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650 WALD Forschung & Lehre 8|18 Der Deutsche Wald Seine Geschichte, seine Ökologie E ine große Zahl unterschiedli- cher Waldtypen dominiert weite Teile der Landoberfläche unse- res Planeten: von den artenarmen bo- realen Nadelwäldern Sibiriens bis zu den artenreichen immergrünen Regen- wäldern der Tropen. Vor allem mediter- rane Hartlaubwälder, aber auch tropi- sche Trockenwälder und unsere som- mergrünen Wälder der gemäßigten Breiten zählen zu den Lebensräumen, die historisch bereits über die Hälfte ih- rer ursprünglichen Fläche verloren ha- ben. Heutzutage sind insgesamt noch etwa 30 Prozent der Kontinente von Wäldern bedeckt. Diese beherbergen aber 80 Prozent der lebenden Biomasse aller Landpflanzen. In den letzten 25 Jahren sind weltweit knapp 1,3 Millio- nen Quadratkilometer Wald verloren gegangen – mehr als 3,5 mal die Fläche Deutschlands oder etwas über drei Pro- zent der verbliebenen Waldfläche. Wäh- rend die Wälder in den gemäßigten Kli- maten der Erde heutzutage sogar zu- nehmen, finden sich die höchsten Waldverluste in den Tropen. In den verschiedenen Schichten von Bäumen, Sträuchern und Kräutern bieten Wälder Lebensraum für Hun- derttausende von Tier- und Pflanzenar- ten – von denen jedes Jahr immer noch tausende neu entdeckt werden. Über 8 000 Pflanzenarten der Wälder unseres Planeten werden direkt von Menschen genutzt. Auf einem Hektar Fläche im Amazonas-Regenwald Ecuadors 100 × 100m – wachsen über 1 000 ver- schiedene Pflanzenarten inklusive über 400 Baumarten. Dies entspricht in etwa der Gesamtflora Finnlands oder 600 Prozent der Baumarten Mitteleuropas! Es waren Untersuchungen der Insek- tenvielfalt in den Baumkronen tropi- scher Regenwaldbäume, die erst in den 1980er Jahren deutlich gemacht haben, dass ein Großteil der Mitbewohner un- seres Planeten noch unentdeckt ist. Weltweit betrachtet sind die wichtigsten Zentren biologischer Vielfalt vor allem durch Waldökosysteme geprägt – das westliche Amazonas-Becken mit den angrenzenden Bergwäldern des Anden- Abhangs, die Mata Atlantica im Südos- ten Brasiliens oder auch die heute stark bedrohten Regenwälder Südost-Asiens sind prominente Beispiele. Wann ist der Wald ein Wald? Die Frage, welche Lebensräume welt- weit tatsächlich als Wald zu betrachten sind, und wie sich hier z. B. eine dicht mit Bäumen bestandene tropische Sa- vanne abgrenzt, hängt stark von den verschiedenen Definitionen von „Wald“ ab – von denen es hunderte gibt. Unter- schiedliche Grenzwerte von Flächen- größe, Baumhöhe oder der Bedeckung durch die Baumkronen können heran- gezogen werden – oder auch die Aus- prägung eines eigenen Waldklimas. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorga- nisation der Vereinten Nationen (FAO) definiert Wald als eine Fläche von min- destens 0,5 Hektar, mit mindestens fünf Meter hohen Bäumen, deren Baumkro- nen mindestens zehn Prozent der Flä- che überdecken – eine Kronendeckung, die in Mitteleuropa vermutlich niemand als Wald ansprechen würde. In Deutschland definiert das Bundeswald- gesetz in § 2 Wald als „jede mit Forst- pflanzen bestockte Grundfläche“ mit Einschränkungen z. B. bei kleineren Baumgruppen oder Hecken oder auch Baumbeständen im landwirtschaftli- chen Bereich. Aktuelle Kahlschläge, Waldwege und Lichtungen gehören for- mal aber auch zum Wald nach der Defi- nition des Bundeswaldgesetzes. Der deutsche Wald Deutschland wäre ohne Einfluss des Menschen ein Waldland. Aktuell bede- cken landwirtschaftliche Flächen zwar über die Hälfte unserer Landschaften und werden von weiteren 13 Prozent Siedlungs- und Verkehrsfläche ergänzt. Die potenziell natürliche Vegetation, die sich unter gegenwärtigen Umweltbe- dingungen ohne Eingriffe des Men- schen von selbst einstellen würde, wäre aber auf etwa 90 Prozent der Fläche durch Laubwälder bestimmt. Auf gro- ßen Flächen prägend wäre heute natür- licherweise vor allem die Rotbuche. Diese bildet als Schattenbaumart Wäl- der, die so geschlossen und dunkel sind, dass die meisten anderen Baumarten nicht keimen und ihre Bestände verjün- | JENS MUTKE | DIETMAR QUANDT | Wälder sind die Landlebensräume mit der größten Vielfalt und Komplexität an Lebensformen und Strukturen. Seit der letzten Eiszeit hat sich das Bild des deutschen Waldes immer wieder verändert. AUTOREN Jens Mutke ist Aka- demischer Oberrat am Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Uni- versität Bonn. Dietmar Quandt ist Professor am Nees- Institut für Biodiversi- tät der Pflanzen an der Universität Bonn.

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Der Deutsche WaldSeine Geschichte, seine Ökologie

Eine große Zahl unterschiedli-cher Waldtypen dominiert weiteTeile der Landoberfläche unse-

res Planeten: von den artenarmen bo-realen Nadelwäldern Sibiriens bis zuden artenreichen immergrünen Regen-wäldern der Tropen. Vor allem mediter-rane Hartlaubwälder, aber auch tropi-sche Trockenwälder und unsere som-mergrünen Wälder der gemäßigtenBreiten zählen zu den Lebensräumen,die historisch bereits über die Hälfte ih-rer ursprünglichen Fläche verloren ha-ben. Heutzutage sind insgesamt nochetwa 30 Prozent der Kontinente vonWäldern bedeckt. Diese beherbergenaber 80 Prozent der lebenden Biomassealler Landpflanzen. In den letzten 25Jahren sind weltweit knapp 1,3 Millio-nen Quadratkilometer Wald verlorengegangen – mehr als 3,5 mal die FlächeDeutschlands oder etwas über drei Pro-zent der verbliebenen Waldfläche. Wäh-

rend die Wälder in den gemäßigten Kli-maten der Erde heutzutage sogar zu-nehmen, finden sich die höchstenWaldverluste in den Tropen.

In den verschiedenen Schichtenvon Bäumen, Sträuchern und Kräuternbieten Wälder Lebensraum für Hun-derttausende von Tier- und Pflanzenar-ten – von denen jedes Jahr immer nochtausende neu entdeckt werden. Über8 000 Pflanzenarten der Wälder unseresPlaneten werden direkt von Menschengenutzt. Auf einem Hektar Fläche imAmazonas-Regenwald Ecuadors –100 × 100m – wachsen über 1 000 ver-schiedene Pflanzenarten inklusive über400 Baumarten. Dies entspricht in etwader Gesamtflora Finnlands oder 600Prozent der Baumarten Mitteleuropas!Es waren Untersuchungen der Insek-tenvielfalt in den Baumkronen tropi-scher Regenwaldbäume, die erst in den1980er Jahren deutlich gemacht haben,dass ein Großteil der Mitbewohner un-seres Planeten noch unentdeckt ist.Weltweit betrachtet sind die wichtigstenZentren biologischer Vielfalt vor allemdurch Waldökosysteme geprägt – daswestliche Amazonas-Becken mit denangrenzenden Bergwäldern des Anden-Abhangs, die Mata Atlantica im Südos-ten Brasiliens oder auch die heute starkbedrohten Regenwälder Südost-Asienssind prominente Beispiele.

Wann ist der Wald ein Wald? Die Frage, welche Lebensräume welt-weit tatsächlich als Wald zu betrachtensind, und wie sich hier z. B. eine dichtmit Bäumen bestandene tropische Sa-vanne abgrenzt, hängt stark von den

verschiedenen Definitionen von „Wald“ab – von denen es hunderte gibt. Unter-schiedliche Grenzwerte von Flächen-größe, Baumhöhe oder der Bedeckungdurch die Baumkronen können heran-gezogen werden – oder auch die Aus-prägung eines eigenen Waldklimas. DieErnährungs- und Landwirtschaftsorga-nisation der Vereinten Nationen (FAO)definiert Wald als eine Fläche von min-destens 0,5 Hektar, mit mindestens fünfMeter hohen Bäumen, deren Baumkro-nen mindestens zehn Prozent der Flä-che überdecken – eine Kronendeckung,die in Mitteleuropa vermutlich niemandals Wald ansprechen würde. InDeutschland definiert das Bundeswald-gesetz in § 2 Wald als „jede mit Forst-pflanzen bestockte Grundfläche“ mitEinschränkungen z. B. bei kleinerenBaumgruppen oder Hecken oder auchBaumbeständen im landwirtschaftli-chen Bereich. Aktuelle Kahlschläge,Waldwege und Lichtungen gehören for-mal aber auch zum Wald nach der Defi-nition des Bundeswaldgesetzes.

Der deutsche Wald Deutschland wäre ohne Einfluss desMenschen ein Waldland. Aktuell bede-cken landwirtschaftliche Flächen zwarüber die Hälfte unserer Landschaftenund werden von weiteren 13 ProzentSiedlungs- und Verkehrsfläche ergänzt.Die potenziell natürliche Vegetation,die sich unter gegenwärtigen Umweltbe-dingungen ohne Eingriffe des Men-schen von selbst einstellen würde, wäreaber auf etwa 90 Prozent der Flächedurch Laubwälder bestimmt. Auf gro-ßen Flächen prägend wäre heute natür-licherweise vor allem die Rotbuche.Diese bildet als Schattenbaumart Wäl-der, die so geschlossen und dunkel sind,dass die meisten anderen Baumartennicht keimen und ihre Bestände verjün-

| J E N S M U T K E | D I E T M A R Q U A N D T | Wälder sind dieLandlebensräume mit der größten Vielfalt und Komplexität an Lebensformenund Strukturen. Seit der letzten Eiszeit hat sich das Bild des deutschen Waldesimmer wieder verändert.

A U T O R E N

Jens Mutke ist Aka-demischer Oberratam Nees-Institut fürBiodiversität derPflanzen an der Uni-versität Bonn.

Dietmar Quandt istProfessor am Nees-Institut für Biodiversi-tät der Pflanzen ander Universität Bonn.

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gen können. Daher würden Buchenüberall dominieren, wo es nicht zufeucht oder zu trocken ist. Bei einer na-türlichen Dynamik der Wälder mit ei-nem Mosaik unterschiedlicher Alters-phasen wären überall aber auch klein-räumig Flecken mit anderen Baumartenund Waldtypen zu finden. Lokal gäbe esabweichend vom dominierenden Bu-chenwald in unseren Flussauen oderauf Moorstandorten Wälder aus Weidenund Eschen oder Erlen und Birken. Tei-le des trockeneren Osten Deutschlandswären dagegen vor allem durch Eichen-mischwälder und auch Kiefern geprägt.Im Gebirge kämen auch Tannen undweitere Nadelbäume dazu.

Allerdings haben sich in Mitteleuro-pa erst nach Ende der letzten Eiszeitvor ca. 12 000 Jahren erste Wälder ausden eiszeitlichen Steppen-Tundren ent-wickelt. Auch zu dieser Zeit gab esschon Jäger und Sammler in unsererRegion. Deren Bevölkerungsdichte waraber extrem niedrig und ihre Werkzeu-ge, mit denen sie Landschaft verändernkonnten, waren noch sehr einge-schränkt. Die wichtigsten Faktorenmenschlichen Einflusses waren zu die-ser Zeit vermutlich Feuer sowie die Be-jagung und teilweise Ausrottung wichti-ger pflanzenfressender Großsäuger wiedes Riesenhirsches oder des Wildpfer-des. Erst vor etwa 6-7 000 Jahren brei-tete sich in Mitteleuropa erstmaligLandwirtschaft aus, die vor etwa 10 000Jahren im „fruchtbaren Halbmond“ imNahen Osten entstanden war. Zu die-

sem Zeitpunkt waren noch offenereWaldlandschaften mit Ulmen, Eichen,Linden und Hasel vorherrschend. DieRotbuche und auch die Tanne sind erstrelativ spät – in etwa zeitgleich mit derLandwirtschaft – aus Refugien auf demBalkan wieder nach Mitteleuropa ein-gewandert.

Ob die damaligen Ulmen- und Ei-chenmischwälder insgesamt nur deut-lich lichter waren als heutige Buchen-wälder oder ob sogar größere Offen-

land-Bereiche vorkamen, ist nicht voll-ständig geklärt. Im Vergleich zumdunkleren Buchenwald dürfte aber einedichtere und reichhaltigere Krautschichtin diesen Wäldern vorhanden gewesensein.

Die Nutzungsgeschichte desWaldes

Dass trotz der potenziell heute domi-nierenden Rotbuche andere Bäume alstypische Symbole des deutschen Waldes

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Potenziell natürliche Vegetation (nach Bohn et al. 2003) Aktuelle Landbedeckung (CORINE Land Cover 2006)

Entwicklung der Waldfläche und der Bevölkerung Deutschlands seit dem Mittelalter (verändertnach Poschlod 2015: Geschichte der Kulturlandschaft)

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gelten, dürfte auch mit der jahrhunder-telangen Nutzungsgeschichte zusam-menhängen. Außer im Hochgebirge gibtes vermutlich keinen Fleck Landschaftin Mitteleuropa, der nicht durchmenschliche Nutzung verändert wurde.Die bis in das 19. Jahrhundert großflä-chig praktizierte Waldweide hat einendeutlichen Einfluss auf die Zusammen-setzung unserer Wälder gehabt. Die kla-re Trennung von Wald auf der einenSeite und offenem Weideland auf deranderen ist eine moderne Erfindung.Wälder wurden bis in das 19. Jahrhun-dert wesentlich vielfältiger genutzt – ne-ben der Waldweide vor allemauch durch Rechen von Ein-streu für Tierhaltung oder Dün-gung der Äcker, für die Gewin-nung von Eichenrinde zumGerben (Lohe) oder von Kien-spänen als weit verbreitetem Beleuch-tungsmittel. Aber auch die Imkerei oderdas Sammeln von Beeren und Nüssenwaren allgegenwärtig. Der Wald warnicht nur Forst zur Holzgewinnung,sondern umfassend genutzter Lebens-raum. Die in der romantischen Land-schaftsmalerei dokumentierten fastparkartigen, offenen Eichenwälder mitcharakteristischen Altbäumen sinddurch Nutzung entstanden. Eichenwurden dabei besonders für die Eichel-mast von Schweinen gefördert. DurchNutzungsaufgabe sind diese Hutewäl-der mit krautreichem Unterwuchs sel-ten geworden und werden nur nochdurch Pflegemaßnahmen des Natur-schutzes erhalten. Bis heute hat sichaber das Bild der Eiche als des typischdeutschen Baums erhalten. Auch dieLinde ist nicht nur heute ein häufigerAllee-Baum, sondern spielt als Dorf -linde oder Gerichtslinde kulturhisto-risch eine Rolle.

Der größere Teil der etwa 30 ProzentWald- und Forstfläche in Deutschlandist mit meist standortfremden Nadelbau-marten aufgeforstet. Knapp ein Viertelunserer heutigen Wälder stockt auf Flä-chen, die erst in den letzten 200 Jahrenwieder bewaldet wurden – besonders imNordwestdeutschen Tiefland, das imNorden von den Küsten der Nord- undOstsee und im Süden von der mitteleu-ropäischen Mittelgebirgsschwelle be-grenzt ist. Wie viele der 77 Prozent Flä-chen von Altwäldern tatsächlich durch-gehend mit Wald bestockt waren undauch die mittelalterlichen Rodungsperi-oden überstanden haben, lässt sich lan-desweit nicht sagen. Für einzelne Wälderlässt sich dies aber nachvollziehen. Eine

erste größere Rodungsphase hatte es be-reits in der Römerzeit gegeben. DerWaldverlust in dieser Zeit wurde wohlgrößtenteils während der Völkerwande-rung wieder ausgeglichen, als viele Sied-lungen wieder aufgegeben wurden. Erstseit dem Mittelalter erfasste der Wandelpraktisch die gesamte ursprünglicheWaldvegetation. Besonders mit der star-ken Bevölkerungszunahme in der mit-telalterlichen Warmzeit ging zwischendem 9. und dem 13. Jahrhundertdeutlich über die Hälfte der WaldflächeDeutschlands verloren. Ab dem 14. Jahr-hundert häuften sich klimabedingt Miss-

ernten und Überschwemmungen. Dieresultierenden Hungersnöte und diePestepidemien führten zu einem starkenBevölkerungsrückgang und einem Brach-fallen von Kulturland. Gleichzeitig wurdeim 14. Jahrhundert bei Nürnberg erst-malig eine Aufforstung durch aktive„Waldsaat“ entwickelt. Während sich dieWaldfläche Deutschlands relativ schnellpraktisch verdoppelte, ist sie seit dem15. Jahrhundert mit etwa 30 Prozent imGroßen und Ganzen stabil. Die Strukturvieler Wälder war aber bis zum Endeder Waldweide im 19. Jahrhundert größ-tenteils vermutlich deutlich offener alsdie meisten unserer heutigen Wälder.Regional zu erheblicher Entwaldungführte auch noch einmal der massiveHolzbedarf zu Beginn der Industrialisie-rung.

Wie wild soll es sein?In Deutschland gibt es noch eine Reihegrößerer Waldgebiete wie Schwarzwald,Bayrischer Wald, Pfälzer Wald, Harzoder Thüringer Wald. Die meisten die-ser Gebiete sind mindestens als Natur-parke nach dem Bundesnaturschutzge-setz ausgewiesen. Allerdings sorgt diesehr kleinräumig fragmentierte Strukturweiter Teile unserer Landschaften dafür,dass der größere Teil unserer Wälderheute isolierte „Inseln“ in der Agrar-landschaft sind.

In Mitteleuropa gibt es vermutlichkeine Pflanzenart, die nur in unbewirt-schafteten Wäldern vorkommt. Aller-dings sind zahlreiche Tierarten auf na-türliche Zerfallsprozesse des Waldesangewiesen. In den letzten Jahren wirdversucht, durch die Schaffung höhererAnteile von Totholz und sogenannten

Biotop-Bäumen z. B. Bruthöhlen fürSpechte oder Fledermäuse und Lebens-raum für viele Insekten zu schaffen.Denn selbst auf schon lange bestehen-den Altwald-Standorten werden diewenigsten Bäume wirklich alt, bevor siegefällt werden – weniger als ein Viertelder Waldfläche in Deutschland ist mitBäumen bestockt, die älter als 100Jahre sind. Nach Daten der Bun des -wald inven tur, der durch das Bundes-waldgesetz vorgeschriebenen forstlichenGroßrauminventur, sind nur etwa dreiProzent des Baumbestands älter als160 Jahre. Da es in Mitteleuropa schon

lange keine natürlichen „Ur-wälder“ mehr gibt, die erhaltenwerden könnten, wurden durchdie Forstverwaltungen der Bun-desländer in den letzten Jahr-zehnten Naturwaldzellen aus-

gewiesen, die mindestens 20 Hektarumfassen sollen und frei von forstlicherNutzung sind. Um eine tatsächlich na-turnahe Dynamik zu entwickeln, seheninternational verschiedene InitiativenWildnisgebiete von mindestens mehre-ren hundert Hektar Größe als notwen-dig an. Die Biodiversitätsstrategie derBundesregierung von 2007 sieht eben-falls die Einrichtung von ausreichendgroßen „Wildnisgebieten“ z. B. in denNationalparken vor und setzt das Ziel,dass sich bis 2020 die Natur auf min-destens zwei Prozent der Ladeflächewieder nach ihren eigenen Gesetzmä-ßigkeiten entwickeln kann. Allerdingsstellt sich die Frage, wie eine naturnaheDynamik unter Einfluss der ursprüng-lich bei uns vorkommenden Großsäugeraussehen würde. Die Tierwelt Mitteleu-ropas ist zumindest bezogen auf solcheTiere mit mehreren Kilo Körpergewichtschon seit Jahrhunderten vollkommenverändert. Große Pflanzenfresser wieWisent, Wildpferd und Auerochse, aberauch größere Raubtiere wie Wolf undBär sind bei uns schon vor langer Zeitausgerottet worden. Noch im 17. Jahr-hundert erlegte alleine der sächsischeKurfürst Johann Georg I. persönlich et-wa 170 Wölfe pro Jahr. Auf europäischerEbene versucht das Netzwerk „Rewil-dering Europe“ unter anderem, die ur-sprünglichen Arten von Wildtieren beiuns wieder zu etablieren. Die öffentli-chen Diskussionen um „Problembären“oder um mögliche Gefahren durchWölfe zeigen aber, welche Schwierig-keiten solche Initiativen in unsererdicht besiedelten Landschaft heute ha-ben können – trotz niedriger Bestands-zahlen.

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»Deutschland wäre ohne Einfluss desMenschen ein Waldland.«