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1 DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature Die persische Gattin. Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten. Von Renata Borowczak Regie: Renata Borowczak Erzählerin: Melina von Gagern Schwiegermutter: Friederike Frerichs Simin/Roma-Frau: ev. Gabriele Blume Naida/Anführerin: Sabrina Tannen Ahmed: Mohammed Nasseri: Agha Ramin: (Fajed)Seied Nasseri: Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 14. November 2014, 20.10 - 21.00 Uhr

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DEUTSCHLANDFUNK

Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel

Redaktion: Ulrike Bajohr

Feature

Die persische Gattin.

Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.

Von Renata Borowczak

Regie: Renata Borowczak

Erzählerin: Melina von Gagern

Schwiegermutter: Friederike Frerichs

Simin/Roma-Frau: ev. Gabriele Blume

Naida/Anführerin: Sabrina Tannen

Ahmed: Mohammed Nasseri:

Agha Ramin: (Fajed) Seied Nasseri:

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- unkorrigiertes Exemplar -

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01 O-Ton (Schwiegervater) : (Aufnahme eines Telefongesprächs aus dem Jahr 1974, es knistert, brummt)

Hallo Berlin, excuse me, operator 6:4 , 6 16 4, operator 16 4, thank you very much, yes,... mister Nasseri, no...operator 66 4, yes 6:4 , this is Iran…

Erzählerin:

Das ist mein Schwiegervater. Das Telefonat fand 1974 statt, dem Jahr,

in dem sein Sohn den Iran verließ, um in West-Berlin zu studieren. Mein

Schwiegervater hat ihn oft angerufen, manchmal auch die Gespräche

mitgeschnitten. Mein Schwiegervater ist 1996 gestorben, ich habe ihn

nie kennengelernt.

auf O-Ton (Schwiegervater) Fortsetzung

Ahmed und ich haben in Berlin geheiratet, ganz schlicht und

standesamtlich. In der Stadt, in der wir uns ineinander verliebten. Ich bin

in Polen geboren und er in Teheran, die Entfernung zwischen unseren

Geburtsorten beträgt laut Google Maps 4.547 km.

Ansage:

Die persische Gattin. Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.

Von Renata Borowczak

(Atmo im Flugzeug)

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Erzählerin:

Wir sitzen in einer Maschine nach Teheran. Ich war noch nie in Ahmeds

Heimat. Ich bin neugierig auf seine Familie, ich will, dass sie mich, die

Fremde, akzeptiert. In etwa 6 Stunden werden wir auf dem Flughafen

„Imam Khomeini“ landen…Ich bin aufgeregt.

Die Mahnungen meiner Mutter kommen in mir hoch…Was ist, wenn mir

mein frisch Angetrauter die Ausreise aus dem Iran verbietet? Sperrt er

mich ein, vielleicht in einem Wandschrank? Das ist doch das Land der

Mullahs, das Land mit der Scharia, das Land, in dem die Frauen machen

müssen, was die Männer sagen. Aber … mein Ahmed? Wieso sollte er

in Teheran ein anderer sein als in Berlin…

(Geräuschkulisse Kopftücher)

Erzähler Ahmed:

Wir landen gleich… Es wird Zeit, setze es auf, sonst kommen die

Revolutions-Wächter und holen dich ab.

Erzählerin:

Ahmed hält mir mein Halstuch hin. Alle Frauen im Flugzeug werfen sich

synchron, wie auf Befehl, einen Schal oder ein Tuch über die glänzend-

schwarzen oder blond gefärbten Haare. Ab diesem Zeitpunkt ist das lila

Tuch mein ständiger Begleiter. Eigentlich find ich mich damit ganz schick

- wie ein Kinostar in einem Cabrio.

(Atmo Ankunftshalle)

Erzähler Ahmed:

Schau, da stehen sie alle ….die ganz linke, die mit der Brille, ist meine

Mutter….

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Erzählerin:

Unter den übergroßen Porträts des Ajatollah Khomeini und aktueller

geistlicher Anführer an der Rückwand der Empfangshalle winkt uns

Ahmeds Familie zu. Ehe ich alle auch nur erkennen kann, lande ich in

den Armen meiner Schwiegermutter, einer zierlichen, aber sehr

lebhaften Frau von 84 Jahren. Ich werde geküsst und weitergereicht und

mit Blumen überhäuft. Mir treten Freudentränen in die Augen, ich

schäme mich meiner Zweifel. Es ist schön hier zu sein.

O-Ton: Straßengeräusche - Autos, Motorräder, Hupen, entferntes Gesang eines Muezzins.

Erzählerin: Wir fahren zu sechst in einem Auto, es kümmert niemandem

hier, dass der Wagen nur für 4 zugelassen ist. Alle reden fröhlich

durcheinander, ich identifiziere nur einzelne Worte.

Plötzlich wird mein Mann ernst.

Erzähler Ahmed:

Hör mal, wir werden gefragt, ob wir auch hier sind, um nach den hiesigen

Sitten zu heiraten. ….Willst Du das?

Erzählerin:

Ich lächle unsicher. Das nimmt die Familie wohl als „Ja“ - alle klatschen

laut und beglückwünschen uns. Ich blicke Ahmed hilfesuchend an, der

zuckt die Schultern.

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O-Ton: Die persische Familie unterhält sich beim Abendessen - Stimmengewirr, alle reden durcheinander.

Erzählerin:

Die Familie hat sich bei meiner Schwiegermutter versammelt. Ihre

Wohnung verfügt über alle Errungenschaften der modernen

Haushaltstechnik– ohne die persischen Teppiche und die mit goldenen

Fransen geschmückte Vorhänge käme man sich vor wie in Berlin.

Es gib ein üppiges Abendessen, einen Eintopf mit Kräutern und

Lammfleisch, Gorme Sabzi genannt, und einem typisch persischen

Reiskuchen. Natürlich fließt kein Alkohol – offenbar kann man auch

ohne Hochprozentiges feiern. Bald werden Geschichten erzählt, Lieder

gesungen, ich amüsiere mich prächtig, obwohl ich noch nicht alles

verstehe.

O-Ton (Schwiegermutter singt/ Farsi)

Erzähler Ahmed darauf:

Du hast eine Last zu tragen, mein Mädchen, deine Brüste sind zwei

Granatäpfel. Gibt mir deine Granatäpfel, damit ich den Saft daraus

sauge, meinen Schmerz stillt nur dein Granatapfelsaft.

(Gespräche, Klatschen in die Hände)

O-Ton: Stimmengewirr, die persische Familie unterhält sich, alle

sprechen durcheinander. Auf dem O-Ton - die Stimme der:

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Erzählerin: An diesem Abend kommt es mir so vor, als hätten im Iran

die Frauen das Sagen, jedenfalls in dieser Familie. Die Männer halten

sich bedeckt.

O-Ton wird ausgeblendet

Erzählerin: Die Frage, ob ich meinen Mann auch nach hiesiger Sitte

heiraten würde, geht mir nicht aus dem Kopf. Am späten Abend, als alle

nach Hause gegangen sind, bitte ich meine Schwiegermutter, von den

Frauen der Familie zu erzählen.

Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"

Erzählerin:

Schwiegermutter erzählt: Das Leben von Kobra Hanum.

O-Ton (Schwiegermutter),darauf:

Erzählerin Schwiegermutter:

Besmella el Rahmone Rachim - Im Namen des allmächtigen Gottes.

Kobra war sehr klein, 2 Jahre alt, da starben ihre Eltern. Ein Onkel, er

war Arzt, nahm Kobra zu sich. Sie blieb bei ihm und seiner Frau, schaute

ihm bei der Arbeit zu, schnappte in der Praxis das eine oder andere auf.

Dann starben die beiden auch.

Kobra war jetzt 18. Sie kam zu ihrem Bruder. Das ging nicht lange gut,

die Frau des Bruders warf sie raus. Gut, Kobra war robust. Und die

Männer - du weißt ja, wie sie sind - sie sahen sie - eine Jungfrau, kräftig,

alleine in der Welt, ohne Mann – und fingen an, sie zu belästigen. Dann

hielt einer von ihnen bei der Familie um ihre Hand an. …Der Mann hieß

Amir, aber er wollte dass man ihn Ghossem nennt, dieser Schwindler! Er

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hatte seine Geburtsurkunde geändert. Aber Kobra kapierte gleich, dass

er Christ ist. Die Christen haben da so ein Problem...eine Frau versteht

das schnell. Am Abend vor der Hochzeit kam sie zu mir: - Er ist kein

Muslim, Tante, was soll ich tun? Aber er liebt mich, wir werden

zusammen leben, macht ja nichts, ich heirate ihn. - Sie hat ihn, egal was,

geliebt.

Fünf Jahre ging das gut. Er war Mechaniker und hat gut verdient, aber

dann stellte sich heraus, dass er eine andere Frau hat! Und drei Kinder.

Sie lebten trotzdem weiter zusammen. Kobra wurde schwanger. Als sie

in fünften Monat war, verschwand er. Kobra kam - außer sich durch den

Schnee, es war so kalt - zu mir und klagte: - Mein Amir, wieso kommt er

nicht?- Dann sagte sie: - Ich werde das Kind nicht behalten, ich treibe es

ab.- Und so war es. Amir kam zurück, sie lebten zusammen, aber er

ging oft zu der anderen Frau, er ging hin und her. Und meinte: -Ich hab

schon drei Kinder, ich will kein Kind mehr.- Und zu Kobras Arzt sagte

er: - Mach sie unfruchtbar! -.

Und Kobra wurde nicht mehr schwanger, ein Jahr, zwei Jahre, drei

Jahre…Da wusste Kobra, dass Amir mit dem Arzt gesprochen hat. Der

Mann entscheidet und Schluss. Kobra war sehr traurig. Sie lebten noch

etwas zusammen, und dann war Amir weg und kam lange Zeit nicht

wieder. Kobra sagte zu mir: -Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt, ich weiß

gar nichts. Also ging Kobra zu den Behörden und ließ ihre Ehe

annullieren, ließ sich bescheinigen, dass sie eine unverheiratete Frau ist,

und nahm den alten Namen wieder an. … Sie ist älter geworden, die

Männer wollen eine junge Frau und vor allem keine, die schon mit einem

anderen gelebt hat. Man muss ja Jungfrau sein. So wollen sie es haben

und nicht anders. Wenn die Frau sagt- ich bin nicht mehr ganz, und

habe schon ein Loch, dann sagen sie: hau ab, geh weg von mir! Du bist

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jetzt verdorben, andere Männer haben dich angefasst! Ja, so ist das

hier…

Musik hoch und weg

Erzählerin: Am nächsten Tag erkenne ich, dass wir zu einem sehr

ungünstigen Zeitpunkt in den Iran gekommen sind. Es ist Dezember -

der Trauer-Monat.

Erzählerin: Simin

In diesem Monat wurde Imam Husain ermordet, der Enkel des

Propheten Mohammed.

Erzählerin:

Imam Husain ist eine Zentralfigur des schiitischen Glaubens, und fast

alle Iraner sind Schiiten.

Erzählerin: Simin

Seine Gegner töteten Husain in der Schlacht bei Kerbala. Er hatte 33

Wunden von Speeren, 34 von Schwertern - und unzählige Pfeile

durchbohrten ihn.

Erzählerin:

Simin, die Frau eines Cousins, entscheidet sich, mich, eine polnische

Katholikin,

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Erzählerin Simin … eine Ungläubige

Erzählerin:

zu den religiösen Feiern für Husain mitzunehmen. Sie heißen Sine-

Bezani, was sich auf die Brust schlagen bedeutet. Frauen und Männer

verleihen damit ihrer Trauer Ausdruck.

Simin ist eine attraktive, schlanke Frau Mitte 50, und obwohl sie weder

lesen noch schreiben kann und aus einem kleinen Dorf im Norden Irans

stammt, ist sie wie immer sehr elegant und geschmacksvoll gekleidet:

olivfarbene Hose, beiger Mantel, passendes Seidenkopftuch. Nicht in

Schwarz, der Farbe der Trauer. So verzichte ich auf meinen dunklen

Wintermantel und ziehe eine helle Hose und einen dünnen Mantel an.

O-Ton: Straßengeräusche - entfernte Stimme eines Muezzins

Erzählerin:

Nach einer halben Stunde Autofahrt parken wir vor einem prachtvollen

4stöckigen Haus in einer der besten Gegenden Teherans. Hinter der

Eingangstür hängen mehrere schwere Vorhänge hintereinander. So

gelangen wir zuerst in eine Art Schleuse, wo die Frauen ihre Schuhe

ausziehen und in Plastiktüten verstauen. Ich erkenne Simin kaum

wieder. Sie hat ihren beigen Mantel abgelegt und einen schwarzen

Tschador übergeworfen. So ähnelt sie all den Frauen, die das Gebäude

stürmen und wie Krähen aussehen. Ich fühle mich unwohl, ich gehöre

einfach nicht hierher!

Aber Simin schubst mich nach vorne, wir betreten den komplett mit

Teppichen ausgelegten Raum von der Größe eines Fußballfeldes.

Rundherum, an die Wände gelehnt, sitzen vielleicht 200 Iranerinnen,

Junge, Alte, kleine Mädchen. Alle in Schwarz.

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O-Ton: Geflüster der Frauen anwesend bei der Veranstaltung, ein leiser

Gemurmel erfüllt den Raum.

Erzählerin:

Wir setzen uns in eine Ecke.

Erzählerin Simin (flüsternd):

Die Gastgeberin ist eine Araberin, aus dem Irak, ihr Mann ist sehr reich,

in dem ganzen Haus wohnt nur eine Familie. Sie sind wirklich

unbeschreiblich reich.

Erzählerin:

Es werden mir verschiedene Köstlichkeiten angeboten, ich bin froh, dass

ich die Höflichkeitsfloskeln gelernt habe.

0-Ton: (Gespräch)

Simin: Ist dir nicht kalt?

Erzählerin: Nein, alles gut, Mögen Ihre Hände niemals schmerzen.

Simin: Wieso nimmst Du kein Kuchen?

Erzählerin: Ich möchte jetzt kein Kuchen, ich bin sehr satt, habe zu viel Brot gegessen

Simin: Es ist sehr lecker, Du musst essen, iss, iss den Kuchen.

Erzählerin: Ich esse den später. Mögen Ihre Hände niemals schmerzen, danke, danke schön.

(O-Ton weg)

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Erzählerin:

Eine Frau nähert sich mir. Sie ist sehr groß, ihr Rücken breit wie bei

einem Holzfäller. Ihr Gesichtsausdruck…Na klar, ich falle auf, wie ein

Albino-Rabe unter diesen schwarzen Krähen. - Was suchst du hier, wer

bist du, zu wem gehörst du? - Mit zittriger Stimme antworte ich in

meinem besten Farsi. - Man Renata hastam, bo Simin omadam. Ich

zeige auf meine Begleiterin, die Gastgeberin lächelt versöhnlich.

Plötzlich:

O-Ton: (Die Anführerin singt am Mikro, eine melodische, ergreifende Stimme Hintergrundgeräusche- Frauengespräche, schallender Mikro-Geräusch, der Gesang wird lauter - es sind die Geschichten aus dem Märtyrer-Leben des Imam Husain´ s, sehr orientalisch und rhythmisch. Das Mikro ist so eingestellt, dass die Stimme der Sängerin, in dem Raum hallt, es klingt dramatisch und geheimnisvoll zugleich, und ein bisschen auch, wie bei einem Rock-Konzert.)

Erzählerin:

Ich schaue mich um - ausnahmslos alle Frauen fangen an, sich gegen

die Brust zu schlagen - Bum, Bum, Bum und dazu zu skandieren - Jo

Husain, Jo Husain! Und fast alle weinen, einige leise, und manche ganz

laut.

O -Ton - ( im Hintergrund Frauengeheul - dann die Stimme der

Anführerin /Farsi:

O-Ton Anführerin/Farsi:

Erzählerin Anführerin:

Zu Ehren von Sahra, der Tochter des Propheten, musst du weinen.

Wenn du nicht weinen kannst, sollst du wenigstens so tun. Verhülle dein

Gesicht, bedecke es mit dem Kopftuch, binde deinen Tschador enger

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zusammen. Dann kannst Du sicher sein, dass dir die Tore des

Paradieses offenstehen.

Erzählerin:

Eine junge Schönheit mit einer Haut wie Milch und Schnee, zerkratzt

sich das Gesicht. Die Tschadors fallen in dem ganzen Durcheinander.

Die Kleider darunter sind zwar alle schwarz, aber bei vielen

ausgeschnitten, manche mit Glitzer und Pailletten besetzt, wie zu

Silvester in einem polnischen Dorf. Na klar denke ich, wo sonst können

sie ihre besten Stücke zeigen?- Nur da, wo keine Männer Zutritt haben.

O-Ton: Der Rhythmus der orientalischen Klänge beschleunigt. Die Anführerin singt - die Frauen antworten, eine Ansprache an Allah den Allmächtigen.

Erzählerin:

Zwei alte Frauen sitzen einander gegenüber - und verpassen sich selbst

Ohrfeigen, heftiger und heftiger, sie scheinen sich gegenseitig

anzufeuern, welche am härtesten zuschlägt. Junge Frauen springen auf,

reißen sich die Tücher von den Köpfen und fangen an zu tanzen.

Springen nach vorne, und nach hinten, mit roten Gesichtern, werfen die

Köpfe, die langen Haare fliegen, bis zur Erschöpfung. Wie in einer

Gemeinschaftshysterie zeigen sie Trauer um den toten Imam. Ich

verdrücke mich neben die Tür, wo es kühler ist. Simin schubst mich in

Richtung der Frauen - ich soll mit ihnen tanzen? Nein, um Gottes Willen.

Ich weiche erschrocken zurück. Plötzlich bricht der Gesang ab, die

Lichter gehen an.

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(Atmo weg, Stille)

Forts. Erzählerin:

... ich bin gerettet, es ist zu Ende.

Die Frauen hüllen sich wieder in ihre Tschadors. Sofre - ein langes

Tischtuch, wird auf den Teppichen ausgerollt, darauf werden Getränke

gestellt, iranische 7Up´s und sehr süße Coca Cola. Reis und

Lammfleisch in Plastikbehältern. Ich krieg nichts runter, aber das macht

nichts, alle Reste werden eingepackt und nach Hause mitgenommen.

Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"

Erzählerin:

Das Leben von Elnaz Hanum und Elhan Hanum, den Ehefrauen von

Said

Erzählerin Schwiegermutter:

Said wollte nur eins - eine Frau. Er nahm eine, sie hieß Mariam. Kurz

nach der Heirat ließ er sich von ihr scheiden, weil es böse Gerüchte über

sie gab, sehr böse Gerüchte. Er sagte zu ihr: du wurdest meine Frau,

aber du warst keine Jungfrau mehr. Er ließ sie weiter in seinem Haus

wohnen, sprach aber trotzdem tallok - die Scheidung.

Dann nahm Said Elnaz zur Frau. Elnaz´ Vater war ein sehr angesehener

Mann. Ich fragte Elnaz` Mutter: - Wie alt ist sie denn, Ihre Tochter, sie ist

ja noch so klein? -Sie ist 15. Es ist Zeit. Said war eine gute Partie, hatte

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Geld, war jung, sehr tüchtig, die Mutter dachte praktisch, sie wollte ihn

unbedingt für ihre Tochter. Ich selbst hab die Braut zum Friseur geführt,

und geschminkt habe ich sie auch. Und in der Hochzeitnacht haben sie

ein Kind gemeistert.

Das Kind war so klein, so klein, das Gesichtchen winzig, wie eine Katze,

die Äugelein zu, 1 Kilo wog es nur, ein Junge. Ich sagte: - Jo Hossein,

und wer wird es pflegen?- Aber da wusste ich schon, ich werde das

Kind pflegen. Elnaz war ja selbst ein Kind, und hatte keine Übung!

Ich sagte: - Wie nennen wir es? –Surab-, sagte Said. Und - das Kind

gehört dir, ziehe es groß.- Als Surab 10 Jahre alt war, meinte Saids

Mutter, Elnaz habe wohl nur Kraft für ein Kind. Wieso wird sie nicht

wieder schwanger? Man muss zwei Kinder haben. Sie riet ihrem Sohn,

eine zweite Frau zu nehmen. Wenn Said ein Kind mit der zweiten Frau

zeugt, ist das ein Beweis, dass Elnaz krank ist.

Forts. Erzählerin Schwiegermutter:

Aber ich weiß - Said wollte einfach noch eine Frau, er hatte einfach

Feuer in den Schenkeln und Verlangen nach einer Jüngeren. Und er

nahm eine zweite Frau, Elhan ist ihr Name. Es verging ein Jahr, dann

ein zweites - kein Kind kam. Said ging zum Arzt - und der meinte zu

Said: Sie haben einfach nur ein Ei. Ein einziges Ei.

Nur ein einziges Kind hat der Said - den Surab. Said ist oft sehr traurig.

Ich sage: ein Kind reicht. Wenn es noch dazu ein Sohn ist - sehr gut! Der

Name bleibt. Und wenn nicht, muss man damit leben, aber ein Mädchen

taugt eben nicht so viel wie ein Junge (lacht)

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Atmo: Gespräche auf Persisch in einem Auto.

Erzählerin:

Die Familie will mir die schönste Stadt des Iran zeigen. Meine

Schwiegermutter, mein Mann Ahmed, sein Cousin Farzin und dessen

Frau Naida fahren mit einem Geländewagen nach Isfahan. Ich sinne

darüber nach, wie es wäre, sich den geliebten Mann mit einer anderen

teilen zu müssen. Ich habe Elnaz und Elham, die beiden Frauen Saids,

kennengelernt – und ich hätte nie gewagt, sie zu fragen. Ich frage lieber

Ahmed, ob er sich vorstellen könnte, eine zweite Frau zu nehmen.

Erzähler Ahmed: Ich? Nie im Leben!

Erzählerin:

Mich hat erstaunt, wie friedlich Elnaz und Elham beisammen leben.

Obwohl Elnaz nicht nur die ältere ist, sondern auch die erste. Sie hat

Said einen Sohn geschenkt, sie kümmert sich jetzt um das Enkelkind.

Wenn Elnaz` Handy klingelt, blickt Elham, die zweite Frau auf… Sie hat

kein Handy. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, obwohl sie kerngesund

ist. Ihr Daseinszweck hat sich nicht erfüllt.

Elnaz und Elham geht es materiell gut. Nach islamischem Recht darf ein

Mann bis zu vier Frauen heiraten. Jeder Frau hat er einen eigenen

Haushalt und eigenes Vermögen zu geben - so steht es in dem Koran,

Sure 4:3

Erzähler Ahmed:

„Und wenn ihr fürchtet, den Waisen nicht gerecht werden zu können,

nehmt euch als Frauen, was euch gut erscheint, zwei oder drei oder vier.

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Doch wenn ihr fürchtet, den Frauen nicht gerecht werden zu können,

heiratet nur eine …“

Atmo Isfahan: - Latfollah Platz und Basar

Erzählerin:

In Isfahan steuern wir sofort die Blaue Moschee an. Sie ist Touristen frei

zugänglich. Das Gebäude mit seinem türkis gekachelten Innenraum hat

eine unglaubliche Akustik.

Ein Muezzin steht in der Mitte unter einer der blauen Kuppeln. Er trägt

die traditionellen weißen Leinenkleider und lange Stiefel aus schwarzem

Leder. Ein sehr schlanker Mann mit einem markanten Gesicht und einer

scharfen Nase.

O-Ton (Muezzin Isfahan/Farsi)

Besmella el Rahmone Rahim- In Namen des allmächtigen Gottes.

( Gesang zuerst laut, dann leiser als Untermalung der Worte der

Erzählerin)

Erzählerin:

Seine Stimme hallt in dem Raum und prallt gegen die blaue Kuppel, wie

gegen das Firmament des Himmels. Ich bin fasziniert. Ich krieg

Gänsehaut und feuchte Augen.

Atmo hoch und weg.

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Erzählerin:

Wir wollen in einem Hotel übernachten. Die junge Empfangsdame,

elegant wie eine Stewardess der Emirates Airline, lächelt

zuvorkommend. Aber als sie erfährt, dass mein Mann und ich keine

Iranische Heiratsurkunde besitzen, wird ihr Gesicht ernst. Ich zeige die

Kopie unserer Eheurkunde vom Standesamt Berlin-Mitte. Sie schüttelt

den Kopf - nur das Original gilt.

Erzähler Ahmed:

Wir sind verheiratet! Wer verreist mit einem so wichtigen Dokument in

der Tasche?!

Erzählerin:

Die Empfangsdame telefoniert lange, sie erreicht die zuständige Person

nicht…. Ich murmele schon: - ist doch egal, schlafen eben die Frauen

zusammen - … da gibt die Empfangsdame Ahmed den Schlüssel für

unser gemeinsames Zimmer. Unsere Pässe behält sie.

In dieser Nacht liege ich in dem Doppelbett neben meinem Mann wie

eine Salzsäule, zwischen uns eine Kluft von mindestens einem Meter.

Ich habe Angst - kriegen wir morgen unsere Pässe zurück?

O- Ton: Das Lied "Dooset daram" - "Ich liebe dich" von Mohsen

Yeganeh (moderne Disco-Musik)

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Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"

Erzählerin: Das Leben von Shirin

Erzählerin Schwiegermutter:

Shirin - meine Nichte, war sehr jung und sehr, sehr hübsch. Eines Tages

hielt jemand um ihre Hand an. Die Männer der Familie warnten Shirin -

dieser Junge - der ist nicht gut für dich, heirate ihn nicht! Aber sie wusste

es besser: er sieht so gut aus, ich will ihn. Ihre Mutter war auch der

Meinung - ein guter Junge, sehr ansehnlich. Der Junge hat auch

beteuert - ich arbeite doch, verdiene unser Brot, ich bin ein Guter. Und

Shirin heiratete, bald kam ein Junge – Azad - zur Welt.

Und erst da wachte Shirin auf: Denn ihr Mann ging nicht zur Arbeit, saß

nur zu Hause, und langsam, langsam, Stück für Stück, trug er Sachen

aus dem Haus und verkaufte sie. Shirin wusste sich ein noch aus,

schließlich hat sie ihrem Mann einen Aushilfsjob bei einem Arzt besorgt.

Und da arbeitete er eine Weile. Eines Tages stellte sich heraus, dass er

bei dem Arzt auch klaut. Und auch bei Shirins Schwester, da hat er Gold

geklaut. Shirin liebte ihn aber und gab ihren eigenen Goldschmuck: -

Geh, verkauf den, zahle deine Schulden.- Sie ging mit ihm auch ins

Krankenhaus, um herauszufinden, was ihm fehlt. Und sie fand es heraus

- Drogen, ja Drogen waren sein Problem. Nach der Behandlung wurde

es besser… aber dann hat er wieder angefangen.

Eines Tages wurden sie getrennt, aber nicht, weil Shirin sich von ihm

getrennt hätte, nein, er landete im Gefängnis. Da haben sie ihn gut

bewacht, aber schnell haben sie´s kapiert - es wird kein Mensch aus

ihm. Und er starb. Na ja, das war eine Scheidung aus Gottes Händen.

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Forts. Erzählerin Schwiegermutter:

Dann heiratete Shirin einen geschiedenen Mann. Einen LKW-Fahrer,

einen großen LKW hatte er, er war oft weg. Er hatte aus seiner ersten

Ehe zwei Kinder, zwei Jungs. Und Shirin kümmerte sich um die Kinder,

wusch und kochte für sie. Der Mann gab ihr auch ein gutes

Haushaltgeld. Aber – auch er hat gestohlen und kam ins Gefängnis.

Jetzt will Shirin sich scheiden lassen, sie will auch ihr Brautgeld, ihre

Mehrije... Shirin ist clever und gescheit, sie wird das Geld schon kriegen!

O- Ton: Fortsetzung - Das Lied "Dooset daram" - "Ich liebe dich" von Mohsen Yeganeh (moderne Disco-Musik)

Erzählerin:

Beim Auschecken schnappen wir uns die Pässe und verlassen fast

fluchtartig das Hotel. Erst als wir Isfahan 30 Kilometer hinter uns haben,

bin ich einigermaßen beruhigt. Plötzlich klingelt Naidas Telefon, sie

tauscht die üblichen Höflichkeitsfloskel aus…und dann erstarrt ihr

Gesicht: Die nette Empfangsdame ist dran: ihr wurde gekündigt, weil sie

mich und meinen Mann in einem gemeinsamen Zimmer übernachten

ließ. Ich bekomme einen Riesen-Schreck: Unseretwegen hat diese junge

Frau ihre Stelle verloren!

Ist es das wert? Sollten wir nicht einfach auf iranisch heiraten und gut?

Ahmed starrt vor sich hin …

O-Ton : Melodische Stimme eines Schauspielers, der die Gedichte von

Hafis liest, aus Lautsprecher, der O-Ton wird leiser, untermalt die

Stimme der:

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Erzählerin:

Wir sind nach Shiras weitergefahren. Hier steht das Mausoleum von

Hafis, dem berühmten persischen Dichter. Dessen Poesie tönt aus

riesigen Lautsprechern. Eine romantische Atmosphäre für heimliche

Rendezvous. Junge Menschen sitzen auf der Grabplatte von Hafis,

lachen, flüstern.

Atmo- Platz in Shiras.

Im Zentrum von Shiras, auf dem Platz vor der Zitadelle des Karim Khan,

steuern vier Zigeunerinnen in bunten, glitzernden, langen Kleider direkt

auf mich zu. Ich bin meilenweit als Touristin auszumachen. Die Älteste

greift nach meinem Ärmel, sie will aus meiner Hand lesen, mir die

Zukunft vorhersagen. Gut -sage ich, wenn ich ihre Stimme aufnehmen

darf.

O-Ton: Zigeunerin - die Zukunft -Vorhersage:

Erzählerin: Roma

Du fotografierst aber nicht? Schwöre bei Gott, dass Du keine Fotos

machst. Im Namen des Propheten Mohammad.

Du bist ehrenhafter als jeder Mann, du bist bei allen beliebt, du sprichst

nur süße Worte und du weißt dich zu benehmen. Du bist aber auch

starrköpfig und trotzig. Ich lese auf deiner Stirn: Eine Reise steht dir

bevor. Du hast einen Mann, der dich sehr liebt. Du bist aber auch

eigenwillig und akzeptierst keine Ungerechtigkeit. Auf deiner Stirn lese

ich: Du wirst zwei Kinder haben. Du wirst einen Sohn bekommen - nenne

ihn Golem Reza. Du wirst auch nach Mekka pilgern, und da erwartet dich

eine frohe Botschaft. Und noch etwas: Du hast eine Freundin in der

Familie, ehre sie.

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Erzählerin :

Ahmed lacht über die Prophezeiung, doch mir ist nicht zum Lachen.

Heute würde ich am liebsten im Auto schlafen, nicht wieder in einem

Hotel. Das Hotel, das wir betreten ist sehr schick, das Licht dezent, die

Möbel a la Louis Quatorze. In der Lobby sitzen zwei alte Frauen, ihre

Tschadors sind so tief in die Gesichter geschoben, dass ich nur ihre

Augen und die Nasenspitzen sehe. Ihre Blicke, die mich förmlich

durchbohren, sind nicht interessiert, wie die Blicke der Iraner auf den

Straßen, kein "how are you" wird fröhlich zur Begrüßung

ausgesprochen. Die Frauen schauen grimmig, fast verachtend, oder

bilde ich mir das nur ein…

Erzähler Ahmed(flüsternd):

- die Revolutionswächterinnen…

Erzählerin:

Ohne Diskussion nehmen wir zwei Zimmer - eines für die Frauen –

eines für die Männer.

Meine Schwiegermutter schläft nach dem anstrengenden Tag sofort ein

und schnarcht leise. Naida und ich finden keine Ruhe. Ich vertraue Naida

an, dass ich überlege, im Iran noch einmal nach den hiesigen Sitten zu

heiraten und frage, was sie davon hält.

Statt zu antworten erzählt sie mir von den Vorkehrungen für die

Festivitäten. Das hört sich nach sehr viel Arbeit an.

Orientalische Hochzeitsmusik: Bodo Bodo mubarak.

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Erzählerin Naida:

Also, es fängt an mit Hosstegori. Der Bräutigam in spe kommt, begleitet

von seinen Eltern, ins Haus seiner Auserwählten. Früher hat das

Mädchen ihren Zukünftigen bei dieser Gelegenheit das erste Mal flüchtig

gesehen. Er durfte auch einen Blick von ihr erhaschen, in den paar

Sekunden, in denen sie ihm den Tee serviert hat. Heutzutage kennt sich

das junge Paar schon, zumindest meistens. Das wichtigste ist - die

Eltern des Mädchens müssen einverstanden sein. Wichtig ist auch die

Höhe der Mehrije, einer Art Geldanlage für die Braut. Falls die jungen

Leute heiraten, muss der Ehemann seiner Gattin zu jedem Zeitpunkt die

Summe der Mehrije auszahlen können, ansonsten wandert er ins

Gefängnis. 500 Goldstücke ist so der Standard. Dafür kann eine Frau im

Iran bis an ihr Lebensende fast sorglos leben. Am häufigsten wird die

Zahlung der Mehrije in dem Fall einer Scheidung verlangt, aber

manchmal will die Frau das Geld ohne Grund, einfach so. Vor allem die

Mutter der Braut ist daran interessiert die höchst mögliche Summe für

ihre Tochter auszuhandeln.

Erzählerin: (Naida erzählt weiter..)

Ich frage mich, wer unter diesen Umständen im Iran überhaupt heiraten

kann und bin froh, dass mein Ahmed sich keine Sorgen um Brautgeld für

mich machen muss – und Hosstegori ist für uns nicht mehr nötig.

Erzählerin Naida:

Nach Hosstegori kommt Ard, die amtliche Registrierung der Ehe. Ein

paar Monate nach Ard folgt das Fest aller Feste - Arrusi, also - die

Hochzeit.

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Erzählerin :

Und sofort öffnet Naida die Fotogalerie auf ihrem Handy.

Sie als Braut im weißen Kleid – aber was für ein Make-up -stark,

glitzernd, provokativ…. Es aufzutragen muss Stunden gedauert haben.

Auch Farzin ist geschminkt wie ein Fernsehstar - Puder, Lipglos,

korrigierte Augenbrauen. Die Fotos, sagt Naida, seien gar nichts gegen

den Hochzeitsfilm – der sei 3 Stunden lang.

Den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag verbrachten Naida

und Farzin mit dem Fotografen und dem Kamera-Team. Die arbeitslosen

Filmemacher in Iran haben ihre Nische gefunden.

Erzählerin Naida:

Wir mussten zig Mal durch einen Park rennen, uns im Laub wälzen, die

Blätter von den Kleidern abschütteln, uns auf der Treppe einer kleinen

Pagode hindrapieren, uns in die Augen schauen und hier ….

Erzählerin:

… ihre Lippen kommen einander ziemlich nahe …aber noch kein Kuss,

um Gottes Willen nicht küssen! Noch waren sie ja nicht verheiratet!

Naida gähnt, der Rest des Bericht fällt knapp aus: auf der Straße vor

dem Festsaal wurde ein braunes Lämmchen mit einem Messerschnitt

durch die Kehle, also Halal, geopfert. 200 Gäste waren da - das Paar

wurde mit Geldscheinen förmlich überschüttet.

Farzin ist nur kurz bei der Braut geblieben und dann zu den Männern in

ein anderen Saal rübergegangen.

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Erzählerin Naida:

Als Farzin den Frauenraum verlassen hatte, fand ich meine Hochzeit

dann nicht mehr ganz so schön.

Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"

Erzählerin: Das Leben von Parwaneh Hanum

O-Ton (Schwiegermutter):

Erzählerin Schwiegermutter:

Parwaneh lebte 22 Jahre mit Mahmud zusammen, sehr gut, sehr

fröhlich. Es gab auch manchmal Streit, klar, aber nichts Wichtiges. Nach

22 Jahren nahm Mahmud eine andere Frau! Parwaheh ließ sich

daraufhin scheiden. Dann vertrugen sie sich aber wieder, und kurze Zeit

später nahm Parwaneh Mahmud wieder bei sich auf. Doch Mahmud ging

wieder zu der anderen Frau und Parwaneh wurde klar, dass sie ihren

Mann nicht mehr will.

Mahmud verstand das nicht: - Ich will euch beide, ist doch kein Problem.

Sie: -Verschwinde, ich will dich nicht mehr! Du hast eine andere Frau

genommen! - Nein, das stimmt nicht, ich habe gelogen, ich will keine

Andere, nur dich! - Und abends, wo gehst du denn hin?

Eines Tages ließ Parwaneh das Wohnungsschloss austauschen. Als

Mahmud zurückkam, sagte sie zu ihm: Geh, dorthin, woher du kommst.

16 Jahre lang war Mahmud weg. Aber neulich kam er zurück und hat

Parwaneh angefleht - bitte vertrage Dich wieder mit mir, damit wir

zusammen leben können, ich verzeihe dir, was du gemacht hast. Aber

Parwaneh antwortete: ich will dir aber nicht verzeihen! Ich liebe dich

nicht mehr. Sie ist etwas traurig deswegen, aber sie ist auch sehr stolz.

Ja, so ist sie.

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O-Ton- Gespräche auf Farsi in der Wohnung der Schwiegermutter, im

Hintergrund ein Fernsehapparat.

Erzählerin:

Wir sind wieder in Teheran in der vertrauten, schönen Wohnung meiner

Schwiegermutter. Wie jeden Tag sind Agha Ramin, ein pensionierter

Ministerialbeamter, und seine Frau Simin da. Wir essen die köstlichen

iranischen Windbeutel. Agha Ramin ist eine Art Familien-Oberhaupt, mit

Problemen kommen alle zu ihm. Ahmed und ich tragen ihm die Sache

mit unserer deutschen Eheurkunde vor:

O-Ton: Agha Ramin/ Erzähler Agha Ramin

Damit eine Frau mit einem Mann in einem iranischen Hotel übernachten

darf, braucht sie einen Personalausweis und eine Geburtsurkunde. In

die Geburtsurkunde der Frau und ebenso in die Geburtsurkunde des

Mannes muss zweifelsfrei die Ehe eingetragen sein.

Erzählerin:

Und muss ich, um nach dem islamischen Recht verheiratet zu sein,

Muslimin werden?

O-Ton und Erzähler: Agha Ramin:

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Ja sicher! Wenn du einen Muslim heiratest, bist du automatisch

Muslimin! Und wenn du schon im Ausland geheiratet hast, muss die Ehe

von unserer Botschaft bestätigt werden.

Erzählerin:

Mir wird mulmig zumute. Wenn ich nach islamischem Recht heirate,

werde ich nicht nur Muslimin, ich werde auch automatisch iranische

Staatsbürgerin… Wenn ich zurück nach Berlin will, brauche ich eine

schriftliche Bewilligung meines Mannes. Ich kann nicht mehr über mich

selbst bestimmen. Ich weiß, dass Ahmed nie etwas gegen meinen Willen

tun würde - trotzdem fühlt es sich bizarr an.

O-Ton: Agha Ramin

Wir alle hier lieben dich, bleib hier und lebe mit uns!

Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"

Erzählerin: Das Leben von Simin und Agha Ramin

O-Ton (Schwiegermutter):

Erzählerin Schwiegermutter:

Sie kannten sich kaum, und schon waren sie verheiratet. Simin sah Agha

Ramin - und um sie war es geschehen.

Na gut, Agha Ramin war schon mal verlobt. Seine Auserwählte war sehr

krank. I Vier Männer hatte sie an der Nase herumgeführt. Bis zu dem

Tag der Hochzeit, hatte sie immer gesagt, gut sehr schön, ich heirate

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dich. Doch vor dem Mulla hatte sie alles bestritten und wollte nicht mehr.

Und so war es auch mit Agha Ramin. Wir hatten ihr schon viel Gold

geschenkt und einen Ring. Doch am Tag der Hochzeit sagte sie: ich will

Agha Ramin nicht! Ich will ihn nicht! Und Agha Ramin fragte, wieso, ich

liebe dich doch! Ich liebe dich auch - meinte sie - aber ich will nicht,

dass du mein Ehemann wirst. Ich liebe dich als meinen Vater, meinen

Bruder, oder sonst noch was, aber nicht als meinen Mann. - Iran -

wieso? fragte er. Wir fragten alle: - wieso hast du Angst? Agha Ramin

weinte Tag und Nacht und mein Mann meinte zu ihm - höre auf, es ist

vorbei, sei nicht solch ein Esel, es gibt noch andere Frauen, diese Iran,

die ist nicht ganz bei Sinnen.

Danach suchten wir eine neue Frau für Agha Ramin. Jemand kannte

einen ehrenwerten Mann mit einer guten Tochter: Simin. Agha Ramin

besuchte sie und sagte zu mir: - Das Mädchen ist nicht schlecht. Was

machen wir?- - Wir nehmen sie!- Wir gingen hin, machten Hosstegori.

Sie saßen eng beieinander, Agha Ramin starrte sie an: ihr Gesicht, ihre

Augen, alles war an der rechten Stelle. Und Agha Ramin fragte:

möchtest du mich heiraten? Simin schämte sich, weil ich dabei war. Da

schob Agha Ramin seine Hand unter Simins Tschador und fragte noch

einmal: willst du mich? Sie nickte. Kurz danach haben wir ihre Hochzeit

gefeiert.

O- Ton: Eine iranische Familie - Gespräche. Alle reden durcheinander.

O-Ton: (Minoo, 9 Jahre alt) rezitiert ein Gedicht aus "Shachname"

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Erzählerin:

Wir sind zur Gast bei Mehran, noch einem von Ahmeds Cousins. Die

Atmosphäre, eine Mischung aus Familienessen und Kulturveranstaltung,

fasziniert mich. Die 9jährige Minoo rezitiert ein Fragment aus "

Shachname", dem Epos des Nationaldichters Ferdusi. Wir sitzen auf

dem Boden, vor uns duftender Reis, Hähnchen mit Nüssen und

Granatapfelsirup, scharfen Spinat- Jogurt Salat mit viel Knoblauch. Nach

dem Essen erzählt mein Mann von unseren Problemen in den iranischen

Hotels. Der Gastgeber, Richter von Beruf, weiß sofort Rat. Es gibt doch

noch Sikhe!

Erzähler Ahmed:

Sikhe, die Ehe auf Zeit. Damit könnten wir das Problem lösen.

Erzählerin:

Der Richter erklärt, dass Sikhe im Iran heute durchaus normal ist. Die

Ehe auf Zeit kann von einer Minute bis zu 200 Jahre dauern. Sie wurde

eingeführt, um uneheliche Kinder zu iranischen Bürgern erklären zu

können – denn Kinder bekommen immer die Staatsbürgerschaft des

Vaters – bzw. des Ehemannes der Mutter. In der Schah- Zeit war Sikhe

verboten, nach 1979 wurde sie wieder zugelassen.

Erzähler Ahmed:

Es sind bis zu 40 Zeitehen für jeden Mann möglich.

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Erzählerin:

Im Handumdrehen setzt der Richter ein Dokument auf: Es ist unser

Ehevertrag. Unsere Ehe wird auf 99 Jahre geschlossen. Man fragt mich,

welchen Betrag ich als Brautgeld haben will. - Gar nichts!

Erzählerin Simin:

Das geht aber nicht - Mehrije muss sein, mindestens Nabot und einen

Koran.

Erzählerin:

Ich will aber keinen Zucker, und mit dem Koran ….

Erzähler Ahmed:

Sie mag Rosen…. Ich gebe Dir statt 500 Goldmünzen 500 rote Rosen

als Mehrije!

Erzählerin:

Die kann ich jederzeit von meinem Mann verlangen! Ja, wunderbar. Die

versammelten Frauen sind mit meiner Entscheidung nicht besonders

glücklich. –

Erzählerin Simin/Naida:

Du verdirbst unsere Preise!

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Erzählerin:

Alle Anwesenden unterschreiben das Dokument, sie küssen und

beglückwünschen mich. Was? - frage ich, - das war´s? Mein Mann nickt,

küsst mich auf beide Wangen und dann auf den Mund.

Erzähler Ahmed.

Nun bis du meine persische Gattin.

Erzählerin

In dieser Nacht bin ich hellwach. Ich habe gerade geheiratet. Völlig

unspektakulär. Ahmed schläft den Schlaf der Gerechten. Meine

Schwiegermutter winkt mich zu sich.

Erzählerin Schwiegermutter: Heute erzähle ich dir meine Geschichte.

Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemle"

Erzählerin: Die Geschichte meiner Schwiegermutter

O-Ton (Schwiegermutter)

Erzählerin Schwiegermutter:

Meinen Mann lernte ich in einer Bäckerei kennen. Er backte und

verkaufte Brot. Er gab mir zwei Laibe Brot, es war ein sehr gutes Brot.

Als ich nach Hause kam, war die Frau meines Bruders verblüfft - das ist

kein normales Brot! Das ist das Brot der Liebe.

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Mein Bruder war wütend. Er setzte sich einen Hut auf und folgte mir

zum Bäcker. Ich bemerkte ihn nicht. Der Bäcker meinte: - Wie immer?

Zwei Brote?– Ich nickte. Er reichte mir das Brot, ich ihm das Geld. Das

war´s. Kein Wort mehr.

Er hatte meinen Bruder erkannt, mein Bruder betrieb ja ein Hamam. Und

eines Tages sprach der Bäcker meinen Bruder im Hamam an. -Ihre

Schwester wird erwachsen, sie sollte bald heiraten. Mein Bruder sagte: -

Kommen Sie in zwei Monaten. Doch mein Zukünftiger antwortete: - Ich

komme in einer Woche. Und mein Bruder wunderte sich: - Wieso diese

Eile? Die Antwort war: -Ich muss verreisen.

Und dann schlossen wir die standesamtliche Ehe. Das war´s. Erst

danach beichtete mir mein frisch angetrauter Ehemann: - Ich habe

nichts. Ich arbeite am Tag und abends essen wir das Brot, das ich

verdient habe.

Herrje!!! Mein Bruder wollte die Ehe annullieren, ja, - er wollte meinen

frisch Vermählten umbringen! Doch mein Mann blieb ruhig und sagte zu

meinem Bruder: -Ich nehme meine Frau mit und gehe. Doch er ging

allein weg und ließ mich zurück. Nach einem Jahr hatte ich immer noch

keine große Hochzeit, eine Schande. Mein Mann kam ab und zu, wir

sahen uns kurz, er ging wieder.

Mein Bruder sagte: - Du bist nicht mehr meine Schwester! Lass dich von

ihm scheiden, sonst enterbe ich dich! Ich sagte, ich lasse mich bestimmt

nicht scheiden.

Ich konnte nicht anders, ich liebte meinen Mann, er hat mich auch

geliebt. - Nach einem Jahr und 4 Monaten bin ich aus dem Haus meines

Bruders abgehauen (flüstert).

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Zwei Löffel hatten wir, zwei Teller, zwei Messer, zwei Töpfe, von allem

nur zwei, egal, ich wollte mit ihm zusammen leben. Wir hatten ein kleines

Zimmer.

Ich war sehr niedergeschlagen, ich verzehrte mich nach meiner Familie

und wurde krank, sehr krank. Ich verstand die Welt nicht mehr. Dass sie

mich verstoßen hatten.

Ich musste ins Krankenhaus, schluckte nichts als Medikamente. Mein

Mann besuchte mich, ich fürchtete mich vor ihm. Er flößte mir Löffel um

Löffel die Suppe in den Mund: Iss, stirb nicht! Iss, wenn du nicht isst,

stirbst du.

Nach 40 Tagen machte ich meine Augen auf und sah meinen Bruder. Er

stand da, neben meinem Bett und weinte. Als ich ihn sah, wurde ich

gesund. Dann kam ich nach Hause zu meinem Mann, und dann - wie es

so ist - wurde ich schwanger. Einen Jungen habe ich zur Welt gebracht,

er war sehr hübsch, sein Name war Faromarz. Als er 1 Jahr war, stab er.

Mein Leben war sehr schwer, aber jetzt geht es mir gut, sehr gut. Früher

ging es mir auch gut, ich hatte ja Liebe. Ja, ich habe meinen Mann

geliebt. Wohin er auch ging, was er auch getan hat, war ich immer bei

ihm. Ich war gern mit ihm zusammen. Wir haben drei Kinder

großgezogen.

O-Ton (Schwiegermutter singt ein Lied über Liebe)

Erzählerin: Es wird hell draußen, als meine 84jährige Schwiegermutter

von der Liebe singt. Sie streichelt mein Gesicht und zieht von ihrem

Ringfinger ihren Ehering ab. Vor 67 Jahren hat sie ihn von Ahmeds Vater

bekommen. Der Ring hat kleine Beulen und Kratzer, sie hat ihn nie

abgesetzt. Meine Schwiegermutter ergreift meine Hand und streift mir

den Ring über. - Jetzt ist er deiner - sagt sie. Ich denke an Parwaneh, die

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zu stolz war, sich mit ihrem ehebrecherischen Mann zu versöhnen, an

Shirin, die trotz zweier gescheiterter Ehen um ihr Recht kämpft, an

Kobra, die die Kraft gefunden hat, ihre große Liebe zu vergessen, und

vor allem an meine Schwiegermutter, die für mich mehr als die Mutter

meines Mannes ist. Sie ist meine Freundin. Ich bin ein Teil dieser

Familie, ich bin eine persische Gattin.

Absage

Die persische Gattin.

Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.

Sie hörten ein Feature von Renata Borowczak

Es sprachen: Melina von Gagern, Friederike Frerich s,

Gabriele Blume, Sabrina Tannen, Ahmed und Agha Ra min

Ton: Alexander Brennecke

Regie: Renata Borowczak

Redaktion: Ulrike Bajohr

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014

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