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Schmierer

Kleine Geschichte der Oper

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Reclam Sachbuch premium

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Elisabeth Schmierer

Kleine Geschichteder Oper

Mit 19 Abbildungen

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 140262001, 2020 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,

Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlagabbildung: Maria Callas als Medea in der

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Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG,Am Buchweg 1, 87452 Altusried-Krugzell

Printed in Germany 2020RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Markender Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Die italienische Oper bis zur Mittedes 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 13

Musik und Theater vor der Entstehungder Oper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Die ersten Opern der Musikgeschichte(peri, caccini, monteverdi) . . . . . . . . . . . . . 17

Adels- und Fürstenoper in Romim 17. Jahrhundert(landi, mazzocchi, rossi) . . . . . . . . . . . . . . 21

Die Entstehung der Unternehmeroper in Italien im17. Jahrhundert (monteverdi, cavalli, cesti,

scarlatti) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Die metastasianische Opera seria(vinci, hasse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Die Opera buffa als neues Genre(vinci, telemann, pergolesi, leo) . . . . . . . . . 45

Die französische Oper bis zur Mitte des18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Französisches Musiktheater vor der Entstehungder französischen Oper: Ballet de cour undComedie-ballet (lully, charpentier) . . . . . . . 49

Der Prototyp der französischen Oper:Lullys Tragedie en musique . . . . . . . . . . . . . . 52

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Die Tragedie en musique nach Lully und dieAuflockerung der Gattung in den Opera ballets(charpentier, campra) . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Erweiterung des Typus:Rameaus Tragedies lyriques . . . . . . . . . . . . . . 63

Die Oper in England im 17. und 18. Jahrhundert 69

Masques und Semi-Operas im 17. Jahrhundert(purcell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Die Einführung der italienischen Oper in der erstenHälfte des 18. Jahrhunderts (händel) . . . . . . . . 72

Opernfehden und Opernreformen in der zweitenHälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 77

Die Opera seria zwischen Konsolidierung undErneuerung (traetta, jomelli, gluck,

hasse, piccinni, mozart) . . . . . . . . . . . . . . . 77

Die Opera buffa und Gattungskonvergenzen imspäten 18. Jahrhundert (piccinni, galuppi, haydn,

paisiello, mozart, cimarosa, martin y soler) 85

Synthese von italienischer und französischer Oper:Die französische Oper vom Buffonistenstreit biszum Jahrhundertende (rousseau, duni, philidor,

gretry, monsigny, cherubini, le sueur, gluck,

piccinni, vogel, salieri) . . . . . . . . . . . . . . . 94

Entstehung einer deutschen Oper (hiller,

schweitzer, holzbauer, mozart) . . . . . . . . . 107

Inhalt6

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Die Oper in Italien, Frankreich und Deutschlandin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . 113

Vom Dramma per musica zum Melodramma serio:Die Entwicklung der Scena ed aria in deritalienischen Oper (mayr, paer, rossini) . . . . . . 113

Die Belcanto-Oper des Romantismo(bellini, donizetti, mercadante) . . . . . . . . . 119

Melodramma semiserio und Melodramma giocoso(rossini, donizetti, ricci) . . . . . . . . . . . . . . 124

Die Opera comique im Wandel (cherubini, paer,

mehul, isouard, boieldieu, herold, auber,

adam) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Die Grand opera und die historische Oper(auber, rossini, spontini, halevy, meyerbeer,

berlioz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Singspiel, deutsche Große Oper und Romantik(beethoven, lortzing, nicolai,

e. t. a. hoffmann, weber, marschner, wagner) . . 139

Von der Oper zum Musikdrama. Wandlungen derGattung in der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Die Opern Verdis und die Entwicklung in Italien 150

Das Musikdrama Richard Wagners . . . . . . . . . . 157

Drame lyrique und Opera bouffe in Frankreich(gounod, bizet, massenet, offenbach) . . . . . . 166

Wagnerisme in der französischen Oper(reyer, chabrier, d’indy, chausson) . . . . . . . . 172

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Die Oper im osteuropäischen Raum und dasProblem der Nationaloper(dargomyschskij, mussorgskij,

rimskij-korsakow, tschaikowskij, erkel,

moniuszkow, smetana, dvorak) . . . . . . . . . . 177

Tendenzen der Opernkomposition in der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 182

Die veristische Oper der Jahrhundertwende und derFuturismus (mascagni, leoncavallo, puccini,

charpentier, janacek, d’albert, malipiero,

respighi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Die französische Oper unter dem Zeichen desSymbolismus (debussy, dukas) . . . . . . . . . . . . 191

Die deutschsprachige Oper nach Wagner:Anlehnung und Kritik (pfitzner, humperdinck,

strauss, schreker, zemlinsky, hindemith) . . . . 196

Die expressionistische Oper der Wiener Schule(schönberg, berg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Die klassizistische Moderne: Neue Sachlichkeit,Neoklassizismus und Zeitoper(busoni, hindemith, krenek, weill, strauss,

strawinsky, brand, schönberg, milhaud,

honegger, prokofjew) . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Musiktheater nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . 224

Tradition und Avantgarde in den ersten beidenJahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg(egk, orff, hartmann, liebermann, einem,

fortner, henze, britten, zimmermann, nono) 224

Inhalt8

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Experimentelle Formen des Musiktheaters(cage, blacher, schnebel, kagel, maderna,

berio, feldman, bussotti) . . . . . . . . . . . . . . 233

Tendenzen der 1970er und 1980er Jahre:Neue Einfachheit, Neue Romantik,Reflexion der Tradition, Minimal Music(rihm, trojahn, bose, müller-siemens,

penderecki, ligeti, reimann, kagel, berio,

cage, glass, reich, adams) . . . . . . . . . . . . . . 239

Die Oper um die Jahrtausendwende(hölszky, lachenmann, carter, schnebel,

neuwirth, sciarrino, reimann, hosokawa,

stockhausen, rihm, matthus, glass,

eötvös, schreier, dove, ades, heggie, dusapin,

widmann, glanert u. a. ) . . . . . . . . . . . . . . . 251

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . 276

Register der Werke, Personen und Sachbegriffe . . 278

Zur Autorin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Inhalt 9

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Einleitung

Die Oper ist heute außerordentlich aktuell. Bedenkt man,dass die musikalische Avantgarde die Gattung nach demZweiten Weltkrieg aufs heftigste bekämpft hatte, so ist derOpernboom seit den 1980er Jahren geradezu erstaunlich.Nicht nur eine gemäßigt moderne Richtung wartet mitneuen Bühnenwerken auf, sondern gerade die Avantgardehat sich der Gattung verschrieben. Sowohl die älteren Kom-ponistengenerationen der 1950er und 60er Jahre als auch diejüngeren sind an dieser Entwicklung beteiligt: In den letz-ten 30 Jahren ist eine immense Zahl an Uraufführungen zuverzeichnen. Hinzu kommt eine laufende Erweiterung desOpernrepertoires durch Wiederentdeckungen aus der Ver-gangenheit. Wenig gespielte Werke bekannter Komponistenwerden wieder aufgeführt, und Opern, die zu ihrer Zeit be-rühmt waren, jedoch der Vergessenheit anheim fielen, wer-den neu belebt.

Gewachsen ist ebenso das Interesse an den geschicht-lichen Hintergründen der Oper und an einem Überblickauch über die neuesten Entwicklungen der Gattung bis indie Gegenwart. Beides bietet vorliegendes Buch, das demOpernliebhaber, dem musikinteressierten Laien und demMusikstudenten einen Einblick in die Geschichte der Gat-tung vermittelt. Dabei werden nicht nur die wichtigsten Er-eignisse und Stationen der Operngeschichte behandelt, son-dern auch Aspekte, die für das ›Gesamtkunstwerk‹ Opereine bedeutende Rolle spielen. So werden Zusammenhängemit politischen und kulturellen Ereignissen aufgezeigt, dieUmstände der Produktion eines Werks, das Bühnenbildund die Inszenierung angesprochen. Die Wiederentdeckungunbekannten älteren Repertoires sowie der Opernboomstehen in engstem Zusammenhang mit operngeschichtlichen

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Forschungen, die in den letzten Jahrzehnten viele neue Er-kenntnisse brachten. Es ist an der Zeit, diese in einer über-greifenden Darstellung einem breiteren Publikum zugäng-lich zu machen.

Vorliegende Operngeschichte orientiert sich nicht inerster Linie an Komponisten; vielmehr werden Grundzügeder Entwicklung der Gattung aufgezeigt, die im Blick aufdie jeweilige Zeit nach verschiedenen Kriterien dargestelltwerden. Im 17. und 18. Jahrhundert und in der ersten Hälftedes 19. Jahrhunderts sind die nationalen Operntypen unddie sie prägenden Gattungen wesentlich. Ab der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts entstanden einerseits neue Gat-tungen, andererseits vollzog sich eine Internationalisierungder Oper, die sich bereits seit der zweiten Hälfte des18. Jahrhunderts angekündigt hatte. Die Entwicklung im20. Jahrhundert ist nicht mehr auf der Basis von Gattungs-typen zu beschreiben. Verschiedene Ausprägungen derOper stehen jedoch in engem Zusammenhang zu gleich-zeitigen Strömungen in anderen Künsten, und in der zwei-ten Jahrhunderhälfte richtet sich das Musiktheater – zumin-dest das progressive – nach den neuesten Richtungen derAvantgarde; um und nach 2000 sind im Zuge der Postmo-derne verschiedenste Konzeptionen möglich. Die übergrei-fenden Kapitel sind somit nach Zeitabschnitten, die Unter-kapitel nach Gattungstypen, Produktionsumständen, be-deutenden Ereignissen der Operngeschichte, musikalischenRichtungen, kulturellen Strömungen usw. ausgerichtet. Dieeinzelnen Stationen der Operngeschichte werden durch dieBehandlung von exemplarischen Werken aus der Opernge-schichte anschaulich gemacht. Ein Register der Werke, Per-sonen und Sachbegriffe erlaubt einen direkten Zugriff aufgewünschte Informationen.

Die durchgesehene und aktualisierte Neuauflage ist imletzten Kapitel um Opernkompositionen der ersten 20Jahre des neuen Jahrtausends erweitert.

Einleitung12

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Die italienische Operbis zur Mitte des 18. Jahrhunderts

Musik und Theatervor der Entstehung der Oper

Die Oper kam um 1600 und somit relativ spät in der Mu-sikgeschichte auf: die abendländische Musik hatte in den800 Jahren seit ihrer schriftlichen Fixierung bereits hoheskünstlerisches Niveau erreicht, als die Gattung Oper erstgeschaffen wurde. Zwar gab es schon zuvor Formen desMusiktheaters, die mit der Oper jedoch nicht vergleichbarwaren: seit dem Mittelalter liturgische Dramen, im 15. und16. Jahrhundert Mysterienspiele, Rappresentazioni sacre,Einlagen in Schauspielen sowie Intermedien zwischen denAkten eines Schauspiels. Wenn diese Formen die Entste-hung der eigentlichen Oper um 1600 auch nicht direkt be-einflussten, so waren doch einige durch ihr Weiterbestehenfür die neue Gattung im Laufe des 17. Jahrhunderts von Be-deutung. Deshalb soll der eigentlichen Operngeschichte einkurzer Überblick über vorangehende Erscheinungen desMusiktheaters vorausgeschickt werden.

Liturgische Dramen entwickelten sich im 10. Jahrhundertinnerhalb der Liturgie: zunächst die Auferstehungsge-schichte, dann die Weihnachtsgeschichte und anschließenddie um diese Ereignisse gruppierten Geschichten wurdenvon Priestern und Mönchen dargestellt anstatt nur erzählt.Die Texte wurden, wie viele Teile des Gottesdienstes, ge-sungen. Das liturgische Drama entwickelte sich allmählichzum eigenständigen Schauspiel (13. und 14. Jahrhundert).Der Aufführungsort verlagerte sich zunächst vor das Kir-chenportal und dann auf den Kirchplatz, die lateinische

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Sprache wurde durch Volkssprache ersetzt, und die Organi-sation wurde nicht mehr von Klerikern, sondern von Bür-gern, Patriziern und Zünften getragen. So entstand im 15.und 16. Jahrhundert das Mysterienspiel. Die Aufführungenbekamen oft den Charakter großer Volksfeste mit Umzü-gen, die viele Tage in Anspruch nahmen: das Mysterienspielüber die Taten der Apostel (Bourges 1536) beispielsweisedauerte 40 Tage. Mysterienspiele wurden meist auf einergroßen Bühne im Freien aufgeführt, auf der alle Szenengleichzeitig an verschiedenen Stellen aufgebaut waren (Si-multanbühne). Von fliegenden Engeln über Feuer speiendeDrachen bis zu Erdbeben wurde alles vor den Augen desZuschauers dargeboten. Die Darstellung naiver Frömmig-keit in früheren liturgischen Dramen wich Episoden mitkomischen Einschüben, heidnische Götter wurden einge-führt und sogar Kritik an der Kirche geübt. Der Text wurdenicht mehr gesungen, sondern rezitiert, und die Musik aufEinlagen reduziert, d. h. sie erklang nur an bestimmtenStellen, an der sie eigens motiviert war: so wurden Hymnenoder Teile der Liturgie gesungen, instrumentale Stückewurden zu Tänzen gespielt, und instrumentale Signale er-tönten beim Auftritt wichtiger Personen. In Italien, vor al-lem in Florenz, entstand die komplexere Rappresentazionesacra.

Für den weltlichen Bereich ist aus dem Mittelalter nur einBeispiel bekannt: das Liederspiel Le jeu de Robin et de Ma-rion (Neapel 1283/84) von Adam de la Halle besteht ausLiedern und einigen instrumentalen Stücken, die durch ei-nen Dialog verbunden wurden. Ansonsten erlangte Musikzu weltlichen Schauspielen erst gegen Ende des 15. Jahrhun-derts Bedeutung, als das antike Drama in Italien wieder-belebt wurde. Bei den Aufführungen zunächst lateinischer,dann ins Italienische übersetzter Dramen erklang Musik imProlog und am Ende der Akte bzw. zwischen den Akten. Inder Tragödie wurden vor allem die an den Aktschlüssen ste-henden Chöre vertont.

Italienische Oper bis zur Mitte des 18. Jh.s14

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In der Komödie entstanden die Intermedien. Dies sindMusikeinlagen zwischen den Akten, die oft in der Formkleiner Aufzüge oder Szenen gehalten waren. Personen undStoff der Intermedien gehörten nicht zur eigentlichenHandlung: den Bürgern der Komödie traten Fabelwesenund Hirten in den Intermedien gegenüber. Der Stoff konntejedoch in übergeordneter Weise auf die Komödie bezogensein, indem beispielsweise deren Handlung kommentiertwurde.

Die Intermedien blühten im 16. Jahrhundert vor allem inFlorenz, wo sie zur Hauptattraktion höfischer Feste wur-den. Zunächst standen nur einzelne Gesänge zwischen denAkten; dann entwickelten die Intermedien eine szenischeund musikalische Prachtentfaltung, die die Schauspiele, indie sie eingeschoben wurden, bald in den Hintergrunddrängte. Die Musik war umso kunstvoller, je festlicher derAnlass war. Die sechs Intermedien zu Girolamo Bargaglisberühmter Komödie La pellegrina (1564) bildeten einenHöhepunkt; sie wurden anlässlich der Hochzeit des Groß-herzogs Ferdinand de’ Medici in Florenz 1589 gespielt. Be-rühmte Komponisten – darunter Luca Marenzio, Emiliode’ Cavalieri, Cristofano Malvezzi und Jacopo Peri – schrie-ben die Musik: kunstvolle fünf- und sechsstimmige Madri-gale, mehrchörige Chornummern, Sologesänge und Instru-mentalstücke. Die Intermedien zu Pellegrina hatten die Mu-sik selbst zum Thema und standen somit in keinem engerenZusammenhang zur Komödie; sie wurden denn auch einigeTage später als Intermedien zu einer anderen Komödie ge-geben.

Standen die Intermedien der Komödie außerhalb derHandlung, so wurde hingegen die Musik in einer anderenGattung, in der Pastorale, in die Handlung selbst integriert.Die Pastorale wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-derts zum beliebtesten dramatischen Genre vor allem inFerrara. Die Thematisierung des Hirtenlebens in der Naturund die Inszenierung von Fabelwesen hat sie mit den Stof-

Vor der Entstehung der Oper 15

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Im letzten der prachtvollen Intermedien zu Girolamo BargaglisLa pellegrina, die anlässlich der Hochzeit Ferdinand de’ Medicis1589 in Florenz aufgeführt wurden, wird das Hinabsteigen vonRhythmus und Harmonie thematisiert (Stich von Epifanio

d’Alfiano).

fen der Intermedien gemeinsam. Die erste Pastorale, Il Sa-crificio d’Abramo (Ferrara 1554) von Agostino de’ Beccari,verwendet Musik unter anderem an zentraler Stelle, nämlichin der Opferszene. Zu den berühmtesten Pastoralen derZeit – Torquato Tassos Aminta (Ferrara 1573) und Gio-vanni Battista Guarinis Pastor fido (Crema 1596) – sind dieursprünglichen musikalischen Einlagen leider nicht erhaltengeblieben. Ebenso ist die Musik zu einer frühen, sehr kur-zen Pastorale verloren, die insofern interessant ist, als sieden gleichen Stoff wie die ersten Opern behandelt: AngeloPolizianos La favola d’Orfeo (Mantua, wahrsch. 1480) um-fasst 406 Verse, von denen über die Hälfte gesungen wurde.

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Es handelte sich um einfache einstimmige Lieder, die derSänger – nicht selten der Textdichter selbst – entweder im-provisierte oder für eine bestimmte Gelegenheit entwarf,wozu er sich selbst auf einem Saiteninstrument begleitete.

Zu erwähnen ist schließlich noch die Stegreifkomödie(Commedia dell’arte) in Italien, die im ganzen 16. Jahrhun-dert von volkstümlichen Vokalsätzen durchsetzt war. AmEnde des 16. Jahrhunderts entstand in Oberitalien zudemnoch eine weitere Theatergattung mit Musik komischenGenres: die Madrigalkomödie, die aus einer Folge vonMadrigalen besteht. Bedeutendstes Beispiel ist Orazio Vec-chis Madrigalkomödie L’Amfiparnaso (Modena 1594), dieFiguren der Commedia dell’arte verwendet.

Die ersten Opern der Musikgeschichte

(peri, caccini, monteverdi)

Das Verblüffende an der Entstehung der Oper ist, dass siesich gerade nicht aus den oben aufgezeigten Formen derTheatermusik entwickelte. In den Intermedien diente dieMusik der Prachtentfaltung, die den Sinnen Vergnügen be-reiten sollte. Der Gelehrtenkreis der Florentiner Camerata,aus dem die ersten Opern hervorgingen, beabsichtigtejedoch etwas anderes: das antike Drama, das nach dama-liger Ansicht gesungen vorgetragen wurde, sollte in seinerursprünglichen Art wiederhergestellt werden. Die erstenOpern – Jacopo Peris Dafne (1598) sowie die beiden Euri-dice-Opern (1600 und 1602) Peris und Giulio Caccinis –waren somit keine Werke, in denen sich die Musik voll ent-faltete, sondern – wie Peri im Vorwort der Partitur seinerEuridice (1600) schrieb – ein »Mittelding« zwischen Spre-chen und Singen (recitar cantando).

Die Florentiner Camerata, die sich in den 70er und 80erJahren im Haus des Grafen Giovanni de’ Bardi und in den

Die ersten Opern der Musikgeschichte 17

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90er Jahren bei Jacopo Corsi traf, bestand aus Theoretikern,Literaten und Musikern (einige waren bereits an den be-rühmten Intermedien von 1589 beteiligt). Girolamo Meiund sein Schüler Vincenzo Galilei schufen durch ihre Theo-rien zur antiken Musik die Voraussetzung für die Entste-hung der neuen Gattung. Ottavio Rinuccini schrieb die Li-bretti zu den ersten Opern. Emilio de’ Cavalieri (dessenMusik zu seinen frühen Opern nicht erhalten ist), Peri undCaccini sowie Corsi (der die Oper Dafne begonnen hatte)waren die ersten Opernkomponisten. In diesem Kreiswurde die neue Art der Musik entworfen, die der antikenArt des Vortrags entsprechen sollte. Das recitar cantando,auch Monodie, Rezitativ oder Stile rappresentativo genannt,war ein instrumental begleiteter Sologesang und unter-schied sich grundlegend von der vorherrschenden mehr-stimmigen Kompositionsweise. Notiert sind lang gehalteneBassnoten, über denen die Harmonien, eventuell nach bei-gefügter Bezifferung, ergänzt wurden. Dieser so genannteBasso continuo wurde von einem oder mehreren Tasten-bzw. Akkordinstrumenten sowie einem Bass-Streichinstru-ment gespielt. Die darüberliegende Singstimme ist in An-passung an die Sprache rhythmisch und melodisch ziemlichfrei komponiert, d. h. ohne einem festen Metrum zu folgenund ohne Beachtung der herkömmlichen Kontrapunktre-geln. So konnten auch Dissonanzen zwischen Bass undSingstimme entstehen, die in herkömmlicher Kompo-sitionsweise verboten waren. Rhythmus, Tempo und Melo-dik sollten die Affekte nachzeichnen, die im Text des Dich-ters angelegt waren. Die Musik sollte somit ganz dem Wortdienen. Peri und Caccini haben die neue Kompositions-weise nicht nur in ihren Opern umgesetzt, sondern imAnschluss an Galileis Ausführungen auch theoretisch be-gründet.

Im Sinne der Wiederbelebung der Aufführungsweise derantiken Tragödie waren die ersten Opern – im Unterschiedzu vorangehenden Formen des Musiktheaters – vollständig

Italienische Oper bis zur Mitte des 18. Jh.s18

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in Musik gesetzte Dramen. Deren Sujets knüpften jedochgerade nicht an die vornehmste der antiken Gattungen – dieTragödie –, sondern an die Pastorale an, die bereits zuvorMusik an zentralen Stellen der Handlung beinhaltete. Derpastorale Stoff eignete sich somit schon von der Traditiondes 16. Jahrhunderts her besser zur Vertonung als die Tra-gödie mit ihren komplexen Dialogen. Polizianos La favolad’Orfeo von 1480 hat sicherlich ebenfalls zur Stoffwahl derersten Opern beigetragen, die überwiegend Orfeo- bzw.Euridice-Opern sind. Deren Handlung, die Befreiung derdurch einen Schlangenbiss getöteten Euridice durch Orfeo,erfuhr jedoch eine bezeichnende Änderung: statt des tragi-schen Schlusses bei Ovid (dessen Metamorphosen der Stoffentlehnt ist) nimmt Rinuccinis Euridice ein glücklichesEnde (lieto fine). Die heitere Welt der Pastorale, die durchdas naturhafte Hirtenmilieu geprägt war, sollte nicht ge-trübt werden.

Peris Komposition richtet sich streng nach den theoreti-schen Vorgaben des recitar cantando. Nur dort, wo auch imSchauspiel musikalische Einlagen stehen konnten, wird dieMonodie aufgegeben: die Chöre jeweils am Ende der sechsSzenen der Euridice sind mehrstimmig vertont und derProlog ist strophisch angelegt (d. h. jede Strophe des Texteshat dieselbe Musik). Das Konkurrenzwerk Caccinis aufdasselbe Libretto löst sich jedoch bereits vom reinenSprechgesang, indem zahlreiche Koloraturen an dramatischhervorgehobenen Stellen angebracht sind.

Betrachtet man die Tatsache, dass der gelehrte Kreis derCamerata Fiorentina eigentlich weniger eine neue Gattungschaffen wollte, als vielmehr eine alte erneuern, so ist dasResultat erstaunlich. Denn aus der rezitativisch vertontenPastorale wurde im Lauf der Jahrhunderte eine musikalischaufs reichste ausgestattete Gattung. Die Musik hat sich dennauch sehr schnell aus der dem Text dienenden Rolle befreit.Bezeichnend ist, dass gerade der Orpheus-Stoff zu Beginngleich mit drei Werken vertreten ist: Orpheus ist der Proto-

Die ersten Opern der Musikgeschichte 19

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typ des Sängers, der mit der Macht seines Gesangs sogar indie Unterwelt vorzudringen vermag. Diese Rolle wird je-doch erst in Claudio Monteverdis L’Orfeo (1607) vollkom-men deutlich, dessen Libretto Alessandro Striggio d. J. ver-fasst hat. Nicht nur, dass in der Titulierung der Sänger inden Vordergrund gerückt wird und der Prolog nicht vonder Tragedia (der Tragödie) wie bei Peri und Caccini, son-dern von der Musica gesungen wird. Vielmehr ist die musi-kalische Gestaltung viel reicher als bei den vorab genanntenOpern. Insbesondere Orfeos zentraler Gesang Possentespirto / Mächtiger Geist, mit dem er Caronte einschläfertund somit in die Unterwelt gelangt, ist nicht rezitativischvertont, sondern steht in der Tradition der virtuosen Madri-galistik. Possente spirito ist das berühmteste Stück der Oper:Orfeo bietet mit virtuosen Koloraturen ein Höchstmaß anmusikalischer Darstellungskraft auf, um Caronte zu über-zeugen. Die musikalischere Konzeption zeigt sich jedochauch an einer Vielzahl anderer Gestaltungsweisen. Nebendie rezitativischen Partien treten madrigalische Sätze undInstrumentalmusik verschiedenster Art; die Oper beginntmit einem Instrumentalstück, einer Toccata, die bereits eineArt Ouvertüre ist (die früheren Opern begannen direkt mitdem Prolog). Der erste Akt zeigt besonders deutlich dieauch den weiteren Akten inhärente Anlage zu symmetri-scher Gliederung: um Orfeos Gesang Rosa del ciel / Rosedes Himmels gruppieren sich abwechselnd Rezitative unddie Chöre. Vielfältiger als in den vorhergehenden Orpheus-Opern ist auch die Instrumentation. Flöten, Streicher undZupfinstrumente repräsentieren die Hirtenwelt, Zinken,Posaunen und Regal die Unterwelt. Chitarrone, Laute,Harfe, Cembalo, Orgel und Regal werden zum Teil gleich-zeitig als Continuogruppe eingesetzt.

Im Unterschied zur Euridice Rinuccinis hat Striggio dastragische Ende beibehalten: Orfeo, der nach dem VerlustEuridices allen Frauen abschwört, flieht vor den Bacchan-tinnen, die ein wildes Fest feiern. Monteverdi schafft jedoch

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einen Kompromiss. Orfeo wird von seinem Leid befreit, in-dem Apollo ihn in den Himmel erhebt, wo er in der Sonneund den Sternen das Ebenbild Euridices erblickt. Auchdieser Schluss erscheint als Apotheose der Musik, indemApollo, Gott der Künste, den Prototyp des Sängers, Orfeo,verklärt.

An diesem Punkt – und weniger mit der bisherigen Ab-sicht, die antike Tragödie wieder zu beleben – beginnt erstrichtig die Geschichte der Oper: die Musik nimmt die fürdie Gattung konstituierende Rolle ein. Dem folgt auch diezweite Vertonung von Rinuccinis Dafne durch Marco daGagliano anlässlich der Hochzeit des Erbprinzen Francescomit Margherita von Savoyen 1608. In der erweiterten Li-brettofassung wird der Chor in die Handlung einbezogenund dessen Text in mehrstimmigen Madrigalen vertont. Be-merkenswert ist außerdem, dass das Vorwort Anmerkungenzur Aufführungspraxis beinhaltet, die als erste ausführ-lichere Regieanweisungen in der Operngeschichte gelten.Für eben diese Hochzeit hat auch Monteverdi seine OperL’Arianna komponiert, von der nur das berühmte Lamentod’Arianna erhalten blieb, das Monteverdi später als fünf-stimmiges Madrigal (1614) und als Pianto della Madonna(›Marienklage‹, 1640/41) bearbeitet hat.

Adels- und Fürstenoper in Romim 17. Jahrhundert

(landi, mazzocchi, rossi)

Die Oper entstand nicht am Hofe und somit zunächst nichtals eine die höfische Macht repräsentierende Kunst, sondernim Gelehrtenzirkel unter wissenschaftlichen Absichten. Siewurde jedoch bald in den höfischen Bereich hineingetragen:Peris und Caccinis erste Opern wurden zu Hochzeiten oderhöfischen Festen aufgeführt ebenso wie später Monteverdis

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L’Orfeo und L’Arianna sowie Gaglianos Dafne. Aus einemBriefwechsel wissen wir, wie intensiv sich der Kronprinzvon Mantua, Francesco Gonzaga, um das Zustandekom-men der Uraufführung von Monteverdis L’Orfeo bemühthat: Er bat seinen Bruder Ferdinand, der Beziehungen zumMedici-Hof hatte, zu Beginn des Jahres 1607 um gute Mu-siker aus Florenz. Ferdinando empfahl einen Schüler vonCaccini, den Kastraten Giovanni Gualberto Magli, der zuBeginn des Karnevals in Mantua sein sollte. Magli traf je-doch verspätet ein und hatte zum Ärgernis von Francesconicht einmal seine Rollen auswendig gelernt. Die Auf-führung kam dennoch wie geplant am 24. Februar 1607 inder Karnevalszeit zustande, da Magli sich sein Repertoireschnell aneignete. Francesco berichtete am 1. März seinemBruder vom Erfolg der Oper, äußerte seine Zufriedenheitüber den Sänger und bat gleichzeitig um eine Verlängerungdes Aufenthaltes von Magli zu einer weiteren Aufführungdes L’Orfeo.

Außer durch dieses herausragende Ereignis von Monte-verdis L’Orfeo sowie die Opernaufführungen für die Hoch-zeitsfeierlichkeiten des darauf folgenden Jahrs hat Mantuakeine Rolle für die Entwicklung der Oper gespielt. DasGleiche gilt für Florenz, dessen Bedeutung für die Opern-geschichte im Wesentlichen auf die Entstehung der Gattungund einige wenige Werke in deren Nachfolge – Medoro(1619) von Gagliano, La liberazione di Ruggiero (1625) vonCaccinis Tochter Francesca, La Flora von Gagliano undPeri (1628) – sowie einige komische Opern in der zweitenJahrhunderthälfte beschränkt blieb. Hauptzentrum derOper wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Rom.Bereits 1600 – also im gleichen Jahr wie Peris Euridice –wurde dort La rappresentazione di anima e di corpo / DasSpiel von Seele und Leib (1600) von Cavalieri aufgeführt.Das Werk steht in der Tradition der Rappresentatione sacra;die herkömmlicherweise gesprochenen Partien sind jedochrezitativisch vertont, und so ist wie in der Florentiner Oper

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das ganze Schauspiel in Musik gesetzt. Im Unterschied zurrezitativisch geprägten Florentiner Oper dominieren jedochmehrstimmige Ensemblesätze und Chöre, die den Ablaufsehr abwechslungsreich gestalten. Die von Cavalieri vorge-sehene szenische Aufführung wie auch seine Erläuterungenzur dramaturgischen Gestaltung im Vorwort des Partitur-drucks erklären das Werk als Oper und weniger – wie im-mer angenommen – als frühes Oratorium aufgrund seinesmoralisch-religiösen Themas und seiner Entstehung imUmfeld der Congregazione dell’Oratorio (Bruderschaft) Fi-lippo Neris, der auch der Textdichter Agostino Manni ange-hörte. In den Räumen der Bruderschaft wurde das Werkauch aufgeführt. Thema der Rappresentatione di anima e dicorpo ist die Auseinandersetzung der Tugend mit dem Las-ter, die auf mannigfache Weise ausgetragen wird. Der Textsteht in der Nachfolge der im Spätmittelalter sehr beliebtenStreit-Dialoge, die letztendlich auf die Fabel von Herkulesam Scheideweg zurückgehen, in der sich Herkules zwischenTugend und Wollust entscheiden muss.

Das Werk hat in zweierlei Hinsicht die weitere Entwick-lung der römischen Oper bestimmt. Zum einen entstandenin der Folgezeit im päpstlichen Rom eine ganze Reihe mo-ralisierender Opern, entweder in allegorischer Darstellungauf der Basis der antiken Mythologie wie Agostino Agazza-ris Eumelio (Rom 1606) oder mit religiöser Thematik wieStefano Landis Il Sant’ Alessio / Der heilige Alexius (1632).Zum anderen wurde die im Unterschied zur FlorentinerOper abwechslungsreichere Gestaltung und die zuneh-mende Bedeutung der Chöre leitgebend für den römischenOperntypus. Als Domenico Mazzocchi am Schluss des Par-titurdrucks seiner Oper La catena d’Adone / Die Kette desAdonis (Rom 1626) die »Langeweile des Rezitativs« kriti-sierte, war der Wandel zur Abwechslung längst vollzogen.Die rezitativische Gestaltung wurde beweglicher, das recitarcantando mit ariosen, d. h. mit melodiöseren Einschübendurchsetzt. Chöre waren nicht auf die Aktschlüsse be-

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schränkt wie in der Florentiner Oper, sondern wurden auchinnerhalb der Akte eingesetzt. Die Chöre wurden musika-lisch reicher, d. h. sie wurden im polyphonen Madrigalstilgestaltet und nahmen an Umfang zu. Sologesänge und En-semblesätze (Duos, Trios, Quartette) kamen zunehmendvor. Ausstattung und Bühneneffekte spielten eine immergrößere Rolle.

Die genannten Merkmale prägen erstmals Stefano LandisLa morte d’Orfeo / Der Tod des Orpheus (Venedig 1619).Thematisiert wird hier nicht die Euridice-Handlung, son-dern deren Fortsetzung: Orfeo, der den Tod Euridices be-klagt und allen Frauen abschwört, wird auf Befehl Baccosvon dessen Begleiterinnen, den rasenden Mänaden, getötet,weil er sich von deren Verführungskünsten nicht beein-drucken lässt. Die rezitativische Gestaltung wird den sehrgegensätzlichen Ausdrucksebenen – von pastoraler Stim-mung zum Wüten der Mänaden – gerecht. Die umfangrei-chen, im kunstvoll madrigalischen Stil gehaltenen Chöreprägen nicht nur die Aktschlüsse, sondern fast den ganzenletzten Akt. Die Oper hat – wenn auch wenige – geschlos-sene Sologesänge wie die koloraturenreiche StrophenarieOrfeos am Beginn des zweiten Akts und Carontes Arie imfünften Akt.

Zwischen La morte d’Orfeo und Landis zweiter berühm-ter Oper Sant’ Alessio sind drei Werke von Bedeutung: Fi-lippo Vitalis L’Aretusa (Rom 1620), in der das Rezitativdurch Duos aufgelockert wird; Giacinto Cornacchiolis LaDiana schernita / Die verspottete Diana (Rom 1629), dieweitgehend dem rezitativischen Stil verhaftet bleibt und diebereits erwähnte Oper La catena d’Adonis von Mazzocchi,auf deren ariose Einschübe Mazzocchi eigens hingewiesenhat.

Träger der römischen Oper waren adlige Familien. Seitden 1630er Jahren spielte die Familie der Barberini, ausder Papst Urban VIII. hervorging, die entscheidende Rolle.Unter ihrer Schutzherrschaft entwickelte sich die Oper zu

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Der Palazzo Barberini in Rom war eines der bedeutendstenBauwerke Lorenzo Berninis. Das angebaute Theater (linkshinten) tritt gegenüber dem kolossalen Palast eher zurück, bot

jedoch Platz für 3000 Besucher.

voller Pracht. Der berühmte Baumeister Lorenzo Bernini,von dem auch das Opernhaus der Barberinis stammt, schufSzenenbilder und Maschinerien. Librettist war KardinalGiulio Rospigliosi, ein Freund der Barberini-Familie, spä-terer Papst Clemens IX. Die Kardinäle Antonio und Fran-ceso Barberini ließen in ihrem Palast ein großes Theater er-bauen, das über dreitausend Besuchern Platz bot. Zwischen1642 und 1653 wurden hier sieben Opern aufgeführt.Durch die enge Verbindung zur Kirche ist es nicht verwun-derlich, dass das Barberini-Theater mit einer geistlichenOper eröffnet wurde: Landis Il Sant’ Alessio (1632) geht aufdas Leben des Heiligen Alexius im fünften Jahrhundert zu-rück, der nach der Hochzeit seine Familie verlässt, um inAskese zu leben und Gott zu dienen. Heiligenlegenden sol-

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