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Semantik Variabilit¨ at der Bedeutung Anke Himmelreich [email protected] Universit ¨ at Leipzig, Institut f ¨ ur Linguistik 21.04.2016 1 / 44

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SemantikVariabilitat der Bedeutung

Anke [email protected]

Universitat Leipzig, Institut fur Linguistik

21.04.2016

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Inhaltsverzeichnis

1 Ambiguitat

2 Flexible Bedeutungen

3 Strukturelle Ambiguitat

4 Bedeutungsverschiebungen

5 Polysemie undBedeutungsverschiebung

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Inhaltsverzeichnis

1 Ambiguitat

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Ambiguitat

Viele Worter, Phrasen und Satze sind mehrdeutig oder ambig.

DefinitionAmbige Ausdrucke oder Außerungen haben mehrere klarvoneinander zu unterscheidende Bedeutungen.

Ambiguitat kann sich auf alle Bedeutungsebenen beziehen:AusdrucksbedeutungAußerungsbedeutungKommunikativer Sinn

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Arten von Ambiguitat

Lexikalische AmbiguitatHomonymie (‘Gleichnamigkeit’)Polysemie (‘Vieldeutigkeit’)

Strukturelle Ambiguitat

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Homonymie

DefinitionZwei oder mehrere Lexeme sind homonym, wenn sie inmindestens einer Wortform ubereinstimmen, aberverschiedene, nicht miteinander verbundene Bedeutungenhaben.

Beispiele: Bank, Weiche, Kiefer, Futter

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Entstehung von Homonymie

zufallig: Worter fallen durch Sprachwandlungsprozessezusammen (z.B. Weiche: mhd. wıchen ‘weichen’ vs. mhd.weich ‘weich’)Ubertragung: Eine Bezeichnung wird auf einen neuenGegenstand ubertragen, der Zusammenhang geht aberspater verloren. (z.B. Bank : fruher Bezeichnung fur denTisch des Geldwechslers)

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Arten von Homonymie

Totale Homonymie: Ubereinstimmung in allenWortformen (z.B. Weiche)Partielle Homonymie: Unterscheidung in mindestenszwei Wortformen (z.B. Bank )Homografie: Homonymie in Bezug auf die Schriftform(z.B. Montage)Homophonie: Homonymie in Bezug auf die Lautform (z.B.Seite vs. Saite)

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Polysemie

DefinitionEin Lexem ist polysem, wenn es mehrereBedeutungsvarianten, d.h. miteinander verbundeneBedeutungen hat.

Beispiele: Zug, laufen, grun

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Entstehung von Polysemie

Wahrend Homonymie die Ausnahme ist, ist Polysemie dieRegel.Bereits verfugbare Lexeme werden mit einer zusatzlichenBedeutung versehen.Damit ist Polysemie das Ergebnis einer okonomischenTendenz im Sprachwandel.

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Polysemie vs. Homonymie I

Polysemie kann bei einem Lexem auftreten, das zugleichhomonym zu einem anderen Lexem ist.

Haufig ist nicht leicht zu entscheiden, ob es sich bei einemkonkreten Fall um Homonymie oder um Polysemie handelt.

Homonymie und Polysemie kann man als zwei Extremeauf einer Skala ansehen. Zwischen ihnen gibt es alsoeinen neutralen Bereich der lexikalischen Ambiguitat.

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Polysemie vs. Homonymie II

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Inhaltsverzeichnis

2 Flexible Bedeutungen

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Vagheit

DefinitionEin Lexem ist ist vage, wenn das von ihm ausgedruckteKonzept vage ist und durch seine Denotation unscharfeGrenzen hat.

In vielen Situationen ist die Verwendbarkeit eines vagenLexems nicht einfach entscheidbar:

Das Lexem trifft auf Entitaten nur zu einem gewissenGrade und damit mehr oder weniger gut zu.Es gibt unklare Grenzfalle, d.h. Entitaten, von denen nichtmit Bestimmtheit gesagt werden kann, ob sie zurDenotation des Lexems gehoren oder nicht.Es existieren Differenzen zwischen Sprechern hinsichtlichder Zulassigkeit des betreffenden Lexems.

Beispiel: erwachsen14 / 44

Vagheit und Skalen

Vagheit ist bei Konzepten zu finden, die Merkmale beinhalten,deren Wert auf einer kontinuierlichen Skala variieren kann.

Geschwindigkeitsskala

gehen laufen rennen

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Vagheit und Außerungskontext

Vage Konzepte erlauben eine Anpassung der Denotation imjeweiligen Außerungskontext. Konflikte beim Kommunizierenkonnen ohne Schwierigkeiten durch Aushandeln gelost werden.

(1) A: Das blaue Auto gefallt mir.B: Welches blaue Auto?A: Na das da hinten, das dritte von rechts.B: Das ist doch grun.A: Na schon, das blaugrune Auto da wurde

ich jedenfalls gerne haben, wenn ich esmir leisten konnte.

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Relativitat

DefinitionEin Adjektiv ist relativ, wenn seine Bedeutung derkontextuellen Festlegung einer Bezugsnorm bedarf, um seineDenotation im Außerungskontext zu determinieren.

Bei allen relativen Adjektiven wird eine Denotation relativ zueinem kontextabhangigen Standardwert auf der zugehorigenMerkmalsskala bestimmt.

Beispiel: groß–klein, schnell–langsam

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Festlegung der Bezugsnorm I

Explizite Festlegung durch den satzinternen Kontext:

(2) Jumbo ist ein großer Elefant.

Skala fur die Große eines Elefanten

JumboStandardgroße

groß

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Festlegung der Bezugsnorm II

Implizite Festlegung durch den situativen Kontext bei derpradikativen Verwendung des Adjektivs:

(3) Jumbo ist groß.Jumbo ist groß im Vergleich zu einem X.AK1: X ist ein Elefant.AK2: X ist ein Tier.AK3: X ist ein Mensch.

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Vagheit und Relativitat

Der kontextuell festgelegte Standardwert, der als Bezugsnormdient, ist typischerweise nicht genau bestimmt. Deshalb sindrelative Adjektive in der Regel auch vage.

Fur die Determination einer konkreten Denotation muss alsohaufig zusatzlich eine ‘Feinjustierung’ erfolgen, bei der auf derbetreffenden Skala in Abhangigkeit vom Außerungskontext einkritischer Wert fixiert wird.

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Inhaltsverzeichnis

3 Strukturelle Ambiguitat

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Strukturelle Ambiguitat

DefinitionEin syntaktisch komplexer Ausdruck ist strukturell (oderkompositional) ambig, wenn er auf unterschiedliche Weisenaus den in ihm vorkommenden Lexemen aufgebaut sein kann.

(4) Karl saß noch immer im Zug.

(5) Watson verfolgte den Morder mit dem Fahrrad.

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Arten von struktureller Ambiguitat

Syntaktische Ambiguitat: Der betreffende Ausdruck istaus rein syntaktischen Grunden mehrdeutig.Skopusambiguitat: Die Beziehungen zwischen den Skopivon logischen Teilausdrucken des betreffenden Ausdruckssind mehrdeutig.

(6) Alle Manager sind nicht korrupt.

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Desambiguierung im Kontext

Bei mehreren Ausdrucksbedeutungen muss der Adressat denambigen Ausdruck desambiguieren, d.h. die Ambiguitat soauflosen, dass er eine eindeutige Information ubermittelt. Dabeigilt das Prinzip der konsistenten Interpretation.

Prinzip der konsistenten InterpretationEin zusammengesetzter Ausdruck wird auf der Ebene derAußerungsbedeutung immer so interpretiert, dass seine Teilezueinander und er selbst in den Kontext passt, wobei Kontextden Außerungskontext und den satzinternen Kontext umfasst.

Außerungsbedeutungen von Wortern und Satzen, die diesenAnforderungen genugen, nennt man mogliche Lesarten.

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Von der Ausdrucksbedeutung zur Außerungsbedeutung

Um von einer kompositionalen Ausdrucksbedeutung eineAußerungsbedeutung zu erhalten, die dem Prinzip derkonsistenten Interpretation folgt, konnen drei Strategienverfolgt werden:

Die Bedeutung kann unverandert ubernommen und wirdmit Information aus dem AK angereichert, zum Beispielzur Festlegung der Referenz.Die Bedeutung kann verworfen und eliminiert werden,falls sie in sich widerspruchlich ist oder nicht in den AKpasst.Die Bedeutung kann durch eineBedeutungsverschiebung der einen oder anderen Art somodifiziert werden, dass sie in den AK passt;anschließend wird sie mit Information aus dem AKangereichert.

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Inhaltsverzeichnis

4 Bedeutungsverschiebungen

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Arten der Bedeutungsverschiebungen

Metonymische BedeutungsverschiebungMetaphorische BedeutungsverschiebungDifferenzierung

Nunberg (1979, 1995); Lobner (2003)

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Metonymische Verschiebungen

DefinitionBei einer Metonymie (griech. ‘Umbenennung’) wird einAusdruck auf Gegenstande bezogen, auf die er ursprunglichnicht anwendbar ist und die zu Gegenstanden seinerursprunglichen Verwendung in einer Beziehung der Kontiguitat,d.h. Zusammengehorigkeit stehen.

Durch eine metonymische Verschiebung wird fur einenAusdruck eine Bedeutung eingefuhrt, deren Beziehung zurwortlichen Bedeutung dadurch bestimmt ist, dass dieMitglieder der neuen Denotation zu Mitgliedern der alten ineiner Zusammengehorigkeitsbeziehung stehen.

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Beispiele I

(7) In Zimmer 13 liegt ein Herzinfarkt.

(8) Tschernobyl hat die Energiepolitik kaum verandert.

(9) Im Salat war zu viel Apfel.

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Beispiele II

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Metaphorische Verschiebungen

DefinitionBei einer Metapher wird ein Ausdruck auf Gegenstandebezogen, auf die er ursprunglich nicht anwendbar ist und die zuGegenstanden seiner ursprunglichen Verwendung in einerBeziehung der Ahnlichkeit stehen.

Generell dient eine Metapher dazu, einen bisher konzeptuellnicht oder nur wenig strukturierten Bereich von Gegenstanden(das Ziel der Metapher) mit dem konzeptuellen Mustern einesbereits gut strukturierten Bereichs (ihrer Quelle) zu erfassen.

Durch eine metaphorische Verschiebung wird fur einenAusdruck eine Bedeutung eingefuhrt, deren Beziehung zurwortlichen Bedeutung dadurch bestimmt ist, dass dieMitglieder der neuen Denotation zu Mitgliedern der alten ineiner Ahnlichkeitsbeziehung stehen.

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Beispiele I

(10) Du verschwendest meine Zeit.

(11) Die Theorie bricht zusammen.

(12) Der Mensch ist ein Wolf.

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Beispiele II

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Anmerkungen

Metaphern werden sprachlich reflektiert, stelle aber imGegensatz zu Metonymien kein rein sprachliches Phanomendar.

Bei der Erzeugung einer Metapher wird auf das Ziel erst eineAhnlichkeit mit der Quelle projiziert (Indurkhya (1992)).

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Differenzierung

DefinitionZu einer Differenzierung kommt es, wenn die konkreteBedeutung eines Ausdrucks ein Spezialfall der ursprunglichenBedeutung dieses Ausdrucks ist.

Durch eine Differenzierung wird fur einen Ausdruck eineBedeutung eingefuhrt, deren Beziehung zur wortlichenBedeutung dadurch bestimmt ist, dass die Anzahl derMitglieder der neuen Denotation geringer ist als die Anzahlder Mitglieder der alten.

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Beispiele

(13) John verlor seinen Freund in dem uberfulltenU-Bahnhof.

(14) John verlor seinen Freund, weil er es sich nichtverkneifen konnte, uble Witze uber ihn zu machen.

(15) John verlor seinen Freund bei einem tragischen Unfall.

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5 Polysemie und Bedeutungsverschiebung

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Bedeutungsverschiebungen als Basis von Polysemie

Das Ergebnis einer kontextbedingten Verschiebung kann imLexikon gespeichert und damit konventionalisiert werden.

Bedeutungsverschiebungen auf der Ebene derAußerungsbedeutung sind kontextbedingt und nicht imLexikon festgeschrieben.Die Bedeutungsverschiebungen folgen allgemeinenMustern.Die Muster der Verschiebung treten systematisch beigroßen Gruppen von Lexemen auf.Dieselben Muster sind sprachubergreifend zu beobachten.

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Metonymische Polysemie I

Bierwisch (1983)

(16) Die Schule wird neu eroffnet.

(17) Die Schule hat ein rotes Dach.

(18) Die Schule endet heute fruher.

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Metonymische Polysemie II

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Anmerkungen

Metonymische Polysemie wird auch als regulare odersystematische Polysemie bezeichnet, da sie jeweils inanaloger Form bei einer Gruppe von Lexemen zu findenist.Beispiel: Kirche, Theater, Oper haben alle als Kern dasInstitutionskonzeptEs gibt komplexere metonymische Polysemien, die mehrals ein Kernkonzept habenBeispiel: Zeitung (Exemplar, Inhalt, Ausgabe, Publikation,Institution, Publikationsart)

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Metaphorische Polysemie

(19) Hals

(20) verlassen

(21) a. Die Verkauferin hat das Geld genommen.b. Der Dieb hat das Geld genommen.c. Die Patientin hat das Medikament genommen.d. Der Passant hat das Taxi genommen.e. Die Frau hat den Mann genommen.f. Der Angreifer hat die Festung genommen.

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Metonymische vs. metaphorische Polysemie

Die Auflosung einer metonymischen und einer metaphorischenPolysemie im Kontext kann parallel erfolgen.

(22) Kurze Zeit danach verließ Fritz die Schule.

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Referenzen I

Bierwisch, Manfred (1983): Semantische und konzeptuelleReprasentation lexikalischer Einheiten. In: R. Ruzicka andW. Motsch, eds, Untersuchungen der Semantik. AkademieVerlag, Berlin, pp. 61–99.

Indurkhya, Bipin (1992): Metaphor and Cognition: AnInteractionist Approach. Springer.

Lobner, Sebastian (2003): Semantik: Eine Einfuhrung. DeGruyter, Berlin.

Nunberg, Geoffrey (1979): ‘The Non-Uniqueness of SemanticSolutions: Polysemy’, Linguistics and Philosophy3(2), 143–184.

Nunberg, Geoffrey (1995): ‘Transfers of meaning’, Journal ofSemantics 12, 109–132.

Saeed, John (2002): Semantics. 2 edn, Blackwell.

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