Sektorenübergreifende Qualitätssicherung und die Rolle des G-BA

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Sektoren ubergreifende Qualit atssicherung und die Rolle des G-BA Regina Klakow-Franck Seit Verabschiedung der ersten Richt- linien u ¨ber die a ¨rztliche Qualifikation durch den Deutschen A ¨ rztetag 1924 wurde die Qualita ¨tssicherung der me- dizinischen Versorgung als origina ¨re Aufgabe der a ¨rztlichen Profession be- trachtet. Beginnend in den 70er Jahren wurde die Qualita ¨tssicherung sekto- renspezifisch aufgefa ¨chert: Seit Ein- fu ¨ hrung der Mu ¨ nchner Perinatalstudie 1975 sowie von chirurgischen Tracer- Diagnosen (Wolfgang Schega 1976) dominiert im stationa ¨ren Bereich die externe einrichtungsu ¨bergreifende Qualita ¨tssicherung. Fu ¨ r die ambulante Versorgung wurden 1989 durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) die rechtlichen Grundlagen fu ¨r die Quali- ta ¨tssicherung durch die Kassena ¨rztli- chen Vereinigungen geschaffen. Seit- her stellen in der Qualita ¨tssicherung der vertragsa ¨rztlichen Versorgung Strukturqualita ¨tsvereinbarungen und Stichprobenpru ¨fungen die bevorzug- ten Methoden/Instrumente dar (Kolkmann et al., 2004). Die seit den 90er Jahren politisch ge- wollte sta ¨rkere wettbewerbliche Aus- richtung des Gesundheitswesens hat die Qualita ¨tssicherung inzwischen zu einem Instrument des Qualita ¨tswett- bewerbs und der Versorgungssteue- rung durch die gemeinsame Selbstver- waltung gewandelt. Vor dem Hinter- grund der Okonomisierung der Medizin besteht eine der Hauptaufga- ben des 2004 gegru ¨ndeten Gemeinsa- men Bundesausschusses (G-BA) ins- besondere darin, als ,,zentraler Quali- ta ¨tswa ¨chter‘‘ die Mindeststandards fu ¨r die Qualita ¨t der Patientenversorgung festzulegen sowie Transparenz u ¨ber die Versorgungsqualita ¨t zu schaffen, wobei die an patientenrelevanten End- punkten gemessene Ergebnisqualita ¨t im Mittelpunkt stehen soll. Bereits seit den 80er Jahren wurde von der A ¨ rzteschaft eine sektorenu ¨bergrei- fende Messung der Langzeitergebnis- se der Patientenversorgung gefordert. Die durch die Einfu ¨hrung des DRG- Systems im Jahr 2003 induzierte sta- tiona ¨re Verweildauerverku ¨rzung so- wie der zunehmende Wettbewerb zwi- schen Krankenha ¨usern und spezial- facha ¨rztlichen Vertragsa ¨rzten trieben die Forderungen nach einer sektoren- u ¨bergreifenden Weiterentwicklung der Qualita ¨tssicherung voran. Im Jahr 2007 legte der Gesetzgeber durch A ¨ nderung des § 137 Abs. 1 und 2 SGB V mit dem GKV-Wettbe- werbssta ¨rkungsgesetz (GKV-WSG) fest, dass die Qualita ¨tssicherung zu- ku ¨nftig sektorenu ¨bergreifend erfolgen und der G-BA entsprechende Richt- linien erlassen soll. Der G-BA hat dies durch die Rahmenrichtlinie zur ein- richtungs- und sektorenu ¨bergreifen- den Qualita ¨tssicherung (Qesu ¨-RL) umgesetzt, die Ende 2010 in Kraft trat. Als sektorenu ¨bergreifende Ent- wicklungsleistungen wurden seither z.B. Qualita ¨tsindikatorensets fu ¨r elf unterschiedliche sektorenu ¨bergreifen- de QS-Verfahren (sQS) (AQUA- Institut, 2014) sowie 2012 und 2013 insgesamt drei Probebetriebe zur Tes- tung durchgefu ¨hrt, und zwar fu ¨r die QS-Verfahren Konisation, Katarakt- operation und Perkutane Koronarin- tervention (PCI) (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2013). In den Probebetrieben zeigten sich sowohl grundsa ¨tzliche als auch prak- tische Umsetzungsprobleme in einem vorher nicht antizipierten Ausmaß. Zu den Hauptproblemen za ¨hlten insbe- sondere die mangelhafte Spezifita ¨t der QS-Fall-Auslo ¨sung (Folge: sehr hoher Dokumentationsaufwand fu ¨r Vertragsa ¨rzte) sowie die Rekrutierung freiwillig teilnehmender Krankenha ¨u- ser, Arztpraxen, Datenannahmestellen und Software-Anbieter. Im Hinblick auf das weitere Vorgehen hat der Un- terausschuss QS des G-BA deshalb folgende Lo ¨sungsansa ¨tze entwickelt (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2013): Kurz- bis mittelfristig wird sich der G-BA auf sektorengleiche sQS-Verfahren, wie z.B. zur PCI und zu arthroskopischen Eingriffen am Kniegelenk, und die Entwicklung von sektorenspezifischen Follow up- Verfahren, z.B. zur Knie- und Hu ¨ftge- lenksendoprothetik und zur Cholezys- tektomie, konzentrieren. Langfristig wu ¨nschenswerte neue Unterstu ¨t- zungsinstrumente, wie etwa die Nut- zung der Telematikinfrastruktur oder die Einfu ¨hrung eines QS-Markers auf der elektronischen Gesundheitskarte zur sektorenu ¨bergreifenden QS-Fall- Identifizierung sind bereits in Diskus- sion, werden aber nicht ohne gesetz- liche A ¨ nderungen und Goodwill ande- rer Beteiligter zu erreichen sein. Eine weitere vom G-BA bereits gezo- gene Konsequenz aus den bisherigen Erfahrungen mit der sQS ist der sta ¨r- kere Ru ¨ckgriff auf die Routinedaten. In Zukunft wird die sQS auf drei ver- schiedenen Datengrundlagen auf- bauen: Neben der eigensta ¨ndigen QS-Dokumentation und flankierenden Patientenbefragungen insbesondere auf Routinedaten (bei den gesetzli- chen Krankenkassen liegende Public Health Forum 22 Heft 83 (2014) http://journals.elsevier.de/pubhef 6.e1

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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef

Sektoren€ubergreifende Qualit€atssicherung und dieRolle des G-BA

Regina Klakow-Franck

Seit Verabschiedung der ersten Richt-

linien uber die arztliche Qualifikation

durch den Deutschen Arztetag 1924

wurde die Qualitatssicherung der me-

dizinischen Versorgung als originare

Aufgabe der arztlichen Profession be-

trachtet. Beginnend in den 70er Jahren

wurde die Qualitatssicherung sekto-

renspezifisch aufgefachert: Seit Ein-

fuhrung der Munchner Perinatalstudie

1975 sowie von chirurgischen Tracer-

Diagnosen (Wolfgang Schega 1976)

dominiert im stationaren Bereich die

externe einrichtungsubergreifende

Qualitatssicherung. Fur die ambulante

Versorgung wurden 1989 durch das

Gesundheitsreformgesetz (GRG) die

rechtlichen Grundlagen fur die Quali-

tatssicherung durch die Kassenarztli-

chen Vereinigungen geschaffen. Seit-

her stellen in der Qualitatssicherung

der vertragsarztlichen Versorgung

Strukturqualitatsvereinbarungen und

Stichprobenprufungen die bevorzug-

ten Methoden/Instrumente dar

(Kolkmann et al., 2004).

Die seit den 90er Jahren politisch ge-

wollte starkere wettbewerbliche Aus-

richtung des Gesundheitswesens hat

die Qualitatssicherung inzwischen zu

einem Instrument des Qualitatswett-

bewerbs und der Versorgungssteue-

rung durch die gemeinsame Selbstver-

waltung gewandelt. Vor dem Hinter-

grund der €Okonomisierung der

Medizin besteht eine der Hauptaufga-

ben des 2004 gegrundeten Gemeinsa-

men Bundesausschusses (G-BA) ins-

besondere darin, als ,,zentraler Quali-

tatswachter‘‘ dieMindeststandards fur

die Qualitat der Patientenversorgung

festzulegen sowie Transparenz uber

die Versorgungsqualitat zu schaffen,

wobei die an patientenrelevanten End-

punkten gemessene Ergebnisqualitat

im Mittelpunkt stehen soll.

Bereits seit den 80er Jahren wurde von

der Arzteschaft eine sektorenubergrei-

fende Messung der Langzeitergebnis-

se der Patientenversorgung gefordert.

Die durch die Einfuhrung des DRG-

Systems im Jahr 2003 induzierte sta-

tionare Verweildauerverkurzung so-

wie der zunehmendeWettbewerb zwi-

schen Krankenhausern und spezial-

facharztlichen Vertragsarzten trieben

die Forderungen nach einer sektoren-

ubergreifenden Weiterentwicklung

der Qualitatssicherung voran. Im

Jahr 2007 legte der Gesetzgeber durch

Anderung des § 137 Abs. 1 und

2 SGB V mit dem GKV-Wettbe-

werbsstarkungsgesetz (GKV-WSG)

fest, dass die Qualitatssicherung zu-

kunftig sektorenubergreifend erfolgen

und der G-BA entsprechende Richt-

linien erlassen soll. Der G-BA hat dies

durch die Rahmenrichtlinie zur ein-

richtungs- und sektorenubergreifen-

den Qualitatssicherung (Qesu-RL)

umgesetzt, die Ende 2010 in Kraft

trat. Als sektorenubergreifende Ent-

wicklungsleistungen wurden seither

z.B. Qualitatsindikatorensets fur elf

unterschiedliche sektorenubergreifen-

de QS-Verfahren (sQS) (AQUA-

Institut, 2014) sowie 2012 und 2013

insgesamt drei Probebetriebe zur Tes-

tung durchgefuhrt, und zwar fur die

QS-Verfahren Konisation, Katarakt-

operation und Perkutane Koronarin-

tervention (PCI) (Gemeinsamer

Bundesausschuss, 2013).

In den Probebetrieben zeigten sich

sowohl grundsatzliche als auch prak-

tische Umsetzungsprobleme in einem

vorher nicht antizipierten Ausmaß. Zu

den Hauptproblemen zahlten insbe-

sondere die mangelhafte Spezifitat

der QS-Fall-Auslosung (Folge: sehr

hoher Dokumentationsaufwand fur

Vertragsarzte) sowie die Rekrutierung

freiwillig teilnehmender Krankenhau-

ser, Arztpraxen, Datenannahmestellen

und Software-Anbieter. Im Hinblick

auf das weitere Vorgehen hat der Un-

terausschuss QS des G-BA deshalb

folgende Losungsansatze entwickelt

(Gemeinsamer Bundesausschuss,

2013): Kurz- bis mittelfristig wird

sich der G-BA auf sektorengleiche

sQS-Verfahren, wie z.B. zur PCI und

zu arthroskopischen Eingriffen am

Kniegelenk, und die Entwicklung

von sektorenspezifischen Follow up-

Verfahren, z.B. zur Knie- und Huftge-

lenksendoprothetik und zur Cholezys-

tektomie, konzentrieren. Langfristig

wunschenswerte neue Unterstut-

zungsinstrumente, wie etwa die Nut-

zung der Telematikinfrastruktur oder

die Einfuhrung eines QS-Markers auf

der elektronischen Gesundheitskarte

zur sektorenubergreifenden QS-Fall-

Identifizierung sind bereits in Diskus-

sion, werden aber nicht ohne gesetz-

liche Anderungen und Goodwill ande-

rer Beteiligter zu erreichen sein.

Eine weitere vom G-BA bereits gezo-

gene Konsequenz aus den bisherigen

Erfahrungen mit der sQS ist der star-

kere Ruckgriff auf die Routinedaten.

In Zukunft wird die sQS auf drei ver-

schiedenen Datengrundlagen auf-

bauen: Neben der eigenstandigen

QS-Dokumentation und flankierenden

Patientenbefragungen insbesondere

auf Routinedaten (bei den gesetzli-

chen Krankenkassen liegende

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Sozialdaten, die zu Abrechnungszwe-

cken erhoben werden). €OffentlicheQualitatsvergleiche, die nach dem

Willen der Regierungskoalition

(Bundesregierung, 2014) in der statio-

naren Versorgung im Rahmen einer

,,Qualitatsoffensive Krankenhaus‘‘

vorangetrieben werden sollen, oder

gar die Einfuhrung von Pay for Per-

formance (P4P) in die Krankenhaus-

vergutung machen eine Risikoadjus-

tierung der Qualitatsergebnisse unver-

zichtbar. Dies kann – nach

derzeitigem Kenntnisstand – aber

nur durch eine Erganzung der Routi-

nedaten-Basis durch medizinische In-

formationen bzw. zusatzliche QS-Do-

kumentation gewahrleistet werden.

Auch konnen nicht wenige Fragestel-

lungen, z.B. zur Indikationsqualitat,

auf Basis von Routinedaten nur be-

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grenzt oder gar nicht beantwortet wer-

den. Qualitatssicherung auf Basis von

Routinedaten und auf Basis einer ei-

genstandigen QS-Dokumentation

sollten deshalb nicht als konkurrieren-

de, sondern als sich erganzende An-

satze verstanden werden.

Die trotz widriger Rahmenbedingun-

gen weiterhin voranzutreibende sekto-

renubergreifende Qualitatssicherung

sollte nicht vergessen lassen, dass

die aus der Sektorierung der Versor-

gung resultierenden Defizite im deut-

schen Gesundheitswesen – was etwa

die patientenorientierte Koordination

der Versorgung anbelangt – nicht al-

lein mit den Moglichkeiten der Quali-

tatssicherung in den Griff zu kriegen

sind. Gefragt ist eine sektorenuber-

greifende Weiterentwicklung der Ver-

sorgungsstrukturen selber, zumal die

integrierte Versorgung nach § 140a ff

SGB V die in sie gesetzten Erwartun-

gen – was die regional populations-

bezogene Etablierung eines sektoren-

ubergreifenden Versorgungsmanage-

ments anbelangt – nicht erfullt hat.

Der im Koalitionsvertrag angedachte

Innovationsfonds fur innovative sek-

torenubergreifende Versorgungskon-

zepte sollte hierzu genutzt werden.

Die korrespondierende Autorin erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.

http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.03.024

Dr. med. Regina Klakow-Franck, M.A.Unparteiisches Mitglied imGemeinsamen BundesausschussWegelystr. 810623 [email protected]

Literatur

AQUA-Institut: Projektinformationen – Sektoren-

ubergreifende Qualitatssicherung im Gesund-

heitswesen (SQG): Entwicklung neuer Verfah-

ren zur Qualitatssicherung, https://www.sqg.

de/entwicklung/neue-verfahren/index.html

[Zitierdatum: 24.02.2104].

1. Arthroskopie am Kniegelenk 2013

2. Psychische Erkrankungen

3. Vermeidung nosokomialer Infektionen:

Postoperative Wundinfektionen

4. Vermeidung nosokomialer Infektionen:

Gefaßkatheter assoziierte Infektionen

5. Knieendoprothesenversorgung

6. Huftendoprothesenversorgung

7. Arthroskopie am Kniegelenk 2011

8. Kolorektales Karzinom

9. Kataraktoperation

10. Konisation

11. Perkutane Koronarintervention (PCI) und

Koronarangiographie

Bundesregierung: Koalitionsvertrag, (Zitierdatum:

24.02.2014), http://www.bundesregierung.de/

Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitions-

vertrag-inhaltsverzeichnis.html.

Gemeinsamer Bundesausschuss: Eckpunkte zu ei-

nem gemeinsamen Verstandnis und Hand-

lungsempfehlungen zur sektorenubergreifen-

den Qualitatssicherung, 04.09.2013 (Zitierda-

tum: 24.02.2014) http://www.g-ba.de/

downloads/17-98-3536/Eckpunkte-Hand-

lungsempfehlungen-sQS.pdf.

Kolkmann, Vilmar, Stobrawa. Dtsch Arztebl

2004;101. A 1409-1414 [Heft 20].

Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef

Einleitung

Die Entwicklung der Qualitatssicherung in Deutschland kann auf eine lange Tradition zuruckblicken. Seit nunmehr 10

Jahren obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe, Mindeststandards fur die Qualitat der Patientenver-

sorgung festzulegen. Der gesetzliche Auftrag wurde sukzessive erweitert und legt seit 2007 explizit den Fokus auf die

sektorenubergreifende Qualitatssicherung. Anhand der ersten Ergebnisse zu den beauftragten sektorenubergreifenden QS-

Verfahren zeigt sich deutlich, wo Umsetzungsprobleme und der Weiterentwicklungsbedarf in der sektorenubergreifenden

Qualitatssicherung liegen.

Summary

The development of quality assurance in Germany has a long heritage. For over ten years the Federal Joint Committee has

been responsible for determining minimum standards for patient care. This legal mandate has been continually expanded,

and since 2007 the focus has been explicitly on cross-sectoral quality assurance. The initial results of the cross-sectoral QA

procedures show clearly where implementation problems and ongoing development needs in cross-sectoral quality

assurance lie.

Schlusselworter:

Qualitatssicherung = quality assurance, sektorenubergreifende Qualitatssicherung = cross-sectoral quality assurance,

Gemeinsamer Bundesausschuss = the Federal Joint Committee, qualitatsorientierte Vergutung/Pay for Performance = pay

for performance, QS-Verfahren = QA procedures

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