Schw bische Hausfrau taugt nicht als Ma§stab · baut haben. Unternehmen wer-den nicht alt. Die...

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Staatsanzeiger · Freitag, 23. November 2012 · Nr. 46 nehme ich euer Geld. Dann ste- hen wir in 30, 40 Jahren besser da. Und dann habe ich über- haupt kein Problem damit, die erforderlichen Zinsen zu zahlen. Denn wegen der gesteigerten Wirtschaftsleistung steigt die Schuldenstandsquote nicht, die die Staatsverschuldung in Relati- on zur Wirtschaftsleistung abbil- det. Wo kommen wir denn hin, wenn der Staat das nicht macht? Bei einem Prozent Zinsen bre- chen die gesamte Altersvorsorge und die Lebensversicherungen zusammen. Die deutschen Spa- rer bekommen schon jetzt so gut wie keine Zinsen mehr. Muss man nicht fürchten, dass Bür- ger, wenn die öffentliche Hand Schulden macht, dasselbe tun? Oder anders gefragt: Wäre es nicht allein schon aus psychologischer Sicht sinnvoll, wenn ein Staat so handeln würde wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau? Die Privatleute bekommen doch kein Geld, solange sie keine Si- cherheiten vorweisen können. Da passen die Banken schon auf. Und die deutschen Privathaus- halte sind ohnehin sehr konser- vativ. Da spielt auch die protes- tantische Verantwortungsethik eine Rolle. Sie raten Staaten, sich nicht von den Finanzmärkten treiben zu lassen. Können es Staaten einfach ignorie- ren, wenn ihre Währung Achter- bahn fährt oder wenn sie keine Kre- dite mehr zu bezahlbaren Konditio- nen bekommen? Nein. Aber sie brauchen es, wenn sie groß genug sind, erst gar nicht dazu kommen lassen. Die Tatsa- che, dass die Weltwirtschaft noch läuft, haben wir Staaten wie Großbritannien, Japan und den USA zu verdanken, die in ihrer ei- genen Währung verschuldet sind und die unabhängig von den Fi- nanzmärkten eine vernünftige Politik machen können. Die ha- ben kräftige Notenbanken und müssen sich von den Finanz- märkten nicht in die Ecke drän- gen lassen. Das Problem der Eu- ro-Länder ist, dass sie diese Un- abhängigkeit nicht mehr haben. Das Gespräch führte Michael Schwarz Interview: Schuldenbremse Peter Bofinger, Volkswirtschaftler aus Würzburg, ist so etwas wie das gewerkschaftliche Gewissen im Sachverständigenrat zur Begutach- tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Wirtschaftsweise lehnt die Schuldenbremse im Grundgesetz ab und warnt davor, Schuldenbremsen in Landesverfas- sungen aufzunehmen, wie dies in Baden-Württemberg geplant ist. Staatsanzeiger: Jahrzehntelang ha- ben Deutschlands Politiker Schulden angehäuft. Dann ist ihnen ein Licht aufgegangen und sie haben eine Schuldenbremse ins Grundgesetz ge- schrieben. Was ist falsch daran? Peter Bofinger: Das Problem der Schuldenbremse ist, dass sie dem Staat die Möglichkeit nimmt, Mit- tel am Kapitalmarkt aufzuneh- men, um damit zukunftsträchtige Investitionen durchzuführen. In- sofern ist die Schuldenbremse eine völlig pervertierte Antwort auf die Finanzkrise. Die Finanzkri- se hat deutlich gezeigt, dass die Fi- nanzmärkte kaum in der Lage sind, mit den Mitteln, die man ih- nen gibt, vernünftige Zukunftsin- vestitionen zu tätigen. Riesige Er- sparnisse sind so vernichtet wor- den. Der Staat versucht, zumindest seine Finanzen wieder in den Griff zu be- kommen. Das ist doch aller Ehren wert. Nein. Die Konsequenz, die gezo- gen wurde, heißt: Jetzt darf der Staat nicht mehr für die Zukunft tätig sein. Denn Schuldenbremse heißt ja: Der Staat darf keine Defi- zite mehr machen, selbst wenn er investiv tätig wird. Das ist ein gra- vierender Fehler. Der Sachver- ständigenrat hat sich für die Schul- denbremse ausgesprochen. Aber er hat gesagt: Selbstverständlich muss der Staat für Investitionen Schulden machen. Das ist die gol- dene Regel der Finanzpolitik. Und gegen diese goldene Regel der Fi- nanzpolitik verstößt die Schulden- bremse. Das ist der Ausdruck eines vollständigen ökonomischen Ver- sagens der Politik. Was empfehlen Sie stattdessen? Das Problem der Schulden lässt sich doch nicht einfach wegdiskutieren. Solange Schulden zu Investitionen führen, habe ich kein Problem da- mit. Wenn die öffentliche Hand Zukunftsinvestitionen tätigen will, deren Rendite höher ist als die Zinsen am Kapitalmarkt, dann soll sie das tun. In Straßen, in Umwelt, in Bildung. Diese Möglichkeit hat man dem Staat genommen. Man hat in den Kategorien der schwäbi- schen Hausfrau gedacht, wo man eigentlich in den Kategorien der schwäbischen Unternehmerin hätte denken müssen. Aber auch die schwäbische Unterneh- merin wird eines Tages ihre Schulden zurückzahlen. Nein. Private Haushalte müssen ihre Schulden zurückzahlen, weil Menschen irgendwann sterben und keine Schulden vererben wol- len. Unternehmen und Staaten sterben nicht. Insofern gibt es überhaupt keinen Grund, die Ver- schuldung auf null zurückzufüh- ren. Bei einem Menschen geht die Leistungskraft im Laufe des Le- bens zurück. Dann sollte er idea- lerweise auch die Schulden abge- baut haben. Unternehmen wer- den nicht alt. Die meisten Schul- den in Deutschland sind Unter- nehmensschulden. Und niemand würde auf die Idee kommen, diese auf null zurückzuführen. Die Ei- genkapitalquote deutscher Unter- nehmen liegt bei 25 Prozent. Hat die Überschuldung von Staaten wie Griechenland nun in eine Krise geführt oder nicht? Das ist wie bei Unternehmen: Man muss es vernünftig tun. Deswegen kann auch nicht die Konsequenz sein, dass Unternehmen keine Schulden mehr machen dürfen. Das Problem ist, dass die Schul- denbremse von Juristen formu- liert wurde, die von Ökonomie kei- ne Ahnung haben. Sie warnen davor, die Schuldenbrem- se in die Landesverfassung von Ba- den-Württemberg zu schreiben. Was soll stattdessen geschehen? Ich würde einen Zukunftsrat grün- den, der darüber wacht, was an Zu- kunftsinvestitionen getätigt wird. Der müsste immer erst angehört werden, wenn die Politik plant, Kredite aufzunehmen oder Steu- ern zu senken. Grün-Rot argumentiert in gewisser Weise ähnlich wie Sie. Finanzminister Nils Schmid weist regelmäßig darauf hin, dass er Geld für Infrastrukturin- vestitionen zurücklegen muss und deshalb mehr Zeit braucht als andere Länder, um die Nullverschuldung zu erreichen. Findet diese Vorgehens- weise Ihre Zustimmung? Die Schuldenbremse brauchen wir nicht, die Investitionen schon. Die Frage ist doch: Wie bekommen wir die 150 Milliarden Euro unter, die die Deutschen pro Jahr sparen? Wo sind die Anlagen dafür? Der deutsche Staat könnte doch sagen: Ich mache ein paar vernünftige In- vestitionen. Die bringen unsere Wirtschaft voran. Die steigern un- ser Bruttoinlandsprodukt. Dafür Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser und Professor für Volkswirtschaft, Würzburg Schwäbische Hausfrau taugt nicht als Maßstab „Die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass die Finanzmärkte kaum in der Lage sind, vernünftige Zukunftsinvestitionen zu tätigen“, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. FOTO: DPA FDP will Nullverschuldung bereits 2016 erreichen Im Landtag von Baden-Württemberg wird nicht über das Ob, sondern über das Wie einer Schuldenbremse gestritten. Dabei plädiert Grün-Rot für einen flachen Abbaupfad. Finanzminister Nils Schmid (SPD) will bis 2020 bis zu 6,4 Milliarden Euro neue Schulden aufneh- men. Der Opposition ist das nicht ambi- tioniert genug. FDP-Fraktionschef Hans- Ulrich Rülke etwa schlägt eine Neuver- schuldung von 3,2 bis 3,4 Milliarden Euro bis 2016 vor. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat je- doch einer beschleunigten Einführung eine Absage erteilt. Um die Schulden- bremse in die Landesverfassung zu schreiben, braucht Grün-Rot zumindest die Zustimmung der CDU.

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Staatsanzeiger · Freitag, 23. November 2012 · Nr. 46 Hintergrund 3

nehme ich euer Geld. Dann ste-hen wir in 30, 40 Jahren besserda. Und dann habe ich über-haupt kein Problem damit, dieerforderlichen Zinsen zu zahlen.Denn wegen der gesteigertenWirtschaftsleistung steigt dieSchuldenstandsquote nicht, diedie Staatsverschuldung in Relati-on zur Wirtschaftsleistung abbil-det. Wo kommen wir denn hin,wenn der Staat das nicht macht?Bei einem Prozent Zinsen bre-chen die gesamte Altersvorsorgeund die Lebensversicherungenzusammen. Die deutschen Spa-rer bekommen schon jetzt so gutwie keine Zinsen mehr.

Muss man nicht fürchten, dass Bür-ger, wenn die öffentliche HandSchulden macht, dasselbe tun? Oderanders gefragt: Wäre es nicht alleinschon aus psychologischer Sichtsinnvoll, wenn ein Staat so handelnwürde wie die sprichwörtlicheschwäbische Hausfrau?

Die Privatleute bekommen dochkein Geld, solange sie keine Si-cherheiten vorweisen können.Da passen die Banken schon auf.Und die deutschen Privathaus-halte sind ohnehin sehr konser-vativ. Da spielt auch die protes-tantische Verantwortungsethikeine Rolle.

Sie raten Staaten, sich nicht von denFinanzmärkten treiben zu lassen.Können es Staaten einfach ignorie-ren, wenn ihre Währung Achter-bahn fährt oder wenn sie keine Kre-dite mehr zu bezahlbaren Konditio-nen bekommen?

Nein. Aber sie brauchen es, wennsie groß genug sind, erst gar nichtdazu kommen lassen. Die Tatsa-che, dass die Weltwirtschaftnoch läuft, haben wir Staaten wieGroßbritannien, Japan und denUSA zu verdanken, die in ihrer ei-genen Währung verschuldet sindund die unabhängig von den Fi-nanzmärkten eine vernünftigePolitik machen können. Die ha-ben kräftige Notenbanken undmüssen sich von den Finanz-märkten nicht in die Ecke drän-gen lassen. Das Problem der Eu-ro-Länder ist, dass sie diese Un-abhängigkeit nicht mehr haben.

Das Gespräch führteMichael Schwarz

Interview:Schuldenbremse

Peter Bofinger, Volkswirtschaftleraus Würzburg, ist so etwas wie dasgewerkschaftliche Gewissen imSachverständigenrat zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung. Der Wirtschaftsweiselehnt die Schuldenbremse imGrundgesetz ab und warnt davor,Schuldenbremsen in Landesverfas-sungen aufzunehmen, wie dies inBaden-Württemberg geplant ist.

Staatsanzeiger: Jahrzehntelang ha-ben Deutschlands Politiker Schuldenangehäuft. Dann ist ihnen ein Lichtaufgegangen und sie haben eineSchuldenbremse ins Grundgesetz ge-schrieben. Was ist falsch daran?

Peter Bofinger: Das Problem derSchuldenbremse ist, dass sie demStaat die Möglichkeit nimmt, Mit-tel am Kapitalmarkt aufzuneh-men, um damit zukunftsträchtigeInvestitionen durchzuführen. In-sofern ist die Schuldenbremseeine völlig pervertierte Antwortauf die Finanzkrise. Die Finanzkri-se hat deutlich gezeigt, dass die Fi-nanzmärkte kaum in der Lagesind, mit den Mitteln, die man ih-nen gibt, vernünftige Zukunftsin-vestitionen zu tätigen. Riesige Er-sparnisse sind so vernichtet wor-den.

Der Staat versucht, zumindest seineFinanzen wieder in den Griff zu be-kommen. Das ist doch aller Ehrenwert.

Nein. Die Konsequenz, die gezo-gen wurde, heißt: Jetzt darf derStaat nicht mehr für die Zukunfttätig sein. Denn Schuldenbremseheißt ja: Der Staat darf keine Defi-zite mehr machen, selbst wenn erinvestiv tätig wird. Das ist ein gra-vierender Fehler. Der Sachver-ständigenrat hat sich für die Schul-

denbremse ausgesprochen. Aberer hat gesagt: Selbstverständlichmuss der Staat für InvestitionenSchulden machen. Das ist die gol-dene Regel der Finanzpolitik. Undgegen diese goldene Regel der Fi-nanzpolitik verstößt die Schulden-bremse. Das ist der Ausdruck einesvollständigen ökonomischen Ver-sagens der Politik.

Was empfehlen Sie stattdessen? DasProblem der Schulden lässt sich dochnicht einfach wegdiskutieren.

Solange Schulden zu Investitionenführen, habe ich kein Problem da-mit. Wenn die öffentliche HandZukunftsinvestitionen tätigenwill, deren Rendite höher ist als dieZinsen am Kapitalmarkt, dann sollsie das tun. In Straßen, in Umwelt,in Bildung. Diese Möglichkeit hatman dem Staat genommen. Manhat in den Kategorien der schwäbi-schen Hausfrau gedacht, wo maneigentlich in den Kategorien derschwäbischen Unternehmerinhätte denken müssen.

Aber auch die schwäbische Unterneh-merin wird eines Tages ihre Schuldenzurückzahlen.

Nein. Private Haushalte müssenihre Schulden zurückzahlen, weilMenschen irgendwann sterbenund keine Schulden vererben wol-len. Unternehmen und Staatensterben nicht. Insofern gibt esüberhaupt keinen Grund, die Ver-schuldung auf null zurückzufüh-ren. Bei einem Menschen geht dieLeistungskraft im Laufe des Le-bens zurück. Dann sollte er idea-lerweise auch die Schulden abge-baut haben. Unternehmen wer-den nicht alt. Die meisten Schul-den in Deutschland sind Unter-nehmensschulden. Und niemandwürde auf die Idee kommen, diese

auf null zurückzuführen. Die Ei-genkapitalquote deutscher Unter-nehmen liegt bei 25 Prozent.

Hat die Überschuldung von Staatenwie Griechenland nun in eine Krisegeführt oder nicht?

Das ist wie bei Unternehmen: Manmuss es vernünftig tun. Deswegenkann auch nicht die Konsequenzsein, dass Unternehmen keineSchulden mehr machen dürfen.Das Problem ist, dass die Schul-denbremse von Juristen formu-liert wurde, die von Ökonomie kei-ne Ahnung haben.

Sie warnen davor, die Schuldenbrem-se in die Landesverfassung von Ba-den-Württemberg zu schreiben. Wassoll stattdessen geschehen?

Ich würde einen Zukunftsrat grün-den, der darüber wacht, was an Zu-kunftsinvestitionen getätigt wird.Der müsste immer erst angehörtwerden, wenn die Politik plant,Kredite aufzunehmen oder Steu-ern zu senken.

Grün-Rot argumentiert in gewisserWeise ähnlich wie Sie. FinanzministerNils Schmid weist regelmäßig daraufhin, dass er Geld für Infrastrukturin-vestitionen zurücklegen muss unddeshalb mehr Zeit braucht als andereLänder, um die Nullverschuldung zuerreichen. Findet diese Vorgehens-weise Ihre Zustimmung?

Die Schuldenbremse brauchen wirnicht, die Investitionen schon. DieFrage ist doch: Wie bekommen wirdie 150 Milliarden Euro unter, diedie Deutschen pro Jahr sparen?Wo sind die Anlagen dafür? Derdeutsche Staat könnte doch sagen:Ich mache ein paar vernünftige In-vestitionen. Die bringen unsereWirtschaft voran. Die steigern un-ser Bruttoinlandsprodukt. Dafür

Peter Bofinger,Wirtschaftsweiser und Professorfür Volkswirtschaft, Würzburg

Schwäbische Hausfrautaugt nicht als Maßstab

„Die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass die Finanzmärkte kaum in der Lage sind, vernünftige Zukunftsinvestitionen zu tätigen“, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. FOTO: DPA

FDP will Nullverschuldung bereits 2016 erreichen

Im Landtag von Baden-Württembergwird nicht über das Ob, sondern über dasWie einer Schuldenbremse gestritten.

Dabei plädiert Grün-Rot für einenflachen Abbaupfad. Finanzminister NilsSchmid (SPD) will bis 2020 bis zu 6,4Milliarden Euro neue Schulden aufneh-men. Der Opposition ist das nicht ambi-tioniert genug. FDP-Fraktionschef Hans-

Ulrich Rülke etwa schlägt eine Neuver-schuldung von 3,2 bis 3,4 MilliardenEuro bis 2016 vor. MinisterpräsidentWinfried Kretschmann (Grüne) hat je-doch einer beschleunigten Einführungeine Absage erteilt. Um die Schulden-bremse in die Landesverfassung zuschreiben, braucht Grün-Rot zumindestdie Zustimmung der CDU.

Kinderbetreuungist auch am Abend gefragtPädagogische Anforderungen steigen

STUTTGART. Wenn es Spinat gibt,würde Laszlo lieber zu Hause blei-ben. „Den mag ich nicht“, sagt er.An anderen Tagen kommt derAchtjährige gerne nach der Schulein das Kinderhaus Regenbogen imStuttgarter Westen. Auch, wenn ermanchmal erst gegen 19 Uhr abge-holt wird. „Da meckere ich dann,weil ich noch länger spielen will.“

Eltern können in der Einrich-tung, die von der katholischenSankt-Elisabeth-Gemeinde getra-gen wird, zwischen verschiedenenBausteinen wählen. Außer der Re-gelbetreuung von 7 bis 17 Uhr bie-tet das Kinderhaus in Zusammen-arbeit mit einem gewerblichen An-bieter, der Münchner Isar-Gruppe,eine Betreuung bis 20 Uhr undsamstags von 8.30 bis 18 Uhr an.Die Münchner Gesellschaft über-nimmt das betriebswirtschaftlicheRisiko und kümmert sich um Erzie-her für die späten Stunden.

Gegen halb sechs weht an die-sem Abend ein süßer Duft aus demSpielecafé im Kinderhaus. Es istAbendessenszeit. „Piep, piep, piep,Guten Appetit“, skandieren dieetwa 20 Kinder an den Tischen.Vollkornbrot und zum NachtischWaffeln stehen auf dem Speise-plan. „Der Puderzucker war le-cker“, findet die vierjährige Tara.

Die Nachfrage nach ausgedehntenBetreuungszeiten steigt

Seit 2006 gibt es das erweiterte An-gebot im Kinderhaus. „Wir habengesehen, dass der Bedarf definitivda ist“, sagt Kita-Leiter MichaelWalter. „Denn die Flexibilisierungam Arbeitsplatz nimmt zu.“ WaltersBeobachtungen decken sich mitdenen des Kommunalverbands fürJugend und Soziales Baden-Würt-temberg, der die Betriebserlaubnisfür Kindertageseinrichtungen er-

teilt. Auch dort sieht man eine stei-gende Nachfrage nach ausgedehn-ten Betreuungsangeboten. EinLieblingsbeispiel des Kinderhaus-Leiters sind Friseure. Sie nutztendas Angebot am Samstag, dafür kä-men die Kinder aber montagsnicht. „Das Kita-System inDeutschland ist auf Montag bisFreitag ausgerichtet. Das ist eineklare Benachteiligung“, sagt er.

Dass es Berufsgruppen gibt, dieauf erweiterte Betreuungszeitenangewiesen sind, weiß auch Man-fred Sigel, Vorstandsvorsitzenderder Stiftung Tragwerk. Ab Juli willdie Stiftung in Kirchheim/Teck ihreKita zunächst von 6 bis 20 Uhr öff-nen, später sogar eine Über-Nacht-Betreuung ins Auge fassen. Ein An-gebot, das es laut Kultusministeri-um so in Baden-Württemberg nochnicht gibt.

Einen erhöhten Betreuungsbe-darf sah man vor zwei Jahren auchin Tübingen in der städtischen Kin-dervilla. Im Januar 2010 wurde eineÜber-Nacht-Betreuung eingeführt,auch eine Abendbetreuung von 18bis 20 Uhr und ein Angebot amSamstag gab es damals. „SchonEnde 2010 haben wir das mangelsNachfrage wieder eingestellt“, sagt

Kita-Leiterin Barbara Weiß. Vor al-lem über Nacht hätten die meistenEltern einen Babysitter bevorzugt.

Dass bestehende Angebote nichtgenutzt werden, könnte unter an-derem an den Kosten liegen, glaubtMichael Walter. Denn wird in Stutt-gart die Regelbetreuungszeit beiKindertagesstätten – in diesem Fallzehn Stunden pro Tag – überschrit-ten, gibt es keine kommunalen Zu-schüsse mehr. Fünf Euro müssenEltern im Stuttgarter Kinderhauspro Betreuungsstunde in der Isar-Phase bezahlen. Während der Re-gelzeit ist es bloß knapp ein Euro.

Kinder, die bis abends bleiben,werden dafür später gebracht

Auch die Angst einiger Eltern,schief angeschaut zu werden, spie-le oft eine Rolle, wenn es darumgeht, das Kind in eine Ganztagsbe-treuung zu geben. Aber: „Es ist janicht so, dass Kinder zwölf Stundenda sind. Wer spät abgeholt wird,kommt auch relativ spät“, sagt Wal-ter. Viele Mädchen und Jungenwürden es auch genießen, die Bau-ecke einmal nicht mit 20 anderenKindern teilen zu müssen.

Diese Erfahrung hat auch der Va-ter eines sechsjährigen Jungen ge-macht. Sein Sohn geht nach derSchule in die Kita und bleibt bisabends. „Ich hätte ein schlechtesGewissen, wenn ich den Eindruckhätte, er würde warten, dass er ab-geholt wird“, sagt der Vater. Das Ge-genteil sei der Fall: „Mein Sohn fin-det oft, er war zu kurz hier.“ Für denVater, ein Journalist, ist das Kinder-haus Regenbogen „ein absoluterGlückstreffer“.

Eine Herausforderung stellt dasunterschiedliche Kommen und Ge-hen der Kinder für die Erzieherin-nen dar. „Der pädagogische Alltagmuss den ganzen Tag stattfinden“,

erklärt Walter. Atelier, Werkstattoder Musikzimmer sind beispiels-weise jederzeit geöffnet.

Beliebt an diesem Abend ist dasSpielecafé. „Lotti Karotti“ zieht dieKinder in ihren Bann, eine Art mo-dernes Mensch-Ärgere-dich-Nicht. „Abgeholt“, ruft manchmaljemand, wenn Eltern kommen, umSohn oder Tochter mit nach Hausezu nehmen. Langsam verkleinertsich die Runde – nicht ohne Mur-ren. „Manno“, schimpft ein Junge,als er seine Mutter sieht, „ich wolltedoch noch spielen.“ (ank)

Viele Kinder genießen es, den ganzen Tag mit ihren Freunden im Kinderhaus imStuttgarter Westen zu verbringen. FOTO: KINDERHAUS REGENBOGEN

Angebot im KinderhausDas Kinderhaus Regenbogen verfügtüber 100 Plätze und kann – dankPlatzsharing – 110 Kinder aufneh-men. Für alle Mädchen und Jungenwird ein individueller Betreuungs-vertrag abgeschlossen. Bei Bedarf istauch eine Kurzzeitbetreuung vonKindern möglich. In der Schubladevon Kinderhaus-Leiter Michael Walterliegen außerdem bereits Pläne füreine Über-Nacht-Betreuung, derenUmsetzung nach seinen Worten je-doch noch einige Zeit dauern wird.