Schule als lernende Institution: Wie entwickeln sich...

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    Schule als lernende Institution: Wie entwickeln sic h Organisationen? Grundstzliche berlegungen zu einem der sechs Qualittsbereiche des Deutschen Schulpreises von Michael Schratz, Hans Anand Pant, Beate Wischer (2013)

    Schulen sind heute aufgrund der aktuellen Herausforderungen mehr denn je gefordert, in vielfltigen Zusammenhngen zu denken und zu handeln. Diese Herausforderungen zeigen sich auf unterschiedlichen Ebenen: Politisch wird mehr Selbststndigkeit von den Schulen erwartet. Schulprogramm und Eva-luation sollen zentrale Steuerungsinstrumente ablsen und flexibles Handeln vor Ort ermglichen. konomisch erfolgt Druck durch Budgetkrzungen und Einsparungen bei Personal und materiellen Ressourcen. Gesellschaftlich lei-det die Profession am geringer werdenden Status des Lehrerberufs. Der glo-bale Wettbewerb macht sich ber die groen Vergleichsstudien und damit verbundenen Rankings auch in der Schullandschaft bemerkbar. Pdagogisch sollen vermehrt gesellschaftlich nicht mehr leistbare Aufgaben von der Schule bewltigt werden, angefangen von grundstzlichen Erziehungsthemen bis zur Inklusion als umfassender Aufgabe. Didaktisch-methodisch sind neue Unter-richtsformen gefragt, die mit der Individualisierung und Dynamisierung der ge-sellschaftlichen Entwicklung Schritt halten. Die neuen Medien und Kommuni-kationsformen greifen inzwischen so tief in das Schulleben ein, dass einer-seits neue Lehr-Lernformen im virtuellen Raum entwickelt werden, anderer-seits Handyverbote ausgesprochen werden (mssen?), um die Aufmerksam-keit der Schlerinnen und Schler im konventionellen Klassenraum zu halten.

    Schulen, die sich fr den Deutschen Schulpreis bewerben, haben sich diesen Herausforderungen in vielfltiger Weise gestellt. Sie haben sich oft in mehr-jhriger Anstrengung, unter groem kollegialem Einsatz und mit hohem Prob-lembewusstsein zu dem entwickelt, was gute Schulen ausmacht. Bereits im ersten Schulpreisband haben wir gute Schulen als Unternehmen ohne Er-werbscharakter bezeichnet, die selbststndig bzw. eigenverantwortlich han-deln und sich durch ein integratives, demokratisches Fhrungsmanagement auszeichnen: Sie sind adaptiv mit ihrer Umgebung verbunden und professio-nell selbstkorrigierend durch Evaluation und Qualifikation. Sie haben ein indi-viduelles Profil, in dem sich ihre Entwicklungsgeschichte als funktional pro-duktive Konstellation von Ressourcen und Aufgaben zeigt. Sie stehen in Ver-bindung mit anderen Schulen, mit der ffentlichkeit, mit Wissenschaft, Politik und Einrichtungen von Wirtschaft und Kultur. Sie erkennen Schwchen und setzen sich immer wieder neue Ziele. (Fauser/Prenzel/Schratz 2007, S. 27)

    Dass sich Schulen in laufender Entwicklung befinden und sich dazu immer wieder neue Ziele setzen mssen, hngt damit zusammen, dass sich die ein-zelnen Standorte ganz grundstzlich nicht durch Erlasse und Verordnungen

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    steuern lassen. Sie mssen sich vielmehr im Spannungsfeld zwischen dem Alltagsdruck des tglichen Geschehens vor Ort und den vielfltigen genann-ten Herausforderungen in die wnschenswerte Zukunft bewegen. Zugleich und auch dieser Einsicht geschuldet werden seit Mitte der 1990er Jahre Entscheidungsprozesse, die frher zentral ber die Ministerien getroffen wur-den, dezentralisiert und subsidir an untergeordnete Behrdenebenen bzw. ganz an die einzelnen Schulstandorte bergeben, was folgende Konsequen-zen hat:

    Der Staat verliert durch die damit erweiterten Handlungsspielrume der ein-zelnen Schulen einerseits an Steuerungsmacht ber Einheitlichkeit als Vo-raussetzung fr Gerechtigkeit; andererseits wird ber eine strkere Mitspra-che der Verantwortlichen vor Ort aber eine grere Vielfalt als Voraussetzung fr die Entwicklung der einzelnen Schulstandorte ermglicht. Zudem tritt ne-ben die Rahmenvorgaben die Motivation der am jeweiligen Standort arbeiten-den Menschen, Schule im gemeinsamen Engagement zu gestalten.

    Fr die Schulen wiederum erffnet sich einerseits eine hhere Gestaltungs-macht in curricularer, personeller und budgetrer Hinsicht. Im Gegenzug be-steht allerdings auch etwa ber zentrale Prfungen, Vergleichsarbeiten u.a.m. eine hhere Rechenschaftspflicht. Und noch viel grundstzlicher: Schulen mssen vor allem lernen, eine lernende Institution zu sein, was durchaus zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt.

    Schulen als komplizierte Ensembles Versucht man zunchst, diesen Qualittsbereich im Kontext des umfassenden Qualittsbegriffs des Deutschen Schulpreises konkreter zu fassen, so hat man es mit einem Kriterium zu tun, das gleichsam quer zu den anderen Quali-ttsbereichen steht. Die Schulen, die sich fr den Deutschen Schulpreis be-werben, zeichnen sich ja nicht nur durch groe Unterschiede zwischen den einzelnen Schulformen aus, sondern auch durch eine enorme Vielfalt bezo-gen auf ihre jeweiligen Ausgangs und Kontextbedingungen einerseits und ihre pdagogischen Konzepte und Profile andererseits. Mit dem Kriterium Schule als lernende Institution rckt dabei nun die Frage in den Mittelpunkt, wie die Schulen ihre jeweils typischen Profile in den anderen Qualittsbereichen aus-gebildet und ihren eigenen Lern- und Entwicklungsprozess gestaltet haben. Kurz: Es geht darum, wie Schulen das Wechselspiel von Menschen in der Schule (als Schulleitung, als Lehrerinnen und Lehrer, als Schlerinnen und Schler etc.), aus dem relevanten Umfeld (Eltern, Kommune, Schulbehrde etc.) und ihren Umgang mit Rahmenbedingungen arrangieren.

    Bereits im ersten Durchgang des Wettbewerbes zum Deutschen Schulpreis wurde deutlich, [...] dass Schulen komplizierte Ensembles sind von Erfahrun-gen, Routinen, Problemlsungen, Initiativen, von Kooperationsgeschichten und Abgrenzungen, von Schlsselereignissen und Entwicklungskrisen, die

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    wiederum nur verstanden werden knnen aus der Wechselwirkung interner und externer Faktoren um es auf den Punkt zu bringen: aus der Geschichte der einzelnen Institution. Der Unterschied zwischen den besonders guten Schulen entspricht dem Unterschied zwischen exzellenten Orchestern. Gute Schulen haben ihre eigenen Identifikationsfiguren und Symbole, ihre eigenen Formen und Normen im Alltag, ihre Skurrilitt, ihre Anthropologie, teilweise auch eine explizit darstellbare Verankerung in Glaubensberzeugungen. (Fauser/Prenzel/Schratz 2007, S. 8)

    Daran hat sich auch nach mehr als einem halben Jahrzehnt nichts gendert. Die in diesem Jahr nominierten und in diesem Band vorgestellten Schulen zeigen in ihrer Unterschiedlichkeit, wie sie ihre Krfte mobilisieren, um Schwierigkeiten und Widerstnde zu berwinden und ihre Entwicklungspoten-ziale zu entfalten. Dies lsst sich etwa an der kurzen Geschichte der Anne-Frank-Schule (AFS) in Bargteheide nachzeichnen: 1990 als dreizgige inte-grierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe und gebundener Ganztags-schule gegrndet, hatte es die AFS im Hamburger Speckgrtel anfangs mit ih-rer reformpdagogischen Orientierung schwer. Sieben Lehrkrfte begannen damals mit groem Engagement in einem Einfamilienhaus behelfsmig mit dem Unterricht. Diese Aufbauarbeit wurde aber kritisch und misstrauisch be-ugt; die Eltern mussten sich rechtfertigen, wenn sie ihre Kinder an diese neue Schule schickten. Die AFS wurde als Restschule stigmatisiert. Diese Zuschreibung lie das Kollegium allerdings nicht auf sich sitzen: Es entwickel-te unter Einbeziehung aller Beteiligten (inklusive des relevanten Umfeldes) die Vision einer Schule, in die Eltern ihre Kinder gerne schicken mchten. Konse-quent und kontinuierlich arbeitete die Schule auf dieses Zielbild hin mit dem Erfolg, dass heute die Nachfrage nach Pltzen doppelt so hoch ist wie das vorhandene Angebot und selbst Schlerinnen und Schler mit Gymnasial-empfehlungen abgewiesen werden mssen. Trotz oder geradezu wegen ihres Erfolgskurses bleibt die Schule ihrer Grundphilosophie treu und nimmt Anmeldungen nur im gedrittelten Zuteilungsschlssel der in der Gemein-schaftsschule integrierten Schularten auf.

    Die Erfolgsgeschichte der AFS steht fr das, was Peter Senge (1996, S. 11) als eine lernende Organisation bezeichnet, nmlich eine Organisation, in der die Menschen kontinuierlich die Fhigkeiten entwickeln, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefrdert und gemeinsame Hoff-nungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen. Aus dieser Definition lassen sich zwei zentrale Merkmale ableiten, die fr eine lernende Institution bedeutsam sind: die visionre Entwicklungsper-spektive sowie der Aufbau einer wirkmchtigen Struktur, welche der Errei-chung des angestrebten Ziels dienlich ist.

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    Gute Schulen haben Visionen Die Herausforderungen lernender Schulen liegen im Erspren der fr sie rele-vanten Zukunft, die als strategische Entwicklungsherausforderung angenom-men und als zielorientierte Aufgabe gestaltet werden will. Das bedingt die Notwendigkeit konstanter Auseinandersetzung mit den Zielen der Schule, mit ihrer Vision und der Frage, wie diese Ziele sich auf die Leistungen und die Er-folge der Schlerinnen und Schler, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer, auswirken. Welche Vision die jeweilige Schule hat, die die Schulleitung ge-meinsam mit den Beteiligten und Betroffenen entwickeln und umsetzen will, hngt dabei vom Schulstandort und den spezifischen Rahmenbedingungen dieses Schulstandortes sowie auch vom jeweiligen Entwicklungsstand der Schule ab.

    Manchmal steht am Anfang einer Vision nicht nur der Wunsch nach (etwas noch) Besserem, sondern die reine berlebensnotwendigkeit. Das zeigt die Schulentwicklungsgeschichte des Gymnasiums der Stadt Alsdorf, dessen Umfeld sich durch spezifische Bedingungen einer Bergbaustadt mit hohem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund als besonders herausfordernd gestaltete. Das Schulleben war geprgt von hohem sozialem Druck, berlas-tung und berforderung, zermrbenden Diskussionen ber die Schlieung der Schule, Kampf gegen Sachbeschdigung und Disziplinarflle. Mit Unter-sttzung von niederlndischen Bildungsexperten schaffte die Schule den Weg aus der Krise und begab sich auf den Weg einer systematischen Schulent-wicklung, dessen Dreh- und Angelpunkt das sogenannte Dalton-Konzept ist. Es gibt der Entwicklung von Unterricht und Schule systematische Orientierun-gen: Gefrdert wird dabei nicht nur das selbststndige Lernen der Schlerin-nen und Schler, sondern auch die Teamentwicklung im Kollegium.

    In der Kurfrst-Moritz-Schule in Moritzburg zentriert sich die Vision dagegen rund um ein mittlerweile sehr ausdifferenziertes musisch-knstlerisches Profil. Zudem spielte in der strategischen Ausrichtung der Raum als dritter Pdago-ge eine zentrale Rolle. Die Schule hat speziell auf die architektonische Ge-staltung des Neubaus unter Einbeziehung der Ideen ihrer Schlerinnen und Schler groen Einfluss genommen. Dabei wurden z.B. Klassen- und Fach-rume um Gruppenrume fr individuelles Arbeiten ergnzt und mit grofl-chigen Sichtglasfenstern zu den Fluren ausgestattet. Die Bibliothek mit Fach-bchern, Belletristik und Gesellschaftsspielen wird nicht nur zur Entspannung in Freistunden, sondern auch fr die individuelle Lernzeit der Schlerinnen und Schler genutzt. Auf Basis dieser architektonischen Errungenschaften lebt die Schule ihre Vision einer leistungsdifferenzierten, inklusiven Schule, die ausgehend von der Vorliebe vieler Kinder fr Musik und Tanz eine umfas-sende Bildung ermglicht und dabei alle Schulabschlsse offenlsst.

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    Schulen brauchen wirkmchtige Strukturen Lernende Schulen bentigen Strukturen, um die angestrebten Ziele auch zu erreichen. Eine zentrale Voraussetzung fr gelingende Entwicklungsprozesse ist eine kontinuierliche, respektvolle und aufmerksame Kommunikation und Kooperation, die sich in den im Buch Was fr Schulen! Der Deutsche Schulp-reis 2013 versammelten Schulen wie rote Fden durch deren Schulentwick-lung ziehen. Sie prgen das Schulklima und frdern die Selbstverantwortung und somit die Motivation fr das eigene Lernen. Gehaltvolles Feedback setzt Transparenz ber Ziele und Anforderungen voraus. So arbeiten die meisten Kollegien bestndig daran, aus Lehrplnen Lernplne zu machen. Die angestrebten Ergebnisse werden berdies durch Kompetenzraster, Indi-katoren und weitere Instrumente transparent und zunehmend verhandelbar gemacht. Auf dieser Grundlage erhalten sowohl die Lernenden wirksame Rckmeldungen ber ihre Lernentwicklung als auch die Lehrenden ber die Qualitt ihres Unterrichts.

    Im Elsa-Brndstrm-Gymnasium in Oberhausen wird die Mobilisierung indivi-dueller Motivation in der gelebten Feedbackkultur der Schule sprbar, z.B. durch die Rckmeldung der Leistungsergebnisse der Freiarbeit in den Jahr-gngen fnf bis sieben, der Projekte im achten und der Module im neunten Jahrgang mit ihren permanent steigenden Anforderungen. Schwerpunkte sind hier die ausfhrlichen Gesprche, in denen die Schlerinnen und Schler ber ihren Lernzuwachs und ihre Schwchen informiert werden. Die Bewer-tungskriterien werden, laut Aussage der Jugendlichen, mit ihnen gemeinsam entwickelt. So entstehen Strukturen, in denen sich alle in bemerkenswerter Weise verantwortlich fhlen und einen Beitrag zum Gelingen des Ganzen leis-ten. Untersttzt wird der gemeinsame Schulentwicklungsprozess zudem durch zahlreiche Fortbildungsangebote und eine kontinuierliche Rckmeldung zur pdagogischen Arbeit, also eine Evaluation von innen und von auen.

    Auch in der Waldschule in Flensburg bauen die Lehrerinnen und Lehrer auf starke Teambildung und bernahme von Verantwortung aller Beteiligten. Wir reden miteinander, nicht bereinander, betonen sie; dies scheint ein Schls-sel zu ihrem Erfolg zu sein. Die Schulentwicklung wird von einer Steuergruppe verantwortet, die ihre Arbeit, ihre Ziele und ihre Reflexion der Instrumente re-gelmig dem Kollegium zurckspielt und auf diese Weise das Kollegium auf allen Zwischenschritten mitnimmt. Entscheidungen ber Vernderungen und neue Entwicklungsvorhaben werden in der Gesamtkonferenz getroffen. Die Steuergruppe sorgt auerdem fr begleitende interne Evaluation durch Sch-ler- und Elternfeedback sowie fr professionelle Evaluation.

    Fr die Kommunikation und Kooperation spielen Teams eine zentrale Rolle; als tragendes pdagogisches Gerst und zur Intensivierung von Zusammen-arbeit, die auf Ergebnisleistung fokussiert ist. Sie ermglichen in ihrer Zu-

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    sammensetzung und Zusammenarbeit kontinuierliche gemeinsame Ausei-nandersetzung ber die verfolgten Ziele sowie die angewandten Methoden. Damit erreichen sie Ergebnisse in Abstimmung und Synergie.

    Die Willy-Brandt-Gesamtschule in Marl erlebte sich selbst als eine lernende Organisation, als sie einen fruchtbaren Diskussionsprozess in Gang setzte und es ihr vor allem gelang, Betroffene zu Beteiligten zu machen: Vor zwlf Jahren fhrten Lehrerinnen und Lehrer einen inhaltlichen Meinungsaustausch ber das Methodenlernen. Dabei stritten sie vor allem darum, mit ihren Ideen und Erfahrungen aktiv mitwirken zu drfen. Da ging es hei her, und wir ha-ben gelernt, Konflikte offen auszutragen und dabei gemerkt, dass uns das auch einander nherbringt, so ein Mitglied der Schulleitung im Rckblick. Im Ergebnis entstand ein ber Fach- und Jahrgangsgrenzen hinausreichendes Konzept des Methodenlernens, das von allen getragen und schrittweise wei-terentwickelt wurde.

    Streben nach einem ganzheitlichen Leistungsverstnd nis Lernende Schulen sehen sich einem ganzheitlichen Entwicklungsverstndnis verpflichtet. Sie streben nicht nach Leistung in nur einem Bereich, nmlich dem ber standardisierte Leistungsvergleiche am leichtesten messbaren. Sie werden dort wirksam, wo es auch um den individuellen Menschen mit seinen Bedrfnissen und um das Zusammenspiel der vielen Individuen in einer Schu-le geht. Aus Einzelbedrfnissen muss ein greres, gemeinsames Ganzes werden knnen: Dieses gibt eine Orientierung und einen Rahmen vor, inner-halb dessen Kinder und Erwachsene sich jene Haltungen und Verhaltenswei-sen aneignen knnen, die in Respekt vor Vielfalt und Eigensinn sowie Rck-sicht auf Grenzen und Rechte aller sichtbar werden. Das zeigt sich in einem achtsamen, wahrnehmenden, freundlichen und wertschtzenden Umgang miteinander, darin, dass Lehrkrfte fr Kinder und Eltern erreichbar sind, in ih-ren erzieherischen Absichten transparent und klar bleiben und berlegen, wie sie Kindern das Leben beibringen knnen, so eine Mutter ber die IGS List in Hannover.

    In einer Kultur der gelebten Achtsamkeit verstehen lernende Schulen Rck-meldungen und die damit verbundenen Beteiligungen als Anspruch an mehr Fairness, Gerechtigkeitserleben und Lernfrderung fr alle Schlerinnen und Schler. Verantwortung verlangt die Fhigkeit so zu handeln, dass es den Bedrfnissen des Gegenbers adquat entspricht (vgl. Bakhtin 1993). Ein Leistungsverstndnis, das die individuellen Entwicklungsbedingungen aller Schlerinnen und Schler in den Fokus der Ziel und Manahmenplanung stellt, erfordert Zusammenarbeit nach innen (multiprofessionelle Teams) und nach auen (Eltern, Kommune, Untersttzungssysteme im Umfeld). So sind z.B. am Elsa-Brndstrm-Gymnasium in Oberhausen alle Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen der Schulentwicklung in unterschiedlichen Projektgruppen

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    aktiv, an denen auch Eltern sowie die Schlerinnen und Schler teilnehmen. Mglich ist dieses gemeinsame Interesse an Vernderungen, weil alle Lehre-rinnen und Lehrer die Zusammenarbeit in Teams gewohnt sind und ein ge-meinsames Ethos vertreten. Dabei besteht das bergeordnete Ziel vor allem darin, den Lernenden Rume zur Entfaltung ihrer Selbstwirksamkeit zu er-schlieen, die ein solides Vertrauen in die eigenen Entwicklungsmglichkeiten schaffen. Personalisierung verlangt, jedem Kind achtungsvoll zu begegnen, seine Fhigkeiten und Neigungen zu kennen und sein Selbstwertgefhl zu strken.

    Anke Bachmann, Schulleiterin an der Hauptpreistrgerschule 2012, der Evangelischen Schule Neuruppin, argumentiert: Es liegt vor allem anderen an unserem Verstndnis von Lernleistung und daran, wie differenziert wir mit der Vielfalt unserer Schler umgehen. Fr das Lehren und Lernen an unserer Schule bedeutet das, die Fhigkeiten jedes einzelnen Schlers zu erkennen, zu strken und neue zu entwickeln, gerade auch bei denjenigen, die eher im unaufflligen Leistungsmittelfeld sind. Wir verstehen uns als ein Haus des Lernens, d.h. wir sind nicht nur ein Haus der Wissensvermittlung, sondern auch ein Haus des Entdeckens, des Sammelns von Erfahrungen, des Fra-gens, des Probierens, des Zeitlassens, des gemeinsamen Gestaltens. Das gilt nicht nur fr unsere Schlerinnen und Schler, sondern genauso fr Lehrerin-nen und Lehrer.

    Gute Schulen nutzen Daten fr ihre Entwicklung Ein Aspekt, der in den letzten Jahren auch im Anschluss an vernderte Strategien der bildungspolitischen Steuerung zu einem zentralen Qualitts-kriterium fr Schulentwicklung avanciert ist, liegt in der Nutzung von Daten: Zielgerichtete Schulentwicklung so die Grundidee basiert auch auf der systematischen Auswertung zurckliegender Erfahrungen (Retroactive Planning). Dabei wird idealtypisch von einem Lernzirkel ausgegangen, der von der Rezeption der Ergebnisse ber die Reflexion hin zur Aktion und deren Evaluation verluft (vgl. z.B. Helmke 2009). Rezeption beschreibt das ver-stndige Aufnehmen der Informationen aus Evaluationen, Reflexion meint den Schritt der gemeinsamen Hypothesenbildung und Ursachensuche fr Beson-derheiten und Aufflligkeiten in den Ergebnissen. Besteht nach Auffassung der Schule dann ein Handlungsbedarf, knnen entsprechende Manahmen geplant und umgesetzt werden (Aktion). Schlielich werden die implementier-ten Manahmen auf ihre Wirkungen hin erneut evaluiert.

    Fr eine Schule als lernende Organisation, die ihre Entwicklungsverlufe auch auf die Basis verfgbarer Datenrckmeldungen sttzt, stehen derzeit drei eva-luationsbezogene Datenquellen im Vordergrund: landesweite Vergleichsarbei-ten (Lernstandserhebungen, Kompetenztests), externe Evaluationen (Schul-

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    inspektion, Qualittsanalyse) und die regelhafte berprfung der Ergebnis und Prozessqualitt durch interne Evaluation (Selbstevaluation).

    Standardisierte Lernstandserhebungen bzw. Vergleichsarbeiten (VERA) wer-den jhrlich bundesweit in der dritten und achten Jahrgangsstufe in den F-chern Deutsch, Mathematik und in weiterfhrenden Schulen ergnzend in der ersten Fremdsprache (Englisch oder Franzsisch) durchgefhrt. Die Ergeb-nisse von VERA dienen zwar primr der Unterrichtsentwicklung, sollen jedoch auch ber die Klassenebene hinaus zur Schulentwicklung genutzt werden. Dies geschieht beispielsweise, wenn die Reflexion von Ergebnisrckmeldun-gen und die Entwicklung von Frdermanahmen im Rahmen professioneller Lerngemeinschaften organisiert werden. Als besonders geeignete Ebene hier-fr gelten jahrgangsbezogene Fachgruppen bzw. jahrgangsbergreifende Fachkonferenzen. Fr Schulleitungen ergibt sich darber hinaus die Option, durch den systematischen Abgleich von Parallelklassenergebnissen gezielt Hospitations- und Fortbildungsmanahmen zu planen.

    Die Schulinspektion stellt ein externes Evaluationsverfahren dar, bei dem In-spektionsteams Schulen vor Ort begutachten. Die Bewertung der Schulen er-folgt auf Basis von landesspezifischen Orientierungsrahmen fr Schulqualitt, in denen die normative Vorstellung von guter Schule beschrieben wird. Wichtige Qualittsdimensionen sind neben den Ertrgen einer Schule (z.B. Schlerleistungen) Prozessdimensionen wie Schulmanagement und Konzep-te der Qualittsentwicklung. Die Inspektionsurteile beruhen auf der Auswer-tung unterschiedlicher schulischer Daten wie Dokumentenanalyse, Unter-richtsbeobachtung, Interviews und schriftlichen Befragungen. Sie werden zu einem Strken-Schwchen-Profil zusammengefasst und den Schulen zurck-gemeldet. Diese Rckmeldung soll z.B. im Austausch mit der Schulaufsicht in eine Formulierung von Entwicklungszielen mnden oder ggf. zur Konsultation von externen Schulentwicklungsberatern motivieren.

    Unter Selbstevaluation oder interner Evaluation schlielich werden verschie-denste Verfahren subsumiert, bei denen Schulen in eigener Regie Daten ziel-gerichtet generieren. Bei diesem Evaluationstyp ist das Gefhl der Owner-ship-of-Data, d.h., dass es sich wirklich um ihre Daten handelt, bei den Be-teiligten in der Schule besonders ausgeprgt. Der Wert gelungener interner Evaluationen fr Schulen als lernende Organisationen wird daher als beson-ders hoch eingeschtzt.

    Wie kohrente Evaluationspolitiken in der Praxis gestaltet werden knnen, zeigen die ausgezeichneten bzw. nominierten Schulen des Deutschen Schul-preises 2013 in vielfacher Hinsicht. So wurden z.B. in der nominierten Wald-schule Grundschule der Stadt Flensburg die jahrelang unter dem Landes-schnitt liegenden VERA-Ergebnisse zum Anlass fr Fachkonferenz-Absprachen genommen, die jeweils fr die gesamte Altersstufe verbindlich

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    wurden. Flankierend wurden schuleigene Kompetenzraster fr die Fcher Deutsch und Mathematik erstellt und festgelegt, dass Lehrkrfte zuknftig ihre unterrichtlichen Leistungen durch Hospitationszirkel weiterentwickeln. Die Schulleitung untersttzte und organisierte diesen Prozess kollegialer Hospita-tion und Beratung. Darber hinaus organisierte die Schulleitung auch Rck-meldezirkel, in denen Lehrkrfte das Fhrungsverhalten der Schulleitung selbst bewerteten. Die Ergebnisse wurden anschlieend besprochen und ge-gebenenfalls Konsequenzen abgeleitet.

    Der Aufbau eines evaluativen Potenzials in Schulen das zeigt dieses Bei-spiel auch hngt nicht allein von der Bereitschaft und Kompetenz der schuli-schen Akteure ab, Evaluationswissen zu nutzen. Gefordert sind vielmehr auch die Ausbildung neuer Organisationsstrukturen und die Einfhrung entspre-chender Koordinations- und Dokumentationsprozesse.

    Die Gemeinschaftsschule in der Taus beispielsweise dokumentiert in einem auch online verfgbaren Qualittsmanagement-Handbuch (Zugriff 03.12.2014) die Ergebnisse von Vergleichsarbeiten, Lernstandserhebungen, Abschlussprfungen und anderen schulischen Daten (Klassenwiederholungs- und bertrittsquoten). Wenn aufgrund der Analyse dieser Daten jahrgangsbe-zogene oder jahrgangsbergreifende Manahmen eingeleitet werden, dann werden diese gemeinsam mit den Evaluationsergebnissen im Handbuch do-kumentiert. Als weitere elektronische Untersttzung kann ein Online-Befragungsmanager zur Gestaltung eigener Datenerhebungen bei Selbsteva-luationen genutzt werden.

    Auch die Hauptpreistrgerschule, die Anne-Frank-Schule Bargteheide, hat ihr Selbstevaluationskonzept systematisch aufgebaut und organisational veran-kert. Von der Schulkonferenz wird ein Evaluationsteam fr jeweils zwei Jahre gewhlt. Dieses Team begleitet neue Schulprojekte, legt mit der jeweiligen Projektgruppe die zu evaluierenden Ziele und Prozesse fest und wertet sie aus. Das Evaluationsteam ist der Schulkonferenz gegenber rechenschafts-pflichtig. Es kann daneben auch Evaluationsauftrge von der Lehrkrftekonfe-renz, dem Schulelternbeirat, der Schlervertretung und der Schulleitung bear-beiten. Um mglichst aktuelle und wissenschaftlich abgesicherte Evaluations-verfahren einsetzen zu knnen, hat das Evaluationsteam selbst ebenfalls An-spruch auf Fortbildung.

    Lernende Institutionen wachsen an Widersprchen Fassen wir zusammen: In guten Schulen werden nicht nur Lernprozesse fr Schlerinnen und Schler erfolgreich arrangiert. Auch die einzelne Schule selbst muss zu einer lernenden Institution werden, um die ihr zugestandenen Gestaltungsspielrume nutzen und den sich immer wieder verndernden und grer werdenden Herausforderungen proaktiv begegnen zu knnen. An den Beispielen vieler mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Schulen

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    wird deutlich, dass sich hinter dem Anspruch einer lernenden Institution an-spruchsvolle Lern- und Entwicklungsprozesse verbergen, die mit zahlreichen Herausforderungen, Widersprchen und Anstrengungen verbunden sind. Denn hnlich wie wir auch fr andere Qualittsbereiche hervorgehoben haben (vgl. Schratz/Pant/Wischer 2012), gibt es zwar zahlreiche Instrumente und Verfahren, um solche Lern- und Entwicklungsprozesse zu gestalten. Es gibt aber keine Patentrezepte. Neben der systematischen und kompetenten Nut-zung verfgbarer Werkzeuge sind immer auch Ausdauer und pdagogischer Idealismus gefragt. Die fr den Deutschen Schulpreis nominierten bzw. beim Wettbewerb ausgezeichneten Schulen beeindrucken durch eine kluge Aus-balancierung dieser vielfltigen Ansprche und Herausforderungen. Sie zei-gen nicht zuletzt eindrucksvoll auf, dass es mehr als lohnenswert ist, sich als Schule gemeinsam auf den Weg zu begeben.

    Literatur Bakhtin, M. (1993): Toward a Philosophy of the Act. Austin: University of Texas Press.

    Fauser, P./Prenzel, M./Schratz, M. (2007): Was fr Schulen! Gute Schule in Deutsch-land. Der Deutsche Schulpreis 2006. Seelze: Klett/Kallmeyer.

    Helmke, A. (2009): Unterrichtsqualitt und Lehrerprofessionalitt. Diagnose, Evaluati-on und Verbesserung des Unterrichts. Seelze: Klett/Kallmeyer.

    Schratz, M./Pant, H.A./Wischer, B. (2012): Umgang mit Vielfalt. In: Dies. (Hrsg.): Was fr Schulen! Vom Umgang mit Vielfalt Beispiele guter Praxis. Seelze: Klett/Kallmeyer, S. 715.

    Senge, P. (1996): Die fnfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Dieser Beitrag erschien erstmal als Einleitung zu dem Buch: Michael Schratz, Hans Anand Pant, Beate Wischer (Hr sg.): Was fr Schulen! Der Deutsche Schulpreis 2013 Schule als lernende Institution Beispiele guter P raxis Der Text wurde fr die Verffentlichung jenseits des Buchs leicht berarbeitet.