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Zur Geschichtsdiskussion Letzte Fassung nach Diskussion in parteiöffentlicher Sitzung der Geschichtskommission am 12.5.94 in Leverkusen. Der 12. Parteitag empfahl der Partei vier Anträge der Geschichtskommission als Arbeitsmaterial zur weiteren Diskussion. Verbunden mit der Empfehlung, die Anträge auf dem nächsten Parteitag, entsprechend dem Verlauf der Diskussion, entweder erneut zu stellen, zu verändern oder zurückzuziehen. Der Grund dafür war das Wissen darum, daß es über die in diesen Anträgen aufgeworfenen Fragen in der Partei noch keine über- einstimmende Meinung gibt und deshalb harte Diskus- sionen und knappe Mehrheiten wahrscheinlich gewesen wären. Dies aber hätte in der ohnehin angespannten Situation der ersten zwei Tage des 12. Parteitags der Partei nicht genützt. Die Geschichtskommission stellt sich der hieraus er- wachsenden Aufgabe. Sie erarbeitete den nachfolgen- den Einführungstext für die Diskussion und veröffentlicht ihn zusammen mit den vier Anträgen. Sie stellt auf Anforderung Referenten für Grundorganisationen und Kreise, um dort an der Diskussion teilzunehmen. Um zu hören und aufzunehmen, was die Parteibasis zu der aufgeworfenen Problematik denkt und sagt. Wir sind nicht interessiert an Kampfabstimmungen des nächsten Parteitags, die mit knappen Mehrheiten die Partei eher spalten als auf tragfähiger Grundlage zu- sammenführen. Aber wir sind interessiert an einem gründlichen und fairen Diskussionsprozess, der ehrlich und offen die unserer Meinung nach notwendigen Lehren aus der Geschichte zieht. Viele Genossinnen und Genossen fragen, haben wir für eine solche Diskussion Zeit und Kraft, muss sie sein, lenkt sie uns nicht ab von der so notwendigen politi- schen Tagesarbeit? Natürlich kostet diese Diskussion Zeit, Kraft und Nerven, die wir für das Eingreifen in die aktuelle Politik brauchen.

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Zur GeschichtsdiskussionLetzte Fassung nach Diskussion in parteiöffentliche r Sitzung der Geschichtskommission am 12.5.94 in Le verkusen.

Der 12. Parteitag empfahl der Partei vier Anträge derGeschichtskommission als Arbeitsmaterial zur weiterenDiskussion. Verbunden mit der Empfehlung, die Anträgeauf dem nächsten Parteitag, entsprechend dem Verlaufder Diskussion, entweder erneut zu stellen, zuverändern oder zurückzuziehen. Der Grund dafür wardas Wissen darum, daß es über die in diesen Anträgenaufgeworfenen Fragen in der Partei noch keine über-einstimmende Meinung gibt und deshalb harte Diskus-sionen und knappe Mehrheiten wahrscheinlich gewesenwären. Dies aber hätte in der ohnehin angespanntenSituation der ersten zwei Tage des 12. Parteitags derPartei nicht genützt.

Die Geschichtskommission stellt sich der hieraus er-wachsenden Aufgabe. Sie erarbeitete den nachfolgen-den Einführungstext für die Diskussion und veröffentlichtihn zusammen mit den vier Anträgen. Sie stellt aufAnforderung Referenten für Grundorganisationen undKreise, um dort an der Diskussion teilzunehmen. Um zuhören und aufzunehmen, was die Parteibasis zu deraufgeworfenen Problematik denkt und sagt.

Wir sind nicht interessiert an Kampfabstimmungen desnächsten Parteitags, die mit knappen Mehrheiten diePartei eher spalten als auf tragfähiger Grundlage zu-sammenführen. Aber wir sind interessiert an einemgründlichen und fairen Diskussionsprozess, der ehrlichund offen die unserer Meinung nach notwendigenLehren aus der Geschichte zieht.

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Viele Genossinnen und Genossen fragen, haben wir füreine solche Diskussion Zeit und Kraft, muss sie sein,lenkt sie uns nicht ab von der so notwendigen politi-schen Tagesarbeit?

Natürlich kostet diese Diskussion Zeit, Kraft und Nerven,die wir für das Eingreifen in die aktuelle Politik brauchen.

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Seite 2Wie wir davon betroffen waren liegt auf der Hand. DurchParteistrukturen und politische Aussagen, die, aus densozialistischen Ländern auf uns übertragen, auch unsmitgeformt haben ( unser Verständnis vondemokratischen Zentralismus, Körperschaftsdisziplin,das Selbstverständnis der Partei als einer "Armee" imKlassenkampf, bedingungslose und kritiklose Verteidi-gung aller Entscheidungen in den sozialistischen Län-dern und anderes mehr). Und haben wir nicht im Um-gang mit Genossinnen und Genossen in KPD und DKPähnliche Fehler gemacht? Erinnert sei nur, stellvertre-tend für alle Betroffenen, an Genossen Sperling, anvielfältigen Funktionsentzug wegen Westemigration undan manche Ausschlüsse in den 80er Jahren.

Der Sozialismus zerbrach auch am äußeren Druck deskapitalistischen Systems. Heißer Krieg, kalter Krieg,totrüsten, Wirtschsaftsembargo, verlogener Medienkriegund vieles andere. Doch es bleibt die Frage, warumerwiesen sich die äußeren Einwirkungen als sowirksam, daß der Sozialismus daran zerbrach? Dochwohl deshalb, weil die innere Situation nicht stabil genugwar. Weil die Menschen zum Schluss auf Grund ihrereigenen Lebenserfahrungen nicht mehr vom be-stehenden Sozialismus überzeugt waren, nicht bereitwaren, ihn zu verteidigen. Nur deshalb konnte dassozialistische Weltsystem in kürzester Zeit durch äuße-ren und inneren Druck zerbrechen.

Wir meinen, im Rückstand der Demokratie liegt einwesentlicher innerer Grund für diese Haltung derMenschen, für das Scheitern des Sozialismus, dafür,daß er seine Ökonomie und sein politisches System nurungenügend entwickeln konnte und die Unterstützungdes überwiegenden Teils der Arbeiterklasse verlor.

Wegen dieser Entstellung marxistischer Gestaltungs-prinzipien erwies sich der Sozialismus gerade dann alsreformunfähig, als unter den Bedingungen der wissen-schaflich-technischen Revolution und des internationa-len Klassenkampfes das Gelingen von Reformen über-lebensnotwendig wurde. Der Sozialismus verlor dieFähigkeit, sich selbst zu korrigieren. Uns muss es dochzu denken geben, daß alle wichtigen Reformansätze inallen sozialistischen Ländern Europas entweder nicht zuEnde geführt wurden oder ihre Ziele nicht erreichten undsomit letztlich scheiterten. Wir glauben, wesentlicheUrsachen hierfür in unseren Anträgen benannt zu ha-ben.

Mehremale wird in den Anträgen das Wort "Stalinismus"gebraucht. Hierzu gehen die Meinungen in der Parteiweit auseinander. Für die einen ist Stalinismusausschliesslich ein Kampfbegriff des Klassengegnerszur antikommunistischen Verleumdungspropaganda.Andere wiederum setzen die ganze Entwicklung desSozialismus mit Stalinismus gleich, wieder anderekönnen sich sozialistische Entwicklungen unter denBedingungen weltweiter kapitalistischer Überlegenheitnur mit eingeschränkter Demokratie vorstellen. Sieverurteilen die begangenen Verbrechen, nicht aber diegesellschaftsprägenden Strukturen. Manche lehnen denBegriff Stalinismus ab, weil ihnen das Wort zu sehr aufdie Person Stalins bezogen ist. Warum also gebrauchenwir in unseren Anträgen trotzdem diesen Begriff?

Der reale Sozialismus scheiterte nach großen Erfolgen:Der Sieg über die Interventionsarmeen aus 14 kapitali-

stischen Ländern, die Alphabetisierung der Bevölkerung,die Industriealisierung Sowjetrusslands, dieNiederwerfung des Faschismus, die Herausbildung dersozialistischen Staatengemeinschaft. Der Sozialismusschuf innerhalb seiner Grenzen soziale Sicherheit,gleiche Bildungschancen, vorbildliche Gesundheitssy-steme, einen neuen Umgang der Menschen miteinan-der. Seine Existenz ermöglichte den Zusammenbruchdes imperialistischen Kolonialsystems, nationale Be-freiungsrevolutionen und legte dem Imperialismus Zügelan. Und wenn wir heute in der Bundesrepublik sozialeund demokratische Errungenschaften zu verteidigenhaben, so ist auch dies mit ein Ergebnis derOktoberrevolution und des realen Sozialismus. All dasbeweist, die Oktoberrevolution und die sozialistischeOption waren richtig und haben die Welt verändert. DasVolk in der Sowjetunion hat Großes geleistet. Noch Grö-ßeres wäre möglich gewesen, hätte das Volk im Verlaufder Entwicklung immer mehr bestimmmt und Machtausgeübt.

Nach und trotz dieser Erfolge scheiterte der Sozialis-mus, weil eine Summe von Fehlentwicklungen in Politik,Wirtschaft und Theorie, die ein ganzes System bilden, indie Sackgasse führte. Der Sozialismus in Europazerbrach nicht deshalb, weil der wissenschaftlicheSozialismus sich als falsch erwiesen hätte, sondern imErgebnis seiner Deformierung und Mißachtung. DieserAusgang hätte vermieden werden können beirechtzeitiger Korrektur, die Entwicklung war lange offen.

Beschränkungen der Demokratie, auch der Gegenterrorals Antwort auf den Terror der Konterrevolution waren inzugespitzten Situationen des Klassenkampfesunvermeidlich. Sie hätten jedoch möglichst schnellüberwunden werden müssen. Statt dessen wurden sietheoretisch begründet und als angebliche Bestandteilesozialistischer Demokratie verfestigt. Das musste not-wendigerweise zur dauerhaften Deformierung desSozialismus führen.

Ob der Begriff Stalinismus die Gesamtheit dieser Fehl-entwicklungen abdeckt, muß die weitere Diskussionergeben. Wir verwenden ihn, wissend um den vomGegner mit diesem Begriff getriebenen Mißbrauch, weiluns kein anderer Begriff bekannt ist, um diese Entstel-lung kommunistischer Theorie und Praxis mit einemWort zu benennen. Und weil die Deformation begann,als Stalin die kollektive Führung durch seinen Unfehl-barkeitsanspruch ersetzte.Stalinismus bleibt so ein Hilfsbegriff, für den es zur Zeitkeinen besseren gibt. Er engt stalinistische Strukturennicht auf die Lebenszeit Stalins und die terroristischenAspekte ein, er verbindet sie nicht untrennbar mit derPerson Stalins.

Für uns gehören zu diesem Stalinismusbegriff vorrangigfolgende Faktoren:• ein reduziertes Sozialismusverständnis, das in der

Schaffung neuer Machtverhältnisse, staatlichemEigentum und zentraler Planung bereits die Verwirk-lichung des Ziels sieht und wesentliche weiterge-hende Sozialismusinhalte aus den Augen verliert, vorallem dessen humanistische und ethische Grundla-gen, das abgeht von der dialektischen Sicht des"Aufhebens" der Errungenschaften der alten Gesell-schaftsordnung in der neuen;

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Seite 3• ein Begriff von politischer Macht, der vorrangig auf die

Apparate des Staates, der Partei und auf dieUnterdrückung nicht genehmer Meinungen setzt stattauf geistige Auseinandersetzung und Überzeugungder Arbeiter, Bauern und Intellektuellen. So konnte esgeschehen, daß im Extremfall auch offener Terrorselbst gegen die eigene Klassenbasis und engsteMitkämpfer gerichtet und akzeptiert wurde;

• ein Verständnis von sozialistischem Eigentum, dasseine entwickeltste Form im Staatseigentum findet,das zentral-bürokratisch geleitet keineswegs der Auf-hebung der Entfremdung, sondern ihrer Erhaltungdient;

• eine bürokratische Planung, die in der Regel Ansätzezum Mitdenken und Mitgestalten erstickt und die Ent-faltung der wichtigsten Produktivkraft, des Menschen,behindert;

• das Wahrheitsmonopol einer oligarchisch strukturier-ten, sich immer mehr von Kritik abschirmenden undvon den Massen isolierenden Führungsmannschaft,die jede Alternativdiskussion blockiert;

• ein Theorieverständnis, das auf dogmatisch einge-engten Teilaussagen des Marxismus beruht unddiese zur Legitimierung jedweder politischen Wen-dung mißbraucht;

• ein Geschichtsverständnis, das sich der kritischenÜberprüfung der Theorie an Hand der Praxis entzieht,das Fehlerdiskussionen als überflüssig betrachtet,weil Fehler im "Vorwärtsschreiten" überwundenwerden, das in falsch verstandener Parteilichkeitkritische Seiten der Geschichte ausblendet, Personenund Gruppen ausgrenzt, statt ihr Wirken sachlich zubewerten;

• ein Parteiverständnis, in dem die Einheit des Wollensund Handelns nicht auf dem offenen Ausdiskutierenauch alternativer Vorstellungen beruht, sondern aufKörperschaftsdisziplin und bedingungsloserUnterordnung;

• eine zentral bestimmte Personalpolitik in Partei undStaat, bei der Funktionsbesetzungen vom Wohlwollender Führung und der Bereitschaft zum Unterordnenabhängen, was nicht Kritikfähigkeit, sondernDuckmäusertum fördert;

• ein Verständnis von internationaler Solidarität, dasnicht auf kameradschaftlicher Diskussion gemeinsa-mer oder unterschiedlicher Meinungen beruht, son-dern auf bedingungsloses akzeptieren auch falscherPolitik einer Bruderpartei.

So gesehen kann Stalinismus nicht begrenzt werden aufdie unfassbaren Verbrechen von 1934 - 1953, in derenVerurteilung wir uns alle einig sind. Er ist mehr undbesteht aus Strukturen in Partei und Gesellschaft undaus Denk- und Handlungsweisen, die sich aus diesenStrukturen ergeben und im Extremfall bis zumVerbrechen führen. Diese Verbrechen haben diekommunistischen Parteien belastet und verändert, aberdeshalb waren sie keine Verbrecherparteien. Sie habenfür den Fortschritt der Menschheit große Opfer ge-bracht. Der Kampf der deutschen Kommunisten gegenden Faschismus wird unvergessen bleiben.

So gesehen ist Stalinismus auch keinesfalls identischmit Sozialismus, sondern ein Abgehen von wichtigensozialistischen Prinzipien, eine Deformation des So-zialismus und der kommunistischen Parteien, die erbeide entscheidend schwächte und reformunfähigmachte.

So gesehen ist Stalinismus nicht eine an die PersonStalins gebundene, zeitlich längst vergangene Angele-genheit. Der 20. Parteitag der KPdSU brach 1956 nurmit den Verbrechen, dem Terror, aber nicht mit Struktu-ren und Verhaltenweisen, die zum Verbrechen führten.Das wirkte sich bis in die Schlussphase des Sozialismusaus. Die Überwindung nachstalinistischer Denkweisenund Parteistrukturen verlangt die kritische Überprüfungunseres eigenen Denkens und Handelns. Dabei geht esdarum, wie heute eine kommunistische Partei aussehenmuss, die den revolutionären Kampf führt und mit derArbeiterklasse und allen dazu bereiten Bündnispartnerneine neue Gesellschaft aufbauen will.

Immer wieder hören wir in der Diskussion die Ansicht,mit dem 2o. Parteitag der KPdSU und dem damitverbundenen Bruch in der kommunistischen Politik habeder Niedergang der kommunistischen Weltbewegungbegonnen. Wir halten dies für falsch. Unsere Kritik am20. Parteitag ist entgegengesetzt. Wir kritisieren seineInkonsequenz, seine begrenzte Sicht auf die Ursachender Verbrechen, die allein in der Person Stalins, seinerHelfer und im Personenkult um ihn gesehen wurden.Die Strukturen der Partei, ihr Wahrheitsmonopol, ihrAlleinvertretungsanspruch und die unkrontrollierte Machtder Führung über die Gesellschaft wurden nicht hin-terfragt. Unverändert beherrschte die Spitze derFührung den Apparat, der Apparat seinerseits die Parteiund diese die sozialistische Gesellschaft.

Dies alles war so, trotzdem wir bei Marx wichtige Hin-weise für andere Sozialismusvorstellungen finden, z.B.die Abwählbarkeit von Abgeordneten und Parteipoliti-kern, Durchschnittsgehälter und keine Privilegien für alleStaatsbedienstete, an den Wählerwillen gebundeneMandate und anderes mehr.

Selbstkritisch müssen wir uns auch fragen, was habenwir, die DKP, nach unserer Neukonstituierung aus dem20. Parteitag der KPdSU gemacht? Versäumten wirnicht, dieses Thema aufzuarbeiten? Wir verweisen aufunseren lange Zeit zögerlichen Umgang mit Rehabilitie-rungen von ungerecht behandelten Genossinnen undGenossen. Die Ursachen für diese Entstellungen sozia-listischer Demokratie und Grundwerte in der Sowjet-union und ihre Auswirkungen auf die kommunistischeWeltbewegung lagen nur zum Teil in der Person Stalins.Objektive Umstände trugen dazu bei, die Möglichkeit derEntwicklung solcher Deformationen zu vergrößern.Gleichwohl waren sie nicht unvermeidlich und dieEntwicklung nicht zwangsläufig.

Diese objektiven Umstände bestanden im ungenügen-den Entwicklungsstand des Kapitalismus und derbürgerlichen Demokratie im vorrevolutionären Russland,in der insgesamt äußerst rückständigen kulturellenEntwicklung des Landes zum Zeitpunkt der Revolution(Analphabetentum und Macht der Kirche), in der Tod-feindschaft der kapitalistischen Umwelt, die Sowje-trussland ständig militärisch bedrohte und zweimal zumKampf auf Leben und Tod zwang, Interventionskrieg von

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Seite 414 Staaten 1918/19 und faschistischer Überfall imzweiten Weltkrieg.Hinzu kommen kalter Krieg, roll back-und Embargopolitik nach dem 2. Weltkrieg sowie einebürgerlichen Ideologie, die mit allem Mitteln denSozialismus bekämpfte.

Der Sozialismus in Europa konnte sich von seinemEntstehen bis zu seinem Untergang niemals allein ausseinen eigenen Bedingungen heraus entwickeln. Stetshat ihn die von außen kommende kapitalistische Tod-feindschaft gehemmt und verformt. Das hat wesentlichzu seiner stalinistischen Entstellung beigetragen. ZumDenken im vereinfachten Freund / Feind Gegensatz, zurEinteilung in Gute und Schlechte, in wirkliche Genossenund Agenten.

Wenn wir die Geschichte unserer eigenen Partei be-trachten wird deutlich, daß es bei uns für undemokrati-sche Strukturen und Denkweisen zusätzliche Gründegab, die im Umgang des Klassengegners mit uns lagen.Sein Verhalten lässt sich kennzeichnen mit dem Satz"Nur ein toter Kommunist ist ein guter Kommunist".Morde in der Weimarer Republik (Rosa und Karl), eineauf dem rechten Auge blinde Justiz, die die Linke mitunerbittlichem Hass verfolgte, Faschismus, KZ undMassenterror. Nach dem zweiten Weltkrieg Parteiver-bot, Berufsverbote, tausende von Prozessen undMillionen von Bespitzelungen. Parteiarbeit unter illegalenBedingungen beschränkte notwendigerweiseDemokratie in der Partei. Das alles hat uns geformt undverformt.

Hinzu kommt eine nationale und internationale Klassen-kampfsituation, in der jede öffentliche Kritik an derSowjetunion, SED oder auch an der eigenen Partei zurFolge hatte, daß die Kritikerin oder der Kritiker vomKlassengegner als Kronzeuge gegen die kommunisti-sche Bewegung vereinnahmt und mißbraucht wurde.Was umgekehrt zu Ausschlüssen und Agentenhysterieführte. Kritik an der Sowjetunion bedeutete Bruch mitder Partei. Manche Begrenzung innerparteilicher De-mokratie bis 1989, Überforderungen des Apparats, nichtoffener Umgang mit den Mitgliedern und Unfähigkeitzum produktiven Austragen unterschiedlicher Positionenhaben hier ihre Ursache. Was die Auswirkungen solchverschärfter Kampfbedingungen sind und was vonstalinistischen Strukturen, Denk- und Verhaltensweisenherrührt, lässt sich kaum auseinanderhalten.

Wir tun uns mit der Aufarbeitung dieser Seiten unsererGeschichte schwer. Auch deshalb, weil für uns dasKommunistsein ein wichtiger Teil unseres Lebens warund ist, weil wir mit Herz und Verstand unserer Parteiverbunden sind. Das ist gut so und soll so bleiben.Aber wir müssen erkennen, auch wenn dies schwer fällt,daß die Nachwirkungen stalinistischer Denk- undVerhaltensweisen bei fast jedem von uns mit seinemLeben, seinem Kampf und seiner persönlichen Identitäteinhergehen. Deshalb erscheint uns oft die Diskussionüber Stalinismus als Infragestellung unseres kommuni-stischen Lebens und wir sind versucht diese Kritik alsunzutreffend zurückzuweisen. Schließlich haben wir

ehrlich und selbstlos für unsere kommunistischen Zielegekämpft, die für uns auch heute noch erstrebenwertbleiben.

Wir haben den Begriff Stalinismus dem Kapital zumMißbrauch gegen die Linke überlassen. Aber es gibtzum Stalinismus, wie zu vielen anderen Fakten undBegriffen, eine Sicht der Bourgeoisie und eine Sicht derArbeiterbewegung und der Kommunisten. Wir solltenuns durchringen zu der Grundeinstellung, daß diebeschriebenen undemokratischen Strukturen, Denk-und Verhaltenweisen mit unseren kommunistischenIdealen unvereinbar sind und wir uns bewusst von ihnentrennen. Nicht, weil uns der Klassengegner mit seinerVerleumdungskampagne dazu zwingt, sondern weil wiraus unserer kommunistischen Überzeugung heraus zudieser Konsequenz gelangen.

Soviel dazu, was wir unter Stalinismus verstehen. Ausheutiger Sicht halten wir es für falsch, diesen Begriffnicht zu gebrauchen, nicht zu definieren und ihn damitdem Klassengegner als Keule gegen uns zu überlassen.

Das Zerbrechen des Sozialismus in Europa hat uns tiefgetroffen. Vieles haben wir verloren. Freundinnen undFreunde, Solidarität, Hilfe, die weltweit stärkste Kraft fürFrieden und eine gerechte Welt.Wir verloren all dies auch deshalb, weil wir den Sozia-lismus nicht richtig verteidigten. Zu seiner Verteidigunghätte gehört, ihm bei der Überwindung seiner Deforma-tionen zu helfen. Diese Hilfe aber wäre nur zu leistengewesen durch interne und öffentliche Kritik.

Wir wissen heute, daß der in der Vergangenheit einge-schlagene Weg des Sozialismus nicht der einzig mög-liche war. Es gab damals durchaus Alternativen. Heutebesteht unsere kommunistische Aufgabe auch darin,aus der Vergangenheit zu lernen, Weg und Ziel desSozialismus auf der Grundlage unserer marxistischenGrundposition und Weltanschauung neu zu durchden-ken. Unsere sozialistisch kommunistische Zukunftsvi-sion haben wir nicht verloren.

Für die Zukunft sind wir der Überzeugung, die Nieder-lage schließt neue Anläufe zum Sozialismus nicht aus.Im Gegenteil. Die Überwindung der profitorientiertenkapitalistischen Gesellschaftsordnung wird erzwungenund notwendig wegen ihrer Menschenfeindlichkeit undNaturzerstörung. Die Existenzbedingungen der ganzenMenschheit sind bedroht. Nur die Überwindung dieserProfit- und Ausbeutungsgesellschaft kann auf Dauer dasLeben der Menschheit auf der Erde sichern.

Die Geschichtskommission wird, entsprechend demVerlauf der Diskussion in der Partei und des eigenenLernprozesses bis zum nächsten Parteitag die Anträgeüberarbeiten und dem Parteitag erneut vorlegen.Wir bitten die Grundorganisationen und Kreise umMeinungsäußerungen, möglichst schriftlich, um Ände-rungsvorschläge und um Einladungen zu Diskussionen.Soweit unsere Kraft reicht, werden wir sie wahrnehmen.