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Seitenblicke Magazin

10/2016

152-154, 156-158

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GEFÜHLE

Beruf: Artistin. Vivi, 27, und Lili, 18,

die Töchter von Circus-Roncalli-Direktor

Bernhard Paul führen ein Lehen zwischen

Privatlehrer und Manege. Anfangs

sahen sie sich mit Argwohn - doch ein

Kunststück schweißte sie zusammen.

Die Schwestern im Interview.

TEXT: ALEXANDER KERN FOTOS: ROBERT MAYBACH

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DER MAN WURDEN WIR

FREUNDEN 2/6

hat mit Lampenfieber zu kämpfen.

GEFÜHLE

Ein Besuch beim Circus Roncalli, der auf seiner 40-Jahre-Jubiläumstour gerade in Linz Station macht. Mit ihren jeweils 15 Quadratmeter großen Wohnwagen leben Vivi und Lili Paul, die Artistentöchter von Zirkusdirektor Bernhard Paul, 69, Tür an Tür. Und auch sonst sind sich die Schwestern ganz nah - beson-ders seit sie eine aufsehenerregende Rollschuhnummer gemeinsam in die Manege brachten. Dereinst sollen sie den Zirkus übernehmen. Wir baten die Schwestern zum Doppel-Talk.

Jetzt macht jeder von uns sein eigenes Ding. Wir beschwe-ren uns nicht mehr übereinander, sondern nur noch über uns selbst. (Lacht.) Haben Sie bei der Arbeit Seiten aneinander entdeckt, die Ihnen vorher nicht bewusst waren? Lili: Dass Vivi vor einem Auftritt das nervöseste Nerven-bündel ist, das man sich nur vorstellen kann. Kurz bevor sie die Manege betritt, ist sie nicht ansprechbar. Ihr Lampenfieber ist der reine Wahnsinn. Vivi: Stimmt, ich hatte regelmäßig einen Nervenzusammen-

bruch. Aber bevor wir mit unserer Rollschuhnum-mer begannen, waren wir nicht so eng - stimmt s?

Sie sind nicht nur Schwestern, sondern auch Arbeitskolleginnen im Zirkus. Wie funktioniert das für Sie? Lili: Wir kommen meistens gut mitein-ander klar. Streiten wir uns doch mal, dann zumeist nur wegen einer Kleinig-keit. Und fünf Minuten später lachen wir bereits wieder darüber. Vivi: Die Berührungspunkte sind weniger geworden, seit wir mit unse-rer Rollschuhnummer, für die wir eineinhalb Jahre trainiert und die wir drei Jahre lang aufgeführt haben, nicht mehr gemein-sam in der Manege stehen. Unserem Verhältnis hat das gutgetan. Zusam-men zu arbeiten ist immer schwierig.

DAS BIN ICH

Vivian Paul Zirkusartistin Geboren am

4.4.1989 (Widder) Ist

großer Wien-Fan Würde gerne

nach New York reisen Mag

Pasta Lieblingsspeise

Tafelspitz

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Vivi Paul

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GEFÜHLE

Als Lili auf die Welt kam, dachte ich: Warum

finden das alle so toll? Heute finde ich sie cool.

Minuten vor dem Auftritt. Lili schnürt ihre Roll-

schuhe. Wie alle Artisten hat sie zwei Auftritte

pro Tag. sechsmal die Woche.

Lili: Stimmt! Das liegt aber auch am Altersunterschied. Vivi: Als Lili auf die Welt kam, war ich schon neun Jahre alt. Im ersten Moment dachten mein zwei Jahre jüngerer Bruder Adrian und ich: Was wollen die mit diesem häss-lichen Ding, und warum finden das alle so toll? (Lacht.) Doch das legte sich, und ich mochte sie gerne. Ich dachte: Das ist meine Schwester - cool! Mein Bruder hatte länger dran zu knabbern. Verständlich, er wurde um seine Position als Nesthäkchen gebracht. Die gemeinsame Arbeit war sicher eine Herausforderung.

Vivi: Bis dahin hatten wir nicht so viele Berührungspunkte. Sie war halt die Kleinere. Die Arbeit hat uns dann zusammen-

geschweißt. Sie war 13 und ich 22. Wir haben nachts heimlich trainiert, damit Papa nichts mitkriegt, denn wir hatten Angst, dass er dagegen ist. Da fetzt man sich halt ab und zu. Lili: Wobei das nicht an mir lag. Vivi: Doch. Bei der Roll-schuhnummer fahren wir ja mit hoher Geschwindigkeit auf einem Podest im Kreis - bis ich sie in die Höhe hebe. Das war schwierig, sie ist von der Statur her zu groß für mich. Da gab es öfter Vorwürfe. Wie fand Ihr Vater das Ergebnis? Vivi: Er hat gesagt: ,Das habt ihr toll gemacht.1 Für die Weih-nachtsshow durften wir damit dann in die Manege. Hoffentlich ist Papa stolz auf uns. Ich denke schon. Haben Sie unterschiedliche Arb ei tsm eth öden? Vivi: Lili lernt schnell. Ich brauche doppelt so lange, ein Kunststück zu lernen.

DAS BIN ICH

Lilian Paul Zirkusartistin Geboren am

4.5.1998 (Stier) Ist

gut in Mathematik Mag

backen Lieblingsessen

Spaghetti Bolognese Hört

Ed Sheeran, The Script

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Aber es ist jeder anders in der Artistik. Sie ist sehr verbieglich. Ich bin mehr das Kraftpaket. Wer ist ehrgeiziger von Ihnen beiden? Vivi: Ich glaube, Lili. Lili: Vielleicht ja. Für meine Pläne ist schon ein gewisser Ehrgeiz vonnöten. Ich maturiere nächstes Jahr, danach möchte ich nach einem Jahr Pause BWL studieren - und zu-

gleich im Zirkus arbeiten. Das wird ziemlich anstrengend, zumal ich abends erst um 11 Uhr die Manege verlasse ...

Vivi: Bei mir verlief die Schulzeit anders. Lili hat einen Privatlehrer, der mit dem Zirkus reist. Ich ging auf eine öffentliche Schule in Köln. Das war für mich schwierig. Ich bin im Zirkus groß geworden, hier sind alle älter als ich. Plötzlich war ich umgeben von lauter 15-Jährigen. Da ist man abgelenkt, meine Noten wurden schlechter. Ich habe aber natürlich die mittlere Reife gemacht und jetzt ein Marketing-Fernstudium begonnen. Sind Sie sehr unterschiedlich? Vivi: Lili ist eher der ruhige Typ, ich bin extrovertierter. Aber kommt man mit ihr mal ins Reden, kann sie lustig sein. Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, das ist

Als Kind habe ich Vivi böse mitgespielt.

Wir haben lins ziemlich oft gezankt.

Und uns angezickt. 66

Lili Paul

eine sehr gute Eigenschaft. Sie ist fleißig, unordentlich und praktisch veranlagt - sie weiß, was sie will. Lili: Ich brauche manchmal länger, um aufzutauen. Vivi ist witzig und offen, kommt sympathisch rüber. Vivi: Wobei die meisten Leute meinen, dass sie sympathischer wirkt als ich. Ich sage halt nicht auch von weitem zu jedem

Hallo und geselle mich nicht gleich zu jedem. Haben Sie als Kinder ofi gestritten? Lili: Ich glaube, ich habe ihr böse mitgespielt. Wir haben uns ziemlich oft gezankt - und von morgens bis abends angezickt. Vivi: Sie war nicht nett zu mir. Es hat lange gebraucht, bis sie sich ein bisschen eingekriegt hat. (Schmunzelt.) Ich war immer die Blöde. Sie hatte Spaß daran, mich zu ärgern. Einmal sprach sie mir als Ansage auf die Handy-Mailbox: ,Hallo, mein Name ist Lili - und ich wollte sagen, dass meine Schwester eine hässliche, fette Kuh ist!1 (Lacht.) Lili: Ich war sauer, weil sie alles durfte und ich nicht! Das fand ich total blöd. Sie durfte raus, ins Kino gehen -

diese Freiheiten wollte ich auch genießen! Ich vergaß, >

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GEFÜHLE 99

/ !**'

ihrem 1,69. Circus

HEREINSPAZIERT! Bis 16.10. gastiert der

Circus Roncalli mit "40 Jahre Reise zum

Regenbogen" in Wien, vom 21.10. bis 13.11.

in Graz, vom 19.11. bis 11.12. in Innsbruck.

Manege frei! www.roncalli.de

dass sie neun Jahre älter war, und war eifersüchtig. Vivi: Mimimi! (Lacht.) Haben Sie sich manchmal ein Leben außerhalb des Zirkus gewünscht? Vivi: Als ich in Köln zur Schule ging, fand ich dieses Umfeld viel cooler als den Zirkus. Der Zirkus ist mein Alltag. Das Draußen, die Normalität für andere, war aufregend. Ich hatte einen anderen Lebensstil, als zehn Monate im Jahr auf Tour zu sein, erkannte andere Perspektiven. Aber dann entdeckte ich, dass das Leben in der Stadt nichts für mich ist. Irgendwann wollte ich einfach weg. Ich möchte nicht zu lange an einem Ort bleiben. Irgendwann zieht es mich weiter. Mein Zigeunerblut will, dass ich reise! Lili: Ich habe den Wunsch, anderswo als im Zirkus zu leben, nie verspürt. Mit sechs Jahren wusste ich: Ich will Artistin sein. Und wie Vivi habe ich diese Wanderlust in mir. Nach drei Monaten will ich weiterziehen. Für mich ist das normal, immer woanders zu sein. Wie verläuft ein typischer Tag bei Ihnen? Vivi: Genau durchgetaktet. Ich stehe um 9 Uhr auf, trainie-re von 9 bis 11 mit dem Pferd, dann ein schnelles Frühstück, danach von 12 bis 13 Uhr Probe mit dem Luftring. Danach Schminken und Vorbereiten für die Nachmittagsvorstellung um 15.30 Uhr. Anschließend lerne ich für mein Fernstu-dium. Dann esse ich, probe noch einmal, erledige meinen Alltag, und dann beginnt schon die Abendvorstellung. Um 23 Uhr ist unser Tag zu Ende. Bei Lili verläuft er ähn-lich - bloß, dass sie um 9 Uhr mit der Schule beginnt. Wie sieht s mit Ausgehen aus? Vivi: Das kennen wir schon lange nicht mehr! (Lacht.) Bei so viel Arbeit können wir nicht bis 4 Uhr früh feiern. Das schafft der Körper nicht. Und für die Arbeit als Artistin am nächsten Tag, am Ring in der Luft, ist das zu riskant. Ich brauche die Kraft. Lili: Ich bin von Haus aus kei-ne Partykanone. Mir fehlt da die Routine - spätestens um 2 Uhr früh bin ich todmüde.

Abends ausgehen kennen wirschon lange nicht

mehr. Das ist zu riskant für die Arbeit als Artistin.

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Vivi Paul

Wie steht es um die Liebe? Vivi: Läuft gut, ich bin mit Karl Trunk zusammen, der bei uns die Pferdenummer aufführt. Er ist also jemand aus dem Zirkus, und das ist gut so, denn es ist schwierig, wenn man ständig durch die Welt zieht. Ich hatte auch Fernbeziehungen, das ist nicht so schlimm und klappt auch. Aber es ist schöner, wenn der Partner da ist. Das macht es weniger kompliziert. Und man ist sich näher. Lili: Ich bin Single. Für eine Beziehung bleibt eigentlich kaum Zeit. Ich bin den ganzen Tag beschäftigt, habe keine Zeit, rauszugehen, und selbst an freien Tagen trainiere ich. Tauschen Sie beide sich über vieles aus? Vivi: Wir haben eine gute Beziehung und besprechen so einiges miteinander. Mit unseren Wohnwagen leben wir Schnauze an Schnauze, das erleichtert es. Es ist schön, zur persönlichen Seelsorge jemanden in der Familie zu haben.

Können andere Ihr Leben nachvollziehen? Lili: Die haben erst mal ganz viele Fragen. Manchmal erzähle ich anfangs erst gar nicht, wer ich bin und was ich mache, weil man da immer gleich so im Mittelpunkt steht. Sie sind die Zukunft, Sie werden gemeinsam mit Ihrem Bruder den Circus Roncalli einmal übernehmen. Macht Sie das nervös? Vivi: Mein Papa macht alles allein - wir müssen ver-

suchen, uns seine Aufgaben zu dritt aufzuteilen. Natür-lich fragen wir uns, ob wir das schaffen. Aber es gibt nun mal keine Fakultät, auf der man Zirkusdirektor lernt - so einfach ist das nicht.

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