezüge zu ihrer Alltagswelt.

• Lernende bringen eigene experimentelle Erfahrungen in den Unterricht ein.

Situationen, in denen Schülermitbeteiligung auf besondere Weise sichtbar und praktisch werden kann, sind Projektwochen oder Projekttage. Nach MielFrey (1988) und MünzingerlFrey (1989) ist hier eine starke Mitbeteili­gung der Lernenden realisierbar, was zugleich als Garant erfolgreicher Durchführung der Projekte gesehen werden kann. Deshalb ist in unserem Forschungsvorhaben zu prüfen, ob an den ausgewählten Schulen auch Pro­jekte in den Fächern Chemie und Physik angeboten werden, ob es fachüber­greifende Projekte gibt und wie sie bearbeitet werden.

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Aus den jetzt vorgestellten Ansätzen problemlösend-experimentellen, offenen Lernens leiten wir als Maxime für den naturwissenschaftlichen Unterricht ab:

Das Stellen von Fragen und das Einbringen eigener Gedanken ist ein Indiz jUr ein emanzipatorisches Verhalten der Lernenden. Das Zulassen der "di­daktischen" Fragen, Einwürfe und Vorschläge der Lernenden und der Ver­such der Beantwortung und Berücksichtigung zeugt von der Offenheit der Lehrenden. Es ermöglicht den Lernenden, den Unterricht als "authentische" Lernsituation zu verstehen.'

Alle beschriebenen Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung basieren auf dem Handeln der Lernenden, das sich in verbaler, in nonverbaler oder in verbal-nonverbaler Mischform äußern kann. Nonverbales Handeln äußert sich im Chemie- und Physikunterricht im experimentellen Handeln, dem Zeichnen von Versuchsskizzen oder dem formalisierten, abstrakten Kalkül. Grundlage dieser Art des Schülerhandelns ist die individuelle kognitive Prä­sentation ("Konstruktion") von Wissen, d.h. das jeweilige, durch Interaktion in der Unterrichts situation konstruierte aktuelle "Schema" des Individuums (vgl. z.B. von Glasersfeld 1995).

Entwicklungsstufen der Schülermitbeteiligung

Mit Bezug auf die oben beschriebenen Überlegungen lassen sich parallel zum Fach Englisch und zum Fach Geschichte die Unterrichtsprozesse aus dem Blickwinkel der Schülermitbeteiligung nach folgendem Stufenschema be­werten:

• Die unterrichtlichen Inhalte werden auf einem ersten Niveau so präsen­tiert, daß die Lernenden keine Möglichkeit fmden, zwischen ihren eigenen kognitiven Schemata und den im Unterricht angebotenen Begriffsmustern "Brücken des Verstehens" zu bauen (siehe z.B. Hewson/Hennessey 1992). Das Fachliche wird formal - wie eine "Fremdsprache" - gelehrt und gelernt, aber nicht "verstanden", was heißt, daß von den Lernenden kaum Bezüge zu ihrer Alltagswelt hergestellt werden können. Alltagserfahrungen der Lernen­den werden aus dem Unterricht ausgeblendet. Die Schülerinnen und Schüler fragen nicht nach, sie bleiben rezeptiv.

• Lernende greifen sich auf mittlerem Niveau aus den im Unterricht prä­sentierten Inhalten diejenigen heraus, die in ihre eigenen kognitiven Sche­mata passen. Sie sehen nicht die Diskrepanz zwischen der naturwissenschaft­lichen Begriffsbildung und ihrer eigenen, durch die Vorerfahrung geprägten physikalischen Begriffswelt. Die Lernenden können aber teilweise Bezüge zu ihren Alltagsvorstellungen herstellen. Schülermitbeteiligung beschränkt sich

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auf konkrete Aufgaben der Unterrichtsorganisation, wie etwa die Durchfiih­rung von Experimenten, das Rechnen mit Hilfe von Formeln und Gesetzen usw.

• Lernende erleben auf oberstem Niveau in einem Bewußtwerdungsprozeß ("Meta-Kognition") die Diskrepanz zwischen den im Unterricht dargestellten Beschreibungsmustern und den eigenen Denk- und Deutungsschemata. Sie versuchen, diese Diskrepanz in einer aktiven, authentischen Auseinanderset­zung mit den unterrichtlichen Problemstellungen zu überwinden. Interessen, Vorkenntnisse und Vorstellungen dienen als Anknüpfungspunkte fiir die Gestaltung von Lernprozessen. Mit Unterstützung der Lehrenden fmden die Lernenden selbst ihre Brücken des Verstehens. Die Lernenden schaffen sich Freiräume fiir ihren Lernprozeß. Sie eröffnen den Lernenden die Möglichkeit, ihren Lernprozeß zu reflektieren.

Aus diesem Stufenschema leiten wir bezüglich der Erforschung der Schüler­mitbeteiligung im Chemie- und Physikunterricht als vorläufige Arbeitshypo­these ab:

Es hängt von der Einstellung und dem Wissen des Lehrenden über das Schü­lervorverständnis ab, ob durch Maßnahmen wie z.B. das Bewußtmachen der Diskrepanz naturwissenschaftlicher und alltäglicher BegrifJsbildung ein höherer Grad an Schülermitbeteiligung auf den verschiedenen Ebenen er­reicht werden kann. Ist dies nicht der Fall, werden Lernende nach anfiingli­chem Beteiligungsversuch resigniert aufgeben. Physiklernen bleibt dann Lernenfor Noten ohne tieferes Verständnis.

Bei der Erforschung der Schülermitbeteiligung wird ein weiteres F orschungs­feld berührt, das sich auf die Einstellung der Lernenden bezieht und das sich zweifach unterteilen läßt, in die Allgemeine Interessenforschung in den Na­turwissenschaften (siehe z. B. HoffmanlLehrke 1986, Kubli 1987, Todt 1990, Häußler 1992, Muckenfuß 1995) und in die Untersuchungen zum Thema Mädchen und naturwissenschaftlicher Unterricht (siehe z.B. Hoffmann 1990 und 1992, Faulstich-Wieland 1992, BakerlLeary 1995). Dies erlaubt die folgenden vier Anmerkungen:

• Die Untersuchungen zeigen mit Bezug auf das Verhalten der Lernenden Steuerungselemente, die es bei der Interpretation beobachteter und durch die Lernenden kommentierter Mitbestimmungselemente des Unterrichts zu beachten gilt. Werden die jeweiligen Interessen der Lernenden durch die Themenauswahl der Lehrenden getroffen, dann regt dies weiterge­hende Fragestellungen durch die Lernenden an. Ist dies nicht der Fall, dann geht die Schülermitbeteiligung zurück.

• Sehen die Lernenden andererseits die Chance, auf die Unterrichtsgestal­tung direkt Einfluß zu nehmen und ihre Interessen einzubringen, kann

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Fachdidaktik Physik und Chemie 55

von starken Schülermitbeteiligungen ausgegangen werden. Dabei spielen gerade fiir die gymnasiale Oberstufe Erfahrungen der Lernenden bei der Wahl der Kurse eine entscheidende Rolle.

• Haben die Schülerinnen und Schüler die Chance, ihren fachbezogenen Interessen in den Fächern Chemie und Physik nachzugehen, dann stellen sie auch verstärkt Anforderungen an die Auswahl der Inhalte und an die methodische Gestaltung des Unterrichts (vgl. auch Lichtfeldt 1996c).

• Besonders aufschlußreich ist die geschlechtsspezifische Beeinflussung von Unterrichtsthemen und Fragestellungen einerseits und interessenge­leiteter Schülermitbeteiligung andererseits. Wenn von Lehrenden im Unterricht vor allem ,jungentypische" Beispiele gebracht werden, dann sinkt das Interesse der Mädchen an den naturwissenschaftlichen Inhalten.

Wir formulieren daher als abschließende These:

Der Frage, ob die Schüler den Unterricht als authentische Lernsituation verstehen können, kommt ein besonderes Gewicht zu. Dabei gehen wir davon aus, daß es bei sich stärker emanzipierenden Lernenden zu größeren Kon­flikten mit den Lehrenden bezüglich der Mitbeteiligung an der Unterrichtsge­staltung kommen kann. Der Grad möglicher Konflikte steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der unterrichtsmethodischen Gestaltung durch die Leh­renden und der Eröffnung oder Verhinderung von Mitbeteiligung im Span­nungsfeld von fachlich-wissenschaftspropädeutischer Systematik einerseits und emanzipativem. aus der lebensweltlichen Erfahrung gespeistem Schü­lerinteresse andererseits.

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Meinert A. Meyer

1.5 Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Beschreibung und dem Ver­gleich des Standes der Forschung in den Fachdidaktiken Englisch, Ge­schichte, Chemie und Physik für die Darstellung und Bewertung der Schü­lermitbeteiligung besondere Bedeutung zukommen wird. Wir fassen unsere Bewertung der heutigen fach- wie allgemeindidaktischen Problernlage wie folgt zusammen:

• Der Vergleich der Schulfächer macht deutlich, daß die politische Wende des Jahres 1989 jeweils spezifisch verschiedene Bedeutung hatte. Für den Chemie- und den Physikunterricht läßt sich feststellen, daß die Fachstruktur nach der Wende erhalten geblieben ist, obwohl der zeitliche Umfang des Unterrichts gegenüber dem des DDR-Lehrplanwerks zurückgegangen ist. Für den Englischunterricht gilt hingegen, daß sein Stellenwert im Kanon der Fächer und dementsprechend der zeitliche Umfang deutlich angehoben wor­den sind und daß zugleich die Methodik dieses Unterrichts massiven Ände­rungsanforderungen ausgesetzt wurde, was Probleme auf grund der fachlichen Qualifikation der praktizierenden Englischlehrer geschaffen hat. Für das Fach Geschichte ist nochmals eine andere Situation zu konstatieren. Es besteht Einigkeit darüber, daß sich die Zielsetzung des Unterrichts auf grund der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse markant geändert hat. Dies stellt die Geschichtslehrer der neuen Bundesländer vor die Aufgabe, ihr fachliches Inhalts- und Methodenspektrum auszubauen.

• Die Erfassung der Rolle der Wissenschaftspropädeutik für die Gestal­tung der Schülermitbeteiligung stellt ein besonderes Problem dar. Was an der Schule in das Spektrum eines Fachs fällt, ist nicht unbedingt auch Thema der universitären Bezugswissenschaft( en); und was wissenschaftlich als Fach verstanden wird, erreicht die Schulwirklichkeit nur über einen komplizierten abbilddidaktischen Filterungsprozeß. Wir erhoffen uns von den Untersu­chungen zur Schülermitbeteiligung Aufschlüsse darüber, wie wissenschafts­propädeutisches Lehren alltäglich gestaltet wird und ob es fachspezifische Muster der Realisierung der Wissenschaftspropädeutik gibt.

• Der Einfluß der Unterrichtsmethodik auf die Schülermitbeteiligung läßt sich u.E. nur fachspezifisch bestimmen. Im Englischunterricht fallen das Lernziel, die Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache, und das Medi­um des Unterrichts zusammen: man kommuniziert, um das Kommunizieren zu lernen. Im Geschichtsunterricht hat die Sprache eine heuristische Funkti-

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58 Meinert A. Meyer

on. Sie erschließt die Quellen und das, was das Historische unserer Lebens­welt ausmacht. Sie schafft Geschichtsbewußtsein, sie sichert aber auch die Entwicklung des Geschichtsbewußtseins im Diskurs sowie die Vorausset­zungen einer Verständigung über Erkenntnisse und Erkenntnisinteressen. Für Chemie und Physik gilt dagegen, daß der Unterricht nicht in Sprache "auf­geht"; Sprache ist unabdingbar, davor und daneben gibt es aber fiir die Unter­richtsmethodik bedeutsame nonverbale Elemente, etwa beim experimentellen Arbeiten, die allerdings in gewissem Umfang doch wieder der Versprachli­chung bedürfen, um gemeinsames Reflektieren und Experimentieren zu er­möglichen.

• Grundsätzlich ist festzustellen, daß die jetzt vorgelegte Konzeption von Stufenschemata der fachbezogenen Schülermitbeteiligung nur hypothetisch sein kann und revisionsfähig bleiben muß, auch wenn die Entwicklung von Stufenschemata nicht neu ist (Piaget, Kohlberg, etc.; fachdidaktisch: M Meyer 1986, Driver u.a. 1994). Neu ist, so viel wir sehen, die Entwicklung von Stufenschemata didaktischer Interaktion. Wieweit die Ergebnisse der TIMSS-Studie (1997) eine Diskussion über fachdidaktische Stufenschemata befördern werden, bleibt abzuwarten. Die These, daß Schüler im Unterricht Aufgaben jeweils auf dem ihrer fachlichen Entwicklungsstufe angemessenen Niveau lösen sollten, verlangt aus unserer Sicht ein intensives Nachdenken darüber, wie die Lehrer-Schüler-Interaktionen gestaltet werden müssen. Die erste Voraussetzung dafiir ist, daß die Lehrer fiir die Niveaustufen der fachli­chen Kompetenzen ihrer Schüler sensibel werden.

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Teil 2: Ein Forschungsprogramm

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Josef Kenffer / Ralf Schmidt

2.1 Zielsetzungen

Ausgehend von der in der Einleitung gegebenen Defmition von Schülermit­beteiligung bildet die Analyse der unterrichtlichen Interaktion den Rahmen unserer Untersuchungen. Wir wollen erforschen, worin Schülermitbeteili­gung als gemeinsame Aufgabe der Lehrenden und Lernenden bei der didakti­schen Gestaltung des Lehr-Lern-Prozesses besteht, welche Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung es im Fachunterricht an Schulen in den neuen Bun­desländern gibt und welche Perspektiven sich rur eine Erweiterung der Schü­lermitbeteiligung ausweisen lassen. Zu diesem Zweck haben wir das folgende Forschungsprogramm erstellt, das wir in Teil 3 anhand von Beispielen kon­kretisieren werden.

Es geht uns in unserem Forschungsprogramm nicht um eine Funktions­analyse von Schule und Unterricht und auch nicht um einen historischen Ver­gleich VorwendezeitlNachwendezeit. Vielmehr wollen wir den Ist-Stand der Schülermitbeteiligung in verschiedenen Schulen in einem regional begrenz­ten Raum in den neuen Bundesländern empirisch erheben und Perspektiven rur die Weiterentwicklung der Schülermitbeteiligung sowohl fachbezogen als auch allgemeindidaktisch aufzeigen. Uns interessiert, welche Möglichkeiten von Schülennitbeteiligung Schülerinnen und Schüler auf der einen und Leh­rerinnen und Lehrer auf der anderen Seite den Fächern mit unterschiedlichen Inhalts- und Methodenqualitäten zubilligen, wie Schülerinnen und Schüler den Fachunterricht hinsichtlich ihrer Mitbeteiligungswünsche und -möglich­keiten erleben und welchen Einfluß das Verständnis der Fachkultur auf die Unterrichtsruhrung und die Methodenpraxis der Lehrenden hat. Unser Ziel ist es, das Spektrum der unterschiedlichen Arten der Schülermitbeteiligung zu beschreiben, also den Ist-Stand zu erheben. Zudem. soll durch die Analyse von Unterrichtssituationen der Spielraum von Möglichkeiten ausgelotet und beschrieben werden. Weiterruhrend wollen wir über die Konstruktion von Stufenschemata und ihre empirische Überprüfung Perspektiven rur die Ent­wicklung der Schülermitbeteiligung im Fachunterricht aufzeigen.

Wie in Teil 1 dargelegt wurde, gehen wir davon aus, daß die Schüler­mitbeteiligung durch die von Lehrenden und Lernenden gemeinsam ge­staltete Unterrichtsmethodik, durch das Verständnis der fachlichen Lernauf­gabe und durch das Verständnis des Lernprozesses gesteuert wird, wobei wir vermuten, daß methodische Entscheidungen der Lehrenden in der Regel über inhaltlich-systematische Anforderungen des Fachunterrichts legitimiert wer­den, während Schülerinnen und Schüler eher die Interaktionsqualitäten des

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methodischen Repertoires ihrer Lehrer und die ihnen dadurch eröffneten Handlungsspielräume und nur begrenzt ihre eigene methodische Kompetenz wahrnehmen. Zu untersuchen ist deshalb, wie Lernende und Lehrende die objektiven Anforderungen des Fachunterrichts mit ihren eigenen subjektiven Deutungen und Aufgabenbestimmungen korrelieren und welche Möglich­keiten mitbestimmenden Lernens sie im Unterricht erkennen und realisieren. Uns interessiert, ob die Schüler im Fachunterricht die Möglichkeit erhalten und auch nutzen, ihre eigenen Erfahrungen und Interessen einzubringen, und welche Spielräume Richtlinien, Prüfungsanforderungen, Fachverständnis und methodische Kompetenz der Lehrenden ihnen tatsächlich lassen. Die Umset­zung neuer Unterrichtsmethoden verlangt von den Lehrenden und von den Lernenden die Bereitschaft, neue Wege zu erproben und ihre Begehbarkeit zu reflektieren. Innovation und Verharren in althergebrachten Strukturen und der im Spannungsfeld von Innovation und Verharren entstehende Handlungs­raum sollen deshalb in unserem Forschungsprojekt beschrieben und interpre­tiert werden. Dies erzeugt tUr uns, wie in den Musteranalysen in Teil 3 dieser Publikation deutlich wird, das Problem, daß wir in unseren Analysen zu­gleich deskriptiv und normativ vorgehen müssen. Das heißt, wir arbeiten sowohl in der Logik einer qualitativen Unterrichtsforschung, die den For­schungsgegenstand generiert. Wir arbeiten aber zugleich auch mit hypothe­sengeleiteten Begriffen und Fragestellungen, was einer didaktischen Analyse von Unterricht entspricht. Auf die Problematik des Zusammenhangs diffe­renter Zugangsweisen zum Zwecke der Interpretation von Unterricht werden wir in Teil 3 zurückkommen.

Schülermitbeteiligung läßt sich nach unserer Ansicht in dreifacher Wei­se jeweils aus Lehrer- und Schülersicht konkretisieren und in qualitative Hypothesen verwandeln. Wir gehen davon aus, daß sich die Schülerrnitbetei­ligung erstens daran zeigt, wie im Unterricht, in der Spannung zwischen Fachsystematik und Lebensweltbezug, Sinn erzeugt wird. Wir sehen zweitens ein zentrales Problem in der Frage, wie schüler- und lehrerseitig die zuneh­mende Selbsttätigkeit von Schülern in Mitbeteiligung umgesetzt wird. Und wir sehen drittens in der Gestaltung der Schülerrnitbeteiligung immer auch eine Entwicklungsaufgabe der Akteure im Unterricht. Wie Entwicklungsauf­gaben im Unterricht gefunden und bearbeitet werden, bestimmt die Art der Motivation und Demotivation von Lehrenden und Lernenden.

Unser Forschungsinteresse wird dementsprechend auf die folgenden Fragestellungen fokussiert.

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Zielsetzungen 63

Schülerseitig:

1. Gibt es eine versuchte oder tatsächliche Steuerung der Ziele, Inhalte und Methoden des Fachunterrichts durch die Lernenden?

Hypothese: Abhängig von der Offenheit der Lehrenden und dem Schülervor­verständnis bezüglich der Fachinhalte lassen sich unterschiedliche Arten der Mitbeteiligung bei der Sinnkonstitution im Unterricht feststellen. Diese be­stehen für die Lernenden darin, daß sie "Brücken des Verstehens" von ihrer Lebenswelt und der in ihr ermöglichten Erfahrung zu den fachlich­systematisch präsentierten Unterrichtsinhalten und Kompetenzanforderungen und dem darin repräsentierten Wissen und Können suchen.

2. Welche im Unterricht feststellbaren Aktivitäten Lernender können als Einforderung von Mitbeteiligung interpretiert werden?

Hypothese: Das Einbringen eigener Erfahrungen, weitergehender Fragen und Problemstellungen sowie das Infragestellen vorgegebener Inhalte und Me­thoden zeugt von einem emanzipatorischen Verhalten der Lernenden.

3. Welche Verweigerungshaltungen Lernender, die aus einer fehlenden Einbeziehung resultieren, sindfestzustellen? Wo gestalten sie ihre Lern­aufgabe selbst, und was unternehmen sie, um die Lehrenden in diese Aufgabe einzubinden?

Hypothese: Eine ausschließlich fachlogische, systemorientierte Präsentation von Unterrichtsinhalten verstärkt für die Lernenden die Fremdheit dieser Inhalte. Werden ihre Interessen und Beteiligungsversuche wiederholt abge­wiesen, können Gleichgültigkeit oder Zynismus entstehen. Förderung der Lernerautonomie, die Kopplung von Rationalität und Emotionalität und die Suche nach Brücken des Verstehens stärken demgegenüber die Schülermit­beteiligung.

Lehrerseitig:

1. Welche Gestaltungsweisen des Fachunterrichts lassen sich bei Lehren­den erkennen und wie wirken diese auf die Einbeziehung der Schülerin­nen und Schüler in die unterrichtliche Sinnkonstitution?

Hypathese: Das Zulassen und Ermöglichen von Fragen, Zweifeln, eigenen Wegen und auch von Fehlern fördert Schülermitbeteiligung. Das Anknüpfen an Vorkenntnisse und Alltagserfahrungen der Schüler verbessert die Schü­lermitbeteiligung. Eine Überakzentuierung der Fachsystematik und extern vorgegebener Aufgaben und Richtlinien behindert demgegenüber die Schüler-

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mitbeteiligung, während fachübergreifende Unterrichtsanteile und -projekte die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler bei der Unter­richtsgestaltungfordern.

2. Erhalten die Lernenden die Möglichkeit, bei der Planung, Durchfiihrung und Auswertung des Unterrichtes mitzuarbeiten?

Hypothese: Die Bereitschaft und Fähigkeit der Lehrenden, von vorgegebenen Wegen und geplanten Vorgehensweisen abzuweichen, wenn die Lernenden es

fordern, erhöht die Bereitschaft der Lernenden, sich in den Unterricht einzu­bringen. Eine funktionale Einbindung der Schülerbeiträge in das Unterrichts­geschehen bringt eine starke Schülermitbeteiligung hervor. Am wirkungs­vollsten ist die Mitverantwortung der Schüler für die Unterrichtsgestaltung.

3. Wie wirken sich das Verständnis von Schülermitbeteiligung und Fachsy-stematik in Kopplung auf den Unterricht der Lehrenden aus?

Hypothese: Eine metakommunikative Grundhaltung der Lehrenden, die auf Offenheit und Transparenz der Unterrichtsentscheidungen zielt, den Schülern den Bezug von Fachsystematik und Lebenswelt verdeutlicht und ihn zugleich problematisiert, verbessert die Chancen für Mitbeteiligung. Die bewußte Förde­rung des Aufbaus der didaktisch-methodischen Kompetenz der Schüler fOrdert ihre Mitbeteiligungsfähigkeit.

Im Rahmen unseres qualitativen Unterrichtsforschungsvorhabens können die nun formulierten sechs großen Fragen und die ihnen zugeordneten sechs großen Hypothesen nicht geradlinig operationalisiert werden. Vielmehr be­nötigen wir eine Methodik der Unterrichtsforschung, die es uns erlaubt, uns durch das, was wir in der Feldphase erheben, auch noch überraschen lassen. Daher ist von entscheidender Bedeutung, daß es uns gelingt, unsere großen Fragen und Hypothesen auf die fachdidaktischen Problemstellungen zu be­ziehen, wie wir sie in Teil 1 unserer Publikation beschrieben haben. Die nachfolgenden allgemeinen methodischen Erörterungen sind deshalb verwie­sen auf die fachunterrichtliche Konkretion in Teil 3.

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Ralf Schmidt / Josef Keuffer / Ingrid Kunze

2.2 Die Forschungsmethoden des Projekts

Kennzeichnend fiir eine jüngere Tendenz in der Unterrichtsforschung ist die zunehmende Akzeptanz qualitativer Verfahren. Auch die Methoden der Evaluation, die über einen langen Zeitraum durch quantitative Forschungsan­sätze bestimmt wurden, wie sie zunächst in den angelsächsischen Ländern vorherrschend waren (Fraser 1986, AndersonlBurns 1989), werden zuneh­mend durch qualitative Verfahren erweitert (CombelHelsper 1994, Altrichter 1993, AltrichterlPosch 1998). Die Methoden des Projekts "Schülermitbeteili­gung" , die im folgenden dargestellt werden, sind durch den qualitativen An­satz unseres Forschungsprogramms bestimmt.

Das Forschungsprojekt ist in der Pilotphase an zwei Schulen mit unter­schiedlichem Schulprofil (Traditionsgymnasium und ein aus einer POS ent­standenes Gymnasium) durchgefiihrt worden, um auszuschließen, daß die Ergebnisse nur tUr einen speziellen Schultypus Relevanz beanspruchen. Mit Bezug auf den referierten Stand der Forschung bezüglich der Bewußtheit der Lernprozesse und Lernerstrategien war tUr unser Projekt die Eingrenzung der Untersuchungen auf die gymnasiale Oberstufe naheliegend. Um nicht mit der Datenerhebung in die Abiturphase störend eingreifen zu müssen, wurde der Unterricht der Jahrgangsstufe 11 als vorletzter Jahrgangsstufe im Lande Sachsen-Anhalt ausgewählt. Die Auswahl der Fächer - Englisch, Geschichte, Physik und Chemie - orientierte sich an den Aufgabenfeldern der gymna­sialen Oberstufe, dem sprachlich-literarisch-künstlerischen, dem gesell­schaftswissenschaftlichen und dem mathematisch-naturwissenschaftlich­technischen Aufgabenfeld.

Zum Zwecke der Exploration des Untersuchungsfeldes wurden Hospita­tionen an den ausgewählten Schulen durchgetUhrt. Dabei wurden Lehrer und Schüler in Vorgesprächen über das Projekt informiert. Es sollte dabei deut­lich werden, daß es nicht um "Überprüfung" ging und daß auch keine "Vor­tUhrstunden" erwartet wurden. Da sich bereits in den ersten Hospitationen zeigte, daß die Anwesenheit der Projektmitglieder sich nicht unerheblich auf den Stundenverlauf auswirkt, wurde davon abgesehen, in der Stunde selbst Notizen zu machen. Statt dessen hielten die Hospitanten ihre Eindrücke un­mittelbar nach den Aufnahmen auf Tonband fest, wobei als Kriterien der Aufmerksamkeit dienten: Grad der Intervention, Lehrerverhalten, Methodik des Unterrichts, Verhalten der Schüler, Einsatzmöglichkeiten ftir die Kame­ras; zusätzlich fertigte jeder Hospitant nach jeder Stunde unter Zuhilfenahme dieser Tonbandaufzeichnungen jeweils ein Erinnerungsprotokoll an, welches

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bei den Projektbesprechungen vorgelegt wurde. Insgesamt wurden pro Fach und Schule zwei Hospitationen durchgeruhrt.

In der Zeit von Dezember 1995 bis März 1996 wurden Videodokumen­tationen erstellt. Es wurden jeweils zwei Kameras mit Weitwinkelobjektiven eingesetzt, die aus der Perspektive der Schüler und aus der Lehrerperspektive den Kursraum nahezu vollständig erfaßten. Die Aufnahmen wurden zeit­gleich ineinander geschnitten. Ferner erfolgte eine gesonderte Tonaufnahme, die - im Abgleich mit dem Ton auf den Videokassetten - transkribiert wurde (Transkription nach Kallmeyer/Schütze 1977). Auch nach den Videoaufnah­men wurden Erinnerungsprotokolle in der oben beschriebenen Weise ange­fertigt. Insgesamt wurden zwölf Unterrichtsstunden an zwei Schulen aufge­nommen.

Die Projektgruppe hat anschließend fiir einen Teil der dokumentierten Unterrichtsstunden flankierende Lehrerinterviews und Gruppendiskussionen mit den Schülern durchgeruhrt. Insgesamt wurden vier Interviews sowie drei Gruppendiskussionen aufgenommen. Darur wurde ein Teil der Aufnahmen gesichtet; geeignete Sequenzen wurden rur Videokonfrontationen mit Leh­rern und Schülern ausgewählt. Zwei Varianten des Vorgehens standen zur Auswahl. Wir konnten das Interview entweder ohne eine vorherige Analyse der Sequenzen direkt nach der Aufnahme fUhren oder das Video vorläufig auswerten und dann mit ersten Ergebnissen und Deutungen die anderen Er­hebungsverfahren durchfUhren. Beide Vorgehensweisen wurden erprobt. Eine teilweise vorherige Auswertung erwies sich als das angemessenere Verfahren. In beiden Varianten zeigte sich, daß das Vorspielen von Videose­quenzen als "Elizitationsinstrument" gut geeignet ist. Die Bereitschaft der Lehrer und der Schüler, über ihren Unterricht im Anschluß an und mit Bezug auf die vorgefUhrte Sequenz zu reden, war sehr groß. Dabei ist die Neigung der Lehrer, den Unterricht zu rechtfertigen statt ihn zu analysieren, stärker, wenn das Interview mit ihnen unmittelbar nach der Videoaufzeichnung ge­fUhrt wird. Die Interviews und Gruppendiskussionen fanden rur den größeren Teil der beteiligten Lehrer und Schüler etwa zwei bis vier Wochen nach den Stundenaufnahmen statt. Diese verhältnismäßig lange Zeitspanne ergab sich aus der Terminplanung der Lehrer, die Klausurterrnine einzuhalten hatten und uns nur jeweils eine bestimmte Wochenstunde fiir eine Gruppendiskus­sion zur Verrugung stellen konnten. Unsere Erwartung widersprüchlicher Deutungen der Unterrichtswirklichkeit durch die Beteiligten ist beim Ver­gleich der Interviews und Gruppendiskussionen bestätigt worden.

Dennoch ist bei der Auswertung der Erhebungsdaten zu berücksichtigen, daß sich Lehrer wie Schüler während der Videoaufnahmen in einer besonde­ren Situation befanden, die bewußt oder unbewußt zu verändertem Verhalten geruhrt hat. Es war eine Tendenz zu erwarten, daß sich die Akteure in den Interviews "projektgerecht" verhalten oder den Versuch machen, die Er­wartungen der Forscher mitzudenken.

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Die Forschungsmethoden des Projekts 67

Es sei hier schon darauf hingewiesen, daß wir in der Hauptphase unseres Projektes die Videoaufzeichnung von Unterrichtsreihen an drei Schulen vorgesehen haben (etwa 8 Stunden pro Reihe). Durch die Aufzeichnung ganzer Unterrichtsreihen erwarten wir, die Einbettung der Einzelstunden in einem größeren inhaltlichen und methodischen Kontext besser erfassen zu können und mehr Material zur Verfügung zu haben. Wir erhoffen uns von der Aufzeichnung ganzer Unterrichtsreihen auch einen Gewöhnungseffekt bei Lehrern und Schülern. Die besondere Situation' die dadurch entsteht, daß im Klassenraum zwei Kameras stehen und der Unterricht aufgezeichnet wird, verliert etwas von ihrer Besonderheit. Der Unterricht wird wieder normaler. Uns liegt allerdings an dem Hinweis, daß "Show-Stunden" ftir unser Projekt verläßliche Daten liefern. Zum einen gilt, daß auch die "Show" gekonnt sein muß. Zum anderen zeigt die "Show" noch deutlicher als eine Alltagsstunde, was die unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer unter Schülerrnitbeteiligung verstehen und ob sie überhaupt in der Lage sind, ihre Schülerinnen und Schüler im von uns defmierten Sinne am Unterricht zu beteiligen. Ob tat­sächlich in den späteren Stunden der jeweiligen Unterrichtsreihe das bessere Bild von alltäglichem Unterricht und bessere Szenen der Schülermitbeteili­gung oder -verhinderung zu fmden sein werden, ist für uns eine offene Frage. Zusätzlich ist in Abweichung zur Pilotphase ein Leitfadeninterview mit den Lehrerinnen und Lehrern vor der Videographierung der Unterrichtsreihe vorgesehen. In ihm sollen die Planung der Reihe und das Wissen der Unter­richtenden über das Schülervorverständnis erfragt werden. Wie in der Pilot­phase sollen in einem Reflexionsinterview nach Abschluß der Reihe die un­terrichtlichen Handlungen von den Lehrerinnen und Lehrern mit Bezug auf ausgewählte Sequenzen der Unterrichts aufzeichnungen kommentiert werden. Dies gilt ebenso für die Gruppendiskussionen mit den Schülerinnen und Schülern.

2.2.1 Zur Methodologie

In methodologischer Sicht sind die Diskussionen zur Unterrichtsforschung an der Zielsetzung einer qualitativen, hermeneutischen Interpretation der Unter­richtswirklichkeit orientiert (Uhle 1995, FriebertshäuserlPrengel 1997). Mit Bezug auf H. Meyer (1987), Terhart (1981 und 1989) und Mandl u.a. (1990) liegt es nahe, die Erforschung der Schülermitbeteiligung im Fachunterricht bezüglich der Dimensionen der Instruktion, also der Gestaltung der Inhaltse­bene durch die Lehrer, der unterrichtlichen Interaktion und Kommunikation und bezüglich der dadurch konstituierten sozialen Dimension zu strukturie­ren. Wissensaufbau ist immer situationsabhängig (Brown et. al. 1989). Wir gehen mit Terhart (1989, S. 35) davon aus, daß es in der Unterrichtsfor­schung auf den Einsatz hermeneutischer Verfahren ankommt, und koppeln dies mit der These, daß jede Deutung auch einen "konstruktiven" Gehalt

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(Krüsse/1993) hat. Wir versuchen, zunächst die Sinnstruktur der Unterrichts­situation und der Lehrer-Schüler-Beziehungen zu rekonstruieren, um darauf aufbauend dann die Schülermitbeteiligung zu beschreiben. Wir verstehen also den Unterrichtsprozeß als Sinnproduktion, die nicht eo ipso von Lehrenden und Lernenden semantisch gleichartig gestaltet wird (vgl. Son 1997). Schü­lermitbeteiligung verlangt vielmehr ein Aushandeln der im Unterricht er­zeugten Bedeutungen, verlangt eine negotiation 0/ meaning (Meyer 1992, 1993b). Die hermeneutische Rekonstruktion der Schülermitbeteiligung an­hand von Unterrichtsaufzeichnungen, Lehrerinterviews und Gruppendiskus­sionen mit den Schülern beschreibt diesen semantischen Prozeß aus der Per­spektive der Forschenden. Für den Bereich des naturwissenschaftlichen Un­terrichts können wir hierbei an das Programm der "didaktischen Rekonstruk­tion" (Kattmann u.a. 1997) anschließen. Die Autoren korrelieren die an den Fachwissenschaften orientierte Analyse der Sachstruktur von Unterrichtsin­halten mit empirischen Untersuchungen zu Schülervorstellungen ("concep­tual change") und der Konstruktion von Unterricht. Während wir, wie oben erläutert, in unserem Projekt untersuchen, wie Lehrer die Fachsystematik wissenschaftspropädeutisch in den Unterricht einbringen, strebt die For­schergruppe um Kattmann an, "den wissenschaftlichen Gegenstand in seinen bedeutsamen Bezügen wiederherzustellen". Während es ihr Ziel ist, "durch Rückbezug auf die verfügbaren Schülervorstellungen" "Unterrichtsgegen­stände" zu "konstruieren" (a.a.O., S. 10), versuchen wir, die Schülermitbe­teiligung zu rekonstruieren, wie sie im Unterrichtsprozeß und in den Deu­tungsmustern der am Unterricht Beteiligten erkennbar wird. Während die Oldenburger Forschergruppe schon Vorschläge für eine verbesserte Unter­richtsplanung macht (a.a.O., S. 12ff.), besteht unsere Zielsetzung zunächst nur in der Rekonstruktion und Beschreibung tatsächlich beobachtbarer For­men der Schülermitbeteiligung.

Für die Festlegung der Beobachtungskriterien orientieren wir uns u.a. an NeU Mercers Modell des gesteuerten Wissenserwerbs (Mercer 1995). Mercer entwickelt im Kontext der pragmatisch orientierten angelsächsischen didak­tisch-methodischen Tradition und unter konstruktivistischer Perspektive Verfahren der Analyse des Unterrichtsprozesses, die einen Rahmen für un­sere Erforschung der Schülermitbeteiligung abgeben können. Er stellt fest, daß die Lehrer im classroom discourse Strategien entwickeln, um ihre Schü­ler bei der Wissenskonstruktion zu fiihren (Mercer 1995, S. 34, vgl. auch Roth 1995, S. 46ft). Diesen Lehrerstrategien, die sich im traditionellen Unter­richt in rigiden Anforderungen an die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Schülerinnen und Schüler materialisieren, stehen Schülerstrategien ge­genüber. Die Schülerinnen und Schüler können den Anregungen ihrer Lehrer folgen, die Aufforderungen abwehren oder einfach abdriften, sie können aber auch die eigene Lernplanung gegenüber den Lehrenden durchsetzen (Mercer 1995, S. 44f.). Wir erforschen die unterrichtliche Interaktion also unter der

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Die Forschungsmethoden des Projekts 69

Perspektive, wie die Aushandlung der Bedeutungen seitens der Lehrenden und der Lernenden erfolgt.

Die unterrichtliche Interaktion im vorherrschenden Frontalunterricht wird durch Gruppenunterricht, durch gemeinsame Sprechaktivitäten ohne den Lehrer und ähnliches ergänzt. Mercer weist darauf hin, daß die Frage, wie förderlich Gruppenarbeit und andere unterrichtliche Aktivitäten rur den Lernprozeß sind, nicht geklärt ist. Wir suchen im Rahmen einer semantischen Theorie des Unterrichts eine neue, ganzheitliche Problemdarstellung. Ob Gruppen- und Einzelunterricht rur den Lernprozeß hilfreich sind, läßt sich nur im Rahmen der gesamtunterrichtlichen Bedeutungskonstitution klären.

Die Verpflichtung auf hermeneutische Rekonstruktion der Schülermit­beteiligung schließt ,,Anregungen" bei anderen methodischen Schulen nicht aus (vgl. einen ähnlichen Ansatz bei Roth 1995, S. 11):

• Von der quantitativ orientierten Arbeit von Klaus Hage u.a. (1985) las­sen sich Anregungen rur die Erstellung von Evaluations-Matrizen gewinnen, auch wenn wir uns der Methodik der Datenerhebung dieser Forschergruppe nicht anschließen wollen; von van Buer (1990) mit Bezug auf Brophy/Good (1976) ist die Fragestellung übernehmbar, wie Schüler- und Lehrerurteile jeweils wechselseitig individuell und kollektiv differieren. Dabei kommt der sprachlichen Dimension des Unterrichts, dem classroom discourse, zentrale Bedeutung zu, auch wenn der Stellenwert der Sprache in den Fächern (vgl. Teil 1.5) jeweils unterschiedlich ist. Die Sprachanalyse orientiert sich an der Sprechakttheorie John Searles (SearIe 1969) und an späteren Erweiterungen seines Sprachmodells. Die u.E. ungerechtfertigt negative Einschätzung des Unterrichtsgesprächs durch Hage u.a. kann in diesem Zusammenhang an­hand einer differenzierten Analyse der Gesprächskultur des Unterrichts kor­rigiert werden (vgl. Reinhardt 1987, S. 37f.).

• Methoden der Erforschung des Lehrer- und Lerner-Verhaltens sind in der Lehr-Lern-Forschung (vgl. Wienold/Achtenhagen u.a. 1985 und das Themenheft "Empirische Schul- und Unterrichtsforschung" der Zeitschrift rur Pädagogik, Oktober 1986 mit Beiträgen von van Buer, Baumert, Ach­tenhagen u.a., van Buer 1990) und in der kognitiv orientierten Lernpsycholo­gie (vgl. Mandl u.a. 1989 und die Forschungsberichte Nr. 15 (1981), 20 (1983), 38 (1986), und 41 (1987) des Deutschen Instituts fiir Fernstudien, Tübingen) expliziert worden. Wir müssen jedoch feststellen, daß die Mög­lichkeiten einer Übertragung dieser Verfahren auf unser Projekt begrenzt sind, auch wenn wir, wie oben dargelegt, von der Konzeption des Wissens­erwerbs als Selbststeuerungsprozeß (Reinmann-Rothmeier/Mandl 1998) aus­gehen, da die genannten Untersuchungen eher quantitativ orientiert sind, da die Achtenhagen-Gruppe Englischanfangsunterricht erforscht hat und da Mandl und seine Mitarbeiter nicht fachbezogen arbeiten.

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• Nützlich fiir die Beachtung der sozial psychologischen Perspektive der Fragestellung und als Analogon hilfreich ist die Arbeit von Philipp Wexler (1992). Wexler untersucht auf ethnographischem Hintergrund, wie Schüler in unterschiedlichen amerikanischen High Schools ihre "klassenspezifische" Identität entwickeln, wie sie ,,somebody" werden. Fallstudien der Art, wie sie Wexler und seine Mitarbeiter erstellen, können wir auf die Schülermitbeteili­gung im Fachunterricht beziehen, wobei zu berücksichtigen ist, was jeweils den Aufbau fremdsprachlich-kommunikativer, geschichtlicher und auf die Fächer Chemie und Physik bezogener Identität fordert oder behindert.

• In dieser Hinsicht können wir auch von Wolff-Michael Roths fachdidak­tischem Ansatz profitieren (Roth 1995b), ohne uns auf seine radikalkonstruk­tivistische backing theory zu verpflichten. Selbstbestimmte Lernprozesse sind durch Authentizität und die Idee der collaborative construction 01 knowledge (S. 46ff.) gekennzeichnet. Zur inzwischen wachsenden Kritik am Radikalen Konstruktivismus und seiner Bedeutung fiir die Didaktik sei hingewiesen auf Terhart 1998.

• Fachunterrichtsbezogene Fallstudien, wie sie durch M A. Meyer ange­regt worden sind (vgl. Bosenius 1992, Hericks 1993, Ritter 1995), zeigen, daß die Unterscheidung des subjektiv-intentionalen Sinns einer Handlung von einer zugrunde liegenden, allererst interpretativ zu erschließenden Sinn­struktur (Oevermanns Ansatz der "objektiven" Hermeneutik) als Arbeits­hypothese ertragreich sein kann, daß aber andererseits ein grundsätzlicher hermeneutischer Vorbehalt - wie wir unsere Welt konstruieren, ist letztlich historisch zufällig, kontingent, nicht objektiv - weiter aufrechterhalten wer­den muß. Was sich bei unvoreingenommener Forschung zeigt, ist vor allem die große Bandbreite individueller Deutungen der gemeinsam erlebten Unter­richtswirklichkeit. Dies fordert Ansätze, die die Aushandlung von Bedeutung als semantische Struktur des Unterrichtsprozesses betonen, um in diesem hermeneutischen Rahmen Schülermitbeteiligung empirisch fassen zu können (M Meyer 1992, 1993a mit Bezug auf Baumgratz 1985, McCartheylPeterson 1995, S. 410).

Wir kommen zur Projektbeschreibung. In einer Triangulation mit dem Fokus auf Schülermitbeteiligung werden die erhobenen Daten aufeinander bezogen.

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Die Forschungsmethoden des Projekts

Im Schaubild:

Unterrichtsbeobachtung

Schü[ermitbeteiligung

Lehrerinterview Gruppendiskussion mit Schülern

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Im Zentrum aller drei gewählten Verfahren stehen die jeweiligen Unterrichts­situationen, die von der Projektgruppe mittels der Video- und Tonaufnahrnen dokumentiert werden und mit denen Lehrende und Lernende konfrontiert werden. Damit wird ein Zugang zu strukturellen Aspekten der Schülerrnit­beteiligung im Unterricht und gleichzeitig zur Bedeutung des untersuchten Phänomens für die Beteiligten eröffnet. Ferner werden Gründe sichtbar, die das Handeln der Lehrer und der Lerner verständlich machen, so daß sich der Grad der Bewußtheit für die Frage der Schülerrnitbeteiligung bei den Akteu­ren erschließt. Während die Interpretation der drei Datengruppen, der Unter­richtsdokumentationen, der Lehrerinterviews und der Gruppendiskussionen, zunächst darauf abhebt, die von uns als Unterrichtsforschern erfaßte Sinn­struktur des Unterrichts, den subjektiv gemeinten Sinn der Lehrer und den der Schüler zu beschreiben, zielt die Triangulation darauf ab, aus der Kon­frontation der einander teilweise bestätigenden, teilweise aber auch wider­sprechenden Sinngebungen die zugrunde liegende Sinnstruktur der Schüler­mitbeteiligung zu konstruieren.

Die Zielrichtung, den subjektiven Sinn, der aus den drei Datengruppen rekonstruiert wurde, zu überschreiten, ergibt sich aus dem Interesse, Per­spektiven für die Erweiterung der Schülermitbeteiligung im Fachunterricht auszuweisen. Im Anschluß an die Triangulation wird deshalb der Versuch unternommen, die Unterrichtssituationen in eine Matrix einzuordnen, welche mit Bezug auf die in Teil 1 entwickelten fachdidaktischen Stufenschemata Niveaus der Schülerrnitbeteiligung klassifiziert und verallgemeinerbare Aus­sagen erlaubt. Nach einer Darstellung unserer Untersuchungsinstrumente kommen wir deshalb auf das Problem der Triangulation zurück.

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72 Ralf Schmidt / Josej Keuffer /Ingrid Kunze

2.2.2 Videographierung und Tonbandaufzeichnung

Bei der Unterrichtsbeobachtung mittels Videoaufzeichnung handelt es sich um eine Form der teilnehmenden Beobachtung in einem sozialen Feld. Es ist unser Ziel, das soziale Handeln der Akteure in der gesellschaftlich defmierten Situation Schule zu beschreiben. Teilnehmende Beobachtung wird dort ein­gesetzt, wo es unter spezifischen theoretischen Perspektiven um die Erfas­sung der sozialen Konstituierung von Wirklichkeit und um Prozesse des Aushandelns von Situationsdefmitionen geht (vgl. Lamnek 1995, S. 240). In der natürlichen Lebenswelt der Akteure sollen deren Interaktionsmuster durch genaue Beobachtung erforscht werden. Die Interaktionsmuster sind durch die jeweilige Situation und deren subjektive Deutung durch die Ak­teure und durch die Intentionen der Handelnden bestimmt (ebd., S. 240). Beobachtung richtet sich demnach immer auf ein Verhalten, dem sowohl subjektiver Sinn als eine objektive soziale Bedeutung zukommt. Deshalb gehört zum Beobachten bzw. zur Interpretation von Beobachtungsdaten not­wendig die Fähigkeit des Fremdverstehens als konstitutiver Methode der teilnehmenden Beobachtung.

Aus der Notwendigkeit des Fremdverstehens ergibt sich allerdings zu­gleich auch das Problem, daß die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der gewon­nenen Daten durch Mißverstehen oder Überinterpretation des Sinn- und Be­deutungszusammenhangs des jeweiligen soziokulturellen Feldes gefährdet wird. Wir sind uns darüber im klaren, daß Mißverständnisse und Überinter­pretationen gerade im Ost-West-Vergleich naheliegen. Uns ist deshalb der Hinweis wichtig, daß unsere Forschergruppe aus Mitgliedern aus der ehema­ligen DDR und der alten Bundesrepublik besteht. Unsere Interpretationen und Bewertungen sind jeweils im internen Ost-West-Dialog abgesichert wor­den.

Schulischer Unterricht stellt rur Lehrer und Schüler eine, wenn auch be­sonders stark institutionell geprägte, "natürliche" Lebenswelt dar, in der Bedeutungen ausgehandelt werden und Wirklichkeit konstruiert wird. Durch teilnehmende Beobachtung können verbale und nonverbale Kommunikati­onsanteile und die die Kommunikation mitbedingende Situationalität erfaßt werden. Die gezielte Beobachtung individueller Handlungen wird möglich. Durch Unterrichtsbeobachtung können typische Interaktionsmuster ermittelt werden, welche Aufschluß über die Frage geben, welche Räume fiir Schü­lermitbeteiligung im Unterricht zur Verfiigung stehen.

In allen Fächern kommt der Analyse von Unterrichtsgesprächen (class­room discourse) eine besondere Bedeutung zu, auch wenn klar ist, daß sich Unterricht nicht in unterrichtlicher Kommunikation erschöpft und daß Unter­richtsgespräche nicht die einzige Form dieser Kommunikation darstellen. Geeignete Unterrichts szenen sollen daraufhin untersucht werden, ob die jeweilige Gestaltung von Unterrichtsgesprächen in ihrer fachspezifischen

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Die Forschungsmethoden des Projekts 73

Ausprägung Schülermitbeteiligung verhindert, unterbricht, unterstützt oder überhaupt erst ermöglicht. Im Gegensatz etwa zu H. Geisner (1975, S. 63) und M. Beck (1994, S. 12) gehen wir dabei nicht von einer Matrix vorhande­ner Gesprächsformen aus. Wir versuchen jedoch, über die Analyse der sprachlichen Handlungen (Sprechakte) der Beteiligten die in Teil 1 darge­stellten fachdidaktischen Stufenschemata zu applizieren.

Klassische Probleme der Aufzeichnung beobachteter Sachverhalte bei der teilnehmenden Beobachtung, z.B. Informationsverlust und -verzerrung beim nachträglichen Anfertigen von Beobachtungsprotokollen, entfallen im vorliegenden Projekt dank Videographierung und Tonbandaufnahmen. Wir wissen aber auch, daß die Videographierung als Aufzeichungsverfahren in der qualitativen Forschung relativ selten Verwendung fmdet, weil die durch das Medium verursachten Verzerrungseffekte als zu groß eingeschätzt wer­den. Daher bemerkt Lamnek (1995, S. 301) einschränkend: "Ideale Auf­zeichnungsmethoden wären Videofilme und Tonbandprotokolle, wenn sie die Feldsituation nicht über Gebühr beeinflussen und/oder störend wirken". Wir haben oben dargelegt, wie wir mit dieser Feldstörung produktiv umgehen können. Der Verzerrungseffekt durch die Videographierung besteht zumeist in einer Verstärkung dessen, was die Akteure, Lehrer und Schüler, unter Schülermitbeteiligung verstehen.

Die Videographierung ist ein Verfahren, das den komplexen, ganzheitli­chen Zugriff auf die Unterrichtsstunden mit Einschränkungen auch noch längere Zeit nach ihrem Ablauf gestattet. Als Fazit bezüglich der Qualität unseres Datenerhebungsinstruments ergibt sich der folgende Positiv-Negativ­Katalog:

• Videoaufnahmen ermöglichen die nachträgliche Konfrontation von Leh­rern, Schülern und Schülerinnen mit ihren eigenen unterrichtlichen Handlun­gen.

• Videoaufnahmen gestatten die Berücksichtigung nonverbaler Kommuni­kation und die gezielte Beobachtung individueller Handlungen von Lehrern und Schülern und können somit im Rückgriff unterstützend zur Erhellung unklar gebliebener Deutungen beitragen.

• Aus pragmalinguistischer Sicht liegt ein Vorteil der Videographierung in der Aufzeichnung sowohl der sprachlichen als auch der außersprachlichen Momente und der im weitesten Sinne die Kommunikation bedingenden Si­tuationalität.

• Die Forschergruppe kann das selbe Material mehrfach bearbeiten, was einen multiperspektivischen Zugang ermöglicht.

• Videoaufnahmen dienen der Rückversicherung im Forschungsprozeß. Untersuchungen zum Unterricht auf interaktionistischer Basis haben gezeigt, daß im komplexen Ablauf einer Stunde Forschern und Lehrern wesentliche

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Geschehnisse verborgen bleiben (vgl. Zinnecker 1975). Während z.B. For­scher den Hauptstrang des Unterrichtes (die Hauptbühne) verfolgen, spielen sich auf Nebenbühnen nicht minder bedeutsame Ereignisse ab. Eine video­graphierte Stunde ermöglicht also die probeweise Verschiebung der Auf­merksamkeit auf Phasen und Situationen unter Reduktion des Zeitdruckes und des Situationsdruckes (vgl. Ulrich/Buck 1993, S. 205).

Folgende Fehlerquellen können zu Verzerrungen der Untersuchungsergeb­nisse führen:

• Kameras können beträchtliche interventionistische Effekte verursachen, da ihr Einsatz für die Beteiligten den Charakter des OffIziellen und des Dau­erhaften der Datenerhebung deutlich macht. Eine Beeinflussung des Unter­richts durch die eingesetzten Kameras ist von den Schülern in den Interviews artikuliert worden, der interventionistische Effekt nimmt jedoch nach etwa vier bis rtinf Unterrichtsstunden ab, die Kameras werden quasi zu einem alltäglichen Bestandteil des Klassenzimmers. Die Aufnahme von längeren Unterrichtsreihen als Dokurnentierung des Unterrichtskontinuums ist deshalb auch aus forschungspragmatischen Gesichtspunkten von entscheidender Bedeutung und in der Hauptphase vorgesehen.

• Ereignisse vor und nach der Unterrichtsstunde, die für das Verständnis einzelner Unterrichtsstunden bzw. -sequenzen wichtig sein können, werden durch die Kameras nicht erfaßt. Kameras ersetzen deshalb nicht die Anwe­senheit der Forscher vor Ort. Eine ergänzende Beobachtung der Akteure durch die Forscher und die Anfertigung von Feldprotokollen bleiben unab­dingbar, da diese Aufzeichnungen bei abweichenden Interpretationen durch die Mitglieder der Arbeitsgruppe als Korrektiv wirken können.

Wir haben in der Pilotphase zwei stationäre Kameras eingesetzt. Die Kame­ras erfaßten jeweils die Perspektive der Lehrenden bzw. der Lernenden. Der Fokus der Kameras wurde während der Stunden nicht verändert. Eine Aus­nahme bildete die Gruppenarbeit im Unterricht, bei der der Fokus der Leh­rerkamera auf eine Lerngruppe gerichtet wurde. Die Aufnahmen der beiden Kameras wurden später ineinander geschnitten. Dieser Zusammenschnitt diente zusammen mit der transkribierten Tonaufnahme und den Feldproto­kollen als Interpretationsgrundlage. Die Aufnahme der Unterrichtsstunden mittels zweier Videokameras hat den Vorteil, das komplexe Geschehen einer Unterrichtsstunde mehr oder weniger "ganzheitlich" erfassen zu können. Selbstverständlich können zwei Kameras immer nur eine Gesamtsicht des Klassemaumes leisten und nicht jede spezielle Interaktion dokumentieren. Dennoch bietet dieses Verfahren gegenüber der "klassischen" teilnehmenden Beobachtung den Vorteil, Geschehnisse im Klassemaum nachträglich identi­flZieren zu können, die dem teilnehmenden Forscher entgangen sind. Bei Verwendung von Aufzeichnungsgeräten handelt es sich also gewissermaßen

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Die Forschungsmethoden des Projekts 75

um eine direkt-indirekte Form der Beobachtung, direkt insofern, als die For­scher im Feld konkret anwesend sind, indirekt in der Hinsicht, daß die Inter­pretation erst nachträglich anhand der videographierten Daten erfolgt, wenn­gleich die Eindrücke des erlebten Unterrichts diese nachträgliche Interpreta­tion "färben".

Die Auswertung des einzelnen Videos wurde in drei Schritten vorge­nommen. Zunächst wurden die Positionierung der dokumentierten Stunde in der Unterrichtsreihe und die methodische und inhaltliche Struktur anhand eines Verlaufsplanes herausgearbeitet, der die Kriterien Zeit-Management, (jach-)inhaltliche Schwerpunkte, prozessuale Merkmale der Unterrichtsge­staltung, Interaktionsmerkmale und Schülermitbeteiligung berücksichtigte. Die auf grund dieser ersten Analyse gewonnenen Fragestellungen bezüglich der Gestaltung der Schülermitbeteiligung boten die Möglichkeit, in der Kon­frontation der Beteiligten mit Ausschnitten des Videos gezielte Nachfragen zu stellen. Um eine relative Vergleichbarkeit der Sequenzen zwischen den Fächern und Schulen zu sichern, wurden jeweils der Beginn der ausgewähl­ten Unterrichtsstunde sowie eine oder zwei aufschlußreiche nachfolgende Sequenzen untersucht. Die Sequenzen wurden einer Analyse im Hinblick auf die Ermöglichung oder Verhinderung von Schülermitbeteiligung unterzogen.

Nachdem wir im Rahmen der Diskussion der Videographierung schon mehrmals auf die weiteren Datenerhebungen eingegangen sind, stellen wir nun die von uns durchgefiihrten Lehrerinterviews und die Gruppendiskussio­nen mit Schülerinnen und Schülern in ihrer methodischen Qualität dar.

2.2.3 Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern

In der Literatur über qualitative Forschungsmethoden wird dem Verfahren des Interviews als "kooperativer Form der Datenerzeugung im Forschungs­prozeß" (Terhart 1997, S. 35) eine große Beachtung zuteil. Abhängig von der Form des Interviews werden als wichtige Punkte Offenheit, Kommuni­kativität und Naturalizität des Verfahrens genannt. Das Interview eignet sich besonders zur Ermittlung von Zusammenhängen sozialer Realität, zur Erfas­sung der Bedeutungszuschreibungen von Handlungen und Sinngebungen durch die Befragten, die die zugrunde liegende Alltagssituation erlebt haben und deren Deutungsmuster relevant sind (Lamnek 1995).

Wenn es sich um Interviews handelt, die einen offenen, vom Befragten selbst zu strukturierenden Raum eröffnen, wird angenommen, daß der Be­fragte die fiir ihn bedeutenden Sachverhalte äußern wird. So werden die Be­fragten in narrativen Interviews durch die Aufforderung zum Erzählen zur Rekonstruktion früheren Erlebens und Handelns angeregt (vgl. Lamnek 1995, S. 74). In unserem Projekt geht es jedoch darum, daß sich die Befragten zu Themen äußern, die uns, den Interviewern, als wichtig erscheinen. Wir müs­sen sie also dazu bringen, zu den von uns identifizierten Problembereichen

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Stellung zu nehmen. Dementsprechend verknüpfen wir zwei verschiedene Interviewverfahren, das problemzentrierte und das fokussierte Interview, was nachfolgend näher erläutert sei.

Das fokussierte Interview (Flick u.a. 1991, S. 179) hat das Ziel, die sub­jektiven Erfahrungen der befragten Personen in früher erlebten Situationen zu erfassen. Die vom Forscher auf der Basis der Beobachtung entwickelten und formulierten Hypothesen über relevante Elemente der Situation - in unserer Untersuchung ist das immer eine Unterrichtssituation - sollen mit den Deu­tungen der Befragten verglichen werden. Das fokussierte Interview geht des­halb von der ausgewählten Unterrichtssequenz als Stimulus aus, die der Leh­rer/die Lehrerin zunächst beschreiben, dann kommentieren und deuten soll. Dies soll sicherstellen, daß seine/ihre subjektiven Deutungen in bezug auf Fragen der Schülermitbeteiligung konkret auf die erlebte Unterrichtssequenz fokussiert werden und mit den Deutungen der Schüler verglichen werden können, denen derselbe Stimulus in der Gruppendiskussion präsentiert wird. So können von den Forschern zuvor anband der ausgewählten Unterrichtsse­quenz entwickelte Hypothesen über die Sinnkonstitution der Akteure mit den Deutungen des Lehrers/der Lehrerin verglichen werden. Angemerkt sei, daß durch die Fokussierung auf eine Unterrichtssequenz bewußt ein großer Teil anderer den Unterricht betreffender Themen ausgeklammert wird. Dies ist jedoch notwendig, um die Komplexität zu reduzieren und vergleichbare Er­gebnisse zu erhalten.

Im problemzentrierten Interview (Witzel 1982) wird im Vergleich zum fokussierten Interview die Bedeutungsstrukturierung der sozialen Wirklich­keit weitgehend dem Befragten überlassen, sein Spielraum in der Inter­viewsituation ist größer. Dabei kann dem Forscher ein Leitfaden als Ge­dächtnisstütze und Orientierungsrahmen dienen, der Interviewer darf aber Problembereiche, die der Interviewte einbringt, nicht abblocken (vgl. Lamnek 1995, S. 74 ff.). Das Verfahren von Witzel paßt zu unserem Untersuchungs­design, da es dem Forscher erlaubt, ein theoretisches Konzept einzubringen, das im Laufe der Interviews erweitert und korrigiert werden kann. Als Befra­gungsmethode ist das problemzentrierte Interview also eine auf einen einge­grenzten Gegenstand bezogene und dabei weitgehend offene Form des Inter­views, bei der der Gegenstand in starkem Maße durch den Befragten selbst generiert wird. In unserem Projekt sollen auf diese Weise das pädagogische Selbstverständnis und das generelle Verständnis von Schülermitbeteiligung erfaßt werden. Hierdurch sollen der Stellenwert und die Realisierungschan­cen, die der Lehrer der Schülermitbeteiligung in den dokumentierten Stunden retrospektiv zumißt, ermittelt werden. Der Lehrer erhält die Möglichkeit, rur ihn wichtige Sachverhalte zu thematisieren, die den Erkenntnishorizont der Forscher erweitern können.

Wenn wir in unseren Interviews die Fokussierung und die Problemzen­trierung im erläuterten Sinne kombinieren, dann erhoffen wir uns von diesem

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"Hybridverfahren", daß wir zum einen die Lehrer dazu bringen können, auch dann Stellung zu nehmen, wenn sie dies von sich aus lieber venneiden wür­den. Wir erwarten zum anderen, daß die Lehrer uns Facetten von Schüler­mitbeteiligung beschreiben, die wir in diesen speziellen Varianten noch nicht entdeckt haben. Ein weiterer Vorteil dieser Erhebungsmethode liegt in der relativen Offenheit der Interviewsituation, die es den Forschern erlaubt, ihre theoretischen Fragestellungen einzubringen, diese gegebenenfalls zu korri­gieren oder neue Hypothesen zu generieren.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß durch die Kombination von fo­kussiertem und problemzentriertem Interview Datenmaterial, das für die Forschungsfrage relevant ist, erhoben werden soll, um in der später folgenden Triangulation auch vergleichbare thematische Daten miteinander in Be­ziehung setzen zu können, d.h., die subjektiven Deutungen der Lehrer lassen sich mit den Hypothesen der Forscher über die Sinnkonstitution der Akteure bezüglich der erlebten Unterrichtssequenz vergleichen.

Das Interview läßt sich bezüglich der Gegenstandskonstitution auf folgende Punkte konzentrieren:

• Es liefert Beschreibungen und Deutungen der Unterrichtssequenz durch den Lehrer unter dem Aspekt von Schülennitbeteiligung,

• es ennöglicht die Ennittlung des pädagogischen Selbstverständnisses des Lehrers und seines generellen Verständnisses von Schülerrnitbeteiligung und

• es erlaubt die Bestimmung von Sachverhalten, die der Lehrer anspricht und die über die konkrete Fragestellung hinausgehen.

In der Pilotphase konnten wir für die Englisch- und Geschichtsstunde, nicht aber für die Chemiestunde ein Lehrerinterview durchfiihren. Den Lehrern wurden ausgewählte Videopassagen (von den Forschern ennittelte Schlüssel­stellen fiir realisierte oder verhinderte Schülerrnitbeteiligung) präsentiert. Anschließend wurden die Lehrer aufgefordert, diese Passagen zu beschreiben und zu kommentieren, möglichst mit Bezug auf das Gesamtkonzept der Stunde und der Unterrichtsreihe. In einem zweiten Teil wurde nach dem Verständnis von Schülerrnitbeteiligung gefragt, und es wurde ennittelt, wel­chen Stellenwert und welche Realisierungschancen die Lehrer der Schüler­mitbeteiligung in den dokumentierten Stunden retrospektiv zumessen.

Den Interviews lag ein Leitfaden zugrunde, der auf der Grundlage eines allgemeinen Rasters fiir das jeweilige Interview im Detail variiert wurde. Die Interviews dauerten durchschnittlich etwa 60 Minuten. Sie wurden auf Ton­band mitgeschnitten und transkribiert. Zusätzlich fertigte der Interviewer ein Gedächtnisprotokoll an, das die Interviewsituation beschrieb und wichtige erste Eindrücke festhielt.

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Die Datenauswertung der Interviews erfolgte als qualitative, inhaltlich-re­duktive Analyse mit anschließender Interpretation (nach Lamnek 1995, S. 107) in folgenden Stufen:

• Transkription: Der Interviewtext wurde transkribiert, relevante nonver­bale Elemente (z. B. auffällige Pausen, Veränderungen in der Sprechweise, nonverbale Handlungen und Signale der Interviewpartner) wurden ausgewie­sen. Unverständliche Stellen wurden dabei, soweit möglich, durch Kontext­analysen geklärt (vgl. Mayring 1988, S. 53ff.).

• Einzelanalyse: Zunächst wurde der Interviewtext in größere Analyseein­heiten hinsichtlich der angesprochenen Themenkomplexe gegliedert. Durch die Aussonderung von Nebensächlichkeiten und durch Zusammenfassung wurde das Material in einem nächsten Schritt zusammenfassend beschrieben. Die mit Bezug auf Schülermitbeteiligung relevanten Teile des Interviews wurden analysiert und interpretiert.

• Generalisierende Analyse: Beschrieben wurde die "innere Struktur" der Deutungen der Befragten unter dem Blickwinkel der Förderung und Behin­derung der Schülermitbeteiligung.

• Kontrollphase: Die vorliegenden Analysen und Interpretationen wurden mit dem originalen Interviewtext verglichen, in der Forschergruppe diskutiert und gegebenenfalls modiftziert.

Der Kontrollphase kommt im Auswertungsprozeß besonderes Gewicht zu. Den positiven Effekten in der Erhebungsphase - vor allem der Offenheit für Einflüsse aus dem empirischen Feld - stehen die Reduktion, Deutung und Interpretation der Daten durch die Forscher gegenüber. Durch Dokumenta­tion des "Rohmaterials", Konsensverfahren der Interpretation, durch Offen­legung der Vorgehensweise und der Einzelschritte der Auswertung in der Kontrollphase kann eine "Objektivierung" erzielt werden, die aber im defi­nierten Sinne immer Konstruktion bleibt.

2.2.4 Gruppendiskussion mit Schülerinnen und Schülern

Die Methode der Gruppendiskussion fristet nach Lamnek (1995) im wissen­schaftlichen Bereich ein Schattendasein und ist methodisch-theoretisch bis­lang nur zaghaft ausgebaut worden. Die Gruppendiskussion ist eng mit der Methode der Befragung verwandt, wurde in Kritik an der standardisierten Einzelbefragung entwickelt und ist im Vergleich zu anderen Verfahren jün­geren Datums. Häufig wird sie komplementär zu anderen qualitativen Me­thoden eingesetzt. "Allgemein kann man die Gruppendiskussion als Ge­spräch einer Gruppe von Untersuchungspersonen zu einem bestimmten The-

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Die Forschungsmethoden des Projekts 79

ma unter Laborbedingungen auffassen" (Lamnek 1995, S. 131, Hervorh. im Orig.).

Die Gruppendiskussion dient der Erkundung von Meinungen und Ein­stellungen der einzelnen Teilnehmer sowie der Meinungen und Einstellungen der ganzen Gruppe. In der Dynamik einer angeregten Diskussion werden affektive und emotionale Elemente leichter als beispielsweise in Einzelbefra­gungen geäußert. Andererseits muß man aber auch beachten, daß sich in der Diskussion mit Personen, die einander gut kennen, Beziehungsrituale ausbil­den, die zur Dominanz herrschender und zur Unterdrückung abweichender Meinungen fUhren. Da die Gruppendiskussion eine der Alltagskommunika­tion sehr ähnliche Befragungsform darstellt, bildet sie nach unserer Einschät­zung dennoch eine gute Voraussetzung für die Erforschung sozialer Konsti­tutionsprozesse von Einstellungen, Deutungs- und Handlungsmustern (vgl. Lamnek 1995, S. 144). So betrachtet ist es auch förderlich, daß es sich bei der Diskussionsgruppe um eine Realgruppe handelt und daß die Gruppe von der Diskussionsthematik unmittelbar betroffen ist.

In unserem Projekt läßt sich eine besonders hohe Affinität zwischen Real- und Diskussionssituation konstatieren, denn eine Schulklasse entspricht gut den genannten Anforderungen. Sie existiert als Realgruppe und ist von der Untersuchungsfragestellung betroffen. Deshalb ist ein weitreichender Transfer der Ergebnisse in die Realsituation möglich (vgl. Lamnek 1995, S. 145).

Im Projektrahmen haben wir durch die Gruppendiskussion - ausgehend vom Stimulus der ausgewählten Unterrichtssequenz - eine Diskussion über die Beteiligung der Schüler am Unterricht initiiert, um die subjektiven Deu­tungen der Schüler hinsichtlich vorhandener und nicht vorhandener Aspekte der Förderung von Schülermitbeteiligung im Unterricht zu ermitteln. Dabei interessierten wir uns weniger für die Klassenmeinung als vielmehr für die durchaus unterschiedlichen Auffassungen der Schüler.

Voraussetzung für die verläßliche Datenerhebung ist, daß die Schüler aktiv an der Diskussion teilnehmen und nicht nur zuhören. Ein Problem be­steht deshalb ohne Frage in der großen Teilnehmerzahl. Wir haben jeweils die Diskussion der ganzen Kursgruppe aufgezeichnet und kommen so zu einer erheblich größeren Gruppen, als es normalerweise in Gruppendiskus­sionen der Fall ist.

Die Vorteile des Gruppendiskussionsverfahrens liegen im Vergleich zu Einzelinterviews in der entspannteren Atmosphäre der Untersuchungssitua­tion - im Falle der Schulklasse handelt es sich um eine natürliche Zusam­mensetzung der Teilnehmer, unabhängig von der Erhebungssituation -, die die Mitarbeit der Teilnehmer erhöhen kann und zu Spontanäußerungen füh­ren soll. Dabei kann angenommen werden, daß für die Teilnehmer bedeutsa­me Sachverhalte thematisiert werden, die eventuell auch Aspekte beinhalten, die in der Forschungsfragestellung noch nicht berücksichtigt sind. Die Offen-

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heit kann aber gleichzeitig dazu fiihren, daß Meinungen nicht gebildet und nicht ausgesprochen werden, da individuelle Meinungen durch die Gruppen­meinung beeinflußt werden können. Dies gilt ebenso fiir den Effekt einer Dopplung von Unterricht und Gruppendiskussion, bei der die Schüler sich in der Gruppendiskussion so verhalten wie im Unterricht, z.B. aktiv oder passiv, kooperativ oder desinteressiert. Dieser Nachteil des Verfahrens läßt sich mit gezielten Fragen, die auf die Reflexion von Unterricht zielen, verringern. Ausgehend vom Videostimulus war es unser Ziel, die Teilnehmer zu einer Diskussion über die betreffende Thematik zu veranlassen, und zwar unterein­ander und nicht im Zwiegespräch mit dem Diskussionsleiter. Im günstigsten Fall fungiert der Leiter also als Moderator, der sich selbst weitestgehend zurücknimmt. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Diskussion vor allzu großen Abschweifungen vom Thema zu bewahren und auf zentrale Themen­komplexe zu achten. Dabei sind nach unserer Einschätzung gruppendynami­sche Prozesse, sofern diese eine Rolle bezüglich der Fragestellung spielen, gut zu verfolgen.

Bei der Befragung der Schüler haben wir das Gruppendiskussionsverfah­ren eingesetzt, weil es sich aus folgenden Gründen zur Erhebung der Schü­lerperspektive auf Unterricht eignet:

• Eine Schulklasse entspricht den von Nießen (1977) geforderten Bedin­gungen einer Diskussionsgruppe, deren Mitglieder von den Diskussionsge­genständen unmittelbar betroffen sind. Auch wenn die Gruppengröße eines Kurses der Oberstufe deutlich größer als die in der Literatur angegebene Normgröße von 4 bis 8 Teilnehmern ist, halten wir die Kursgröße (12-25 Personen) fiir vertretbar; denn sie besteht auch unabhängig von der Diskussi­on als Realgruppe. Eine Auswahl von Schülern aufgrund des vorliegenden Videomaterials halten wir tUr problematisch, da eine begründete Auswahl nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung kaum möglich ist.

• Die Befragungsform bietet den Teilnehmern einen gewissen Schutzraum, da sie sich unter ihresgleichen (peers) und innerhalb eines gewohnten Raums bewegen. Diese Atmosphäre setzt die Hemmschwelle, überhaupt etwas zu sagen, herab. Eine Gruppendiskussion ist eine der Alltagskommunikation nahekommende Befragungsform. Eine "verteidigend-rechtfertigende" Atmo­sphäre, wie sie in einer ,,normalen" Interviewsituation gegenüber Fremden auftreten kann, läßt sich so eher vermeiden. Gleichwohl müssen die Gefahren der Unterdrückung abweichender Meinungen und nicht geäußerter Meinun­gen zurückhaltender Schüler in Rechnung gestellt werden. Wir sind uns be­wußt, daß die Möglichkeit besteht, daß die Schüler, die in den videogra­phierten Stunden geschwiegen haben, sich auch in der Gruppendiskussion rezeptiv verhalten. Wir haben versucht, diese Verdoppelung der Randstän­digkeit durch gezielte Fragen an eher zurückhaltende Schüler zu mildem.

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• Der Verlauf der Diskussion läßt Rückschlüsse auf das Klassen- und Lernklirna zu. Wir hoffen, durch die Gruppendiskussion auch Aspekte zu erfahren, die wir in der Aufstellung der Beobachtungsschwerpunkte fiir die Unterrichtsstunden noch nicht im Blick haben konnten.

Die Gruppendiskussionen wurden in einer Unterrichtsstunde ohne Anwesen­heit des Lehrers durchgefiihrt und dauerten ca. 45 bis 60 Minuten. Sie wur­den mittels Tonbandaufnahmen dokumentiert. Von besonderem Interesse war dabei, wieweit sich Lehrer- und Schülermeinungen zum gemeinsam erlebten Unterricht entsprachen oder widersprachen. Hierzu war es am günstigsten, wenn die Lehrer nicht an der Gruppendiskussion teilnahmen. Wir haben in der Feldphase feststellen können, daß die Abwesenheit der Lehrerinnen und Lehrer fiir einige der Lehrenden eine problematische Bedingung darstellte, der sie nur ungern zustimmen wollten.

Die Diskussionsrunde mit den Schülerinnen und Schülern wurde jeweils von drei Mitarbeitern des Projekts gestaltet, einem Moderator, einem Ver­antwortlichen fiir die Technik und einem Beobachter. Zu Beginn der Diskus­sionsrunde gab der Moderator eine kurze Erläuterung über den Sinn und Zweck der Diskussion. Eine offene Gruppierung der Schüler (z.B. im Halb­kreis) sollte eine "gelockerte" Atmosphäre schaffen.

Vor Beginn der Diskussion wurde den Schülern eine Videosequenz in der Länge von 5-8 Minuten gezeigt, die wir zuvor unter dem Fokus der Schülermitbeteiligung aus einer der videographierten Unterrichtsstunden ausgewählt hatten und die auch dem unterrichtenden Lehrer gezeigt wurde. Daran anschließend sollte die Diskussion - ausgehend von spontanen Schü­leräußerungen zum Video oder durch eine knappe, einfache Frage seitens des Moderators zum videographierten Unterricht - beginnen. Dabei achtete der Moderator darauf, daß zentrale Fragenkomplexe angesprochen wurden, ohne daß dadurch die Gruppendynamik litt. Ein Interviewleitfaden erleichterte die Thematisierung entscheidender Aspekte der Schülerrnitbeteiligung.

Die Schülergruppendiskussion läßt sich bezüglich der Gegenstandskon­stitution auf folgende Punkte konzentrieren:

• auf die Erfassung der subjektiven Deutungen der Schüler bezüglich schülermitbeteiligungsfOrdemder bzw. -behindernder Aspekte des er­lebten Unterrichts,

• auf die Ermittlung des generellen Verständnisses der Schüler von Schü-lermitbeteiligung, und

• auf die Erfassung anderer fiir die Schüler wichtiger Themen.

Die Auswertung der Gruppendiskussionen wurde auf der Basis der Tran­skriptionen in analoger Form zu dem Auswertungsverfahren bei den Inter­views durchgeführt.

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Eine wichtige Frage ist die nach der Nützlichkeit der Gruppendiskussion rur die Methodentriangulation: "Die Gruppendiskussion wird in der Metho­dentriangulation vor allem mit der Beobachtung und mit dem Einzelinterview kombiniert" (Lamnek 1995, S. 168). Über die Häufigkeit dieser Anwendung konstatiert Lamnek: "Eine Methodentriangulation, bei der die Gruppendis­kussion mit anderen naturalistisch-kommunikativen Verfahren kombiniert wird, kommt in der Forschungspraxis selten vor. Auch in der theoretischen Diskussion sind nur wenige Ansätze erarbeitet" (Lamnek 1995, S.170). Wir bewegen uns insofern in unserem Projekt in methodischem Neuland.

Die Gruppendiskussion als Methode zur Rekonstruktion von Schülermit­beteiligung aus Sicht der Schüler ermöglicht zusammen mit den Methoden der Unterrichtsbeobachtung und des Lehrerinterviews einen dreifachen Zu­griff auf das Thema Schülermitbeteiligung. Die nun vorzunehmende Trian­gulation erlaubt den Vergleich der subjektiven Deutungen des Lehrers, der Schüler und der aus Forscherperspektive interpretierten Sinnkonstitution der Stunde bzw. der Unterrichtssequenz bezogen auf das Thema Schülermitbe­teiligung. Wir kommen deshalb jetzt abschließend wieder auf das methodi­sche Problem der Triangulation zurück.

2.2.5 Triangulation

Der Begriff der Triangulation stammt aus dem geographischen und militäri­schen Wortschatz und wird z.B. in der Navigation verwandt. Triangulation bedeutet, daß man mittels multipler Bezugspunkte die genaue Position eines Objektes bestimmen kann. Methodisch betrachtet liegt der Triangulation also die Annahme zu Grunde, durch die Anwendung verschiedener Methoden eine größere Erkenntnisgenauigkeit bezüglich eines defmierten Forschungs­gegenstandes zu erlangen. Die Forschergruppe nähert sich gewissermaßen aus unterschiedlichen Perspektiven dem Untersuchungsgegenstand und fUhrt die Interpretationsergebnisse anschließend zusammen und vergleicht sie.

Im Schaubild:

Sinnstruktur der Unterrichtssituation aus der Forscherperspektive

Subjektive Deutungen des Lehrers

Schü[ermitbetei[igung

Subjektive Deutungen der Schüler

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Durch den unterbrochenen Kreis soll deutlich werden, daß zwar primär die Deutungen der Akteure im Hinblick auf die Interaktionen in der Unterrichts­sequenz unter der Thematik der Schülennitbeteiligung im Zentrum des Inter­esses stehen, die jeweiligen Deutungen jedoch in der Regel über die Sequenz hinausgehen und sich auch auf andere Themen im Unterricht erstrecken.

Die Triangulation findet in jüngster Zeit u.a. im Bereich der Jugendfor­schung Verwendung. In auf die Familie bezogenen Studien werden dabei neben den Jugendlichen auch deren Väter und Mütter befragt. In den Shell­Jugendstudien werden seit 1981 neben den quantitativen Umfragen ver­suchsweise qualitative Intensivstudien integriert. Heppner u.a. (1990) ver­wenden z.B. eine Kombination qualitativer Methoden (offene Befragungs­verfahren und teilnehmende Beobachtung), um die Einstellung und Wahr­nehmung von Schülerinnen und Schülern bei der Einführung des Computers in den Schulunterricht zu erfassen.

In der Forschungsliteratur fmdet sich die Erörterung der Triangulation im Bereich der Diskussion über verschiedene Strategien der Absicherung von Daten und Ergebnissen bei der Anwendung qualitativ-interpretativer Verfah­ren. Im Vordergrund steht dabei, wie sich die Reproduzierbarkeit und der Nachvollzug der Interpretation erhobener Daten im Forschungsprozeß ge­währleisten lassen. Triangulation wird dabei als gegenstandsangemessene Strategie der Fundierung und Geltungsbegründung qualitativer Daten und Interpretationen verstanden (vgl. Flick 1992). Wir können feststellen, daß die Triangulation in der forschungsmethodischen Diskussion zunehmend an Bedeutung gewinnt, besonders im Hinblick auf die Kombination von quan­titativen und qualitativen Forschungsmethoden. In der vorliegenden Untersu­chung wird die Triangulation als Verfahren der Kombination mehrerer qua­litativer Erhebungsmethoden (Methoden triangulation) genutzt.

Die Ideengeschichte der Triangulation läßt sich etwa 30 Jahre zurückver­folgen. Der Begriff wurde von Campell/Fiske (1959) bzw. Webb et al. (1966) in die Methodendiskussion eingeführt. Dabei stand die Frage im Vorder­grund, wie durch die Kombination unterschiedlicher Meßverfahren und Me­thoden der Verfälschung von Untersuchungsgegenständen durch reaktive Er­hebungsinstrumente vorzubeugen sei. In die Diskussion über qualitative Methoden wurde der Begriff von Denzin (1978) eingeführt. Er schreibt:

"Because each method reveals different aspects of empirical reality, multiple methods must be employed. This is termed triangulation" (Denzin 1978, S. 28).

Denzin spricht hier den zentralen Aspekt der Perspektivenabhängigkeit der Gegenstandserfassung an, um den sich im weiteren Verlauf die Diskussion über die Reichweite der Triangulation drehen wird. In einem kurzen Über­blick werden deshalb im folgenden die von Denzin dargestellten "klassi­schen" Formen der Triangulation aufgeführt, weil sie einen guten Überblick

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darüber geben, was in der wissenschaftlichen Diskussion unter dem Begriff "Triangulation" gefaßt wird.

Denzin (1978) unterscheidet vier verschiedene Formen der Triangulation:

• Die Daten-Triangulation oder thematische Triangulation (Data-Trian­gulation): Hier geht es um die Kombination verschiedener Datenquellen unter einer gemeinsamen Perspektive. So kann es sich zum Beispiel um Daten handeln, die mit derselben Methode an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten erhoben wurden. Ziel ist, unterschiedli­ches Datenmaterial zu kombinieren, um eine Forschungsfrage zu bear­beiten.

• Die Forscher-Triangulation (Investigator-Triangulation): Hier werden unterschiedliche Personen in den Erhebungsprozeß und/oder die Daten­auswertung einbezogen, um subjektivistische Störeinflüsse der beteilig­ten Forscher gegeneinander abzuwägen, zu kontrollieren und systema­tisch zu vergleichen.

• Die Theorien-Triangulation: Hierunter wird die Annäherung an einen Forschungsgegenstand, "ausgehend von verschiedenen Perspektiven und Hypothesen", verstanden (Denzin 1978, S. 297). Dies spielt besonders im Hinblick auf die Datenauswertung eine Rolle. In der qualitativen For­schung lassen sich Auswertungsverfahren danach differenzieren, wie stark sie das empirische Material im Rahmen vorgegebener Theorien diskutieren oder inwieweit sie anband des Materials theoriegenerierend wirken. Die Auslegung von Daten in unterschiedlichen Theoriekontexten soll Aufschluß über die Angemessenbeit einer Interpretation geben.

• Die Methodentriangulation als Denzins zentrales Konzept fmdet in unse­rem Projekt Verwendung und wird daher im weiteren ausfiihrlicher be­handelt. Denzin unterscheidet zwei Untertypen: Die Triangulation inner­halb einer Methode ("within-method") und zwischen verschiedenen Methoden ("between-method"). Als Beispiel fiir den ersten Untertyp wird die Verwendung verschiedener, auf einen Sachverhalt zielender Subskalen innerhalb eines Fragebogens genannt. Beim zweiten Untertyp geht es um die Kombination verschiedener Methoden zur Begrenzung ihrer Reaktivität. Hierfür kann unsere Untersuchung als Beispiel dienen.

Unter Reaktivität versteht man die Beeinflussung der Daten durch das Setting der Datenerhebung, d.h. durch die Art und Weise der Datenerhebung. Im Falle des Interviews als Erhebungsmethode läßt es sich zum Beispiel nicht vermeiden, daß der Informant weiß, daß seine Aussagen Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung sein werden. Vorabinformation des For­schers bezüglich der Verwendung der erhobenen Daten ist aber vorauszuset­zende Redlichkeit im Forschungsprozeß. Das Wissen der Informanten über

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die Verwendung der Daten kann also zu verzerrenden Effekten führen. Im vorliegenden Fall wird es z.B. einen Unterschied machen, ob ein Lehrer mit einem Kollegen in der Pause über eine zurückliegende Stunde spricht oder ob er mit einem Forscher in einem fokussierten Interview darüber spricht. Die Verzerrungseffekte müssen nicht notwendigerweise eintreten, können jedoch zu Schwierigkeiten bei der Sicherung der Gültigkeit führen. Ein weiterer reaktiver Aspekt besteht im Bewußtsein des Befragten, daß seine Aussagen forschungsrelevant sind, und in der Neigung zu sozial erwünschten Aussa­gen. Dies hängt unter anderem mit der Asymmetrie der Beziehung zwischen Forscher und Informant zusammen, die sich nie ganz ausschalten läßt. Durch Aufklärung (Präambeleffekte ) läßt sich die "Künstlichkeit" der Befragungs­situation reduzieren. Ganz zu vermeiden ist die sozial herausgehobene Situa­tion des Interviews aber natürlich nicht.

Denzins Auffassung wird vor allem hinsichtlich der Frage der Möglich­keiten und Grenzen dieses Verfahrens kritisch diskutiert. Im Mittelpunkt steht dabei das Problem, ob Triangulation zur Validierung von Forschungs­ergebnissen dienen oder als eine Alternative dazu betrachtet werden kann. Den Ausgangspunkt dieser Diskussion stellt das Konzept der Metho­dentriangulation nach Denzin dar, dessen Ziel die Maximierung der Validität von Feldforschung durch einen komplexen Prozeß des Gegeneinander-Aus­spielens jeder Methode gegen die andere ist (Denzin 1978, S. 304). Validität im qualitativen Kontext, besser die "Validität von Interpretationen", läßt sich auf drei Ebenen beschreiben:

• Auf der höchsten Stufe versteht man unter Validität den "Wahrheitsge­halt" von Aussagen qualitativer Forschung, was wahrheitstheoretisch der Korrespondenztheorie entspricht. Dahinter steht der Gedanke, daß durch sorgfaltige Interpretation die in einem Forschungsgegenstand liegende "objektive" Wirklichkeit enthüllt werden kann (vgl. Terhart 1995). Wir lassen in unserem Forschungsprojekt die Frage offen, ob es eine solche höchste Stufe der Validierung geben kann.

• Auf einer mittleren Ebene wird Validität im Modus der Geltungs­begründung verstanden. "Dies impliziert, daß die Beweisführung für die Triftigkeit von Interpretationen von den methodischen Operationen ab­hängig ist, mit deren Hilfe Ergebnisse zustande kommen" (Terhart 1995, S. 381). Unabhängig vom Wahrheitsbegriff geht es dabei um das Auf­zeigen überzeugender Gründe dafür, daß ein bestimmtes Resultat als wissenschaftliches Ergebnis gelten kann.

• Auf einer unteren Stufe wird unter Validität die Glaubwürdigkeit von Er­gebnissen verstanden. Validität hängt damit von der psychologischen Verfassung derjenigen ab, die das Ergebnis eben glauben oder nicht (Terhart 1995).

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Wenn im folgenden der Validitätsanspruch Denzins diskutiert wird, liegt dem das Verständnis der höchsten Stufe nach Terharts Einteilung zu Grunde.

Denzin bezeichnet Triangulation als "the combination of methodologies in the study of the same phenomena" (Denzin 1978, S. 291). Diese Kombi­nation kann als Verfahren der Geltungsbegründung qualitativer Daten ver­standen werden und erhält so spezielle Qualität:

"To summarize, methodological triangulation involves a complex process ofplaying each method off against the other so as to maximize the validity of field efforts" (ebd., S. 304).

Durch das Gegeneinander-Ausspielen kann einerseits eine umfassendere und angemessenere Abbildung des untersuchten Gegenstandes erreicht werden, andererseits können die gewonnenen Interpretationen aber auch zur wechsel­seitigen Absicherung bzw. Erhärtung beitragen. Wenn das Resultat der Tri­angulation sich ergänzende Aussagen oder Interpretationen sind, dann läßt sich zumindest ansatzweise die Angemessenheit der jeweiligen Einzelinter­pretation absichern.

Die von Denzin vorgetragene Auffassung, daß mit verschiedenen Me­thoden immer auch derselbe Gegenstand erfaßt werde, die Zusammenfügung der verschiedenen Teilsichten also eine Gesamtsicht ermögliche, wird von Silvermann (1985) kritisiert. Diesem Anspruch hält er die Kritik entgegen, daß Denzin nicht berücksichtige, daß der Gegenstand von jeder Methode verändert werde und die Art und Weise, in der er sich darstelle, durch die Art und Weise (mit-)bestimmt sei, in der er betrachtet werde. Silvermann (1985, S. 21) führt hierzu aus:

"This casts great doubt on the argument that multiple research methods should be em­ployed in a variety of settings in order to gain a 'total' picture of the same phenomenon (e.g. Denzin, 1970). Putting the picture together is more problematic than such proponents of 'triangulation' would imply. What goes on in one setting is not a simple corrective of what happens elsewhere - each must be understood in its own terms".

Wir stimmen der Überlegung zu, daß der Untersuchungsgegenstand nicht nur durch die jeweilig verwendete Untersuchungsmethode konstituiert wird, sondern daß auch die dem jeweiligen Zugang und Geschehen eigene Be­grifflichkeit bei der Herstellung von Bezügen berücksichtigt werden muß. Die Unterstellung einer "Haupt-Wirklichkeit", in deren Begriffen sich alle Ereignisse und Handlungen beurteilen lassen, wird hier also von Silverman in Frage gestellt.

Eine Zusammenfassung der Kritik an Denzin fmdet sich bei Fiel­ding/Fielding (1986, S. 33):

"In other words there is a case for triangulation, but not the one Denzin makes. We should combine methods carefully and purposefully with the intention of adding breadth or depth to our analysis, but not for the purpose ofpursuing "objective" truth".

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FieldinglFielding sehen in der Triangulation nicht einfach eine methodische Alternative, mit der sich bestimmte Ergebnisse über andere Methoden verifi­zieren oder falsifizieren lassen. Sie sehen Triangulation vielmehr als Alter­native zu solchen Validierungsversuchen. Ergebnis ist nicht die Validierung von Aussagen, sondern die zusätzliche Fundierung ("adding breadth or depth") der gewonnenen Erkenntnisse als Anhaltspunkt ihrer Angemessen­heit. Triangulation kann nicht die Validität von Ergebnissen dadurch steigern, daß die eingesetzten Methoden aus verschiedenen theoretischen Traditionen stammen. Die Kombination verschiedener Methoden der Datengewinnung und -verarbeitung führt zu mehr Reichweite und Tiefe, nicht zu mehr Rich­tigkeit.

Die Berechtigung der Kritik von FieldinglFielding wird offenkundig, wenn es um die Frage geht, welchem Ergebnis beispielsweise im Falle eines Widerspruchs der Ergebnisse zweier Methoden der Vorzug gegeben werden soll. Welches Ergebnis soll zur Korrektur des jeweils anderen herangezogen werden? Die Forschergruppe müßte sich zur Beantwortung dieser Frage rur ein Verfahren entscheiden, von dem sie annimmt, daß es validere Daten er­bracht hat. Daraus ergibt sich eine Zirkularität, die darin besteht, daß beim Rückgriff auf eine Methode unter der Prämisse der Validierung einer anderen Methode immer schon unterstellt wird, daß die Kontrollmethode und deren Ergebnis valide sind (vgl. Flick 1992). Aufgrund der Perspektivenabhängig­keit sozialer Phänomene könnte es aber auch den Fall geben, daß zwei Er­gebnisse gleiche Geltung beanspruchen können, obwohl sie sich zunächst offensichtlich widersprechen. "Triangulation als 'Quasi-Korrelation' läuft nun Gefahr, die jeweiligen Implikationen, die eine bestimmte theoretische Ausgangsposition und die entsprechende Methodenanwendung prägen, zu übersehen bzw. zu vernachlässigen" (Flick 1992, S. 18).

Die Kritik von Flick, daß klassische Triangulationsverfahren in legiti­matorischer Absicht mit anderen Mitteln traditionelle Validierungsstrategien realisieren wollen, scheint uns berechtigt. Gegen seine Position wird aller­dings angeruhrt, daß die Wahl anderer Theorien und Methoden zu einer an­deren Perspektivenwahl und damit zu einer anderen Objektkonstitution ruhre, deren Ergebnisse nur sehr bedingt wechselseitig korrekturHihig seien. Zur Beantwortung der Frage, welche Ergebnisse höher zu bewerten sind, emp­fiehlt Flick (1992), im Rückgriff auf die jeweils gewählte oder implizierte Theorie die Angemessenheit der Methode rur den zu untersuchenden Gegen­stand zu diskutieren. Wenn man also von der Triangulation als Instrument der Validierung abrückt, weil eine Theorie und die dazugehörige Methode je­weils ihren Gegenstandsbereich konstituieren, ergeben sich Folgeprobleme: Im Popperschen Sinn muß man nach den Falsifikationsbedingungen einer Theorie fragen, mit Kuhn nach der Relativität von Theorien.

Die auch von uns vertretene Auffassung ist jedoch, daß die Gegenstands­konstitution durch die jeweils gewählte Theorieperspektive nicht zu einem

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epistemologisch problematischen Relativismus führt. Nach unserer Überzeu­gung kann zwischen besseren und schlechteren Theorien in bezug auf einen Forschungsgegenstand durchaus begründet unterschieden werden. Bestritten wird nur, daß Theorien in der Weise direkt miteinander verglichen werden können, daß sich ihre Ergebnisse wechselseitig korrigieren.

Aus unseren Ausfiihrungen sollte deutlich geworden sein, daß es schwer möglich ist, bei der Anwendung verschiedener methodischer Zugänge zu einem Forschungsgegenstand zugleich eine Antwort auf die Frage zu geben, ob man sich der "objektiven Wahrheit" angenähert hat, und daß wir eine solche Antwort auch nicht brauchen. Vielmehr ist es unser Ziel, Methoden und Verfahren so zu kombinieren, daß die Tiefe und Breite unserer Analysen erweitert werden kann. An die Stelle der Suche nach "objektiver Wahrheit" rückt somit der Gedanke der Komplementarität.

Entsprechend geht Köckeis-Stangl einen Schritt weiter als Denzin, wenn sie das "Gegeneinander-Ausspielen" von Methoden nicht mehr als Strategie der Validierung ihrer Ergebnisse, sondern als realistischere methodische Alternative hierzu bezeichnet: ,,An Stelle von Validierungen zu sprechen, wäre es vielleicht adäquater, unsere Prüfprozesse als mehrperspektivische Triangulation anzusehen ( ... ) und im voraus darauf gefaßt zu sein, als Ergeb­nis kein einheitliches, sondern eher ein kaleidoskopartiges Bild zu erhalten" (Köckeis-StangI1982, S. 363).

Bezüglich der Frage, wie sich das von Köckeis-Stangl vorgeschlagene Kaleidoskop wirklich vielschichtig gestalten und wie sich das Bild des Unter­suchungsgegenstandes aus verschiedenen Perspektiven zeichnen läßt, schla­gen Flick u.a. (1991) eine systematische Perspektiventriangulation vor. Das bedeutet, einen Untersuchungsgegenstand aus verschiedenen Forschungsper­spektiven zu beleuchten. Der Vorteil einer so verstandenen Triangulation liegt darin, unterschiedliche Perspektiven zu verbinden und unterschiedliche Aspekte des Gegenstandes zu thematisieren. Dabei kommt es darauf an, die Auswahl der Methoden gut zu begründen. Fielding/ Fielding (1986, S. 34) schlagen dementsprechend vor, ,,( ... ) zumindest eine Methode zu wählen, die speziell geeignet ist, die strukturellen Aspekte des Problems zu erfassen und zumindest eine, die die wesentlichen Merkmale seiner Bedeutung für die Beteiligten zu erfassen vermag". Nach Smith (1975) und Webb u.a (1975) ist das Hauptrnotiv der Methodentriangulation, das Methodenrepertoire zu er­weitern. Da in der qualitativen Forschung in der Regel reaktive Erhebungs­methoden eingesetzt werden, sollten Schwächen einzelner Erhebungsmetho­den durch zusätzliche Methoden kompensiert werden, die diese Schwächen nicht besitzen, um ein exakteres Bild des Untersuchungsgegenstandes zu erhalten. Dies spielt gerade im Hinblick auf den Einsatz der im Projekt ver­wendeten Erhebungsmethoden (Lehrerinterview, Schülergruppendiskussion und Videographierung der Stunde) eine wichtige Rolle.

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Nach den theoretischen Überlegungen schließen sich im folgenden dritten Teil unserer Publikation exemplarische Analysen an. Hier demonstrieren wir an drei Beispielen, Unterricht in den Fächern Englisch, Geschichte und Che­mie, das Verfahren, mit dem wir die Schülermitbeteiligung im Fachunterricht rekonstruieren. Dabei kann es noch nicht um eine vergleichende Analyse und Bewertung des dokumentierten Unterrichts gehen. Dieser Vergleich bleibt der Hauptphase unseres Projektes vorbehalten. Es kann auch nicht um die Klärung der Fragen gehen, ob der dokumentierte Unterricht für das, was insgesamt in der gymnasialen Oberstufe abläuft, repräsentativ ist. Was uns interessiert, ist vielmehr die Erprobung des methodischen Verfahrens. Ge­lingt es uns, auf dem Hintergrund der Problementwicklung in Teil 1 unserer Publikation und mit Bezug auf die in Teil 2 erläuterten Zielsetzungen und Überlegungen zur Methodik nun an ausgewählten Unterrichtssequenzen zu demonstrieren, wie die Lehrerinnen und Lehrer die Schülerinnen und Schüler am Unterricht beteiligen, und wie sie selbst sich am Unterricht beteiligen, wie sie sich einbringen und wie sie ihre Handlungsmöglichkeiten deuten?

Für die Bewertung ist dabei wichtig, daß in unsere Dokumentation des beobachteten Unterrichts auch schon auf der untersten Darstellungsebene Deutungen einfließen. Dies ist mit unserem Konzept der hermeneutischen Rekonstruktion verträglich: Wir können den Unterricht nur so rekonstruieren, wie wir ihn verstehen. Dies, das Verständnis dessen, was im Unterricht ab­läuft, ist die Rekonstruktion seiner Sinnstruktur.

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Teil 3: Beispiele

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Meinert A. Meyer I Matthias Trautmann

Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Englisch

"Das Problem mit dem Sprechen ist einfach, daß man das Gefühl hat, daß man mit seinem Kommentar, den man gibt, den Unterricht aufhält. "

3.1.1 Vorbemerkung

Im folgenden wird eine längere Unterrichtssequenz einer Englischstunde einer elften Klasse beschrieben, analysiert und eingestuft. Uns interessiert, ob sich mit den in Teil 2 dargestellten Methoden Schülermitbeteiligung im Un­terricht hinreichend genau erfassen läßt. Um die hermeneutische Rekon­struktion der von uns ausgewählten Sequenz durchführen zu können, bedarf es ihrer Einbettung in den Gesamtkontext der Unterrichtsreihe und des Be­zugs auf das von uns durchgeruhrte Lehrerinterview und die Gruppendiskus­sIOn.

Thema der landeskundlichen Unterrichtseinheit ist der Voluntarismus, wie der Lehrer (Herr T.) ihn selbst in den USA erlebt hat. Die Hilfe rur arme, schwache und in Not gekommene Menschen über private Initiative ist typisch amerikanisch. Man kann den Voluntarismus als eine Kombination aus purita­nischem Erbe und selfmade-man-Ideologie sehen. Wer fleißig und gut ist, der ist auch im Leben erfolgreich und kann so seine eigene success story schrei­ben. Wer nicht erfolgreich ist, dem ist Gottes Gnade nicht zuteil geworden, er hat aber dennoch in gewisser Weise Schuld an seinem Schicksal, was eine merkwürdige Schwebe und Spannung zwischen Anspruch auf Hilfe im Wohlfahrtssystem (welfare System) und gerechter Strafe schafft. Die Er­folgreichen können gute Werke tun und den Armen, Schwachen und Kranken helfen. Im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte hat dies in den USA zu einer unübersehbaren Fülle von non profit agencies geruhrt, die lokal, natio­nal oder auch international tätig sind. Sie fungieren als "Gegengift" gegen die unpersönliche Lebenswelt der Großstädte, sie mildem DefIzite der realen Demokratie und der Marktrnechanismen und sie vermitteln zwischen sozia­lem Überschuß auf der Seite der Reichen in der ajJ1uent society und sozialer Bedürftigkeit der Unterprivilegierten (vgl. EImer J. Tropman und John E.

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Tropman 1987, S. 828f.). Man könnte also das Thema Voluntarismus durch­aus kulturkritisch behandeln (vgl. Raeithel Bd. 3, 1989, S. 409-420), weil die freiwillige Hilfe nicht verhindern kann, daß es massive Armut in vielen be­nachbarten Bevölkerungsgruppen gibt. Die Sozialleistungen, die im Rahmen des amerikanischen Sozialsystems erbracht werden, liegen deutlich unterhalb des Niveaus der Leistungen, die in der deutschen Sozialhilfe üblich sind. Dies zeigt sich etwa an der medizinischen Versorgung der amerikanischen Armen, aber auch an der Akzeptanz der Billiglohn-Jobs. Angemerkt sei, daß die Übersetzung des amerikanischen Begriffs voluntarism mit "Voluntaris­mus" deutsche Leser in die Irre führen kann, da Voluntarismus bei uns eine philosophische Richtung bezeichnet, die im Willen die Grundfunktion des Lebens sieht.

Herr T. bringt die kulturkritische Perspektive nicht ein. Er stützt sich auf einen Text eines engagierten Amerikaners, Reginald Reeves. Herr T. hat Reginald Reeves selbst in den USA kennengelernt, er hat also einen persönli­chen, authentischen Zugang zur Thematik; der Text ist aus unserer Sicht für die landeskundliche AufgabensteIlung sehr gut geeignet, aber er ist unkritisch im erläuterten Sinn:

Volunteerism Reginald R. Reeves

I volunteer to do things Jor wh ich I am not paid. I just like helping chil­dren. I often do give readings, that is I go to a library where they have a room Jull oJ children. They have already told them in advance that I am going to be present to read. The children will come alone or with their parents. I will sit and read Jor an hour. The children enjoy it, the parents enjoy it. The volunteer spirit in this country is alive and weil. People will observe or determine a need and then get busy andfill that need. We don 't usually wait Jor the government to do things Jor uso We don 't wait to be paid to do things. Jf we perceive something needs to be done we either do it our­selves or we will call some Jriends and say, suppose that !wo or three, or Jour, or six oJ us do this together. Sometimes it means spending money, always it means spending time, but we don 't mind doing that. Perhaps it goes back to the early days oJ this country when the pioneers would ass ist each other on building homes or building barns. They would just simply see that a neighbor was going to build a house and show up with hammers and nails and - help. So that spirit continues today.

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Musteranalyse Englisch 95

Many places, Boise, for example, have each year, perhaps twice a year, something called fIX-UP, clean-up day'. People will leave their jobs, the companies, the employers will give them time off, and they will go out into the community, they will have a research earlier so that they have a list of elderly people or ill people who have not been able to paint their homes or can 't afford to have their homes painted. Maybe there 's a door which needs to be repaired or the roof is leaking. Hundreds of people from the community will go all over the town with a list of places where it has been determined that people need help. Paint stores will provide paint free, they will provide ladders, sometimes painters ' caps and overalls. It makes people feel good to do good, to do something else gives one a special feeling, even if this kind of volunteerism is not done for personal gain. My personal view of this, the philosophy, if you will, is that service to others is the rent we pay for the space we occupy. And since J like to pay my rent J keep trying to help others. So J give my service and pay my rent.

(Reginald R. Reeves, an attomey in Idaho Falls, has hosted teachers of English from Germany ten times. The complete recording of his statement on volunteerism can be obtained from W. Möckel.)

Herr T. ist stark an der Frage interessiert, ob das US-amerikanische Volunta­rismus-Konzept gut für Deutschland ist. Er geht dabei nicht auf aktuelle Ent­wicklungen ein - etwa auf die Sozialprogramme von Bill Clinton und seiner Frau. Er bemüht sich auch nicht darum, die Unterschiede zwischen dem So­zialsystem der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik in den Unter­richt einzubringen. Ihn interessiert das typisch amerikanische Bedürfnis nach individueller, freiwilliger Hilfe. Während Herr T. von voluntarism spricht, ist im Text von volunteerism die Rede. Auf einen denkbaren Bedeutungsunter­schied geht Herr T. nicht ein.

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96 Meinert A. Meyer / Matthias Trautmann

3.1.2 Kurzdarstellung der inhaltlichen und methodischen Struktur der gesamten Stunde

Zeit F achinhaltliche Schwerpunkte Interaktions- Medien merkmale

0.01 - Eröffnung der Stunde Lemrvortrag

- EinftIhrung eines Zitates von John F. Tafel

Kennedy - Defmition von Voluntarismus durch den

Lehrer - Zielformulierungen

0.03 - Vortrag einer amerikanischen Austausch- Schülervortrag

schOJerin - Aufnahme des Vortrags durch Lemr Lehrer-Schüler-

Gespräch

Schüler

0.11 Dia-Show mit gleichzeitigem Gespräch zu Lehrer-Schüler - Dias

Folgenden drei Themen: Gespräch

- Adopt a Highway - Plant a Tree - Reginald Reeves

0.25 Arbeit mit einem Text: Reginald Reeves Lehrervortrag, Text

Volunteering in a library Lehrer-Schüler-Gespräch,

Vokabelarbeit Schülerstillar-

0.36 Gespräch über die im Text erwähnten Lehrer-Schüler- Text

Formen von Voluntarismus Gespräch

3.1.3 Begründung der Auswahl der Sequenz mit Transkriptions­ausschnitten

Der in der Übersicht dunkel unterlegte lange Ausschnitt ist die Eingangs­szene der Unterrichtsstunde zum Thema "Voluntarismus" in einem Lei­stungskurs 11/1 eines Hallenser Gymnasiums. Die Auswahl dieser Sequenz erfolgte aus drei Gründen:

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Musteranalyse Englisch 97

• Im Untersuchungsdesign für die Hauptphase unseres Projektes ist vorge­sehen, alle Stundeneröffnungen zu analysieren, da es als gesichert gelten kann, daß sie für die Konstituierung der unterrichtlichen Interaktion von besonderer Bedeutung sind. Hier entscheidet sich, auf welche Weise die Partner miteinander kommunizieren. Grundstrukturen des Miteinander­Umgehens werden sichtbar.

• Bei der Rekapitulation der Stunde unter Zuhilfenahme des Analysemate­rials im Kreis der Forscher wurde die Hypothese aufgestellt, daß es sich bei der StundeneröfffilUng von Herm T. um einen Stundenabschnitt han­delt, in dem der Lehrer methodisch und inhaltlich Schülermitbeteiligung unterstellt und auf der Basis dieser Annahmen sein Handeln bestimmt und daß diese Unterstellung in ihrer methodischen Konkretion den Schülern die Beteiligung am Unterricht erschwert.

• Der Vortrag der amerikanischen Austauschschülerin Laura greift über die Stundeneröffnung hinaus und ermöglicht es, Schülerreaktionen zu beobachten. Er wird deshalb von uns als Fortsetzung der Stundeneröff­nung interpretiert.

Der Beschreibung der Unterrichtssequenz liegen die Originaltranskripte zu­grunde, die mit den im Video zu beobachtenden nonverbalen Aktivitäten der Handelnden in Beziehung gesetzt wurden, um die Verständlichkeit der nach­folgenden Analyse zu erhöhen. Die jeweilige Zitatstelle wird nach Text und Zeile angegeben (U=Unterrichtsstunde, L=Lehrerinterview und S=Schüler­gruppendiskussion) Die folgenden Transkriptionsregeln fmden in diesem und den nachfolgenden Beispielen Verwendung:

Sml

Sw2

( ... ),( .. )

c ... ) bzw. (5)

um das zu(=denPrlisidenten=) schaffen

um das zu=den PrlJsiden­ten=schaffen

.. .let me give you (schreibt an die Tafel) Do not ask. .. +

erster männlicher Schüler

zweite weibliche Schülerin

Zeichen für unverständliche Textpas­sage

Zeichen für Pause; pro Sekunde Pause

ein Punkt C.); ab 5 Sek. wird Zahl aus­geschrieben

Gesprächspartner unterbrechen sich

Gesprächspartner sprechen gleich­zeitig

Nebengeräusche und Handlungen während des Sprechens. deren zeitl.

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I would like to ask you· now ...

&&

(Wort?)

Meinert A. Meyer / Matthias Trautmann

Ende mit + gekennzeichnet wird

Besondere Betonung eines Wortes! einer Phrase mit & wird das Zusammenziehen von Wörtern gekennzeichnet

Wortlaut nicht genau erkennbar

Wir kommen zur Darstellung der Sequenz. Der Lehrer begriißt die Schülerin­nen und Schüler und beginnt die Stunde mit einem "Okay", worauf die Schüler sich dem Lehrer zuwenden. Er fährt dann fort:

Lehrer': Now today you know we've got American session again, eh, two, eh, periods in a row. In our first period, eh, I think we talk about, ehm, a topic connected with, eh, American studies. Eh.( .. ) Now let me ta- let me give you, ehm, a sentence on the blackboard, quotation. (U 3-6)

Die Schüler hören zu. Herr T. erläutert zunächst den Zusammenhang, aus dem der angekündigte Satz stammt:

Lehrer: Ehm, couple of years ago, just some ti-, not a couple of years ago, I think in, in the early sixties, a very famous American, President, eh, said the fol/owing words. He said: (schreibt an die Tafel) Eh, Do not ask what your country can do for you+. (Sven spricht leise mit seiner Nachbarin, der ameri­kanischen Austauschschülerin Laura) =Ask what you can do for your coun­try+ =Sven, eh, how can you, can you continue this, eh, famous quotation? Sven: Ask what you can do = Yes= for your country =right= Laura:superb,superb. Lehrer: (wiederholt und schreibt an die Tafel) Ask, what (=You can do=) you can do (=for your country=) for your country. Lehrer: Eh, you know, eh, this famous quotation, Sven, eh, who said it? Sven: Kennedy (U 6-21).

Der Lehrer schreibt das Zitat an die Tafel, dessen zweiten Teil der Schüler Sven spontan ergänzen kann, nachdem dieser dem Lehrer (durch Körperhal­tung, Gesichtsausdruck) signalisiert hatte, daß er weiß, von wem das Zitat stammt und daß er dies auch mitteilen will. Die anderen Schüler beobachten, was an der Tafel vor sich geht. Der Lehrer versucht nun, nachdem er sich von der Tafel weg- und den Schülern zugewandt hat und dabei merklich zögert, den Schülern zu erklären, worum es nachfolgend gehen soll:

Lehrer: Yes, eh, this is, eh, what, (schreibt:) J, eh, John F. Kennedy once said. (..) Ehm, you certainly have heard, that, eh, in America they have what we

Lehrer- und Schülernamen wurden anonymisiert.

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call, ehm, 'voluntarism - people do work for their communities, for their, eh, country, just for hospitals, for lots and lots of institutions, also for indi­viduals, also for schools and they are not () being paid for that, just, they, they do this because they feel that, eh, they, eh, should offer help to people, to their community, to their country, etcetera, etcetera.

Eh, today I would like to, eh, give you a bit more information about vol­untarism in America. Eh, I can, eh, (..) tell you lots, ehm, of, ehm, things I myself experienced when I was in America four years ago. We 've got, eh, Laura in our group, I asked her if she could perhaps start with giving, eh, a few examples, eh, from her State Maryland School or whatever, eh, to, ehm, tell you that, eh, she also of course has experienced what 's called volunta­rism, and after that, I think, let 's hope that we can develop sort of, a sort of activity in the group, eh, around this, this topic voluntarism, eh, in the United States of America. And perhaps we can, eh, sort of draw paralleis, say now, what about our country, do we also have this, do we have this under a differ­ent name, eh, could we improve things in this fields, and that sort of ques­tions I think, might be interesting to discuss. (...) OK. Laura, can you tell us, eh, from your, eh, state, eh, anything about voluntarism, ehm, in, eh, about Maryland 'So Ehm, I think, you can, think you can. Eh, may I ask you just to, to stand here in front of the (=stand?=) or (..), (...) just as weil you can sit, of course you can sit. I can provide achair for you, and you can sit if you like. It 's an upholstered chair, ehm, (Lachen). (U 23-43)

Die Austauschschülerin, Laura, die in der ersten Reihe sitzt, geht nach vom, wo der Lehrer ihr einen Stuhl bereitstellt, nachdem sie mit dem eingeworfe­nen "Stand?" angedeutet hat, fiir ihren Vortrag nicht stehen zu wollen. Der Lehrer reicht ihr daraufhin einen gepolsterten Stuhl. Laura setzt sich betont feierlich auf den Stuhl, was die anderen Schüler amüsiert. Dann rückt sie den Stuhl, der neben dem Lehrertisch steht, näher an diesen heran.

Lehrer: A couple ofminutes, eh, before we go on, OK, Laura?

Laura: Yeah.

Lehrer: Right.

Laura trägt in freiem Vortrag und mit schnellem Sprachtempo vor, was sie vorbereitet hat.

Laura: Eh, First of alf, in my state Maryland, ehm, the best, the best example would be, to tell you about something that they do in DC, 'cause DC is so c/ose, Washington DC, it's, it might as welf be apart of Maryland, it's, it's just a city, that 's right out of Maryland. And there 're so many problems in DC, and being the capital of our country, there 's plenty the people can do and should be able to do, and, the movement now, especially since it 's Christmas, is, for homeless people, because there are so many homeless

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people in DC that they open, they, the the main thing they do, they open a soup kitchen, or many soup kitchens throughout DC, and that 's the place, where the people go voluntarily, without being paid, without giving any, any kind of accommodation for, they simply go and they cook, or they bring food, or they offer their time, weil, their money to help buy ingredients to make the soup, just to provide something for the people to eat, who don 't have any other means of getting food, or, people have a cloth es, a clothing, eh, collec­tion, they, you can send your own cloth es, that you (. .. ),(..), that you don 't need anymore, or you can send blankets, because there are so many little kids who don 't even have a pair of napkins, you know, and they 're gonna go the whole winter with their hands being cold. Is there something so simple as buying a pair of jive Dollar napkins, and sending them, you 'd help the per­son, an' maybe, (Räuspern) maybe+ that won 't save the lives of a pair of babies, but you help the kids through the winter. So there is, from little things to do, from just sen ding something, or from actually giving your own time in going in and actually helping out, the the options, the the opportunities to help are endless. You can, its, its really not such a hard thing to do, it's not an imposition, and there're so many people who need help. That's, I think that 's the most, weil, I think a little bit it 's a kind of beautiful, when people help other people, all people who need help, because there (hustend:) are+ so many people who 'can help and so many people who 'need help, that it 's an, it 's an unending cycle, that, maybe one day you 'Il need help yourself and there will be somebody be able to help you out.

In Maryland, we have problems, too, in the whole country, everywhere in the world people have problems, people need help. There 's somethin ' which you can always do, weil, in Maryland I think the biggest problem is the Chesapeake Bay. It 's (.) our bay and we 're really proud of it, because it 's our coast, it's our connection to the Atlantic Ocean, to the rest ofthe world, like Maryland is some great open state and we can reach (lachend:) out to+ Europe, you know, it 's just across the water way. But it 's really, really dirty. It is 'awful. The crabs, are, eh, you can 't eat the crabs, the water is so dirty that you cannot eat the crabs without being afraid you gonna get a mercury poisoning and die or something else. So, eh, there 's a big movement against chemical, chemical, eh, factories and other such people who are polluting the water there is also the (government movement?). And the 'government, it 's so, it's 'funny with the government, who have 'a (responsible lobbying?), because there is, the voluntary lobby, is to say. OK, this is our water, this is, this is not our, our drink supply, but it 's our water, this is the (lachend:) pride+ of Maryland, we should keep it clean, we should, ehm, so the govern­ment pol-, politicians, they say: "Yeah, that 's absolutely right. " An 'then the chemical people come and say: "But, we 're paying money to the 'state, and we have a right to put, eh, to, to dump (lachend.) whatever we want up in the Chesapeake Bay. And the politicians go: you 're (lachend.) absolutely

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Musteranalyse Englisch 101

right+." So it's an, a never-ending cycle against one another, the, the, the chemical production, nit-, not, wow, (what 's a German?), not just, eh, the chemical productions 'oh God, (I sound so bad, 1 can 't speak Spanish Eng­lish), so. (Lachen) (...) Yeah, in Maryland the opportunities are bigger to help with environmental situations, and (..) but, like 1 said there 's always some­thing that you can do, and, so, 1 guess, conceming Kennedy's quo-, oJ Ken­nedy's quotation, in our country, since it is such a big country with so many people, (.) like 1 said, and 1 continue to say. (Lachen) There is always some­thing that someone can do. And, when it comes to the point, when you 'ask what you can do Jor your country, consider that what you 're doing Jor other people you are dOingJor yourself, essentially. (U 43-102)

Herr T. bleibt während des Referates am Lehrertisch, macht sich Notizen und blättert in seinen Unterlagen. Laura geht an ihren Platz zurück. Herr T. steht auf:

Lehrer: 1Ja, thank you, thank you Laura. Oh, right, ehm, (..) ehm, 1 would like to, ehm, to ask you 'now. Now, ehm, eh, do you jind that, eh, what she told you about, eh, that sort oJ activities then in, her, state or the Washington De, which is so close, more or less is also done in our country, just, ehm, ehm, Hermann, what do you think? Ehm, she pointed out, ehm, activities, eh, to help the needy just the poor people (=mh=), ehm, questions, of, eh, our keeping the environment clean, things like that. Ehm, what 's your opinion about, what she 's just told you (=yes=), are you surprised about that?

Herrnann: What 1 heard, that, eh, in America, (..) eh, the people, are more (.. . .) Mh, (. . .) (=Now more what?=) They try(.) much more than, eh, the Ger­mans to do somethingJor their own country (=aha=), perhaps it's

Lehrer: And, is that a surprise, just that, because it 's you, eh, the question is, is that really true, and, eh, if it is true, then what may be the reasons that the Americans do more Jor their country than we, the Germans, eh, are willing to doJor ~urcountry?

Herrnann: We don 't know.

Lehrer: You don 't know the reasons, eh, OK. Now, ehm, do youjind it inter­esting what she said, what Laura said, eh, Ulrike, about, just, eh, that sort oJ activities, ehm, ehm, ( . .)

Ulrike: (. . .),(..) she said, we don 't (...),(..), how we can about, eh, other, other countries and (...), (..) habits of, ehm, and 1 think it's ahabit of, ehm, the, no, eh, ( . .) it's typical Jor the American 1 think, (=aha=), or 1 hope, that, eh, maybe they do more Jor, eh, their community, than we do, and (.) but 1 think (= 'mh, OK. =) ( .. .), (..).

Lehrer: When 1 started that project in America, eh, people kept telling me, when you go back to Germany, try to improve that situation in your country, perhaps, this would be, a good model, if, eh, say we don 't do so many, eh,

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just things lor our country I couldn 't take, eh, an perhaps, eh, it would be not (schnell:) 01 any interest+ to ask the questions 'why, because there 're a lot, a lot 01 things to do, but it is to keep our environment clean, to keep our city clean, and all these things. Eh, Laura 's given you an example 01 that. Ehm, now, ehm, I would like to give you some, ehm, pictures, to show you some pictures, and after that, ehm, you will receive, ehm, a text, let me tell you what sort 01 text it is, eh, it is a text, from, eh, this, ehm, this magazine it 's 'brand-new, it's brand-new, ehm, Exper-, Experiencing America, (.) ehm, one 01 those, eh, (gedehnt) people organizing+, ehm, study trips, from Germany to America, Reginald Reeves, I think I showed you a picture, I got a picture 01 him and his wife, he 's still active in the program, and, ehm, eh, some teachers Irom Germany, eh, traveled to America, by the way, eh, mh, Dr. Meyer that is, eh, the (=headmaster=) headmaster 01 the Burgschule was among them, and he brought these things and he gave it to me, eh, this here, eh, and this Reginald Reeves, I know him personally, eh, he wrote, eh, an article on voluntarism, we 'd like you to read this article and to make com­ments on this article but after you 've seen eh, some more pictures. Eh, but, what, what I would like to do is just a not just to show pictures, eh, I will keep on asking a lew questions, ehm, just to, to, eh, make you 'comment 01 these points. Eh, I think, eh, that this might not be too difficult lor you, eh, what to tell you ( . .),(.) this situation, eh (.) (Länn) ( . .),(.)+ OK. Eh, I think some­one should switch off the light. (U 104-151)

3.1.4 Analyse der Videosequenz

Die dokumentierte Sequenz läßt sich wie folgt zusammenfassend beschrei­ben: Nach der Begrüßung informiert der Lehrer die Schüler darüber, daß es, wie sie wissen, in den nächsten beiden Stunden um ein Thema geht, das den ,,American Studies" zuzurechnen ist. Das genaue Thema wird zunächst nicht benannt. Der Lehrer schreibt den ersten Teil eines Zitates an die Tafel. Der Schüler Sven zeigt, daß er das Zitat beenden kann, und wird vom Lehrer aufgerufen. Er vervollständigt den Satz und nennt auf Nachfrage des Lehrers den Autor, John F. Kennedy. Der Schüler antwortet locker, er unterhält sich, während der Lehrer schreibt, mit seiner Nachbarin, der amerikanischen Aus­tauschschülerin Laura. Von den anderen Schülern gibt es in dieser Phase keine Kommentare oder andere Reaktionen. Nachdem der Lehrer die Schüle­rantwort im ganzen Satz wiederholt hat, versucht er zu erklären, was unter Voluntarismus zu verstehen ist. Dann teilt er den Schülern mit, daß sie heute weitere Informationen erhalten sollen. Er kann von seinen eigenen Erfahrun­gen aus Amerika berichten, die Austauschschülerin wird über Beispiele aus dem Staat Maryland sprechen, und die Klasse soll sich durch verschiedene Tätigkeiten mit der Thematik beschäftigen. Außerdem kann untersucht wer-

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den, ob es in Deutschland dem Voluntarismus Vergleichbares gibt. Die Schüler hören den Erläuterungen von Herrn T. ruhig zu. Anschließend wird die Austauschschülerin aufgefordert, über ihre Erfahrungen zu sprechen und dazu nach vorn zu kommen. In einem Vortrag berichtet sie über Probleme und freiwillige Aktivitäten in ihrer Heimat und greift am Ende das Kennedy­Zitat wieder auf. Herr T. versucht, darüber ein Gespräch zu entwickeln und leitet dann über auf die zweite Stundenphase, in der er Dias zeigen wird.

Die vorgestellte Sequenz wird von uns in sechs Abschnitte unterteilt. Wir unterscheiden: Eröffnung der Stunde (a), Einführung eines Ausspruchs von John F. Kennedy (b), Definition von Voluntarismus durch den Lehrer (c), Zielformulierungen des Lehrers (d), Vortrag der Muttersprachlerin (e) und Aufnahme des Vortrags durch Lehrer und Schüler (f). Bei der Analyse ist zu berücksichtigen, daß die dokumentierte Stunde für uns die erste Aufnahme bei diesem Lehrer und in diesem Kurs darstellt. Unsere Analysen sind des­halb, wie oben erläutert, hypothetischer Natur. Dies gilt vor allem für die Beurteilung der Strategien des Lehrers und der Schüler. Wir haben den Ein­druck, daß der Lehrer möglichst "wasserdicht" unterrichten und mit einem straffen Tempo durch die Stunde kommen möchte; die Schüler erscheinen insgesamt zurückhaltend.

a) Eröffnung der Stunde (U 3-6)

Der Lehrer steuert zielstrebig auf sein erstes inhaltliches Element zu. Mit den Worten I think we talk about sowie let me give you (U 4-5) artikuliert er seine initiierende und gestaltende Rolle in dieser Situation. Er drückt sich entspre­chend dem 'höflicheren' Ton des englischen Sprachgebrauchs aus. Da die Worte ohne eine Pause oder fragende Intonation gesprochen werden, schlie­ßen wir, daß Herr T. zu diesem Zeitpunkt die Rolle der Schüler als die von Rezipienten auffaßt. Die Schüler verfolgen seine Handlungen. Herr T. läßt noch nicht erkennen, um welches Thema es sich in der Stunde handeln wird. Er kündigt an, die Schüler zunächst mit einem Zitat zu konfrontieren. Der Beginn ist, wie wir meinen, ein informierender und gelenkter Einstieg, in dem der Lehrer dominiert. Es handelt sich um eine von uns im Oberstu­fenunterricht in Halle häufig beobachtete Konstellation, in der der Lehrer zunächst mit seinen einführenden Worten die Stunde von der Pause abgrenzt und sich die Aufmerksamkeit der Schüler verschafft. Im Stundenbeginn sind keine Elemente von Schülermitbeteiligung erkennbar, die über das Zuhören hinausgehen.

b) Einführung eines Ausspruchs von John F. Kennedy (U 6-23)

Herr T. führt einen Ausspruch John F. Kennedys ein und schreibt die erste Hälfte des Zitats an die Tafel, dessen zweiten Teil Sven ergänzen kann. Die

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direkte Ansprache und die schnelle Antwort von Sven (U 9f.) lassen vermu­ten, daß der Lehrer mit der Aufforderung einen kompetenten Schüler aufruft.

Über das Kennedy-Zitat erfolgt eine erste Annäherung an das Stunden­thema. Es kann mehrere didaktische Funktionen haben:

• Der Lehrer könnte an bereits Bekanntes anknüpfen wollen - immerhin ist es rur Sven kein Problem, das Zitat zu ergänzen und zuzuordnen. Im Video ist zu sehen, daß Sven mit seiner Tischnachbarin, der amerikani­schen Austauschschülerin, angeregt diskutiert (wahrscheinlich auf Eng­lisch).

• Das Zitat könnte auch die Bedeutung des zu diesem Zeitpunkt noch nicht explizit benannten Themas hervorheben, stammt es doch von einem be­rühmten amerikanischen Präsidenten.

• Denkbar ist außerdem, daß der Lehrer damit schon auf die von ihm an­genommene Distanz zu deutscher Befmdlichkeit und Tradition hinwei­sen will (thematische Konfrontation).

• Aus dem Video allein läßt sich keine der Deutungen absichern, da der Lehrer auf sein Zitat nicht näher eingeht und die Schüler auch nicht zu Äußerungen auffordert oder anderweitig Kontakt zu ihnen sucht.

Das Zitat eröffnet Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung fiir alle Schüler auf allen Ebenen. Die Antwort Svens sowie die zustimmende Äußerung Lau­ras ("Superb, superb ", U 14) zeigen, daß mindestens diese beiden Schüler interessiert zuhören und auch in der Lage sind, sich am Unterricht zu beteili­gen.

c) Definition von Voluntarismus durch den Lehrer (U 23-28)

Unmittelbar im Anschluß an das Zitat wird vom Lehrer eine Definition von Voluntarismus gegeben. Charakteristischerweise macht er eine merkliche Pause (Ehm), bevor er zu reden fortfährt. Diese kurze Unterbrechung ist besonders gut im Abgleich der Videoaufnahmen zu sehen und zu hören. Es handelt sich um eine 'GelenksteIle' , an der Herr T. zu etwas Neuem (inhaltli­cher oder methodischer Art) übergeht. Wir vermuten, daß ihm der stattfm­dende methodische Wechsel selbst kurzfristig als Problem bewußt geworden ist. Er verschließt die Möglichkeit rur die Schüler, selbst zu einer inhaltlichen Klärung des Begriffes (z.B. über das Zitat) zu kommen. Die nachfolgende Erklärung von Voluntarismus durch Herrn T. wirkt auf uns unvorbereitet und improvisiert (vgl. auch das ratlose etcetera, etcetera, U 28). Dies läßt vermu­ten, daß Herr T. seinen Plan geändert oder daß er nur die einzelnen Teile der Stunde, nicht aber die Übergänge geplant hat. Wir hätten an dieser Stelle erwartet, daß Herr T. mit dem Zitat weiterarbeitet, um auf diese Weise aus den interpretativen Leistungen der Schüler heraus zu einer ersten Klärung des

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Stundenthemas zu gelangen. Er versucht jedoch nicht, das Vorwissen der Schüler über "Voluntarismus" zu ergründen, sondern setzt voraus, daß eini­ges bekannt ist ("you certainly have heard, that, eh, in America they have what we call, ehm, 'voluntarism "', U 23-24) und erklärt dann sogleich selbst den Begriff durch eine Aufzählung von Beispielen. Er konserviert damit die Rollenzuteilung der Stundeneröffnung, in der er den Sprecherpart hatte und den Schülern eine rezeptive Rolle zugewiesen wurde.

Wir sind der Auffassung, daß Herrn T.s Information über das Thema der Stunde zwar prinzipiell die Chance eröffnet, daß die Schüler Zustimmung oder Ablehnung äußern und Änderungsvorschläge einbringen können. In der Realisierung ist die Beteiligung der Schüler an der Unterrichtsplanung aber gering. Denkbar ist, daß der Lehrer mit seiner Vorgabe eine bewußte Trans­parenz des Unterrichts anstrebt. Allerdings bleibt diese Chance für Schüler­mitbeteiligung erkennbar ungenutzt. Der Lehrer stellt an keiner Stelle eine Frage nach der Meinung der Schüler zum vorgesehenen Ablauf der Stunde, oder nach dem Verständnis des in der Fremdsprache Vorgetragenen; auch die Schüler werden in dieser Hinsicht nicht aktiv.

d) Zielformulierungen des Lehrers (U 28-38)

Herr T. gibt klare Zielformulierungen rur den Ablauf der Stunde. Er legiti­miert das Thema über seine eigenen Erfahrungen bei einem Studienaufenthalt in den USA und steuert schnell auf den nächsten Unterrichtsschritt, den Vor­trag der Austauschschülerin, zu. Die Formulierungen der drei Ziele lauten (verkürzt):

(1) I would like (..) to give you a bit more information about voluntarism in America (U 28-29),

(2) let 's hope that we can develop a sort of activity in the group around this topic voluntarism (U 34-35),

(3) and perhaps we (..) can draw paralleis, say now, what about our coun­try, do we also have this, do we have this under a different name, eh, could we improve things in this fields, and that sort of questions I think, might be interesting to discuss (U 35-38).

Erstens soll also das "Geben" von Informationen eine Rolle spielen. Aus der mitgeteilten Planung wird ersichtlich, daß der Lehrer diese Aufgabe sich selbst und der Austauschschülerin Laura zuweist. Die Formulierungen ma­chen deutlich, daß der Lehrer von den Schülern erwartet, Informationen auf­zunehmen. Er informiert die Schüler darüber, wie sich die beiden Stunden des Komplexes in den gesamten Kurs einordnen (Landeskunde USA), um welche Thematik es in dieser Stunde geht (Voluntarismus) und welche Me­thoden zur Erarbeitung der Thematik vorgesehen sind (Lehrer- und Schüler-

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vortrag, dann "a sort of activity in the group" (U 34-35) und ein Gespräch zu Parallelen in Deutschland). Informieren steht hier für die Mitteilung von gegebenen Sachverhalten. Entsprechend wäre das schülerseitige Äquivalent Zur-Kenntnis-Nehmen. Die Vermutung liegt nahe, daß die Schüler, da sie nicht aktiv werden, die Situation ebenso auffassen.

Zweitens soll irgendeine Aktivität, eine gemeinschaftliche Handlung der Schüler stattfinden. Der Lehrer spricht mit dem" we" seine Schüler direkt an. Es zeigt, daß er jetzt eine Phase der Planung anspricht, bei der auch Schüler aktiv werden sollen. Man könnte dies angekündigte und verordnete Schüler­mitbeteiligung nennen. Die Art der Handlung bleibt jetzt, in der Eröffnungs­sequenz, noch unbestimmt und offen. Sie könnte auf die Arbeit mit den Dias bezogen sein2•

Schließlich will Herr T. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den USA und Deutschland im Hinblick auf das Thema Voluntarismus her­ausarbeiten und diskutieren, was vielleicht ein Verweis auf die Textarbeit ist. Auch damit werden die Schüler angesprochen. Als Zielformulierungen wei­sen Herrn T.s Äußerungen auf eine Öffnung der Stunde für Mitbeteiligung der Schülerinnen und Schüler im Rahmen seiner Planung. Die letzten Äuße­rungen des Lehrers in diesem Abschnitt deuten zugleich darauf hin, daß er einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler vermutet oder erhofft. Er formuliert dies als eine Erwartung, die offen läßt, wie sich die Schüler zur beanspruch­ten Relevanz des Themas für sie selbst verhalten wollen und ob sie das vom Lehrer angedeutete Problem zu ihrem eigenen machen möchten.

Das Verfahren zeigt Herm T.s Sensibilität für ein Eigeninteresse der Schüler; er versucht nicht, ihnen seine Präferenzen aufzuzwingen. Allerdings fragt er zu keiner Zeit die Schüler selbst. Er bleibt immer im eigenen 'Refe­renzbereich'. Seine didaktische Strategie scheint in der indirekten Aufforde­rung an die Schüler zu bestehen, sich nach seinem give you a bit more infor­mation (Z 29) einzubringen. Es handelt sich also um den Versuch der indi­rekten Aktivierung der Schüler. Daß Herr T. mit der amerikanischen Per­spektive auf den Voluntarismus beginnt, paßt zu seinem sein von uns ver­muteten Unterrichtskonzept. Es eröffnet für die analysierte Sequenz nur Raum für ihn selbst - mitsamt seinen Erfahrungen - und den native speaker. Inhaltlich stellt Herr T. also mit der ersten Zielformulierung auf die Rezepti­on fremder Erfahrungen bzw. auf Wissenszuwachs ab, methodisch auf Zuhö­ren bzw. verstehendes Hören. Er teilt seine methodischen und fachinhaltli­chen Planungsüberlegungen mit, ohne den Schülern Möglichkeiten zur Stel­lungnahme einzuräumen. Zugleich macht er deutlich (U 34-38), daß er den Anspruch hat, die Schüler zu einem späteren Zeitpunkt aktiv zu beteiligen.

2 In der konkreten Ausgestaltung der Sequenz wird nachfolgend deutlich, daß nur in einem sehr eingeschränkten Sinne von .. activity in the group" die Rede sein kann.

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Im Blick auf die Behandlung des von dem native speaker, Laura, Erzählten liegt nun die Frage nahe, ob sich nach der Informationsphase Änderungen dieses Konzeptes feststellen lassen.

e) Vortrag der amerikanischen Austauschschülerin (U 49-102)

Laura, die als amerikanische Austauschschülerin im Englischunterricht einen Sonderstatus besitzt, nimmt neben dem Lehrertisch Platz. Es entsteht eine leichte Unruhe, da sie zu verstehen gibt, daß sie ungern frontal vor der Klasse stünde. Herr T. reagiert darauf mit einem kleinen Scherz. Auch einige der Schüler lachen. Wir sind der Auffassung, daß dies ein Zeichen für eine freundliche Atmosphäre im Raum ist. Herr T. sitzt neben Laura am Lehrer­tisch, etwas seitlich versetzt, und hält Notizzettel und Stift bereit. Lauras Aufgabe hatte er zuvor bestimmt mit: giving a /ew examples from her State Maryland School or whatever, to, tell you that, eh, she also 0/ course has experienced what 's called voluntarism (U 32-33).

Als Muttersprachlerin flillt es Laura nicht schwer, einiges über ihre Hei­mat zu erzählen; die Worte des Lehrers haben zudem ersichtlich gemacht, daß sie auf ihren Part vorbereitet ist. Sie spricht frei. Die anderen Schüler sind immer noch Hörer.

Laura beginnt ihr Referat mit einer Darstellung der Probleme in Wa­shington D.C. Zur Weihnachtszeit werden dort Suppenküchen aufgemacht, um den vielen Obdachlosen zu helfen. Menschen geben Geld, Lebensmittel, Kleider oder wenden ihre Zeit auf, um anderen zu helfen. Es wäre immerhin denkbar, daß die Hilfeleistenden selbst einmal solche Hilfe benötigten. Dann spricht Laura von der starken Umweltverschmutzung durch Chemiebetriebe in Maryland, gegen die sich Protestbewegungen gebildet haben. Die Interes­sen der Betriebe und der Bürger prallen aufeinander. Mit der Bemerkung, daß man immer etwas tun könne, greift Laura das Kennedy-Zitat vom Stundenan­fang wieder auf und schließt damit ihren Bericht. Der Lehrer macht sich Notizen und blättert in seinen Materialien. Die Schüler hören zu.

Es findet also in gewisser Weise Schülerrnitbeteiligung statt, denn Laura bringt ihre Erfahrungen in den Unterricht ein. Die durch sie realisierte Schü­lermitbeteiligung in der Unterrichts gestaltung muß jedoch relativiert werden. Wir gewinnen den Eindruck, daß sie Herrn T. in seiner Lehrerposition nur "vertritt". Von Authentizität der Äußerungen kann deshalb nur bedingt, nur aus Lauras und Herrn T.s Sicht, gesprochen werden. Für die anderen Schüler bleibt das Dargestellte fremd. Dazu paßt, daß die Klasse nicht spontan auf Lauras Referat reagiert; ihr Interesse ist schwer abzuschätzen. Unklar bleibt auch, wieweit die Schülerinnen und Schüler durch den schnellen Native Speaker -Vortrag überfordert worden sind. Lauras Vortrag eröffnet für den weiteren Verlauf aber immerhin inhaltliche Möglichkeiten für Schülerrnitbe­teiligung.

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f) Aufuahme des Vortrags durch Lehrer und Schüler (U 104-135)

Während Laura sich an ihren Platz zurückbegibt, ergreift Herr T. wieder das Wort. Unsere Hypothese, daß er indirekt auffordernd arbeitet, bestätigt sich insofern, als er zunächst selbst eine Zusammenfassung des Vortrages gibt3•

Damit nimmt er den Schülern die Chance, Verstandenes oder sie Interessie­rendes zu artikulieren. Er prüft auch nicht nach, inwiefern die Schüler über­haupt dem Vortrag der Austauschschülerin folgen konnten. Es wird ihm bewußt, daß er jetzt eigentlich eine Aktivierung der Schüler leisten müßte (Oh, right, ehm, (..) ehm, I would like to, ehm, to ask you 'now, U 104). Er stellt deshalb auch eine Frage und ruft, nachdem er mit seinen Augen nach möglichen Reaktionen gesucht hat, einen Schüler auf. Während dieser noch nach Worten sucht, spricht Herr T. aber selbst weiter und faßt den Beitrag Lauras zusammen.

Herr T. macht zwei weitere Versuche, die Schüler zu Meinungsäußerun­gen zu veranlassen:

Ehm, what's your opinion about, what she's just told you (=yes=), are you surprised about that? (U 109-110)

Now, ehm, do youfind it interesting what she said ( ... ) (U 122-123)

Wir können in diesem abschließenden Abschnitt der Eröffnungssequenz erstmals den schülerseitigen Versuch beobachten, zusammenhängendes Eng­lisch zu sprechen. Bis zu diesem Zeitpunkt, also fiir mehr als acht Minuten, haben die Schüler nur zugehört. Es ist deutlich geworden, daß dies vom Leh­rer so vorgesehen war. Auch jetzt reagieren die Schüler nur. Fragen zum Verständnis des von Laura Gesagten werden nicht gestellt. Eine Äußerung der Schüler, die über die Reaktion auf Lehrerfragen hinausgeht, gibt es nicht. Waren die Fragen schon zu weit angelegt, so unterbricht Herr T. in beiden Fällen die Schüleräußerungen, um einen neuen Impuls zu geben. Uns drängt sich der Eindruck auf, daß die aufgerufenen Schüler seinem Tempo nicht folgen können - beide, Herrnann und Ulrike, suchen sichtlich.nach Worten. Herrnann setzt dazu seinen Körper ein. Der Lehrer forciert diese Suche: Now more what (U 113), worauf der Schüler einen neuen Versuch unternimmt und, als er erneut steckenbleibt, von Herrn T. wiederum unterbrochen wird. Sein nochmaliger Versuch, die Konversation anzuregen, bleibt auch nach der Reforrnulierung der Interessenfrage erfolglos: Herrnann antwortet resigniert

3 Es war für die Forschergruppe erstaunlich, daß Herr T. Laura in der Folge überhaupt nicht mehr anspricht oder in die Unterrichtsgestaltung einbezieht. Er behandelt sie als 'Unter­richtsmittel' (fast wie ein Video) und vergibt sich so die Möglichkeit, die Schüler auf Laura zu orientieren, ihnen zu helfen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, und sich selbst zurückzu­nehmen.

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mit einem We don 't know (U 120)4. Daraufhin reformuliert der Lehrer seine Frage erneut. Ulrike antwortet stockend und fiir Herm T. offensichtlich zu langsam, worauf dieser wieder die Initiative übernimmt. Er beendet diesen Teil und geht zu seinem nächsten Unterrichts schritt über. In der Länge seiner Rede manifestiert sich noch einmal seine unterrichtliche Dominanz.

Wir formulieren hypothetisch: Es ist vermutlich charakteristisch rur den Unterrichts stil des Lehrers, Schülermitbeteiligung zu eröffnen, unmittelbar danach aber wieder einzuengen. Die Schüler sind nicht in der Lage, sich dem hohen sprachlichen Niveau des Lehrers entsprechend am Unterricht zu betei­ligenS. Sie erleben ihre Beiträge als mißlingend und ziehen sich in der Folge zurück, um dem Lehrer das Feld zu überlassen. Damit erscheint uns der Er­folg des Englischunterrichtes im Hinblick auf seine Ziele prinzipiell gefähr­det. Der Lehrer läßt durch seine inhaltliche Zusammenfassung, durch die Nichteinbeziehung Lauras in den nachfolgenden Unterricht und durch seine Tempovorgabe mögliche Schülermitbeteiligung nicht zu; er eröffnet auf grund seiner Dominanz als Near Native Speaker den Schülerinnen und Schülern nicht die Möglichkeit, sich selbständig am Unterricht zu beteiligen. Getragen ist dieses Verfahren offensichtlich von der Überzeugung, daß die Schüler gut Englisch lernen, wenn sie sein richtiges Englisch hören.

3.1.5 Zusammenfassende Bewertung

Von den unterschiedlichen Möglichkeiten, eine Unterrichtsstunde, in der ein neues Thema vorgestellt werden soll, zu beginnen, fmden sich nach Meinung der Forschergruppe hier zwei sich einander widersprechende Verfahren. Zunächst sieht es so aus, als ob der Lehrer mit der Einbringung des Zitates einen beispielorientierten Weg gewählt hat, um das Stundenthema daraus zu entwickeln. Da die Schüler nicht wissen können, was der Lehrer vorhat, ist in dieser Situation ein Moment der Spannung gegeben, das fiir Schülermitbetei­ligung eigentlich günstig ist. Der Lehrer trägt ein Programm vor (U 23), in dem die Schüler - zumindest nach seiner Eröffnungsphase - Akteure werden könnten. Die Planungshinweise zeigen aber zugleich auch, daß die Stunde, wie Herr T. sie geplant hat, sehr voll ist und daß er sich damit unter einen immensen Zeitdruck setzt. Der Umgang mit dem von Laura Vorgetragenen zeigt keine wesentliche Veränderung in der Frage der Schülermitbeteiligung. Herr T. bleibt dominant. Die Schüler kommen in der Besprechung des Bei-

4 Eine alternative Lesart dieser Textpassage ist denkbar: Es kann sein, daß Herrnann einen inhaltlichen Einspruch artikulieren will. Vielleicht meint er, daß wir nicht wissen, ob die Amerikaner tatsächlich ein stärkeres Engagement als die Deutschen entwickeln.

5 Der Lehrer ist erkennbar darum bemüht, wie ein native speaker zu sprechen. Er kommt diesem Ideal auch recht nahe, was der Videofilm besser als die Transkription zu zeigen vermag.

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trages von Laura nicht genügend zu Wort. Folgenden Arten von Schülermit­beteiligung können in der analysierten Sequenz festgestellt werden:

• teilweises Einbringen eigener Erfahrungen in den Unterricht (S),

• Anknüpfen an das Vorverständnis der Lernenden (L),

• Lebensweltbezug, Aktualität, Praxisnähe des Unterrichts (L),

• Herstellen von Transparenz des Unterrichtsablaufes fiir die Lernenden (L).

Damit liegt die analysierte Sequenz aus unserer (Forscher-)Sicht auf der ersten Stufe unserer Schülermitbeteiligungs-KlassifIkation, wie wir sie fiir das Fach Englisch in Teil 1.2 dargestellt haben. Die fremde Sprache und ihre landeskundlichen Inhalte werden vom Lehrer so präsentiert, daß die Ler­nenden keine oder nur wenig Möglichkeit haben, ihre eigene Interlanguage und ihr eigenkulturelles Vorverständnis einzubringen. Adaption an das Leh­rerwissen erscheint als die einzig mögliche Lernstrategie der Schüler. Realität und Authentizität der fremdsprachlichen Kommunikation werden also lehrer­seitig defmiert und gestaltet.

3.1.6 Auswertung des Lehrerinterviews

Das Interview mit dem unterrichtenden Lehrer, Herrn T. läßt sich in folgende größere Analyseeinheiten (thematische Schwerpunkte) gliedern:

1. Das Leitmotiv: Thematische Orientierung des Lehrers, Authentizität der eigenen Erfahrung (Besuch in den USA) und Konfrontation der Schüler mit dem, was der Lehrer erfahren hat (L 12-24).

2. Gestaltung der Beziehungen zwischen Lehrer und Schülern aus allge­meindidaktischer Perspektive: Herr T. bemüht sich, Schüler in Gesprä­che zu verwickeln. Er versucht, sie zum Zuge kommen zu lassen und darauf zu achten, daß neben der Qualität der Beiträge auch die Quantität gesichert ist, also längere Beiträge der Schüler möglich werden. Er un­terscheidet zwischen Soli, Gruppen- und Partnerarbeit. Sein Ziel ist, die Schüler zum Diskutieren in der fremden Sprache zu bringen. Dafiir not­wendig sind zum einen eine Verständigung der Schüler untereinander und zum anderen die fachbezogene Entwicklung der Schüler (L 25-77).

3. Gestaltung des Unterrichts aus fachdidaktischer Perspektive: Der Lei­stungsstand der Schülerinnen und Schüler ist inhomogen. Einige haben "das Sprachsystem im Griff", andere haben" einen gewissen elementa­ren Bereich (. .. ) nötig". Die fachliche Leistungskraft und -motivation der Schülerinnen und Schüler streut also breit. Insgesamt ist Herr T. dennoch

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mit den fachlichen Leistungen der Schüler zufrieden. Ihre fachliche Lernaufgabe besteht zunächst einmal darin, die Sprachmittel (Lexik und Strukturen) zu erwerben (L 82-196).

4. FremdsprachenelWerb und allgemeine Bildung: Herr T. strebt an, die Schüler durch seine Gestaltung des Englischunterrichts (in der landes­kundlichen und literarischen, nicht der sprachpraktischen Dimension) reifer zu machen. Dafür bringt er seine Erfahrung ein. In der Frem­dsprache haben aber die Schüler angesichts dieser Zielsetzung ihre Schwierigkeiten: "es ist sehr schwer, ( . .) ihnen wirklich 'profunde sprachliche A·ußerungen zu entlocken" (L 205-304).

5. Rahmenrichtlinien und landeskundlicher Unterricht: Herr T. strebt die unterrichtliche Integration von Landeskunde und Literatur an. Dabei bringt er seine eigenen Erfahrungen ein. Als Richtlinienautor und Fach­leiter demonstriert er einen reflektierten Umgang mit Richtlinien. Die Auswahl des Lesestoffes orientiert sich an seinen Erfahrungen, die er mit anderen Schülern im Laufe der Jahre gesammelt hat. In der Landeskunde geht es darum, den Umgang mit Fremdheit zu erlernen (L 310-397).

6. Schülermitbeteiligung: Bei der Themenwahl gibt es (noch) keine Mitbe­teiligung der Schüler. Sie sollen zukünftig Kurse auswählen können. Derzeit ist dies aber noch nicht möglich, weil gerade im Fach Englisch die Kurse zu groß werden dürften. Schülermitbeteiligung wird auch durch das Zentralabitur verhindert. Möglich ist individuelle Arbeit durch die Ausleihe von englischsprachigen Büchern (L 402-454).

7. Die Einbeziehung der Schüler im landeskundlichen Unterricht: Herr T. erläutert die Verzahnung des landeskundlichen mit dem Literaturunter­richt und die Fortführung des Themas der dokumentierten Stunde. Er äu­ßert sich zur Stundeneröffnung (Kennedy-Zitat) und zu seiner 'stra­tegischen Linie' bezüglich der Gestaltung der Schülermitbeteiligung. Schüler sollen sich selbst einbringen. Lauras Referat ist dafiir ein Bei­spiel. Obwohl alle Mitschüler Schwierigkeiten damit haben, die Aus­tauschschülerin zu verstehen, sagt Herr T.: ,Jch denke, daß das meiste verstanden worden ist." Mit Bezug auf den vorgefiihrten Videoaus­schnitt artikuliert Herr T. deutliche Selbstkritik: "Der Eindruck ist auch for mich hier, daß ich das alles zu lang mache (..) ". Sinnvolle Möglich­keiten zur Einbeziehung der Schüler ergeben sich durch den Schülervor­trag und dadurch, daß die Schülerinnen und Schüler in den Englischun­terricht einbringen, was sie in den Ferien im Ausland erlebt haben (L 456-679).

8. Abschluß: Herr T. kommt, veranlaßt durch die Interviewer, auf die Ver­zerrung der Unterrichtssituation durch die Videoaufzeichnung im Unter­richt zu sprechen. Er weist noch einmal darauf hin, daß sich einige

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Schüler gut am Unterricht beteiligen. Er macht deutlich, daß er Schüler­mitbeteiligung als Möglichkeit für die Schüler definiert, sich "einzubrin­gen" und erläutert erneut sein didaktisches Konzept: Er möchte ein gutes Klima in der Gruppe schaffen. Er nimmt die Schüler ernst und versucht, ihnen zu helfen (L 685-752).

Nach dem Vorspielen der Videosequenz äußert sich Herr T. zur Thematik der Stunde. Er hat die Problematik "Voluntarismus" während eines Studienauf­enthalts in den USA vor fünf Jahren kennengelernt und stellt sie im Unter­richt aus landeskundlicher Sicht vor. Ihm liegt daran, daß die Schüler mit dem Thema bekannt werden und den Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt herstellen. Meinungsäußerungen der Schüler stellen für Herrn T. den Höhe­punkt jeder Stunde dar, da er der Kommunikation in der Fremdsprache, vor allem der mündlichen, einen hohen Stellenwert zumißt. Den Stundeneinstieg betrachtet er als seine eigene Aufgabe, nach dem die Schüler selbst aktiv werden können. Er strebt an, die Schüler im Laufe der gymnasialen Oberstufe Teile von Diskussionen leiten zu lassen, schätzt aber ein, daß dies die Schüler in der aufgezeichneten Stunde überfordert hätte.

Es fällt im Interview auf, daß Herr T. in seinen Darlegungen zwischen Rückbezug auf den Videofilm, Bezug auf die Klassensituation, fachlicher Thematik, Kursplanung und Unterrichtskonzepten wechselt. Deshalb werden nachfolgend neben den direkt auf die Eröffnung bezogenen Teilen des Inter­views auch Passagen für die flankierende Interpretation der Eröffnungsse­quenz der Englischstunde herangezogen, in denen prima fade kein Bezug auf die Sequenz zu fmden ist. Die Interviewer geben - mit Bezug auf den Inter­viewleitfaden und im Rahmen der angestrebten Fokussierung - deutliche Anregungen für den Gesprächsverlauf. Herr T. nimmt diese Anregungen an. In einer anschließenden Reflexion der Interviewführung ist in der Forscher­gruppe kritisiert worden, daß die Interviewer nicht konkret genug nachfra­gen.6

Die nachfolgenden Teile des Lehrerinterviews sind aus unserer Sicht für die Konzeption der Eröffnungssequenz von Bedeutung, dementsprechend sind sie darzustellen und zu interpretieren:

• Der Einstieg in die Diskussion beleuchtet in vorgreifender Kürze das Konzept, das Herr T. bezüglich der unterrichtlichen Gestaltung der Schülermitbeteiligung verfolgt. Der Einstieg ist direkt auf die Eröff­nungssequenz bezogen.

• Daß sich der zweite Abschnitt des Lehrerinterviews auch auf die Stun­deneröffnung bezieht, wird nachfolgend deutlich. Das Referat der ameri-

6 Der Leitfaden diente den Interviewern als Gedächtnisstütze. Sie baten den Lehrer, das Gesehene zu beschrieben, zu analysieren und dann zu bewerten. Außerdem wurden gezielte Fragen zur Schülermitbeteiligung im Unterricht gestellt.

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kanischen Austauschschülerin Laura ist ein ,,solo", durch das sie sich einbringen kann, ist also, in Herrn T.s Verständnis, Schülerrnitbeteili­gung.

• Im Abschnitt zur fachinhaltlichen Gestaltung des Unterrichts kommen bezeichnender Weise keine näheren Erläuterungen zur Schülerrnitbetei­ligung.

• Herr T. geht davon aus, daß es seine Aufgabe ist, die Schüler zur Kom­munikation in der fremden Sprache zu führen. Dadurch, daß er seine ei­genen Erfahrungen einbringt, kann er ihnen helfen, reifer zu werden. Die durch seine Erfahrungen ermöglichte Authentizität durchzieht leitmoti­visch das ganze Interview (L 12-15, L 216-228, L 274-278, L 310-314, L 377-379 und L 467-479).

• Im landeskundlichen Unterricht kommt es nach Herrn T.s Darstellung darauf an, den Schülern Fremdheit zu vermitteln. Dies ist etwas, was ih­nen durch den Lehrer vorzugeben ist. Das Interview liefert also noch­mals einen Beitrag zu Herrn T.s fachlichem Verständnis von Schülermit­beteiligung.

• Mit dem Begriff der ,,Einbeziehung"/dem ,,Einbeziehen" der Schüler, der insgesamt vierzehnmal fällt, veranschaulicht Herr T. sein Konzept von Schülerrnitbeteiligung. Er muß den Unterricht so gestalten, daß die Schüler sich einbringen können. Herr T. weist darauf hin, daß er nun im Rückblick mit Bezug auf das Video seine Unterrichtsgestaltung durchaus kritisch sieht. Er selbst rede zu lange; Lauras Amerikanisch sei rur viele Schüler zu schwierig.

3.1.7 Einzelanalysen

a) Eröffnung der Stunde

Kommentare zur Eröffnung der Stunde liegen nicht vor.

b) Einfiihrung eines Ausspruches von John F. Kennedy

Die Einbringung des Kennedy-Zitats wird knapp kommentiert. Leider fand bei der Aufuahme des Interviews an diesem Punkt der Kassettenwechsel statt, so daß die inhaltliche Bewertung durch Herrn T. fehlt.

I: Eh, noch mal zurückzukommen auf das, was wir da gesehen haben. Sie, Sie fangenja an, indem Sie, indem Sie Kennedy zitieren (=ja=) und der Sven, ich

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habe das im Video nicht so richtig gesehen, ist das jemand der, der sich da besonders gut auskennt, weil er das Zitat ergänzen kann, das ist mir noch aufgefallen, daß er sich Ken-, er konnte ja den zweiten Teil (=ja=) sagen, ne?

L: Ja, ja. Sven, ja (übereinander gesprochen=) ja, eh, Sie wollen also etwas von unseren Schülern hören, also erfahren, oder=

I: Nein, das wollte ich einfach nur mal wissen, weil ich das auf dem Video nicht richtig gesehen habe, also gesehen habe. Hat der sich gemeldet oder, oder.

L: Eh also eh ich kann die Situation nicht mehr ganz, (=ja=) eh rekapitulie­ren, (=ja=) aber Sven hat ein gutes Allgemeinwissen (=aha=) und eh offen­sichtlich eh durch eh eh (L 485-498)

Der Text zeigt nur, daß Herr T. Sven als guten Schüler einschätzt.

c) Definition von Voluntarismus durch den Lehrer

L: " ... aber das war eben auch hier mein, meine Absicht (=mh=) es auszuweiten auf unsere Gesellschaft, also (=mh=) nicht das zu kopieren, sondern eben dar­über nachzudenken, eh könnten wir so etwas ähnliches machen, wir machen 'zum Teil' so etwas ähnliches, man kann es zum Teil aber noch intensivieren, ich fand, daß also diese Strecke dort intensiver betrieben wird, also Menschen, die fiJr ihre "community H, fiJr ihre Stadt, fiJr ihre Schule und gerade auch was den Schulbereich betrifft, das war sehr, sehr beeindruckende Dinge leisten, die sie nicht bezahlt bekommen, also dieses diese freiwillige Arbeit (=mh=) eh, also eh das Thema finde ich sehr, sehr dankbar und interessant (. .. ) H (L 17 -25).

Man sieht, wie Herr T. hier nochmals seine Begründung fiir das Thema ein­bringt und zugleich die landeskundliche Perspektive verdeutlicht. Volunta­rismus in den USA ist etwas, was es so in Deutschland nicht gibt. Kritik am amerikanischen weljare-system wird nicht geäußert. Noch deutlicher weist Herr T. in 379-390 auf sein landeskundliches Konzept hin. Landeskunde ist "eklektischer Natur H. ,,Fremdes kann anders sein, aber, aber nicht besser oder schlechter".

Die Kommentierung der Einstiegsphase fällt knapp aus. Herr T. beurteilt sie als intensiv und lehrerzentriert:

L: ... es ist eine relativ intensive Einleitung durch mich (=mh=) also das ist, muß ich jetzt erstmal so sagen (L 36-37)

Daran schließt ein Hinweis auf nachfolgende Unterrichtsabschnitte an. Die Schüler kommen nun zum Zuge (L 39), durch den Vortrag der Austausch­schülerin. Herr T. nimmt seinen hohen Redeanteil ebenso wahr wie die Tat­sache, daß dies seinem Anspruch, die Schüler reden zu lassen, zuwiderläuft.

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Er erklärt diesen Widerspruch nicht; die Interviewer fragen nicht nach. Nach dem Bericht der Interviewer ist ihm der offensichtliche Kontrast zwischen seinem Anspruch auf Einbeziehung der Schüler und der Unterrichtspraxis aber sichtlich peinlich. Er beginnt nachfolgend, nach Argumenten zu suchen, die seine Position rechtfertigen.

Wir können zusammenfassen: Herr T. demonstriert landeskundliehe Sen­sibilität. Ihn interessieren die Differenzen zwischen den Kulturen. Er will die Schüler durch Vermittlung von Informationen zu einem differenzierten Ver­ständnis amerikanischer Zustände fiihren. Eine Problematisierung der ameri­kanischen Verhältnisse fmdet nicht statt.

d) Zielformulierungen des Lehrers

Als Chance für Schülermitbeteiligung wird die Unterrichtseröffnung nicht wahrgenommen, diese Qualität wird vielmehr ausdrücklich den nachfolgen­den Unterrichtsabschnitten (Schülervortrag, Diskussion) zugesprochen. Der Lehrer fokussiert seine Kommentare nun eindeutig auf den Aspekt der Ein­beziehung der Schüler; als Möglichkeiten nennt er die Gestaltung längerer Unterrichtsabschnitte durch einzelne Schüler, das Äußern der eigenen Mei­nung und Diskussionen. Offensichtlich handelt es sich um einen routinisier­ten Einstieg, der aus der Sicht von Herrn T. keiner Begründung bedarf und der seinen didaktischen Maximen entspricht. Der Lehrer ist für die Wahl des Stundenthemas verantwortlich.

L: Eh das ist die 'eine' Linie der didaktischen Strategie, also Schüler gewis­sermaßen längere Passagen übernehmen zu lassen, daß also neben der Qua­lität auch die Quantität entwickelt wird, das ist wirklich ganz wichtig. Qua­lität und Quantität, also Schüler gibt es, die glauben eben mit ein, zwei Sät­zen ist die Sache erledigt (=mh=) das ist in dieser Stufe nicht mehr zu akzep­tieren, eh, aber natürlich dann eh wieder im im Konzert eh, aller gewisser­maßen, eh ein Gespräch zu fUhren, was sich in 'diesen' Gruppen auch in dieser besonderen hier durchaus schätze, das ist möglich und das ist fUr mich auch ein Teil der Einbeziehung der Schüler, eh ich will das nicht nur also in einer solistischen Weise sehen, (=mh=) wissen Sie, daß ich sage also, die sind dann einbezogen, wenn sie, wenn sie ein Solo geben, (=mh=) sondern (.) sie sind auch einbezogen, wenn sie was beibringen können (..) (L 52-62).

Die Interviewpassage deutet eines der wichtigsten Problemfelder des Ge­samtinterviews an, die klare Steuerung der kommunikativen Aktivitäten der Schüler durch Herrn T. und sein gleichzeitiges Bestreben, die "Schüler zum Zuge kommen zu lassen". Der vorgespielte Videoausschnitt verunsichert ihn zwar, doch sieht er in seinem Unterricht Schülermitbeteiligung immer noch realisiert. Er äußert sich dazu wie folgt:

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L: Ehm, ja, ehm, also die eh die Thematik, wie hier deutlich wurde, ist also " Voluntarism" (=ja=) in Amerika. Das war auch ein offenes Projekt, was ich hier gewählt habe, als ich eh vor eh jetzt vor jUnf Jahren in den USA war. Ich bin dort erst aufmerksam geworden auf diese interessante Problematik und, eh, versuche Dinge, die ich dort gesehen habe also hier einzubringen (=mh=) und Schüler mit diesen (.) Fragen zu konfrontieren, also aus der landeskundlichen Sicht (. .. ) es ist die Frage dann, die Schüler einzubinden, also in diese Problematik einzujUhren, um also dann zur Meinungsäußerung zu kommen, also das ist jUr mich immer der Höhepunkt einer Stunde; Schüler eben zu einer Problematik in ein 'Gespräch' zu verwickeln (=mh=) da so, das ist das Prinzip und eh das strebe ich eigentlich in jeder Stunde an, ja also, daß, eh (=mh=) die kommunikative Seite dabei zu sehen, das kommuni­kative Element mündlich gelegentlich also, also nicht gelegentlich also auch schriftlich, wobei das Mündliche (.) meistens dominiert (=ja=) das muß ich schon sagen, jedenfalls bei mir, ich neige nicht zu denen, die die Schüler lange schweigen lassen im Unterricht, eh das geschieht auch, aber das wird dann, als zum Teil aus, eh, dem Unterricht verlagert. (L 12-34)

Herr T. fonnuliert deutlich seinen didaktischen Ansatz. Dieser läßt sich, wie wir meinen, auf das in der DDR favorisierte (allgemein-)didaktische, von Lothar Klingberg eingebrachte Prinzip der pädagogischen Führung durch den Lehrer und der Selbsttätigkeit der Schüler, beziehen. Herr T. sieht seine Auf­gabe darin, die Schüler in die jeweilige Thematik einzufiihren, sie mit dem Problem zu "konfrontieren" und sie dann zur Selbsttätigkeit zu ennuntern. Dieses traditionelle Verständnis seiner didaktischen Aufgabe durchzieht das ganze Interview (vgl. L 119-121, L 182-193, L 291-300, L 582-612, L 630-637, L 656-673 und L 692-696). In der Analyse der Sequenz haben wir das als seine Strategie der indirekten Aktivierung der Schüler gekennzeichnet. Besonders deutlich wird in 396-447 an einem Mißverständnis, daß Herr T. die Schülerinnen und Schüler nicht an der Themenfestlegung beteiligt. Wäh­rend ein Schüler vorschlägt, das deutsche System sozialer Sicherheiten in die Diskussion einzubringen, deutet Herr T. den Beitrag als Zustimmung zu seiner Auffassung, daß Voluntarismus fiir die USA kennzeichnend ist.

Herr T. sieht Unterricht als einen Prozeß, den er initiiert und gestaltet und in den sich die Schüler (dann) einbringen können.

e) Vortrag der amerikanischen Austauschschülerin

Der Beitrag von Laura wird im Lehrerinterview ausfiihrlich kommentiert:

I: Ja das könnten wir uns vielleicht etwas (=würde mich sehr interessieren, = ja, ja=) also an Ausschnitten, die sie (=wir haben noch eins=) eh Laura saß in der vorderen Reihe (=ja, also=) Ehm, wie ist das, was hatten sie jUr einen

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Eindruck, wie das bei den Schülern angekommen ist, eh, eh, der Beitrag? (=Von Laura?=) Ja.

L: Ja sozusagen, das ist schwer zu sagen, also eh eh zum Teil ist es so, das muß ich sagen, in, in, sie spricht, sie wird nicht von allen so gut verstanden wie ich. (=Ja=) Ja also das liegt auf der Hand, und, eh, auch Schüler sind manchmal, sie kommen dann nicht an und sagen: Ich habe das und das und das nicht verstanden, also (=mh=) eh sie versuchen, das Beste daraus zu machen, eh, wobei also hier, also weiß ich, da bleiben gewisse" blind spots" (=mh=) sozusagen, also eh das das ist ein kleines Problem hierbei, aber Laura spricht so, wie sie eben, eh, ihre Sprache verwendet, (=ja=) ja also ich, (..) beim zweiten, bei der zweiten Gelegenheit, das war nicht dieses Jahr, habe ich ihr dann mal gesagt, vielleicht ein 'bißchen' sich ja als Lehrer zu sehen und, und, eh, was das Artikulieren betrifft, eh, habe ich sie aufmerksam gemacht, daß es also da (=ja=) durchaus ein bißchen Schwierigkeit, Schwie­rigkeiten, eh bringen könnte fiir fiir andere, eh, Zuhörer. Eh, ja ansonsten, ja also es ging um (.) Informationen, ja die sie (=ja=) der Klasse gibt, und ich denke, daß das meiste verstanden worden ist. (L 537-554)

Die amerikanische Austauschschülerin ist als Referentin willkommen, weil sie sich selbst einbringen kann und weil sie zugleich authentisch den deut­schen Schülern vermitteln kann, wie sie als Amerikanerin die Problematik sieht. Lauras Überforderung der Mitschülerinnen und -schüler ist Herrn T. bewußt, er verdrängt aber eine Kritik an der konkreten Gestaltung dieses Referates. Er begründet den Vortrag Lauras mit dem Ziel, das er erreichen wollte, der Vermittlung von Informationen. Aus seinen Worten wird ersicht­lich, daß er die besonderen Schwierigkeiten, die Lauras Beiträge für die Mit­schülerinnen und Mitschüler bedeuten, erkennt und daß er auch weiß, daß die meisten Schüler Verständnisprobleme hatten. Daß, wie er sagt, das meiste des Vorgetragenen von den Schüler verstanden worden ist, halten wir für wishful thinking und nicht mehr als ein rechtfertigendes Argument, mit dem sich der Lehrer vor den Interviewern abzusichern sucht.

f) Aufnahme des Vortrags durch Lehrer und Schüler

Der Lehrer kommt beim Kommentieren des Videos zuerst auf die landes­kundliehe Thematik der Stunde zu sprechen. Er argumentiert inhaltsorien­tiert. Er begründet sie unter drei Aspekten: Zuerst mit dem biographischen Bezug (das Thema wurde für ihn in den USA wichtig und interessant), zwei­tens als landeskundliches Problem, über das die Schüler informiert sein soll­ten, und drittens mit seiner Absicht, die Schüler zum Nachdenken über die Gesellschaft, in der sie selbst leben, zu bringen. Von letzterem erhofft er sich Impulse rur eine intensive und gehaltvolle fremdsprachliche Diskussion. Deutlich wird, daß der Lehrer das Thema selbst ausgewählt hat und daß er diese Auswahl ganz selbstverständlich zu seinen Aufgaben rechnet. Die per-

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sönliche Bedeutsamkeit ist Ausgangspunkt der Legitimation des Themas, woraus sich dann die Verpflichtung ergibt, das Thema auch für die Schüler bedeutsam werden zu lassen:

L: "Also, eh, das Thema finde ich sehr, sehr dankbar und interessant und es ist die Frage dann, die Schüler einzubinden, also in diese Problematik ein­zufohren, um also dann zur Meinungsäußerung zu kommen, also das ist for mich immer der Höhepunkt einer Stunde; Schüler eben zu einer Problematik in ein Gespräch zu verwickeln (=mh=) da so, das ist das Prinzip und eh, das strebe ich eigentlich in jeder Stunde an" (L 24-29).

Die Passage zeigt, wie wichtig Herrn T. die Thematik der Stunde ist. Er mißt dem Thema entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen einer quali­tativ ansprechenden Kommunikation zu. Er ist sich aber durchaus bewußt, daß sein Ansatz auch Probleme schafft.

L: Hören sie, was ich hier auch mache, das wird also sofort, also spontan, also ich merke da, also das ist for mich ein, (. .. ),(..) ich sehe zum Beispiel beim Beobachten, daß ich da schon zu lange eigentlich jetzt, eh dieses Kon­diesen Kompromiß eingehe, ja also das ist also doch eh tja (=welchen Kom­promiß, haben sie denjetzt=) den Kompromiß, also, eh, selbst Dinge zu sa­gen, die (=ja=) diese Uberleitung (=mh=) zu strecken, (=mh=) eh, weil, weil ich merke, das ist, ist eine gewisse Reser-, Reserviertheit da eh die die eh naja eh (..) die man fohlt, (=ja=) wissen sie und () weil, also der Eindruck ist auchfor mich hier, daß ich das alles zu lang mache, (=hmh=) also, daß daß, (=mh=) da würde ich schon meinen, wenn ich das jetzt sehe, (=mh=) eh, daß da wieder mehr Schüler schon eine Rolle spielen sollen, (=mh=) also was immer sie auch sagen, (=mh=) also, aber ich will es vielleicht so begründen wollen, (=ja=) also daß eine gewisse (..) besondere Situation ist schon ent­standen durch die Kamera (=durch die Kamera=) also das muß man schon sagen, also jaja (=mh=) eh aber das können wir eben nicht ändern.

Ja ja. Also das eh ich möchte zum Teil die Situation entschuldigen, also wir sind, eh dann noch andere, die dann relativ schnell auch anspringen, muß ich auch sagen, (=mh=) also die fohlen sich dann ein bißchen zurück, (=mh=) das war also mein erster Eindruck, eh das will ich jetzt nicht als Entschuldigung sagen, aber ich stelle das fest, also daß, (=ja=) also daß eh (. .. .) Ja, ich muß sagen, ich habe ja hier diese Textarbeit und dann kam dann noch, wie gesagt, das ist, (=mh=) ja das ist eben, was man eben will und was man umsetzen möchte, eben in der Quantität zu erreichen, (=mh=) wissen sie, das ist dann immer das Problem, (=mh=) eh, daß man auch mit der Quantität zufrieden sein kann, (=mh=) also, daß man sagt, okay, was hat der einzelne dann auch sagen können. Einbeziehung der Schüler (=ja=) und so weiter, also daß das eben Unterricht in dieser relativ spontanen Situation, aber eben auch in der ( .. .),(..) Weise. Was eben relativ leicht ist, das ist, eh,

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wenn sie Schüler eben mit Vorträgen (=mh=) mit einbeziehen und das wird vorbereitet, dann wissen sie genau, die nächsten jUni Minuten gehören diesen Schülern eben. (L 560-592).

Im Vergleich zu den anderen Passagen des Interviews macht Herr T. hier eher einen unsicheren Eindruck. Man kann nicht richtig nachvollziehen, was der "Kompromiß" ist, von dem Herr T. spricht. Vielleicht geht es um die Vermittlung zwischen seinem inhaltlichen Anspruch und der Schüleraktivie­rung? Oder daß er zuviel spricht und eigentlich die Schüler zum Sprechen bringen müßte? Unklar bleibt auch, warum Herr T. hier auf die Textarbeit eingeht und was an der wiedergegebenen Situation "spontan" sein könnte. Nachfolgend erläutert er sehr ausfiihrlich, was er unter der "Einbeziehung" der Schüler in die Unterrichtsgestaltung versteht. Erneut wird deutlich, daß er sich der Diskrepanz zwischen seinem Anspruch und der unterrichtlichen Realität bewußt ist: Die Realisierung der Zielsetzung, die Schüler in die Dis­kussion einzubinden, fällt deutlich gegenüber dem Konzept ab. Herr T. er­kennt dies und begründet es mit der besonderen Situation, die bei der Video­aufnahme vorlag. Er sieht keine Veranlassung, seine Unterrichtsgestaltung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Zusammenfassende Bewertung:

Es wird deutlich, daß Herr T. mit pädagogischem Engagement unterrichtet. Er artikuliert pädagogische Zielvorstellungen, die von seiner kommunikati­ven Grundorientierung Zeugnis ablegen. Er strebt an, daß die Schüler selb­ständig die Diskussion gestalten, sieht aber, daß sie bis dahin noch einen weiten Weg vor sich haben. Erkennbar ist, daß seine Begegnung mit der amerikanischen Kultur und seine in den USA gemachten Erfahrungen seinen Unterricht in starkem Maße motivieren. Herr T. ist überzeugt, was den Lei­stungsstand der Schüler angeht, eine gute Klasse zu haben.

Aus unserer Sicht ist fiir die Bestimmung seiner Sicht von Schülermit­beteiligung von entscheidender Bedeutung, daß die Schwierigkeit, in der fremden Sprache im Unterrichtsprozeß zu kommunizieren, von ihm ver­gleichsweise kurz angesprochen wird. Der sprachpraktische, auf die Ent­wicklung der Interlanguage bezogene Teil seiner unterrichtlichen Aufgaben­steIlung bleibt im Interview blaß. Ein Interlanguage-Konzept, das den Schü­lerinnen und Schülern erlauben würde, das jeweils nächsthöhere Niveau der Kommunikation mit ihrer von der Zielsprachennorm abweichenden Inter­language anzustreben, ist erkennbar nicht vorhanden. Herr T. "denkt" didak­tisch von der Zielsprache her, nicht vom Weg von der Muttersprache zur Zielsprache hin; er betont die Inhaltsvermittlung bei Vernachlässigung des diskursiven Elementes. Herr T. will den Schülern - gespeist von seiner hohen fremdsprachlichen Kompetenz und seinem landeskundlichen Interesse - die fremde Sprache "vormachen" und die fremde Kultur "vorzeigen".

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Mit Bezug auf die drei Hypothesen bezüglich der fiir die Schülermitbeteili­gung förderlichen Lehreraktivitäten kann Herrn T.s Selbstdeutung wie folgt beschrieben werden:

Die Stundeneröffnung ist themenorientiert und erfolgt mit Bezug auf das postulierte Interesse der Schüler. Angestrebt ist eine kommunikative Gestal­tung nach einer gewollt rezeptiven Eröffnungsphase. Deutlich festzustellen ist, daß Herr T. in inhaltlicher Sicht an das Vorverständnis der Schüler an­knüpfen und einen landeskundlichen Lebensweltbezug herstellen will.

Methodisch ist das im Interview geäußerte Selbstverständnis des Lehrers wie folgt zusammenzufassen und zu bewerten:

• Eine gezielte Förderung der Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, ihr Fremdsprachenlernen "in die Hand zu nehmen", ist nicht erkennbar. Für Herrn T. ist es selbstverständlich, daß er in der Klasse zu fUhren hat; dies wird nicht weiter begründet oder problematisiert.

• Eine Beteiligung der Lernenden an der Auswahl der Unter­richtsmethoden kommt Herrn T. nicht in den Sinn, und dies, obwohl die Schüler, wie im nachfolgenden Gruppeninterview deutlich wird, über eine hohe methodische Kompetenz verfugen.

• Die Unterrichtssteuerung und Gesprächsführung ist im Hinblick auf die Schülermitbeteiligung in sich widersprüchlich. Herr T. sagt, daß er die Schüler nicht lange schweigen lasse und das er sie ans Reden bringen wolle. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Praxis seiner Gesprächsführung wird ihm beim VorfUhren des Videos bewußt.

• Aufgrund seiner gründlichen Vorbereitung ist eine gewisse Transparenz des Unterrichts offensichtlich.

• "Modernere" Verfahren, die Schülerrnitbeteiligung zu gestalten (Elizita­tionstechniken, Konfrontationen und die Schaffung kognitiver Konfliktsitua­tionen, experimentelle Verfahren der Kommunikation im Medium der Fremdsprache und metakommunikative Elemente der Unterrichtsgestaltung), sind offensichtlich nicht vorhanden und werden auch nicht im Interview thematisiert.

Die Bewertung des unterrichtlichen Handelns und die Selbsteinschätzung von Herrn T. werden durch eine unabhängige Untersuchung gestützt. Andrea Reinartz hat im Rahmen ihrer Dissertation im Jahre 1997 ein Interview mit Herrn T. geführt (Reinartz 1999, i.V.). Im Interview ging es um Handlungs­orientierung im Fremdsprachenunterricht. Im Verlauf des Interviews sagt Herr T., daß der erfolgreiche Lemprozeß in erster Linie von der fremd­sprachlichen Handlungskompetenz des Lehrers abhänge. Er führt dann aus:

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"Wichtig ist for jeden Lehrer und jeden Referendar: daß er oder sie sich insofern auf dem Laufenden hält und daß man selbst sozusagen authentischer Partner wird, Authentizität vermitteln kann, obwohl man eben nicht Mitglied dieser anderen Nation ist, die die Sprache sprechen, sondern daß der Schüler diese Authentizität in dem erkennt, was man ihnen gewissermaßen bieten kann. Aus eigenem Erleben bieten kann oder eben aus dem, aus diesem - aus diesem, was man aus dem Bereich, aus dem man schöpft, (. .. ) das scheint mir auch wichtig zu sein, daß der Schüler den Lehrer dann auch akzeptiert, und insofern denke ich, daß man dafor eine Art - ich möchte es mal nicht Ersatz nennen, aber ehm so 'ne Art - ehm [sucht nach einem Wort] (. .. )

Interviewerin: Stellvertreter?

Herr T.: (. .. ) Stellvertreter-Position einnehmen kann, die durchaus akzeptiert wird. Ja? Und dieses dann auch durch das eigenen Modell am Ende oder einfach durch die eigene Darstellung ihnen [1 Sek. Pause] vermittelt. Daß man sagt, also, so hab ich gehandelt, und der Schüler nimmt das auf und registriert das. Und vielleicht und hoffentlich, vielleicht macht er 's auch so. Diese Offenheit und dieses Zugehen. "

Das Selbstverständnis eines Lehrers, der die Aktivierung der Schüler als selbstverständlich betrachtet und der bereit ist, sich dafiir engagiert einzu­bringen, könnte unseres Erachtens nicht besser dargestellt werden. Authenti­zität zu erzeugen betrachtet Herr T. als seine selbstverständliche Lehrerauf­gabe. Und dem müssen sich die Schüler anpassen. Sie müssen offen sein und auf ihn zugehen. Überspitzt formuliert: Herr T. verkörpert für die Schüler die fremde Sprache und Kultur.

3.1.8 Auswertung der Schülergruppendiskussion

Die Gliederung der Transkription der Gruppendiskussion ergibt folgende thematische Schwerpunkte:

1. Thematisierung der Kamerabeeinflussung: die Kamera als Magnet, Ab­lenkung und Disziplin, Schwierigkeit, sich auf Englisch auszudrücken, Aufmerksamkeit (S 5-100),

2. Diskussion über Themen des Unterrichts und Einbringen eigener The­menvorschläge: Interesse an den vom Lehrer eingebrachten Themen, Schwierigkeit, sich in der Sprache zurechtzufmden, Disziplin und rezep­tive Rolle der Schüler, Fragetechnik und Methodik des Lehrers (S 102-247),

3. Selbstbeurteilung der mangelnden sprachlichen Kompetenz und gleich­zeitige Akzeptanz der sprachlichen Kompetenz des Lehrers: das Englisch des Lehrers als Hürde für die Schüler, Themenwahl (S 249-327),

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4. Kritik an der Gesprächsjiihrung des Lehrers: Problematik direkter Fra­gen, Verwendung von Vorlagen fiir das Reden, Tempodruck, Akzeptanz der Unterbrechungen von Schüleräußerungen durch den Lehrer bei gleichzeitiger Kritik, Hemmschwellen, Differenzierung der sprachlichen Kompetenz unter den Schülern (S 304-443),

5. Lehrerdominanz und Unterrichtsmethoden: methodische Vorschläge der Schüler, Sprechen als erstes Erfordernis des Unterrichts (S 449-608).

Das Gruppeninterview läßt sich wie folgt zusammenfassen: Es beginnt damit, daß die Schüler ihr Unwohlsein gegenüber der Situation in der Stunde darle­gen. Nach dem Ansehen des Videoausschnitts äußern sie sich zunächst dazu, inwieweit die Kameras ihr Verhalten (Disziplin und Mitarbeit) beeinflußt haben. Es deuten sich Meinungsverschiedenheiten an, da der Maßstab fiir das, was unter einer akzeptablen Disziplin und Beteiligung (Diskussion) zu verstehen ist, von Schüler zu Schüler variiert. Ein Schüler bezieht sich auf den Stundenanfang und stellt fest, daß er sich durch den Einsatz der Kameras mehr als sonst veranlaßt sah, sich auf die Ausfiihrungen des Lehrers zu kon­zentrieren. An einer späteren Stelle der Gruppendiskussion äußert ein Schü­ler, daß Herr T. häufig zu Stundenbeginn lange Monologe hält, wodurch die Aufmerksamkeit nachläßt und es für die Schüler anschließend schwierig ist, die geforderten Redebeiträge zu liefern. Anschließend gehen die Schüler auf Momente des Unterrichts und ihrer Mitbeteiligung ein, die den Rahmen der gezeigten Sequenz und auch der aufgezeichneten Stunde weit überschreiten.

3.1.9 Einzelanalysen

Die Gruppendiskussion fiihrt nach der Videokonfrontation sehr schnell zu Diskussionen, die zeigen, daß viele Schülerinnen und Schüler die methodi­sche Qualität des Unterrichts differenziert wahrnehmen. Die von uns als zentral herausgestellten Schwerpunkte sind: Themen im Unterricht, Beurtei­lung der sprachlichen Kompetenzen von Schülern und Lehrer, Unterrichts­methodik und Schüleraktivitäten.

Themen im Unterricht:

Die Themen haben fiir die Schüler einen wichtigen Stellenwert. Sie werden in vielen Beiträgen positiv bewertet. Kritisiert wird hingegen, daß die The­men keinen Anreiz zu kontroversen Diskussionen bieten.

S: Also, also an sich fand ich das Thema schon recht interessant, es war nur, denk ich, also so 'ne ungewöhnliche Situation eben, =ja= Es war die Haupt-

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ursache dajUr, also ansonsten, das Thema war schon interessant (S 106-108).

S: Ja, ich finde das Problem ist, daß Herr T. immer recht krasse Themen, also Terroranschläge, da hat jeder dieselbe Meinung, da wird keiner sagen, Terroranschläge, das finde ich jetzt gut und da kommt keine Diskussion zu­stande (Schüler lachen) (S 198-200).

S: Ich weiß nicht, vielleicht habe ich Dich falsch verstanden, aber ich finde die Themen 'auch' interessant, aber ich kann mich darüber nicht aufregen, also ich kann dazu jetzt nich diskutieren über, ich kann darüber vielleicht sagen, also wie H. gesagt hat, ja es ist schlimm und die haben eine Meise oder so. Aber mehr, also ich kann darüber nicht mehr sagen, weil das ja schon jedem klar ist, sozusagen, aber deswegen finde ich es nicht uninteres­sant (S 238-243).

Die Themen werden aus Sicht der Schüler zugleich dadurch entwertet, daß sie nicht in einer rur sie akzeptablen Form bearbeitet werden können:

S: Ja, wenn 's um irgendeinen Text geht oder so, dann, dann stellt er ihn vor und so, und dann wird gelesen und dann, ehm, sagt er praktisch immer seine Meinung, seinen Standpunkt und dann, was findet ihr (S 159-161).

Unterhalb der Ebene der Themen ist deshalb die Differenz der Sprachkom­petenzen des Lehrers und der Schüler von gewichtiger Bedeutung.

Sprachkompetenzen des Lehrers und der Schüler:

Die Schülerinnen und Schüler zeigen in ihrem Gruppeninterview deutlich, daß sie ein klares Verständnis bezüglich der Zielsetzung des Englischunter­richts haben. Eigentlich sollten sie lernen, fast so gut wie ein Native Speaker zu reden und zu schreiben. Zugleich wissen sie aber, daß das eine sehr schwere Aufgabe ist. Die fehlende Sprachgewandtheit wird von mehreren Schülern zu einem zentralen Gegenstand der Gruppendiskussion, der die Diskussion zur Thematik des Unterrichts überlagert:

S: Es ist aber ziemlich 'oft sehr schwierig. Es kommt nicht so auf das Thema drauf an. Es ist einfach mehr so, daß man sich nicht so in der Sprache richtig zurechtfindet. Also mir geht es zum Beispiel so, ich will dann was sagen und hätt' jetzt auch irgendwie einen Vorschlag oder 'ne Idee oder so, dann ist die Situation, ehe ich mir das überlegt hab' und getraut hab' mich zu melden, also ich meine jetzt ich bin nicht so schüchtern oder so, es ist einfach sehr schwierig sich so auszudrücken und ehe man dann dasitzt und ständig stottert und dann läßt man es lieber. Zumindest geht es mir oft so. (=Hm=) Und das war vielleicht ein bißchen verstärkt, aber sonst ist es auch sonst nicht groß anders, es gibt Ausnahmen (S 112-120).

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Man sieht immer wieder, wie die Schüler Englisch auf niedrigem Niveau produzieren, in der fremdsprachlichen Kommunikationssituation also eine Reduktionsstrategie einsetzen, und daß sie sich dessen bewußt sind:

S: (...) Da wollte ich noch sagen, daß es auch, gerade weil Herr T. eigentlich ein total guter Lehrer ist und wie, eh, Christian =S: Ja, hier= auch so total gutes Englisch spricht, also glaub' ich zumindest, richtig hoher Anspruch, deswegen ist die Klippe so schwer, entweder man fohlt sich überfordert und schaltet ab, oder man versucht wirklich irgendwie reinzusteigen. Das ist halt ziemlich (S 243-247).

S: ( .. .) Und ich find das, also bei mir persönlich, ist das irgendwie so schwer, wie, wenn man nicht so richtig Englisch sprechen kann und dann sprechen die anderen alle so toll und kann der nicht richtig sprechen und man will auch was sagen und dann, ich trau' mich dann immer nicht, und ehe ich mich dann endlich überwunden hab, dann kommt einer dran und dann laß' ich es lieber (S 183-187).

S: Was ich, ehm, vielleicht auch, ehm, gut finden würde, wenn er sich for die Antworten von den Schülern ein bißchen mehr Zeit nehmen würde. Manch­mal also, wie gesagt die Sprachgewandtheit ist einfach nicht so =ja=, daß man das jetzt auf den Punkt zack bringen kann, da muß ma erst rumsabbeln, eh man das rausbringt. Er geht dann ziemlich schnell weiter zu den Leuten, die es wirklich, sag ich mal, drauf haben und das ziemlich gleich immer or­dentlich, und vielleicht wäre es gut, wenn er einfach denjenigen mal ein biß­ehen, auch noch 'während' des Sprechens überlegen lassen würde und ja dann bauen sich auch langsam die Hemmschwellen ab, wenn derjenige dann merkt, er kann es doch ein bißchen, ja, ich denke das (S 351-359).

S: Also ich wollte nur mal sagen, wenn Herr T. den Unterricht in Deutsch machen würde, also wenn alles, was in Englisch sein würde, in Deutsch sein würde, dann würde ich mich wahrscheinlich über die Themen genausowenig aufregen können, wie in Englisch, aber ich meine jetzt, (was sage ich darauf, also ich denke, da gibt's, weil ich mich auch einfach?) nicht traue, auch irgendwas Blödes zu sagen, was vielleicht nicht so sonderlichen Gehalt hat, aber eigentlich auch, eigentlich nur auf Englisch was zu sagen, geht nicht, also ich hab da die absolute Hemmschwelle (S 395-401).

S: Ja, ich wollt' noch sagen, daß wir also jetzt, also ja, außer der Kritik aber würd' ich noch gern anmerken, daß der, ehm, Unterricht doch irgendwie, eh ziemlich ja ziemlich viel bringt, sag ich mal, denn wenn man ihn irgendwas fragt, also Herrn T., dann weiß er immer eine Antwort, also, das ist nur nicht das ehm Vorrangige am Unterricht, daß man, also daß einem der Lehrer jedes Wort sagen kann, aber es ist doch schon, finde ich, ziemlich gut, wenn der Lehrer eben einem alles erklären kann so, so, wenn man ihn fragt, er weiß jedes Wort. Das ist unverständlich, also- (kleine Unruhe) (S 221-227).

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In diesen Schülerzitaten wird deutlich, daß die Schüler dem Lehrer eine hohe Sprach- und Sachkompetenz zusprechen, die viele von ihnen jedoch aufgrund ihrer eigenen fehlenden fremdsprachlichen Kompetenz als beängstigend erleben. Von der Mehrzahl der Schüler wird die hohe Kompetenz des Lehrers also als Hindernis und nicht als Lernhilfe erfahren. Dazu paßt, daß die Schü­ler nur ein diffuses Interlanguage-Konzept entwickeln, also die Einsicht, daß man auch schon mit einer niedrig entwickelten Fremdsprache erfolgreich kom­munizieren kann. Vielmehr verschieben sie die Problematik auf die Methodik­dimension:

Es kommt im Prinzip schlecht in Gang (...) also weil man sich einfach ziemlich schlecht gut ausdrücken kann oder so (S 87-88). (. . .) das macht man dann ei­gentlich (. . .) so 'n bißchen unterbewußt auf Deutsch, (...) und wenn man sich da bemüht da Englisch was zurechtzulegen und dann sagt auch eigentlich keiner irgendwas richtig so dazwischen oder dagegen (...) (S 170-174). Es ist einfach sehr schwierig sich so auszudrücken (S 117).

Dabei sehen sie auch Leistungsdifferenzen untereinander:

S: D. ist einer, der halt die Kraft hat, oder vielleicht auch einfach die Kraft nicht aufwenden braucht, der einfach begabter ist oder einfach fleißiger, nee nicht fleißiger, ist vielleicht das falsche Wort, der hat sozusagen, der steht da irgendwie drinne in diesem ganzen Wusel von diesen schweren Teilen da, ja. Also sozusagen, er kann von sich sagen irgendwo sich verbessert hat, aber bei mir merk ich, daß ich irgendwie sozusagen überfordert bin, weil das einfach so schwer ist, obwohl das ja eigentlich nicht schwer ist, aber -(S 421-427)

Unterricht als "Totalkonfrontation"

In den Argumentationen fUhren die Schüler die Ursache ihrer fehlenden Sprachkompetenz auf eigene Lernstrategien, aber auch auf die Unterrichts­methoden des Lehrers zurück:

S: Es fUhrt immer wieder zu ihm zurück, das fUhrt immer wieder darauf zu­rück, wer vorne steht und sagt, OK jetzt haben wir das abgekartet und jetzt die nächste Frage und dann geht das wieder so (S 374-376).

S: Ja klar, es nimmt einem vielleicht wieder die Sicherheit, aber irgendwie ist man im Inneren doch froh, wenn er jetzt das Wort übernommen hat und wenn man auch selber wieder weiter kommt. Also ich meine - (S 370-372).

S: Ja, wenn 's um irgendeinen Text geht oder so, dann, dann stellt er ihn vor und so, und dann wird gelesen und dann, ehm, sagt er praktisch immer seine Meinung, seinen Standpunkt und dann, was findet ihr. Und das ist dann ir­gendwie so eine Totalkonfrontation, also wenn er dann, was findet ihr, dann,

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also dann fiillt mir immer überhaupt nichts ein, also höchstens zu irgend etwas anderem. Das ist irgendwie schwierig, weil das so, stellt immer so direkte Fragen, so und redet immer ziemlich lang, obwohl er bestimmt auch keine richtige andere Möglichkeit hat, weil selten einer anfiingt was zu sa­gen, was zu sagen zum Thema, wenn es irgendwie um Texte geht oder Inter­pretationen und so (S 159-167).

Die Schüler erkennen folgendes Muster: Unbehagen über mangelnde Sprach­kompetenz, deshalb wenig Schülerbeiträge und deshalb hoher Sprachanteil des Lehrers, deshalb kein Lernzuwachs der Schüler.

Strukturprobleme des Unterrichts aus Schülersicht

In den folgenden Äußerungen einer Schülerin wird die Problematik man­gelnder Sprechmöglichkeiten bei gleichzeitigem Wunsch nach Verbesserung ihrer kommunikativen Kompetenzen deutlich. Der vermeintliche Unterrichts­erfolg rangiert erkennbar höher als die Chance, effektiv zu lernen:

S: Das Problem mit dem Sprechen ist einfach, daß man das Gefiihl hat, daß man mit seinem Kommentar, den man gibt, den Unterricht aufhält. (Schüler lachen) - wenn ich dasitze und denke, mir fehlen die Worte, mir fehlt der Ausdruck, mir fehlt die Grammatik, dann sitze ich da, und überlege und warte, man kann das nicht aufschreiben und vorlesen, das würde Zeit sparen, aber man sitzt dann da und überlegt und wenn sie sagt, er spricht einem ins Wort, das ist schon ganz gut, weil's dann errettet einen das aus der Situation, bloß, das ist eben das, dadurch lernt man es eben irgendwo nicht, sich aus dem Moment =ja, genau= bloß, wenn das jeder lernen würde wollen, dann würde, dann würden fiinf in der Stunde sprechen und jeder würde eine Vier­telstunde dazu brauchen, sich richtig auszusprechen =ja= und das geht nicht. Und deswegen reicht auch, finde ich, überhaupt die ganze Stundenanzahl in der Woche nicht, also dann müßten noch - (Unruhe) - Es ist nicht so, daß wir noch mehr Englisch machen wollen, aber wenn man was richtig machen will, dann braucht man einfach, (..),(.) bei der Sprache ist das so wichtig (S 378-390).

Die Schülerin stellt deutlich heraus, daß der erste Schritt zum Lernerfolg das Sprechen ist, erst der zweite die Grammatik und die Kontrolle des richtigen Sprachgebrauchs. Diese Auffassung führt sie jedoch nicht dazu, das Sprechen im Unterricht einzuklagen, sondern den als Anspruch erlebten hohen Anfor­derungen an sprachliche Richtigkeit zu folgen, was zu Passivität und Ohn­machtserlebnissen fUhrt. Fremdsprachlich-kommunikative Kompetenz er­scheint somit als wünschenswertes, aber nicht erreichbares Ziel. Fehlende Lernerfolge könnten aus Schülersicht durch Erhöhung der Stundenzahl kom­pensiert werden, was jedoch verworfen wird. Denkbare Konsequenz wäre

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deshalb Kritik am Unterrichtsstil oder an den Schülerstrategien. Beides wird aber nicht geäußert.

Andere Schülerinterpretationen führen noch weiter:

S: Ja warum faßt du es so an, es ist vollkommen richtig beim Sprechen, also das sehe ich nicht so. Also die Übung besteht doch darin, daß du einfach sprichst und daß du versuchst, die Worte zu umschreiben und nicht die rich­tigen Vokabeln (Durcheinander) (S 476-478).

S: ( .. ),(..) Es ist aber so, daß Kreativität oder so, eigentlich auf der Strecke bleibt, man merkt halt, daß was nun, das, was er schon sagte, schon ableiten, was so die richtige Antwort wäre. Es sagt also, man wird auch nicht so rich­tig zum Denken angehalten, das will ich sagen. Es ist allgemein in allen Un­terrichtsflichern so das große Problem, das meine ich, wenn ich lernen muß oder so und dann, aber so selbst kreativ werden, das fehlt eigentlich (S 509-513).

S: Es geht im Prinzip darum, daß wir nicht reden (S 596).

Angesichts dieser Problematik unterbreitet eine Schülerin einen aus unserer Sicht tragfähigen Lösungsvorschlag:

S: Ich meine aber schon, daß jetzt nicht verschiedene Gruppen zusammen sitzen, sondern, wo T. vorn steht und Schüler unterhalten sich einfach und er hört zu und da ist die Kontrolle - Verstehst du, der erste Schritt, bei dir ist der zweite Schritt die Grammatik, aber der erste Schritt ist mal überhaupt das Reden (S 484-487).

Die von mehreren Schülern akzeptierte Sprachkontrolle durch den Lehrer wird in ihrer lernverhindernden Funktion kritisiert. Die Chancen zum Reden ohne Unterbrechungen und der Mut, auch defizitäre Sprachbeiträge zuzulas­sen, werden eingefordert. Die Realisierung dieses Vorschlages wäre Schü­lermitbeteiligung auf oberstem Niveau. Die Schülerinnen und Schüler wür­den ihr Lernen selbst organisieren. Der Lehrer würde den Schülern helfen, ihre Erfahrungen bezüglich fremdsprachlicher Kommunikation mit den fach­lichen Anforderungen des Englischunterrichtes zu vermitteln.

Einzelanalyse mit Bezug auf die Videosequenz:

Die Schülerinnen und Schüler beziehen sich in der Gruppendiskussion nur an wenigen Stellen direkt auf die im Feedback gezeigte Sequenz. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß der Moderator in seiner Einführung entgegen der Vorgaben des Diskussionsleitfadens nicht in den Themenblock "Diskussion zur gesehenen Sequenz", "Diskussion der Stunde" und "Diskus­sion zur allgemeinen Unterrichtssituation" trennt. Die offene Situation lösen

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die Schüler dahingehend, daß sie sehr schnell den Rahmen der Sequenz ver­lassen. Die Diskussion auf der allgemeinen Ebene erlaubt jedoch interpretati­ve Bezüge auf die Gestaltung der im Video vorgefiihrten Sequenz.

Eröffnung der Stunde

Es gibt keinen Kommentar zur Stundeneröffnung.

b) Einführung eines Ausspruchs von John F. Kennedy

Auch zu dieser Szene gibt es keinen Kommentar in der Gruppendiskussion.

c) Definition von Voluntarismus durch den Lehrer

Die lange Einfiihrung und die Definition von Voluntarismus durch den Leh­rer werden in mehreren Beiträgen in der Diskussion kommentiert:

S: Ich glaube aber, also jetzt am Anfang, wo Herr T. so eine Einleitung ge­macht hat, da hab ich, glaub ich, also 'mehr zugehört, als wenn jetzt keine Kamera da stände, weil sonst da hätt' ich, naja also (Schüler lachen) das nicht gemacht, aber so ist man doch besser drauf und versucht da möglichst viel mitzubekommen (S 91-94).

Dieser Schülerbeitrag bezieht sich auf die besondere Situation des Einsatzes der Kameras. Die Schüler sehen sich in dieser Situation zu einer höheren Aufmerksamkeit veranIaßt. Das bedeutet implizit, daß die Aufmerksamkeit gegenüber dieser Einleitung in dieser Stunde ohne Kamera und Besucher vermutlich nicht so groß gewesen wäre. Ein Schüler schätzt die Wirkung einer derartigen Vorgehensweise wie folgt ein:

S: Herr T. hält also manchmal ziemlich lange Vorreden, sag ich mal. Also nicht, daß das jetzt falsch ist oder so, aber man sitzt erst mal da und, ehm, macht erst mal nichts außer Zuhören und, ehm, ja dann sollen wir was dazu sagen. Und, naja dadurch, das man eben schon ganze Weile gesessen hat, ist man doch ein bißehen träge oder so. Ja es ist so, zumindest finde ich und naja, das ist dann doch ein bißehen schwer. (ein leiser Kommentar) Ja ge­nau, man schaltet einfach vorher schon ab, ein bißehen, doch. - Aha.- (S 152-157)

Der Schüler stellt eine Verbindung von Lehrerhandeln und Passivität der Schüler her. Die Aussage, die von anderen Schülern geteilt wird, kann als generelle Kritik derartiger Stundeneröffnungen gewertet werden. Obwohl die Schüler sich der lähmenden Wirkung der Lehrermonologe bewußt sind, scheint ihnen die einzige Form einer Reaktion das Abschalten zu sein. Die in der Reflexion der Stunde ausgedrückte Passivität wird als unbefriedigend

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Musteranalyse Englisch 129

beschrieben. Abweichende Handlungsalternativen kommen allerdings nicht in den Blick. Schülennitbeteiligung steigt auf grund der Lehrerdominanz und des vorherrschenden Schülerverhaltens nicht auf bis in den Horizont einer Handlungsstrategie.

d) Zielfonnulierungen des Lehrers

Die Schüler äußern sich nicht konkret zu den Zielformulierungen des Lehrers rur diese Stunde, vielmehr diskutieren sie den Unterricht allgemein. Sie ver­stehen vermutlich diesen Teil des Lehrervortrags noch als "lange Vorrede". Schülermitbeteiligung wird in der Gruppendiskussion nicht mit Bezug auf die Zielformulierungen dieser Stunde eingefordert. Erstaunlich ist rur uns, daß das eigentliche Stundenthema nur mit zwei kurzen Bewertungen in der Grup­pendiskussion Berücksichtigung fmdet:

S: Ich fand das Thema nicht so interessant (...) (S 102)

S: Also, also an sich fand ich das Thema schon recht interessant (S 106)

Weitere inhaltliche Auseinandersetzungen mit diesem Thema kommen nicht vor. Eine dem Interesse des Lehrers vergleichbare Gewichtung landeskundli­cher Fragen ist nicht erkennbar. Die Schüler denken und argumentieren vor­wiegend auf der Beziehungsebene und auf der Ebene von Inhalten, jedoch weniger auf der Ebene von Unterrichtsmethoden. Sie artikulieren ihr Interes­se am Aufbau von Sprechkompetenz.

e) Vortrag der amerikanischen Austauschschülerin

Die Gruppendiskussion, an der auch Laura teilnimmt, enthält keine Aussagen zu diesem Teil der Stunde.

f) Aufnahme des Vortrags durch Lehrer und Schüler

Die Sequenz wird von den Schülern in der Gruppendiskussion dahingehend aufgenommen, daß einige Schüler sich in die Lehrersicht hineindenken und andere die Gesprächsfiihrung von Herrn T. kritisieren:

S: Also es fällt auffallend auf, daß Herr T. unheimlich viel ehm, versucht, ehm denjenigen dazu zu bringen, was zu sagen, und, eh, na ja - es ist einfach so = ja, Moment, daß er sich sehr bemüht, einfach uns anzuregen und was zu sagen und daß, daß es ziemlich schwer fällt (S 534-537).

Der Schüler beschreibt die Situation fiir den Lehrer im Anschluß an Lauras Beitrag, als dieser versucht, Schüleräußerungen "hervorzulocken". Er erkennt die Schwierigkeit, die Schüler zum Sprechen zu bringen, wobei er im An­schluß nicht nach den Ursachen fragt:

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S: Ja, das ist vor allen Dingen auch krampfhaft an jemanden, wo er denkt, er könnte jetzt drauf antworten, also er will uns auch nicht in die Pfanne hauen oder so also er ist da ganz vorsichtig und überlegt ja, dann guckt er einen an und ob wir ihm sagen könnten, oder so. Es ist auch schwierig fiir ihn, glaube ich (S 543-546).

Die Schüler beurteilen das Vorgehen des Lehrers· im Hinblick auf die Bezie­hungsebene. Dabei erkennen sie ein Dilemma für den Lehrer, der einerseits die Schüler zum Sprechen auffordern möchte, andererseits aber vermeiden möchte, sie bloßzustellen.

Sw: Im Gegensatz dazu steht aber, daß er zum Beispiel dann 'unterbricht', das habe ich eben ganz klar gesehen, naja er hat dann irgend etwas geredet oder so, "okay okay" (Lehrerzitat) und so und dann hat er gleich zum Näch­sten weiter. Ich mein, das ist sicher sehr schwierig und so und ich finde es eigentlich gut, daß er es so macht, wie er es macht, weil es ist bestimmt manchmal sehr frustrierend, wenn er jedesmal da von Neuem anfiingt und das sind ja eigentlich interessante Themen, wo er eigentlich auch inhaltlich ziemlich viel macht, jetzt mal vom Anspruch her, schon wenn es Deutsch wäre (S 548-554).

Die Schülerin formuliert als "Gegensatz", Schüler zum Reden zu bringen und sie zu unterbrechen. Ihre zunächst kritische Haltung gegenüber dem Tatbe­stand des Unterbrechens ("habe ich eben ganz klar gesehen ") mündet in eine Akzeptanz des Unterbrechens auf grund der erkannten Schutzfunktion. Die Gesprächsfiihrung des Lehrers wird weniger vor dem Hintergrund einer Un­terrichtsmethode diskutiert als vielmehr auf der Beziehungsebene. Die Schü­ler sind auf grund des guten Lehrer-Schüler-Verhältnisses bereit, Unterbre­chungen zu ertragen. Der Beziehungsaspekt im Handeln des Lehrers wird höher gewichtet als die als kritisch erkannte Verhinderung von Schülerrnit­beteiligung qua Sprechmöglichkeit.

Wir kommen zu einer zusammenfassenden Bewertung der Gruppendis­kussion mit den Schülern. Der zentrale Punkt in der Gruppendiskussion der Schülerinnen und Schüler ist die Thematisierung ihrer Sprachkompetenz. Diese steht im krassen Gegensatz zu der hohen Sprachkompetenz des Leh­rers, die die Schüler mehrmals herausstellen und ihm hoch amechnen. Sie sehen die Problematik ihrer eigenen mangelnden Sprachkompetenz und deren Wirkung auf das Unterrichtsgeschehen und empfmden Unbehagen über den verkrampften Unterrichtsverlauf, den sie auch der Unterrichtsfiihrung des Lehrers zuschreiben. Obwohl sie Kritik an dessen direktivem Stil üben, der ihnen die Möglichkeit nimmt, über rudimentäre Beiträge hinaus Sprechbei­träge zu liefern und damit einen Lernerfolg zu erzielen, nehmen sie ihn auf der Beziehungsebene in Schutz, weil er einen freundlichen Umgang mit ih­nen pflegt und sie respektiert.

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Musteranalyse Englisch 131

Bedeutsam ist dabei aus unserer Sicht, daß die Schüler keine Interventionen mit Bezug auf die methodische Gestaltung des Unterrichts erwägen. Sie for­dern keine Alternative zum erlebten Unterricht, weil sie sich selbst nicht als Mitgestalter des Unterrichts betrachten, als selbst steuernde Mitgestalter. Sie sehen aber auch deshalb keine Alternative, weil sie die vom Lehrer per­sonifIZierte Near Nativeness für ihre eigenen Lembedürfnisse nicht in Richtung auf eine realistischere Foreign speaker-Kompetenz abzumildern vermögen. Das heißt, sie deftnieren nicht selbst den Inhalt ihres Unterrichts.

In Bezug auf Schülermitbeteiligung ist festzustellen, daß diese von den Schülern zunächst nur auf der Ebene der Themenwahl angesprochen wird. Auch hier zeigen die Schüler Verständnis fiir die Entscheidung des Lehrers, ihre Vorschläge zwar zur Kenntnis zu nehmen, sie letztendlich aber nicht oder nur selten aufzunehmen, obwohl sie methodische Alternativen aufzei­gen. Erschwerend ist in diesem Zusammenhang, daß Herr T. aus der Sicht einiger Schüler Themen wählt, die wenig Anlaß zu kontroversen Beiträgen liefern oder trotz prinzipiellen Interesses nicht zu Widerspruch anregen.

Die Wahmehmung der Schülerrnitbeteiligung im Unterricht wird durch die mangelnde Sprachkompetenz der Schüler, verstärkt durch die hohe fach­liche Kompetenz des Lehrers bei gleichzeitig positiv wahrgenommener Be­ziehungsebene, überlagert. Der Lehrer versucht offensichtlich nicht, Unterricht so zu gestalten, daß die Schüler in ihm auf unterschiedlichem Niveau lernen können.

3.1.10 Triangulation

In diesem Abschnitt versuchen wir, die drei zunächst getrennten Analysen der Videoaufnahme, des Lehrerinterviews und der Gruppendiskussion zu­sammenzufassen, um sie in einer Art Metaanalyse bezüglich der Stufungen der Schülermitbeteiligung einem höheren Validitätsgrad zuzufiihren. Einzel­ne Überinterpretationen der Transkriptionsabschnitte können so relativiert, andere Interpretationen aber auch ausgeschärft werden.

Dem in Teil 2.2 erläuterten Verfahren entsprechend werden die einzelnen Abschnitte zunächst getrennt betrachtet, um daraus eine Gesamtbeurteilung der Lehrer-Schüler-Schüler-Interaktion und der Sinnkonstitution auf der Ebene der Mitbeteiligung vornehmen zu können. Dabei sind einige der Ab­schnitte nicht vollständig triangulierbar, da diese im Interview und in der Gruppendiskussion nicht explizit erfaßt wurden. Dabei kommt es zwangsläu­ftg zu gewissen Wiederholungen, was der Leser entschuldigen möge.

Wir stellen nachfolgend die Ergebnisse der Analysen zusammen und be­werten sie dann im Rahmen der hermeneutischen Rekonstruktion der Ni­veaus der Schülermitbeteiligung.

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a) Eröffnung der Stunde

Der Beginn der Unterrichtsstunde ist ein informierender, gelenkter Einstieg, in dem der Lehrer dominiert. Es handelt sich um eine übliche Konstellation, in der der Lehrer mit seinen einführenden Worten die Stunde von der Pause abgrenzt und sich die Aufmerksamkeit der Schüler verschafft. Im Stundenbe­ginn sind keine Elemente von Schülermitbeteiligung erkennbar, die über das Zuhören hinausgehen.

Da die Stundeneröffnung sowohl von den Schülern als auch vom Lehrer nicht angesprochen wird, bleibt nur eine hypothetische Aussage übrig: Das Ritual des Stundenbeginns ist so eingespielt, daß es zur Unterrichtsnormalität in diesem Englischunterricht gehört. Die Schüler werden informiert, und sehen keine Chance der Beteiligung an einer variierenden Gestaltung. Es bleibt dafür auch zeitlich kein Platz.

b) Einführung eines Ausspruchs von lohn F. Kennedy

Das Zitat eröffnet Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung für alle Schüler auf allen Ebenen. Die Antwort Svens sowie die zustimmende Äußerung Lau­ras ("Superb, superb", U 14) zeigen, daß mindestens diese beiden Schüler interessiert und auch in der Lage sind, sich am Unterricht zu beteiligen.

Auch dieser Abschnitt ermöglicht keine weitere Absicherung der Deu­tung des Unterrichts mit Bezug auf das Lehrerinterview und die Gruppendis­kussion der Schüler. Dies ist bedauerlich, da Sven ein Vorverständnis der Sache zu besitzen scheint, dessen Kenntnis für eine Analyse der Lehrer- und Schülerhandlungen nicht unwichtig ist. Auch Lauras Kommentar wird vom Lehrer nicht aufgenommen. Wahrscheinlich ist der Lehrer bereits in den Überlegungen zum nächsten Abschnitt, zu dem er ja durch seine eigenen biographischen Erfahrungen (seine von ihm gedachte Authentizität der Un­terrichtssituation) eine besondere Beziehung hat.

c) Definition von Voluntarismus durch den Lehrer

Prinzipiell eröffnet die Information über die Planung der Stunde die Chance, daß die Schüler Zustimmung oder Ablehnung äußern und Änderungsvor­schläge einbringen können. Denkbar ist, daß der Lehrer damit bewußt Trans­parenz des Unterrichts anstrebt. Allerdings bleibt diese Chance für Schüler­mitbeteiligung erkennbar ungenutzt. Der Lehrer stellt an keiner Stelle eine Frage nach der Meinung der Schüler zum Vorgesehenen, auch nicht nach dem Verständnis des in der Fremdsprache Vorgetragenen; auch die Schüler werden in dieser Hinsicht nicht aktiv. In unserem Interview demonstriert Herr T. landeskundliehe Sensibilität. Ihn interessieren die Differenzen zwischen den Kulturen. Er will die Schüler durch Vermittlung von Informationen zu einem differenzierten Verständnis amerikanischer Zustände führen. Eine Problernati-

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sierung der amerikanischen Verhältnisse fmdet nicht statt. Die Stundeneröff­nung in Form "lange(r) Vorreden" ist den Schülern bekannt und wird in der Gruppendiskussion kritisch gewertet. Obwohl die Schüler sich der lähmen­den Wirkung der Lehrennonologe bewußt sind, scheint ihnen die einzige Form einer Reaktion das Abschalten zu sein. Die in der Reflexion der Stunde ausgedrückte Passivität ("man sitzt erstmal da ", "zuhören ") wird als unbe­friedigend beschrieben. Abweichende Handlungsalternativen kommen nicht in den Blick. Schülermitbeteiligung steigt nicht auf bis in den Horizont einer Handlungsstrategie.

In diesem Abschnitt bestätigen sich die von uns aufgestellten Hypothesen zu den beiden ersten Abschnitten. Der Lehrer sieht sein Ziel in der Vermitt­lung seiner landeskundlich-kulturellen Erfahrung, die er grundsätzlich als für die Schüler interessant einschätzt. Die vorgefiihrte Stundeneinführung gehört zum Ritual des Lehrers, was von den Schülern als unangenehm betrachtet, zugleich aber auch als Rückzugsmöglichkeit empfunden wird. Dennoch scheint dieser Abschnitt auch für die Schüler eine inhaltliche Relevanz zu haben, da die Defmition des Lehrers zum Voluntarismus "work or help for other people ", im weiteren Verlauf der Stunde fast als einzige Antwort von den Schülern zurückgegeben wird.

d) Zielfonnulierungen des Lehrers

Daß Herr T. den Unterricht mit der amerikanischen Perspektive auf den Vo­luntarismus beginnt, bestätigt sein von uns vermutetes Unterrichtskonzept. Es eröffnet für die analysierte Sequenz nur Raum für ihn selbst und Laura, den native speaker. Inhaltlich stellt Herr T. also mit der ersten Zielformulierung auf die Rezeption fremder Erfahrungen bzw. auf Wissenszuwachs ab, metho­disch auf Zuhören bzw. verstehendes Hören. Er teilt seine methodischen und fachinhaltlichen Planungsüberlegungen mit, ohne den Schülern Möglichkei­ten zur Stellungnahme einzuräumen. Zugleich macht er deutlich, daß er den Anspruch hat, die Schüler zu einem späteren Zeitpunkt aktiv zu beteiligen. Herr T. sieht im Interview Unterricht als einen Prozeß, den er initiiert und ge­staltet und in den sich die Schüler (dann) einbringen können. Die Schüler den­ken und argumentieren in der Gruppendiskussion vorwiegend auf der Bezie­hungsebene und auf der Ebene von Inhalten, weniger auf der Ebene von Unterrichtsmethoden. Sie artikulieren ihr Interesse am Aufbau von Sprech­kompetenz.

Die Zielformulierungen für die Unterrichtsstunde lehnen sich inhaltlich an Herrn T.s Definitionen zum Voluntarismus an. Damit erhält die inhaltliche Komponente eine unterrichtliche Konkretion und Dominanz, was auch durch die Schüleräußerungen zu diesem Abschnitt bestätigt wird. Eine unmittelbare Öffnung für Schülermitbeteiligung kann in der an die Zielstellungen bezüg­lich des Referates durch Laura und den Anweisungen für die Zuhörer folgen-

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de Aufforderung ,J think might be interesting to discuss " gesehen werden. Es bleibt aber offen, ob der Lehrer eine freie Diskussion zulassen oder ob er sich nicht vielmehr auf sein inhaltliches Ziel, Differenzen zwischen den Kulturen aufzuzeigen, beschränken will.

e) Vortrag der amerikanischen Austauschschülerin

Die Videoanalyse zeigt, daß Schülermitbeteiligung stattfindet, denn Laura bringt ihre Erfahrungen in den Unterricht ein. Die durch sie realisierte Schü­lermitbeteiligung muß jedoch relativiert werden. Laura "vertritt" nur Herrn T. in seiner Lehretposition. Von Authentizität der Äußerungen kann deshalb nur bedingt, nur aus Lauras und Herrn T.s Sicht, gesprochen werden. Die Klasse reagiert nicht spontan auf Lauras Referat; ihr Interesse ist schwer abzuschät­zen. Lauras Vortrag eröffuet für den weiteren Verlauf aber inhaltliche Mög­lichkeiten für Schülermitbeteiligung. Herr T. begründet im Interview den Vor­trag Lauras damit, daß er die Vermittlung landeskundlicher Informationen errei­chen wollte. Aus seinen Worten wird ersichtlich, daß er die besonderen Schwie­rigkeiten, die ihr Reden den Schülern bot, erkennt und auch weiß, daß die Schüler Verständnisproblerne hatten. Daß das Vorgetragene von den meisten Schüler verstanden worden ist, halten wir für ein rechtfertigendes Argument, mit dem sich der Lehrer vor den Interviewern absichern will. Wir meinen nicht, daß Lauras Referat eine gelungene Gestaltung von Schülermitbeteiligung darstellt. Vielmehr ist zu vermuten, daß Laura als native speaker vom Lehrer wie ein "Unterrichtsmittel" eingesetzt wurde, um die für ihn so wichtige authentische Lernumgebung zu schaffen. Im Grunde genommen gibt ihm Laura in ihren Ausführungen zu viele Informationen, die er später nicht aufgreift. Für die Schüler bleibt zu vermuten, daß sie aufgrund ihrer Sprachdefizite viele In­formationen Lauras nicht verstanden haben, so daß sie im folgenden Ab­schnitt eher geneigt sind, der relativ straffen Führung durch den Lehrer zu folgen.

t) Aufnahme des Vortrags durch Lehrer und Schüler

Die Videobeobachtung macht deutlich, daß der Lehrer durch seine inhaltliche Zusammenfassung, durch die Nichteinbeziehung Lauras in den nachfolgen­den Unterricht und durch seine Tempovorgabe mögliche Schülermitbeteili­gung behindert; er eröffnet aufgrund seiner Dominanz als Near Native Spea­ker den Schülern nicht die Möglichkeit, sich selbständig am Unterricht zu beteiligen. Getragen ist dieses Verfahren offensichtlich von der Überzeu­gung, daß die Schüler gut Englisch lernen, wenn sie sein richtiges Englisch hören.

Die Realisierung der Zielsetzung, die Schüler in die Diskussion einzu­binden, fällt deutlich gegenüber dem Konzept ab, das Herr T. im Lehrerinter­view entwickelt. Er erkennt dies und begründet es mit der besonderen Situa-

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Musteranalyse Englisch 135

tion, die bei der Videoaufnahme vorlag. Er sieht keine Veranlassung, seine Unterrichtsgestaltung in Frage zu stellen.

Die Gesprächsfiihrung des Lehrers wird in der Gruppendiskussion der Schüler weniger vor dem Hintergrund einer Unterrichtsmethode diskutiert als vielmehr bezüglich der Interaktion. Die Schüler sind auf grund des guten Lehrer-Schüler-Verhältnisses bereit, seine Unterbrechungen zu ertragen. Der Beziehungsaspekt im Handeln des Lehrers wird höher gewichtet als die zum Teil als kritisch erkannte Verhinderung von Sprechmöglichkeiten der Schü­ler. Die im Prinzip nach Lauras Vortrag vorhandene offene Unterrichtssitua­tion wird durch die vom Lehrer eng abgesteckte inhaltliche Behandlung des Themas und auf grund der bei den Schülern gering ausgeprägten Bereitschaft, eigenen Ideen zu folgen, nicht genutzt. Das interaktorische Ritual auf niedri­gem fremdsprachlichen Niveau ist den Schülern lieber, als eigene Aktivitä­ten, die Gefahr laufen, in sprachliche und inhaltliche Sackgassen zu fiihren.

Ausblick auf den weiteren Stundenverlauf:

Die in unserer Interpretation der Eröffnungssequenz erarbeitete These bezüg­lich der Gestaltung der Schülerrnitbeteiligung wird bei einer Analyse der nachfolgenden Sequenzen dieser Stunde vorläufig bestätigt. Im Unterrichts­protokoll machen die Schülerbeiträge etwas mehr als zwei von insgesamt vierzehn Seiten aus. Dabei bestehen diese Beiträge zu einem Fünftel aus Minimaläußerungen (ein, zwei oder drei Wörter). Die Sprechzeit der Schüler liegt unter zehn Prozent der Unterrichtszeit; der Sprechanteil des Lehrers und das Referat von Laura machen die restlichen gut neunzig Prozent aus.

Wir können vermuten, daß Herr T. sich vorgenommen hatte, nach dem Referat von Laura und dem Gespräch über Lauras Beitrag, mit Hilfe der von ihm vorgefiihrten Dias Gruppenarbeit zu gestalten (some sort 01 group acti­viI)-'). Die Schüler erhalten in der zweiten Sequenz jedoch nur begrenzt die Möglichkeit, sich in die Diskussion einzubringen, und dies, obwohl offen­sichtlich Ähnliches, die Besprechung von Dias zu Reginald Reeves, schon früher einmal stattgefunden hat. Dies liegt, wie wir annehmen, zum einen an der Fragetechnik des Lehrers, der den Schülern Antworten auf niedrigem Niveau abverlangt, zum anderen aber auch am Verhalten der Schüler, die von sich aus keine Beiträge auf höherem Niveau einbringen.

Exemplarisch steht dafür der nachfolgende Textabschnitt, in dem Herr T. sein Programm für den Fortgang der Stunde erläutert, um dann einen Schüler aufzufordern, abzulesen, was dieser auf dem ersten Dia sehen kann.

L: ... and this is Reginald Reeves, I know him personally, eh, he wrote, eh, an article on voluntarism, we'd like you to read this article and to make com­ments on this article but after you 've seen eh, some more pictures. Eh, but, what, what I would like to do is just a not just to show pictures, eh, I will keep on asking a lew questions, ehm, just to, to, eh, make you 'comment 01 these

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points. Eh, I think, eh, that this might not be too difficult for you, eh, what to tell you (. .. ),(.) this situation, eh (..) (Lärm) (. . .),(..)+ OK. Eh, I think some­one should switch off the light. (Lehrer schaltet Diagerät an, erstes Dia wird sichtbar) Eh, this is, eh, a highway, eh, in the state of Idaho, ehm, (.) and, (.) next to that highway, eh, you can find lots of these signs, (..) now let 's read the sign, eh, yes, Matthias, could you read it, please, and, eh, eh, try to ex­plain what it means, eh, or some of you can do it. Adopt (U 145,..154).

Matthias: Adopt a highway litter control next two miles&(=the next two miles=) (U 156).

Nach dieser zweiten Eröffnung stellt der Lehrer eine Vokabelfrage. Er fragt Christian, was litter bedeutet, und dieser antwortet. Danach folgt ein langer Lehrerbeitrag, der mit einer gehaltvolleren Frage endet, auf die ein Schüler antwortet. Obwohl Dias eigentlich eine gute Gelegenheit sind, ins Gespräch zu kommen, entwickelt sich keine Diskussion im eigentlichen Sinne des Wortes. Dies mag an der Auswahl der Bilder liegen, hat aber zugleich tiefer liegende Ursachen. Die Schüler sind erkennbar an Herrn T.s Art der Unter­richtsgestaltung gewöhnt. Für Matthias ist es offensichtlich normal, sofort wieder unterbrochen zu werden.

Nach einem erneuten langen Monolog des Lehrers geht es in den näch­sten heiden Sequenzen der Stunde um den anfangs angekündigten Text von Reginald Reeves. Der Lehrer erarbeitet zunächst einige Vokabeln (pioneers, barn, roofis leaking, etc.) und versucht dann noch einmal, das Unterrichtsge­spräch in Gang zu bringen. Dieser Teil der Stunde demonstriert aus unserer Sicht, wie sich Herr T. Authentizität bezüglich der Erfahrung der fremden Kultur vorstellt, hat er doch den Autor selbst kennengelernt und den Text von einem Schulleiter seiner Heimatstadt erhalten, der Reeves gleichfalls besucht hat. Offensichtlich liegt Herrn T. daran, Voluntarismus als eine positive und in den Vereinigten Staaten verbreitete Sache herauszustellen, obwohl er im Lehrerinterview sagt, er wolle das, was in fremden Ländern anders ist, dar­stellen und nicht bewerten.

Prinzipiell ist im Fremdsprachenunterricht ein Gespräch über Texte, die an die Schüler ausgehändigt werden, geeignet, Schüler intensiv am Unterricht zu beteiligen. Leider degeneriert das Unterrichtsgespräch in der dokumen­tierten Stunde aber schnell zu einem Ratespiel der Schüler, welche Aussagen des Textes bedeutsam sind (und das heißt hier, für den Lehrer bedeutsam). Die Schüler flittern deshalb Sätze, die ihnen geeignet erscheinen, mehr oder weniger erfolgreich in den Unterricht ein. Im Text von Reeves heißt es:

"It makes people feel good to do good, to do something else gives one a special feeling, even if this kind of volunteerism is not done for personal gain. My pesonal view of this, the philosophy, ifyou will, is that service to others is the rent we pay for the space we occupy. And since I Iike to pay my rent, I keep trying to help others. So I give my service and pay my rent."

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In den Schülerbeiträgen fmden sich deutliche Wiederholungen dieser Aussa­ge:

S: Ehm, (liest) It makes people good to do good, to do something else gives me a special feeling, even this kind of volunteerism is not done for personal gain+ (U 437-438).

und

Bruno: Eh, 1 think, eh, (. . .),(.) is it (=ja=) ehm, (liest) My personal view, ehm, of this, the philosophy if you will, is that service to others is the rent we pay for the space we occupy+ (U 444-446).

Herr T. ist offensichtlich mit diesen Ablesebeiträgen zufrieden.

Die Struktur der kommunikativen Interaktion läßt sich wie folgt beschreiben: Der Lehrer bringt eine Vorgabe ein und entfaltet eine Angebot. Die Schüler greifen es nicht oder nicht schnell genug auf, sondern beschränken sich auf das Repetieren von Sätzen. Das Dilemma einer solchen Interaktionsstruktur besteht darin, daß in den Angeboten keine Entfaltungsmöglichkeiten auf der Basis von Schülerinteressen enthalten sind, da der Lehrer die Schülerant­worten durch seine engen Zielvorgaben 'entwertet'. Die Schüler spielen das Spiel trotz des in der Gruppendiskussion demonstrierten Problembewußtseins bezüglich der praktizierten Unterrichtsgestaltung mit. Der Unterricht kann aber auch dann laufen, wenn die Schüler die inhaltliche Problematik gar nicht oder nur begrenzt durchschauen. Wir wissen nicht, ob sie verstanden haben, was Reginald Reeves mit "service to others is the rent for the space we occu­py" meint.

Abschließende Bewertung:

Der V ersuch, den dokumentierten Englischunterricht in seiner Interaktions­und Sinnstruktur zu rekonstruieren, kann in der vorliegenden Musteranalyse nur vorläufig sein. Dennoch liegt es nahe, den Unterricht und im besonderen die austUhrlicher analysierte Eröffnungssequenz schon jetzt explorativ auf die in Teil 2 entwickelte Zielsetzung zu beziehen. Aus unserem jetzigen Kennt­nisstand heraus können wir folgende Aussagen bezüglich der Vermittlung von Fachsystematik und Lebensweltbezug, zunehmender Selbsttätigkeit und Identitätsbildung der Schülerinnen und Schüler und des Lehrers machen.

Schülerseitig:

1. Die Schülerinnen und Schüler der dokumentierten Englischstunde be­trachten die Gestaltung des Unterrichts als eine Aufgabe, für die sie sich den Forderungen und Gestaltungsvorschlägen des Lehrers anpassen. In den der Eröffnungssequenz nachfolgenden Sequenzen zeigen die Schüler

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nur begrenzt ein Verständnis für die Aufgabe, ihre eigene Lebenswelt mit dem, was der Lehrer inszeniert, zu vermitteln.

2. Eine Einforderung von Schülermitbeteiligung ist in der Eröffnungsse­quenz und im nachfolgenden Unterricht nicht festzustellen. Es fällt auf, daß die Schüler in der Gruppendiskussion Vorschläge für die Gestaltung des Unterrichts machen. Sie machen deutlich, daß der Lehrer die metho­dische Gestaltung des Unterrichts ändern sollte, damit sie ihre eigene Interlanguage einbringen können. Sie sehen aber (noch) nicht, daß sie dafür auch selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen müßten. Ob ihr Problembewußtsein, das nicht in Handlung umschlägt, längerfri­stig doch Wirkungen zeitigt, läßt sich im Rahmen der vorliegenden Er­hebung nicht feststellen.

3. Obwohl die Schüler nur begrenzt Möglichkeiten wahrnehmen, sich in die Unterrichtsgestaltung einzubringen, führt dies bei ihnen nicht zu Gleich­gültigkeit oder gar Zynismus. Dies heißt - auf der jetzigen Datenbasis -, daß die in Teil 2.1 formulierte Hypothese, Verhinderung von Schüler­mitbeteiligung führe zu Gleichgültigkeit oder Zynismus, zu weit geht. Wir nehmen an, daß die Schüler den Unterricht funktional betrachten. Er soll auf ökonomische Weise zum Abitur führen, und es hat keinen Sinn, das vom Fachlehrer dafür vorgeschlagene Verfahren ändern zu wollen.

Lehrerseitig:

1. Der Lehrer definiert sich als Fachmann, der Englisch kann, der den eng­lischen Sprachraum und die englischsprachige Literatur kennt und schätzt. Die Vermittlung von Fachsystematik und Lebenswelt besteht für ihn darin, die Schüler in seine Authentizitätserfahrungen einzubeziehen.

2. Der Lehrer setzt als selbstverständlich voraus, daß es seine Aufgabe ist, die Schüler zu aktivieren. Er praktiziert jedoch ein Verfahren der indi­rekten Aktivierung, indem er immer wieder Themen einbringt und Dis­kussionskontexte schafft, ohne den Schülern ausreichend zu ermögli­chen, selbsttätig in die Themenerarbeitung und in die Diskussionen ein­zusteigen.

3. Eine Bereitschaft des Lehrers, ein metakommunikatives Niveau bezüg­lich der Unterrichtsgestaltung einzunehmen, ist in der Eröffnungsse­quenz nicht und in den nachfolgenden Sequenzen und dem Lehrerinter­view nur in Ansätzen, etwa bezüglich der Unterrichtsplanung, erkennbar.

Unsere formulierte Erwartung, daß der Lehrer inhaltlich und zugleich syste­matisch vom Fach her denkt, während die Schüler stärker auf die Interakti­onsstrukturen und das methodische Vorgehen des Lehrers achten, wird in der Eröffnungssequenz, dem Lehrerinterview und der Gruppendiskussion bestä-

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tigt. Der Lehrer denkt landeskundlich, während die Schüler versuchen, sich irgendwie in die vom Lehrer geschaffene Unterrichtsgestaltung einzubringen.

3.1.11 Diefachdidaktische Stufung der Schülermitbeteiligung

Wenn wir die subjektiven Sinndeutungen des Unterrichtsgeschehens im Hin­blick auf Schülermitbeteiligung mit den Niveaustufen ihrer fachdidaktischen Gestaltung vermitteln, kommen wir zu einer rekonstruktiven, die hermeneuti­sche Analyse der Sinngebung aller Beteiligten überschreitenden Perspektive. Wir bewerten den vorgefundenen Unterricht im Hinblick auf die Mög­lichkeiten und die Perspektiven der Gestaltung der Schülermitbeteiligung.

Die von uns ausgewählte Sequenz zeigt, was eingangs dieser Analyse als Hypothese aufgestellt wurde, en detail. Sie belegt, daß eine methodische Entscheidung des Lehrers eine Unterrichtswirklichkeit konstituiert, die aus unserer Sicht in der in TeilJ.2 entwickelten fachdidaktischen Stufung auf der ersten Stufe der Mitbeteiligung einzuordnen ist. Die Konfrontation des Leh­rers und der Schüler mit ihren unterrichtlichen Handlungen konnte diese Vermutungen belegen und zusätzliche Kenntnisse der Ziele der Akteure erbringen. Inhaltlich und methodisch stellen wir fest, daß der Lehrer erlebte Authentizität auf die Schüler zu übertragen sucht, daß dabei aber deren eige­ne authentische Erfahrungen nicht in den Blick kommen. Dies wird nach Lauras Beitrag, der eine Fülle von inhaltlichen Variationen durch Schüler und Lehrer ermöglicht hätte, besonders deutlich. Der Lehrer strebt Transparenz der Unterrichtsplanung an. Er ist daran interessiert, daß die Schüler viel re­den, setzt dies aber in der Phase der Unterrichtseröffnung (und nachfolgend) nicht um. Er fördert wahrscheinlich, indem er viel Englisch spricht, nur die rezeptive kommunikative Kompetenz seiner Schüler.

Die Umwandlung des Klingberg-Konzeptes - pädagogische Führung des Lehrers und Selbsttätigkeit der Schüler - in den Fachunterricht - ich muß als Lehrer zunächst etwas Fremdsprachliches/Inhaltliches vorgeben, damit die Schüler dann einsteigen können - führt dazu, daß die Sprechanteile der Schüler minimiert werden und ihre möglicherweise vorhandenen Erfahrun­gen bezüglich der Thematik weitgehend unberücksichtigt bleiben. Andere Qualitäten der Unterrichtsgestaltung durch Herrn T. kompensieren diesen Mangel zum Teil, vor allem die freundliche Atmosphäre. Das Lehrerinter­view macht deutlich, daß Herr T. engagiert unterrichtet und den Schülern zeigt, was sie lernen sollen. Es besteht jedoch, wie er selbst erkennt, ein Wi­derspruch zwischen einer lehrerzentrierten Vermittlung und dem Anspruch auf Vermittlung kommunikativer Kompetenz durch unterrichtliche Kommu­nikation.

Die Gruppendiskussion zeigt, daß die Schüler sich eine größere Mitbe­teiligung wünschen, jedoch unterschiedlicher Meinung darüber sind, was

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lehrer- und schülerseitig und vom Fach her möglich ist. Die Lehreraussagen beziehen sich auf die landeskundlich-interkulturelle Seite, die der Schüler auf die methodische und sprachliche Seite des Unterrichts. Herr T. orientiert sich an der Thematik, die Schüler stärker am Sprachlernen. Die Thematik, volun­tarism, hat ein fachübergreifendes Potential, dies wird aber nur indirekt, mit Bezug auf die amerikanische Geschichte (John F. Kennedy), aufgenommen.

Anspruchsvollere Verfahren der Gestaltung der Schülermitbeteiligung sind nicht zu beobachten. Der Lehrer ermutigt die Schüler nicht, die von ihnen tatsächlich beherrschte Interlanguage in den Unterricht einzubringen. Lehrerseitig bewegt sich die Unterrichtsgestaltung insofern auf dem ersten Niveau des fachdidaktischen Stufenschemas. Sinn entsteht dadurch, daß der Lehrer versucht, comprehensible input zu produzieren - sein langer Monolog -oder produzieren zu lassen - Lauras Referat -, und daß er dann versucht, die Schüler in Gespräche zu verwickeln. Mit Bezug auf das Stufenschema ist also festzustellen, daß die Lernperspektive fiir die Schüler wesentlich die Adap­tion an das Lehrerwissen und -können ist.

Wir können jetzt die fachdidaktische. stufende Evaluation der Gestaltung der Schülermitbeteiligung durch Herrn T. und die Schüler nach der vorläufi­gen Triangulation der Unterrichtsbeobachtung und der Analysen von Leh­rerinterview und Gruppendiskussion andeuten:

(X) Erstes Niveau: Der Lehrer defmiertlgibt vor: die authentische englische Sprache und das, was die amerikanische Kultur ist. Die Schüler haben die Möglichkeit, sich dem Lehrerwissen und -können anzupassen, so gut es geht.

In der Substanz ist die Eröffnungssequenz auf diesem ersten Niveau zu plazieren. Der Lehrer fordert die Schüler nicht auf, ihre Interlanguage zu kultivieren.

(X) Zweites Niveau: Der Lehrer hilft den Schülern dabei, die Differenz der fremden Sprache und Kultur zu erleben. Authentizität ist das Erlebnis dieser Fremdheit als Lernaufgabe.

Durch die Aufforderungen, den amerikanischen voluntarism mit der Si­tuation in Halle zu vergleichen, zeigt der Lehrer den Schülern in inhaltlicher Hinsicht "Brücken des Verstehens". Es ist nicht ersichtlich, ob die Schüler die Brücken betreten. Ob sie tatsächlich interkulturell denken, wie viele von ihnen es tun, und wie reflektiert dies geschieht, wäre in einer getrennten Un­tersuchung zu erheben.

() Drittes Niveau: Es kommt zu einer gezielten, selbstgesteuerten Bearbei­tung der Fremdheit der fremden Sprache und Kultur. Der Lehrer hilft den Schülern bei der Suche nach "Brücken des Verstehens", die zu einer Relati­vierung des zuvor scheinbar selbstverständlich einander Gegenüberstehenden fiihren. Die Schüler defmieren die Authentizität der Lernaufgabe.

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Musteranalyse Englisch 141

Warum in diesem Unterricht nicht gezielt die Interlanguage der Schülerinnen und Schüler gefördert wird und warum die interkulturellen Differenzen zwar vom Lehrer herausgestellt, aber offenbar von den meisten Schülern nicht als Problematik anerkannt werden, wäre zu überprüfen. In methodischer Hinsicht wird das oberste Niveau der Schülermitbeteiligung von den Schülern in der Gruppendiskussion angedeutet. Im Unterricht ist es nicht zu erkennen.

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Ralf Schmidt / Josef Kenffer

3.2 Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Geschichte

"Du nicht, du hast jetzt nichts zu tun, du bist König, du wartest bItt a.

3.2.1 Vorbemerkung

Bei der ausgewählten Sequenz handelt es sich um einen Ausschnitt einer Geschichtsstunde einer elften Klasse eines Hallenser Gymnasiums. Thema der Stunde ist die schauspielerische Umsetzung der Krönungszeremonie Ottos des I. anhand einer in den beiden vorangegangenen Stunden behandel­ten geschichtlichen Textquelle aus dem Lehrbuch. Bei der Textquelle handelt es sich um die Beschreibung der Krönungszeremonie durch Widukind von Corvey, einem sächsischen, dem Königshaus nahestehenden Mönch und Geschichtsschreiber, der um die Mitte des 10. Jahrhunderts lebte. Im folgen­den werden zum besseren Verständnis der Quelle der geschichtliche Hinter­grund und die Entstehung der Quelle dargestellt.

Otto I. bestieg nach dem Tod seines Vaters Heinrich im Jahr 929 den Thron, nachdem zunächst unter Heinrichs Söhnen ein heftiger Streit um die Nachfolge entbrannt war. Der jugendliche Monarch beeilte sich, sein König­tum zu festigen. Die Krönung wurde in Aachen vollzogen. Ottos Bruder Heimich blieb in Sachsen zurück, im sicheren Gewahrsam des Grafen Sigfrid von Merseburg, eines Verwandten.

Der Bericht von Widukind über eine prunkvolle, friedliche, alle Herzöge und den Adel harmonisch vereinigende Krönungsfeier enthält kein Wort über die Zwistigkeiten im Vorfeld der Krönung, blieb aber für viele Generationen von Historikern, z.T. bis heute der maßgebliche Text für die Bewertung. Aus heutiger Perspektive ist der Bericht deshalb quellenkritisch zu hinterfragen (Fried 1994). Minutiös schildert Widukind den Ablauf von Wahl, Thronset­zung, Salbung und Krönung: In den ersten Augusttagen des Jahres 936 ver­sammelten sich die Stammesherzöge, weitere Grafen und höchste Adelsher­ren in Aachen, um Otto zum König zu wählen. Sie setzten ihn auf einen Thron, leisteten ihm, indem sie ihre Hände in die seinen legten, Mannschaft, schworen Treue und versprachen ihm Hilfe gegen seine Feinde. Dies alles geschah im Atrium vor der Marien-Kirche, während in ihr die Geistlichkeit

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144 Ralf Schmidt / Josej Keuffer

und "alles Volk" den neuen Herrscher erwarteten. Als der Sachse, in fränki­sche Kleider gehüllt, die Kirche betrat, kam ihm Hildebert von Mainz entge­gen und geleitete ihn zur Mitte des geweihten Raumes, um von den Versam­melten die Zustimmung zur Fürstenwahl einzuholen. "Seht, ich bringe euch den von Gott erwählten und von dem mächtigen Herrn Heinrich einst desi­gnierten, jetzt aber von allen Fürsten zum König gemachten Otto; gefallt euch diese Wahl, so erhebt die Rechte zum Himmel und zeigt es an" (Fried 1994). Der weltlichen Königserhebung folgte die geistliche Weihe. Unter Segensforrneln bekleidete der Mainzer Erzbischof den gewählten König mit allen Insignien, salbte sein Haupt mit dem "Öl der Barmherzigkeit" und krönte ihn schließlich mit dem goldenen Diadem; dabei assistierte Winfried von Köln. Im Schmuck der Zeichen bestieg König Otto den allen sichtbaren Thron im Obergeschoß der Kapelle. Nach der Krönung begab sich die Ge­sellschaft zur benachbarten Pfalz, um dort das Königsmahl zu begehen. Die Herzöge der Lothringer, Franken, Schwaben und Bayern versahen dabei die höchsten Hofämter: Giselbert ordnete die ganze Feier, Eberhard besorgte den Tisch, Herrnann fiihrte die Mundschenken, Arnulf kümmerte sich um die Ritterschaft und um die Wahl und Absteckung des Lagers. Nach dem Mahl ehrte der König jeden Fürsten in königlicher Freigebigkeit mit einem Ge­schenk, seiner würdig.

So weit der von Widukind überlieferte Bericht. Wie wird der Bericht Widukinds nun aber von Historikern quellenkritisch bewertet?

Die erste Frage die sich stellt, ist, ob der damals etwa zwölfjährige Wi­dukind überhaupt Augenzeuge gewesen sein konnte oder ob er sich bei der Anfertigung seines Berichtes nicht auf den Krönungsordo stützte, den man in Aachen benutzt hatte. Nach Meinung von Fried (1994, S. 482 ff.) protokol­lierte Widukind keine Zeitgeschichte, sondern konstruierte mit Hilfe von Wissensfetzen aus den Gegebenheiten und Bedürfnissen seiner Gegenwart deren Vorgeschichte. Dies spiegelt sich auch im Krönungsbericht selbst. So berichtet Widukind mit keiner Silbe von den Thronstreitigkeiten der Söhne Heinrichs. Warum sollte er auch ein einziges Wort darüber verlieren? Als er schrieb, herrschten längst Frieden und Eintracht. Die Grundzüge des liturgi­schen Aktes der Salbung und der Krönung können nachgeprüft werden. Erz­bischof Hildebert habe Otto, so berichtet Widukind, erst das Schwert umge­gürtet, dann die Armillen angelegt und den Mantel ihm übergeworfen, ihm anschließend Zepter und Stab in die Hände gedrückt und, nachdem er ihn so ausstaffiert habe, gesalbt und die Krone aufgesetzt. Nach Meinung von Fried kann dies aber kaum die tatsächliche Abfolge gewesen sein. "Man hätte den König erst angezogen, um ihn alsbald wieder zu entkleiden; denn die Salbung erfolgte nach Ausweis aller verfügbaren Quellen auf der Brust, den beiden Schulterblättern und auf den Armen, vielleicht auch schon wie später auf dem Haupt. Alle bekannten Krönungsordines ordneten umgekehrt: Zuerst wurde gesalbt, dann mit Insignien bekleidet, zuletzt mit der Krone. Es konnte nicht

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Musteranalyse Geschichte 145

anders sein" (a.a.O., S. 483). Widukind widersprach sich im übrigen selbst, indem er den König bei seiner Krönung in fränkischer Tracht auftreten ließ, an anderer Stelle aber ausdrücklich festhielt, Otto habe heimische und nie­mals fremde Tracht getragen. Auch die Formel, die Widukind dem Mainzer Erzbischof bei der Übergabe des Schwertes in den Mund legte, weist darauf hin, ,,( ... ) daß sein ganzer Bericht nicht vor 962 denkbar ist und seine, Widu­kinds eigene Ablehnung von Ottos römischer Kaiserwürde spiegelte: 'Nimm hin dieses Schwert, durch das dir ... die Gewalt des ganzen Kaisertums der Franken übertragen wurde'. Eine solche Formel gab es nie; sie entsprang Widukinds Wunsch". (Ebd., S. 483)

Es ist also irreführend, Widukinds Darstellung rur das Jahr 936 rur bare Münze zu nehmen. Dennoch ist sie rur die Zeit der Niederschrift als höchst aufschlußreich zu betrachten. So resümieret Fried in seiner Analyse der Quelle Widukinds:

"Was in Aachen wirklich geschah, und wie es inszeniert wurde, weiß man nicht, fassen läßt sich nur die Geschichte, die Widukind erzählte, und hinter ihm die Vorstellungen filhrender Kreise des Hofes um 970. Was der sächsische Mönch zur Darstellung brachte, ließ drei, vier oder noch mehr Handlungen in eins fließen: Ottos Salbung von 930, seine Thronset­zung und Befestigungkrönung im Jahr 936, die Feierlichkeiten zur Benediktion seines gleichnamigen Sohnes von 961 und irgendwie die Kaiserkrönung von 962. Realität, aktua­lisierendes Geschichtsbild und Ideologie, Dichtung und Wahrheit glitten ineinander, ohne daß man ihren jeweiligen Beitrag genau zu trennen oder anzugeben wüßte, wann sie sich jeweils miteinander vereinten" (aaO., S. 484).

3.2.2 Kurzdarstellung der inhaltlichen und methodischen Struktur der gesamten Stunde

Zelt Fachinhaltliche Schwerpunkte Interaktions- Medien merkmale

0.04 Eröffnung der Stunde Lehrervortrag 0.12 Aufbaupbase des Rollenspiels, Regieanweisungen Klassenraum.

der Regisseurin. Mobiliar Regisseur-Schüler-Gespräch

Erläuterung des Ablaufs des 0.08 Rollenspiels 0.11 Beginn des ersten Durchlaufs Rollenspiel Klassenrawn

Quellentext, 0.12 Beginn des zweiten Durchlaufs Rollenspiel Insignien 0.24 Beginn des dritten Durchlaufs; RollensJ)iel

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146 Ralf Schmidt / Josej Keuffer

0.30 Ende des Rollenspiels; vertie-fendes Gespräch über die Be-- Lehcervortrag; deutung des Schwertes als Insi-gnie,

Lehcer-Schüler-Vertiefungsphase Gespräch

0.42 Zusammenfassung des Ergebnis- Lehrer-Schüler-ses der Stunde und Ausblick auf Gespräch den weiteren Unterrichtsverlauf

3.2.3 Begründung der Auswahl der Sequenz mit Transkriptionsausschnitten

Insignie

Wandtafel

Bei der vorliegenden Stunde handelt es sich um die zweite von uns video­graphierte Stunde bei Herrn A. In der ersten Stunde hatte er auf grund eines Mißverständnisses noch nicht mit einer Aufnahme gerechnet. Dies ist deshalb bedeutsam, weil die Schüler in der Gruppendiskussion auf die erste Stunde Bezug nehmen.

Die Sequenz beginnt mit dem dritten und letzten Durchlauf der Inszenie­rung der Krönungszeremonie, nachdem die beiden ersten Durchläufe auf­grund kleinerer Unstimmigkeiten im Ablauf abgebrochen worden waren, und endet mit den ersten drei Minuten der Zusammenfassung des Lehrers nach Beendigung des Rollenspiels. Die Auffiihrung wird von sechs Schülern ge­tragen, die als Regisseurin, Schauspieler und Quellenleser (Widukind) agie­ren.

Die Auswahl der Sequenz erfolgte auf grund folgender Kriterien:

• Das Rollenspiel als zentraler Unterrichtsinhalt der Stunde stellt eine von Schülern gestaltete, besondere Unterrichtsform dar, die per se Schülermitbe­teiligung auf allen Ebenen eröffnet. Eine interessante Perspektive ist die Frage, welche Realisierungschancen fiir Schülermitbeteiligung die Schüler dieser Unterrichtsform retrospektiv zumessen.

• Des weiteren dokumentiert die Sequenz den Übergang einer schülerseitig gestalteten Unterrichtsform (Rollenspiel) zu einer Unterrichtsform, in wel­cher der Lehrer die weitere Gestaltung der Unterrichtsstunde übernimmt (Frontalunterricht). Durch die Einbeziehung eines exemplarischen Aus­schnitts der lehrergesteuerten Vertiefungsphase soll der Ausnahmecharakter des Rollenspiels relativiert werden, um so Aufschluß darüber zu gewinnen, wie Schülermitbeteiligung im "normalen" Geschichtsunterricht dieser Klasse verwirklicht wird.

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Musteranalyse Geschichte 147

• Der aus unserer Sicht abrupte Übergang vom Rollenspiel zur Vertie­fungphase wirft die Frage nach der Funktion des Rollenspiels im Gesamtzu­sammenhang der Stunde auf. Darüber kann eventuell ein weiterer Rück­schluß auf die Art von Schülermitbeteiligung gezogen werden, die vom Leh­rer in Form des Spiels intendiert wurde. Aufschlußreiche Aussagen hierzu erwarten wir vom Lehrerinterview und der Schülergruppendiskussion.

Der dritte Durchlauf der spielerischen Darstellung endet mit den Schluß ab­schnitten der historischen Quelle aus dem Geschichtsbuch. Zwei Schülerin­nen lesen mit verteilten Rollen vor; die als König, Herzöge, Bischof und Volk eingeteilten Schüler agieren gemäß der im Text dargestellten Beschrei­bung und setzen die Zeremonie mit selbstgebastelten Utensilien im Klassen­raum um (U 9, 28-10, 14).

S3 (Bischof) (liest vor): Von diesen Zeichen ( . .) laß dich mahnen, () daß du mit väterlicher Strenge deine Untertanen züchtigst und vor allem und vor allen Dienern, den Witwen und Waisen die Hand der Erbarmung reichst, und möge niemals auf deinem Haupt das Öl der Barmherzigkeit versiegen, auf das du jetzt und in Zukunft mit ewigem Lohne gekrönt werdest. +

S2 (Widukind) (liest vor): Und sogleich wurde er mit dem heiligen Öl gesalbt und mit dem goldenen Diadem gekrönt. (Schauspieler agieren) ( . .) Und nachdem nun so die herkömmliche Weihe ganz beendet war, ward er zum Throne gefiihrt, zu dem man auf einer Wendeltreppe hinanstieg und der zwi­schen zwei marmornen Säulen von herrlicher Schönheit errichtet war, so daß er von hier aus alle sehen und von allen gesehen werden konnte. + (Lachen; Schauspieler agieren) ( .. .) Nachdem man hierauf Gott gepriesen und das Meßopfer feierlich begangen hatte, stieg der König in die Pfalz herab (La­chen) ( .. .), trat sodann an eine marmorne mit königlichem Gerät ge­schmückte Tafel und setzte sich mit den Bischöfen und allem Volke ( ... ), die Herzöge aber warteten auf, der Herzog der Lothringer Ilsibert, zu dessen Amtsgewalt jener Ort gehörte, ordnete die ganz Feier, Eduard besorgte den Tisch, Heriman der Franke stand dem Mundsch- dem Mundschenk vor. Ar­nulf sorgte fiir die ganze Ritterschaft und die Bewahrung und Absteckung des Lagers. Der König aber ehrte hiernach einen jeden der Fürsten in echt kö­niglicher Freigiebigkeit mit angemessenen Geschenken und entließ die Men­ge in aller Fröhlichkeit+ (Applaus der zuschauenden Schüler)

Nach Beendigung der Auffiihrung ergreift der Lehrer das Wort und erklärt die Bedeutung des im Spiel als Insignie verwendeten Schwertes. Er fragt die Klasse, ob ein weiterer Durchlauf gewünscht sei, was von den Schülern ver­neint wird. Danach erfolgt eine Umbaupause, in welcher die alte Sitzordnung wiederhergestellt wird. Der Lehrer positioniert den Schüler, der den König dargestellt hat, auf einem Stuhl stehend vor der Tafel (U 10, 16-11, 4).

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148 Ralf Schmidt / Josef Keuffer

L: Schön, stop an der Stelle. (.) Eines müßte allen Beteiligten aufgefallen sein. Ehm, die beiden haben wunderbar die Requisiten besorgt. Daß an dem Schwert ein Gehänge sein muß, hat eine Bedeutung (.) Weil man sich 's wirk­lich umhängen soll und das Schwert das letzte ist, was unser König ziehen darf (...) (..) Deshalb trägt auch ein König sein Schwert nie blank, weil ein blank gezogenes Schwert ein Zeichen der Kriegsvorbereitung oder des Krie­ges ist, deshalb eigentlich dieses sehr unnütze (zieht Schwert aus Schaft und zurück) (..) Hüllchen dazu. Regisseur, deine Meinung.

Swl (Regisseurin): Ja, ich bin begeistert von dem Theaterensemble,ja.

L: Du bist begeistert. (Lachen) Wollt ihr es noch mal durchgehen oder bist Du zufrieden, wollen wir es vielleicht nochmal(=Na, die anderen sind zuJrie­den=) Seid ihr jetzt zuJrieden mit genügend Speisung. Bis auf König Dtto räumen schnell alle um, König Dtto kommt mit mir nach vorn, denn jetzt geht 's ja erst weiter, daß wir weiterarbeiten, alle anderen räumen ganz schnell die Stühle in die Ausgangsposition, Dtto darf hier Platz nehmen. (Stühle rücken, Stimmengewirr) (5) Darfst Dich auch ausnahmsweise mal hinstellen, da drauf, (. . .) ja steck mal ein, steck mal das Schwert rein. (35) +

Der Lehrer gibt nun einen Ausblick auf den weiteren Stundenverlauf und geht im Anschluß daran die im Spiel verwendeten Insignien durch, indem er die Schüler nach den Bedeutungen befragt und die Bedeutungen jeweils zu­sammenfaßt. Im jetzt folgenden Abschnitt werden die Insignien Schwert und Mantel thematisiert. (U 11,6-13, I)

L: So, jetzt gehn wir natürlich 'nen Schritt weiter (. . .) Erstens gehen wir noch mal ganz schnell die Insignien durch, die für die deutsche Geschichte, aber nicht nur für die deutsche, sondern auch im späteren Sinne für die europäi­sche Geschichte, eine große Rolle spielen. Schwert hat welche Bedeutung? (.. . .) S: Ä'hm, daß man sozusagen das Volk beschützen muß.

L: Ja, noch konkreter etwas vielleicht, K.?

S: (. . .), (..)

L: Auch, noch deutlicher. Du nicht, du hast jetzt nichts zu tun, du bist König, du wartest ab, J.

S: Um den Glauben zu verteidigen.

L: Schutz des Weltglaubens (. .. ),(..) der Krönungsmantel hatte welche Be­deutung, X?

S: Einmal zum Schutzfür den König.

L: Ja, nicht nur zum Schutz für den König, sondern (.) symbolhaft wieder, G.?

S: Frieden.

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Musteranalyse Geschichte 149

L: Glaubens- und Friedensschutz, deshalb auch die Reihenfolge. Bemer­kenswert, ihr müßtet etwas ja bemerkt haben, das hat beim zweiten Durchlauf wunderbar geklappt. Nun, wir müßten viel mehr Zeit haben zum Spielen, zuerst das Schwert und dann der Mantel, kann da einer etwas Symbolhaftes daraus ableiten? (.) Aus dieser Tatsache, Schwert, Schutz der Menschen, Kampffiir das Christentum, zweites Symbol oder zweite Insignie der Mantel, der übergeben wird als Schutz des Glaubens und des Friedens. Sieht keiner einen sym- symbolhaften Wert, A.?

S: Daß der Glauben im Vordergrund steht und dann erst der Rest kommt.

L: Ja, etwas deutlicher vielleicht sogar noch, noch etwas deutlicher L. äh U. Entschuldigung.

S. (..),(.) Das Wohl der Bevölkerung und Land und und und Glaube und so sollen halt durch Waffengewalt geschützt werden.

L: Ja, Waffengewalt und Schutzfunktion, also fiir uns heute ist das doch ei­gentlich, hatte ich gedacht, daß man, wie würde man das eigentlich heute sehen? (.) Nun dürfen wir das natürlich nicht 1000 Jahre zurück übertragen, das ist zu einfach, Schutz mit Waffengewalt, könnte man, wie würde man das heute vielleicht kombinieren? (..) Bitte.

Sm (Bischof): Diktatur.

L: Oh nein, das würde zu weit gehen, das würde zu weit gehen. Das wäre auch nicht angemessen. Kommt keiner drauf? Schwert zuerst, Schutz der Armen (..) als wichtigste Aufgabe und gleichzeitig Friedenssicherung, des­halb der Mantel, damit sinnvoll umzugehen, zu bewahren. ist die erste Auf­gabe. H.

Sm: Ich hab mal 'ne Frage, das Schwert dient doch auch mehr zum Angriff, also wollt ich mal fragen.

L: Ja, da steckt ein Problem drinne, ein Schwert ist ja, ja ist das natürlich gut 'ne Verteidigungswaffe, weil alle ja nur mit Schwertern kämpfen, aber sie dient auch zum Angriff, also da steckt wirklich ein Problem drin. also Schutz und Bewahren, Friedenssicherung 'und eindeutig heißt die Aufgabe 'Kampf fiir das Christentum. Also Frieden und Kampf, das ist schon ein ganz schönes Problem. Danach bekommt er die Krone (.) als Zeichen, K.

S: Als Zeichen daß (. . .),{ . .)

Im weiteren Unterrichtsverlauf werden die übrigen Insignien noch einmal beschrieben und im Hinblick auf die Themen der nächsten Stunden zusam­mengefaßt.

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150 Ralf Schmidt / Josej Keu.tJer

3.2.4 Analyse der Videosequenz

Die ausgewählte Sequenz läßt sich wie folgt zusammenfassend beschreiben: Sie beginnt etwa in der Mitte der Unterrichtsstunde mit den letzten Szenen des dritten Durchgangs des Rollenspiels. Die Schüler sind in zwei Gruppen eingeteilt: Akteure (6 Schüler) und Volk (Rest des Geschichtskurses). Eine als "Widukind" verkleidete Schülerin liest den Schlußpassus der Lehrbuch­quelle vor, die Akteure (Qtto, Bischof, Edelleute) steigen nach den letzten Beschreibungen der Zeremonie vom Thron herab und ziehen davon. Die übrigen Schüler, die das Volk darstellen, stehen verteilt im Klassenzimmer und folgen dem Spiel. Der Lehrer hält sich während dieses Durchlaufs im Hintergrund, nachdem er während der ersten beiden Durchläufe aufgrund einiger Unstimmigkeiten im Ablauf interveniert hatte. Unter Applaus der für die Regie des Stückes verantwortlichen Schülerin endet die Aufführung. Der Lehrer ergreift das Wort und thematisiert die Frage, warum ein König sein Schwert nie blank tragen darf. Nach der kurzen Erläuterung fragt er die Re­gisseurin nach ihrer Meinung zum Theaterstück. Sie bringt ihre Begeisterung zum Ausdruck. Sodann fragt Herr A. nach, ob eine weitere Aufführung ge­wünscht werde. Da keine positive Reaktion erfolgt, ergreift er wieder die Initiative und läßt die alte Tischordnung wieder herstellen. Der Darsteller des Königs bleibt auf Anweisung des Lehrers vor der Tafel stehen, ausstaffiert mit den ihm im Rollenspiel verliehenen Insignien. Nach der Beendigung der Umräumarbeiten gibt Herr A. einen Ausblick auf seine weitere Planung. Er kündigt an, über das Spiel hinaus einen Schritt weiterzugehen, noch einmal in Kürze die verliehenen Insignien zusammenzufassen und deren symbolische Bedeutung vertiefen zu wollen. Er fragt im weiteren Verlauf der Sequenz nach der Bedeutung der Insignien Schwert und Mantel. Die knappen Ant­worten der Schüler werden von Herrn A. quittiert, bei mangelnder Genauig­keit fragt er noch einmal nach, bis die entsprechende Bedeutung gefunden ist. Über die Bedeutung der beiden Insignien (Schwert = Waffengewalt und Mantel = Schutz) wird von Herrn A. die Problematik des Schutzes mit Waf­fengewalt aufgeworfen. Er bezieht diese Problematik auf das heutige Ver­ständnis. Ein Schüler wirft in diesem Zusammenhang den Begriff "Diktatur" ein, was von Herrn A. als unangemessen zurückgewiesen wird. Noch einmal macht Herr A. auf die Problemlage aufmerksam. Eine darauf folgende Zwi­schenfrage bezieht sich auf die Problematik der Doppelfunktion des Schwer­tes als Angriffs- und Verteidigungswaffe. Der Lehrer wiederholt die Proble­matik mit eigenen Worten und geht dann zur Bedeutung der nächsten Insi­gnie über.

Wir unterteilen die beschriebene Sequenz zum Zweck der Analyse in zwei Abschnitte. Ausführlicher beschrieben werden jetzt - exemplarisch für die gesamte Rollenspielsequenz - die letzten Szenen der Aufführung (a) und der Beginn der anschließenden Vertiefungsphase durch den Lehrer (b). Dabei

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Musteranalyse Geschichte 151

ist es unser Ziel, anhand der beobachteten Interaktionssequenzen Ansätze genutzter bzw. verpaßter Chancen der Mitbeteiligung der Schüler zu identifi­zieren und die aus unserer Sicht zugrundeliegenden subjektiven Deutungen der Unterrichtsakteure in Form von Hypothesen darzustellen.

a) Der erste Abschnitt der Sequenz: Das Rollenspiel (U 9, 28-10, 14)

Die Schülerinnen und Schüler setzen im Rollenspiel eine historische Quelle um, die schon in den beiden vorangegangenen Stunden Gegenstand des Un­terrichts war. Die Rollenverteilung sowie die Aufgabenverteilung bezüglich der Beschaffung bzw. Anfertigung der Insignien war in einer der davorlie­genden Geschichtsstunden erfolgt. Das Schauspiel wird in der Hauptsache von sechs Schülern getragen, die den Hauptflguren der Textquelle entspre­chen. Die übrigen Schüler wohnen als "Volk" der Aufführung des Schau­spiels bei und treten lediglich bei der Lobpreisung des neuen Königs (u.a. U 2, 18 bzw. 27) in Erscheinung. Die Darstellung der Krönungszeremonie er­folgt statisch; die Schüler, die einen Text vorzulesen haben, tun dies nur stockend und müssen öfters neu ansetzen, was auf eine schwache Vorberei­tung schließen läßt. Die Koordination der Handlungsabläufe des Rollenspiels muß erst in mehreren Durchläufen ausgefeilt werden. Von der schauspieleri­schen Umsetzung des vorgegebenen Textes abgesehen, fmdet keine weitere Ausgestaltung oder Abweichung von der Textvorlage statt.

Wir kommen zu folgender vorläufigen Bewertung:

Das Rollenspiel als nicht alltägliche Unterrichtsmethode stellt eine Form von Schülermitbeteiligung dar. Es eröffnet prinzipiell die Möglichkeit der Mit­beteiligung auf allen Ebenen. Es bietet den Schülern die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausgestaltung eines Quellentextes und des Einbrin­gens kreativer Ideen im Umgang mit der Thematik. Als Extreme sind auf der einen Seite das bloße Nachspielen der Vorlage und auf der anderen Seite die kritische Auseinandersetzung mit dem Text denkbar, die ihrerseits Diskussi­onsstoff im weiteren Stundenverlauf bieten könnte. Die Anfertigung der Insignien könnte als fächerübergreifendes Element des Unterrichts gesehen werden. Im vorliegenden Fall nutzen die Schüler die Möglichkeit der eigen­ständigen Ausgestaltung und Interpretation aber erkennbar nicht. Die relativ starre Vorgabe der Originalquelle wird nicht überschritten und umgedeutet, vielmehr wird sie im Versuch einer schauspielerischen Darstellung kopiert. Die Chance zur Interpretation und Ausgestaltung bleibt ungenutzt. Als Grün­de hierrur kommen hypothetisch in Frage:

• das Nichterkennen der Möglichkeit, das Rollenspiel zur Verwirklichung von Schülermitbeteiligung zu nutzen,

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152 Ralf Schmidt I Josej Keuffer

• die ungewohnte Aufgabe rur die Schüler, ein Unterrichtsthema selbstän­dig - insbesondere in Form eines Rollenspiels - gestalten zu müssen,

• ein zu geringer Motivationsstimulus und damit Unterforderung (Nach­spielen einer vorgegebenen Struktur), was die Frage nach der Angemes­senheit des vorliegenden Rollenspiels in einer elften Klasse nahelegt,

• die Aufgabe, den Erwartungen des Lehrers in Bezug auf das Forscher­team entsprechen zu müssen (Inszenierung einer Stunde mit Schülermit­beteiligung),

• eine Anweisung des Lehrers, das Stück textgetreu zu spielen bzw. das Fehlen einer Transferaufgabe.

b) Der zweite Abschnitt der Sequenz: Die Vertiejungsphase (U 10, 16-13, 1)

Der zweite Unterrichtsabschnitt hebt sich in seiner Form deutlich vom vor­hergehenden ab. Er ist gekennzeichnet durch die aktive Steuerung des weite­ren Unterrichtsgeschehens durch den Lehrer. Nach Beendigung des Schau­spiels übernimmt er sofort die Regie und thematisiert die Bedeutung einer Insignie (Schwert und Scheide). Auf die Befragung der Regisseurin nach ihrer Einschätzung äußert diese eine Begeisterung, die sich allerdings nicht mit der Art und Weise deckt, in der sie diesen Satz äußert, was in der Video­graphierung deutlich wird. Die offene Frage von Herrn A., ob eine weitere Runde gewünscht sei, wird von der Regisseurin an die Klasse weitergeleitet, und da diese keine erkennbare Zustimmung äußert, ergreift der Lehrer nun seinerseits wieder die Initiative und läßt das Klassenzimmer in den alten Zustand versetzen. Nach der Umbaupause stellt er den "König" des Stückes auf einen Stuhl vor die Klasse, als Anschauungsobjekt rur den nun folgenden Stundenabschnitt. Der Lehrer leitet diesen Abschnitt mit den Worten ein: ,,so, jetzt gehen wir natürlich 'nen Schritt weiter (..) Erstens gehen wir nochmal schnell die Insignien durch, die fiir die deutsche Geschichte, aber nicht nur fiir die deutsche, sondern auch im späteren Sinne fiir die europäi­sche Geschichte, eine große Rolle spielen. [ .. ]"(U 11, 6-9}. Er sagt den Schülern nicht, was sich an den Durchgang der Insignien im weiteren Stun­denverlauf anschließt. Vielleicht läßt sich so die kurze Pause erklären, in der der Lehrer überlegt, wie es denn nun weitergehen kann. Was Schülern und Beobachtern bleibt, ist der vage Ausblick, daß die zu behandelnden Insignien einen hohen Stellenwert in der weiteren Geschichtsentwicklung besitzen.

Herr A. setzt seine geäußerte Absicht, die Insignien schnell durchzuge­hen, in Form eines Frage-Antwort-Verfahrens um und leitet dieses mit einer unvermittelten Frage ein: "Schwert hat welche Bedeutung? ( .. .)" (U 11, 9) Die Frage scheint die Schüler zu überraschen, die erst einmal nicht reagieren. Dadurch entsteht eine Schweigepause, bis ein Schüler eine Antwort gibt, die

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Musteranalyse Geschichte 153

Herrn A. allerdings zu unpräzise ist, worauf sich eine weitere Frage ergibt, die ebenso unpräzise beantwortet wird, bis die dritte Antwort endlich das gesuchte Stichwort bringt. Nachdem die Bedeutung des Schwertes "geklärt" ist, geht es im weiteren um die Bedeutung des Mantels. Herr A. wählt nun eine andere Strategie und spricht die Schüler direkt an. Über Ein-Satz- bis Wortantworten gelangt er zur Bedeutung der zweiten Insignie und versucht nun, über die Ermittlung des jeweiligen symbolhaften Wertes die Problema­tik der Verbindung beider Insignien aufzuwerfen, worin ihm die Schüler aber offenbar nicht ganz folgen können. Schleppend gelangt Herr A. schließlich zur zentralen Problematik von Schutz durch Waffengewalt, die er auf die heutige Zeit übertragen will. Es scheint zunächst seine Absicht zu sein, die Problematik aus seiner Perspektive zu schildern, er besinnt sich aber und leitet die Frage an seine Schüler weiter: ,Ja, Waffengewalt und Schutz/unkti­on, also fiir uns heute ist das doch eigentlich, hatte ich gedacht, daß man, wie würde man das eigentlich heute sehen? ()" (U 12, 13-14). Seine Frage wird spontan von einem Schüler mit "Diktatur" beantwortet. Die Antwort wird von Herrn A. fast entrüstet als unangemessen zurückgewiesen (was anhand der Tonband- und Videoaufnahme deutlich wird) und nicht weiter themati­siert. Statt dessen wiederholt er die Frage und beantwortet sie selbst, diesmal unkritisch und im zeitlichen Kontext Ottos I. Darauf erhält Herr A. eine Ge­genfrage (die einzige Schülerfrage im gesamten Stundenabschnitt). Die Frage bezieht sich auf einen Widerspruch, den der Schüler in der Funktion des Schwertes als Schutzinstrument sieht. Herr A. greift diese Fragestellung auf, indem er sie mit anderen Worten umschreibt, aber nicht beantwortet, und geht dann zur nächsten Insignie über.

Der zweite Stundenabschnitt unterscheidet sich aus unserer Sicht vom Rollenspiel fundamental darin, daß er durch eine starke Lehrerdominanz geprägt ist, die sich in Form eines Frage-Antwort-Spiels bei minimaler Schülerbeteiligung dokumentiert. Fragen der Schülermitbeteiligung werfen sich in den Situationen auf, in denen die Schüler eigene Ansichten und Fra­gen ins Spiel bringen. Obwohl Herr A. den Schülern mit problemorientierten und auf die Gegenwart bezogenen Fragestellungen grundsätzlich die Mög­lichkeit eröffnet, eigene Vorkenntnisse und Erfahrungen in den Unterricht einzubringen, nutzt er Situationen nicht, in denen dies geschieht. Er entwertet die Schülerbeiträge durch Zurückweisung und Nichtthematisierung. Es er­folgt keine schülerseitige Intervention in Form wiederholender Nachfragen. Hinsichtlich der Gründe, warum Herr A. die eröffneten Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung nicht nutzt, lassen sich folgende Hypothesen aufstel­len:

• Die Offenheit für Schülermitbeteiligung wird einer Zeitökonomie geop­fert, weIche die möglichst schnelle Abarbeitung der Thematik ermöglichen soll.

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• Die zu beobachtende starke Zurückhaltung der Schüler bei der Unter­richtsgestaltung ist auf ein Interaktionsmuster zurückzufiihren, das den Leh­rer als dominanten und aktiven Gestalter des Unterrichtsverlaufs und die Schüler in der Rolle der rezeptiven Konsumenten sieht. Besonders wider­spruchsvoll wird dies im Rollenspiel für die Regisseurin, die einerseits das Spiel lenken soll, dies andererseits auf grund der starken Lehrervorgaben kaum ausfiihren kann.

3.2.5 Zusammenfassende Bewertung

Aus den einleitenden Ausführungen des Lehrers wird deutlich (U 1, 3-22), daß es sich bei dem Spiel um eine Umsetzung dessen handelt, was in den letzten Stunden "mühsam" erarbeitet wurde. Trotz der Ausgestaltungsmög­lichkeiten, die das Spiel bietet, haben sich die Schüler auf den stark textori­entierten Nachvollzug der Quelle beschränkt. Die Art der Umsetzung des Rollenspiels und seine auffallende Nicht-Einbeziehung in den weiteren Un­terrichtsverlauf durch den Lehrer lassen vermuten, daß es sich bei dem Spiel um eine bewußte Inszenierung unter der Perspektive der Schülerrnitbeteili­gung handelt. Worin könnten die Gründe hierfür liegen? Eine Antwort kann der auf das Stück folgende Unterrichtsabschnitt geben, in dem der Lehrer dominant den weiteren Verlauf der Stunde steuert und die Schüler in eine Rezipientenrolle drängt, die dem untersten Niveau der Schülermitbeteiligung entspricht. Dabei eröffnet Herr A. mit der Beziehung einer Problematik auf heutige Verhältnisse die Möglichkeit, historisch-kontrastive Reflexionen einzubringen, worauf zwei Schüler mit einem kritischen Verständnis eines historischen Sachverhaltes reagieren. Herr A. nutzt die dadurch eröffnete Chance jedoch nicht und entwertet die Schülerbeiträge durch deutliche Ab­lehnung. Die im zweiten Unterrichtsabschnitt deutliche Lehrerdominanz korrespondiert mit der schülerseitigen Passivität, was möglicherweise ein kommunikatives Grundmuster in der Lehrer-Schüler-Interaktion darstellt.

Folgenden Arten von Schülermitbeteiligung können in der analysierten Sequenz festgestellt werden:

• eine verständnisorientierte Nachfrage (S),

• teilweises Einbringen eigener Erfahrungen in den Unterrichtsprozeß (S),

• teilweise Verweigerungshaltungen der Schüler bei der Vertiefung der Inhalte (S),

• ein teilweises Anknüpfen an das Vorverständnis der Lernenden (L).

In der fachdidaktischen Stufung der Schülermitbeteiligung für das Fach Ge­schichte bewegt sich die beobachtete Schülermitbeteiligung der analysierten Sequenz unseres Erachtens auf der untersten Stufe. Die Aktivität der Schüle-

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Musteranalyse Geschichte 155

rinnen und Schüler besteht darin, Geschichte nachzuerzählen oder nachzu­spielen. Ein Umerzählen von Geschichte findet nicht statt, es fehlen der kriti­sche Zugang und die Eröffnung zu begründeten Werturteilen. Die Schüler können nur in geringem Maße Sachwissen einbringen oder erwerben. Sofern sie ihre historischen Kenntnisse und Fragestellungen einbringen, werden diese zwar von Herrn A. aufgegriffen, aber entweder sofort abgewiesen oder nicht funktional in den weiteren Unterrichtsverlauf eingebunden. In der Ver­tiefungsphase besteht Mitbeteiligung von Schülern im wesentlichen in der gekonnten Rezeption dessen, was der Lehrer ihnen bezüglich seiner Sinnori­entierung über Zeiterfahrung zu vermitteln sucht.

3.2.6 Auswertung des Lehrerinterviews

Das Interview mit Herrn A. wurde ungefähr sechs Wochen nach der Unter­richtsaufnahme durchgefiihrt. Das Interview dauerte etwa eine Stunde und verlief, ausgehend von einigen wenigen Fragen der Interviewer, sehr flüssig. Bereits während des Vorspielens des Videoausschnitts kommentierte der Lehrer die Szenen.

Das Lehrerinterview läßt sich in folgende thematische Schwerpunkte einteilen:

1. Funktion des Rollenspiels: Herr A. betont im Interview die Identifikati­ons/unktion des Rollenspiels (L 2, 8-9), die bereits durch das Basteln der Insignien und die Raumgestaltung erreicht werden könne (L 2, 20-24). Durch die spielerische Umsetzung sollen sich die Schüler in die Situation der Krönungszeremonie hineinversetzen (L 2, 1-2). Dabei steht die Ver­deutlichung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Mittelpunkt (L 2, 2-3). Dieses ist konstitutiv für das Verständnis der weiteren Themen im Schulhalbjahr (L 2, 26 - 3, 16). Hinter dem Rollenspiel steht aus der Sicht des Lehrers die Grundidee, daß sich die Schüler "anhand von Sym­bolen und Erscheinungen identifizieren und Geschichte begreifen" (L 3, 30-32).

2. Fachdidaktische Gestaltung des Unterrichts: Nach Auffassung des Leh­rers steht die Vermittlung von Grundwissen, als grober Orientierung, an erster Stelle, um von dieser Basis aus Problemfelder ansprechen zu kön­nen (L 6, 2-6). Dabei geht es ihm um die Darstellung ,,großer Zusam­menhänge, auch sozialer Fragen, sozial geschichtlicher Aspekte( ... )" (L 6, 30). Nötig ist ein "Grundgerippe an Fakten ( .. ), vor allem große Übersichten zu problemgeschichtlichen Entwicklungen ( .. ) (L 7, 1-2). In der Geschichtsbetrachtung geht es um ,,( ... ) große Probleme und große Linien ( .. .)" (L 7, 8).

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3. Analyse und Bewertung des Rollenspiels: Herr A. ist der Auffassung, daß die IdentifIkation mit Themen im Rollenspiel bei jüngeren Schülern bes­ser gelingt (L 2, 14-17 und 3, 22-24). Er differenziert dabei zwischen den aktiven Schülern, bei denen er einen höheren IdentifIkationsgrad konsta­tiert, und den passiven Schülern, für die das Rollenspiel "vielleicht nur auf dem Gebiet des Albernen liegt" (L 2, 17-20). Vor allem bei der Vor­tragsweise der Schüler bemängelt er Flüssigkeit, Rhetorik, die mangeln­de Ausgestaltung (L 4, 26-30) und die nicht genutzten ,,( .. ) Möglichkei­ten, die man dann in laienspielerischer Art sicherlich viel, viel intensiver machen könnte ( .. )" (L 5, 1-2). Trotz der Mängel bewertet er das Rol­lenspiel positiv: ,,Das, was eigentlich herauskommen sollte, glaube ich, ist damit erreicht ". Einen möglichen Grund tUr die geringe Ausgestal­tung sieht Herr A. in der mangelnden Absprache der Schüler, die sich aus dem Kursprinzip der Abiturstufe ergibt (L 4, 20-26).

4. Die Eifahrung des Lehrers mit Spielen im allgemeinen: Herr A. berichtet im Verlauf des Interviews über seine bisherigen Erfahrungen mit Rollen­spielen im Unterricht. Dazu zählen Rollenspiele in jüngeren Jahrgangs­stufen, die zusammen mit anderen Kollegen erarbeitet wurden (L 3, 22-28), sowie szenische Lesungen in elften Klassen (L 4, 15); (L 7, 17 - 32) die "unvorstellbare Blick/eIder" und "einen wahnsinnigen großen Blick geöffnet" hätten. (L 7, 25 bzw. 7,31)

5. Das Zustandekommen des Kursthemas (Mittelalter), Kriterien for die Themenwahl und Aufnahme bei den Schülern: Bezüglich der Auswahl des Kursthemas verweist der Lehrer auf die Thematik für das Halbjahr 1112, die sich mit der großen Linie der Entwicklung und den Problemen der Entstehung, der Ausprägung und dem Untergang von demokrati­schen Verhältnissen von der Antike bis zur Weimarer Republik befaßt (L 9, 4-15). Andere Themenschwerpunkte sind möglich, die Kriterien der Auswahl richten sich dabei nach der Erschließungsmöglichkeit von Ma­terialien, nach Lehrbuchinhalten und Aspekten der Unterhaltsamkeit. Im Kollegium fInden Längs- und Querschnittsthemen sowie "sture" Quel­lenanalysen wenig Interesse. Wichtige Gesichtspunkte der Themenwahl sind ,,Interesse, Unterhaltungswert und Allgemeinbildung" (L 9, 4-10, 12). Die Thematik "Mittelalter" wird von den Schülern nach Ansicht von Herrn A. differenziert und "eigentlich ganz gut angenommen" (L 10, 18-29).

6. Themenwahl und Rahmenplan: Herr A. berichtet, daß die Themenwahl in der Schule abgestimmt wird und daß aufgrund der Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen die Wahl von Separatthemen nicht möglich ist. Zum Thema "Mittelalter" gewähre der Rahmenplan relativ viel Freiheit, weil Inhalte nur grob angedeutet werden und Ptlichtanteile gering sind. Dies wird von Herrn A. unter dem Aspekt der Gestaltungsfreiheit positiv

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Musteranalyse Geschichte 157

bewertet, allerdings ergibt sich daraus die Problematik, zusätzlich zu den Kernthemen des Rahmenplans den geschichtlichen Kontext einfließen zu lassen (L 8, 8-33).

7. Die Zusammensetzung des Kurses: Im Zusammenhang mit der Kurszu­sammensetzung verweist Herr A. darauf, daß die Kurse in Deutsch und Geschichte erstmals nicht mehr als geschlossener Verband von Klasse 10 an die Kursstufe durchlaufen, sondern nunmehr als Ptlichtkurse eine "bunte Mischung" unterschiedlich stark am Fach interessierter Schüler aufweisen, was sich an den Unterrichtsbeiträgen ablesen läßt. Zudem wird der Unterricht durch zu viele Leistungskontrollen behindert; Grup­penarbeitsmöglichkeiten werden als zu gering eingeschätzt (L 5, 17-33).

8. Die Vertiefungsphase im Anschluß an das Rollenspiel: Herr A. geht auf die Vertiefungsphase nur kurz ein und sieht ihre Funktion in der vertie­fenden Ergänzung, dem Deutlichmachen von Symbolen, dem Zurückru­fen von bereits erarbeiteten Ergebnissen (L 11,24-32). Als Ergebnis hält er fest: ,,( ... ) das scheinen sie also wirklich verstanden zu haben." (L 12, 1 ).

9. Herrn A.s Verständnis von Schülermitbeteiligung: Herr A. nennt eine "ganze Reihe von Arten" der Schülermitbeteiligung. Darunter subsu­miert er die Einbeziehung der Schüler in die Planung des ersten Halbjah­res, die Aushandlung von Schwerpunktsetzungen im Rahmen der Anfor­derungen, welche sich in Schülerreferaten niederschlägt, die Art und Weise der Realisierung bzw. Umsetzung von Unterrichts inhalten (selb­ständige Arbeit in der Bibliothek) und die Frage, wie intensiv Hausauf­gaben realisiert werden müssen. Projektarbeit und Exkursionen mißt er einen hohen Stellenwert zu, sieht deren Realisierungschancen auf grund organisatorischer Schwierigkeiten, der Kursgröße, der Interessenvielfalt, der zu leistenden Pflichtanteile und der Prüfungsterrnine jedoch kritisch. Eine weitere Form der Realisierung von Schülermitbeteiligung sieht er in fächerübergreifendem Unterricht, etwa im Rahmen von Projektwochen. (L 14, 1 - 16, 10) und (L 16, 16 - 17, 13).

Das Interview mit Herrn A. läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Herr A. beginnt nach den einfiihrenden Erläuterungen sofort damit, die ge­zeigte Videoszene zu kommentieren, und gibt sich über den ganzen weiteren Verlauf des Interviews sehr aktiv und auskunftsfreudig. Im Mittelpunkt ste­hen für ihn die Funktion des Spiels, dessen Bewertung und die Verdeutli­chung der Wichtigkeit des von ihm angestrebten Stundenziels, das er in einen fachdidaktischen Gesamtrahmen stellt. Entscheidende Bedeutung hat fiir ihn die Fähigkeit, im Fach Geschichte große Entwicklungen erkennen zu können. Schülermitbeteiligung konkretisiert sich für ihn vor allem in Form der Aus­wahl aus einem Themenkatalog im Rahmen eines dem eigentlichen Kurs-

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158 Ralf Schmidt / Josej Keuffer

thema vorgeschalteten Themas zur Vorgeschichte, in dem die Schüler Refe­rate halten.

3.2.7 Einzelanalysen

Nach der inhaltlichen Strukturierung des Interviews stellen wir nun in den Einzelanalysen der auf den Videostimulus bezogenen Lehreräußerungen seine Deutung des Unterrichtsgeschehens bezüglich der Thematik Schüler­mitbeteiligung dar.

a) Das Rollenspiel

Unsere Analyse des Rollenspiels gliedert sich in drei Teile: die Funktion des Rollenspiels, die Bewertung der Umsetzung und das Ergebnis aus der Sicht des Lehrers.

Funktion des Rollenspiels:

Das Spiel dient als Abschluß der Erarbeitung eines Themas (Verhältnis von Staat und Kirche), das bereits in den vorangegangenen Stunden behandelt wurde; Es hat die Funktion, daß sich die Schüler mit dem Stoff in spieleri­scher Form auseinandersetzen und sich so in die Thematik hineinversetzen. Zielsetzung ist für Herrn A., über die IdentifIkation mit Symbolen Geschichte zu begreifen.

L: Es soll ja die Situation sein, daß sich die Schüler in die Krönungszeremo­nie hineinversetzen können. Die Absicht, die ich hier hatte, war, zur Verdeut­lichung von der Vorgeschichte her, eh die Abhängigkeit zwischen Staat und Kirche (. . .) Ich hab' mir also an und fiir sich gedacht, daß wir durch dieses Erarbeiten auch der Krönungszeremonie und vorher im Voifeld der ganzen Frage, wie wird also überhaupt das Verhältnis Staat und Kirche gekenn­zeichnet. Daß sich die Schüler da, eh, sagen wir mal durch 'ne gewisse- ja spielerische Form besser damit identifizieren können (L 2, 1-9).

L: Die Symbolhajtigkeiten der Handlungen, die wir vorher analysiert haben, die hier wieder gespielt werden müssen, eh, mit dem Schwur, mit dem Rei­chen der Hände, mit dem Verbeugen, daß man daraus erkennt, eh, auch die Form der Abhängigkeit zwischen Staat und Kirche (...) (L 2, 26-30).

L: (. . .) daß man sagt, anhand von Symbolen (im Video wird geklatscht) an­hand von Symbolen und Erscheinungen, eh sich zu identifizieren und Ge­schichte zu begreifen (L 3, 30-32).

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Musteranalyse Geschichte

Bewertung der Umsetzung:

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Herr A. zeigt sich mit der Umsetzung des Stückes nicht ganz zufrieden. Ne­ben Kommentaren zur schauspielerischen Leistung der Schüler differenziert er zwischen den aktiven (Schauspieler) und den passiven Schülern (Volk). Bei den aktiven Schülern vermutet er einen höheren Identiftkationsgrad mit der Thematik auf grund der intensiveren Beschäftigung mit dem Stoff, bei den passiven Schülern liegt das Spiel "vielleicht nur auf dem Gebiet des Alber­nen H. Mit zunehmender Dauer erkennt er jedoch eine ernsthaftere Einstellung der Schüler. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine Erfahrungen mit Spielen bei jüngeren Schülern, bei denen es wesentlich besser geklappt hat. Grunde dafiir, daß das Spiel jetzt weniger gut gelungen ist, sieht er in der Altersspeziftk, ohne dies weiter auszufiihren. Im übrigen sei es das erste Mal, daß in seinem Kurs ein Rollenspiel dieser Art von einer elften Klasse auf ge­fiihrt wurde.

L: ( .. .) Was sich gezeigt hat, ist, daß es doch sehr sehr schwer follt, mit 16, 17, 18 Jahren, eh, es so zu realisieren, wie ich mir das eigentlich vorgestellt hatte. =Aha= Eh die (.) Vorstellung jetzt auch die Schüler, sich damit zu identifizieren, ist in den kleinen Klassen, Kollegen machen das, ich hab' das auch schon häufiger, ist einfacher, und ich meine, natürlich jetzt jUr eine Reihe der Schüler, eh, die 'keine direkte' Rolle übernehmen, naja vielleicht nur auf dem Gebiet des Albernen liegt, und die eigentlichen Zeremonien ihnen, eh, nicht so nahe gehen wie jene, die unmittelbar was zu tun haben (L 2, l3-20).

L: Ja gut die Idee ist nicht ganz neu. Ich habe das vor Jahren schon mal mit kleineren Schülern probiert und da hat das an und jUr sich im Rahmen der Möglichkeiten sogar wesentlich besser geklappt. Man hat sich dort eigent­lich, - auch in der gleichen Vorbereitungszeit von vier,jUnfTagen pro Klasse - mehr Mühe gegeben. Das hängt sicherlich altersspezifisch zusammen( .. .) (L 3, 22-26).

L: (.) daß man einfach, egal wie spielerisch geschickt oder oder weniger geschickt das klappt oder manche, die beim ersten Probedurchlauf doch noch sehr oder sagen wir mal, naja schon albern waren, dann aber beim zweiten Durchlauf doch zumindestens recht aufgeschlossen, sagen wir mal ernst, gesetzt das verfolgt haben (L 3, 33 - 4, 3).

L: Ich muß auch sagen, daß ich das in den letzten Jahren, wenn ich dann 11. Klasse-Kurse hatte, immer angeboten habe =Ja= das der erste Kurs war, der es auch realisieren wollte durch Spielen. Die anderen haben es immer nur =Wollten nicht= Nein, wollten nicht.(..) Aber zum Spielen ist es in den letz­ten Jahren in den 11. Klassen bisher nicht gekommen, drum war ich eigent­lich schon recht erfreut, daß dann die Klasse oder der Kurs gesagt hat, ja, okay, wir machen das (L 4,11-20).

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160 Ralf Schmidt / Josef Keuffer

L: Und da habe ich mich eigentlich gefreut, eh, gut, ich, ja, mit manchen natürlich hätte ich mir gewünscht, daß das anders läuft, flüssiger läuft, eh, die Texte auch etwas rhetorischer natürlich vorgetragen werden mit Hilft­zettel, das hatte ich ja gesagt, das ist hier möglich, daß also der Kommentar - das wiedergibt, der das hier geschrieben hat, dann auch entsprechend sprachlich, eh, eindrucksvoller gestaltet wäre, also ich meine das Mädel, was sich bereit erklärt hat, (räuspert) schon lobenswert - von der sprachlichen Sache her war es natürlich nicht getragen, eh, wertend, das ist ja wertend, da ist ja eine Wertung drinne. =Hm= Ja. Da liegen sicherlich viele Möglichkei­ten, die man dann in laienspielerischer Art sicherlich viel, viel intensiver machen könnte ( ... ) (L 4, 26-5, 2).

L: Ja ich hätte mir nun noch größeres schauspielerisches Arrangement ge­wünscht, aber das ist ja vielleicht übertrieben, das ist vielleicht zu weit (L 12, 13-14).

Ergebnis aus der Sicht des Lehrers:

Herr A. konstatiert zumindest bei den aktiven Schülern einen Identiflkations­prozeß, welcher bereits über das Herstellen der Utensilien und die Gestaltung des Spiels stattgefunden habe. Die Schüler haben sich ,,zumindest mit der Grundidee anvertrauen können ". Er macht dies an den darauffolgenden Stunden - die sich der Beobachtung entziehen - fest, für die er auf die ver­besserte fachliche Mitarbeit, die Problemdurchdringung und das intensivere Verhältnis zum Stoff verweist, auch hier wieder nur in bezug auf die Haupt­akteure des Spiels. Insgesamt ist Herr A. zufrieden, seine Absichten wurden erfiillt, die Schüler haben sich identifiziert und eine Realisierung versucht.

L.: (. . .) Diejenigen, die Mädels, die das also gebastelt hatten, diese Insignien, oder alleine der Versuch zu gestalten, könnte ich eine Säulenhalle mit einfach mit Stühlen und Bänken gestalten und wie lasse ich ehrfurchtsvoll diese Ze­remonie ablaufen, ist eigentlich ja schon ein Identijikationsprozeß (L 2, 20-24).

L: Das Problem damit, was sich daraus dann ableitet, eh, durch das Spiel, das sichtbar werden sollte, und das habe in den letzten Stunden auch gezeigt, daß die da Schüler sich da zumindestens mit der Grundidee doch schon an­vertrauen können (L 3, 4-7).

L: (. .. ) das, was eigentlich herauskommen sollte, glaube ich, ist damit er­reicht, denn das zeigen die nachfolgenden Stunden, daß man dort dieses Problem dann schon, glaube ich, durchdrungen hat, zumindestens die Hauptbeteiligten, das zeigt sich, das zeigt sich also an der fachlichen Mitar­beit in den nächsten Stunden, oder hat sich gezeigt =Mhm, mhm= Daß die also doch ein wesentlich intensiveres Verhältnis da haben (L 5, 3-8).

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Musteranalyse Geschichte 161

L: Von dem, was ich beabsichtigt habe, ist glaube doch, eh, bin ich eigentlich zufrieden. Daß ich sage, sie haben sich identifiziert, sie haben es versucht zu realisieren, mehr oder weniger engagiert, klar, die unmittelbar kleine Rollen hatten, sich sicherlich etwas mehr als in AnfUhrungsstrichen das unmittelba­re Fußvolk und, eh, wie gesagt im Einbau der Gesamtheit zeigt sich, oder hat sich gezeigt, daß dort doch eh das was gebracht hat. =Mhm= Also insofern schon positiv. Also ich werd's auch im nächsten Kurs wieder anbieten (L 12, 14-20).

Wir kommen zu folgendem Fazit bezüglich des ersten Teils der Unterrichts­sequenz:

Die Funktion des Spiels wird von Herrn A. ausschließlich über die lehrersei­tig intendierte, fachdidaktische Perspektive legitimiert, ihr Erfolg bemißt sich an der Verwirklichung der Intentionen des Lehrers (Identiftkation etc.); die Intentionen der Schüler spielen keine Rolle. Obwohl Rollenspiele von 11. Klassen bisher immer abgelehnt wurden, gelingt es Herrn A., die Klasse zum Rollenspiel vor der Kamera zu bewegen. Die Gründe hierfür bleiben unklar, könnten aber der Anwesenheit der Forscher geschuldet sein. Unter der Per­spektive von Schülermitbeteiligung wird das Rollenspiel von Herrn A. nicht thematisiert und ftndet sich interessanterweise auch nicht in seiner Aufzäh­lung der Arten von Schülermitbeteiligung. Vor diesem Hintergrund sind zwei Deutungen möglich: Entweder setzt Herr A. das Rollenspiel als alternative Unterrichtsmethode mit Schülermitbeteiligung gleich, da er Fragen der Schülermitbeteiligung überhaupt nicht berührt, oder ihm ist selbst aufgefal­len, daß die Umsetzung im vorliegenden Fall wenig mit Schülermitbeteili­gung zu tun hatte.

b) Die Vertiefungsphase:

Folgende Textpassagen des Lehrerinterviews beziehen sich, ausgehend vom Videostimulus gegen Ende des Interviews, auf den Stundenabschnitt der Vertiefung:

L: Ja, das sind kleine vertiefende Ergänzungen, die dann noch mal wieder zu den Symbolen das abrunden, das, was wir uns an der Stunde vorher erarbei­tet haben, die beim Spiel auch realisiert worden sind. Sichtbarwerden von Symbolen, Deutlichmachen von Symbolen - (das ist in der Zeitdarstellung (.),(.)?) eine Frage der Allgemeinbildung, Arbeit mit Sprichworten, Ar­beitsmethoden, Bedeutung - auch semantische Fragen, die sind kaum mehr da. Das liegt natürlich auch an der allgemeinen Erziehung von zu Hause mitgehend, Bedeutung des Händedrucks, haben wir auch schon gesagt, Be­deutung der Verneigung. Das soll also nur noch mal dazu fUhren, das, das

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162 Ralf Schmidt / Josef Keuffer

Ergebnis zurückzurufen, die ganze Sache eben ein bißchen mehr, mehr nicht - Wissen Sie, das scheinen sie auch verstanden zu haben, ich hab' das immer wieder, eh, aufbereitet in den Stunden danach, das scheinen sie also wirklich verstanden zu haben. Was welche Bedeutung hat und inwiefern da eben - (L 11,24-12,2).

L: Ja, Wiederholung, Festigungsphase. (13) Hier dann die Anlage der Fort­setzung der AufgabensteIlung, das heißt, man muß (. . .),(..) Ignorierung auch der Religion?, Weltherrschungsanspruch, weltlicher, christlicher Art, das zieht sich dann weiter bis hin zur ( .. .),(..). Naja, das ist alles- (L 12,6-9).

Obwohl dieser Stundenabschnitt mittels Video präsentiert wurde, fallen die Erläuterungen des Lehrers sehr knapp aus. In dem Stundenabschnitt geht es ihm um kleine vertiefende Ergänzungen, um die Abrundung des Themas, welches in den vorhergehenden Stunden erarbeitet und im Spiel umgesetzt wurde. Als zentral hervorgehoben wird die symbolische Dimension von Ge­schichte als Teil der Allgemeinbildung, die Herr A. bei Schülern vermißt. Mehr als "das Ergebnis zurückzurufen" (L 11, 32), sollte offensichtlich in diesem Stundenabschnitt nicht geleistet werden. Für Herrn A. besteht die Funktion dieses Unterrichtsabschnitts also lediglich in der vertiefenden Zu­sammenfassung des mehrmalig erarbeiteten Stoffes. Es handelt sich damit um eine typische Festigungsphase, die über diese Übung hinaus keine weitere Funktion besitzt. Fragen der Schülermitbeteiligung spielen in diesem Ab­schnitt keine Rolle.

Herr A. legt im Interview sehr deutlich und ausfiihrlich sein fachdidakti­sches Verständnis dar. Neben der Vermittlung von prüfungsrelevanten Kernthemen zielt seine Gestaltungsweise des Fachunterrichts auf ein urnfas­sendes Verständnis weiträumiger historischer Zusammenhänge, z.B. sozial­geschichtlicher Entwicklungen. Über das Verständnis von Symbolen und alltagsweltlichen Zusammenhängen und über die Identiftkation mit ge­schichtlichen Schlüsselereignissen sollen die Schüler große Linien der Ge­schichte erkennen.

Die Zugangsweise wird von Herrn A. sehr differenziert dargestellt. Als Grundlage dienen ihm historische Quellen, welche die Schüler bearbeiten, aber auch fachübergreifende Ansätze, Projekte und Exkursionen als Ansätze wissenschaftspropädeutischen Arbeitens. Wo möglich, soll ein unmittelbarer Heimatbezug hergestellt werden. Inhaltlich orientiert sich Herr A. an den Prüfungsanforderungen und Rahmenplänen, die er durchaus kritisch bewer­tet, da sie multiperspektivische Zugänge stark einschränken. Schülermitbe­teiligung gibt es fiir ihn im Rahmen der Themenvorgabe des vorgeschichtli­chen Themenbereichs, aus dem die Schüler Schwerpunkte aussuchen, die sie im Unterricht präsentieren können. Schülermitbeteiligung im spontanen In­teraktionsprozeß und das ungeplante Abweichen vom Unterrichtsprogramm werden nicht thematisiert und sind in der Stunde trotz der hierfiir von Herrn

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Musteranalyse Geschichte 163

A. eröffneten, wenngleich auch sofort wieder verschlossenen Chancen, auch nicht zu beobachten.

Hinweise auf ein fachwissenschaftliches Interesse, etwa zur Qualität der Widukind-Quelle oder zu unterschiedlichen Quellen, zur Geschichtskonzep­tion der DDR und zu neuen (westlichen) Konzeptionen der Geschichtswis­senschaft, finden wir im Interview nicht. Wir fmden auch keine Hinweise darauf, daß sich Herr A. darüber Gedanken macht, was fiir ein historisches Bewußtsein seine Schülerinnen und Schüler haben, abgesehen von seiner unbestimmt bleibenden fachdidaktischen Zielsetzung, daß die Schülerinnen und Schüler Geschichte "begreifen" sollen, dem methodischen Hinweis, daß szenische Lesungen in elften Klassen "unvorstellbare Blickfelder" und "einen wahnsinnigen großen Blick" ermöglicht hätten und daß es ihm auf ein "Grundgerippe an Fakten", auf "große Übersichten zu problemgeschichtli­chen Entwicklungen", auf "große Probleme und große Linien" ankomme. Historisches Bewußtsein als Fähigkeit, mit den Informationen nun auch et­was anfangen zu können, scheint sich bei Herrn A. nicht als Problemstellung zu finden. Sein Bild von historischer Kompetenz ist offensichtlich hand­lungsneutral. Deshalb ist es für uns auch einleuchtend, daß Herr A. die mehr­fach vorgetragene Auffassung, die Schülerinnen und Schüler könnten sich über das Rollenspiel mit den historischen Gestalten "identifizieren", nicht weiter reflektiert. In welcher Hinsicht oder unter welchen Bedingungen sich Schüler heute mit König Otto, mit Bischöfen und Herzögen identifizieren können und sollen, wäre aber aus unserer Sicht eine wichtige fachdidaktische Fragestellung, würde sie doch Wege der Annäherung an historisches Be­wußtsein aufweisen können.

Dazu paßt auch, daß Herr A. den Einwurf eines Schülers, König Otto sei wie ein Diktator, schnell abblockt, obwohl die Frage, wieviel "Diktatori­sches" an den Fürsten, Königen und Kaisern des Mittelalters gewesen ist, ohne Frage eine interessante Möglichkeit dargestellt hätte, historisches Be­wußtsein zu entwickeln. Obwohl Herr A. explizit die Identifikation mit den historischen Gestalten als Zielsetzung seines Unterrichtes nennt, fehlt ihm also offensichtlich ein Gefühl dafür, daß sich das Spannungsverhältnis von Rationalität und Emotionalität über reflektierte Identifikationsprozesse bear­beiten läßt.

Mit Bezug auf die drei Hypothesen fiir Lehreraktivitäten, welche Schü­lermitbeteiligung fordern, kann Herr A.s Selbstdeutung wie folgt beschrieben werden:

• Herr A. strebt eine Gestaltungsweise des Unterrichts an, in der er ver­sucht, über multiperspektivische Zugänge Lebensweltbezug und Identifikati­on mit geschichtlichen Ereignissen herzustellen. Dadurch sollen große Ent­wicklungslinien von Geschichte aufgezeigt werden. Schülermitbeteiligung fmdet nur in der Schwerpunktwahl eines vorgegebenen Themenkomplexes statt.

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164 Ralf Schmidt / Josej Keuffer

• Die Mitarbeit der Schüler bezieht sich auf die Themenauswahl aus einem Katalog, die Aushandlung von Schwerpunktsetzungen, deren Umsetzung, Projektarbeit und Exkursionen.

• Schülermitbeteiligung wird unter der fachdidaktischen Perspektive von Herrn A. funktionalisiert. Die Schülerbeiträge erfüllen z.B. die Funktion der Leistungskontrolle und Prüfungsvorbereitung. Lebensweltbezug wird von ihm angestrebt, Transparenz der Unterrichtsentscheidungen nicht erwähnt.

3.2.8 Auswertung der Schülergruppendiskussion

Die Gruppendiskussion mit den Schülern wurde etwa sechs Wochen nach der Unterrichtsaufnahme durchgeführt. Dabei traten technische Probleme zu Tage, weil der Videorekorder nicht für das Abspielen von S-VHS-Cassetten ausgelegt war, was dazu führte, daß die Videoaufnahme nur schemenhaft auf dem Fernsehschirm erkennbar war. Der Ton war jedoch einwandfrei zu ver­stehen. Deshalb verzichteten wir auf die zweite Sequenz, führten aber doch die Gruppendiskussion durch. Die Startphase der Diskussion verlief recht schwerfällig, die Interviewer mußten lange Erläuterungs- und Einleitungsab­schnitte geben und die Schüler direkt ansprechen, um erste Äußerungen her­vorzulocken. Der teilweise sehr schleppende Verlauf der Diskussion doku­mentiert sich in kurzen Redebeiträgen der Schüler und den für eine Gruppen­diskussion recht langen Redepassagen der Interviewer. Die Diskussion war besonders zu Beginn von Unruhe geprägt, die sich dann im weiteren Verlauf legte. Außerdem traten akustische Störungen von außen hinzu, welche das Verständnis einzelner Schülerbeiträge sehr erschwerten. Die Diskussion wurde in der Hauptsache von einer etwa sechsköpfigen Gruppe, zum großen Teil den Hauptakteuren des Rollenspiels, bestritten. Es ist sehr schwer abzu­schätzen, wie das Schweigen der übrigen Schüler, die zum Teil von den In­terviewern direkt angesprochen wurden und trotzdem nicht reagierten, zu deuten ist. Zum besseren Verständnis einiger Textpassagen sei angemerkt, daß sich die Schüler, wenn sie von der "ersten Stunde" sprechen, auf die erste von uns videographierte Stunde beziehen.

Folgende Themenschwerpunkte werden von den Schülern im Verlauf der Gruppendiskussion genannt:

1. Die Bewertung des Rollenspiels: Das Rollenspiel stellt eine Ausnahme im methodischen Repertoire des Lehrers dar (S 2, 12). Die Schüler sehen das Rollenspiel als willkommene Abwechslung zum sonstigen Unterricht (S 2, 12-15; 2, 20). Sie heben positiv den größeren Erinnerungswert her­vor (S 2, 29-30; 3, 19-24). Das Spiel erfordert eine geringere Aufmerk­samkeitsleistung (S 2, 13-14) und wirkt für eine Schülerin "manchmal

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Musteranalyse Geschichte 165

vielleicht ein bißchen lächerlich" (S 3, 11). Als Fazit gibt eine Schülerin an, nicht viel gelernt zu haben. (S 3, 19-20)

2. Der" typische" Unterricht: Von den Interviewern befragt, wie der Un­terricht sonst verlaufe, äußern sich die Schüler spontan mit "anders" (S 2, 9), "die erste Stunde war normal "I (S 4, 8) und "meistens ist es noch lahmer" (S 4, 11). Den Grund hierfUr sehen die Schüler in der Person von Herrn A., " weil er halt alles weiß und wir wissen nichts" (S 4, 16). Seine Aufgabe sehen sie wie folgt: "Er soll uns beibringen, was er ge­lernt hat (. .. ) " (S 4, 18).

3. Die Beurteilung des Leistungsstandes im Kurs und die Stoffvermittlung des Lehrers: Im Vergleich zu Parallelkursen sehen sich einige Schüler im Rückstand. Bemängelt werden die zu häufige Wiederholung von Themen und die mangelnde Orientierung bezüglich der Wertigkeit von Inhalten (S 5, 1-13). Von anderen Schülern wird der Kurs aber auch als "locker" (S 5, 20) eingeschätzt; das Wesentliche werde vermittelt (S 5, 25-29). Herr A. wird als ein engagierter Lehrer bezeichnet, der Wert auf die Vermittlung von Allgemeinwissen und das Aufzeigen von Parallelen legt (S 9, 22-23).

4. Was die Schüler an Geschichte interessiert: Die Nennungen variieren von neuerer und neuester Geschichte (19./20. Jh.) (S 7, 21-27) über Lei­stungen verschiedener Kulturen (Bauwerke etc.) (S 7, 6-10) bis hin zu vom Lehrbuch abweichenden Theorien über kontinentale Kulturbezie­hungen im Altertum (S 7, 12-19).

5. Wie die Themenwahl des Kurses zustande kommt: Die Schüler orientie­ren sich bei ihren Begründungen für die Themenwahl sehr stark am Rahmenplan für Geschichte, in dem sie die Themen festgelegt sehen (S 8, 5; 8, 20; 9, 1-2). Möglichkeiten der eigenen Einflußnahme sehen sie theoretisch auf der Ebene der Konferenzen über Kurssprecher (S 8, 27-29); konkrete unterrichtliche Einflußnahme sehen sie zwar als möglich an, haben es jedoch noch nicht probiert (S 8, 24-25; 31-32). Prüfungsre­levantes Wissen wird im Rahmenplan geregelt. Der teilweise vorhandene Spielraum wird im Rahmen der geringen Stundenzahl als zu unbedeu­tend erachtet (S 9, 10-13).

6. Von Herrn A. präferierte Unterrichtsinhalte: Als primäre Inhalte nennen die Schüler: Symbole, die Bedeutung von Sprichworten, logische Zu­sammenhänge selbst vollziehen (S 11, 28; 12, 4). Kritisiert werden in diesem Zusammenhang öfters entstehende Situationen, in denen die Schüler etwas ableiten sollen, was ihnen nicht verständlich ist. Bessere

Die erwähnte erste Stunde war durch eine durchgängig lehrerdominierte Unterrichtsflihrung bestimmt.

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Lernerfolge könnten nach Auffassung der Schüler durch bessere Grund­lagenerarbeitung, Faktenvermittlung und Definitionen als Grundlage fiir das Verständnis von Zusammenhängen erreicht werden (S 12, 14; 13, 1; 13, 13-18).

Die Gruppendiskussion läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Nach dem Videostimulus artikulieren die Schüler ihre Einschätzung bezüg­lich des Rollenspiels. Als Abwechslung vom üblichen Unterricht erhält es eine positive Einschätzung, inhaltlich wird dem Spiel aber keine große Funk­tion beigemessen. Ein wichtiges Thema im weiteren Verlauf ist die Darstel­lung des normalen Unterrichts, der mit dem Verweis auf die erste video­graphierte Stunde, welche durch starke Lehrerzentrierung und charakteristi­sches Frage-Antwort-Spiel gekennzeichnet ist, auf den Punkt gebracht wird. Weitere Äußerungen thematisieren den eigenen Leistungsstand des Kurses, der bezüglich des Wissenstandes als kritisch beurteilt wird. Dennoch werde Wesentliches gelernt. Das Interesse der meisten Schüler bewegt sich im neu­zeitlichen Bereich, aber auch vom Lehrbuch abweichende Themen fmden Erwähnung. Die Chance zur Einbringung von Unterrichtsthemen wird ange­sichts der in den Rahmenplänen festgelegten Prüfungsinhalte als gering er­achtet. Zum Abschluß erfolgt eine Beschreibung der von Herrn A. rur wich­tig erachteten Unterrichtsinhalte.

3.2.9 Einzelanalysen

In der folgenden Einzelanalyse werden die auf die Sequenzabschnitte direkt bezogenen und die sie inhaltlich tangierenden Schüleräußerungen bezüglich ihrer subjektiven Sinndeutung zur Thematik der Schülermitbeteiligung erho­ben. Dadurch sollen Handlungsgründe der Schüler deutlich werden.

a) Das Rollenspiel:

S: Das war 'ne Ausnahme, also in Deutsch haben wir das jetzt mal gemacht, aber ansonsten (.), das war, also da brauchten wir gar nicht viel jetzt aufzu­passen und da irgendwas mitzuschreiben oder so, oder sowas, mehr war es nicht. ( . .) Ich weß nicht, ob das jetzt auch so viel gebracht hat oder so, aber es war halt mal ne Abwechslung (S 2, 12-15).

S: War mal was anderes(=ja=)es war mal anderes, was anderes kann man dazu nicht sagen (S 2, 20).

S: Da kann man sich besser merken, was man gespielt hat ( . .),(.). Man kann nicht ein ganzes Jahrhundert spielen, man kann nur ein Stückchen spielen (S 2,29-30).

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Musteranalyse Geschichte 167

SI (König): Es wirkte manchmal vielleicht ein bißchen lächerlich oder so, wenn man sich da, ich meine(=(..),(.)=), ja genau, ich meine, die anderen brauchten ja dann nichts machen oder so, (=( .. ), (.)=), na ja Hurra ru­fen(=Das war allesfiir dich=) (Lachen) ( .. ) (S 3,11-13). S2 (Regisseurin): Na ja doch, vielleicht ich, also ehm, ich finde ( .. ),(.) so etwas zu machen, wir sollten das öfters machen, und wir machen das viel zu selten, so was spielen oder so, oder was weiß ich, das in irgend einer ande­ren Form rüberbringen, aber ich finde nicht, daß wir da jetzt irgendwie viel gelernt haben, oder so, erstens war nicht viel da zum merken, bei dieser Krö­nungszeremonie(=ne, doch=),ich mein', das kann man sich ja merken, also außer vielleicht diese Insignien, und () ich glaube nicht, daß sich da jemand so groß viel gemerkt hat, und ich muß sagen, trotzdem ( .. ),(.) und trotzdem erinnert man sich mehr an diese Stunden als an andere Stunden(=mmh=),wo man eben einfach nur einen Kurzvortrag gehört hat oder so was (S 3, 17-24).

S3: Man merkt sich das vielleicht schon besser, aber ich weß nicht, ob das jetzt ( .. .),(.), ob das so wichtig ist sich zu merken. (..),{ .. ) Insignien, das ha­ben wir schon paarmal durchgekaut (S 3,30-32).

S: Also es hat doch eigentlich viel mehr Spaß gemacht, als wenn man jetzt so im Unterricht drinne sitzt und den trockenen Stof!( .. ),(.), (=ja=) (S 4, 1-2).

Die Schüler stellen die Abwechslung durch das Rollenspiel in den Vorder­grund, inhaltlich messen sie ihm keine Bedeutung hinsichtlich eines Lerner­folges bei, dennoch sollte diese Unterrichtsmethode öfter in den Unterricht eÜ1gebrachtwerden.

Anhand der Schüleräußerungen wird deutlich, daß es sich bei dem Rol­lenspiel um eine für Herrn A. außergewöhnliche Unterrichtsmethode handelt. Sie wird im allgemeinen gut aufgenommen, von einer Schülerin allerdings als etwas lächerlich charakterisiert. Die positive Bewertung des Spiels be­zieht sich jedoch nicht auf lerninhaltliche Aspekte - diese werden als uner­heblich bezeichnet -, sondern wird ausnahmslos aus dem Gegensatz zu der sonstigen Unterrichtsmethodik hergeleitet. Implizit wird damit eine Kritik an der herkömmlichen Unterrichtsgestaltung artikuliert. In dieser Kritik kommt das generelle Bedürfnis zum Ausdruck, Stoff in einer anderen Art vermittelt zu bekommen, in welcher Art und Weise, können die Schüler allerdings nicht artikulieren: Hauptsache, es ist anders als "normal". Fragen der Schülermit­beteiligung kommen nicht zur Sprache. Offenbar erkennen die Schüler nicht die Möglichkeiten für Schülermitbeteiligung, die ihnen theoretisch durch das Rollenspiel eröffnet werden. Vielleicht geraten solche Überlegungen auf­grund der praktischen Rezeptivitätskonditionierung gar nicht erst in das Blickfeld der Schüler.

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b) Die Vertiefungsphase:

Zu diesem Ausschnitt der Sequenz konnten aufgrund der technischen Pro­bleme keine direkten Schüleräußerungen erhoben werden. Bezüglich der methodischen Struktur des Abschnitts lassen sich jedoch sehr starke Ähn­lichkeiten zwischen der ersten videographierten Stunde und dem zweiten Abschnitt der Sequenz erkennen, wobei anzumerken ist, daß diese Entspre­chung von den Schülern selbst gezogen wird. Dennoch besitzen die Äuße­rungen natürlich nicht den Status, welche direkt auf die Sequenz bezogene Aussagen hätten; sie sind somit beim Vergleich mit den Lehreräußerungen und unseren Unterrichtsbeobachtungen besonders zu betrachten. Die Schüler erleben den normalen Unterricht als "lahm". Zur Begründung verweisen sie auf das Wissensgefälle zum Lehrer. Seine Aufgabe sehen sie darin, daß er ihnen etwas beibringt. Mögliche eigene Einflußnahmen werden von den Schülern nicht gesehen. Der Unterricht wird in seiner bestehenden Form akzeptiert und inhaltlich über äußere Anforderungen (Rahmenplan, Prü­fungsanforderungen, begrenzte Stundenzahl) (S 9, 10 - 13) legitimiert. Viele Schüler kritisieren die häufige Wiederholung von Themen, die sie als lang­weilig empfmden. Entsprechend gering ist ihre Motivation zur Mitarbeit. Hinzu kommt, daß die Schüler oftmals Schwierigkeiten mit der Fragetechnik von Herrn A. haben. Sie verstehen nicht, was er will; es kommt zu Mißver­ständnissen.

Wir kommen zu einer zusammenfassenden Bewertung der Gruppendis­kussion mit den Schülern. Bezüglich der Funktion des Rollenspiels sind sich die Schüler relativ einig. Sie sehen es im Kontext einer alternativen Unter­richtsgestaltung und bewerten es primär auf grund seiner Andersartigkeit positiv. Die Chance, mittels des Spiels eigene Ideen umzusetzen, Geschichte selbst zu interpretieren und damit eigene Gestaltungselemente in den Unter­richt einzubringen, wird von den Schülern nicht artikuliert. Die Angemessen­heit des Spiels wird kritisch beleuchtet, wenn Schüler von der Lächerlichkeit der Aufführung sprechen. Der normale Unterricht wird als "lahm" bezeich­net, dies wird mit dem Wissensgefälle gegenüber Herrn A. begründet. Inter­essanterweise wird der Unterricht dennoch über die Erwartung an Herrn A. legitimiert: "Er soll uns beibringen, was er gelernt hat, was soll er großartig dazu sagen (..)" (S 4, 18-19). Offenbar sind die Schüler darauf konditioniert, das zu tun, was der Lehrer mit ihnen vorhat. Möglichkeiten, aus diesem "Korsett" auszubrechen, werden nicht artikuliert; übergeordneten Instanzen (Rahmenplan) wird die Themenfestlegung zugewiesen. Dennoch sind sich einige Schüler sicher, daß sie schon Einfluß nehmen könnten, wenn sie es probieren würden, wobei sie gleichzeitig den Spielraum der Umsetzung der­artiger Interventionen auf grund organisatorischer Probleme als zu gering erachten.

Man kann die Antinomie, die sich hier in den Schüleräußerungen zeigt, als Anlaß zu vorsichtigem Optimismus nehmen. Wenn die Schüler einerseits

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Musteranalyse Geschichte 169

der Auffassung sind, daß der Unterricht lahm sei, weil der Lehrer alles weiß, wenn sie aber andererseits dem Lehrer die Rolle zuschreiben, sein Sachwis­sen an sie zu vermitteln, dann liegt eigentlich ein Nachdenken über die Un­terschiedlichkeit der Rollen des Lehrers und der Schülerinnen und Schüler nahe. Was wäre, wenn die Schüler die Rolle des Lehrers übernähmen und dem Lehrer Hilfsfunktionen zuwiesen? Es zeigt sich, daß die Schüler fiir eine solche Änderung der Unterrichtskultur offensichtlich genügend didaktische Kompetenz hätten. Die aktive Schülerin S 2, die Regisseurin, liefert dafiir eine präzise didaktische Analyse. Die Schüler seien als Elftkläßler eigentlich mit der Inszenierung der Widukind-Quelle unterfordert, deshalb produziere das Spiel keinen Lernerfolg. Grundsätzlich seien Spiele aber, lerntheoretisch betrachtet, eine gute Sache. Was man gespielt hat, kann man sich besser einprägen. Die Schülerin argumentiert hier also, wenn man so will, didak­tisch anspruchsvoller, als es der Lehrer tut.

Der "lockere" Unterricht bei Herrn A. wird von den Schülerinnen und Schülern atmosphärisch positiv bewertet, die Art der Vermittlung über sym­bolische Bedeutungsklärungen einerseits begrüßt, andererseits auf grund zu häufiger Repetitionen als langweilig erlebt. Hinzu kommt die von einigen Schülern bemängelte Systematik des Unterrichts, die zuviel Nebensächliches behandele und Grundlagenfakten vernachlässige. So kommt es immer wieder zu Mißverständnissen zwischen Herrn A. und den Schülern, die aber nicht Thema des Unterrichts werden, sondern schülerseitig durch das Durchstehen eines Frage-Antwort-Spiels gelöst werden. Insofern ist der zweite Stundenab­schnitt ein Beispiel fUr den "normalen" Unterricht, von dem die Schüler spre­chen, denn darin fmden sich die fiir Herrn A. unterrichtstypischen Aspekte wie "lahme" Kommunikation, Repetition von Symbolik, Mißverstehen des vom Lehrer Intendierten, wieder.

Aus der Gruppendiskussion läßt sich entnehmen, daß einige Schüler über eine fachdidaktische Kompetenz verfUgen, wenn sie die Art und Weise der Auslegung historischer Quellen (S 9, 25-31) deutlich kritisieren oder im Rahmen der Themenwahl interkulturelle Beziehungen anfUhren. Es stellt sich deshalb verstärkt die Frage, warum die Schüler trotz eines hohen kritischen Reflexionsniveaus solche Einsichten nicht zum Unterrichtsthema machen und selber aktiv werden, um eine Änderung der Unterrichts gestaltung zu sichern .. Eine mögliche Deutung ist ein funktionales Verständnis von Unter­richt, in dem Themen (Grundlagen) vermittelt werden, die zum Bestehen von Prüfungen verwertbar sind.

3.2.10 Triangulation

In diesem Teil unserer Musteranalyse werden die Ergebnisse der Analysen der bei den Sequenzabschnitte der Unterrichtsstunde, des Lehrerinterviews

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und der Gruppendiskussion, gegenübergestellt. Durch den Vergleich sollen die subjektiven Deutungen der Schüler und des Lehrers und die Sicht der Forscher bezüglich der gemeinsam erlebten Unterrichtsstunde unter dem Aspekt von Schülermitbeteiligung jeweils in Beziehung gesetzt werden. Über die anschließende Einordnung der Unterrichtssequenz in die Niveaustufen der fachdidaktischen Gestaltung von Schülermitbeteiligung im Fach Ge­schichte sollen Perspektiven der Erweiterung von Schülermitbeteiligung aufgezeigt werden.

Das Rollenspiel als nicht alltägliche Unterrichtsmethode stellt eine Form von Schülermitbeteiligung dar. Es eröffnet prinzipiell die Möglichkeit der Mitbeteiligung auf allen Ebenen. Das Rollenspiel bietet den Schülern die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausgestaltung eines Quellentextes und des Einbringens kreativer Ideen im Umgang mit dem Unterrichtsthema. Im vorliegenden Fall nutzen die Schüler die Möglichkeit der eigenständigen Ausgestaltung und Interpretation erkennbar nicht.

Die Funktion des Spiels wird ausschließlich über die lehrerseitig inten­dierte fachdidaktische Perspektive legitimiert, ihr Erfolg bemißt sich an der Verwirklichung der Intentionen des Lehrers (Identifikation etc.); die Intentio­nen der Schüler spielen keine Rolle. Obwohl Rollenspiele von elften Klassen bisher immer abgelehnt wurden, gelingt es Herrn A., die Klasse zum Spiel zu bewegen. Die Gründe hierfür bleiben unklar, könnten aber der Anwesenheit der Forscher geschuldet sein. Unter der Perspektive von Schülermitbeteili­gung wird das Rollenspiel von Herrn A. nicht thematisiert und findet sich interessanterweise auch nicht in seiner Aufzählung der Arten von Schüler­mitbeteiligung.

Auch in den Schüleräußerungen wird deutlich, daß es sich bei dem Rol­lenspiel um eine rur diese Schüler außergewöhnliche Unterrichtsmethode handelt. Sie wird im allgemeinen gut aufgenommen, von einer Schülerin allerdings als etwas lächerlich charakterisiert. Die positive Bewertung des Spiels bezieht sich jedoch nicht auf lerninhaltliche Aspekte - diese werden als unerheblich bezeichnet - sondern wird ausnahmslos aus dem Gegensatz zu der sonstigen Unterrichtsmethodik hergeleitet. Offenbar erkennen die Schüler nicht die Möglichkeiten rur Schülermitbeteiligung, die ihnen theore­tisch durch die Form eines Rollenspiels eröffnet werden. Vielleicht geraten solche Überlegungen auf grund der praktischen Rezeptivitätskonditionierung erst gar nicht in das Blickfeld der Schüler.

Im folgenden werden die von uns aus der Unterrichtsbeobachtung ent­wickelten Hypothesen bezüglich der Gestaltung der Schülermitbeteiligung mit den Aussagen des Lehrers und der Schüler verglichen. Dabei geht es zum einen um die Feststellung von Übereinstimmungen. Zum anderen soll unter­sucht werden, ob sich neue Sichtweisen oder noch nicht erkannte Widersprü­che ergeben. Hierzu werden die Hypothesen, die wir auf Seite 149 entwickelt

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Musteranalyse Geschichte 171

haben, auf Herrn A., seine Schüler und den Unterricht bezogen und der Reihe nach erörtert.

• Bezüglich der Frage, ob die Beteiligten das Rollenspiel als Chance fur echte Schülermitbeteiligung wahrnehmen, läßt sich folgendes sagen: Das Rollenspiel resultiert aus Sicht des Lehrers ausschließlich aus der fachdidak­tischen Prämisse, die Schüler über die Identifikation mit einem Thema zum Verständnis großer geschichtlicher Entwicklungen zu bringen. Er thematisiert das Rollenspiel also nicht unter dem Gesichtspunkt von Schülermitbeteili­gung, sondern als Möglichkeit der Schüleraktivierung.

Auch die Schüler sehen das Rollenspiel nicht als Möglichkeit der eigenen Einflußnahme auf die Unterrichtsgestaltung an. Es geht ihnen vielmehr dar­um, aus dem normalen Stundenkorsett auszubrechen. Sie bleiben passiv. Ihre Aktivitäten beschränken sich auf das bloße Nachspielen der Textvorlage, ohne eigene Interpretationen einzubringen und ohne das Rollenspiel kritisch zu hinterfragen.

Damit decken sich die Ergebnisse der Gruppendiskussion und des Leh­rerinterviews mit der aus der Unterrichtsbeobachtung entwickelten Hypothe­se, daß das Rollenspiel von den Beteiligten nicht als Unterrichtsmethode zur Verwirklichung von Schülermitbeteiligung gesehen wird, obwohl es vermut­lich vom Lehrer als Exempel eingebracht worden ist, das uns als Forscher in irgendeinem diffusen Sinn zufrieden stellen sollte.

• Die zweite Hypothese (ungewohnte Eigenständigkeit) wird durch die Aussagen der Schüler und des Lehrers insoweit bestätigt, als daß ein Rollen­spiel dieser Art zum ersten Mal in einer elften Klasse aufgefiihrt wurde. Die Schüler machen deutlich, daß im allgemeinen Frontalunterricht stattfindet, der ihnen wenig Möglichkeiten zur Erprobung alternativer Unterrichtsmetho­den bietet, welche ihre Selbständigkeit fördern. Es handelt sich also um eine Unterrichtsshow fur die Gäste.

• Auch die dritte Hypothese (Unterforderung) läßt sich anhand der Äuße­rungen des Lehrers und der Schüler "bestätigen". Der Lehrer zieht die Mög­lichkeit in Betracht, daß das Rollenspiel von der Mehrheit der Schüler (dem zur Passivität verurteilten "Volk") nicht ernst genommen wurde. Daraus läßt sich schließen, daß Herrn A. die offensichtliche Unterforderung der Schüler nicht verborgen geblieben ist. Die Tatsache, daß er gute Erfahrungen mit Rollenspielen in jüngeren Klassenstufen gemacht hat, hat ihn zu einer fal­schen Einschätzung der Möglichkeiten eines Rollenspiels in einer elften Klasse verleitet. Die Schüler sind dabei mehrheitlich der Auffassung, daß ihnen das Spiel inhaltlich keine neuen Erkenntnisse gebracht hat. Ihr man­gelndes Engagement läßt sich darauf zurückfuhren, daß sie dem Spiel hin­sichtlich eines Lernerfolges keinen Wert beimessen. Der Anreiz einer abwei­chenden Unterrichtsgestaltung reicht fur die Herausforderung ihrer Eigenin-

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itiative nicht aus. Wir wollen damit nicht etwa die Auffassung vertreten, das Rollenspiel eigne sich nicht für Schüler unserer Entwicklungsstufe; es muß aber der Darstellungskompetenz und dem Reflexionsvermögen der Oberstu­fenschüler entsprechen .

• Bezüglich der vierten Hypothese (Versuch, den Erwartungen der Forscher­gruppe zu entsprechen) tragen die Gruppendiskussion und das Lehrerinter­view nur indirekte Erkenntnisse bei. Wir haben dargelegt, daß der Lehrer in irgendeinem diffusen Sinn bezüglich der Forschergruppe angenommen haben muß, sie wolle so etwas wie die Inszenierung der Widukind-Quelle sehen. Er hat also versucht, unser Bild von Schülermitbeteiligung zu rekonstruieren und ist dabei nur partiell erfolgreich gewesen .

• Die fünfte Hypothese (Anweisung der Umsetzung, Transferaufgabe) läßt sich durch die Aussagen des Lehrers insoweit fundieren, als daß er mit dem Spiel eine nochmalige Wiederholung des zuvor behandelten Themas an­strebte. Den Schwerpunkt der Umsetzung bildete dabei der chronologische Ablauf der Insignienverleihung. Hinweise auf eine Transferaufgabe lassen sich nicht finden.

Der zweite Stundenabschnitt unterscheidet sich vom Rollenspiel fundamental darin, daß er durch starke Lehrerdominanz geprägt ist, die sich in Form eines Frage-Antwort-Spiels bei minimaler Schülerbeteiligung dokumentiert. Fra­gen der Schülermitbeteiligung werfen sich in den Situationen auf, in denen die Schüler eigene Ansichten und Fragen ins Spiel bringen. Obwohl Herr A. den Schülern mit problemorientierten und auf die Gegenwart bezogenen Fragestellungen grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, eigene Vorkenntnis­se und Erfahrungen in den Unterricht einzubringen, nutzt er Situationen nicht, in denen dies geschieht. Er entwertet die Schülerbeiträge durch Zu­rückweisung und Nichtthematisierung. Gleichwohl erfolgt auch keine schü­lerseitige Intervention in Form wiederholender Nachfragen.

Wie im Lehrerinterview deutlich wird, besteht für Herrn A. die Funktion dieses Unterrichtsabschnitts lediglich in der vertiefenden Zusammenfassung des mehrmalig erarbeiteten Stoffes. Es handelt sich um eine typische Festi­gungsphase, die darüber hinaus, zumindest im weiteren Unterrichtsverlauf, keine weitere Funktion besitzt. Fragen der Schülermitbeteiligung spielen keine Rolle.

Die Schüler erleben den normalen Unterricht als "lahm". Zur Begrün­dung verweisen sie auf das Wissensgefälle zum Lehrer. Seine Aufgabe sehen sie darin, daß er ihnen etwas beibringt. Der Unterricht wird in seiner beste­henden Form akzeptiert und inhaltlich über äußere Anforderungen (Rahmen­plan, Prüfungsanforderungen, begrenzte Stundenzahl) (S 9, 10-13) legiti­miert. Tiefere Reflexionen bezüglich eigener Einflußnahmen werden von den Schülern nicht gesehen. Viele Schüler kritisieren die häufige Wiederholung von Themen, die sie als langweilig empfinden. Entsprechend gering ist die

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Musteranalyse Geschichte 173

Motivation der Schüler zur Mitarbeit. Hinzu kommt, daß die Schüler oftmals Schwierigkeiten mit der Fragetechnik von Herrn A. haben. Sie verstehen nicht, was er will; es kommt zu Mißverständnissen.

Leider macht Herr A. zum zweiten Sequenzabschnitt nur wenig Ausfiih­rungen. Zudem müssen zur schülerseitigen Bewertung indirekte Äußerungen herangezogen werden, weil sich die Schüler auf die erste von uns video­graphierte Unterrichtsstunde beziehen. Dies ist jedoch vertretbar, da sich beide Stunden hinsichtlich ihrer Interaktionsstruktur stark ähneln.

Es erfolgt wiederum ein Vergleich der aus der Unterrichtsbeobachtung entwickelten Hypothesen (vgl. S. 151) mit den Schüler- und Lehrerdeutun­gen.

• Zur Zeitproblernatik machen die Schüler und der Lehrer keine auf den Unterrichtsabschnitt bezogene Aussagen. Die Schüler stellen die Zeitproble­matik in den übergeordneten Rahmen der Vermittlung prüfungsrelevanter Themen im Schulhalbjahr. Sie bestätigen die erste Hypothese insoweit, als daß sie auf diese übergeordneten Zwänge verweisen. Ihr Interesse ist im wesentlichen darauf gerichtet, prüfungsrelevantes Wissen vermittelt zu be­kommen. Aus der Einsicht heraus, daß der fiir sie wichtige prüfungsrelevante Stoff in einer begrenzten Zeit vermittelt werden muß, folgt die Akzeptanz in einer Reduzierung der Einflußmöglichkeiten, welche die effektive Stoffver­mittlung durch den Lehrer einschränken würden.

Der Lehrer sieht übergreifende, alternative unterrichtsmethodische Zu­gänge (Exkursionen, Projektwochen), er erachtet jedoch die Möglichkeiten ihrer Anwendung auf grund des knappen Zeitbudgets als gering (L 7, 32 - 8, 3). In der konkreten unterrichtlichen Interaktion orientiert er sich am Rah­menplan und an der Vermittlung prüfungsrelevanten Wissens. Insoweit ist er sich ständig der Zeitproblematik bewußt, aber mehr als dies läßt sich bezogen auf die Unterrichtssequenz nicht sagen. Wir müssen also feststellen, daß hier auf beiden Seiten eine unausgesprochene Konstruktion vorliegt: Es sei die Aufgabe des Geschichtsunterrichts, viel prüfungsrelevantes Wissen zu ver­mitteln. Aus fachwissenschaftlicher Sicht bewegen sich insofern der Lehrer und die Schüler auf niedrigem Niveau.

• Die Schüler ziehen sofort die Parallele zwischen dieser Sequenz und dem normalen Unterricht und äußern sich im weiteren Verlauf nur noch zu letzte­rem. Daraus läßt sich schließen, daß der zweite Teil der Sequenz typisch fiir den normalen Unterricht ist. Darin weisen die Schüler dem Lehrer die Ver­antwortung rur die Gestaltung des Unterrichts zu. Sie erkennen - wie bereits angefiihrt - die Notwendigkeit der effektiven Wissensvermittlung an. Sie stellen einen weiteren Aspekt heraus, der mit diesem Interaktionsmuster korrespondiert: die häufige Überforderung durch zu weitreichende Frage­stellungen des Lehrers, die nicht selten zu Mißverständnissen und Schweige­pausen fUhrt.

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Die Lehreräußerungen bezüglich der zweiten Hypothese fallen - wie bereits erwähnt - sehr knapp aus. Herr A. sieht diesen Abschnitt als typische Festi­gungsphase an. Er stellt seine Dominanz nicht in Frage. Auf der Mikroebene der unterrichtlichen Interaktion thematisiert er Fragen der Schülermitbeteili­gung überhaupt nicht, woraus geschlossen werden kann, daß er auf dieser Ebene Möglichkeiten der Schülermitbeteiligung nicht sieht. Dies läßt ver­muten, daß die stark lehrerzentrierte Unterrichtsführung ein typisches Inter­aktionsmuster darstellt, was sich aber allein anhand der Lehreraussagen nicht fundieren läßt. Erst durch die Hinzuziehung der Schülersicht kann darauf geschlossen werden, daß es sich in der Tat um ein typisches Interaktionsmu­ster handelt.

Als Ergebnis der Triangulation läßt sich festhalten, daß die beiden Sichtwei­sen erst in ihrer Ergänzung die Hypothese "bestätigen", die sich für uns aus der Unterrichtsbeobachtung ergibt.

3.2.11 Diefachdidaktische Stufung der Schülermitbeteiligung

Gemäß des in Teili.3 entwickelten fachdidaktischen Stufenschemas läßt sich die beobachtete Unterrichtssequenz zusammen mit den Lehrer- und Schüler­äußerungen wie folgt einordnen:

(X) Erstes Niveau: Der Unterricht wird von den Lehrenden als Vermittlung von Faktenwissen ("Stofforientierung") gestaltet. Das Nacherzählen von Geschichten geschieht anhand eines vorgegebenen Erzählplans und vorgege­bener Ereignisse. Die Funktion des Nacherzählens besteht darin, Tradition fortzusetzen und einen Kommunikationszusammenhang zwischen den Gene­rationen aufrechtzuerhalten. Da Schülerinnen und Schüler historische Kennt­nisse und eigene Fragestellungen nur in geringem Umfang einbringen kön­nen, besteht ihre Mitbeteiligung im wesentlichen in der 'gekonnten Rezepti­on' dessen, was der Lehrer ihnen bezüglich ihrer Sinnorientierung über Zeit­erfahrung vermittelt.

In der analysierten Stunde rezipieren die Schüler die vorliegende Fakten, indem sie sie spielerisch kopieren. In der Vertiefungsphase bringen sie nur in geringem Umfang eigene Fragestellungen und historische Kenntnisse ein. Unter dem Aspekt von Schülermitbeteiligung defmieren sie sich selbst auf der ersten Stufe, indem sie dem Lehrer die Aufgabe zuweisen, den Unterricht zu gestalten, und in dem sie in großen Teilen die funktionale Stoffvermittlung betonen.

(X) Zweites Niveau: Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Möglichkeit, ihr interesse an Geschichte und ihre Emotionalität bezüglich der Schicksale der Menschen dadurch in die Unterrichts gestaltung einzubringen, daß sie historische Quellen auf grund ihrer eigenen Erfahrung argumentativ bearbei-

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Musteranalyse Geschichte 175

ten und bewerten und daß sie lernen, Geschichte umzuerzählen. Im Umer­zählen erfolgt eine distanzierende Stellungnahme zu einer erzählten Ge­schichte (z.B. aus dem Schulbuch). Das Bedürfnis nach historischer Sinnfin­dung beschränkt sich dabei nicht auf die Erkenntnis, daß vieles in anderen Zeiten und anderen Ländern anders war. Vielmehr denken die Schülerinnen und Schüler historisch-kontrastiv und suchen nach Gründen für diese An­dersartigkeit im Sinne einer Alteritätserfahrung.

Rollenspiele bieten zwar die Möglichkeit des Umerzählens von Ge­schichte. Jedoch wird das Spiel im vorliegenden Fall nicht in diesem Ver­ständnis aufgeführt. Dennoch zeigt sich anhand von Schüleräußerungen in der Gruppendiskussion fachdidaktische Kompetenz, wenn Kritik an der Quellenauslegung oder wenn Interesse an der Thematik interkultureller Be­ziehungen im Altertum artikuliert wird. Diese Ansprüche bleiben jedoch auf dem Horizont des Wünschenswerten und werden nicht als gemeinsame Ge­staltungsaufgabe begriffen.

( ) Drittes Niveau: Auf einem obersten Niveau der Beteiligung an der Unter­richtsgestaltung erkennen die Schülerinnen und Schüler, daß sie jeweils aus den Vergangenheitsdeutungen, den Gegenwartswahrnehmungen ihrer eige­nen Situation und den Zukunftserwartungen heraus Geschichte individuell erzählen und deuten. Die Erzählhandlung dieses rezensierenden Erzählens ist bewertend. Es wird geprüft, welche Anteile an Nacherzähltem und Umer­zähltem eine Geschichte enthält. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln also den reflexiven Umgang mit Alteritätserfahrung (eigene Kultur) und Fremdverstehen (Multikulturalität) durch die Rekonstruktion ehemaliger Andersartigkeit und auf grund ihrer Wahrnehmung zwischenzeitlicher Ent­wicklungen. Sie arbeiten nicht nur mit historischen Inhalten, vielmehr ma­chen sie historische Methoden und Darstellungsweisen zum Gegenstand des Unterrichts. Sie entwickeln ein historisches Bewußtsein, das die hermeneuti­sche Rekonstruktion der Geschichte transparent macht, und sie entwickeln die Fähigkeit zur Metanarration.

Auf dem dritten Niveau formulierte Unterrichtselemente oder -deutungen sind in der Unterrichtssequenz nicht erkennbar. Dem Lehrer ist auf grund mangelnder historischer Kenntnis nicht bewußt, daß es sich bei der Darstel­lung Widukinds um eine aus verschiedenen Bausteinen zusammen-gesetzte Geschichte handelt, die sehr gut geeignet wäre, als Erzählung umgeschrieben und bewertet zu werden (vgl. unsere Darlegungen in Teil 1.3, S. 44 f.). Die Bearbeitung der Erzählung im Unterricht in Form des hier vorgestellten Rol­lenspiels schließt einen reflexiven Umgang mit der Quelle fast gänzlich aus und ermöglicht es den Schülern nicht, Geschichte individuell neu zu erzäh­len. Gleichwohl sind in der Gruppendiskussion keine Schüleräußerungen zu finden, die auf das Bedürfnis nach andersartiger Bearbeitung der Quelle hin­weisen. Insofern muß offen bleiben, inwieweit der Lehrer und die Schüler

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dieser Klasse generell willens und fähig sind, die oberste Stufe unserer fach­didaktischen Stufung von Schülennitbeteiligung zu erreichen.

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Christine Ziegler I Heinz Obst

3.3 Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Chemie

"Das, was Andreas gesagt hat, finde ich gar nicht so dumm"

3.3. Vorbemerkungen

Bei der ausgewählten Sequenz handelt es sich um den Ausschnitt aus einer Unterrichtsstunde eines Leistungskurses Chemie der 11. Jahrgangsstufe an einem Hallenser Gymnasium. Die Einbeziehung der Sequenz in diese Publi­kation erfolgt, um das Bild der drei Aufgabenfelder dem Projektprogramrn entsprechend abzurunden, obwohl wir in der Pilotphase für diese Stunde kein Lehrerinterview und keine Schülergruppendiskussion aufgenommen haben. In der Hauptphase werden wir selbstverständlich auch für die Fächer Physik und Chemie vollständige Erhebungen dokumentieren und auswerten.

Die nachfolgende Untersuchungssequenz ist für uns interessant, weil die Lehrerin, Frau W., viel umfangreicher und intensiver als der Englisch- und der Geschichtslehrer auf das eingeht, was die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einbringen, aber trotzdem, soweit wir feststellen können, sub­stantielle Verständnisschwierigkeiten der Lernenden zunächst nicht wahr­nimmt.

Die Beschränkung unserer Auswertung auf das Unterrichtsprotokoll kann verdeutlichen, daß eine Beschreibung der Interaktion und der Sinnstruktur des Unterrichts für die hermeneutische Rekonstruktion von Unterricht prinzi­piell unzureichend ist. Welchen Sinn die Akteure und die forschenden Zu­schauer im Unterrichtsprozeß sehen, läßt sich durch eine Analyse der unter­richtlichen Kommunikation manchmal nicht ausreichend erhellen. Wenn wir nachfolgend doch analysieren und bewerten, was im Unterricht passiert, dann gilt hierfür erst recht der schon für die Dokumentationen für den Englisch­und aus dem Geschichtsunterricht beanspruchte Vorbehalt, daß unsere Deu­tungen hypothetischer Natur sein müssen. Wir wollen zeigen, daß unser me­thodisches Vorgehen auch für den naturwissenschaftlichen Unterricht per­spektivenreich ist.

Aus der Eröffnung der Stunde durch Frau W. geht hervor, daß die Schü­lerinnen und Schüler in der vorangegangenen Unterrichtsstunde eine Neutra­lisationsanalyse als Schülerexperiment durchgeführt haben, wobei sie die

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Aufgabe hatten, den Indikator selber zu wählen. Sie sollten dazu Versuchs­protokolle anfertigen, welche auch die theoretischen Grundlagen beinhalten. Außerdem kann aus einer Schüleraussage geschlossen werden, daß die pH­Werte wäßriger Salzlösungen bereits Unterrichtsgegenstand in vorangegan­genen Unterrichtsstunden waren.

Die Stunde beginnt, indem Frau W. einen Schüler auffordert, die theore­tischen Grundlagen einer Neutralisationsreaktion anhand der Neutralisation von Natronlauge mit Salzsäure zu wiederholen. Sie macht - ausgehend von diesem "Sonderfall" - zunächst auf die Problematik bei der Titration mehr­protoniger Säuren aufmerksam. Anschließend will sie mit den Schülerinnen und Schülern die Abweichung des Neutralpunktes vom Äquivalenzpunkt bei der Neutralisationsanalyse mit unterschiedlich starken Säuren und Basen und die daraus resultierende Indikatorwahl theoretisch begründen. Hier beginnt die ausgewählte Sequenz.

Anmerkungen zur fachlichen Thematik und den Lemschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler:

Aus dem Unterrichts gespräch können wir schlußfolgern, daß die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler zunächst nicht zwischen Äquivalenzpunkt und Neutralpunkt unterscheidet. Sie erkennen daher die Neutralisationsreaktion von Natronlauge mit Salzsäure nicht als Sonderfall und können die Wahl eines Indikators rur eine Neutralisationsanalyse nicht fachlich begründen. Die chemischen Zusammenhänge werden deshalb im folgenden näher erläutert, wobei die Vereinfachung der begrifflichen Darstellung etwa dem Kenntnis­stand der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I entspricht.

Basen (Hydroxide) sind Stoffe, derel!t- wäßr~ge Lösungen Hydroxid-Ionen enthalten. Beispiel: NH3 + H20 ~ NH4 + OH

Säuren sind Stoffe, deren wä~rige ~ösungen Oxonium-Ionen enthalten. Beispiel: HCI + H20 ~ H30 + Cl

Bei mehrwertigen Säuren (z. B. H2S04) und mehrwertigen Basen (z. B. Ca(OH)z) können sich je "Molekül" mehrere Oxonium-Ionen beziehungswei­se Hydroxid-Ionen in der Lösung befmden. Die Formeleinheiten (gedachte Moleküle) zerfallen (dissoziieren) dabei schrittweise und in unterschiedli­chem Maße; z.B. reagieren im ersten Schritt alle Schwefelsäuremoleküle mit einem Wassermolekül, so daß ein Hydrogensulfation und ein Oxoniumion entsteht. Nur wenige Hydrogensulfationen reagieren dann mit einem Was­sermolekül, so daß ein zweites Oxoniumion entsteht.

Bei starken Säuren und starken Basen sind nahezu alle Moleküle in Ionen zerfallen. Bei schwachen Säuren und schwachen Basen sind nicht alle Mole­küle in Ionen zerfallen.

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Musteranalyse Chemie 179

Der pH-Wert einer Lösung gibt an, ob die Lösung sauer, neutral oder basisch ist:

pH-Wert: 0-1-2-3-4-5-6 7 8-9-10-11-12-13-14

Lösung ist stark schwach Schwach stark sauer neutral basisch

Der pH-Wert einer Lösung kann mit Indikatoren ennittelt werden. Das sind Farbstoffe, die beim Übergang zu bestimmten pH-Werten ihre Farbe ändern ("Umschlagpunkt" oder "Umschlagbereich").

Wenn eine Säure mit einer Base reagiert, bilden si<;f Wass~nnoleküle aus je einem Oxonium-Ion und einem Hydroxid-Ion: H30 + OH ~ 2H20

Man spricht deshalb von ,.Neutralisation ". Die anderen Ionen bleiben in Lösung (Salzlösung). Wirklich neutral wird die Lösung aber nur, wenn weder Oxonium-Ionen noch Hydroxid-Ionen im Überschuß vorhanden sind. Die Lösung hat dann den pH-Wert 7. Diesen Punkt bezeichnet man auch als "Neutralpunkt ".

In der Chemie (Umweltschutz, Technik, Medizin u. a.) besteht oft die Aufga­be festzustellen, welche Konzentration eine saure oder eine basische Lösung hat. D. h., man will wissen, wie viele "Moleküle" des Stoffes (Säure oder Base) in einem bestimmten Volumen Lösung enthalten sind. Dazu wird die SäurelBase unbekannter Konzentration mit einer Base/Säure bekannter Kon­zentration titriert. Zunächst wird ein gemessenes Volumen der unbekannten Lösung mit einem geeigneten Indikator versetzt. Dann wird die bekannte Lösung zu der unbekannten Lösung zugetropft, bis ein Farbumschlag eintritt. Aus dem verbrauchten Volumen der bekannten Lösung kann die Konzentra­tion der untersuchten Lösung berechnet werden. Man bestimmt so den "Ä'quivalenzpunkt". Das ist der Punkt an dem die Konzentrationen von Säure und Base gleich (äquivalent) sind.

Titriert man eine starke einwertige SäurelBase mit einer starken einwer­tigen Base/Säure, dann titriert man bis zum Neutralpunkt (pH-Wert = 7). Das ist in diesem Falle zugleich der Ä'quivalenzpunkt, weil eine Säure und eine Base gleicher Konzentration im gleichen Volumen gleich viele Oxonium­Ionen bzw. Hydroxid-Ionen enthalten. Diesen Fall kennen die Schülerinnen und Schüler als exemplarisches Beispiel.

Das Problem der Schülerinnen und Schüler in dieser Stunde ist nun, daß sie aufgrund des bisherigen Chemieunterrichts in den Jahrgangsstufen 8/9 an­nehmen, daß das für alle beliebigen - auch für die mehrwertigen und schwa­chen - Säuren und Basen gilt.

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180 Christine Ziegler / Heinz Obst

Titriert man aber z. B. eine mehrwertige Säure (Beispiel H2S04) mit einer einwertigen Base (Beispiel NaOH), dann wird der Neutralpunkt erreicht, bevor der Äquivalenzpunkt erreicht ist.

Wir erinnern uns: Bei der einwertigen Base sind alle Moleküle in Ionen zer­fallen, bei der mehrwertigen Säure dagegen nicht.

Titriert man z. B. eine schwache Säure mit einer starken Base, dann wird ebenfalls der Neutralpunkt erreicht, bevor der Äquivalenzpunkt erreicht ist.

Wir erinnern uns: Bei der starken Base sind alle Moleküle in Ionen zelj'allen, bei der schwachen Säure dagegen nicht.

Folglich braucht man in beiden Fällen zum Neutralisieren der ("wenigen") Oxonium-Ionen nur eine entsprechend geringe Anzahl Hydroxid-Ionen. Da­mit erreicht man zwar den Neutralpunkt, aber noch nicht den Äquivalenz­punkt. Es sind noch Säuremoleküle in der Lösung. Der Äquivalenzpunkt wird erst erreicht, wenn weitere Base zugesetzt wird. Damit steigt aber die Zahl der Hydroxid-Ionen in der Lösung und der pH-Wert der Lösung an. Um den Äquivalenzpunkt festzustellen, braucht man also einen Indikator, der bei dem entsprechend höheren pH-Wert die Farbe ändert. Die Fälle können in unter­schiedlicher Kombination durchgespielt werden. Die Realität ist hier auf jeden Fall viel breiter als der Unterrichtsinhalt.

Der Zusammenhang läßt sich durch chemische Gleichgewichte erklären, die sich einstellen, wenn Säuren, Basen oder Salze mit Wasser reagieren. Das folgende Schema soll den Zusammenhang zwischen den vier Gleichge­wichtsreaktionen veranschaulichen, die sich überlagern.

Legende: " ...... ": Einstellung eines chemischen Gleichgewichts K+ : beliebiges Kation; K : beliebiges Anion

Säure in wäßriger Lösung: H-A + H20 ...... H30+ + A-

Base in wäßriger Lösung: K-OH ...... K++OW

Neutralisation: H30+ + A- + K+ + OH- ...... K+ + A- + 2H20

Salzlösung K++A- ...... KA

Für Schülerinnen und Schüler der Kursstufe können Berechnungen zum chemischen Gleichgewicht, die fiir unser Anliegen ohne Bedeutung sind, die Situation formallogisch erklären. Um aber den (vermutlich) vorgesehenen Experimenteinsatz und die inhaltlichen Möglichkeiten der Schülerinnen zur

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Musteranalyse Chemie 181

Mitbeteiligung aus fachdidaktischer Sicht abschätzen und werten zu können, müßte mehr über den Inhalt des vorangegangenen Unterrichts bekannt sein.

3.3.2 Kurzdarstellung der inhaltlichen und methodischen Struktur der gesamten Stunde

Zeit Fachinhaltliche Schwerpunkte Interaktions-merkmale

0.02 Begrüßung; Wiederholung zur Neutralisations- Schülervortrag analyse von Natronlauge mit Salz-säure

0.12 Auswertung einer Neutralisations- Lehrer-Schüler-kurve zur Titration von Salzsäure mit Gespräch Natronlauge Lehrervortrall;

0.14 übertragung der theoretischen Lehrer-Schüler-Grundlagen auf die Titration bei Be- Gespräch; teiligung einer zweiprotonill;en Säure Lehrervortrag

0.19 Problem der Indikatorwahl; Lehrer-Schüler-Anwendung der theoretischen Grund- Gespräch lagen auf die Titration von EssigsAure mit Natronlauge

0.42 Anwendung der Theorie auf die Titra- Lehrer-Schüler-tion einer Ammoniumchloridlösung Gespräch mit Natronlauge

3.3.3 Begründung der Auswahl der Sequenz mit Transkriptionsausschnitten

Für die Auswahl waren die folgenden Kriterien maßgebend:

Medien

Versuchs-aufbau aus der Vor-stunde, Tafelbild Folie mit Titrations-kurve Tafelbild

Tafelbild

• Die ausgewählte Sequenz spiegelt treffend die inhaltsabhängige Interak­tion sowie das durchgängig zu beobachtende Lehrer- und Schülerver­halten in dieser Unterrichtsstunde wider.

• Das Unterrichtsgespräch herrscht in dieser Unterrichtsstunde vor. Wir erwarten, daß das Unterrichtsgespräch in der ausgewählten Sequenz ei­nen tieferen Einblick in die Schülermitbeteiligung gewährt.

• Der Inhalt dieses Stundenabschnitts steht in enger Beziehung zu mögli­chen experimentellen Aktivitäten. Er kann einen Einblick gewähren in

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den Experimenteinsatz zum Gewinnen neuer Erkenntnisse durch die Lernenden.

Zu Beginn der ausgewählten Sequenz greift Frau W. die Aussage eines Schülers vom Stundenanfang auf:

L: So jetzt wird 'so Natürlich ist die ganze Sache mit einem Riesenproblem behaftet (.) tja, wir sind Leistungskurs, Markus. Ja, wenn wir dieses Problem nicht hätten, würd' es uns ja besser gehen, aber wir haben das Problem und Andreas hat schon angefangen, ein bißchen skeptisch nachzufragen. 'Dieser' Verlauf und 'diese' Berechnung entspricht also der Titration einer sehr star­ken Säure mit einer sehr starken Base. () Und dann war Andreas hier vorn und, ehm, wir schulden es also den heutigen Umständen, er ist sehr schnell über das Thema Auswahl des Indikators hinweggegangen. Ich habe noch seine Worte im Ohr: Wir wählen einen Indikator, der seinen Umschlagsbe­reich bei pH 7 hat, weil 's, das ist ja der Ä·quivalenzpunkt bei pH= 7, denn es heißt ja schließlich Neutralisationsanalyse.

Sm]: Mhm,

L: Andreas, leg mich jetzt nicht fest, ob jetzt die Reihenfolge der Worte stimmt, aber der Inhalt stimmt jetzt garantiert. Ich stelle diese Aussage von Andre jetzt mal hier in den Raum und bitte um eure Meinung. S: Ok.(6)

S: Wer jetzt. ( .. ) L: ( . .),(.) zum Friseur gehen. (Schüler lachen, Worte überschneiden sich). Das haben wir alle überhört. ( .. ) Alexander.

Ein Schüler reagiert mit einem richtigen Ansatz, wird aber von der Lehrerin im Satz unterbrochen:

Sm2: Ehm, bei sehr starken Säuren und schwächeren Basen zum Beispiel, da verschiebt sich ( .. .)

L: SchI. Meine Frage lautete anders, ich möchte eine Stellungnahme zu An­dreas' Aussage: Sehr starke Säure, sehr starke Base, Neutralpunkt, also iquivalenzpunkt bei pH=7, also deshalb ein Indikator dazwischen. Das war meine Fragestellung. Das steht erst mal zur Diskussion, dann darftt du an­schließend, darfst du sofort ( . .),(.), eh, Antje?

Eine Schülerin erläutert ihr Verständnis über Indikatoren:

Sw]: Ich glaub', das ist egal, welchen Umschlagbereich der Indikator hat, es muß nur da, eh, ers- erst mal ein zweijarbiger Indikator sein, und dann muß er deutlichen Umschlag- also eine deutliche Farbänderung haben. Also mei­netwegenfarblos zu rot oder so. =Mhm= Oder so was.

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Musteranalyse Chemie 183

Die Lehrerin greift ein. Scheinbar entsetzt wiederholt sie die Aussage der Schülerin:

L: Jetzt schafft uns Antje ja völlig. Woll-, jetzt haben wir die nächste Aussa­ge, es ist völlig egal, was es./Ur ein Indikator ist, (.) Hauptsache er hat zwei Farben, er wäre dann kein Indikator, wenn er das nicht hätte (Schüler tu­scheln leise unverständlich)

Die Schülerin mächte ihre Aussage daraufhin richtig stellen:

Sw 1: Nee, manche haben doch auch drei Farben oder so.

L: Achso, du meinst mehrere Umschlagsbereiche.

Swl: Mhm.

Die Lehrerin versucht nun, den Schülerinnen und Schülern eine Hilfestellung zu geben:

L: Ja, ist es nicht eigentlich sowieso dann sinnlos, wenn das doch völlig egal ist, wo der Umschlags bereich liegt? Also haben wir 'überhaupt' nur einen, ja und ich, ich ärgere immer den Herrn D. und will schon wieder neue Indika­toren haben und dann, jetzt verstehe ich, warum der zu mir sagt: "Na, aber Frau W, sie brauchen doch nur Unitest!"

Die Schülerinnen und Schüler lachen und machen nicht verständliche Be­merkungen:

L: Also, was sagen wir dazu, Mario?

Ein Schüler meldet sich, geht aber auf das Angebot der Lehrerin nicht ein:

Sm3: Na, ich find das, was Andreas gesagt hat, gar nicht so schlecht eigent­lich so.

L: Sag mal, was findest du?

Sm3: Das was Andreas gesagt hat, finde ich gar nicht so dumm.

L: Aha.

Der Schüler formuliert deutlich, hier Verständnisprobleme zu haben:

Sm3: Weil; eh, Säure- Base, wir wollen wissen, wann die Stoffmengen gleich sind und da macht sich das am besten, wenn wir einen pH-neutralen Indika­tor nimmt. (.) Alldieweil na, ich hab sowieso Probleme damit, weil (Schüler lachen und tuscheln) eh, ich kann mir nicht vorstellen, daß es da Indikatoren gibt, die dann irgendwie (..).

Die Lehrerin geht auf das Problem des Schülers nicht ein. Sie unterbricht ihn und spielt die Entrüstete:

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184 Christine Ziegler / Heinz Obst

L: So also sprich diesen Satz bitte (Schüler fällt kurz ins Wort) nicht weiter, ich fange schon langsam an, meine A·rmel hochzukrempeln, bedauerlicher­weise =(..),(.)= (Schüler redet dazwischen) hat Axel- (andere Schülerinnen und Schüler lächeln).

Sm3: Der zeigt doch an, ob 's eine Säure oder Base ist (=Ja=) und an einem Punkt, wo sich die Farbe ändert, ist's neutral (=Aha=) A- was anderes wüßte ich jetzt gar nicht, würde mir jetzt gar nicht einfallen.

L: Ich bin entsetzt!

Sm3: Aber, als wir die-

Die Lehrerin unterbricht wieder und wiederholt fragend eine Aussage des Schülers:

L: An dem Punkt, wo sich die Farbe ändert, ist's (lächelt) neutral?

Der Schüler versucht nochmals, seine Vorstellung zu formulieren:

Sm3: 'Nein', da ist (Schüler macht eine unverständliche leise Bemerkung, die Klasse lacht) das kommt doch dann auch auf die Mengen an, weil (..) der Indikator ist eigentlich dazu da, Säure und Base anzuzeigen, ich fang noch mal von vorne an, (Schülerinnen und Schüler lachen).

L: Korrekt. Ich geh noch mit.

Sm3: So, und wenn sich die Farbe ändert, dann hat sich der pH-Wert, von mir aus basisch nach sauer verändert,( =Ja=) und in den Bereich, wo dies umschlägt, ist der A·quivalenzpunkt irgendwo drin, mitten drin.

Frau W. erkennt hier offensichtlich die Verständnisschwierigkeiten der Ler­nenden und formuliert diese als eine eindeutige Fragestellung, an der die Schüler weiter arbeiten können:

L: Ja und jetzt, jetzt, das ist nämlich das, was jetzt die Probleme bereitet, da möchte ich unterbrechen. Wir haben eine vorgegebene Titration und die hat an irgendeiner Stelle ihren A·quivalenzpunkt, das ist korrekt, das heißt also den Punkt, an dem die Stoffmenge Säure gleich Stoffmenge Base ist, und 'jetzt' ist die Problematik, die jetzt hier einige haben, und auch bei Mario und Andreas höre ich das auch so raus, 'muß' bei jeder Neutralisationsreak­tion der A·quivalenzpunkt wirklich bei pH T liegen?

Der Schüler vom Stundenanfang versucht klarzustellen, daß er dies nicht gesagt habe, Frau W. widerspricht ihm jedoch. Es kommt zu einer kleinen Diskussion darüber:

S: Das habe ich gar nicht gesagt.

L: Doch!

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Musteranalyse Chemie 185

S: Ich hab nur gesagt: bei der Reaktion.

L: Nö, nö () also Andreas das war (..),(.) Ich kann das heute beweisen, daß du das nicht gesagt hast. Nicht quatschen (..),(.).

S: Wir können es dann nachprüfen. (Noch ein paar Schüler reden durchein­ander).

L: Nicht die Latschen, die Stiefel.

S: Oh. (Schüler lachen).

L: Jetzt hinterlassen wir noch als Eindruck, was ich fiir Schuhe anhabe, () (Schüler lachen), Axel.

Der Schüler, der zuvor schon einen richtigen Lösungsansatz bieten wollte, greift nun die Hilfestellung der Lehrerin auf:

Sm2: Also das muß nicht immer genau sein, (Schülerinnen und Schüler la­chen) (=Mhm=) denn, eh, (=So=) manche Indikatoren, die sind nicht genau im pH-Wert 7, zum Beispiel, ich nehm 'jetzt ganz einfach als Beispiel (schnell gesprochen), zum Beispiel Methylrot, das ist ja zum Beispiel, das flingt ja bei 6,4 und abwärts erst an =Ja= umzuschlagen, es ist also gar nicht bei 7, also dürfte das, dürfte man mit dem dann gar nicht arbeiten können, wenn das wirklich alles bei 7 wär '.

Dieser gewünschte Beitrag wird von der Lehrerin mit dem höchsten Lob der Stunde kommentiert:

L: Wunderbar!

Ein anderer Schüler akzeptiert das Argument aber nicht; die Lehrerin nennt daher ein weiteres Beispiel.

Anschließend formuliert Frau W. nochmals die Problemstellung:

L: Nun ist die Frage, kann ich mir denn die Kenntnis der anderen, eh, Indi­katoren schenken, weil sowieso bei der Neutralisation immer wieder ein und derselbe eingesetzt werden muß, weil ja schließlich der iquivalenzpunkt der Neutralisation bei pH 7 liegt? (.) Marco?

Nun argumentiert ein Schüler richtig und bringt dabei sein chemisches Wis­sen ein:

Sm4: Es kommt ganz auf das entstehende Salz an, ob das neutral reagiert, wenn es neutral reagiert, dann ist es so, aber es gibt auch welche, die reagie­ren sauer oder basisch.

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Die Lehrerin:

L: So jetzt haben wir nämlich einen Punkt mit in die Diskussion gebracht, den ich eigentlich schon ein bißehen eher erwartet hätte (Schülerinnen und Schüler tuscheln unverständlich) nach unsrer Kenntnis in- ja Markus eh ist richtig eh, die anderen schimpften aber immer hier in andere Richtung, ja ich hab ja auch nicht gesagt, daß ich das von dir nicht schon eher erwartet hätte. (Schülerinnen und Schüler lachen). (=Oh=) Ich hab gesehen, daß du dich gemeldet hast, ja aber wir mußten ja diese Diskussion erst mal fUhren, weil das unklar ist. Eh, Andreas? Sm]: Mhm.

Die Überlegung wird nun auf das Ausgangsbeispiel übertragen:

L: Warum ist hier der pH-Wert 7 als (.) der Wert anzusehen, bei dem der iquivalenzpunkt der Neutralisation liegt?

Sm]: Weil Protolyte die gleiche Wertigkeit haben.

L: Nein.

Sm]: Nicht?

L: Marco. Sm4: Da es eine sehr starke Säure und eine sehr starke Base.

L: Richtig.

S: Deswegen? L: Genau, denn es entsteht eine wäßrige Lösung aus Natriumchlorid. Was wissen wir über die Bestandteile Natriumionen und Chloridionen in wäßriger Lösung? Denn das ist ja das, was jetzt entstanden ist am Aquivalenzpunkt, eine 'Kochsalzlösung '.

S: Also die haben so ganz niedrigen Ks bzw. Kb-Wert, daß er überhaupt keinen direkten Einfluß auf die anderen. also die Wasserentstehung hat.

L: Wie auf die Reaktion mit Wasser.

S:Ja.

L: Ja?, also keine Folgereaktion mit Wasser, richtig. Hier können wir also sagen, (Lehrerin schreibt an Tafel) wird der iquivalenzpunkt bei pH=7, zumindest angenähert 7 liegen.

Frau W. äußert, daß sie nun erkannt hat, daß die Schüler bei der Wahl des Indikators in der vorangegangenen Stunde von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind:

L: Wir haben, und das habt habt ihr aber alle, 'das' verwundert mich jetzt, ich hab euch ja beim Experimentieren beobachtet, ihr habt' euch ja alle fUr

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Musteranalyse Chemie 187

einen Indikator entschieden, jetzt hab ich natürlich, eh, (.) den Vorteil, daß ich noch nicht nachgeguckt habe, weil jetzt muß ich das natürlich mit ganz anderen Augen sehen, denn ihr habt euch jetzt entschieden, weil ihr gesagt habt: 'ne Neutralisation, also muß pH=7 sein?

Die Schüler reagieren prompt:

S: Nee, ich hab mich entschied- (andere Schülerinnen und Schüler reden durcheinander).

Die Lehrerin fragt nach konkreten Beispielen, so daß die Schüler die bisher abstrakt behandelten theoretischen Grundlagen auf konkrete Fälle anwenden können:

L: Das will ich nämlich auch nicht hoffen, und ich erwarte jetzt ein Beispiel, wo das 'nicht' mehr zutrifft. Ich titriere mit Natronlauge und der Äquivalenz­punkt liegt nicht bei pH=7. Ich erwarte von euch einen Vorschlag der einzu­setzenden Säure. (Schülerinnen und Schüler tuscheln). Ja die müßten wir aber alle Vorschläge bringen, also ihr habt eure Aufteichnungen, drei Vor­schläge haben wir schon (..) Albert schlägt vor.

Die Lernenden nehmen diese deutliche Aufgabenstellung an. Sie nennen schwache Säuren, wobei sie sich formal an den pKs-Werten orientieren, welche sie ihrem Tafelwerk entnehmen.

Die Lehrerin bewertet die Vorschläge:

L: So wir hatten jetzt hier nun Vorschläge, ehm, Schwefelwasserstoff nehme ich schon aus Prinzip nicht, bin nämlich im Moment nicht verschnupft, also kann ich gut riechen, das überlebt ja kein Mensch, ne, Fluorwasserstoffsäure habe ich leider nicht zur Verfogung, ne, und schon schränkt sich die ganze Sache ein, also folgendes Beispiel: Essigsäure (Die Lehrerin schreibt an Tafel) außerdem hat sich Marco schon beschwert, daß er so wenig dran gekommen ist, ne, da wollen wir wenigstens das Beispiel nehmen, (Schüler tuscheln)+ Welche chemische Reaktion liegt dieser Neutralisationsreaktion zugrunde? Formuliert sie bitte, und trefft eine Aussage, in welchem Bereich der pH-Wert zujinden ist am A'quivalenzpunkt dieser Neutralisation.

S: So etwa?

L: So etwa, kein, eh, kein berechneter Wert. (..) Natürlich mit Begründung.

Eine Schülerin fragt nach, ob es sich hier um eine "Doppelpfeilreaktion" handelt. Dabei kommt der Vorstellungswechsel von den Vorstellungen aus dem Anfangsunterricht zu den neuen präziseren Vorstellungen zum Aus­druck. Die Lehrerin hört zu und geht auf die Frage ein. Eine andere Schülerin bemerkt, daß sie in der vorangegangenen Stunde bei der Indikatorwahl einen Fehler begangen habe. Ein anderer Schüler sowie die Lehrerin sind der Mei-

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nung, daß es sich dabei nicht um einen Folgefehler handelt. Frau W. sagt, sie denke mit Entsetzen an die Korrektur der Protokolle. Frau W. fordert die Schülerin Antje (Swl) auf, die ausgewählte Neutralisationsreaktion an der Tafel zu erläutern und kündigt an, daß der Schüler Marco (Sm4) anschlie­ßend die Auswertung vornehmen dürfe. Antje schreibt an der Tafel und spricht dazu. Sie formuliert die Reaktionsgleichung fiir das gewählte Beispiel einer Neutralisationsreaktion und wendet sicher ihr Wissen über die Reaktion von Salzen mit Wasser an. Aufgrund der pKs-Werte kann sie den pH-Wert der entstehenden Salzlösung vorhersagen. Das Ergebnis der Überlegungen soll nun der Vorhersage des pH-Werts am Äquivalenzpunkt und der Auswahl eines Indikators dienen:

L: Und was heißt das nun./Ur den Äquivalenzpunkt bei dieser Neutralisation?

Sw J: Daß es im basischen Bereich liegt, weil ja Hydro- Hydroxid-Ionen entstehen, also (.)

L: Ja, wie könnten wir esformulieren, pH (.)

Sw J: ( .. ) größer als 7.

L: Ja. (Die Schülerin schreibt) Richtig Antje, aber ich laß dich noch nicht gehen, wenn ich dich einmal hier vorn habe und ich nicht selbst arbeiten muß. Angenommen du solltest jetzt diese Titration durchführen, für welchen Indikator würdest du dich entscheiden?

Sw J: Ich würde mich./Ur einen entscheiden, der nicht so sehr stark seinen Umschlagspunkt im basischen Bereich hat, weil es ja auch nur eine schwache Base ist, also vielleicht./Ur (=Mhm=) vielleicht./Ur ( .. ) naja, zum Beispiel könnte man nehmen Lackmus, der hat 5,0-8,0 oder vielleicht Phenolphtha­lein, hat (8,3-10).

Frau W. bedankt sich bei der Schülerin. Der Schüler Marco soll die Begrün­dung rur die Indikatorwahl nochmals wiederholen. Der Schüler bezieht sich zunächst nicht auf das richtige Beispiel, da er offensichtlich nicht aufgepaßt hat, kann dann aber die richtige Begründung liefern. Die Lehrerin fragt nun nach der rur den pH -Wert verantwortlichen Zusammensetzung der Salzlö­sung:

L: Ja, das wäre wichtig. Jetzt müssen wir an der Stelle noch mal drauf hin­weisen, was./Ur eine Lösung liegt also am Äquivalenzpunkt bei 'dieser' Ti­tration erst mal vor?() Ja erst mal die reine Titration betrachtet, Angela?

Sw2: Na, es müßte dann also noch im alkalischen Bereich sein.

L: Nicht jetzt vom pH-Wert her, sondern ich möchte jetzt direkt wissen, was ./Ur eine chemische Substanz liegt vor (. . .) am neutralen Punkt (. . .) ./Ur diesen Fall. (.)

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Sw2: Am Neutralpunkt müßte dann ( .. .) ehmfiir 'ne ( .. ) in wäßriger Lösung mehr Acetationen und mehr Nitrationen, ehm, Natriumionen vorliegen.

Die Lehrerin konzentriert sich offensichtlich auf die erwartete Antwort über die Ionenanteile in der Lösung und überhört "Neutralpunkt", korrekt wäre "Äquivalenzpunkt" .

L: Richtig, also eine Natriumacetatlösung.

Eine Schülerin wird verunsichert und fragt nach:

S: An welchem Punkt jetzt?

L: Am Neu- am A"quivalenzpunkt. Es entsteht eine Natriumacetatlösung, ne, und da hat jetzt Stefanie das vorhin richtig erklärt und ich möchte jetzt nicht weiter darauf eingehen, welche Folgereaktionen da stattfinden. (5)

Abschließend wird die Neutralisationstitration von Ammoniumchlorid mit Natronlauge diskutiert.

Die vorgestellte Sequenz läßt sich wie folgt zusammenfassend be­schreiben:

Frau W. stellt die Aussage eines Schülers (Sml) "bei der Neutralisations­analyse liegt der pH-Wert am Äquivalenzpunkt bei pH 7, deshalb wählt man einen Indikator mit einem Umschlagbereich bei pH 7" zur Diskussion. Der Schüler Axel (Sm2) beginnt eine fachlogisch begründete Stellungnahme zu liefern, wird aber von Frau W. unterbrochen. Eine Schülerin (Swl) erläutert ihre unvollständigen Kenntnisse von den Eigenschaften eines Indikators. Die Lehrerin schlägt den Lernenden einen Lösungsweg vor, welcher auf einem Urnkehrschluß beruht, worauf diese zunächst nicht reagieren. Im Lehrer­Schüler-Wechselgespräch formuliert ein Schüler (Sm3) seine vereinfachte Vorstellung der Neutralisationsreaktion. Frau W. reagiert entrüstet auf die Aussagen des Schülers und geht auf Verständnisprobleme nicht ein. Nach­dem der Schüler beharrlich versucht, nochmals seine Vorstellung zu formu­lieren, erkennt Frau W. das Verständnisproblem der Mehrheit der Lernenden und formuliert nun erstmals eine eindeutige Fragestellung. Der Schüler (Sm2), der zu Beginn der Sequenz versucht hat, zu der Schüleraussage SteI­lung zu nehmen, greift nun die Hilfestellung der Lehrerin auf und wird dafür gelobt. Ein anderer Schüler (Sm4) wendet sein Wissen über den pH-Wert wäßriger Salzlösungen auf die Neutralisationsreaktion an und erklärt damit die Möglichkeit der Abweichung des Äquivalenzpunktes vom Neutralpunkt. Im Lehrer-Schüler-Gespräch wird begründet, warum bei der Neutralisation von Natronlauge mit Salzsäure Äquivalenzpunkt und Neutralpunkt überein­stimmen. Im Nachhinein erkennt die Lehrerin, daß die Schülerinnen und

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Schüler mit der begründeten Auswahl eines Indikators in der vorangegange­nen Stunde überfordert waren.

Frau W. fordert nun die Schülerinnen und Schüler auf, Beispiele tUr Säu­ren zu nennen, bei deren Titration mit Natronlauge sich am Äquivalenzpunkt ein pH-Wert abweichend von 7 einstellt. Sie wertet die Vorschläge der Schülerinnen und Schüler. Eine Schülerin (Swl) erläutert nun problemlos die chemischen Grundlagen einer ausgewählten Neutralisationsreaktion, sagt den pH-Wert der entstehenden Salzlösung voraus und begründet somit die Wahl eines geeigneten Indikators.

3.3.4 Analyse der Videosequenz

Frau W. möchte in dieser Unterrichtssequenz die theoretischen Grundlagen, die bei der begründeten Auswahl eines Indikators für eine Neutralisations­analyse mit einwertigen Säuren und Basen zu berücksichtigen sind, mit den Schülern in einem Unterrichtsgespräch wiederholen. In der vorangegangen Stunde hatten die Schülerinnen und Schüler eine Neutralisationsanalyse als Schülerexperiment durchgetUhrt, wobei sie den Indikator selbst wählen soll­ten. Sie sollten dazu ihr Wissen über die pH-Werte wäßriger Salzlösungen selbständig auf die Neutralisationsreaktion übertragen. Die Lernenden hätten sich überlegen müssen, wie die entstehenden Salze mit dem Wasser reagie­ren, daraus folgern, welcher pH-Wert am Äquivalenzpunkt vorliegen muß und den Indikator entsprechend wählen. Dazu hatten sie ein Protokoll ange­fertigt und abgegeben, daß von der Lehrerin jedoch noch nicht korrigiert wurde.

Aus dem Unterrichtsgespräch geht hervor, daß ein Großteil der Lernen­den mit der Aufgabe der begründeten Indikatorwahl weit überfordert war. Ein Schüler sagt: ,,(. . .) der Indikator sollte möglichst einen Umschlags bereich im neutralen Bereich haben, weil 's ja eine Neutralisationsanalyse ist (...) H. Er ist der Meinung - wie sich herausstellt, auch einige seiner Mitschüler -, daß bei jeder Neutralisationsanalyse der Neutralpunkt zugleich der Äquivalenz­punkt ist und daß immer ein Indikator mit einem Umschlagsbereich bei pH 7 zu wählen ist. Für die Lernenden ist also die im Schülerexperiment durchge­tUhrte Neutralisationsreaktion von Natronlauge mit Salzsäure kein Sonder­fall. Die exemplarische Behandlung der Neutralisation am Beispiel der Re­aktion von Salzsäure mit Natronlauge im Anfangsunterricht hat offensichtlich zu einer vereinfachten Vorstellung der Lernenden über den Verlauf der pH­Wertänderung bei einer Neutralisationsreaktion getUhrt.

Bei der Kontrolle der Versuchsprotokolle hätte die Lehrerin das Problem der Lernenden wahrscheinlich erkannt. Aber auch schon während der Wie­derholung der theoretischen Grundlagen der Neutralisationsanalyse zu Be-

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ginn der Stunde am Beispiel Salzsäure/Natronlauge wird das Mißverständnis der Lernenden deutlich.

Die ausgewählte Sequenz läßt sich in drei Abschnitte untergliedern. Im ersten Abschnitt stellt die Lehrerin eine Schüleraussage zur Diskussion; die Lernenden versuchen daraufhin ihre Vorstellung von der Funktion der Indi­katoren darzustellen. Im zweiten Abschnitt werden die theoretischen Hinter­gründe der Neutralisationsanalyse im Lehrer-Schüler-Wechselgespräch erar­beitet und das in der vorherigen Stunde behandelte Beispiel wird als Sonder­fall gekennzeichnet. Im dritten Abschnitt werden die gewonnenen Kenntnisse auf ein Anwendungsbeispiel übertragen.

a) Abschnitt 1:

Zu Beginn des ersten Abschnitts der Sequenz wiederholt Frau W. die Aussa­ge des Schülers (Sm!) vom Stundenanfang und stellt diese zur Diskussion. Sie formuliert keine Frage- oder AufgabensteIlung.

L: ( .. ) Ich habe noch seine Worte im Ohr: Wir wählen einen Indikator, der seinen Umschlagsbereich bei pH 7 hat, weil 's, das ist ja der Äquivalenzpunkt bei pH=7, denn es heißt ja schließlich Neutralisationsanalyse.

Sie läßt den Schülerinnen und Schülern damit zunächst die Freiheit, in einer selbstgewählten Form auf diese Aussage zu reagieren. Sie können zustim­men, die Aussage ergänzen oder korrigieren, wobei man erwarten kann, daß die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Chemie ihre Meinung auch begründen werden.

Ein Schüler (Sm2) nimmt das Angebot an. Er versucht zu erläutern, war­um diese Aussage einer Einschränkung bedarf. Seine Argumentation basiert auf fachlogischen Überlegungen unter Einbeziehung des Wissens aus voran­gegangenen Schulstunden.

S: Ehm, bei sehr starken Säuren und schwächeren Basen zum Beispiel, da verschiebt sich ( .. )

Frau W. unterbricht jedoch den Schüler mitten im Satz. Ihr Argument SchI Meine Frage lautete anders, ... ist unverständlich, da sie ja keine Frage ge­stellt hatte. Über mögliche Ursachen dafür, daß sie den Lösungsansatz des Schülers nicht akzeptiert, läßt sich auf grund des weiteren Gesprächsverlaufs nur spekulieren. Der Schüler jedenfalls darf den Handlungsspielraum nicht nutzen, den sie geöffnet hat.8 Frau W. sagt, sie erwarte eine Stellungnahme zu der wiederholten Schüleraussage und gibt diese nochmals in ihren eigenen Worten wieder. Dabei verändert sie jedoch den Inhalt der Aussage. Sie ent­hält nun den Zusatz "Sehr starke Säure, sehr starke Base ( ... )" . Durch diesen

8 Auch hier wird deutlich, wie wichtig Informationen aus dem Lehrerinterview flir die Deu­tung des Unterrichtsgeschehens sind.

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Zusatz wird die zuvor falsche Aussage richtig. In dieser Situation ist für die Lernenden keine Problem- oder Fragestellung erkennbar. Es ist unklar auf welche ihrer Aussagen die Lernenden nach Meinung der Lehrerin eingehen sollen. Die aufgerufene Schülerin (Sw1) reagiert, indem sie ihre unvollstän­digen Kenntnisse über Indikatoren wiedergibt. Die Lehrerin bringt zum Aus­druck, daß sie über die Äußerungen der Schülerin entsetzt ist.

Um ihrem Unterrichtsziel näher zu kommen, präsentiert sie nun den Schülern den Anfang eines Gedankenganges, mit welchem sie einen Um­kehrschluß provoziert. Die Schüler sollen schlußfolgern: Es gibt Indikatoren mit verschiedenen Umschlagbereichen, daraus folgt: der Äquivalenzpunkt verschiedener Neutralisationsanalysen liegt nicht immer bei pH 7.

Die Schüler gehen zunächst auf das Angebot nicht ein. Der von Frau W. aufgerufene Schüler Mario (Sm3) formuliert deutlich, noch nicht erkannt zu haben, wo das Problem der zur Diskussion gestellten Aussage liegt. Er ver­sucht, seine Meinung mit seiner vereinfachten Vorstellung vom Ablauf einer Neutralisationsreaktion zu begründen. Die Lehrerin unterbricht den Schüler immer wieder in seinen Ausruhrungen. Sie wiederholt fragend seine Aussa­gen und macht sie dadurch lächerlich. Sie suggeriert damit, daß die Aussagen falsch sind. Sie sagt, sie sei entsetzt und der Schüler solle nicht weiterreden. Der Schüler reagiert prompt, indem er seine Aussagen widerruft, obwohl ihm sicher die darin liegenden Fehler nicht bewußt sind. Er läßt sich aber nicht davon abbringen, seine Argumentation zu Ende zu fUhren. Daraufhin erkennt auch die Lehrerin erstmals das Verständnisproblem der Mehrheit der Schüle­rinnen und Schüler. Sie formuliert eine eindeutige Fragestellung, an der die Schülerinnen und Schüler weiterarbeiten können.

Der Schüler Axel (Sm2), der zu Beginn der Sequenz eine fachlogisch sinnvolle Stellungnahme zu der zur Diskussion gestellten Aussage liefern wollte, reagiert nicht mit Protest oder Verweigerung auf die ungerechtfertigte Unterbrechung. Statt dessen greift er nun die Hilfestellung der Lehrerin von vorher auf. Er nennt konkrete Beispiele rur Indikatoren, deren Umschlagbe­reich nicht bei pH 7 liegen und zieht daraus den von der Lehrerin provozier­ten Urnkehrschluß. Für diese fachlogisch unsinnige Argumentation wird er von Frau W. besonders gelobt.

b) Abschnitt 2:

Nachdem nun eine eindeutige Problemstellung von der Lehrerin formuliert wird, bringt ein Schüler (Sm4) die Lösung des Problems. Der Schüler akti­viert dabei sein Wissen aus vorangegangenen Chemiestunden und wendet es auf die Fragestellung dieser Stunde an. Er hat erkannt, daß bei einer Neutrali­sationsreaktion eine wäßrige Salzlösung entsteht und der pH-Wert dieser Lösung von der Art der gelösten Salze abhängig ist.

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Musteranalyse Chemie 193

S: Es kommt ganz auf das entstehende Salz an, ob das neutral reagiert, wenn es neutral reagiert, dann ist es so, aber es gibt auch welche, die reagieren sauer oder basisch.

Die Lehrerin akzeptiert seine Deutung, allerdings mit dem Kommentar, daß sie diese Überlegung schon früher erwartet hätte. Für diese Kritik muß sie sich vor protestierenden Schülern rechtfertigen.

Auf die Frage warum bei der besprochenen Reaktion der pH-Wert am Äquivalenzpunkt bei 7 liegt, argumentiert der Schüler mit der gleichen Stärke der gewählten Säure und Base. Dies sei ja die Ursache, warum es sich bei der Neutralisationsreaktion von Natronlauge mit Salzsäure um einen Sonderfall handele und warum, wie ein Schüler zu Beginn der Sequenz ausführen woll­te, die zur Diskussion gestellte Aussage keine allgemeine Gültigkeit habe. Die Begründung wird von der Lehrerin akzeptiert.

Nicht alle Schüler können auf der Grundlage dieser Überlegung die neu­trale Reaktion der bei der Neutralisation von Natronlauge mit Salzsäure ent­stehenden Salzlösung erklären und als Sonderfall erkennen. Die Lehrerin weist daher auf die Zusammensetzung der bei der Neutralisation entstehen­den Kochsalzlösung hin. Die Lernenden können daraufhin die niedrigen Ks­bzw. Kb-Werte für die neutrale Reaktion der Lösung verantwortlich machen.

Erst jetzt, im Nachhinein, wird der Lehrerin bewußt, daß die Lernenden mit der Experimentieraufgabe in der vorangegangenen Stunde überfordert waren. Sie sagt, die Schülerinnen und Schüler hätten die Indikatoren mit der falschen Begründung gewählt, entsprechend müsse sie die Protokolle, die sie bisher noch nicht kontrolliert hat, bewerten.

L: Wir haben, und das habt habt ihr aber alle, 'das' verwundert mich jetzt, ich hab euch ja beim Experimentieren beobachtet, ihr habt' euch ja alle fiir einen Indikator entschieden, jetzt hab ich natürlich, eh, () den Vorteil, daß ich noch nicht nachgeguckt habe, weil jetzt muß ich das natürlich mit ganz anderen Augen sehen, denn ihr habt euch jetzt entschieden, weil ihr gesagt habt: 'ne Neutralisation, also muß pH=7 sein?

Die Schülerinnen und Schüler reagieren, indem sie abstreiten, bei der Lösung der Aufgaben Probleme gehabt zu haben. Die Gefahr, schlechte Noten zu erhalten, hält sie davon ab, ihre Verständnisprobleme zu artikulieren.

c) Abschnitt 3:

Die Lernenden erhalten von Frau W. nun eine konkrete AufgabensteIlung, nehmen diese gerne an und werden daraufhin deutlich aktiver. Sie können die bisher völlig abstrakt behandelten theoretischen Grundlagen jetzt auf kon­krete Fälle anwenden. Bei der Wahl der Beispiele arbeiten sie sicher mit den Ks-Werten aus den Tabellenwerken. Die Lehrerin wertet die Vorschläge und wählt ein Beispiel aus.

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194 Christine Ziegler / Heinz Obst

Eine Schülerin fragt nach, um ihr Verstehen zu überprüfen. Dabei kommt der Vorstellungswechsel von den Vorstellungen aus dem Anfangsunterricht zu den neuen präziseren Vorstellungen zum Ausdruck. Die Lehrerin hört zu und geht auf die Frage ein. Einigen Lernenden wird erst jetzt deutlich, daß sie die gerade besprochenen theoretischen Grundlagen bei der Indikatorwahl in der vorangegangenen Stunde hätten berücksichtigen müssen.

Zur Übung und zur Sicherung der Ergebnisse bearbeitet eine Schülerin (Sm!), die zuvor ihre vereinfachten Vorstellungen über die Funktion der Indikatoren dargestellt hatte, das ausgewählte Beispiel an der Tafel. Sie hat nun keine Probleme damit, das Wissen aus den vorangegangenen Stunden (über die Reaktion von Salzen mit Wasser) mit den Kenntnissen über die Neutralisationsreaktion zu verknüpfen. Sie kann für das gewählte Beispiel mit Hilfe der Ks-Werte den pH-Wert der am Äquivalenzpunkt entstehenden Salzlösung vorhersagen und somit die Auswahl eines Indikators begründen. Die Lernenden sind nun also in der Lage, Überlegungen anzustellen, welche die Lehrerin schon in der vorangegangenen Stunde vorausgesetzt hatte und welche die Grundlage ihres als Wiederholung gedachten Unterrichtsge­sprächs bilden sollten.

3.3.5 Zusammenfassende Bewertung

Dem im ersten Sequenzabschnitt zu beobachtendem Gespräch zwischen der Lehrerin und ihren Schülern liegt das Problem zugrunde, daß die Lehrerin das grundlegende Verständnisproblem ihrer Lernenden erst spät erkennt und verbalisiert. Die Mehrheit der Lernenden kann aufgrund ihrer vereinfachten Vorstellung von der Neutralisationsreaktion die Fragestellungen der Lehrerin nicht verstehen. Lehrerin und Lernende reden daher zunächst aneinander vorbei. Die beobachtbare Interaktion in dieser langen Sequenz ist geprägt durch Frontalunterricht, Lehrerzentriertheit und Zielorientiertheit aus Lehrer­sicht.

Der Verlauf des Unterrichtsgesprächs wird stark von Frau W. gelenkt. Sie stellt Fragen an einzelne Schülerinnen und Schüler oder an die gesamte Lerngruppe. Teilweise stellt sie auch Aussagen zu chemischen Sachverhalten in den Raum, ohne eine Fragestellung dazu zu formulieren. Die Lernenden erhalten so die Möglichkeit, in selbst gewählter Weise darauf zu reagieren. Indem die Lehrerin jedoch nur solche Schüleraussagen aufgreift, die in eine von ihr vorgesehene Argumentationskette passen, schränkt sie die zunächst eingeräumten Freiräume wieder ein. Die Lehrerin läßt den Schülerinnen und Schülern wenig Möglichkeiten rur eine selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit der unterrichtlichen Problemstellung. Die eigenen Denk- und Deutungs­schemata der Lernenden werden teilweise nicht akzeptiert, auch wenn diese fachlogisch richtig sind. Schüleräußerungen, in denen vereinfachte Vorstel-

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Musteranalyse Chemie 195

lungen des Sachverhalts zum Ausdruck kommen, werden nicht hinterfragt. Teilweise werden die Aussagen von der Lehrerin empört und ironisierend in Frageform wiederholt und damit als falsch und indiskutabel gekennzeichnet. Die Lernenden nehmen daraufhin ihre Aussagen ohne Erkenntnisgewinn zurück. Verstehensfragen der Lernenden werden kaum fachinhaltlich behan­delt. Aus unserer Sicht erhalten die Lernenden nur wenig Möglichkeiten, inhaltliche Fragen zu stellen und eigene Fragestellungen zu entfalten.

Mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Umschlagbereiche verschie­dener Indikatoren versucht Frau W. zwar, den Lernenden eine "Brücke des Verstehens" anzubieten. Sie können diese jedoch nicht nutzen, da einem Teil der Lernenden das nötige Vorverständnis fehlt und ein anderer Teil (Sm2 und Sm4) bereits ein fachlich höheres Niveau erreicht hat.

Im dritten Teil der Sequenz eröffnet Frau W. den Lernenden die Mög­lichkeit, die neu erarbeiteten Inhalte mit ihren Vorkenntnissen zu verknüpfen und auf konkrete Fallbeispiele zu übertragen. Bei der Bewertung der von den Schülern gewählten Beispiele versucht Frau W. an die Erfahrungen der Ler­nenden anzuknüpfen.

Frau W. beteiligt die Lernenden nicht an der Auswahl der Unterrichts­methoden oder -inhalte. Sie erläutert nicht ihre Unterrichtsplanung. Es fmdet keine Metakommunikation und keine gemeinsame Auswertung des Unter­richts statt.

Die Schülerinnen und Schüler reagieren unterschiedlich auf die enge Führung durch die Lehrerin. Die Mehrheit der Lernenden beteiligt sich am Unterricht hauptsächlich durch den Versuch, den Gedankengängen der Lehre­rin zu folgen, von ihr erwartete Aussagen zu formulieren und konkrete Aufga­ben zu erledigen. Die Schüler greifen sich auf mittlerem Niveau aus den im Unterricht präsentierten Inhalten diejenigen heraus, die in ihre eigenen kogniti­ven Schemata passen. Der Schüler Axel (Sm2) erkennt zu Beginn der Se­quenz sofort das Problem der zur Diskussion gestellten Aussage und ver­sucht, dies fachlogisch richtig zu erläutern. Die Lehrerin läßt ihn jedoch nicht ausreden, ohne eine einleuchtende Begründung rur ihr Eingreifen zu liefern. Axel reagiert daraufhin nicht mit Protest, sondern wartet eine Gelegenheit ab, bei der er die von der Lehrerin vorgesehene Argumentationskette aufgreifen kann. Er versucht trotz seiner fachlichen Kompetenz, nicht den Gesprächs­verlauf mitzubestimmen, sondern paßt sich immer wieder den Vorgaben der Lehrerin an. Er scheint in diesem Leistungskurs die Strategie zu verfolgen, Antworten so zu formulieren, daß sie den Erwartungen der Lehrerin entspre­chen, auch wenn er sich dabei auf ein fiir ihn niedriges Argumentationsniveau begeben muß.

Der Schüler Mario (Sm3) läßt sich trotz der massiven Unterbrechungen von Frau W. nicht davon abbringen, seine Vorstellung von der Neutralisati­onsreaktion und das sich daraus ergebende Verständnisproblem zu erläutern. Er wehrt sich somit dagegen, dem Unterrichtsgespräch weiter zu folgen, ohne

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die zugrunde liegende Problemstellung erkannt zu haben, und versucht trotz des Widerstands der Lehrerin durchzusetzen, daß seine Vorstellungen im Un­terricht berücksichtigt werden. Dieser Schüler fordert somit ein höheres Maß an Schülermitbeteiligung, als die Lehrerin zunächst zugestehen will. Da die Leh­rerin nach Marios Initiative aber die Schwierigkeit der Mehrheit ihrer Schüle­rinnen und Schüler erkennt, nimmt er entscheidenden Einfluß auf den weite­ren Verlauf des Unterrichts. An den Zwischenbemerkungen und Fragen der Lernenden kann man erkennen, daß sie sich selber aktiv bemühen, die neuen Inhalte sinnvoll mit ihren Vorkenntnissen zu verknüpfen. Trotz des ironisie­renden und gleichzeitig stark wertenden Umgangston der Lehrerin beteiligen sie sich durchgängig am Unterrichtsgespräch. Teilweise reagieren sie belu­stigt auf die Bemerkungen der Lehrerin. Sie werten diese entweder nicht als persönliche Angriffe oder ignorieren sie auf grund ihres Abhängigkeitsver­hältnisses. Umgekehrt machen die Schülerinnen und Schüler aber auch per­sönliche Bemerkungen über das Erscheinungsbild von Frau W., welche diese nicht überhört oder autoritär unterbindet, sondern versucht, mit lockeren Antworten aufzufangen. Es macht fiir uns den Anschein, als hätten sich in diesem Kurs Verhaltensweisen herauskristallisiert, welche einen engen Um­gang miteinander ermöglichen, aber gleichzeitig eine stark unterschiedliche Rollenverteilung erfordern. Die Lernenden sind gegenüber der Lehrerin meist jedoch nicht offen genug zuzugeben, wo ihre Probleme liegen, was zu den auftretenden Mißverständnissen in dieser Stunde beiträgt. Wir können ver­muten, daß die Tatsache, daß die Lehrerin auch die Aufgabe hat, die Lernen­den zu bewerten, hemmend auf diese wirkt.

Das in dieser Stunde durchgängig beobachtbare Bemühen aller Schüle­rinnen und Schüler, dem Unterrichts geschehen zu folgen, läßt sich zum ei­nem mit dem erhöhten Interesse der Leistungskursschüler an dem Fach Che­mie, zum anderen mit der Tatsache, daß sie die Abiturprüfung in diesem Fach ablegen müssen, erklären. Die Chance, das Problem zu verstehen, ergibt sich fiir sie möglicherweise nur aus dem Unterrichtsverlauf. Eine Zusammenfas­sung des Wesentlichen kann von uns in dieser Stunde nicht beobachtet wer­den.

3.3.6 Die fachdidaktische Stufung der Schülermitbeteiligung

Wir können jetzt die Gestaltung der Schülermitbeteiligung aus Forschersicht bewerten. Insgesamt entspricht die Mitbeteiligung der Lernenden in der beo­bachteten Unterrichtssequenz aus unserer Forschersicht der zweiten Stufe unseres Stufenschemas zur Schülermitbeteiligung, wie sie fiir die Fächer ChemielPhysik in Teil 1.4 dargestellt wurden.

(X) Erstes Niveau: Die unterrichtlichen Inhalte werden von den Lehrenden so präsentiert, daß die Lernenden keine Möglichkeit fmden, diese mit ihren

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Musteranalyse Chemie 197

kognitiven Schemata in Verbindung zu bringen, d.h. Brücken des Verstehens zu bauen. Das Fachliche wird formal, wie eine Fremdsprache gelehrt und gelernt, jedoch nicht verstanden. Von den Lernenden werden keine Bezüge zur Alltagswelt gesehen. Sie können ihre vorunterrichtlichen Vorstellungen nicht in Frage stellen und die Unterrichtsinhalte nicht für die Lösung von Entwicklungsaufgaben verwenden. Die Ausblendung der Alltagserfahrungen der Schüler behindert die Schülermitbeteiligung. Die Schülerinnen und Schüler hüten sich davor, nachzufragen, da sie befürchten, noch weitere Be­schreibungen zu erhalten, die sie nicht verstehen. Statt dessen bleiben sie rezeptiv.

(X) Zweites Niveau: Die Lernenden greifen sich aus den im Unterricht prä­sentierten Inhalten diejenigen heraus, die, wie sie meinen, in ihre eigenen kognitiven Schemata passen. Sie erkennen nicht die Diskrepanz zwischen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung und ihrer eigenen, durch Vorerfah­rungen geprägten Begriffswelt. Inhalte, die sich nicht in ihre Vorstellungen einrugen lassen, werden ausgeblendet. Die Lernenden beteiligen sich am Unterricht durch die Erledigung konkreter Aufgaben der Unterrichtsorgani­sation, wie etwa der Durchfiihrung von Experimenten, dem Rechnen von Aufgaben mit Hilfe von Formeln und Gesetzen usw.

( ) Drittes Niveau: Interessen, Vorkenntnisse und Vorstellungen der Schüler werden in die methodische und inhaltliche Planung einbezogen. Mit der Un­terstützung der Lehrenden finden die Lernenden ihre "Brücken des Verste­hens". Die Lehrenden ermöglichen es den Schülern, den Wissens erwerb selbstgesteuert zu gestalten. Die Lernenden schaffen sich Freiräume rur ihren Lernprozeß und erhalten die Möglichkeit diesen zu reflektieren. Sie erleben auf oberstem Niveau in einem Bewußtwerdungsprozeß ("Meta-Kognition") die Diskrepanz zwischen den im Unterricht dargestellten Beschreibungsmu­stern und den eigenen Denk- und Deutungsschemata. Sie versuchen, diese Diskrepanz in einer aktiven, authentischen Auseinandersetzung mit den un­terrichtlichen Problemstellungen zu überwinden.

Abschließende Anmerkungen:

Anliegen dieser Stunde ist es, ausgehend von dem "Sonderfall" der Neutrali­sation von Natronlauge mit Salzsäure, die theoretischen Grundlagen der Neutralisationsreaktion zu wiederholen, Besonderheiten bei der Titration mehrwertiger und unterschiedlich starker Säuren und Basen herauszustellen und Begründungen rur die Wahl von Indikatoren zu formulieren. Die theore­tische Diskussion, um den Sonderfall als Sonderfall zu erkennen, und die Diskussion des damit im Zusammenhang stehenden Problems der Indikator­wahl bei Titrationen läßt nur noch den experimentellen Nachvollzug zur Bestätigung (Illustration) zu. Im beobachteten Fall erhielt die (nicht oder nur

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unsicher bekannte) Theorie die Funktion, eine Voraussage herzuleiten, die durch ein Experiment nur noch bestätigt werden kann. Wenn wir Schmid­kunzlLindemann (1981) folgen, dann liegt hier also eine Variante experi­mentellen Arbeitens vor, die nachweislich den fachdidaktisch geringsten Wert hat.

Das zu bearbeitende chemische Problem wird in der Regel von den Ler­nenden leichter erkannt, wenn ein geeignetes Experiment Auslöser des Denk­und Kommunikationsprozesses ist. Zugleich könnte so der Grad der Schü­lermitbeteiligung erhöht werden. Die Aussage ,,Äquivalenzpunkt immer gleich Neutralpunkt" hätte aufgegriffen und als Hypothese formuliert werden können. Die Schülerinnen und Schüler hätten selber Experimente entwerfen können, um diese Hypothese zu überprüfen, z.B. durch das Zusammengeben äquivalenter Mengen unterschiedlicher Säuren und Basen und die anschlie­ßende Messung des pH-Wertes. Als Ergebnis wäre die aufgestellte Hypothe­se falsiflziert worden. Daraus hätte sich die folgende Fragestellung ergeben: "Wie sind die Abweichungen des Neutralpunktes vom Äquivalenzpunkt bei der Neutralisationsreaktion zu erklären?" Die Problemstellung wäre somit fiir alle Lernenden deutlich erkennbar geworden und die Theorie hätte danach eine erklärende Funktion gehabt. Das Vorgehen wäre zugleich wissen­schaftspropädeutisch im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung gewesen.

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Ralf Schmidt / Josef Keuffer

3.4 Bewertung der Analysen

In diesem Abschnitt erfolgt eine retrospektive Bewertung der von uns analy­sierten Sequenzen der drei Unterrichtsstunden. Außerdem versuchen wir, einen genaueren Blick darauf zu werfen, was mittels der Triangulation der zwei Sequenzen aus der Englisch- und der Geschichtsstunde erreicht wurde. Diese Einschätzung dient uns also als exemplarischer Fall für die Abschät­zung der Möglichkeiten und Grenzen der Triangulation im Rahmen der Un­terrichtsforschung.

Um abschätzen zu können, worin die Leistungsfähigkeit der Triangulati­on im Rahmen der Unterrichtsanalyse besteht, bedarf es einer kurzen Reka­pitulierung des Analysevorgangs. In der Analyse ging es zunächst darum, Unterrichtssequenzen bezüglich der Ermöglichung bzw. Verhinderung von Schülerrnitbeteiligung anhand der Beobachtung von Interaktionsbeziehungen, d.h. vor allem anhand der Gestaltung von Unterrichtsgesprächen zwischen Lehrern und Schülern, aus der Forscherperspektive zu identifIzieren. Die Schlüsselsequenzen wurden anhand vorab entwickelter Beobachtungskriteri­en ausgewählt und auf ihr Potential rur Schülermitbeteiligung hin erörtert. Es wurden Hypothesen über die möglichen Gründe genutzter bzw. verpaßter Chancen für Schülermitbeteiligung in der Interaktionssequenz formuliert, wozu die den Interaktionen zugrundeliegenden Deutungen der Akteure inter­pretativ erschlossen wurden, um die Bedeutungsaushandlung in der Interakti­on verstehend nachvollziehen zu können.

Nach Terhart (1997) ist das Ziel einer Interpretation der verstehende und systematisierende Nachvollzug des subjektiv gemeinten Sinns der Handeln­den, der an deren Deutungen ansetzt und diese in Richtung auf Typologien und Modelle zu systematisieren versucht. Wir haben jetzt im Rahmen unserer hermeneutischen Rekonstruktion versucht, an Terharts Programm anzu­schließen und zu zeigen, wie im Unterricht Erfahrungsspielräume eröffnet werden und wie Lehrende und Lernende in diesem Rahmen das, was die Sinnstruktur des Unterrichts bestimmt, aushandeln. Im Anschluß an die Deutungen der Forscher wurden die Unterrichtsakteure mit den selben Unter­richtssequenzen unter der selben Fragestellung konfrontiert; ihre retrospekti­ve subjektive Deutung der Interaktionsbeziehungen und des Bedeutungsauf­baus wurde erhoben. Dadurch wurde, wie wir meinen, erreicht, daß ein we­sentlicher Teil der Deutungen der Akteure sowie die Deutungen der Forscher auf einen konkreten Ausschnitt der Unterrichtswirklichkeit bei gleichzeitiger Themenbindung fokussiert werden konnten. Gleichzeitig wurden auch gene-

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200 Ralf Schmidt / Josej Keuffer

relle Einschätzungen bezüglich des pädagogischen Selbstverständnisses der Lehrer und die allgemeine Sicht der Schülerinnen und Schüler auf den Unter­richt erfaßt, die über die konkrete Fragestellung der Schülermitbeteiligung hinausreichten und ein umfassenderes Bild der "Unterrichtswirklichkeit" ermöglichten.

Im Zentrum der Analyse stand jedoch jeweils nur ein bestimmter Aus­schnitt der Sinnzuschreibungen. Eine Reduktion der Datenmenge war aus forschungsökonomischen Gründen notwendig und wegen der eingegrenzten Fragestellung sinnvoll, obwohl der qualitativ-interpretative Forschungsansatz auf grund seiner offenen und explikativen Vorgehensweise die Möglichkeit der Erfassung umfassender Sinnzuschreibungen der Akteure bietet. Die drei Perspektiven auf den Unterricht wurden über die Videographierungen der Unterrichtsstunden, die Interviews und die Gruppendiskussionen erhoben. In Teil 2.2 haben wir deshalb die drei Erhebungsmethoden bezüglich ihrer Ge­genstandskonstitution diskutiert und ihre Gegenstandsangemessenheit, d.h. ihre Eignung für die Erfassung der zu erhebenden Daten, dargelegt, was eine Grundvoraussetzung für deren spätere Kombination im Rahmen der Trian­gulation ist. Nur unter der Voraussetzung der adäquaten Gegenstandserfas­sung und -abbildung können wir fundierte Rahmungen für Blicke auf Unter­richt erstellen, die nicht schon im Vorfeld mit dem Makel einer Artefaktbil­dung behaftet sind.

In der anschließenden Triangulation der Unterrichtssequenzen, Inter­views und Gruppendiskussionen der Fächer Englisch und Geschichte wurden die drei Perspektiven zueinander in Beziehung gesetzt. Dadurch konnten einerseits aus der Beobachtung der unterrichtlichen Interaktion entwickelte Hypothesen fundiert werden, so zum Beispiel für die Geschichtsstunde, daß die Akteure das im Rollenspiel steckende Potential für Schülermitbeteiligung nicht erkennen, durch die Aussagen des Lehrers (Grundtenor: Schüleraktivie­rung) und der Schülerinnen und Schüler (Grundtenor: Andersartigkeit). An­dererseits ergaben sich neue Perspektiven. So zeigte die Sicht der Schüler auf den zweiten Abschnitt der Sequenz, daß Schülermitbeteiligung auch durch überzogene Anforderungen des Lehrers verhindert werden kann, auch wenn diese gut gemeint sind. Schließlich zeigte sich, daß in bestimmten Fällen erst durch die Kombination verschiedener Deutungen ein fundiertes Bild von "Unterrichtswirklichkeit" gewonnen werden konnte. Nur aus den Äußerun­gen des Geschichtslehrers konnte unsere Hypothese bezüglich des Frontal­unterrichts als vorherrschender Unterrichtsform noch nicht "bestätigt" wer­den. Dies ermöglichte erst die Hinzunahme der Schüleräußerungen.

Aus der Zusammenfügung unterschiedlicher Perspektiven, fokussiert auf einen zeitlich begrenzten Ausschnitt von Unterrichtswirklichkeit, läßt sich also ein umfassenderes Bild des untersuchten Phänomens gewinnen, lassen sich Hintergründe insbesondere bei erkennbar nicht genutzten Chancen der Mitbeteiligung in der Gestaltungsweise von Unterrichtsgesprächen enthüllen,

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Bewertung der Analysen 201

welche die Grundlage fiir spätere Interventionen in Form von Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung darstellen. Außerdem kann durch differenzierte Bilder von "Unterrichtswirklichkeiten", wie sie in unserem Projekt herme­neutisch erschlossen werden, eine Erweiterung der Forschungsfragestellung auf grund nicht berücksichtigter Aspekte die Folge sein. Dies ist unter der Prämisse der Offenheit qualitativer Verfahren, die eine Hypothesengenerie­rung während des Forschungsprozesses ermöglichen, zweifellos ein gewinn­bringender Effekt.

Wir haben jetzt mit Absicht den Begriff "Unterrichtswirklichkeit" in An­fiihrungszeichen gesetzt. Der Grund hierfiir liegt in der Relativierung, die wir beachten müssen, wenn wir beanspruchen, "Wirklichkeit", welche auch im­mer, zu erfassen. Durch die Triangulation wollen wir etwas finden, was nicht einfach so beobachtet werden kann: die Schülermitbeteiligung. Wir müssen diese also "konstruieren", können die Konstruktion aber nicht aus der "Re­konstruktion" der Unterrichtswirklichkeit oder der Sinngebung der Lehrer und der Schüler ableiten, weil die Unterrichtswirklichkeit ja selbst wieder ein Konstrukt darstellt. Schülermitbeteiligung entsteht fiir uns aus der Triangula­tion der Daten, die wir in den Videoaufzeichnungen, den Lehrerinterviews und den Gruppendiskussionen der Schüler finden. Ob durch die Triangulation ein breiteres Bild der einen Wirklichkeit entsteht oder ob wir drei Wirklich­keiten aufeinander beziehen, die verschieden sind und doch zueinander pas­sen, ist dann letztlich ein müßiger Streit. Was immer im Unterricht wirklich passiert ist, die Sicht der Schüler auf diesen Unterricht und die Sicht der Lehrer hat jeweils subjektiven Sinn.

Schülermitbeteiligung mag sich zwar unterrichtsmethodisch konkretisie­ren und durch Beobachtung der Gestaltung von Unterrichtsgesprächen identi­fizieren lassen, dies stellt jedoch nur eine Perspektive, gewissermaßen die Forschersicht von "außen", dar. Wenn im Zentrum der qualitativen Unter­richtsforschung die "Ergründung der subjektiven Grundlagen fiir Handlun­gen" und "die Erlebniswelt und -sicht der Untersuchten" stehen (Acker­mannlRosenbusch 1995, S. 135), so gehört neben die Erfassung der äußeren Interaktionsstruktur auch der explizite Versuch, Geschehnisse im Hinblick auf die Bedeutungen, die die Beteiligten ihnen in einer Situation beimessen, zu verstehen. Der manifeste Beobachtungsgegenstand der unterrichtlichen Interaktion über die Aushandlung von Bedeutungszuschreibungen wird erst durch die Akteure gemeinsam konstruiert.

Probleme der Interpretation von Beobachtungsdaten:

Das Verstehen der Bedeutungen erfolgt aus der Interpretation der Interaktio­nen zwischen Lehrern und Schülern aus der Perspektive der Forscher. Dabei treten einige Probleme zu Tage, die im Hinblick auf die Bedeutung der Tri­angulation bedeutsam sind.

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Der Forscher, der Interaktionsbeziehungen im Feld verstehend nachvollzie­hen will, unterliegt Einflußfaktoren, die sein Verstehen, seine Interpretation gewissermaßen "imprägnieren". Dazu zählt z.B. seine Vorkenntnis des Fel­des, im vorliegenden Fall beispielsweise die eigene Schulerfahrung oder die unbewußte Einstellung zu speziellen Unterrichtsmethoden, zu den verschie­denen Fächern und zum Schülerverhalten etc., die seine Interpretationen hinsichtlich der Lehreraktivitäten beeinflussen können. Eine weitere Einfluß­größe stellt die spezielle Fragestellung dar, unter der Feldforschung betrieben wird und die den Blick auf das zu untersuchende Feld notwendig einengt. Aus den Ausfiihrungen wird somit deutlich, daß der verstehende Nachvoll­zug, die Interpretation menschlicher Interaktion, einer Reihe von Einflüssen ausgesetzt ist, die dazu fiihren können, daß von Seiten des Beobachters fal­sche Sinnzuschreibungen an die Handelnden herangetragen und Fragestel­lungen verkürzt behandelt werden.

Eine Strategie zur Überschreitung dieses einperspektivischen Zugangs stellt die in unserem Projekt vorgenommene perspektivische Methodentrian­gulation dar. Die monoperspektivische Zugangsweise zum Untersuchungs­feld wird durch die Sicht der Akteure auf dieselbe Sequenz unter derselben Thematik bereichert; Überinterpretationen seitens der Forscher können da­durch relativiert, ein breiteres Bild des Untersuchungsgegenstandes kann gewonnen werden. Dabei ist zu beachten, daß die retrospektive Deutung der Akteure ihre eigene Qualität hat und nicht als Korrektiv der Forschersicht dienen kann. Vielmehr sollen durch die Interpretationen der Forscher Hand­lungsstrukturen der Subjekte rekonstruiert werden, die den Handelnden mental nicht präsent sind (vgl. Terhart 1997). Wir meinen, in unseren Analy­sen zu den Fächern Englisch und Geschichte hierfiir einige Beispiele geliefert zu haben.

Dies könnte zu der Annahme Anlaß geben, daß im Rahmen der Trian­gulation die Deutung des Unterrichtsgeschehens aus der Sicht der Forscher der Sicht der Untersuchten übergeordnet ist. Dies würde in ein Verständnis der "korrelativen Validierung per Triangulation durch Überordnung einer Kriterienmethode" münden (vgl. Flick 1992), in deren Zentrum die Validie­rung einer Interpretation durch eine zuvor präferierte Methode steht und die damit ein Gegenstandsverständnis impliziert, welches in der Kontroverse über die Reichweite der Triangulation, wie in Teil 2.2 dokumentiert, stark angegriffen wird. Dieser spezifische Anspruch sowie die Verwendung der Triangulation als generelles Verfahren der Validierung wird in der vorliegen­den Arbeit nicht vertreten.

Dies bedarf einer konkreten Erörterung, die sich auf die Frage der Ver­gleichbarkeit der erhobenen Daten und damit auf die Gegenstandskonstituti­on der verwendeten Erhebungsmethoden bezieht.

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Bewertung der Analysen 203

Die Gewichtung der Datenquellen in der Triangulation:

Im Mittelpunkt der Triangulation der Unterrichtsdeutungen stand nicht die Deutung der Forscher, auch wenn dieser Deutung die vorauseilende Identifi­kation von Schlüsselsequenzen als Stimulus der späteren Befragung der Un­terrichtsakteure vorausgegangen war, sondern das Thema Schülermitbeteili­gung - nicht als Abstraktum -, sondern im Kontext einer Unterrichtssequenz als Grundlage der Deutungen sowohl der Forscher als auch eines Lehrers und einer Lerngruppe. Die so erhobenen Aussagen und Deutungen der drei Inter­preten wurden gleichberechtigt im Sinne einer thematischen Triangulation zueinander in Beziehung gesetzt. Es ging also nicht darum, eine Deutung zu präferieren und als Maßstab zu setzen und damit die jeweils anderen Deutun­gen zu validieren.

Dies heißt: Auch wenn durch den Vergleich der drei Perspektiven auf Schülermitbeteiligung, wie oben gezeigt, Problernzonen und Differenzen der Wahrnehmung deutlicher werden, als das bei einem monoperspektivischen Zugriff sein kann, dürfen wir nicht die objektive Deutung der Schülerrnitbe­teiligung auf der Grundlage unserer Unterrichtsanalyse, der Lehrer- und der Schülersicht aus eigener Perspektive konstruieren. Vielmehr besteht die Rea­lität des Unterrichtsgeschehens darin, daß es unterschiedliche Sichtweisen auf SchülermitbeteiIigung gibt, vor jeglichem Nachweis "falschen Bewußtseins" des Lehrers bezüglich seiner Lehrerrolle und der Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Schülerrolle und vice versa.

Deutungen im Sinne einer Validierung einer Deutung gegeneinander ausspielen zu wollen, würde zumindest dieser Deutung den Status der objek­tiven Sicht (Wahrheit) auf Schülerrnitbeteiligung zuweisen, und das wäre methodologisch naiv. Angemerkt sei, daß Validierung in der hier verwende­ten Bedeutung am positivistischen Wahrheitsbegriff orientiert ist. Eine im Sinne der Korrespondenztheorie entwickelte Interpretation wird solange an der Realität geprüft, bis sie falsifiziert und deshalb modifiziert oder verwor­fen werden muß. Also müßte die "objektive Sicht" auf Unterricht durch je­weils andere Sichten verifiziert oder falsifiziert werden, was wiederum vor­aussetzt, daß die beiden anderen Sichten als valide erachtet werden. Dies mündet in das von Flick formulierte unlösbare Problem, entscheiden zu müs­sen, welcher Interpretation bei einem Vergleich mehrerer Interpretationen der Vorzug zu geben sei. Hierzu müßte ein Kriterium gefunden werden, daß die Bevorzugung einer Deutung bzw. des der Deutung zugrundeliegenden Da­tenmaterials und damit letztendlich einer Erhebungsmethode rechtfertigt. Solch ein Kriterium haben wir in unserer Datenanalyse nicht fmden können. Da Unterricht als soziale Situation von Lehrern und Schülern über Interakti­onsprozesse und das Aushandeln von Sinnbedeutungen gleichberechtigt konstruiert wird, ist keine der subjektiven Sinndeutungen gegenüber einer anderen begründet vorzuziehen, auch nicht die Sicht der Forscher, die - wie erläutert - ebenfalls subjektiv ist.

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Wir haben bei der Triangulation im Sinne von Köckeis-Stangl die Sicht­weisen der Akteure zunächst kaleidoskopartig zusammengesetzt. Dies ergab sich aus der Absicht, die jeweiligen Perspektiven der Unterrichtsakteure und Forscher zu berücksichtigen. Für uns ist jetzt schon deutlich, daß Lehrer Schülermitbeteiligung aus der Perspektive ihres fachdidaktischen Verständ­nisses sehen und ihren Stellenwert im Kontext prüfungsrelevanter Themen­komplexe und nicht in der konkreten Interaktion verorten. Schüler dagegen betrachten den Unterricht eher funktional, Chancen für Mitbeteiligung ordnen sie Rahmenvorgaben und institutionellen Erfordernissen unter. Die aus der Unterrichtsbeobachtung entwickelten Hypothesen stellen also auf ein gene­relles Muster der Rezeptivitätskonditionierung der Schüler ab. Somit wird erkennbar, daß die Deutung der Akteure ihren unterschiedlichen Erwartun­gen, ihren Perspektiven und ihrem Verständnis von Unterricht entspringt. Ein Gegeneinander-Ausspielen der Deutungen läßt sich also nicht mit dem Ziel einer wechselseitigen Korrektur vornehmen, weil die Deutungen unter­schiedlichen Sinnhorizonten entspringen. Gleichwohl sind die Deutungen insofern aufeinander beziehbar, als daß sie auf eine gemeinsame Thematik gerichtet sind, die einen Ausschnitt der gemeinsam gestalteten Unterrichts­wirklichkeit darstellt. Das verbindende Band stellen somit zum einen das Thema Schülermitbeteiligung und zum anderen der Kontext (Unterrichts­stunde bzw. Sequenz) dar, in den das Thema eingebettet ist.

Beim Vergleich der drei Deutungen kann es sowohl zu Übereinstimmun­gen als auch Divergenzen kommen, wobei unter Deutung nicht die Einschät­zung eines beobachteten Sachverhalts gemeint ist, sondern die Begründung dieser Einschätzung. Bei Übereinstimmung von Deutungen kann konstatiert werden, daß die Interpreten der Unterrichtswirklichkeit einen Sachverhalt unter zumindest ähnlichen Kontexten sehen, z.B. die Notwendigkeit der Themenwahl aus dem Katalog der Prüfungsanforderungen bzw. des Rah­menplans. Dadurch können Interaktionsmuster von besonderer Stabilität ausgeprägt werden, in denen Alternativentwürfe nicht mehr in den Blick der Handelnden kommen.

Anband der vorgelegten Musteranalysen sollten folgende wesentlichen Punkte des Verfahrens der Triangulation im Rahmen der Unterrichtsfor­schung deutlich geworden sein, die für dessen Leistungsfähigkeit sprechen. Die Triangulation der Daten ermöglicht:

• den multiperspektivischen Zugriff auf einen Untersuchungsgegenstand anstelle eines monoperspektivischen Verfahrens,

• ein umfassenderes Abbild eines Ausschnitts der "Unterrichtswirklich­keit" durch die gleichberechtigte Einbeziehung der Deutungen der Un­tersuchungspersonen,

• die Hypothesengenerierung und -prüfung und

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Bewertung der Analysen 205

• die Explikation von Hintergründen verfestigter Interaktionsbeziehungen und Konflikte.

Grenzen erfährt das Verfahren dort, wo die Kombination unterschiedlicher Erhebungsmethoden unter der Absicht der gegenseitigen Validierung vorge­nommen wird. Diese ist aus den jetzt angefiihrten Gründen nicht möglich. Einen Ausweg aus der Validierungsdebatte stellt jedoch die Explikation des jeweils verwendeten Validierungsbegriffs im Sinne von Terhart (1995) dar.

Selbstverständlich bedingt die Einbeziehung mehrerer Erhebungsmetho­den, gerade im Bereich qualitativer Sozialforschung, einen erheblichen for­schungstechnischen Mehraufwand, der je nach der gewählten Fragestellung und dem gewählten Untersuchungsgegenstand abgewogen werden muß. Im Hinblick auf die Forschungsfrage .. Schülermitbeteiligung" hat sich das ge­wählte Verfahren jedoch als richtig erwiesen, insofern die Triangulation dem Gegenstand angemessen ist und zudem eine weitere theoretische Erfassung von Schülermitbeteiligung zuläßt.

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Teil 4: Zusammenfassung und Ausblick

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Meinert Meyer / Josef Keuffer / Ingrid Kunze / Ralf Schmidt / Christine Ziegler

Perspektiven für die zukünftige Projektgestaltung, für die qualitative Unterrichtsforschung und für die Lehreraus- und -fortbildung

Wir haben in diesem Buch unser Konzept rur die Erforschung von Fachunter­richt unter der Perspektive der Schülermitbeteiligung entwickelt; wir haben unser methodisches Vorgehen an drei Beispielen - Englisch, Geschichte und Chemie - vorgestellt und unsere Beispiele fiir die Fächer Englisch und Ge­schichte im Hinblick auf das Problem der Triangulation der Erhebungsdaten bewertet. Aus unserer bisherigen Untersuchung ergeben sich fiir uns weiter­gehende Forschungsfragen, denen wir uns in der gegenwärtig laufenden Hauptphase des Projektes zuwenden. In methodologischer Hinsicht - dies ist der Schwerpunkt unseres Interesses in der vorliegenden Publikation - gehört dazu die Frage, wie es möglich ist, die Daten zu den einzelnen Fächern mit­einander zu triangulieren.

Im folgenden stellen wir Überlegungen zur Diskussion, die sich rur uns im Anschluß an die jetzt vorgelegten Darstellungen, Analysen und Bewer­tungen ergeben. Wir verbinden dies mit einem Ausblick auf Forschungs­schwerpunkte, die fiir uns gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dabei befmden wir uns in einer dilemmatischen Situation, insofern die Leser vielleicht zurecht Ratschläge bezüglich der Nutzanwendung er­warten, die unser Projekt eröffnet, wir uns aber bezüglich schneller Vor­schläge rür die Verbesserung des alltäglichen Oberstufenunterrichts vorsich­tig verhalten müssen. Zur Vorsicht mahnt uns dabei auch, daß die Bandbreite dessen, was in der Schülermitbeteiligung denkbar ist, in unseren drei Bei­spielen noch nicht sichtbar werden kann. Wir weisen deshalb hier schon darauf hin, daß wir in der Hauptphase unseres Projektes viele weitere, inter­essante Realisationen der Schülennitbeteiligung gefunden haben, die wir zur Zeit auswerten. Wir werden sie zu gegebener Zeit der interessierten Fachöf­fentlichkeit vorstellen. Wenn wir nachfolgend Hinweise bezüglich der Unter­richtsforschung und der Verbesserung des alltäglichen Fachunterrichts geben, dann geschieht dies also mit dem Vorbehalt, daß wir über ein laufendes Pro­jekt berichten.

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210 Meyer / Keuffer / Kunze / Schmidt / Ziegler

1. Unterrichtsforschung als Impuls zur Selbstreflexion von Lehrern und Schülern

Aufgrund unserer Ergebnisse bei der Auswertung der Unterrichtsdokumenta­tionen, Lehrerinterviews und Schülergruppendiskussionen scheint uns eine Unterrichtsforschung, deren einzige Datenbasis die Unterrichtsbeobachtung ist, viele mögliche Erträge zu verschenken. Unsere ersten Untersuchungser­gebnisse bestätigen, daß in der Allgemeinen Didaktik und in den Fachdidak­tiken zurecht von der Fiktion Abstand genommen wurde, daß es "den" Unter­richtsprozeß gibt, der von Schülerinnen, Schülern und Lehrern gleich ver­standen wird oder unter optimalen Bedingungen zumindest gleich verstanden werden kann. Was wir tatsächlich fmden, ist das Zusammenspiel von Akteu­ren, die den Unterrichtsprozeß durchaus unterschiedlich deuten, so daß in allem Verstehen der Sinnstruktur des Unterrichts zugleich prinzipielles Miß­verstehen mitschwingt.

Wenn nun durch Untersuchungen, wie wir sie durchführen, deutlich wird, daß die Mißverständnisse bezüglich dessen, was im Unterricht passiert, nicht zufallig sind, und wenn sie dadurch verhandlungsfahig werden, dann eröffnet dies zugleich eine prinzipielle Eingriffsmöglichkeit im Untersu­chungsfeld, der Schule. Wir als Unterrichtsforscher können also intervenie­rend tätig werden. Dabei sollte Intervention aber nicht so verstanden werden, daß die Datenerhebung und -auswertung bewußt und zielstrebig auf Datenän­derung angelegt wird, wie es das Ziel der Handlungs- und der Aktionsfor­schung gewesen ist. Wir meinen vielmehr, daß die Konfrontation der unter­richtlichen Akteure, der Lehrer und der Schüler, mit Ergebnissen der Unter­richtsforschung nützliche selbstreflexive Prozesse auslösen kann.

Wir stellen uns vor, daß den Lehrern und Schülern Sinndeutungen der Unterrichtswirklichkeit in ihrer potentiellen Unterschiedlichkeit und partiel­len Übereinstimmung bewußtgemacht werden, so daß aus einer solchen Be­wußtrnachung dann Handlungskonsequenzen folgen können. Die von uns erarbeiteten Musteranalysen haben also Angebotsqualität; sie sollen dem professionellen Lehrer ermöglichen, sich selbst im fremden Unterricht wie­derzufinden und dessen Gestaltung zu akzeptieren oder begründet abzuleh­nen. Unsere Untersuchungen erscheinen uns deshalb hochschul-didaktisch und für die Fort- und Weiterbildung perspektivenreich, allen Diskussionen über die prinzipielle Differenz von pädagogischem Wissen und pädagogi­schem Handeln zum Trotz.

Professionelles Verhalten hat sowohl eine rational-kognitive wie auch eine emotional-wertende Dimension. Einstellungen von Akteuren, die sich in Form von Gedanken, Überzeugungen und Gefühlen äußern, können als la­tente Handlungstendenzen betrachtet werden. In den leitfadengestützten In­terviews fragen wir die Lehrerinnen und Lehrer nach den Absichten, die sie im Unterricht verfolgen. Wir wollen wissen, wie sie ihren Unterricht planen,

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Perspektiven ... 211

welche Idealvorstellungen von Unterricht sie haben und wie sie ihre Schüler wahrnehmen. So können wir ihr berufliches Selbstverständnis rekonstruieren. Uns interessiert, welche Bildungs- und Erziehungsziele sie verfolgen und welche Möglichkeiten zur Umsetzung im Unterricht sie sehen. Welche wis­senschaftlichen Theorien die Lehrenden kennen, auf welches Fachwissen sie zurückgreifen können und aus welchen Quellen es sich speist, steht dabei nicht im Mittelpunkt unseres Interesses. Dies ist in verschiedenen anderen Studien untersucht worden (DewelFerchhofflRadtke 1992).

Durch die Möglichkeit, am Unterricht teilzunehmen, ihn zu dokumentie­ren und anschließend zu analysieren, erhalten wir Aufschluß darüber, wel­ches pädagogische Handlungsrepertoire die Lehrenden im Unterricht zeigen und ob sich ihre im Interview geäußerten Einstellungen darin wiederfmden.

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, daß das Interesse der Lernen­den in den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie und Physik mit zuneh­mender Unterrichts erfahrung schwindet und daß sich der gewünschte Lerner­folg nicht einstellt (Totdenhaupt 1992, Sumfleth 1992). Wir hoffen, im Rah­men unserer Untersuchung fiir die naturwissenschaftlichen Fächer bezüglich dieses Problems zu weiterfiihrenden Erkenntnissen zu gelangen. Findet sich unter Naturwissenschaftslehrern eine eigene Subkultur mit Mentalitätsunter­schieden im Selbstbild im Unterschied zu Lehrenden der sprachlichen oder gesellschaftswissenschaftlichen Fächer, die den Schülerinnen und Schülern das Lernen in den naturwissenschaftlichen Fächern erschwert? Und wie wir­ken sich die Transformationsprozesse in den neuen Bundesländern, die wir zum Ausgangspunkt unserer Forschung gemacht haben, auf das Selbstbild der Lehrerinnen und Lehrer aus? Können wir für unsere Lehrerinnen und Lehrer bestätigen, daß sie teilweise ihre Lehrerrolle nach der Wende fiir sich neu defmiert haben?

2. Aus Mangelhaftem lernen

Eine für die Lehreraus- und -fortbildung interessante Perspektive erwächst für uns aus dem zunächst frustrierenden Ergebnis, daß wir in diesem Band nur Beispiele für die Gestaltung der Schülermitbeteiligung vorlegen können, die wir in unserer fachdidaktischen Niveaustufung niedrig plazieren müssen. Offensichtlich dürfen wir nicht nur mit Erfolgsgeschichten arbeiten. Viel­mehr sollten wir zeigen, wie es im Unterrichtsalltag immer wieder zu einge­spielt-verfahrenen Situationen kommt. Vielleicht eröffnet gerade die sorgfäl­tige Analyse der Frage, was die Verfahrenheit jeweils ausmacht, Perspektiven für eine Verbesserung. Wir können also fragen, wie man bezüglich der Unter­richtsplanung und -gestaltung aus Mangelhaftem und Unvollkommenem lernen kann. Das sei am Beispiel des dokumentierten Englischunterrichts verdeutlicht:

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212 Meyer / Keuffer / Kunze / Schmidt / Ziegler

Während die Schülerinnen und Schüler in der Gruppendiskussion darüber sprechen, wie sie sich in den Unterrichtsprozeß einbringen können, um so zu größeren Lernerfolgen zu kommen, denkt der Lehrer, Herr T., hochreflektiert darüber nach, wie er den Schülern die fremde Sprache und Kultur vermitteln kann. Er beansprucht dabei ausdrücklich, gegenüber den Schülern einen Vorsprung zu haben, da er sich als authentischen Stellvertreter der fremden Sprache und Kultur sieht. Wenn man seine Position veranschaulichen will, dann hieße dies, daß er den Unterrichtsgegenstand, den Stoff, an sich zieht. Er ist für die Schüler die fremde Sprache und Kultur, oder er meint zumin­dest, es zu sein. Wenn man nun bewußtmachen könnte, daß ein solches Ver­fahren zum einen erkenntnistheoretisch problematisch ist - Herr T. bleibt Deutscher, er ist nicht Repräsentant der fremden Sprache und Kultur - und daß es zum anderen die Schüler in die Rezeptivität drängt - sie müssen sich dem Lehrer anpassen, obwohl er eigentlich, wie er im Lehrerinterview sagt, ein hohes Interesse daran hat, daß die Schüler aktiv werden -, dann müßte durch die Aufdeckung dieser Diskrepanz der Wahrnehmung durch den Leh­rer und die Schüler die Bereitschaft des Lehrers erhöht werden können, die Schüler in die didaktische Pflicht zu nehmen. Zugleich könnte man den Schülern zeigen, daß sie im Unterricht nicht passiv bleiben müssen; man könnte sie also ermutigen, im Sinne der von Henri Holec und David Little definierten Lernerautonomie ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen und den Lehrer zu dem Helfer zu machen, der er selbst gern sein will. Das Bei­spiel unseres Englischlehrers legt also die Frage nahe, welche subjektiven didaktischen Theorien Lehrerinnen und Lehrer für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe entwickelt haben und in welchem Verhältnis diese zu ihrem Verhalten im Unterricht stehen.

3. Die didaktische Kompetenz von Schülern nutzen

Wesentlich für unseren erkenntnistheoretischen Optimismus ist auch die Tatsache, daß wir in unserer bisherigen Untersuchung zur Kenntnis nehmen konnten, wie groß die didaktische Reflexionskompetenz vieler Oberstufen­schüler ist. Zwar kennen sie in der Regel nicht die fachdidaktische Termino­logie, sprechen nicht von Interimsprachen, historischem Bewußtsein und Lernerphysik oder Lernerchemie. Sie können aber sehr präzise ihre didakti­sche Problernsituation beschreiben, und sie haben ein klares Bild davon, wie Unterricht abläuft und wie er verbessert werden könnte. Ob der Sicht der Schülerinnen und Schüler auf Unterricht dabei der Status einer subjektiven didaktischen Theorie zugesprochen werden kann - diese wird in der Regel den Lehrern als didaktischen Experten zuerkannt, - wird die genauere Analy­se der in der Hauptphase geführten Gruppendiskussionen mit den Schülerin­nen und Schülern ergeben. Die aus den Gruppendiskussionen gewonnenen

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Perspektiven ... 213

Daten könnten fiir diesen Zweck über Einzelinterviews mit ausgewählten Schülerinnen und Schülern erweitert werden.

Wir vermuten, daß die didaktische Kompetenz, die Schüler im Laufe ih­rer Schulzeit erwerben, wahrscheinlich durch ein sehr stabiles Element neu­tralisiert wird, nämlich die Verarbeitung der Erfahrung, daß die Lehrer den Unterricht "machen" und daß es deshalb klug und weise und oft auch bequem ist, rezeptiv zu bleiben. Wir sehen deshalb eine wichtige Aufgabe der Lehre­raus- und -fortbildung darin, ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, daß es prinzipiell möglich ist, die Schüler als letztlich gleichberechtigte Partner in die Aufgabe der Verbesserung des Unterrichts einzubinden. Schüler verfügen oftmals über eine höhere didaktische Kompetenz, ein besseres Bild von ihren Lernaufgaben und eine höhere Verantwortlichkeit tUr ihr Lernen, als es ihnen ihre Lehrerinnen und Lehrer zutrauen. Es wird daher auch Zeit, daß wir als Vertreter der Allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktiken darüber nach­denken, wer eigentlich unsere Adressaten sind: zunächst die Lehrer als Pro­fessionals, sekundär und genau genommen gleich gewichtig aber auch die "professionellen" Schüler.

Wie eine sinnvolle didaktische Fortbildung mit Oberstufenschülern aus­sehen könnte, ist aber noch viel weniger klar als die Frage nach der Gestal­tung sinnvoller Fortbildungen mit Lehrern. Unsere Untersuchungen verwei­sen also auf ein derzeit viel zu wenig ausgeschöpftes Potential, auf die Kom­petenz der Oberstufenschüler, ihr eigenes Lernen selbst zu organisieren, individuell und im Klassenverband.

4. Überlegungen zu Lernschritten for Schüler

Die Einbeziehung der Lerner in den Adressatenkreis ändert nichts daran, daß die Lehrer in der Regel gegenüber den Schülerinnen und Schülern einen fachlichen und auf vielen Gebieten auch einen allgemeinmenschlichen Erfah­rungsvorsprung haben. Ihr Problem besteht darin - hier stützen wir uns, wie schon in der Einleitung zu dieser Publikation verdeutlicht, auf die Didaktik John Deweys -, daß sie zu oft versuchen, den Schülern ihre eigenen Erfah­rungen zu vermitteln, statt sorgfältig zu erkunden, wie die Schüler selbst Lernerfahrungen machen können und wie sie, die Lehrer, in diesen aktiven Prozeß der Lerner dann die eigenen Erfahrungen, das Wissen und Können der Erwachsenen, hilfreich einbringen können.

Für John Dewey war klar, daß es die Aufgabe der Lehrer ist, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern eine Lernwelt (learning environment) zu schaffen, die Aktionen der Lernenden stimuliert und ihren Lernweg in die richtige Richtung orientiert. Die Lehrer sollten sich deshalb nicht nur mit dem Stoff (subject matter) an sich beschäftigen, vielmehr sollten sie immer fragen, wie dieser Stoff in Beziehung zu den jeweiligen Bedürfnissen und Fä-

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higkeiten der Schüler treten kann. Unterricht, der John Deweys Konzept reflexiver Erfahrung entsprechen würde, haben wir während der Pilotphase unseres Projekts nur ansatzweise und unreflektiert gefunden, am ehesten noch in der von uns oben dokumentierten Chemiestunde. Dewey schreibt in "Democracy and Education":

"Die folgenden Merkmale sind kennzeichnend rur jede Art reflexiver Erfahrung: (I) Zu­nächst gibt es Verwunderung, Konfusion und Zweifel, da man sich in einer unvollständi­gen Situation befindet, deren Qualitäten noch nicht bestimmt sind. (2) Es folgt eine vor­wegnehmende Vermutung, eine vorläufige Interpretation der gegebenen Elemente der Situation, wobei man diesen die Tendenzqualität zuspricht, bestimmte Konsequenzen zu haben. (3) Der nächste Schritt ist eine sorgflUtige Beobachtung - Überprüfung, Unter­suchung, Erkundung, Analyse - alles dessen, das geeignet ist und zur Verrugung steht, das anstehende Problem zu definieren und zu klären. (4) Es folgt die Ausarbeitung einer vor­läufigen Hypothese, die präziser und in sich stimmiger werden muß, indem sie mit einer größeren Palette von Tatsachen in Einklang gebracht wird. (5) Man entscheidet sich dann schließlich rur eine Gestaltung der ausgelegten Hypothese in einem Handlungsplan, der auf die bestehende Situation angewandt wird: Man macht etwas offen, um das antizipierte Ergebnis zu erreichen, und testet damit die Hypothese" (Dewey 1916/1966, S. 150).

Das Dewey-Zitat kann nach unserer Auffassung gewinnbringend in eine Orientierungshilfe tUr die Gestaltung der Lernschritte durch die Schüler unter Assistenz des Lehrers/der Lehrerin umgeschrieben werden:

1. Schritt:

2. Schritt:

3. Schritt:

4. Schritt:

5. Schritt:

In welcher diffusen, unklaren Situation bezüglich unserer Lernaufgabe befinden wir uns?

Können wir bezüglich unserer Lernaufgaben vorläufige, erta­stend-erprobende Hypothesen formulieren?

Wie sehen unsere Lerner-Hypothesen aus?

Wir erproben die Hypothese bezüglich unserer Lernaufgaben, entwickeln also einen Handlungsplan, und setzen ihn um.

Wir überprüfen unsere Lernergebnisse.

Angemerkt sei, daß diese Schrittfolge von einer Situation ausgeht, in der die Lernenden bereits eine gewisse Klarheit bezüglich ihrer Lernaufgabe gewon­nen haben. Sie haben diese tUr sich angenommen und sind bereit, sich ihr unter Nutzung des ihnen zur VertUgung stehenden Lernvermögens zu stellen.

5. Schüler und Lehrer in der Zone der nächsten Entwicklung

Hilfreich erscheint uns tUr die Beschreibung unserer didaktischen Problem­stellung auch ein Verweis auf Lew S. Wygotskis Idee der "Zonen der nächsten Entwicklung". Wygotski hat das Lernen als einen Prozeß beschrieben, der -ausgehend von aktuellen Leistungen - Zonen der nächsten Entwicklung aus-

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weist, in denen die Lerner mit Hilfe anderer Personen zunehmend sicherer im Erkennen und Handeln werden (Wygotski 1987, Band 2, S. 298ff.). Wygotskis Konzept paßt insofern zu Deweys Erkenntnismodell. Die Schülerinnen und Schüler befmden sich in einer diffusen Lemsituation. Sie wissen in etwa, was sie lernen sollen, aber die Zielsetzung ist für sie in anderer Weise gegeben, als dies rur den Lehrer/die Lehrerin der Fall ist. Der Schüler der Englisch­stunde, der seinem Mitschüler attestiert, daß sich dieser (wie der Lehrer) "in diesem ganzen Wusel von diesen schweren Teilen" zurechtfmde, bringt die Erkenntnis Wygotskis in einer schönen Metapher auf den Begriff.

Die Bedeutungswelt der Lerner ist eine andere als die der Lehrer und je­der Lerner befmdet sich wiederum in einer anderen Lemsituation als seine Mitlerner. Der Lernerfolg der Lerner besteht deshalb nicht zwingend in einer "Anpassung" an das Lehrerwissen oder gar in der In-eins-Setzung ihrer Be­deutungswelt mit der der Lehrer. Vielmehr geht es, wie wir auch schon in unserer Einleitung dargelegt haben, bei der Selbstorganisation des Lernens um die Aushandlung von Bedeutungen, um negotiation 01 meaning, wobei jeder der Akteure im Unterrichtsprozeß seine eigene Bedeutungswelt aufbaut.

Es ist deshalb aus unserer Sicht bedenklich, daß die Lehrer, soweit wir bis jetzt feststellen können, in der Regel nur unklare Vorstellungen darüber haben, was die Lemschwierigkeiten ihrer Schüler sind. Sie befmden sich also mit Bezug auf die Schüler selbst in einer Lernsituation, die sie allerdings oftmals verdrängen. Oft können sie sich aufgrund ihrer fachlichen Orientie­rung gar nicht mehr in die Lemsituation hineindenken, in der sich die Schüler befinden. Sichtbar wird dieses Defizit rur uns in der durchgängig beobachte­ten Neigung der Lehrer, "ihren" Unterricht, der doch auch immer Unterricht der Schüler sein sollte, auf die Kommunikation mit den "guten" Schülern aufzubauen. "Gute" Schüler sollen systematisch gefördert werden, darüber gibt es keinen Streit, aber auch die "schlechten" haben vollen Anspruch auf die Förderung, die ihrem Entwicklungsniveau entgegenkommt. Offensicht­lich reicht es nicht aus, wenn sie nur aus der Rolle der stummen Beobachter heraus versuchen, einen Zugang zum Unterrichtsgegenstand zu fmden.

Die Lehrer denken von ihrer (konstruierten) Fachsystematik her und blenden dabei dann die Analyse der Lemsituation ihrer Schülerinnen und Schüler aus. Was von ihnen verlangt wird, ist aber eine didaktische Vermitt­lung zwischen den Schülern (d. h.: allen Schülern) als Lernern und den Un­terrichtsinhalten, die sich die Schüler aneignen sollen. Lehrer sind, didaktisch betrachtet, immer auch selbst Lernende.

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216 Meyer I Keuffer I Kunze I Schmidt I Ziegler

Im Schaubild:

... -~ .. Lehrer- chiller- chOler-lnteraktion

Zone d r aktuellen el !Ung .•••.••..•• _ .......... ....... .. .. ... ... ... .. ....... .. .. .. .. ..

Zone der nll hslen ntwickJung ............. _ .. .

Das Schaubild soll veranschaulichen, daß prinzipiell alle mit allen kommuni­zieren, auch wenn sie gerade nicht sprechen. Die Sinnstruktur des Unterrichts ist etwas, was von allen Beteiligten gemeinsam geschaffen wird, selbst dann, wenn sie sich mit Nebentätigkeiten aus dem vom Lehrer gewollten Unter­richtsprozeß ausklinken. Was jeweils die subjektive Sinngebung ist, ist von Akteur zu Akteur verschieden.

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Perspektiven ... 217

Wir formulieren deshalb mit Bezug auf Wygotski und unsere Unterrichtsbe­obachtungen vier didaktische Fragen und auf sie bezogene didaktische Prin­zipien:

Erste Frage: Gibt es Lernertheorien, Lernersprachen etc., die die Schüler bei der Erarbeitung der Zonen der nächsten Entwicklung ausbauen können? (Prinzip der Erforschung von Entwick­lungsaufgaben9)

Zweite Frage: Welche Lerner können und wollen welche Lernfortschritte machen? (Prinzip der Differenzierung)

Dritte Frage: Wie kann der Lehrer seinen Schülern helfen, die nächsten ihnen möglichen Lernschritten zu gehen? Wie können die Schüler mit dieser Hilfe produktiv umgehen? (Prinzip der Assistenz in den Zonen der nächsten Entwicklung)

Vierte Frage: Wie kann die Lehrer-Schüler-Interaktion so gestaltet wer­den, daß die Schüler selbst Erfahrungen sammeln und den relativen Erfahrungsvorsprung des Lehrers nutzen können? (Prinzip der Gleichberechtigung der Interaktionspartner im Unterricht)

6. Drei Perspektiven für Lehreraus- und -fortbildung sowie Unter­richtsjorschung

Die vorläufigen Ergebnisse unseres Projektes fUhren uns zu drei vorläufigen Ergebnissen bezüglich der Lehreraus- und -fortbildung und bezüglich der Unterrichtsforschung:

6.1 Routinierte Lehrerinnen und Lehrern tendieren oft dazu, sich nicht auf Irritationen durch Erziehungswissenschaftler einzulassen. Wir hoffen deshalb - wie schon oben erläutert -, daß unsere Unterrichtsdokumentationen, die ja zunächst noch nicht bewerten, sondern nur darstellen, was im Unterricht passiert, reflexive Prozesse auslösen, was allerdings, wie wir mit John Dewey postulieren dürfen, erst dann der Fall sein wird, wenn die Lehrer ihren Unter­richt selbst erforschen. Notwendig ist also eine experimentelle Haltung der Lehrer gegenüber den Unterrichtsinhalten und den Lernern. Die Lehrer müs-

9 Unter einer Entwicklungsaufgabe verstehen wir, unter Bezug auf die Bildungsgangdidaktik, "eine Aufgabe, die sich in bestimmter gesellschaftlicher Epoche und zu bestimmter Periode im Lebens- und Lemzyklus dem heranwachsenden Individuum nachhaltig aufdrängt und rür seine Weiterentwicklung und Weiterbildung bestimmend ist" (Kordes 1989, 109f.). Diese Begriffsbestimmung verdeutlicht, daß die objektive und die subjektive Seite der Entwicklungsaufgahe ineinandergreifen.

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sen sich neu als Lerner sehen, nicht nur bezüglich der fachlichen Anforde­rungen, sondern auch bezüglich der Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler. Vor welchen Entwicklungsaufgaben Schülerinnen und Schüler kon­kret stehen und wie sie sich die Unterrichtsinhalte am besten aneignen kön­nen, ist noch nicht ausgemacht.

6.2 Offen ist auch, inwieweit sich die Ergebnisse, die wir aus der Untersu­chung des Oberstufenunterrichts in Sachsen-Anhalt gewinnen, auf andere Bundesländer übertragen lassen. Folgt man der These Tillmanns (1993), daß trotz aller gravierenden Veränderungen letztlich die Gemeinsamkeiten im Bildungswesen der (alten) Bundesrepublik und der DDR überwogen, so kann man heute um so mehr damit rechnen, daß eine solche Übertragung der Un­tersuchungsergebnisse möglich ist. Über die Perspektive einer Ausweitung auf andere Bundesländer hinausgehend sind wir der Auffassung, daß unsere Forschungsfrage aus ihrer inneren Systematik heraus auch eine Internationa­lisierung der Untersuchungen nötig macht. Es kann sein, daß wir nur typisch deutsche Unterrichtsskripte rekonstruieren, die aus Sicht von Lehrern, Schü­lern und Forschern anderer Nationalität in ihrer nationalen Relativität erkannt werden könnten. Dies wird - methodisch betrachtet - vermutlich vor allem dann der Fall sein, wenn alle Akteure, die Lehrer, die Schüler und wir Unter­richtsforscher, bezüglich des beobachteten Unterrichts das gleiche Deu­tungsmuster stabilisieren. Ob unsere vorgelegten Deutungen der "Unter­richtswirklichkeit" gerechtfertigt sind, muß also aus internationaler Perspek­tive prinzipiell offenbleiben.

6.3 Unsere abschließenden Überlegungen machen deutlich, daß die bisheri­gen Ergebnisse Anlaß geben, weiter an der theoretischen Fundierung der Forschungen zur Schülermitbeteiligung zu arbeiten. Der Arbeitsbegriff der Schülermitbeteiligung, der in der Feldphase deutlich getragen hat und von den Lehrerinnen und Lehrern positiv aufgenommen worden ist, sollte in Richtung auf einen theoretisch gehaltvollen Begriff von Partizipation im Unterricht weiterentwickelt werden (vgl. Keuffer 1998). Die ersten Triangu­lationen lassen die begründete Annahme zu, daß aus dem Projektzusammen­hang heraus ein Strukturmuster von Partizipation im Fachunterricht erarbeitet werden kann. Das Strukturmuster wird bestimmt von den Variablen Schule, Fach, Lehrperson und Lerngruppe. Die Niveaustufen von Partizipation rei­chen von rezeptiver Beteiligung bis zu learner autonomy, wobei deutlich wird, daß Lehrende das Ideal von Selbststeuerung zwar vielfach vor Augen haben, die dokumentierten Lernprozesse und ihre Steuerung jedoch in den meisten Fällen keinen hohen Grad an Schülermitbeteiligung deutlich werden lassen. Die Diskrepanz von Idealität und Realität wird in vielen Lehrerinter­views im Kontext der Transformation dargestellt. Wir vermuten hier die Kontinuität eines stark reglementierten Fachunterrichts aus der Vor- und Nachwendezeit.

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Perspektiven ... 219

Unsere bisherigen Ergebnisse lassen lehrerseitig eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit neueren Unterrichtsmethoden in der gymnasialen Oberstufe und schülerseitig ein z. T. hohes Niveau in der Reflexion von Unterrichtsprozes­sen erkennen. Ebenso deutlich wird jedoch, daß dieses Reflexionsniveau von Lehrenden und Lernenden nicht für den Unterricht fruchtbar gemacht wird.

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Todtenhaupt, S.: Zur Entwicklung des Chemieverständnisses bei Schülern. Essen: Dissertation 1992.

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230 Literaturverzeichnis

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Ulrich, W.fBuck, P. (Hrsg.): Video in Forschung und Lehre. Weinheim 1993. Voigt, J.: Die Kluft zwischen didaktischen Maximen und ihrer Verwirklichung im

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Wenzel, H.: Unterricht und Schüleraktivität. Probleme und Möglichkeiten der Ent­wicklung von Selbststeuerungsflihigkeiten im Unterricht. Weinheim 1987.

Wexler, Ph. unter Mitarbeit von W. Chrichlow u.a.: Becoming Somebody. Toward a Social Psychology ofSchool. LondonINew York 1992.

Wienold, G./Achtenhagen, F., u.a.: Lehrerverhalten und Lernmaterial in institutio­nalisierten Lehr-Lern-Prozessen - Am Beispiel des Englischanfangsunterrichts. Bd. 9.1-9.3. Göttingen 1985.

WitzeI, A.: Verfahren der qualitativen Sozialforschung. Überblick und Alternativen. Frankfurt 1982.

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Zinnecker, J. (Hrsg.): Der heimliche Lehrplan. Untersuchungen zum Schulunterricht. WeinheimfBasel1975.

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Literaturverzeichnis 231

Im Kontext des Projekts entstandene Literatur

Keuffer, J.: Schülerpartizipation in Schule und Unterricht - Erfahrungen mit Schü­lermitbeteiligung seit der Wende. In: Helsper, W.lKrüger, H.-H.lWenzel, H. (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im Umbruch. (= Studien zur Schul- und Bil­dungsforschung. Bd. 2/2). Weinheim 1996, 160-181.

Keuffer, J.: Zur Bedeutung Allgemeiner Lehr-Lern-Ziele der gymnasialen Oberstufe. In: Keuffer, 1. (Hrsg.): Modernisierung von Rahmenrichtlinien. Beiträge zur Rahmenrichtlinienentwicklung. (=Studien zur Schul- und Bildungsforschung. Bd. 4). Weinheim 1997,242-262.

Keuffer, 1.: Schülermitbeteiligung im Fachunterricht in den neuen Bundesländern -Bericht über Ansatz und erste Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojektes. In: Krüger, H.-H./Olbertz, J.-H. (Hrsg.): Bildung zwischen Staat und Markt. (= Hauptdokumentationsband zum 15. Kongreß der DGfE). Opladen 1997, 597-606.

Keuffer, 1./Meyer, M.A./Obst, H./Olbertz, J.-H.: Schülermitbeteiligung als Hand­lungsproblem im Fachunterricht an ostdeutschen Schulen. In: Keuffer, J. (Hrsg.): Diskurse zu Schule und Bildung. Werkstatthefte des ZSL. Heft 4. Halle 1995,45-87.

Keuffer, J./Meyer, M.A.: Forschung als Brücke zwischen Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik. In: Kometz, A. (Hrsg.): Chemieunterricht im Spannungsfeld Ge­sellschaft - Chemie - Umwelt. Heinz Obst gewidmet. Berlin 1998, 343-366.

Keuffer, J./Schmidt, R./Ziegler, C: Mitbeteiligung von SchülerInnen im Fachunter­richt -exemplarische Analysen unterrichtlichen HandeIns in der gymnasialen Oberstufe. In: Helsper, W./Stelmaszyk, B. (Hrsg.): Schwerpunkte hermeneuti­scher Schulforschung. Weinheim 1999, i.V.

Keuffer, 1.lKötters, C./Schmidt, R./Ziegler, C.: Schülermitbeteiligung im Unterricht­Spiegelung qualitativer Ergebnisse der Unterrichtsforschung mit Befunden einer repräsentativen Lehrer-Schüler-Befragung. In: Böhme, J./Kramer, R. T. (Hrsg.): Partizipation und Schule. Weinheim 1999, i.V.

Meyer, M. A.: Schülermitbeteiligung und didaktische Kompetenz. In: Pädagogik, Heft 11. 49. Jg. 1997,11-14.

Meyer, M. A.: From Macbeth to McDonald's: Objectives of teaching and learning English as a globallanguage. In: Gnutzmann, C. (Hrsg.): Teaching and learning English as a globallanguage. Tübingen 1999, i.D.

Meyer, M. A.: Lernmethoden sind nicht Lehrmethoden. Untersuchungen zur didakti­schen Kompetenz und didaktischen Verantwortung von Schülern der gymnasia­len Oberstufe. In: Seminar - Lehrerbildung und Schule. Zeitschrift des Bundes­arbeitskreises der Seminar- und Fachleiterlinnen. H. 3. Köln 1999,35-57.

Obst, H.: Geänderter Fächerkanon und veränderte Stundentafel - Veränderungen im Fachunterricht. In: Helsper, W. u. a. (Hrsg.): Schule und GeseIlschaft im Um­bruch. Trends und Perspektiven der Schulentwicklung in Ostdeutschland. (Studi­en zur Schul- und Bildungsforschung, Bd. 2/2). Weinheim 1996, 182-192.

Schmidt, R.: Möglichkeiten und Grenzen der Triangulation im Rahmen der Unter­richtsforschung. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Halle 1997.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Josej Keuffer, Jg. 1958, Studium der Geschichte, Germanistik und Erzie­hungswissenschaft für das Lehramt der Sekundarstufe 11 an der WWU Münster, 1. Staatsexamen (1989), Promotion in Erziehungswissenschaft mit einer interkulturellen Studie (1991), 2. Staatsexamen für das Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte (1992), Wissenschaftlicher Mit­arbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaft der WWU Münster (1993-1994) und Lehrbeauftragter (1994-1996); seit 1994 Wissenschaft­licher Mitarbeiter am Zentrum für Schulforschung und Fragen der Leh­rerbildung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, seit 1995 Ge­schäftsführender Leiter des Zentrums für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung in Halle/Saale. Arbeitsgebiete: Schul- und Unterrichts­forschung, Schulpädagogik und Didaktik, Interkulturelles Lernen.

Ingrid Kunze, Jg. 1962, Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Di­plomlehrerin für Deutsch und Geschichte, Promotion mit einer Arbeit zur Fachdidaktik Deutsch, Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, derzeit wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg; Arbeitsgebiete: Fachdidaktik Deutsch, Allgemeine Didaktik, Lehrerforschung.

Michael Lichtfeldt (*1952, tI998), Studium der Physik, Chemie und Mathe­matik an der TU Berlin, 1. Staatsexamen (1981), 2. Staatsexamen (1983), Lehrer 1983-1986, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Fachdidaktiken der FU Berlin (1986-1991), Promotion (1991), Preisträger des Preises zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses in Di­daktik der Physik der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (1994); Professur für Didaktik der Physik an der Martin-Luther­Universität Halle-Wittenberg (1995-1998).

Meinert A. Meyer, Jg. 1941, Studium der Anglistik, Philosophie und Ge­schichte (Tübingen, Berlin, UrbanaiChampaign), Studium für das Lehr­amt an Grund- und Hauptschulen (Reutlingen), Staatsexamen (1971), Promotion mit einer Arbeit zu Ludwig Wittgenstein (1976), Habilitation mit einer Arbeit zum nordrhein-westfälischen Kollegschulversuch (1985); seit 1996 Professor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Allgemei­ne Didaktik an der Universität Hamburg; Arbeitsbereiche: Unterrichtsfor­schung, Reform der Sekundarstufe 11, Verhältnis der Allgemeinen Didak­tik zur Fachdidaktik, historische Didaktik.

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234 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Heinz Obst, Jg. 1933, Studium der Fächer Chemie und Biologie an der Uni­versität Leipzig, Lehrer für Chemie und Biologie, Wissenschaftlicher As­sistent an der Universität Leipzig, Promotion A (1965), Wissenschaftli­cher Oberassistent, Promotion B (1978), Hochschuldozent an der Päd­agogischen Hochschule Halle und am Institut für Lehrerweiterbildung Leipzig; Professor für Didaktik der Chemie an der Pädagogischen Hoch­schule HallelKöthen und an der Martin-Luther-Universität Halle-Witten­berg.

Ralf Schmidt, Jg. 1968, Studium der Philosophie, Soziologie und Erzie­hungswissenschaft an der Universität Karlsruhe (TH) und der Martin­Luther-Universität Halle-Wittenberg; Magister Artium (1997); seit 1998 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Schulforschung und Fra­gen der Lehrerbildung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Matthias Trautmann, Jg. 1968, Studium für das Lehramt an Gymnasien mit den Fächern Deutsch und Englisch an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Erstes Staatsexamen (1996) Dissertation zur Theorie des Lehrens und Lernens bei Augustinus (1999) und Studium der Philo­sophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Christine Ziegler, geb. Schütz, Jg. 1968, Grundstudium der chemischen Technologie an der Fachhochschule Darmstadt, Studium der Chemie und Biologie für das Lehramt an Gymnasien an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Erstes Staatsexamen (1994), Studienseminar FürthlBayern, Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien für die Fächer Chemie und Biologie (1997), Tätigkeit als Lehrerin an der Gesamtschule Kastellaun; seit 1998 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung der Martin-Luther­Universität Halle Wittenberg.

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Handbuch erziehungswissenschaftliche

Biographieforschung

Heinz-Hermann Krüger Winfried Marotzki (Hrsg.) Handbuch erziehungs­wissenschaftliche Biographieforschung 1999. 501 Seiten. Kart. 68,- DMl62,- SFr/469 ÖS ISBN 3-8100-2330-2

In diesem Handbuch wird erst­mals ein systematischer Überblick über die theoretischen Diskurse, Forschungsmethoden und -schwerpunkte der erziehungs­wissenschaftlichen Biographie­forschung gegeben.

Aus dem Inhalt: Theoretische Grundsatzfragen und Überblicke Biographieforschung in der Erziehungswissenschaft Entwicklungslinien und Forschungsfelder Bildungstheorie Biographie, Lebenslauf und Erziehung Lernen

Methodische Fragen Methoden Ethnographie Interkulturelle pädagogische Forschung Methoden der historischen Sozialisations- und Bildungs­forschung Verlaufskurven des Erleidens

Handbuch erziehungs­

wissenschaftlIche Biographieforschung

Biographieforschung und Pädagogik der Lebensalter Pädagogische Kindheits-forschung Pädagogische Jugendforschung Schülerinnenforschung Studentinnenforschung Forschungen zum Erwachsenenalter Altenforschung

Biographieforschung in den Teildisziplinen Historische Pädagogik Schulforschung und -pädagogik Berufspädagogik Erwachsenenbildung Sozialpädagogik Frauenforschung Interkulturelle Pädagogik Medienpädagogik

• Leske + Budrich . www.leske-budrich.de

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Aus der Reihe Schule und Gesellschaft:

Interkulturelle Fachdidaktik

Hans H. Reich Alfred Holzbrecher Hans-Joachim Roth (Hrsg.) Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch Schule und Gesellschaft 20 2000. 471 Seiten. Kart. 48,- DM/44,50 SFr/350 ÖS ISBN 3-8100-2133-4

~it diesem Handbuch wird erstmalig In umfassender Form der interkultu­relle Diskurs der in den Sekundar­stufen vertretenen Fachdidaktiken kritisch aufgearbeitet und vor dem Hintergrund einer interdisziplinären Verständigung über Konzepte des interkulturellen Lernens weiterge­führt. Damit wird eine Lücke ge­schlossen, nachdem zwar bislang zu diesem Lernbereich eine Reihe theo­retischer Entwürfe und eine Vielzahl von Erfahrungsberichten, Unter­richtsideen und Projektvorschlägen vorliegen, aber eine systematische Darstellung fehlte. Mit diesem Hand­buch liegt das Ergebnis eines inter­disziplinären Dialoges vor, dessen Struktur und Entwicklungsprozess widerspiegeln, was sein Thema ist: die Erarbeitung gemeinsamer, über­greifender Positionen auf der Grund­lage der Anerkennung der Differenz fachspezifischer Zugänge und Tra­ditionen.

Das Buch richtet sich an Lehrende und Lernende an den Hochschulen Studienseminaren und Schulen. '

Aus dem Inhalt: Hans Joachim Roth, Allgemeine Didaktik Bettina AlavilBodo von Borries, Geschichte Kuno Rinke, Politische Bildung Alfred Holzbrecher, Pädagogik Gabriele Münnix, Philosophie Rolf Schiede" Religion Heinz-Jürgen Kliewer, Deutsch: Literatur Hans H. Reich, Deutsch: Sprache Katharina Kuhs, Zweitsprache Deutsch Jacqueline Breugnot, Fremdsprachen Doris Schuhmacher-Chilla Kunst! Ästhetische Erziehung , Reinhard Böhle, Musik Knut Dietrich, Sport Joachim Schlichting, Physik Adelheid Stipproweit, Biologie Eberhard Kroß, Geographie WolfE. Traebert, Technik Joachim Schroeder, Mathematik

• Leske + Budrich Postfach 300 551 . 51334 Leverkusen

E-Mail: [email protected] . www.leske-budrich.de