Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt BERUFLICHE ... · Referat Grundsatzfragen der Aus- und...

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Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. DOKUMENTATION Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt BERUFLICHE INTEGRATION VON MIGRANTEN UND MIGRANTINNEN FÖRDERN INFORMATIONEN – ERFAHRUNGEN – KONZEPTE Düsseldorf, 21. November 2006; Netzwerktreffen Industriebetriebe

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Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.

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ONSchriftenreihe Migration und Arbeitswelt

BERUFLICHE INTEGRATION VON MIGRANTEN UND MIGRANTINNEN FÖRDERN – INFORMATIONEN – ERFAHRUNGEN – KONZEPTEDüsseldorf, 21. November 2006; Netzwerktreffen Industriebetriebe

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– Hilfestellung für Migrantinnen und Migranten als gewerkschaftliche Aufgabe –Seit mehr als 50 Jahren zählen Migrantinnen und Migranten in Deutschland zum festen Bestandteil der Arbeitswelt. Gewerkschafter haben die Neuan-kömmlinge von Anfang an als Kollegen betrachtet, denen gleicher Lohn für gleiche Arbeit zusteht. Damals gab es noch eine große Zahl Arbeitsplätze für gering Qualifizierte. Inzwischen sind immer weniger solcher Stellen vorhanden. Wer nicht die notwendige Ausbildung für einen Beruf vorweisen kann, wird es künftig schwer haben, Arbeit zu fin-den. In dieser Situation kommt es darauf an, Men-schen mit Migrationshintergrund stärker als bisher einzubeziehen in die berufliche Aus- und Weiterbil-dung, sei es im Betrieb oder bei den Angeboten Dritter. So muss es möglich sein, dass auch Er-wachsene eine zweite Chance erhalten, um einen qualifizierten Berufsabschluss erlangen zu können: um so ihre Situation in den Betrieben und auf dem

Arbeitsmarkt zu verbessern. Deshalb liegt die beson-dere Aufgabe des Beratungsnetzwerks Industriebe-triebe in der Schaffung neuer Bildungsangebote und im Werben für den Wert von Qualifizierung bei allen Beteiligten: Betrieben, Personalverantwort-lichen, Betriebs- und Personalräten sowie Migran-tenorganisationen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund jedenfalls stützt mit seinem DGB Bildungswerk das ehrgeizige Ziel, erwachsenen Menschen mit Migrationshintergrund eine berufliche Integration zu ermöglichen. Die hier dokumentierte Tagung der „Netzwerkkonferenz In-dustriebetriebe“ hat bereits Möglichkeiten aufge-zeigt, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Der vorliegen-den Publikation wünsche ich eine weite Verbrei-tung – als Arbeitsgrundlage für die nächsten Schritte auf dem Weg zur Gleichbehandlung von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Guntram Schneider, Vorsitzender DGB Bezirk Nordrhein-Westfalen

Gleichbehandlung ist das Ziel!

2 Pro Qualifizierung

Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

Vortag 4Industriebetriebe und ihre gesellschaftliche Verantwortung bei der beruflichen Integration von Migrantinnen und MigrantenBurkhard Gröschl, Leiter Führungssysteme und Development,Zentralabteilung Personal der Hochtief AG, Essen

Arbeits- und Fachkräftebedarf 5Arbeits- und Fachkräftebedarf der IndustriebetriebeChristiane Flüter-Hoffmann, Bildungsforscherin und Projektleiterin am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Wissenschaftsbereich „Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik“

Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund entdecken und nutzenDr. Hartmut Schröder, Geschäftsführer S&H Organisationsberatung GmbH

Fachkompetenz 7Anerkennungspraxis für informelle berufliche Kompetenzen und Erfahrungen verbessern, Zugangschancen zu Qualifizierungmöglichkeiten für An- und Ungelernte erhöhenSabine Mayer, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Referat Grundsatzfragen der Aus- und Weiterbildung

Externenprüfung – eine Chance zur Integration und beruflichen AnerkennungKathrin Mandt, Bereichsleiterin kaufmännische und gewerblich-technische Ausbildung und Prüfungen bei der Industrie- und Handelskammer Essen

Gute Beispiele aus der PraxisGabriele Tiemann, Projektleiterin Mentoringprojekt Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH

Interkulturelle Kompetenz 9Entwicklung und Implementierung von Qualifizierungsbedarfserhebungen im interkulturellen KontextProf. Dr. Bernd-Joachim Ertelt, Fachhochschule der Bundesagentur für Arbeit, Mannheim

Sprachkompetenz 10Vorwand oder unverzichtbare Voraussetzung: Sprachliche Anforderung der BetriebeUwe Schoendorff, Gruppenleiter Weiterbildung,Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Duisburg

Spezifischer Fachwortschatz und seine Bedeutung für die Handlungskompetenz im BerufMargarete Barasch, Goethe-Institut Düsseldorf, Sprachlehrerin, Produktentwicklung und Fachberatung

Qualitätsstandards für Angebote zur Vermittlung von berufsbezogenen SprachkenntnissenPetra Szablewski-Cavus, Passage gGmbH, Leiterin der Facharbeitsgruppe „Berufsbezogenes Deutsch“ im IQ-Netzwerk

Gute Beispiele aus der betrieblichen PraxisHeike Beyer, Personalleiterin Styria Federn GmbH

Projektportrait und Impressum 12

Gesamtmoderation:Barbara Siemes, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk

Pro Qualifizierung 3

Inhalt

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Natürlich: Industrieunterneh-men geht es zunächst um wirtschaftlichen Erfolg. Doch vor dem Hintergrund des

demografischen Wandels verbindet sich damit zunehmend eine Verant-wortung für die Mitarbeiter, wie Burkhard Gröschl von der Hochtief AG betonte. Er sieht den internatio-nal agierenden Baudienstleister bei Themen wie Migration und Chancen-gleichheit gefordert – auch, um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen.

Wie sehr sich der Essener Konzern global engagiert, zeigen die Zahlen: 41.000 Men-schen arbeiteten 2006 weltweit für Hochtief, davon über ein Viertel in Deutschland. „Wir machen mehr als 80 Prozent unseres Um-satzes im Ausland“, erläuterte Burkhard Gröschl, „Sie können sich daher vorstellen, dass in einem internationalen Unternehmen das Thema Migration ein sehr großes ist.“ Gesetze in den USA beispielsweise schrei-

ben dem Konzern sogar vor, bei Bauprojekten Subunternehmer unterschiedlicher ethni-scher Herkunft zu beauftragen. Für Deutschland wünscht sich der Leiter „Führungssysteme und Development“ aller-dings keine gesetzlichen Regeln. Er setzt vielmehr auf wachsende Einsicht: „Ich glau-be, dass es bei den Beteiligten ein Bewusst-sein für das Problem geben muss und somit auch ein gemeinsames Bewusstsein für die Problemlösung.“ Schriftliche Vereinbarun-

gen sind für ihn erst der zweite Schritt – sie müssen auf Überzeugungen basieren.

Gröschl wies auf die Leitlinien hin, die der Konzern 2005 neu entwickelt hat und die auch das Thema Migration berühren, vor allem im Hinblick auf Chancengleichheit und Qualifizierung. „Wir wissen, dass wir unsere Mitarbeiter für die anstehenden Aufgaben qualifizieren müssen, in einem stärkeren Maße, als das in der Vergangenheit der Fall war“, unterstrich er. Zur wirtschaft-lichen Verantwortung kommt seiner Ansicht nach mehr als früher die soziale Verantwor-tung für die Mitarbeiter hinzu. Gerade angesichts des Fachkräftemangels bewer-tete er Qualifizierung und Weiterbildung als wichtige Faktoren unternehmerischen Han-delns.

„Wir können jede Quelle an Arbeitskräften stärker nutzen“, hob Burkhard Gröschl her-vor, rätselte allerdings, wie etwa die Ziel-gruppe der Migranten über 25 Jahre in eine Ausbildung zu bringen sei. „Viele haben in dem Alter nun mal Familie und finanzielle Verpflichtungen, da reicht eine Ausbildungs-vergütung von 800 Euro nicht aus“, stellte er fest und forderte alle maßgeblichen Gruppen auf, Lösungen zu entwickeln. Denn Fachleute sind auch bei Hochtief gefragt – nach Gröschls Worten nicht nur Ingenieure und Poliere, sondern auch Maurer, Beton-bauer, Zimmerleute.

Auf keinen Fall dürfe man als Unternehmen den großen Anteil von Migrantinnen und Migranten an der Gesamtbevölkerung igno-rieren. „Ein globalisierter Konzern braucht eine internationale Belegschaft“, so der Ma-nager. Von daher sei es auch wichtig zu klären, wie im Ausland erworbene Qualifika-tionen einzuschätzen seien. „Diese Unsicher-heit macht es einem Unternehmen schwer zu beurteilen, wie eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eingesetzt werden kann."

4 Pro Qualifizierung

INDUSTRIEBETRIEBE UND IHRE GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG BEI DER BERUFLICHEN INTEGRATION VON MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN

Vortrag

Burkhard Gröschl, Leiter Führungssysteme und Development,Zentralabteilung Personal der Hochtief AG, Essen

01

„Wir wirtschaften nachhaltig und bekennen uns zu unserer Verantwor-

tung gegenüber der natürlichen Umwelt und der Gesellschaft.(...) Wir setzen uns für Chancengleichheit ein und lehnen Diskriminierung ab.“

Aus den Leitlinien der Hochtief AG

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Schrumpfende Bevölkerung, rückläufige Geburtenraten, ex-pandierender Dienstleistungs-sektor: drei Trends, die den

Industriebetrieben in den nächsten Jahren Kopfzerbrechen bereiten wer-den. Anhand mehrerer Studien ver-deutlichte Christiane Flüter-Hoffmann, welche Entwicklungen sich mit dem demografischen Wandel abzeichnen. Höchste Zeit, Barrieren für Arbeits-kräfte mit Migrationshintergrund ab-zubauen, deren Potenziale zu nutzen und Qualifizierungsangebote zu un-terbreiten, wie es Organisationsbe-rater Dr. Hartmut Schröder beschrieb.

Schröder hatte vor allem die Probleme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Blick, eine qualifizierte Berufsausbildung zu bekommen. Wer da keine Chance erhält, kann nur noch hoffen, als Ungelernter in die Arbeitswelt einsteigen zu können. Doch sol-che Jobs werden rar, wie Christiane Flüter-Hoffmann zeigte: „Der Trend geht ganz klar zu höher Qualifizierten, die Ungelernten und Angelernten sind die Verlierer am Ar-beitsmarkt.“ Mit einer Ausbildung allerdings könnten sie zu Gewinnern werden. Denn schon im Herbst 2005 beklagten 17 Prozent der deutschen Industrieunternehmen einen

Mangel an Fachkräften. Vor allem betroffen war die pharmazeutische Industrie, wo bereits 30 Prozent der Stellen nicht besetzt werden konnten – es fehlten geeignete Bewerber, fasste Frau Flüter-Hoffmann eine

Studie des Deutschen Industrie- und Han-delskammertags (DIHK) zusammen.Mit dem demografischen Wandel verschärft sich ihrer Auskunft nach die Situation wei-ter. „Schrumpfende Bevölkerung bedeutet automatisch auch insgesamt schrumpfende Erwerbsquoten“, berichtete die Bildungsfor-scherin vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), die darauf hinwies, dass der Rückgang in den nächsten Jahren vor allem in der Altersgruppe der Jüngeren stattfinden wird: „Im Jahr 2015 werden sich rund 60.000 Jugendliche weniger als heute um eine Berufsausbildung überhaupt bewer-ben.“Inzwischen sucht die Industrie nach Wegen, die sich abzeichnenden Probleme in den Griff zu bekommen. „Die meisten Unterneh-men wollen mit mehr Aus- und Weiterbildung reagieren“, informierte Christiane Flüter-Hoffmann, „aber auch flexiblere Arbeitszeiten sind ein ganz wichtiger Punkt.“ Eine Trend-wende sah sie bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, „dass gerade ihnen eine an-dere Wertschätzung entgegengebracht, dass ihr Erfahrungswissen, ihr Know-how ge-schätzt wird“.

Langsamer Prozess

Doch die Einstellung oder Weiterbeschäf-tigung älterer Menschen sei ein langer und langsamer Prozess, warnte sie vor zu großer Euphorie: „Denn das, was wir jahrzehnte-lang andersherum praktiziert haben, kann man nicht von heute auf morgen oder inner-halb eines Jahres umkehren.“ Besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) besteht ihrer Auskunft nach großer Nach-holbedarf. Während große Firmen im Rah-men ihrer langfristigen Planung bereits um-steuern, sieht Christiane Flüter-Hoffmann die KMU „für dieses Thema noch zu wenig sensibilisiert“. „Die kleinen und mittleren Be-triebe werden künftig auf dem Arbeitsmarkt

Pro Qualifizierung 5

Arbeits- und Fachkräftebedarf

ARBEITS- UND FACHKRÄFTEBEDARF DER INDUSTRIEBETRIEBEChristiane Flüter-Hoffmann, Bildungsforscherin und Projektleiterin im Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, Wissenschaftsbereich „Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik“

02POTENZIALE VON MENSCHEN MIT MIGRATIONS-HINTERGRUND ENTDECKEN UND NUTZENDr. Hartmut Schröder, Geschäftsführer S&H Organisationsberatung GmbH

„Man muss daran arbeiten, dass wesentlich mehr ihren

Schulabschluss schaffen und eine Berufsausbildung abschließen.“Christiane Flüter-Hoffmann

Die Arbeitslosenzahl unter Menschen mit

Migrationshintergrund ist doppelt so hoch wie

bei deutschen Arbeitnehmenden.

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vermutlich das Nachsehen gegenüber den Gro-ßen haben, wenn sie sich nicht schon heute darauf vorbereiten, die Beschäftigungsfä-higkeit ihrer alternden Belegschaft zu erhö-hen und zu verbessern“, so die Expertin. Hartmut Schröder knüpfte an das Thema an, indem er Modelle forderte, die auch Er-wachsene mit Migrationshintergrund ins Berufsleben einsteigen lassen, um so den Ar-beitskräftemangel zu beheben. Vor allem hielt er es für wichtig, ihnen Qualifzierungs-chancen zu eröffnen: „Es muss möglich sein, dass Erwachsene ebenfalls eine Ausbildung erhalten können. Und diese Ausbildung muss es möglich machen, danach auf der Fach-kräfteebene einzusteigen.“

Angst vor Fremdheit

Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung, die der Organisationsberater im Raum Emscher-Lippe durchgeführt hatte, war er auf doppelte Barrieren gestoßen – Hürden, die zunächst verhindern, dass Arbeitgeber Potenziale von Zuwanderern erkennen und nutzen können. „Es ist die Angst vor der Fremdheit, vor anderen Kulturen, die die Personalverantwortlichen dazu bringen, sehr viel skeptischer hinzuschauen“, zeigte Schröder auf. Darüber hinaus sprach er von strukturellen Hindernissen, die in der Art der Auswahlverfahren liegen. „Die haben gar nichts mit der Person an sich zu tun, son-dern da bereitet die Struktur Probleme.“Etwa bei schriftlichen Bewerbungen. „Vor 20 Jahren konnte man noch persönlich zum Chef gehen und per Handschlag ins Arbeitsverhältnis wechseln“, blickte Hartmut Schröder zurück, „heute sind Bewerbungen auf jeden Fall schriftlich einzureichen – ein Problem für Migranten, aber auch für unge-

übte Deutsche.“ Er unterstrich, dass die Scheu vor diesem Procedere relativ groß ist und verringert werden sollte.Nach Schröders Erfahrungen hängt die Ein-stellungspraxis einer Firma auch von ihrer Unternehmenskultur ab. Ein „global player“ gibt sich demnach weltoffener als ein Be-trieb, der hauptsächlich lokale Märkte be-dient. Während der eine schaut, welche Bereicherung Zuwanderer sein können, bli-cken die anderen eher auf deren Defizite.

Türöffner zu neuer Klientel

Dass aber mittlerweile einige Arbeitgeber abseits der Industrie erkennen, welche Mög-lichkeiten sich bieten, belegte der Experte mit Beispielen zur Ausbildung jugendlicher Migranten – Erkenntnisse, die sich auch auf erwachsene Zuwanderer übertragen lassen. So hatte ein Versicherungsmakler bewusst Jugendliche mit türkischem und russischem Hintergrund ausgebildet: weil solche Mitar-beiter den Weg zur jeweiligen Klientel öff-nen können, mit ihren sprachlichen Fähig-keiten und dem kulturellen Wissen. Ähnliches gilt für eine Friseurmeisterin, die Auszubil-dende aus verschiedenen Nationalitäten eingestellt hatte – weil sich beispielsweise die russlanddeutsche Kundin beim Haare-schneiden gern mal in ihrer vertrauten Spra-che unterhalten möchte.„Wir müssen dafür werben, dass ein neues Denken Einzug hält“, betonte Bildungsfor-scherin Christiane Flüter-Hoffmann. Denn allein die Tatsache, dass demnächst weniger Leute auf dem Arbeitsmarkt seien, beseitige nicht die Arbeitslosigkeit: „Es ist ganz klar ein Problem der Qualifikation.“

6 Pro Qualifizierung

„Viele Unternehmen sagen, sie benötigen vor allen Dingen Generalisten,

also Leute mit überfachlichen Kompetenzen und universalem Know-how.“ Christiane Flüter-Hoffmann

Arbeits- und Fachkräftebedarf

Erwerbspersonen-Potenzial: Bald in die Jahre gekommenSo viele Bürger, die entweder arbeiten, arbeitslos gemeldet sind oder arbeiten könnten, werden in diesen Altersgruppen sein (in 1000)

ab 2010: Prognose; Ursprungsdaten: Fuchs/Thon (1999), Statistisches Bundesamt

Institut der deutschen Wirtschaft Köln

15 bis 29 Jahre

2010 2020 2030 2040 2050

8,993

18,082

12,598

2,239

8,767

15,236

15,893

2,153

7,613

13,876

15,399

2,659

6,680

13,048

12,578

2,864

6,326

11,390

12,443

2,147

5,766

10,533

11,057

2,257

41,912 42,049 39,547 35,170 32,306 29,613

30 bis 44 Jahre

45 bis 59 Jahre

60 bis 74 Jahre

Insgesamt

2000

© 2

3/20

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90 Prozent der ausländischen Arbeitslosen ist älter als 25 Jahre. Doch im Zentrum der

öffentlichen Debatte steht die Arbeitslosigkeit von

Jugendlichen.

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so belohnt werden. Was bedeutet, die Methoden zur Bewertung informellen Ler-nens und Wissens deutlich zu verbessern.

Dieses Ziel formulierte auch ein Memorandum der Europäischen Union (EU) aus dem Jahr 2000 zum Thema. Sabine Mayer blickte auf die vergangenen zehn Jahre zurück, in denen die EU vielfältige Anstöße zur Aner-kennung von Kompetenzen gegeben hat. Aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert sich dann auch das Projekt „Mentoring und Qualifizierung“ (M&Q) der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH. „2001 sind wir mit einem Pilotprojekt gestartet, um an- und ungelernt beschäf-tigte Frauen zu qualifizieren“, blickte Pro-jektleiterin Gabriele Tiemann zurück. Statis-tiken lagen ihr zu Projektbeginn nicht vor, „aber man kann sich vorstellen, dass in dieser Gruppe auch viele Migrantinnen zu finden waren“.

Zertifikat oder Berufsabschluss

Seit 2004 läuft das Nachfolgeprojekt „M&Q – Mentoring und Qualifizierung“, be-stehend aus zwei Bauteilen: der fachlichen Qualifizierung durch einen Bildungsträger in Abstimmung mit der Industrie- und Han-delskammer (IHK), wobei die Teilnehmerinnen entweder ein Zertifikat oder einen aner-kannten Berufsabschluss erlangen. Die zwei-te Säule bildet das Mentoring der Frauen: „Ziel ist es, die Frauen während der Quali-fizierung zu ermutigen, zu unterstützen, für Fragen zur Verfügung zu stehen“, erklärte Gabriele Tiemann. Denn die Kurse laufen

Dass Migrantinnen und Mi-granten auf dem Arbeits-markt mit Problemen zu käm-pfen haben, muss nicht an

fehlenden Fähigkeiten liegen. Manch-mal hängt es daran, dass Kenntnisse nicht dokumentiert sind – in Zertifi-katen oder formalen Zeugnissen. In ihren Vorträgen informierten die Referentinnen darüber, wie sich ein Qualifikationsprofil auch ohne klas-sische Ausbildung erreichen lässt und auf welchen Wegen beispiels-weise Frauen am Arbeitsplatz quali-fiziert werden können. Deutlich wur-de außerdem, wie wichtig es ist, auch informell erworbene Kompeten-zen anzuerkennen.

Gerade dieses Thema lag Sabine Mayer vom nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium am Herzen. Berufliches Wissen überholt sich heute schnell, erläuterte sie und betonte die Wichtigkeit lebenslangen Lernens. „Die Konzentration darauf rückt besonders nicht-formales und informelles Lernen stärker in den Mittelpunkt“, folgerte die Expertin. Allerdings müsste ihrer Ansicht nach diese Form der Wissensaneignung anerkannt und

Pro Qualifizierung 7

„Selbst wenn viele junge Migrantinnen und Migranten

ohne Ausbildung sind, heißt das nicht, dass diese Menschen nichts können, keine Fähigkeiten haben.“

Sabine Mayer

Fachkompetenz 03ANERKENNUNGSPRAXIS FÜR INFORMELLE BERUFLICHEKOMPETENZEN UND ERFAHRUNGEN VERBESSERN, ZUGANGSCHANCEN ZU QUALIFIZIERUNGMÖGLICHKEITEN FÜR AN- UND UNGELERNTE ERHÖHENSabine Mayer, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Referat Grundsatzfragen der Aus- und Weiterbildung

EXTERNENPRÜFUNG – EINE CHANCE ZUR INTEGRATION UND BERUFLICHEN ANERKENNUNGKathrin Mandt, Bereichsleiterin kaufmännische und gewerblich-technische Ausbildung und Prüfungen bei der Industrie- und Handelskammer Essen

GUTE BEISPIELE AUS DER PRAXISGabriele Tiemann, Projektleiterin Mentoringprojekt Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH

Zwei Drittel aller deutschen Jugendlichen erhalten einen

Ausbildungsplatz. Bei Jugend-lichen mit Migrationshinter-grund ist es nur ein Viertel.

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begleitend, die Arbeiterinnen lernen sozusa-gen parallel zum Job während der Arbeitszeit, behalten Arbeitsplatz und Lohn.

Dass diese Art der Qualifizierung erfolgreich ist und motiviert, zeigen die Aussagen zum aktuellen Projekt: 78 Prozent der befragten Teilnehmerinnen würden bei einer weiteren Maßnahme dabei sein. „Das sind keine leeren Worte und widerspricht dem uns entgegengehaltenen Einwand, man könne diese Zielgruppe nicht motivieren“, so Frau Tiemann. Als Ansporn zählt in erster Linie, dass die Frauen ihren Arbeitsplatz sichern wollen. Bei einigen spielen auch die besse-ren Verdienstmöglichkeiten eine Rolle, ge-nauso wie Stärkung von Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung, berichtete die Ex-pertin.

Ähnliche Gründe pro Qualifizierung stellte Kathrin Mandt fest. Die Bereichsleiterin von der Essener IHK informierte über die Mög-lichkeit und Aussichten der „Externenprü-fung“: ein Weg, um aufgrund langjähriger Berufserfahrung einen staatlich anerkannten Berufsabschluss zu erhalten. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern, mehr Geld verdienen, an gesellschaftlicher Aner-kennung gewinnen – diese Motive begeg-nen Kathrin Mandt bei den Teilnehmenden häufig.

Umfassende berufliche Praxis

Die Abschlussprüfung unterscheidet sich nicht von der, die Auszubildende oder Um-

schüler vor IHK oder Handwerkskammer ablegen müssen. Um die Zulassung zu er-halten, muss ein Antrag gestellt und umfas-sende berufliche Praxis im angestrebten Beruf nachgewiesen werden: mindestens das Anderthalbfache der Dauer, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist. „Auslän-dische Berufserfahrung kann natürlich an-gerechnet werden“, ergänzte Kathrin Mandt, „die übersetzten Bescheinigungen müssen allerdings aussagekräftig sein.“ Ihrer Erfahrung nach finden sich Antragsteller mit Migrationshintergrund vor allem in Be-reichen wie Einzelhandel, Lager, Büroberufe und Gastronomie. Wer eine Zulassung zur Prüfung erhält, sollte die Möglichkeit nut-zen, einen Prüfungsvorbereitungskurs zu absolvieren. „Manche Berufsschulen gestat-ten sogar die Teilnahme am Unterricht.“ Was die Erfolgsquoten der „Externen“ bei der Prüfung angeht, so sind die Ergebnisse laut Mandt ähnlich denen der übrigen Prüflinge. „Was ich allerdings nicht doku-mentieren kann ist, inwieweit sich durch den Abschluss tatsächlich die Arbeitsmarkt-chancen erhöht haben“, fügte sie hinzu.

Motivierter und selbstständiger

Eine Statistik darüber konnte auch Gabriele Tiemann von der Wirtschaftsförderung Re-gion Stuttgart nicht liefern. Erfolge hatte sie dennoch zu vermelden, nicht nur für die Teilnehmerinnen der Qualifizierungskurse, sondern auch für deren Arbeitgeber: „Die Frauen waren motivierter, haben Fehler erkannt, selbstständiger gearbeitet“, bilan-zierte sie die Leistungen nach einem Zer-tifikatslehrgang, „Umstrukturierungsprozesse können so besser abgefedert werden.“ Dass Unternehmen deshalb und wegen der Übernahme der Qualifizierungskosten durch das Projekt von sich aus in größerer Zahl darauf zugingen, war jedoch nicht die Kon-sequenz: „Die Firmenakquise gestaltet sich weiterhin äußerst schwierig.“Einen weiten Weg hat auch Sabine Mayer noch vor sich, wenn es um die Anerkennung informellen Lernens geht. „Eine Perspektive ist, informell erworbene Kompetenzen sys-tematisch in das Bildungssystem einzube-ziehen“, blickte sie nach vorn, „weg von der Dominanz von Zeugnissen, Nachweisen und Zertifikaten.“ Bei ihrem Bemühen, Men-schen neue Zugangschancen in den Beruf zu bieten, sieht sie vor allem eins: „Menschen können weit mehr als das, was in ihren Zeugnissen steht.“

8 Pro Qualifizierung

„Ich appelliere an die Betriebe, an Betriebsräte und Personalentwickler,

aber auch an die Migrantenorganisationen, stärker über die Möglich-keiten der Externenprüfung zu informieren.“

Kathrin Mandt

„Es ist besser, einen zweijährigen Facharbeiterabschluss zu haben, als angelernt oder ungelernt zu sein.“

Gabriele Tiemann

Fachkompetenz

Pro Qualifizierung will dazu beitragen, dass Belegschaften

in der Industrie ein Spiegelbild der Gesellschaft sind.

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folgt er die Vermittlung umfassender Kom-petenzen an Zuwanderer, und zwar solcher Fähigkeiten, die als Bindeglied zwischen den Anforderungen eines Betriebs und den Bedürfnissen der jeweiligen Persönlichkeit dienen können. „Was ist eigentlich wesentlich zu beach-ten bei der Schulung von Personen mit Migrationshintergrund?“ fragte Ertelt und richtete den Fokus auf zwei für ihn zentra-le Bereiche: Identität und Leistungsbereit-schaft. Zur Erläuterung diente ihm das „Minority Identify Development Model“ (MID) von Sue und Sue (1990), ein fünf-Stufen-Modell, anhand dessen sich beschrei-ben ließ, „wie Menschen in ihre Umgebung hineinwachsen“. Die Abstufungen reich-

ten von konformer Anpassung und Selbst-abwertung bis zum gelungenen Leben in einer fremden Kultur, „nicht Integration, sondern bewusstes Leben in einer anderen Gesellschaft“. Je nachdem, auf welcher Stufe ein Mensch steht, ergibt sich seine Haltung zur Arbeit und seine Leistungsmo-tivation. Und damit auch seine Einstellung zur Bildung, gepaart mit Wünschen sozi-alen Aufstiegs.

Gewisse Unabhängigkeit nötig

„Dazu gehört auch eine gewisse Unabhängigkeit von der Familienbindung, man muss sich lösen können, man muss auf Wiedersehen sagen, damit man wei-terkommt im Leben“, ergänzte Bernd-Joachim Ertelt. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass familiäre Bindungen beispiels-weise bei Menschen mit türkischen Wurzeln individuelle schulische und beruf-liche Ambitionen keineswegs zwangsläu-fig bremsen. „Die Familie dient dann eher als sozialer Schutzraum, wenn Angehörige Probleme haben, in der Arbeitswelt unter-zukommen.“

Was müssen Beschäftigte mit Migrationshintergrund an Wissen einbringen? Welche Qualifizierung ist

für ihren Arbeitsplatz wichtig? Und wo liegt die Bedeutung aus diesen Erkenntnissen für die Planung bedarfs-gerechter Fortbildungsangebote? Fra-gen, mit denen sich Prof. Dr. Bernd-Joachim Ertelt befasste, der dabei vor allem auf eines hinwies: wie nötig es ist, differenziert hinzuschauen und den Einzelfall im Auge zu behalten.

Die Schwierigkeiten beginnen für ihn be-reits bei der Aufteilung in zwei Gruppen – hier Migranten, dort Einheimische. „Das ist eine Gefahr“, betonte Ertelt, „denn man muss sehr aufpassen, dass die Un-terschiede innerhalb einer Gruppe nicht größer sind als die Differenzen zur ande-ren.“ Daher lernen seine Studierenden an der Fachhochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim nicht, Menschen in Gruppen einzuteilen. „Die Gruppe bekommt Gesichter, und zwar einzelne Gesichter“, unterstrich der Wissenschaftler, „jedes Schicksal ist für sich selber zu betrachten. Und man muss auch das Problem der Qualifikation und der Integration in eine Gesellschaft individuell lösen.“

Keine klaren Ansprüche

Verallgemeinerungen sind für Bernd-Joachim Ertelt tabu. Wenn von „den Betrieben“ die Rede ist, die ihre Anforderungen stellen, will er zunächst wissen, um welche Art von Betrieben es sich handelt – Einzel-unternehmen? Regionalbetriebe? Konzerne? Daran orientiert sich der berufliche Quali-fizierungsbedarf. Wobei manchmal die Betriebe laut Ertelt gar keine klaren An-sprüche formulieren, vor allem nicht im Niedriglohnsektor. Doch dem Experten geht es um mehr: Mit seinem Ansatz ver-

Pro Qualifizierung 9

„Es ist sehr einfach über Gruppen zu reden, aber sehr schwer, im Ein-zelfall zu helfen.“

Interkulturelle Kompetenz

ENTWICKLUNG UND IMPLEMENTIERUNG VON QUALIFIZIERUNGSBEDARFSERHEBUNGEN IM INTERKULTURELLEN KONTEXT

04Prof. Dr. Bernd-Joachim ErteltFachhochschule der Bundesagentur für Arbeit, Mannheim

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Die Ansprüche im Beruf stei-gen – und damit auch die Erwartungen an die Sprach-kompetenz der Belegschaft.

Doch nicht an jedem Arbeitsplatz wird perfektes mündliches und schrif-tliches Deutsch verlangt. Vielmehr gilt häufig „Kommunikationskompe-tenz“ als zentrale Qualifikation. Und die lässt sich lernen, wie in den Vor-trägen deutlich wurde: etwa mit ei-ner vielseitigen Sprachausbildung. Den Weg dorthin beschreiten einige Betriebe intern, wie Beispiele zeigen.

Das Problem beim Lkw-Zulieferer Styria in Düsseldorf lag auf der Hand: Rund 60 Prozent aller Mitarbeiter in der Produktion waren türkischer Herkunft. „Da ist es sehr schwer, mit den Leuten überhaupt Kontakt aufzuneh-men“, beschrieb Personalleiterin Heike Beyer sprachliche Schwierigkeiten. In dieser Situa-tion konnte „Pro Qualifizierung“ mit dem Beratungsnetzwerk Industriebetriebe dem Unternehmen helfen: Nach einer Mitarbei-terbefragung wurde eine Qualifizierungs-maßnahme zur Verbesserung der Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten angeboten, an der 37 von 44 Befragten ihr Interesse bekun-det hatten. Aus Gründen der Arbeitsorgani-sation konnten 17 Beschäftigte an der Maß-nahme teilnehmen. „Mit einer derart großen Resonanz hatten wir nicht gerechnet“, be-kannte Heike Beyer.

Die Motivation scheint also kein großes Hin-dernis zu sein – erst recht nicht, wenn der Sinn einer Qualifizierung klar zu erkennen ist, wie bei den Kursen des Düsseldorfer Goethe-Instituts. „Das Ziel liegt in beruflicher Hand-lungsfähigkeit“, erläuterte Margarete Ba-rasch, Produktentwicklerin des Instituts, das Konzept ihrer Sprachangebote. Und um das Ziel zu erreichen, setzt sie auf einen Unterricht, der von vornherein auf Handlungskompetenz im Beruf ausgerichtet ist. „Methodenkom-petenz, Lernkompetenz, Arbeitsmethoden müssen von der ersten Stunde in Deutsch an mitvermittelt werden“, betonte die Sprach-lehrerin.

Kommunikative Kompetenzen nötig

Berufliche Fachsprache spielt da zunächst eine Nebenrolle. „Pro Beruf gibt es im Durchschnitt 500 Fachwörter, die man lernen muss“, erläuterte sie, „die lernt jemand, der den Beruf kennt, in rund zwei Wochen!“ Wenn derjenige aber in einen anderen Be-reich wechseln muss, hilft ihm der Fachwort-schatz wenig: „Ihm fehlen alle anderen kommunikativen Kompetenzen, um seine Zie-le zu erreichen und den Arbeitsprozess vor-anzubringen“, schilderte Margarete Barasch. Allerdings hielt sie es dennoch für wichtig, die Fachterminologie zu vermitteln, auch in psychologischer Sicht, „weil es dabei hilft, Selbstsicherheit zu entwickeln“. Dass es in modernen berufssprachlich orien-tierten Kursen um mehr geht als Vokabeln pauken, dass es sich darum dreht, den Teil-nehmenden Wissen an die Hand zu geben, das ihnen erlaubt, sich in beruflichen Situa-tionen selbst zurechtzufinden – diese Bot-schaft stellte die Expertin des Goethe-Instituts in den Vordergrund. „Das Angebot sollte den Lebenslagen beziehungsweise den Arbeits-lagen der betroffenen Migranten entspre-chen“, ergänzte Petra Szablewski-Cavus von der Passage gGmbH, die über das Projekt „Deutsch am Arbeitsplatz“ aus dem Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“ informier-te. Sie plädierte für ein Konzept, das den viel-fältigen Voraussetzungen und den unter-schiedlichen Sprachanforderungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen Rechnung trägt.

Verschiedene Sprachbedürfnisse

Die Leiterin der Facharbeitsgruppe „Berufs-bezogenes Deutsch“ im IQ-Netzwerk wies auf entscheidende Unterschiede in Sachen Sprachbedarf hin: Die Erfordernisse in den jeweiligen Betrieben ließen sich objektiv ermitteln. Daneben gibt es ihrer Auskunft

10 Pro Qualifizierung

Sprachkompetenz 05VORWAND ODER UNVERZICHTBARE VORAUSSETZUNG: SPRACHLICHE ANFORDERUNG DER BETRIEBEUwe Schoendorff, Gruppenleiter Weiterbildung Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Duisburg

SPEZIFISCHER FACHWORTSCHATZ UND SEINE BEDEUTUNG FÜR DIE HANDLUNGSKOMPETENZ IM BERUFMargarete Barasch, Goethe-Institut Düsseldorf Sprachlehrerin, Produktentwicklung und Fachberatung

QUALITÄTSSTANDARDS FÜR ANGEBOTE ZUR VERMITTLUNG VON BERUFSBEZOGENEN SPRACHKENNTNISSENPetra Szablewski-Cavus, Passage gGmbH, Leiterin der Facharbeitsgruppe „Berufsbezogenes Deutsch“ im IQ-Netzwerk

GUTE BEISPIELE AUS DER BETRIEBLICHEN PRAXISHeike Beyer, Personalleiterin Styria Federn GmbH

„Je strukturierter und größer ein Betrieb ist, desto stärker sind die kommunikativen Anforderungen gewachsen.“

Petra Szablewski-Cavus

fachlicheKompetenz

Schlüssel-qualifikationen

Kommunikation/Rhetorik

interkulturelleKompetenz

Deutsch alsZweitsprache

BerufsbezogenesDeutsch

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Pro Qualifizierung 11

nach aber auch ein „subjektives Sprach-bedürfnis“, das mit individueller Motivation zusammenhängt – und beispielsweise dann wächst, wenn mit sprachlicher Qualifikation die Arbeitsplatzsicherheit steigt.

Was die Deutschkenntnisse eines Bewerbers betrifft, verlassen sich Arbeitgeber offenbar lieber auf ihre eigene Einschätzung als auf diverse Zertifikate, schilderte Petra Szablewski-Cavus: „Sie beurteilen also im Gespräch, ob die Sprachfähigkeiten ausrei-chen.“ Ideal wäre es für innerbetriebliche Angebote zur Verbesserung der Deutsch-kenntnisse, wenn die Kurslehrkräfte ein bis zwei Tage in einen Betrieb gehen und genau ermitteln, welche Anforderungen der Ar-beitsalltag an die sprachliche Kommunikation jedes Einzelnen stellt . Dazu gehört für sie auch eine umfassende Sammlung der Schriftstücke und Formulare, die gelesen, ausgefüllt oder unterschrieben werden müs-sen – „weil das deutlich zeigt, was tatsäch-lich beherrscht werden muss“. Derartige Möglichkeiten bieten sich aber nur mit viel Überzeugungsarbeit. „Das ist gar nicht so einfach, denn viele Betriebe lassen sich nicht gern auf die Finger gucken“, stellte die Bildungsexpertin fest. Andererseits sind ins-besondere Personalentwickler für solche Vorarbeiten durchaus zu gewinnen: Sie vor allem kennen die sprachlichen Anforderun-gen, die z. B. in den Auditierungsverfahren im Rahmen von den diversen Zertifizierungen des Betriebes an alle Mitarbeiter gestellt werden und sie vor allem wissen auch, dass auf Dauer kein Mitarbeiter, keine Mitarbei-terin den Arbeitsplatz auf Dauer halten kann, wenn sie den Anforderungen der Qualitäts- und Sicherheitsstandards – deutschsprach-lich-kommunikativ nicht genügen. Auf jeden Fall bleibt für die MitarbeiterInnen festzu-halten: Ohne entsprechende Deutschkennt-nisse bleiben sie weitgehend von den inner-betrieblichen Qualifikationsangeboten aus-geschlossen, die die Innovationsprozesse im Betrieb begleiten.

Niveauvolle Ausbildung

Wie hoch die Ansprüche an die Sprachfä-higkeiten der Mitarbeiter in einem Großunter-nehmen sind, erläuterte Uwe Schoendorff von der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH in Duisburg. Zwischen 12 und 14 Prozent schwankt dort der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund, der Großteil besitzt türkische Wurzeln. Schoendorff verdeutlichte, dass das Problem bereits bei den Auszubildenden beginnt: „Wir sprechen von niveauvollen Ausbildungs-

berufen. Da muss ein junger Mensch teilwei-se auch komplizierte Sachverhalte verstehen und begreifen, worum es geht.“ Als Beispiele nannte der „Gruppenleiter Weiterbildung“ Bereiche wie Umweltschutz sowie betrieb-liche und technische Kommunikation, zudem Teamfähigkeit, wo gute Sprachkenntnisse nötig sind – auch für erwachsene Mitarbei-ter.

In der zentralen Hauptwerkstatt des Unter-nehmens beispielsweise mit mehr als 200 Wartungskräften organisieren sich die Mitar-beiter selbst, teilen ihre Tätigkeiten ein und regeln sogar, wann wer Urlaub bekommt. „Das läuft alles mehr oder weniger selbstver-antwortlich“, berichtete Uwe Schoendorff, „das ist auch eine hohe Anforderung, was Sprache angeht.“ Oder es tritt ein Störfall ein, bei dem Probleme erkannt und beschrie-ben werden müssen. Vor allem mündliche Deutschkenntnisse hob er als notwendig her-vor, Mängel in der Kommasetzung sind dage-gen Nebensache. „Wir brauchen mehr als nur Sprache, wir benötigen Kommunikationskompetenz“, unterstrich Schoendorff. Ein Sprachkünstler muss demnach keiner sein: „Wenn beispielsweise in einem Aggregat ei-ne Pumpe ausgewechselt wurde, muss das in ein Schichtbuch eingetragen werden – wenn das lesbar und verständlich geschieht, hat man gewonnen.“

Sprachkompetenz

Personal- und Sozialkompetenz Motivation

Entscheidungsfähigkeit

Teamarbeit

Kooperationsbereitschaft

Kenntnisse der Auswirkungen des Technikeinsatzes und

Möglichkeiten der GestaltungDurchführen

Planen

Kontrollieren

Methodenkompetenz abstrakt-logisches Denken

Problemlösungsstrategien

Fachkompetenz sicherer Umgang mit

Maschinen, Geräten, Anlagen

grundlegendes Systemverständnis

„Ganz wichtig ist, das Lernen zu lernen.“

Margarete Barasch

„Die Zeiten sind vorbei, dass ein

Mitarbeiter 30 Jahre lang in einem Unternehmen auskam, ohne einen

einzigen Satz zu schreiben.“Uwe Schoendorff

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Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.

Impressum

Herausgeber: Pro Qualifizierung, Leo Monz (V.i.S.d.P.)Redaktion: Elke Knabe, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.V. (ZWH)Text: Volker DickLayout: Moana Brunow (ZWH)Druck: Siebel Druck & Grafik, Lindlar

Pro Qualifi zierung – KoordinationLeo Monz, Jens Martens

Hans-Böckler-Straße 39, 40476 DüsseldorfTelefon +49 (0)2 11/43 01-351/-333, Fax +49 (0)2 11/43 01-134Mail: [email protected], [email protected] : www.pro-qualifizierung.de

Netzwerk IndustriebetriebeÖmer Saglam

Telefon : +49 (0)2 11/43 01-181Mail : [email protected]

Gemeinsam Erfolge erzielen

Menschen mit Migrationshintergrund sind mehr als doppelt so häufig wie Einheimische von der Arbeitslosigkeit betroffen. Pro Qualifizierung mit dem Beratungsnetzwerk Industriebetriebe ver-folgt das Ziel, den Zugang zu Arbeitsplätzen in Industriebetrieben und die Teilhabe am beruflichen Aufstieg durch Fort- und Weiter-bildung für Erwachsene mit Migrationshintergrund ab 25 Jahren zu verbessern, sie besser in Industriebetriebe zu integrieren und Verantwortliche in den Betrieben zu unterstützen, die berufliche Qualifizierung ihrer Beschäftigten mit Zuwanderungshintergrund auch im eigenen Interesse zu fördern.

Dem Konzept der Netzwerkbildung kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Netzwerke bieten ein Forum für Personalentwickler und -entscheider, Betriebsräte, Fach- und Führungskräfte aus den Industriebetrieben sowie Vertreter der Gewerkschaften, Arbeitge-berverbände, der Kammern, der Arbeitsagenturen und der ARGEn. Akteure des Netzwerks tauschen Informationen und Erfahrungen aus und entwickeln gemeinsam praxisorientierte Konzepte zur Ver-besserung der Beschäftigungssituation von Menschen mit Migra-tionshintergrund.

Ziele: die Etablierung der Netzwerkkonferenz Industriebetriebe als

regelmäßig tagendes Fachgremium die Einrichtung von Facharbeitsgruppen, die die Arbeit zwischen

den Sitzungsterminen zu ausgewählten Themenschwerpunkten fortführen

die Erarbeitung praxisnaher Optimierungsvorschläge die Entwicklung von Handlungsempfehlungen für Industrie und

Politik

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