September 1974 Arbeitskreis Evangelischen Verantwortung · schen Dinge Di.e Herren sind wie, der...

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Meinungen und Informationen aus dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU August/ September 1974 E Verantwortung Heft 8-9/1974 Europa zwischen Resignation und Hoffnung Kai-Uwe von Massel Neue Rufnummer: Vom 3. September 1974 an er- reichen Sie die Bundesgeschäfts- stelle des Evangelischen Arbeits- kreises der CDU/CSU sowie die Redaktion der Evangelischen Ver- antwortung unter der neuen Tele- fonnummer: (02221) 544306. Die CDU-Bundesgeschäftsstelle hat vom gleichen Termin an die Rufnummer: (02221) 544-1. Maßnahmen zur Sicherung der na- tionalen Stabilitäts- und Währungspo- litik in Italien, Dänemark, Frankreich und England kennzeichnen den steti- gen Verfall der europäischen Einigung. Bei Politikern — und mehr noch In der Bevölkerung mehrt sich der Verdruß über Egoismus und Engstirnigkeit. Unser Autor, der nicht nur dem Bundesvorstand des EAK und dem Präsidium der CDU angehört, sondern auch Vorsitzender der Europäischen Union Christlicher Demokraten Ist, setzt sich im folgenden Artikel für die rasche Schaffung einer politischen Autorität für Europa ein. Die moderne Europaidee ist im wesentlichen das Ergebnis der Er- fahrungen aus den beiden Welt- kriegen: Europa soll vor dem Unter- gang durch Selbstzerstörung oder durch Unterwerfung von außen be- wahrt werden, die erst durch innere Zerstrittenheit ermöglicht wird. Ganz besonders geht es darum, jahr- hundertalte Rivalität, Feindschaft und Mißtrauen zwischen Deutsch- land und Frankreich zu überwinden. Gerade die Konfrontation dieser beiden großen Nationen ist noch lange Kriterium wie Alptraum bei den einzelnen Stufen des Integra- tionswerkes. Man spricht häufig von Techno- kratie, und de Gaulle hatte schon Mitte der sechziger Jahre abfällig das Wort von den Eurokraten ge- prägt. Gemeint war die Europäi- sche Kommission mit ihrem Be- amtenstab. Tatsächlich hat aber erst de Gaulle die Kommission ent- mannt. Jetzt zeigt sich nachträglich, daß er es doch geschafft hat, sie nach seinen Vorstellungen zu einem bloßen Sekretariat des Mi- nisterrates zu degradieren. Dennoch lenkt sein Schimpfwort den Vor- wurf in falsche Richtung. Die Büro- kratie der Kommission hat nur Aus dem Inhalt Europa zwischen Resignation und Hoffnung 1 Aus den Akademieprogrammen 3 Kurz notiert 3 Leserbriefe 5 Abschied von der christlichen Erziehung 6 Hermann Boventer Marxismus-Unterricht an unseren Schulen 9 Karl Carstens Referentenvermittlung 10 Aus unserer Arbeit 11 Buchhinweise 12 „C" als Quelle der Grundsatzdiskussion 14 Weltevangelisatlon braucht Multiplikatoren 15 Wilhelm Hahn Terminhinweis EAK Schleswig-Holstein 16 geringen Einfluß auf die europäi- schen Dinge. Die Herren sind, wie der Gesetzgebungsprozeß zeigt, die nationalen Ministerialbürokra- tien. Faktisch sind sie in den vielen Detailfragen selbst von den eige- nen Ministern nicht zu kontrollie- ren, die ihrerseits für ihre euro- päische Tätigkeit parlamentarisch nicht verantwortlich sind. Man sollte also nicht von Eurokraten

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Meinungen

und Informationen

aus demEvangelischenArbeitskreis

der CDU/CSU

August/September 1974 E

VerantwortungHeft 8-9/1974

Europa zwischenResignationund HoffnungKai-Uwe von Massel

Neue Rufnummer:

Vom 3. September 1974 an er-reichen Sie die Bundesgeschäfts-stelle des Evangelischen Arbeits-kreises der CDU/CSU sowie dieRedaktion der Evangelischen Ver-antwortung unter der neuen Tele-fonnummer: (02221) 544306.

Die CDU-Bundesgeschäftsstellehat vom gleichen Termin an dieRufnummer: (02221) 544-1.

Maßnahmen zur Sicherung der na-tionalen Stabilitäts- und Währungspo-litik in Italien, Dänemark, Frankreichund England kennzeichnen den steti-gen Verfall der europäischen Einigung.Bei Politikern — und mehr noch In derBevölkerung — mehrt sich der Verdrußüber Egoismus und Engstirnigkeit.

Unser Autor, der nicht nur demBundesvorstand des EAK und demPräsidium der CDU angehört, sondernauch Vorsitzender der EuropäischenUnion Christlicher Demokraten Ist, setztsich im folgenden Artikel für die rascheSchaffung einer politischen Autorität fürEuropa ein.

Die moderne Europaidee ist imwesentlichen das Ergebnis der Er-fahrungen aus den beiden Welt-kriegen: Europa soll vor dem Unter-gang durch Selbstzerstörung oderdurch Unterwerfung von außen be-wahrt werden, die erst durch innereZerstrittenheit ermöglicht wird. Ganzbesonders geht es darum, jahr-hundertalte Rivalität, Feindschaftund Mißtrauen zwischen Deutsch-land und Frankreich zu überwinden.Gerade die Konfrontation dieserbeiden großen Nationen ist nochlange Kriterium wie Alptraum beiden einzelnen Stufen des Integra-tionswerkes.

Man spricht häufig von Techno-kratie, und de Gaulle hatte schonMitte der sechziger Jahre abfälligdas Wort von den Eurokraten ge-prägt. Gemeint war die Europäi-sche Kommission mit ihrem Be-amtenstab. Tatsächlich hat abererst de Gaulle die Kommission ent-mannt. Jetzt zeigt sich nachträglich,daß er es doch geschafft hat, sienach seinen Vorstellungen zu

einem bloßen Sekretariat des Mi-nisterrates zu degradieren. Dennochlenkt sein Schimpfwort den Vor-wurf in falsche Richtung. Die Büro-kratie der Kommission hat nur

Aus dem InhaltEuropa zwischen Resignation undHoffnung 1

Aus den Akademieprogrammen 3

Kurz notiert 3

Leserbriefe 5

Abschied von der christlichenErziehung 6Hermann Boventer

Marxismus-Unterricht an unserenSchulen 9Karl Carstens

Referentenvermittlung 10

Aus unserer Arbeit 11

Buchhinweise 12

„C" als Quelle derGrundsatzdiskussion 14

Weltevangelisatlon brauchtMultiplikatoren 15Wilhelm Hahn

Terminhinweis EAKSchleswig-Holstein 16

geringen Einfluß auf die europäi-schen Dinge. Die Herren sind, wieder Gesetzgebungsprozeß zeigt,die nationalen Ministerialbürokra-tien. Faktisch sind sie in den vielenDetailfragen selbst von den eige-nen Ministern nicht zu kontrollie-ren, die ihrerseits für ihre euro-päische Tätigkeit parlamentarischnicht verantwortlich sind. Mansollte also nicht von Eurokraten

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sprechen, sondern von einem Kon-glomerat nationaler Technokratienauf europäischer Ebene, oder voneiner Polytechnokratie.

Hat die sozialliberale Koalitionhier etwas geändert? Diese Miß-stände sind erst während ihrerRegierungszeit deutlich geworden,aber zur Steuerung fehlt es anjedem Ansatz.

Eigene Finanzmittel der Gemein-schaft wurden durch Beschluß vomApril 1970 eingeführt. Da ist auchvon Haushaltskontrolle durch dasEuropäische Parlament die Rede.Tatsächlich befindet das Parlamentüber den sogenannten Verwaltungs-haushalt wirklich konstitutiv. DerVerwaltungshaushalt ist im wesent-lichen der Personalhaushalt — miteinem Anteil von drei bis vier Pro-zent am Gesamthaushalt. Zu denübrigen 96 bis 97% darf sich dasEuropäische Parlament getrostäußern, bewirken tut das nichts.Von einer Haushaltskontrolle desEuropäischen Parlaments zu spre-chen ist also schlichte Augenwi-scherei.

Festigung Europas — ein Opferder Ostpolitik

Es ist nirgends zu erkennen, daßScheel oder Brandt irgendwie Nen-nenswertes bewirkt haben. Siehaben ihre Energien in der Ostpo-litik konsumiert. Hätten sie zweiSchritte zur Festigung Europasund jeweils nur einen Schritt in derOstpolitik gemacht, sähe es heuteanders aus.

Der Streit um die angemesseneHöhe des Regionalfonds beispiels-weise drängt die Frage auf, ob dieBundesrepublik sich mit der Ost-politik der sozialliberalen Koalitionnicht auch finanziell zu stark imOsten engagiert, anstatt Mittel, dieerübrigt werden können, unserenFreunden in der Gemeinschaftanzubieten. Hier sehe ich eineBestätigung der Warnungen desfrüheren Staatssekretärs im ameri-kanischen Außenministerium, GeorgBall, der Ende 1970 festgestellthatte, seit Bismarck hätten inDeutschland immer die Vertretereiner nach dem Osten orientier-ten Politik die Oberhand gehabt.Die Politik der WestintegrationAdenauers sei ein Bruch mit dieserTradition gewesen.

Eine Bilanz der Entwicklung zeigt,daß während der Ära der christ-

demokratischen Regierungen inEuropa ein Integrationsprozeß inGang gesetzt wurde, der einmaligist. Nach Regierungsantritt deGaulies konnten die RegierungenAdenauer und Erhard zusammenmit befreundeten Staaten eineUmkehr des Integrationsprozessesverhindern und die wichtigen Fra-gen für eine spätere günstige Re-gelung offenhalten. Demgegenüberwtrd die Integration während dersozialliberalen Koalition immerschneller zurückgespult. Eine Ur-sache hierfür ist die Abwesenheitdes politischen Elements in derGemeinschaft und damit einereuropäischen politischen Autorität.Diese ist notwendig, um der Exe-kutive die Zielvorstellungen zu ge-ben, die von letzterer umzusetzensind. Das setzt zunächst Zielbil-dung und ständige Zielanpassungbei der politischen Autorität voraus.Dazu gehört in der Gemeinschaftbesonders die Feststellung undVerfolgung der möglichen Wegefür den Fortgang der Integration.

Impulse zu einer europäischenAutorität

Weitere Funktion einer politi-schen Autorität wäre, als Symboldas europäische Volk zu repräsen-tieren. In einem demokratischenGebilde kann eine solche Aufgabenicht allein von einem Präsidentenausgeübt werden. Wichtiger ist einechtes Parlament, das Gesetzge-bungs- und Kontrollbefugnisse hatund durch direkte Wahl legitimiertist.

Die Abwesenheit einer solchenAutorität in der Europäischen Ge-meinschaft ist der Grund für dasFehlen jeglicher Zielvorgabe an dieBürokratie und damit für das Herr-schen der europäischen Polytechno-kratie, die selbst nur Flickwerkleisten kann.

Alle Überlegungen zeigen, daßohne grundlegende, neue politischeImpulse Europa nicht vorankommenwird. Was not tut, ist, den rück-läufigen Integrationsprozeß erneutumzudrehen. Dazu bedarf es äußer-ster Konzentration und Anstrengungder politischen Kräfte. Bei allemRespekt vor Experten, vor hohenVerwaltungsbeamten, allein mitihnen kann Europa nicht von derStelle bewegt werden. Die Anstren-gungen müssen von den Politikern

kommen, und Politiker bedeutet:die Parteien, die nationalen Parla-mente und das Europäische Par-lament.

Was erscheint unausweichlich?Die Schaffung der von mir be-

schworenen politischen Autorität,nämlich eines neuen, echten euro-päischen Parlaments und die Aus-richtung der politischen Parteienauf Europa.

Das heißt im Klartext:1. Die Direktwahl zum Europäi-

schen Parlament.2. Die notwendigen Vollmachten

für dieses Parlament.3. Die Zusammenfassung der poli-

tischen Kräfte mit ihren Parteienzu europäischen Parteien.Worauf kommt es an?Auf große, schlagkräftige euro-

päische Gruppierungen, mit denenman große, mutige europäischePolitik betreiben kann. Diese Zu-sammenfassung ist notwendig füralle politischen Hauptgruppen. Fin-den die Sozialisten, die Liberalensowie die Christen und Konserva-tiven nicht zu europäischen Forma-tionen zusammen, dann werden wirmit kleinen nationalen Parteienkeine funktionsfähige parlamenta-rische Ordnung für Europa errei-chen.

Das Bild Europas ist sehr zwie-spältig. Im politischen Stimmungs-bild halten sich gegenwärtig nochResignation und Hoffnung dieWaage. Sorgen wir dafür, daß dieWaagschale der Hoffnung das Über-gewicht über die der Resignationgewinnt. Darauf müssen wir unserepolitischen Anstrengungen konzen-trieren. Geschichtliche Prozessepflegen nicht unabänderlich abzu-laufen. Männer — Politiker - ma-chen die Geschichte!

Hermann Ehlers, das große Vor-bild der Protestanten in der CDU,der Begründer unseres Evangeli-schen Arbeitskreises, hat unermüd-lich dazu aufgerufen, die Dingeunseres Staates mitzubewegen, hatjedermann ins Gewissen geredet,daß er selbst Mitverantwortungträgt, daß dieser sein — unser -Staat in Ordnung, ein freier, sozia-ler Rechtsstaat bleibt. Bei denDimensionen, die die Politik heuteangenommen hat, gelingt das nur,wenn wir die Vereinigten Staatenvon Europa schaffen.Die Generationen nach uns werdenin Freiheit leben können, wenn wirjetzt unsere Pflicht tun und dadurchunser Ziel erreichen: ein freies,kräftiges, friedenstiftendes Europa.

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Aus den Tagungsprogrammen der Akademien

Evangelische AkademieArnoldshain6381 Arnoldshain (Taunus)6. bis 8. September 197410. Evangelisch-KatholischesGespräch„Wer oder was ist die Kirche?"

Evangelische Akademie Bad Boll7325 Bad Boll (üb. Göpplngen)11. bis 13. Oktober 1974Christsein in der SowjetunionLebenszeichen aus den Kirchen desSchweigens

Evangelische Akademie Berlin1 Berlin 39, Königstraße 64 b

Da die Arbeit dieser Akademieunter Leitung ihres DirektorsPfarrer Günter Berndtimmer stärker einseitig ideologi-siert wird, verzichtet dieEvangelische Verantwortungab sofort auf entsprechendeVeranstaltungshinwelse.

Katholische Akademieder Erzdiözese Freiburg78 Freiburg I. Br., WinterstraBe 128. bis 29. September 1974Verurteilt zur Leistung und zumFortschritt?Versuch einer Standortbestimmung

Evangelische AkademieKurhessen-Waldeck352 Hofgeismar,Schlößchen Schönburg6. bis 8. September 1974Reisen in den OstenDie politische Entwicklung seit denOstverträgen — Kleiner und großerGrenzverkehr - Brücke undGrenzen

27. bis 29. September 1974Neue Ziele des Wachstums

Evangelische AkademieRheinland-Westfalen —Haus Ortlohn586 Iserlohn (Westfalen),Baarstraße 59-615. bis 6. Oktober 1974Grenzgespräche — Die Notwendig-keit einer ständigen Kommunikationder Wissenschaften

18. bis 20. Oktober 1974Was heißt „konservativ"?

Evangelische Akademie Loccum3055 Loccum (üb. Wunstorf)13. bis 15. September 1974Die deutsche Nation in derpolititischen Wirklichkeit

Evangelische AkademieRheinland-Westfalen —Haus der Begegnung433 Mühlheim (Ruhr),Uhlenhorstweg 2928. bis 29. September 1974Schwellenwerte der Umweltbela-stung: Welche Risiken nehmen wirin Kauf?

21. bis 22. OktoberHat Europa noch eine Zukunft?

Evangelische Akademie Tutzing8132 Tutzing (Starnberger See)Schloß23. bis 26. September 1974Akademisches Symposion:Die Verantwortung der Wissen-schaft vor der Zukunft

11. bis 13. Oktober25 Jahre GrundgesetzAuftrag und VerwirklichungTagung des Politischen Clubs

Evangelische Akademie der Pfalz672 Speyer, Große Himmelsgasse 628. bis 29. September 1974Gottes Volk innerhalb und außer-halb der Volkskirche4. gemeinsame Tagung mit franzö-sischen Christen

Kurz notiert

Katholikentag: Sinnvermittlung

Die Veranstalter des 84. Deut-schen Katholikentages, der vom11. bis 15. September in Mön-chengladbach durchgeführt wird,müssen mit einem „übervollenHaus" rechnen. So sehr dies alsZeichen der Aktualität eines sol-chen Mammutkongresses auch -indar heutigen Zeit gewertet wird- die hohe Zahl der Anmeldungenbringt hinsichtlich der Unterbrin-gung Probleme, die leider kurzvor Tagungsbeginn noch nicht ge-löst sind.

Als besonders erfreulich gilt diegroße Beteiligung der Jugend.

Welche Erwartungen sie an denKatholikentag knüpft, formulierteneinige Verbände:

• Die Kolpingjugend hofft, daßnicht weiterhin „zentnerweise Re-solutionen und fromme Reden pro-duziert und unter das Volk verteiltwerden, um anschließend ihrenWeg in einen Papierkorb oder ineine Ablage zu gehen". Wichtigerist für sie, daß „wir zueinanderund miteinander sprechen".

• Die Katholische Landjugend-bewegung möchte durch ihre Bei-träge die Notwendigkeit der Ju-gendseelsorge im ländlichen Raumverdeutlichen.

• Die Katholische StudierendeJugend sieht vor allem die Möglich-

keit zum Dialog mit katholischenChristen über Gemeinde- und Bis-tumsgrenzen hinweg zugleich mitder Chance, eigene Wünsche undBedürfnisse gegenüber Kirche undÖffentlichkeit zu formulieren.

Die „Zeitgemäßheit" gerade desTagungsmottos „Für das Leben derWeit" betonten der Präsident desZentralkomitees der deutschenKatholiken, Dr. Bernhard Vogel, ineinem Aufruf zur Teilnahme amKatholikentag, und Prof. P. Dr.Anton Rauscher SJ im Kirchenfunkdes Bayerischen Rundfunks. FürVogel steht die Tagung „mitten inunserer Zeit", die durch schnellenWandel und Infragestellung vonalten Leitbildern gekennzeichnet

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sprechen, sondern von einem Kon-glomerat nationaler Technokratienauf europäischer Ebene, oder voneiner Polytechnokratie.

Hat die sozialliberale Koalitionhier etwas geändert? Diese Miß-stände sind erst während ihrerRegierungszeit deutlich geworden,aber zur Steuerung fehlt es anjedem Ansatz.

Eigene Finanzmittel der Gemein-schaft wurden durch Beschluß vomApril 1970 eingeführt. Da ist auchvon Haushaltskontrolle durch dasEuropäische Parlament die Rede.Tatsächlich befindet das Parlamentüber den sogenannten Verwaltungs-haushalt wirklich konstitutiv. DerVerwaltungshaushalt ist im wesent-lichen der Personalhaushalt — miteinem Anteil von drei bis vier Pro-zent am Gesamthaushalt. Zu denübrigen 96 bis 97% darf sich dasEuropäische Parlament getrostäußern, bewirken tut das nichts.Von einer Haushaltskontrolle desEuropäischen Parlaments zu spre-chen ist also schlichte Augenwi-scherei.

Festigung Europas — ein Opferder Ostpolitik

Es ist nirgends zu erkennen, daßScheel oder Brandt irgendwie Nen-nenswertes bewirkt haben. Siehaben ihre Energien in der Ostpo-litik konsumiert. Hätten sie zweiSchritte zur Festigung Europasund jeweils nur einen Schritt in derOstpolitik gemacht, sähe es heuteanders aus.

Der Streit um die angemesseneHöhe des Regionalfonds beispiels-weise drängt die Frage auf, ob dieBundesrepublik sich mit der Ost-politik der sozialliberalen Koalitionnicht auch finanziell zu stark imOsten engagiert, anstatt Mittel, dieerübrigt werden können, unserenFreunden in der Gemeinschaftanzubieten. Hier sehe ich eineBestätigung der Warnungen desfrüheren Staatssekretärs im ameri-kanischen Außenministerium, GeorgBall, der Ende 1970 festgestellthatte, seit Bismarck hätten inDeutschland immer die Vertretereiner nach dem Osten orientier-ten Politik die Oberhand gehabt.Die Politik der WestintegrationAdenauers sei ein Bruch mit dieserTradition gewesen.

Eine Bilanz der Entwicklung zeigt,daß während der Ära der christ-

demokratischen Regierungen inEuropa ein Integrationsprozeß inGang gesetzt wurde, der einmaligist. Nach Regierungsantritt deGaulles konnten die RegierungenAdenauer und Erhard zusammenmit befreundeten Staaten eineUmkehr des Integrationsprozessesverhindern und die wichtigen Fra-gen für eine spätere günstige Re-gelung offenhalten. Demgegenüberwtrd die Integration während dersozialliberalen Koalition immerschneller zurückgespult. Eine Ur-sache hierfür ist die Abwesenheitdes politischen Elements in derGemeinschaft und damit einereuropäischen politischen Autorität.Diese ist notwendig, um der Exe-kutive die Zielvorstellungen zu ge-ben, die von letzterer umzusetzensind. Das setzt zunächst Zielbil-dung und ständige Zielanpassungbei der politischen Autorität voraus.Dazu gehört in der Gemeinschaftbesonders die Feststellung undVerfolgung der möglichen Wegefür den Fortgang der Integration.

Impulse zu einer europäischenAutorität

Weitere Funktion einer politi-schen Autorität wäre, als Symboldas europäische Volk zu repräsen-tieren. In einem demokratischenGebilde kann eine solche Aufgabenicht allein von einem Präsidentenausgeübt werden. Wichtiger ist einechtes Parlament, das Gesetzge-bungs- und Kontrollbefugnisse hatund durch direkte Wahl legitimiertist.

Die Abwesenheit einer solchenAutorität in der Europäischen Ge-meinschaft ist der Grund für dasFehlen jeglicher Zielvorgabe an dieBürokratie und damit für das Herr-schen der europäischen Polytechno-kratie, die selbst nur Flickwerkleisten kann.

Alle Überlegungen zeigen, daßohne grundlegende, neue politischeImpulse Europa nicht vorankommenwird. Was not tut, ist, den rück-läufigen Integrationsprozeß erneutumzudrehen. Dazu bedarf es äußer-ster Konzentration und Anstrengungder politischen Kräfte. Bei allemRespekt vor Experten, vor hohenVerwaltungsbeamten, allein mitihnen kann Europa nicht von derStelle bewegt werden. Die Anstren-gungen müssen von den Politikern

kommen, und Politiker bedeutet:die Parteien, die nationalen Parla-mente und das Europäische Par-lament.

Was erscheint unausweichlich?Die Schaffung der von mir be-

schworenen politischen Autorität,nämlich eines neuen, echten euro-päischen Parlaments und die Aus-richtung der politischen Parteienauf Europa.

Das heißt im Klartext:1. Die Direktwahl zum Europäi-

schen Parlament.2. Die notwendigen Vollmachten

für dieses Parlament.3. Die Zusammenfassung der poli-

tischen Kräfte mit ihren Parteienzu europäischen Parteien.Worauf kommt es an?Auf große, schlagkräftige euro-

päische Gruppierungen, mit denenman große, mutige europäischePolitik betreiben kann. Diese Zu-sammenfassung ist notwendig füralle politischen Hauptgruppen. Fin-den die Sozialisten, die Liberalensowie die Christen und Konserva-tiven nicht zu europäischen Forma-tionen zusammen, dann werden wirmit kleinen nationalen Parteienkeine funktionsfähige parlamenta-rische Ordnung für Europa errei-chen.

Das Bild Europas ist sehr zwie-spältig. Im politischen Stimmungs-bild halten sich gegenwärtig nochResignation und Hoffnung dieWaage. Sorgen wir dafür, daß dieWaagschale der Hoffnung das Über-gewicht über die der Resignationgewinnt. Darauf müssen wir unserepolitischen Anstrengungen konzen-trieren. Geschichtliche Prozessepflegen nicht unabänderlich abzu-laufen. Männer — Politiker - ma-chen die Geschichte!

Hermann Ehlers, das große Vor-bild der Protestanten in der CDU,der Begründer unseres Evangeli-schen Arbeitskreises, hat unermüd-lich dazu aufgerufen, die Dingeunseres Staates mitzubewegen, hatjedermann ins Gewissen geredet,daß er selbst Mitverantwortungträgt, daß dieser sein — unser -Staat in Ordnung, ein freier, sozia-ler Rechtsstaat bleibt. Bei denDimensionen, die die Politik heuteangenommen hat, gelingt das nur,wenn wir die Vereinigten Staatenvon Europa schaffen.Die Generationen nach uns werdenin Freiheit leben können, wenn wirjetzt unsere Pflicht tun und dadurchunser Ziel erreichen: ein freies,kräftiges, friedenstiftendes Europa.

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sei. Der Katholikentag versuche,„im Spannungsfeld von Kirche undGesellschaft sich dieser Situationzu stellen".

Zu der Frage, welche Impulsevom diesjährigen Katholikentagausgehen müßten, erklärte P.Rauscher u. a.:

• Während der Katholikentag inTrier sich mit den Lebensformenund zeitgemäßen Strukturen derKirche befaßte, ist jetzt wieder dieAktivierung der Gesellschaftsver-antwortung der Kirche vordringlich.

• Dem Überfluß an Materiellemsteht heute ein „Mangel an Wertenund Wertbewußtsein, an Normenund Orientierungen" gegenüber.Trotz des allgemeinen Wohlstandesscheint den Menschen das Lebenweniger lebenswert.

• Der Ruf der letzten Jahre nachVersachlichung und Entideologisie-rung entpuppte sich als „billigerPragmatismus", der die Wertneu-tralität des öffentlichen Lebenspropagierte. Im Gefolge dieserDenkströmung kam es zur Forde-rung nach dem Abbau sämtlicherTabus.

• Auch im Erziehungs- und Bil-dungsprozeß wurden Werte undSinnzusammenhänge zugunstender reinen Wissensvermittlung zu-rückgestellt. In diesem Klima hatteauch die Frage nach Gott keinenPlatz mehr. Für Christen wurdeaus dem „aggiornamento" eine„Anbequemung an die säkulareGesellschaft".

• Nach der Entideologisierungs-welle ist die Gesellschaft heute voneiner Reideologisierung durch denMarxismus und Neomarxismus be-droht. Die radikalen Linken habenerkannt, daß die Vermittlung vonSinn zum entscheidenden Herr-schafts- und Stabilisierungsmittelder Gesellschaft geworden ist. Auf-gabe des Katholikentages wird essein, anstelle einer pseudoreligiö-sen Heilslehre „den Glauben alsdie Chance der Sinnerfüllung desLebens überzeugend zu dokumen-tieren".

Evangelische Notgemeinschaftsammelte für Opfer des Terrorismus

20000 DM gingen auf dem Spen-denkonto der „Evangelischen Not-gemeinschaft in Deutschland e. V."

aus Einzelspenden, Sammlungenund Kollekten evangelischer aberauch katholischer Gemeinden ein.Das Geld soll den Opfern desTerrorismus im südlichen Afrikazugute kommen, wobei schwarzeZivilpersonen bevorzugt bedachtwerden sollten.

Die Notgemeinschaft konnte da-mit acht Schwarzen aus dem Tete-distrikt in Mocambique, die aufMinen der Frelimos getreten waren,zu einer Prothese verhelfen.

Durch diese Sammlung solltedeutlich gemacht werden, daß esmöglich ist, den „unter die RäuberGefallenen" direkt und konkret zuhelfen.

Neue FDP-Kirchenkommissionberufen

Immer wenn es an tagesaktuel-len politischen Themen mangelt,befaßt sich die FDP mit den Kir-chen. Vor einem Jahr beriet zurUrlaubszeit der Parteivorstand überdie von einer Kirchenkommissionerarbeiteten 14 „Thesen zum Ver-hältnis von Kirche und Staat", dieohne Änderung als „geeigneteGrundlage" für die Diskussion indie Partei gegeben wurden.

Das Papier fand nur in drei Lan-desverbänden weitgehende Zu-stimmung. In Bayern und im Saar-land stieß es auf Ablehnung. Vonden übrigen Landesverbänden ha-ben einige differenzierte Stellung-nahmen vorgelegt, andere haltenes nicht für notwendig, daß sichdie FDP überhaupt mit dem Staat-Kirche-Problem befaßt.

Letzterer Standpunkt wird jedochvon der Parteimehrheit nicht ge-teilt. Vielmehr soll das Verhältnisvon Kirche und Staat — einemBeitrag in der NDR-Sendung „Ausgegebenem Anlaß — Christentumin dieser Zeit" zufolge - noch vorder Bildungs- und Kommunalpolitikder erste von drei Schwerpunktensein, die der Bundesparteitag derFDP vom 30. September bis 2. Okto-ber in Hamburg beraten wird. DerBundesvorstand will dazu eineneigenen Antrag einbringen. ZurVorbereitung hat er auf seiner letz-ten Sitzung eine neue Kirchen-kommission berufen, die aber nichtmehr 30, sondern nur noch achtMitglieder zählt: Vorsitzende istwiederum Frau Lieselotte Funcke.

Die Kommission soll bis zum13. September eine Vorlage erar-beiten. Beobachter rechnen da-mit, daß es ihr unter Vorsitz vonFrau Funcke gelingen wird, einKompromiß-Papier zustande zubringen, das nicht nur vom Partei-vorstand akzeptiert, sondern auchzum Parteitagsbeschluß erhobenwird.

Evangelischer Akademikertag

Der 7. Evangelische Akademiker-tag, der vom 4. bis 6. Oktober unterdem Thema „Maßstäbe des Fort-schritts" in Göttingen stattfindet,soll ein Versuch sein, „das Wortvon der Qualität des Lebens zuübersetzen und auf die bundes-deutsche Wirklichkeit zu übertra-gen". Das geht aus der jetzt er-schienenen Vorbereitungsschrift zuder Veranstaltung hervor. Bei demAkademikertag werden acht Ar-beitsgruppen sich mit Fragen vonUmwelt und Wirtschaft, Eigentum,Arbeitswelt, Bildung, Städtebau,Seelsorge und Theologie befassen.

Warnung vor Fristenregelung

Eine Belastung für das Verhält-nis der katholischen Kirche in derBundesrepublik zu den Koalitions-parteien sieht der Leiter des Kom-missariats der deutschen Bischöfein Bonn, Prälat Wilhelm Wöste, inder entgegen den fundamentalenBesorgnissen der Kirche von SPDund FDP getroffenen Entscheidungfür die Fristenregeiung. Im SüdfunkStuttgart erklärte Wöste u. a. fer-ner, diese Spannung werde immerwieder neue Nahrung finden, fallsdie „Fristenregelung" in Kraft trete.— Von den Grundauffassungen derdemokratischen Parteien in derBundesrepublik, „vor allem, wasMenschenbild und Grundwerte an-geht", stünden die der CDU/CSUder Kirche am nächsten. Bei dieserFeststellung gelte es jedoch zubedenken, daß es auch Spannun-gen zwischen Kirche und Unions-parteien gebe.

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Leser-Briefe

Die hier geäußerten Meinungenbrauchen nicht mit der Ansichtder Herausgeber oder derRedaktion übereinzustimmen.

Einfacher formulieren

Wenn man die „EvangelischeVerantwortung" zu Informations-zwecken über den EvangelischenArbeitskreis der CDU/CSU verwen-den soll, wäre es angebracht,sprachliche Formulierungen zu ge-brauchen, die einem weiteren Le-serkreis ohne subtile philosophi-sche und theologische Vorkennt-nisse verständlich sein können.Gerade in dem Beitrag überdas christliche Freiheitsverständ-nis von Christian Walther (Evange-lische Verantwortung, Heft 4/1974)könnte es für einen Nicht-Fach-mann sehr schwer werden, dieZielrichtung des Verfassers zu er-kennen. Die sprachliche Formulie-rung in Anlehnung an den Philo-sophen Jaspers könnte manchemLeser zu einer erheblichen Ver-stehensbarriere werden. — Weiter-hin hätten jene Aussagen vonZahrnt stärker ausgewertet werdensollen, in denen er von der Frei-heit als einer „geistigen Wirklich-keit" spricht. Außerdem ist es nichtrecht einsichtig, welche Bedeutungdie reformatorische Rechtferti-,gungslehre für ein christlichesFreiheitsverständnis im Sinne desgenannten Artikels insgesamt hat.Wenn die Freiheit Geschenk ist,müßte deutlicher werden, inwieferneine solche Freiheit auf der Recht-fertigungslehre basiert. Man ver-mißt den Hinweis darauf, in welcheRichtung die so gewährte Freiheitzielt. Zwar ist angemerkt, daß essich um das Personsein des Men-schen, also um den einzelnenMenschen, seine Haltung und seinVerhalten handelt. Dann geht esaber doch wohl zu schnell in Rich-Hing einer Sozialethik, bei der nicht

einsichtig wird, wie der einzelneund die Gemeinschaft als einsoziales Gebilde aufeinander be-zogen sind. — Bei genauer histo-rischer Betrachtung dürfte dieBehauptung nur sehr bedingt zu-treffen, daß spätestens seit demKirchenkampf mit Beginn der na-tionalsozialistischen Ära die Not-wendigkeit der öffentlichen Ver-antwortung der Christen gegenüberder „Theorie, daß der christlicheGlaube nur im Bereich der Privat-heit Geltung besitzt", erkannt wor-den sei. Umfangreiche theologischeEthiken ergeben bei genaueremZusehen ein anderes Bild. — Imletzten Drittel dieses Artikels ver-mißt man eine präzise theologi-sche Kennzeichnung des Wesensder Rechtfertigung im neutesta-mentlichen Sinne. Es wird sehrallgemein von einem „christlichenFreiheitsverständnis für die gegen-wärtige Freiheitsproblematik" undihrer Praxis geredet. Vielleichthängt mit dieser Feststellung auchdie etwas resignierend klingendeÄußerung zusammen, daß defini-tive Lösungen noch nicht in Sichtsind, „wenn es sie überhaupt jegeben kann". Könnte mit dieserBemerkung vielleicht ein Hinweisin der Richtung gemeint sein, dersich mit den biblischen BegriffenSünde, Schuld und Vergebung um-schreiben läßt? Diese Tatbeständeweisen darauf hin, wo die eigent-lichen Ursachen für die Begrenztheitmenschlichen Bemühens liegen.Daher wäre an dieser Stelle zuallererst eine Reflexion über denBegriff Rechtfertigung im Sinne desApostels Paulus und der Reforma-tion erforderlich. Erst wenn dereinzelne Christ aus der Gabe derRechtfertigung lebt, wird er in derLage sein, von der in Christusgeschenkten Freiheit Gebrauch zumachen, die sein persönliches Le-ben und den Bezug zum Mitmen-schen und seinen Lebensbereichenumfaßt.

F. W. Effey477 Soest, Dudenweg 11

Glaubwürdigkeiterneuern

Durch die veränderte politischeSituation in unserem Vaterlandesind neue Aufgaben auf die Unions-parteien zugekommen. Es heißt

Evangelische Verantwortung 8—9/74

jetzt für die verantwortlichen Män-ner und Frauen, die bestehendeund die sich noch entwickelndeLage klar zu erkennen, nach einemgut durchdachten System hart, mu-tig und konsequent zu arbeitenund damit eine bessere Glaubwür-digkeit im Volk wieder herzustel-len. Dieses unser Volk muß daserschreckend verlorene Vertrauenzu den uns regierenden Leutenaller Parteien wieder gewinnen undnicht hinter allem Reden, Denkenund Tun oft Unehrlichkeit und Täu-schung sehen: Machtstreben ein-zelner, scheinbar mit dem Blickallein auf den Erwerb von Geldund Wohlleben.

Mit diesem Schreiben möchte ichauf Erfahrungen aufmerksam ma-chen, die ich als Altenheim-Bewoh-nerin machen konnte. Diese Bevöl-kerungsgruppe ist zumindest zuWahlzeiten von den Parteien sehrumworben. Zu beachten ist diegroße Zahl der Rüstigen-Abteilun-gen in den Altersheimen der Bun-desrepublik. Ich verweise aber auchauf die vielen Menschen in denLandeskrankenhäusern, psychiatri-schen Kliniken und Rehabilita-tionszentren. Leider ist immerwieder zu beobachten, daß die zu-meist bettlägerigen Pfleglinge, diedurch Briefwahl erfaßt wurden, inder Artikulation ihrer politischenMeinung leicht beeinflußbar sind.Dieses äußerst schwierige Problemin fairer Weise zu lösen, müßteden Unionsparteien ein ernstes undechtes Anliegen sein. Vielleichtmüßte während der noch langenZeit bis zur nächsten Wahl einmöglichst regelmäßiger Kontakt mitden Heimbewohnern hergestelltwerden. In unaufdringlichen Be-suchen könnten dann wenigstensdiese Menschen den Eindruck ge-winnen, daß es noch Volksvertretergibt, die aus edlen Motiven für dasWohl des Volkes zu dienen bereitsind. Auch deren Angehörige wür-den diese Bemühungen wohltuendzur Kenntnis nehmen.Grete Hopfe, 56 Wuppertal - 2,Obere Lichtenplatzerstr. 73, StadtAltenpflegeheim

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Abschied von der christlichen Erziehung?Hermann Boventer

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Die in Hessen, Nordrhein-Westfalenund Niedersachsen vorgelegten neuenBildungskonzeptionen haben In derÖffentlichkeit ein hohes Maß an Auf-merksamkeit gefunden.

In dem ersten unserer beiden Bei-träge untersucht der Direktor derThomas-Morus-Akademle Bertsberg, Dr.Hermann Boventer, den Einfluß, dervon diesen Rahmenrichtlinien auf dieGestaltung und Verwirklichung derErziehung ausgeht.

Im zweiten Artikel geht der Vor-sitzende der CDU/CSU-Bundestags-fraktion, Professor Dr. Karl Carstens,der Frage nach, Inwieweit In den Schu-len Niedersachsens marxistische Ge-dankenvorstellungen Eingang In denUnterricht gefunden haben.

Wovon lebt der Mensch? In demjetzt seit Monaten andauerndenStreit um neue Curricula zuerst imBundesland Hessen und dann inNordrhein-Westfalen ist die Fragenach dem Menschenbild die ent-scheidende.

Wovon lebt der Mensch der hes-sischen und nordrhein-westfäli-schen Rahmenrichtlinien? Er lebtvon der Kritik. Er lebt von der„Fähigkeit und Bereitschaft, gesell-schaftliche Zwänge und Herrschafts-verhältnisse nicht ungeprüft hinzu-nehmen." Er soll „in Denken undVerhalten selbst- und nicht fremd-gesteuert" sein. Der neue Menschder Rahmenrichtlinien lebt von der„Fähigkeit, die eigene Rechts- undInteressenlage zu reflektieren, undder Bereitschaft, Ansprüche auch inSolidarität mit anderen durchzuset-zen". Er muß lernen, „innere undäußere Widerstände gegen die Ver-wirklichung von Genuß überwindenzu können."

Die Zitate stammen aus denRichtlinien für den politischenUnterricht, die in Nordrhein-West-falen als eine Art Magna Charta deremanzipatorischen Pädagogik gel-ten und zukünftig dem ganzenSchulwesen zugrunde gelegt wer-den sollen.

Der neue Mensch wird als derkritische Mensch kanonisiert, die

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neue Schule als die kritischeSchule. Das Unterfangen verdientLob, betrachtet man es auf Anhieb.Die Strahlkraft des Wortes „kritisch"tut das ihrige hinzu.

Die Kritik, die hier gemeint ist,beruht jedoch auf einer Philoso-phie vom Menschen und der Gesell-schaft, die sich gegen alle normati-ven Ansprüche richtet, mit Aus-nahme der spätmarxistischen,gegen die sie sich auffallend unkri-tisch verhält. Gemeint ist die kri-tische Theorie der FrankfurterSoziologenschule eines HerbertMarcuse, Horkheimer, Adorno,Habermas. Sie hat der Wiederbele-bung der marxistischen Analyse inder Bundesrepublik unersetzlicheDienste geleistet und der Studen-tenrevolte an unseren Universitätendas geistige Rüstzeug für System-überwindung, Gewalt und Terrorgeliefert. Daß alle ihre Vorschlägezur Befreiung des Menschen dieradikale Unfreiheit heraufbeschwö-ren, haben Horkheimer und Haber-mas zu ahnen begonnen, aber diegeistige Saat trägt Früchte, die sievergeblich zu verhindern suchen.

Man hat eine Theorie

Wenn wir uns in der Auseinan-dersetzung mit den neuen Lehr-plänen nicht auf Nebenfelderbegeben wollen, müssen wir denphilosophischen Kern der neuenLehrpläne ansprechen. Er wird, wiegesagt, von der spätmarxistischenSeins- und Gesctuichtsdialektik be-stritten, was nicht heißt, die Rah-menrichtlinien seien nunmehr als„marxistisch" abzutun. Man hülltsich in das emanzipatorische Ge-wand, bemüht die Verfassung, woes klug erscheint, betrachtet sichals Avantgarde einer durchgehen-den Demokratisierung und, wasentscheidend ist, wähnt die hoheCurriculum-Wissenschaft auf seinerSeite. Man hat eine Theorie, nein:die Theorie schlechthin.

Kinder und Schule sollen zum„Material" einer Theorie gemachtwerden. Wer die richtigen Formeln(und das „richtige" Bewußtsein)hat, kommt schneller zur Machtüber die Menschen und die Gesell-schaft. Man will ja die Gesellschaftverändern, das ist heiligstes Gebotder Rahmenrichtlinien, diesmal perErziehung. Aber die Formeln undTheorien sagen über die Dingeimmer nur einen Teil aus. Das ein-zelne wird nicht angeschaut, dieQualitäten erscheinen nicht, derSinn bleibt verborgen. So wird eineTheorie zum Verächter der (mensch-lichen) Wirklichkeit, wenn sie daseinzelne, den einzelnen lediglichals Anwendungsfall für spätmarxi-stische Formeln betrachtet. DieRahmenrichtlinien sind mit ihremlernzielorientierten Programm durch-tränkt von diesem Formel- undSchemadenken einer KritischenTheorie.

Was sozialistischen Kultusmini-stern das Herz rührt, ist der Trendzum Ganzen. Endlich kann auchSchule „geplant" werden. Die bis-herige Mannigfaltigkeit im Erzie-hungswesen soll in ihrem ganzenUmfang dem Einheitssystem einereinzigen, nämlich der kritisch eman-zipatorischen Theorie unterworfenwerden. Das entspringt nicht demHirn von Erziehern, sondern Bil-dungstechnokraten. Das totalitäreSyndrom wird sichtbar.

Dieses Syndrom, das an vielenStellen in den neuen Lehrplänenseine Pferdefüße zeigt, markiertauch gleichzeitig den Abschied vonder christlichen Erziehung.

Indem Erziehungswerte wie Ge-duld, Treue, Toleranz, Gehorsam,Fleiß, Wahrhaftigkeit überhauptnicht mehr vorkommen, werden sienicht nur unter den Teppich desVergessens gekehrt. Man annihiliertsie. Werte, die unsere Schule alseine lebens- und weltorientierendeInstanz unserer Kultur seit Jahr-hunderten getragen haben, schei-nen für die Herren Friedeburg oderGirgensohn böhmische Dörfer zu

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sein. Sie machen alles neu. Wirdman die jungen Köpfe mit Ideo-logie, Kritik und arroganter Selbst-gerechtigkeit vollstopfen, erledigtsich das Christentum von selbst. Esist einfach kein Platz mehr dafürvorhanden. Auf der Tagesordnungunseres staatlich verordneten Erzie-hungsprogramms sind christlich-europäische Wertordnungen nichtmehr vorgesehen: Stempel desKultusministers!

Für Gesellschaftsveränderer ideal

Viele werden sagen, das sei zuscharf geurteilt! Die Ambivalenz derneuen Lehrpläne lasse dem Lehrereinen beträchtlichen Frei- undSpielraum, erfolgt doch die stoff-liche Festlegung überhaupt nur inbegleitenden Materialheften. Dasist richtig, aber das Fehlen einesinhaltlichen Katalogs kann auchzum Bumerang werden. In Saar-brücken forderten die Jungsozia-listen noch unlängst, jede verbind-liche Thematik zu streichen, damit„fortschrittliche" Lehrer antikapita-listische Inhalte behandeln können.Wir sollten uns nicht einer Selbst-täuschung darüber hingeben, wasdie nächsten Jahre an jungen Leh-rern auf die Schulen geschickt wird,die mit radikalen Theorien vollge-sogen sind. Diese Rahmenricht-linien liefern fürs Gesellschaftsver-ändern eine ideale Legitimation.

Wie es mit den Materialhinweisenaussieht, sei nur durch ein Beispielbelegt. Wilhelm Reichs Buch „Diesexuelle Revolution" findet sich inHessen als Materialhinweis fürGesellschaftslehre Sekundarstufe I.„Die Unterdrückung des kindlichenund jugendlichen Liebeslebens",heißt es dort, „hat sich als derKernmechanismus der Erzeugungvon hörigen Untertanen und ökono-mischen Sklaven erwiesen." Es istnicht nur vorausgesagt, daß dieFamilie „unweigerlich zerfallen"wird, sondern der Ersatz desBordells durch Mädchen der eige-nen Klasse (ist) besser und auchmoralischer". Vermutlich würde dasKultusministerium darauf verweisen,daß es ja hier um eine kritischeAuseinandersetzung mit ReichsThesen geht. Für Dreizehn- undFünfzehnjährige? Eher handelt essich um einen Fall geistiger undmoralischer Brandstiftung, Wilhelm

Reich aus der klassenkämpferi-schen Mottenkiste der zwanzigerJahre wieder hervorzuzerren. Es istgeradezu grotesk, wie unverschämtdie Ideologen sich in einem Kultus-ministerium ausbreiten können, daßes überhaupt zu solchen Material-hinweisen kommt — für die Schuleunserer Kinder!

Der falsche, ideologischeDenkansatz

Kehren wir zur Frage zurück:Wovon lebt der Mensch in dieser,die Emanzipation zur oberstenNorm der Lernziele erhebendenPädagogik neuer Rahmenricht-linien? Die Kritische Theorie machtdie gesellschaftliche Bedingtheit derPerson zum obersten Erkenntnis-prinzip. Es sind die gesellschaft-lichen Interessen und Herrschafts-formen, die für die Sozialisationund Rollenstruktur des einzelnenden Ausschlag geben. Die Ver-gesellschaftung ersetzt den „alten"Bildungsbegriff, der person- undwertbestimmt war in der Bindungan Vorgegebenes, das nicht mach-bar noch materiell (ökonomisch) ist.

Es wäre eine lohnende, wennauch mühsame Aufgabe, die NRW-Richtlinien mit ihren Lern- undVerhaltenszielen in eine Synopseeinzubringen, wo jeweils die kor-

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EAK-Bundes-tagung '74

6. — 8. Dezemberin Mainz

respondierenden Marx-, Marcuse-,Adorno-Zitate gegenübergestelltsind. Die Korrespondenz wäre nichtlückenlos, sondern häufig unter-brochen, selektiv abgeschwächt,freiheitlich modifiziert. Aber alsdurchgehender roter Faden bliebedie marxistische Analyse mit ihremMenschenbild. Es sei auch zuge-standen, daß der Mensch als Ge-sellschaftswesen im Erziehungspro-gramm unserer Schulen in derVergangenheit oft zu kurz gekom-men ist. Die marxistische Analyseist in vielen Punkten erwägenswert,

und mit ihrer Doktrin wird sich dieSchule heute befassen müssen.Aber der Mensch lebt nicht nur ausseiner gesellschaftlichen Bedingt-heit allein. Er empfängt seineLebens- und Welterklärung nichtnur aus dem großen Abstraktum,das sich „Gesellschaft" nennt. Hierliegt der falsche, totalitäre Denk-ansatz in der Absolutsetzung vonTeilerkenntnissen und der Zu-grundelegung einer dialektisch-materialistischen Philosophie.

Das kultusministerielle „Glück"

Nun könnte der Einwand kom-men, gerade Girgensohns Richt-linien hätten dem „Glück" einengroßen Raum zugesprochen, womitder geistigen Entfaltung des einzel-nen entsprochen werde. Die Quali-fikation, so heißt es in den Rahmen-richtlinien, ziele auf die Fähigkeitdes Individuums, „sich gegenübersolchen gesellschaftlichen Zwängenzu behaupten, die in seinen priva-ten Lebensbereich hineinwirken unddie gerade dann am wirksamstensind, wenn sie verinnerlicht unddamit dem Betroffenen nicht bewußtsind." Mit anderen Worten: Zukünf-tig darf nicht hingenommen wer-den, daß „verinnerlichte" Erzie-hungseinflüsse der Eltern oderKirchen nicht in Zweifel gezogenwerden. Wer bestimmt denn eigent-lich darüber, welche Moralgeboteals „gesellschaftliche Zwänge" zudiffamieren sind, welche nicht?Hat der Staat überhaupt ein Recht,die in den „privaten Lebens-bereich" hineinwirkenden Bewußt-seinsinhalte gewissermaßen voraller Augen zu veröffentlichen, imWege des pädagogischen Zwangs-verfahrens? Das kann nur der ein-zelne selbst tun, nach freiem Er-messen. Die öffentliche Schuleerhebt hier einen normenkritischenWahrheitsanspruch, der aufs Fatal-ste an eine Heils- und Erziehungs-anstalt erinnert.

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Aber es geht noch weiter mit dem„Glück", wenn es heißt, es sei„nicht Aufgabe öffentlicher Erzie-hung, in jedem Falle Normvorstel-lungen abzubauen, die Glücks-ansprüchen entgegenstehen." Eskönne „für bestimmte Gruppen derGesellschaft weltanschaulich be-

84. DeutscherKatholikentagMönchengladbach11. bis 15. September1974

Leitwort:Für das Lebender Welt

Unterlagen und Anmeldungüber:Geschäftsstelle84. Deutscher Katholikentag405 Mönchengladbach,Regentenstraße 11

gründet sein, sich solchen Norm-vorstellungen unterzuordnen." Manstelle sich die Penetranz solcherMaximen vor, die, nachdem sieNormvorstellungen als gesellschaft-liche Zwänge abgekanzelt haben,nun die weltanschaulich oder reli-giös begründeten Normvorstellun-gen grundsätzlich verdächtigen, daßsie „Glücksansprüchen entgegen-stehen". Wieso das? Könnte nichtgerade das Glück eines Menschendarin zu finden sein, daß er sichGottes Geboten unterordnet? Wergibt diesen Herren das Recht, das„Glück" eines Jugendlichen zu ver-ordnen?

„Da öffentliche Erziehung jedochzu eigener Entscheidung befähigensoll, muß sie die gesellschaftlicheBedingtheit von Glücksvorstellun-gen ... bewußt machen", sagen die

Rahmenrichtlinien. Was das heißt,folgt im spätmarxistischen Jargon:„Genuß tritt vornehmlich entfrem-det und verdinglicht in Erscheinung... Erkennen, daß Konsumierenweitgehend verdinglichter Genußist." Das Gemenge aus Psycho-analyse, marxistischer Entfrem-dungslehre und kultusministeriellerHeilsbotschaft läßt in der Konsi-stenz nichts zu wünschen übrig.

Lassen sie sich willig beuten

Der neue Mensch der Rahmen-richtlim'en lebt in Gruppen, Schich-ten, Klassen. Maßgeblicher Schlüs-sel zu allen gesellschaftlichen undmenschlichen Problemen ist derKonflikt. Der Marxist sagt: der Klas-senkonflikt, Klassenkampf. Er mußimmer wieder als die tragendeWahrheit entlarvt werden. DerMünchener Historiker Nipperdeyhat daraus gefolgert, daß eineder wesentlichsten Tugenden desneuen Menschen in den Rahmen-richtlinien der Verdacht sei. Mankönne mit Hegels Analyse der Jako-biner geradezu von einer Herr-schaft des Verdachts sprechen.

Der Hessische Elternverein hatkritisiert, das Buch „Der Anti-Struw-welpeter", das in den Rahmenricht-linien für Gesellschaftslehre unterdem Lernzielschwerpunkt „Einfüh-rung in den Rollencharakter vonVerhaltensformen" für die 5. und6. Jahrgangsstufe (Alter 10-12Jahre) angeführt wird, erweckefälschlich den Anschein einesKinderbuches, das in Wirklichkeitdie elterlichen Erziehungsnormenschlecht zu machen suche. Ironiesetze die Werterfahrung des Er-wachsenen voraus, während Kindersie als solche nicht erkennen undnur verwirrt würden, wenn es imVorwort dieses „Schulbuchs" heißt:

„Wenn die Kinder artig sind,kommt zu ihnen das Christkind;wenn sie alles in sich fressen, Spielund Spaße fast vergessen, wennsie, ohne Lärm zu machen, still sindbei den Siebensachen, beim Spa-ziergehn auf den Gassen stur undbrav sich führen lassen, dann pas-siert es nur zu leicht, daß der Un-sinn niemals weicht: 70 Jahre undnoch länger sind sie bange undnoch bänger, vor Polente, Nach-barsfrau, Gottes Thron und Kohlen-klau. Von den hochgestellten Leu-

ten lassen sie sich willig beuteDarum sei nicht fromm und bnwie ein angepflocktes Schaf, soidem wie die klugen Kinder fround frei. Das ist gesünder."

Blasierte junge Herren

Ein Erziehungsklima dieser Art,sollte es jemals durchgehend zurPraxis kommen, geht an die Sub-stanz des Menschseins. Der ein-zelne wird zum Experimentier-material der Bewußtseins- und Ge-sellschaftsveränderung umgestanzt.Stramme, solidarische Sozialistenwerden aus der Retorte in denseltensten Fällen heraustreten; dasist nicht unsere Befürchtung. Neu-rotiker kommen aus ihr, jugendlicheHeißsporne, Revoluzzer, blasiertejunge Herren, deren Arroganz mitihrer Unzufriedenheit sich paart,wenn nicht in Haß und Gewalt ent-lädt. Verwirrung wird gestiftet, aberauch zynische Selbstgerechtigkeithinsichtlich der Fähigkeit, alle Nor-men und Herrschaftsverhältnissedauernd zu hinterfragen und esbesser zu wissen, wie's sein soll.

Vom Vertrauen in die eigeneErfahrung, von der Geduld mit sichselbst, von Schuldgefühl, Versagenoder Verdienst, vom uralten „Er-kenne dich selbst" oder dem sokra-tischen Einsehen in die eigeneUnwissenheit, von der Tradition derKulturgüter und Wertvorstellungen,in die das Leben eingebunden ist,von dem ausweglosen Verstrickt-sein in Widersprüche, vom Men-schen in seiner Bedrohung, Angstund Erniedrigung, seiner innerenKnechtschaft, aber auch persön-lichen Verantwortung ist in denlernzielorientierten Curricula kaumoder überhaupt nicht mehr dieRede. Wohl aber von „Sich-wehren,Setzen von Alternativzielen, Entwurfvon Veränderungsmethoden, Reali-sieren von Entwürfen reformieren-der oder revolutionärer Art..."Wohl aber vom Nichtmitmachen,von der Negation und dem Antago-nismus der Klassen und Interessen,von „Ich-Stärke" und Gesellschaft,Gesellschaft, Gesellschaft...

Übrigens, das Wort „Freude"kommt nur ein einziges Mal vor,und zwar als emotionale Reaktionin der aufschlußreichen Reihenfolgevon „Wut, Freude, Tätlichkeiten,

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Beleidigungen, Verbrüderung, Ju-bel, Umzüge, Sprechchöre, Lieder,Zerstörungen." Der den Schülernanempfohlene „selbstbestimmteGenuß" wird auf seine Kostenkommen.

Lernzielplanung und totalitäreGesellschaftspolitik

Wovon lebt der Mensch? DerGeist, der verneint, ist ein zerstöre-rischer Geist. Davon kann auf dieDauer kein Mensch leben. DieMarcuse'sche Negation der Nega-tion ist es, die ihm gemäß Curricu-lum-Emanzipation zur neuen Heils-hoffnung wird — und werden muß,sofern er überhaupt überleben will.Mit anderen Worten, die Schule solleine Staatsideologie einpauken. Siesoll eine Zwangsjacke erhalten,nicht so eisern wie im National-sozialismus oder Kommunismus(wo man sich übrigens amüsiertüber die emanzipatorischen Kaprio-len), sondern modischer, wie derZeitgeist es haben möchte, abernichtsdestoweniger: lernzielorien-tiert.

Professor Johannes Flügge hateine Verbindungslinie gezogen zwi-schen der Lernzielplanung und

einer totalitären Gesellschaftspoli-tik. Vielen an der Bildungs- undLehrzielplanung mitwirkenden Per-sonen, so meint Flügge, würde manUnrecht tun, wenn man ihre gesell-schaftspolitische Einstellung alstotalitär bezeichnet. Dennoch: „Wirtun gut daran, die Dynamik derprogressiv-reaktionären Tendenz inRichtung auf eine totalitäre Gesell-schaftspolitik im Bildungswesenrealistisch einzuschätzen, nämlichals sehr stark."

Der Lehrer, Kybernetiker einerneuen Gesellschaft, wird zum Sozia-lisations-lngenieur. Der Schüler istdas „Material", die Schule dasVehikel. Es geht um den „Verände-rungsfaktor Mensch". Dieses Kon-zept zur geistigen Machtergreifungwird mit einem hybriden Moralis-mus getarnt, dessen Imponier-gehabe gerade auf jugendlicheGemüter die stärkste Anziehungs-kraft ausübt, ist man doch in die-sem Alter sehr bereitwillig, dieMenschheit in Schurken und Hel-den aufzuteilen. Was können undsollen Jugendliche überhaupt nochlernen, wenn sie fortwährend ermu-tigt werden, über Dinge ein Urteilzu sprechen, von denen sie nichtsverstehen? Auszusprechen, waseinem nicht paßt, ist kein Ersatz fürein reifes Urteil und noch langekeine verantwortliche Kritik. In der

Schule wäre zuerst einmal dasRichtig- und Selbermachen zu ler-nen, an einer Aufgabe, die gestelltwird. In diesem Sinn muß Schuleimmer unzeitgemäß bleiben. Diegute Schule ist es immer gewesen,sonst sieht sich der junge Menschum sein Denkvermögen wie umseine Seele betrogen.

Es wird höchste Zeit, dies allesvernehmbarer auszusprechen. KeinStaat, keine Schule, kein Lehrer hatdas Recht, unsere Kinder zu indok-trinieren. Hier müssen die Elternaus dem Turm heraus, sonst könnteihnen Hören und Sehen vergehen.Eine Schule, die nach dem Leitbildder NRW-Richtlinien oder hessi-scher Rahmenrichtlinien erziehenwürde, „wäre für gläubige Christenkeine Heimat, sondern besetztesGebiet". Das hat Kardinal Höffnerkürzlich mit Deutlichkeit ausgespro-chen, wobei er jene nagendenSelbstzweifel von Max Horkheimerzitierte, die den Autoren der neuenLehrpläne gut anstünden: „AlleVersuche, die Moral anstatt durchden Hinblick auf ein Jenseits aufirdische Klugheit zu begründenberuhen auf harmonistischen Illu-sionen ... Es gibt keine logischzwingende Begründung dafür, wa-rum ich nicht hassen soll, wenn ichmir dadurch im gesellschaftlichenLeben keine Nachteile zuziehe."

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Marxismus-Unterricht an unseren SchulenKarl Carstens

Der niedersächsische SPD-Politi-ker Peter von Oertzen erzielte beiseinem ersten Auftritt vor demDeutschen Bundestag im Februar1974 einen Heiterkeitserfolg, als ervon sich selber sagte, er sei ein inrelativ führender Position tätigerSozialdemokrat. Der Zwischenruf„Mohamed Ali aus Hannover" kenn-zeichnete die Reaktion des Hausesdarauf. Bedenklicher als diese Ent-gleisung war jedoch das, was Herrvon Oertzen zu den Niedersächsi-schen Handreichungen für dasUnterrichtsfach Gesellschaftswis-senschaften sagte. Er stellte nach-drücklich in Abrede, daß durchdiese Handreichungen Indoktrina-tion betrieben werde. Eine kritischeDurchsicht der Handreichungen er-

weist aber das genaue Gegenteilvon dem, was Herr von Oertzen derdeutschen Öffentlichkeit darzustel-len versucht.

Ziel des Schulunterrichts solltees sein, den jungen Menschen inunsere freiheitlich-demokratische,rechtsstaatliche und sozialstaatlicheOrdnung einzuführen und ihn bereitund fähig zu machen, sie mitzutra-gen und weiterzuentwickeln. InTeilen der Handreichungen wirdjedoch statt einer objektiven Dar-stellung unserer Verfassungs- undSozialordnung unter einseitigerBetonung des Konfliktdenkens einüberwiegend negatives Gesamtbildgezeichnet. Die Lehrpläne sind soangelegt, daß sie eine grundsätz-

liche Unzufriedenheit wecken, dieaus lauter Kritik an vorgefundenenZuständen und bloßem Engagementfür Veränderungen nicht den Willenzur Reform, sondern zur Revolutionerzeugt.

Grobe Einseitigkeiten finden sichin den Niedersächsischen Hand-reichungen beispielsweise bei denThemen „Fremd- und Mitbestim-mung in der Arbeitswelt" und „Ein-führung in die Marx'sche Theorie".In diesen Kursen fehlt eine ausge-wogene Darstellung der Gesamt-problematik. Die Verhältnisse in derArbeitswelt werden unkritisch nachdem Klassenkampfmodell beurteilt,und die Einführung in die marxi-stische Theorie erfolgt ohne Einbe-ziehung einer kritischen Ausein-

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andersetzung mit dem Marxismus.In dem Abschnitt über die Marx'scheTheorie wird vorgeschlagen, die-sem Thema 17 Schulstunden zuwidmen. Dies mag hingehen, ob-wohl der Zeitaufwand vielleichtreichlich hoch bemessen ist. Abernicht hingehen kann, daß bei derAufgliederung des Stoffes auf die17 Stunden den Lehrern ausschließ-lich marxistisches Material an dieHand gegeben wird.

Die Aufgliederung verweist aufdas kommunistische Manifest, an-dere Schriften von Karl Marx undFriedrich Engels sowie auf dieBücher von neornarxistischen Auto-ren wie Sweezy, Vester und ErnestMandel. Der letztere Autor wirdbekanntlich als extrem linksradikalangesehen und darf deswegen auf-grund einer Entscheidung des.Bun-desministers des Innern das Bun-desgebiet nicht betreten. Er tritt fürden Sturz der freiheitlichen Demo-kratie durch Gewaltanwendung ein.Walter Fredericia bezeichnete ihnim Deutschlandfunk als „eine Per-sönlichkeit, in der der politischeAgitator weit stärker ist als derWissenschaftler".

Das kommunistische Manifestselbst, welches als Hauptquelle fürden Schulunterricht über Marxismusvorgesehen ist, stellt zweifelsohne

ein wichtiges historisches Dokumentdar, mehr wohl wegen seiner Fol-gen als wegen seines Inhalts. Esenthält in gedrängter Kürze dieKernprinzipien der marxistischenLehre. Mit einigen seiner Thesen,wie z. B. der Mehrwertlehre, ist einewissenschaftliche Auseinanderset-zung durchaus möglich. AndereTeile des kommunistischen Mani-fests aber müssen aus der Sichtunserer heutigen Verfassungsord-nung als klar verfassungsfeindlicheAuffassungen bewertet werden. Ander entscheidenden Stelle des kom-munistischen Manifestes heißt es:„Unterdrückung und Unterdrücktestanden in stetem Gegensatz zu-einander, führten einen ununter-brochenen, bald versteckten, baldoffenen Kampf, einen Kampf, derjedesmal mit einer revolutionärenUmgestaltung der ganzen Gesell-schaft endet oder mit dem gemein-samen Untergang der kämpfendenKlassen." Diese Thesen enthalteneine Aufforderung zur revolutionä-ren, d. h. zur gewaltsamen Umge-staltung der Gesellschaft. Sie wider-streiten den elementaren Grund-prinzipien unserer Verfassung.

Wenn in Niedersachsen überMarxismus gelehrt wird, dann wärees unerläßlich, bei der Behandlungdes Stoffes darauf hinzuweisen,daß einige der Marx'schen Thesenin einem klaren Widerspruch zuunserer Verfassung stehen. Diesjedoch geschieht in den Handrei-chungen des Herrn von Oertzen ankeiner Stelle. Vielmehr wird derMarxismus unkritisch aus sichselbst heraus dargestellt, und dasZiel der 11. von den 17 vorgesehe-nen Klassenstunden lautet bei-

spielsweise: „Notwendigkeit deraktiven Organisation erkennen".Hierbei handelt es sich um dieStunde, die dem Thema „Klas-senkampf" gewidmet ist. Alles inallem kommt man zu dem Ergebnis,daß die Niedersächsischen Hand-reichungen zum Thema Marxismuseine verstecke Aufforderung zumKlassenkampf und zum gewalt-samen Umsturz enthalten.

Sehr bezeichnend ist auch das,was in den Handreichungen überDemokratie gesagt wird. Auf Seite 54heißt es da: „Genau erörtert wer-den muß ferner der Begriff Diktaturdes Proletariats. Der moderne Dik-taturbegriff kann als Ausgangs-punkt genommen werden. Es mußdeutlich werden, daß Marx mit Dik-tatur die Herrschaft der Mehrheit,also Demokratie meint." Hier wirdalso das Marx'sche Revolutionsver-ständnis mit Demokratie — und daskann doch nur heißen mit demDemokratiebegriff unserer Staats-ordnung — gleichgesetzt, eine ein-deutige Verdrehung des Kernprin-zips unserer eigenen freiheitlichenVerfassung.

Es ist schlimm, daß an denniedersächsischen Schulen auf-grund ministerieller Erlasse einesystematische Indoktrination mitmarxistischen, verfassungsfeind-lichen Thesen betrieben wird, aberebenso schlimm ist es, daß maß-gebende Politiker der niedersächsi-schen SPD diese Tatsache abstrei-ten und zu diesem Zweck unwahreBehauptungen aufstellen. Dadurchwird der Vorgang zu einem für dasganze Bundesgebiet alarmierendenSkandal.

Referentenvermittlung

Mit dem Ende der Ferienzeit beginnen auch allmählich wieder die Ver-anstaltungen in den Kirchenkreisen und Gemeinden. Der EvangelischeArbeitskreis der CDU/CSU, 53 Bonn, Oberer Lindweg 2, Ruf (02221) 544306vermittelt bundesweit allen Pfarrern und Gemeindebeauftragten Referentenzu nahezu allen gesellschaftspolitischen Themenkreisen. Wir verbindenallerdings mit diesem Angebot die Bitte, rechtzeitig zu disponieren, da dieTerminkalender qualifizierter Referenten oft lange im voraus ausgebuchtsind. Informieren Sie bitte von dieser Möglichkeit auch die übrigen PfarrerIhres Kirchenkreises.

Gleichzeitig möchten wir darauf aufmerksam machen, daß eine begrenzteZahl von Freiabonnements der Evangelischen Verantwortung für Pfarrer zurVerfügung steht. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Gemeindepfarrerbzw. Amtsbruder hierauf ansprechen könnten. Zur Bestellung bei uns genügteine Postkarte.

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Aus unserer Arbeit

CDU — konservativ oderprogressiv?

Backnang: Auf einer gut besuchtenVeranstaltung des EAK im Rems-Murr-Kreis versuchte man, zu demThema „Konservativ — Progressiv,wo steht die CDU heute?" not-wendige Klärungen zum Stand-punkt der Union in der polarisiertengesellschaftspolitischen Diskussionzu finden.

Prof. Dr. Bodo Volkmann, Ordi-narius am Mathematischen Institutder Universität Stuttgart, ging inseinen Ausführungen zunächst aufden Wandel der Begriffe Progres-siv und Konservativ im Laufe derGeschichte ein. Der Marxismushabe immer von sich behauptet,die progressive Kraft schlechthinzu sein. Aber weder vor noch nachdem Kommunistischen Manifestvon Karl Marx sei die Geschichtetatsächlich nach den dort aufge-wiesenen Grundsätzen (Klassen-kampf etc.) verlaufen. Wer darannun selbst heute noch festhalte,sei — so Prof. Volkmann — als dereigentliche Konservative im nega-tiven Sinne anzusehen. Die Be-griffe Konservativ und Progressivseien daher zur Kennzeichnungeiner politischen Richtung un-brauchbare Mittel.

Die CDU bemühe sich um einverantwortliches Handeln. Die Be-wahrung des Bewährten und dieOffenheit für notwendige Verände-rungen gehörten gleichermaßendazu. Die Union müsse deutlich denWeg der Revolution abweisen, aberebenso deutlich für Reformen ohneideologische Scheuklappen eintre-ten.

Die künftigen Aufgaben lägenfür die CDU in einem doppeltenEinsatz; im rechten Maße und in denvertretbaren Einzelfällen jeweilssowohl konservativ oder aber auchprogressiv im positiven Sinne zusein. Unter Leitung des stellver-tretenden Vorsitzenden des Evan-gelischen Arbeitskreises, WinfriedMüller aus Waibüngen, und desCDU-Ortsvorsitzenden Dr. Kalb ausBacknang entfaltete sich noch eineIt-bhafte Aussprache.

Wolfgang Wagner, der 1. Vorsit-zende des EAK Rems-Murr, hattezu Beginn der Veranstaltung denArbeitskreis seiner Grundkonzep-tion nach vorgestellt und dabeibetont, daß der EAK sich als kriti-scher Mahner innerhalb der CDUverstehe.

Dollinger: EKD-Votum zumAntirassismus-Programm hilfreich

Die Kritik verschiedener Persön-lichkeiten und Gruppen an demRatsbeschluß der EKD, in demschwere Bedenken gegen eine Ver-längerung des Antirassismus-Pro-gramms des Weltkirchenrats inseiner jetzigen Form geäußert wor-den waren, hat der steilvertretendeBundesvorsitzende des Evangeli-schen Arbeitskreises der CDU/CSU(EAK), der Synodale Dr. WernerDollinger, als unhaltbar bezeichnet.Doilinger wertet das EKD-Votumzum Antirassismus-Programm alseine hilfreiche Erklärung zur Auf-hellung komplexer Sachverhalte.Gleichzeitig stellt Dollinger fest,daß vor einer noch stärkeren ein-seitigen Politisierung des Weltkir-chenrates und seiner Aktivitätendringend gewarnt werden müsse.

Weizsäcker für gemeinsameKirchentage

Augsburg: Für gemeinsame Kir-chentage evangelischer und katho-licher Christen in der Bundesrepu-blik als Fortsetzung des Augsbur-ger ökumenischen Pfingsttreffensvor drei Jahren hat sich der frü-here Präsident des DeutschenEvangelischen Kirchentages, Dr.Richard Freiherr von Weizsäcker,MdB, in Augsburg ausgesprochen.Bei einer Veranstaltung des Evan-gelischen Arbeitskreises der CSU

unter dem Thema „Grundwerteund Ziele in der Politik" erinnerteder CDU-Politiker an die unteilbareVerantwortung der Kirchen bei derMitgestaltung des öffentlichen Le-bens. Weizsäcker plädierte nach-drücklich für eine „wertbezogenePolitik, die über die nächsten Wahl-kämpfe hinausgeht". Angesichtseiner „Volkswirtschaft unterwegszum Nullwachstum" unterstrich erdie Bedeutung einer qualifiziertenSozialpolitik, die Minderheiten wiealte Menschen, Kinder, Behinderteoder Gastarbeiter nicht aus derGesellschaft „hinausdividiert".

EAK-Hannover nimmt WlchernstiftIn Schutz

Hannover: Ein „merkwürdigesVerständnis einer pluralistischenGesellschaft" hat der EvangelischeArbeitskreis der CDU Hannoverdem SPD-LandtagsabgeordnetenJürgen Thölcke (Delmenhorst) vor-geworfen. Anlaß für diese Kritik isteine „kleine Anfrage" des Abge-ordneten, der von der niedersäch-sischen Landesregierung wissenwill, ob sie dafür sorgen werde,„daß die Freiheit der Lehre im Rah-men des Grundgesetzes auch annicht-staatlichen Schulen gewähr-leistet wird und daß ein gegen-seitiges Oberwachen von Lehrkräf-ten unterbleibt". Nach AngabenThölckes war im evangelisch-luthe-rischen Wichernstift in Delmenhorstein Dozent des heilpädagogischenSeminars, das mit einer staatlichenPrüfung abschließt, vom Vorstandzu seiner politischen Einstellungbefragt worden, unter anderemauch danach, ob er bereit sei, denVorstand zu unterrichten, wenn erunter den Lehrkräften Abweichun-gen von der sozialpädagogischenKonzeption des Wichernstifts fest-stelle.

Hierzu bemerkt der EvangelischeArbeitskreis der CDU Hannover:Zum besseren Verständnis müsseman wissen, daß „in den Alten-und Jugendheimen bzw. den Aus-

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Evangelische Verantwortung 8-9/74

bildungsstätten des Ev. Wichern-stifts in Delmenhorst eine RoteZelle des Kommunistischen BundesWestdeutschlands agiert". Vor die-sem Hintergrund, der dem Abge-ordneten Thölcke „zweifelsohnebekannt" gewesen sei, frage mansich, ob der Abgeordnete nichteinen geeigneteren Anlaß zu seinerAnfrage finden konnte als das Vor-gehen einer evangelischen Einrich-tung, die sich bemühe, sich gegen„links- und rechtsradikale Aktivi-täten im eigenen Hause abzugren-zen".

Das Wirken gesellschaftlicherGruppen würde nach Ansicht desEvangelischen Arbeitskreises derCDU untergraben und letztlich un-möglich gemacht, hätten diesenicht die Möglichkeit, Mitarbeiterfür ihre Einrichtungen auszuwählen,die bestimmte ethisch-weltanschau-liche Prinzipien und eine bestimmtefachliche Konzeption zu vertretenbereit sind.

Begegnung mit EvangelischerJugendkammer

Düsseldorf: Der jugendpolitischeAusschuß der Evangelischen Ju-gendkammern Rheinland und West-falen sowie der Evangelische Ar-beitskreis der Jungen Union desRheinlandes setzten ihre bereitsbestehenden Kontakte fort undberieten in einer «gemeinsamenSitzung den von der Bundesre-gierung vorgelegten Referenten-entwurf zur Novellierung des Ju-gendhilferechts. Dabei wurde dieSchaffung eines neuen Jugend-hilferechts als notwendig begrüßt.Man war sich jedoch einig darin,daß noch eine Reihe von Mängelnder Korrektur bedürfen. Die Ge-sprächspartner stimmten überein,daß die Gleichwertigkeit der Trägerder Jugendhilfe eindeutig abge-sichert werden muß. Neben dieöffentlichen Träger treten die freien

Träger in partnerschaftlicher Zu-sammenarbeit, wobei der Begriff„Freier Trägei" anstelle des Be-griffs „Vereinigungen" ins Gesetzaufgenommen werden müßte (eineausführliche Erklärung beider Ge-sprächspartner zu diesem Pro-blemkreis kann bei der Redaktionder Evangelischen Verantwortungangefordert werden).

Aus dem Unionsbereich nahmenneben dem EAK-JU-VorsitzendenHarald Kloetsch u. a. Klaus Evertz,MdL, Paul Albert Engstfeld, JürgenRosorius, Joachim Erwin, HermannBergmann (Velbert), Dr. Peter Egensowie die CDU-Bundestagsabge-ordnete und stellvertretende Vor-sitzende des EAK der CDU inRheinland-Pfalz, Waltrud Will-Feld,an dem Gespräch teil. LandesratSauerbier wirkte als Sachverstän-diger bei der in guter Atmosphärestattfindenden Begegnung mit, dievon Landesjugendpfarrer Eltzneraus Westfalen und Harald Kloetschgeleitet wurde.

Prof. Hahn: Gewaltakte verurteilen

Auf die besondere Verantwor-tung, die dem Weltkirchenrat fürdie Länder der Dritten Welt aufge-geben ist, hat der stellvertretendeVorsitzende des Evangelischen Ar-beitskreises der CDU/CSU, derbaden-württembergische Kultusmi-nister Prof. D. Wilhelm Hahn hin-gewiesen.

In der Verlautbarung heißt esweiter, daß politisch engagierteChristen hierzulande mit beson-derer Aufmerksamkeit die Tagungdes Zentralausschusses des öku-menischen Rates in Berlin verfolg-ten und von dieser Sitzung erwarte-ten, daß die Frage nach derÜberwindung des Rassismus zwarradikal gestellt werden müsse,wobei allerdings die Forderungder Toleranz an alle Betroffenen,gleich welcher Hautfarbe, Herkunftoder Religion vorrangig zu richtensei. Des weiteren müsse der Ein-satz von Gewaltmitteln zur Lösungpolitischer Probleme angesichtsder Zunahme von Gewaltakten ein-deutig verurteilt werden. Hahn siehtin einem eventuellen einseitigenAntirassismusprogramm des Welt-kirchenrates ohne Klärung der Ge-waltfrage eine Gefahr für die öku-menische Einheit.

Buch-besprechung

Predigten in den Kirchen der DDR.Herausgegeben von Günter Jacob,Evang. Verlag Herbert Reich, Ham-burg 1973, 110 S., 12 DM.

Konkret - Verbindlich - Notizenaus der DDR.Herausgegeben von Bruno Schott-städt, Evang. Verlag Herbert Reich,Hamburg 1971, 130 S., 12 DM.

In diesen Tagen und Monatenerleben wir in Kreisen der EKD undder interessierten Öffentlichkeiteine — wie uns scheint — sehrgeruhsame und selbstgenügsameDiskussion der auf der EKD-Sy-node im Januar in Kassel vorge-legten empirischen Untersuchung„Wie stabil ist die Kirche?" (DieEvangelische Verantwortung« infor-mierte in Heft 1/1974 über Ent-stehung und Ergebnisse dieserUmfrage). Intendiert der Titel eherSelbstkritik und Überprüfung ein-gefahrener Positionen und Verhal-tensweisen, so waren in der Rea-lität die Ergebnisse vielfach einwillkommener Anlaß, beruhigt undzufrieden fortzufahren. Dem Evan-gelischen Verlag Herbert Reich inHamburg ist zu danken für dieVorlage der zwei hier besproche-nen Bücher, weil sie mit ihren In-formationen zur Situation der Kirchein der DDR jedem Leser Anlaßsein werden, nicht nur sein — auf-grund fehlender oder bruchstück-hafter Informationen — oft unvoll-ständiges Bild vom Leben der Pro-testanten drüben, sondern auchsein eigenes Handeln als Christerneut zu überdenken.

Da sind zunächst die Predigten— gehalten vor Kerngemeinden,vor Pfarrkonventen, Predigersemi-naren, Studentengemeinden undOberschülern in der DDR. In den„Konkret — Verbindlich" ausgesag-ten und mitgeteilten „Notizen ausder DDR" wird die „Predigt als

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Einweisung in das Engagement"(S. 29 ff.) verstanden. Es liegt nahe,sofort an die Engführungen zudenken, die heute besonders inder Polarisation um die Aktivitätendes ökumenischen Rates der Kir-chen Anlaß zur Kritik sind. Dochsind die hier vorgelegten Predigtenvon einer klaren und unzweideu-tigen Verkündigung des einenEvangeliums geprägt. Aber im Ge-gensatz zu manchen evangelikalenGruppen findet hier in der Aus-einandersetzung mit einer soziali-stischen Umwelt kein Rückzug aufeine weltlose Innerlichkeit statt. ImHören auf das Wort Gottes wirddas Wort an und für die Welt ge-hört. Die Frage: Was wird aus mir?wird umgekehrt zu der Frage: Waswird aus dem anderen, aus derGemeinschaft der Menschen, ausdieser Erde? Und die Notwendig-keit dieser Umkehr erklärt BischofSchönherr in seiner Predigt so:„Wir stellen diese Frage nicht aussozialer Gesinnung, sondern weilGott selbst in Jesus Christus sogefragt hat" (S. 58). Es ist erfri-schend, wie die Konsequenzen fürdie „Kinder des Lichts" sehr prak-tisch und sehr aktuell auf denAlltag dieser Welt bezogen wer-den. Und die sozialistische Ge-sellschaft wird dabei keineswegsgeschont. Da fragt der Predigerunerschrocken, was „für die be-kümmerte Mutter des wegen einesRepublikfluchtversuches inhaftier-ten Kommilitonen, für den Bausol-daten, der nicht studieren darf, fürden zwischen den verschiedenenAnsprüchen zerrieben zu werdendrohenden Professor" (S. 89) getanwurde. Diese Schlaglichter mögengenügen. Sie machen deutlich,wie eindeutig und unmißverständ-lich engagiert, wie lebensnah undschriftgemäß zugleich das Zeugnisvon der versöhnenden Tat Gottesin den Kirchen der DDR gepredigtwird.

In den „Notizen aus der DDR —Konkret-Verbindlich" begegnen be-denkliche Einlassungen christlicherExistenz. Zwar treten hier wiein der Predigtsammlung zum Teildie gleichen Autoren auf, um soerstaunter bemerkt der Leser einenicht zu übersehende Diskrepanzzwischen den Predigten und denhier zusammengestellten theoreti-schen Abhandlungen zu Fragendes kirchlichen und christlichenHandelns im Kontext einer soziali-stischen Gesellschaft. Den Autorengeht es in ihren Beiträgen, die

vom Leiter der Gossner-Mission inder DDR zusammengestellt undherausgegeben wurden, um „denschmalen Weg zwischen Antikom-munismus und Opportunismus"(S. 20). Ganz augenscheinlich istdieser Balanceakt nicht sonderlichgelungen. Allzu oft trübt die Sym-pathie mit dem sozialistischen Sy-stem den theologischen Blick. Si-cher — ein solches Urteil fällt leichtaus der Distanz, aber auch einewohlwollende Lektüre des Buchesvermag die Einseitigkeiten in dergesellschaftlichen Analyse undbei der Benennung der Konse-quenzen christlicher Existenz nichtzu übersehen. Zu kritiklos undzu distanzlos stimmt die Gossner-Mission in den Chor der soziali-stisch-humanistischen Friedensde-klamationen ein. Gleichwohl kannman die sorgfältige Kenntnisnahmeund abgewogene Auseinanderset-zung, die etwas anderes ist alsvorschnelle Verdächtigung und An-feindung, nur empfehlen. Es wird— wie bereits erwähnt — nicht nurfür unsere Sicht der Kirchen in derDDR, sondern auch für unsereneigenen, selbst zu verantworten-den Versuch von Kirche von gro-ßen Nutzen sein. R. Junghans

Parlamentspraxis in der Weima-rer Republik. Die Tagungsberichteder Vereinigung der deutschenParlamentsdirektoren 1925 bis 1933.Bearbeitet von Martin Schumacher.XI, 272 S., Leinen, 72 DM. (Quel-len zur Geschichte des Parlamen-tarismus und der politischen Par-teien. Dritte Reihe: Die WeimarerRepublik. Herausgegeben von KarlDietrich Bracher, Erich Matthiasund Rudolf Morsey. Band 2).

Die Edition enthält fünf Berichteüber die Tagungen der Vereinigungder deutschen Parlamentsdirekto-ren 1925 bis 1929 und eine Nie-derschrift über die Besprechungder Parlamentsdirektoren der süd-deutschen Länder im November1933. Die leitenden Verwaltungs-beamten des Reichstags, der Län-derparlamente, der Bürgerschaftender Hansestädte, des VolkstagsDanzig, des österreichischen Na-tionalrats und des Landtags vonNiederösterreich beteiligten sich anden Debatten der Vereinigung.

Die Rechtsstellung der Abgeord-neten, Befugnisse und Aufgabendes Parlamentspräsidenten, dieOrganisation der Ausschußarbeit,Fragen des Petitions- und Immuni-

tätsrechts, Modalitäten der Abstim-mung, die Zusammenarbeit vonRegierung und Parlament, die Zu-lässigkeit eines Mißtrauensantragsgegen den Parlamentspräsidenten,alle diese Fragen und eine VielzahlVordergründung rein technischerProbleme stehen im Mittelpunkt derDiskussion. Für das Verhältnis vonParlamentsnorm und Parlaments-brauch bieten diese erstmalig ver-öffentlichten Berichte eine wichtigeneue Quelle, zumal die Beständeder Parlamentsarchive starke Ver-luste erlitten und die einzelnenGeschäftsordnungen nur schwergreifbar sind. Ein „Schriftenver-zeichnis zur Entwicklung der Ver-fassung und Geschäftsordnung1918-1933 dokumentiert für Reichund Länder sowie für den öster-reichischen Nationalrat, den Land-tag von Niederösterreich und denVolkstag Danzig die Veränderun-gen des kodifizierten Parlaments-rechts.

Schumacher hat es verstanden,die auf den ersten Blick nur füreinen begrenzten Leserkreis inFrage kommende Sachproblematikso aufzuarbeiten, daß die Lektüredes Buches für jeden, der mitInteresse die Dinge hinter denKulissen des Parlaments verfolgt,ein echter Gewinn ist.

„Die Sonntagsepistel platt-deutsch". Herausgegeben vonHeinrich Kroger und Rudolf Gensch,im Auftrage der Arbeitsgemein-schaft plattdeutscher Pastoren inNiedersachsen. Soltau 1973. Karto-niert. 64 Seiten. Preis 3,— DM.

„Plattdüütsch Kark" war vor kur-zer Zeit manchem problematisch.Es gab auch solche, die es alsSensation empfanden. Von beidemkann nicht mehr die Rede sein.Die Arbeitsgemeinschaft plattdeut-scher Pastoren in Niedersachsen,wie auch z. B. die Schleswig-Hol-steiner, haben eine gute Praxisdurchgeführt mit Gottesdiensten inplattdeutscher Sprache usw. Derschleswig-holsteinische Pastor Jo-hannes Jessen hat das Neue Te-stament schon längst in plattdeutschübertragen und aus dem AltenTestament „Vun dat Beste en gootDeel".

Die einzelnen Beiträge vermittelneinen guten Eindruck von der Man-nigfaltigkeit der niederdeutschenSprache. Luthers Freund, der Pom-mer Bugenhagen, hat zur Refor-mationszeit die ganze Bibel in

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Plattdeutsch herausgegeben. Undwir wissen ja, daß das Neue Te-stament nicht im klassischemGriechisch, sondern in der „Koine",der Umgangssprache der Fischerund Seeleute, geschrieben ist. Se-ist dieses Buch ein lebendiger Bei-trag zur Vertiefung der Gottes-dienste und zu Theorie und Praxisder niederdeutschen Sprache. DasBuch kann direkt bei Pastor Kroger,304 Soltau, Birkenstraße 3, bestelltwerden.

Aufstand der BürgerRevolution 1849 im westdeutschenIndustriezentrum. Herausgegebenvon Klaus Goebel und ManfredWichelhaus. Mit einem Vorwort vonGustav Walter Heinemann. 320 Sei-ten und 16 Fotos; Peter HammerVerlag, Wuppertal 1974

Dieses Buch wendet sich nichtan Lokalpatrioten — es richtet sichan einen weit größeren Leserkreisund spricht insbesondere alle jene

an, die nach dem geistigen Funda-ment der Revolution von 1849 ineinem westdeutschen Industrie-zentrum fragen. Daß ein Wupper-taler Historiker - Dr. Klaus Goebel,der zudem führend in der CDUtätig ist — mit dem SchwiegersohnGustav Heinemanns, Pfarrer Man-fred Wichelhaus, zusammen diesesBuch herausgab, zeigt nicht zuletztdie Spannweite, in der sachlichesEngagement möglich ist. GustavHememann, der das Vorwort zudiesem Buch schrieb und dessenVorfahren genauso aus dem Talder Wupper kamen wie auchFriedrich Engels oder wie derdort viele Jahre lebende PfarrerFriedrich Wilhelm Krummacher, der1847 Hofprediger in Berlin wurde— sie alle prägten deutsche Ge-schichte. Wer die Namen und Ge-stalten des Buches in Beziehungzu ihrer Zeit setzt, erlebt in ein-drucksvoller Weise lebendige Ver-gangenheit. Die Dokumente, die dervorliegende Band in reichlicher

Zahl enthält, analysieren einenwichtigen Teil zunehmender Mün-digkeit westdeutscher Bürger inder Mitte des vorigen Jahrhunderts.Und wer dieses Buch genau liest,ist eigentlich nicht mehr verwun-dert darüber, daß in dieser Stadtauch die Wiege des EvangelischenArbeitskreises der CDU/CSU stand.Wenn diese Marginalien auch nichtmehr zum „Aufstand der Bürger"gehören, so bleibt trotzdem fest-zuhalten, daß auf Initiative desspäteren CDU-Bundestagsabgeord-neten Dr. Otto Schmidt bereits am17. August 1945 in Wuppertal Vor-gespräche für eine Sammlung vonProtestanten in der späteren CDUstattfanden. Und der Nachfolgervon Hermann Ehlers als Vorsitzen-der des EAK, Dr. Robert Tillmanns,entstammte ebenfalls einer ange-sehenen Barmer Familie. Diesehier aufgezeigten Bezugspunktelassen die Lektüre des Buches zueinem Gewinn werden, der weitüber das Historische hinausführt.

Das „C" muß Quelle derGrundsatzdiskussion sein

Der Bundesvorsitzende der Jun-gen Union, Matthias Wissmann,hat sich für eine Fortführung derGrundsatzdiskussion in der Unionmit dem Ziel eines gemeinsamenGrundsatzprogrammes von CDUund CSU ausgesprochen. Die Be-mühungen der CDU um eine klareprogrammatische Alternative dürf-ten nicht auf die Arbeit der Grund-satzkommission unter Richard vonWeizsäcker beschränkt bleiben.Alle Teile und Verbände der CDU/CSU müßten sich an dieser Arbeitbeteiligen, wenn die Union zu einergrundsatzorientierten Partei wer-den wolle, die vom Bewußtsein derMitglieder getragen werde.

Nach Ansicht von MatthiasWissmann könnte das „C" im Par-teinamen eine wichtige Quelle derGrundsatzbesinnung in der Unionwerden. Das „C" postuliere „diePflicht zu wertorientierten Entschei-dungen und mehr sozialer Ver-antwortung in der Politik". Beieiner Aktualisierung des „C" siehtWissmann unmittelbare Auswirkun-gen für folgende Bereiche:

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1. Das Menschenbild der Unionmuß davon ausgehen, daß es einenvollkommenen Menschen ebenso-wenig wie eine vollkommene Ge-sellschaft jemals geben wird. DieEinsicht in die Unvollkommenheitentbindet aber nicht von der Not-wendigkeit des ständigen Strebensnach Vervollkommung. Sie führtnur zum Verzicht auf den Anspruch,die Vollkommenheit des Menschenfriedlich oder mit Gewalt zu er-reichen. Für die Politik bedeutetdies konkret: Jede gesellschaftlicheStruktur und staatliche Organisa-tionsform muß immer wieder inFrage gestellt werden.

Nichts wird als endgültig undabgeschlossen angesehen. Es mußan der ständigen Weiterentwick-lung — im Sinne von Verbesse-rung — der Gesellschaft gearbeitetwerden. Aber es verbieten sichauch — und dies ist ein wesent-liches Unterscheidungsmerkmal zuden Marxisten — Ansprüche aufAbsolutheit und Alleinbesitz derWahrheit mit all ihren oft fürchter-lichen Konsequenzen bis hin zurBereitschaft, den Menschen zuseinem Glück zwingen zu wollen.

2. Weil der Mensch sich nichtaus sich selbst heraus verwirk-licht, sondern — wie Richard vonWeizsäcker sagt — erst „in derHinwendung zum Nächsten und in

der Erkenntnis, daß ihrer beiderIdentität sich in einem Höherenerfüllt", Verwirklichung findet, istdas „C" für die Politik ständigeProvokation zu mehr Solidaritätund sozialer Gerechtigkeit. Ange-sichts der schreienden Ungerech-tigkeiten und der Armut in derDritten Welt, aber auch vor demHintergrund vieler sozialer Miß-stände in unserem eigenen Landsind Solidarität und Brüderlichkeitwichtiger als jemals zuvor. Sie sindes erst, die Freiheit und Gleichheitmiteinander möglich machen.

In einem Zeitalter und in einemGesellschaftssystem, in dem inerster Linie die Gruppen Berück-sichtigung finden, welche am be-sten organisiert sind oder dasGeschäft des Lobbyismus am be-sten verstehen, sollte gerade dieUnion, getragen vom Anspruch des„C", ihre Macht verstärkt daraufrichten, den Rechtlosen, den Rand-gruppen, den Schwächeren undden Minderheiten zum Recht zuverhelfen. Wenn es etwa um Straf-gefangene, Gastarbeiter, Alte oderKranke geht, kann die Union be-weisen, daß sie nicht zuerst nachden Stimmen schielt, die politischeEntscheidungen einbringen kön-nen, sondern daß im Mittelpunktihrer Bemühungen der Menschsteht."

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Die Weltevangelisation braucht MultiplikatorenWilhelm Hahn

Vom 16. bis 25. Juli 1974 fand inLausanne (Schweiz) der „InternationaleWeltkongreß für Evangelisation" statt.Er war in seiner Art eine der größtenZusammenkünfte von Christen In derbisherigen Kirchengeschichte. Die Evan-gelische Verantwortung gibt Im folgen-den den Bericht eines Teilnehmers andiesem wichtigen Treffen evangelikalerChristen aus aller Welt wieder. UnserAutor ist Mitglied der Landessynodeder Evangelischen Kirche In Württem-berg und des Evangelischen Arbeits-kreises der CDU Württemberg.

Vor vier Jahren konstituierte sichein Einberufungsausschuß von 165führenden Christen aus aller Welt,darunter Kirchenführer, Laien undTheologen. Aus diesem Gremiumwurde ein Planungskomitee von 30Mitgliedern gewählt, die zugleichalle 6 Kontinente repräsentierten.Einberufungsausschuß und Pla-nungskomitee zeichneten verant-wortlich für diesen Kongreß undluden 2700 Teilnehmer aus 150Ländern ein. Darunter waren dieAsiaten mit 800 Teilnehmern diegrößte Gruppe. Aus der BRD wa-ren von der Evang. Kirche, denFreikirchen und den Gemeinschaf-ten insgesamt 180 Vertreter anwe-send; darunter der Ratsvorsitzendeder EKD Landesbischof D. HelmutClass, Stuttgart, und sein Amtsvor-gänger, Landesbischof D. HermannDietzfelbinger, München. Als Gästenahmen Katholiken, die ein beson-deres Interesse an der Evangeli-sation bekundeten, sowie fünf Ver-treter des Weltrates der Kirchenin Genf teil. Dazu kamen mehr als200 Journalisten der säkularen undreligiösen Presse, sowie Rundfunkund Fernsehen aus aller Welt.Außerdem benötigte man nocheinen Nachrichtenstab von 50 wei-teren erfahrenen Presseleuten, dieHintergrundmaterial für Berichter-statter erstellten, Interviews orga-nisierten und den Medien in Lau-sanne behilflich waren. Insgesamtbesuchten durchschnittlich täglich3500 Menschen den Weltkongreßfür Evangelisation in Lausanne.

Da es sich um einen Kongreßfür „Evangelikaie" handelte, mußdiese neue Bezeichnung kurz erläu-tert werden. „Evangelikai" kommt

aus der Begegnung mit englischenund amerikanischen Christen, diesich so nennen, weil sie die ganzeBibel als Gottes inspiriertes Wortannehmen und sich im Glauben undLeben an ihr orientieren. Evange-likaie gibt es in allen Kirchen,Konfessionen, Freikirchen, Gemein-schaften und Gruppierungen.

Der Kongreß hatte folgende Ziele:

- die biblische Botschaft des Evan-geNums in dieser Zeit der theo-logischen Verwirrung klar zuverkündigen;

- in den entscheidenden Fragen,Nöten und Problemen, mit de-nen Christen überall in der Weltkonfrontiert werden, biblischeWahrheiten darzulegen und Lö-sungsmöglichkeiten anzubietenbzw. Erfahrungen austauschen.

- weltweite Zusammenarbeit unddie Entwicklung von Plänen vor-anzutreiben, um allen Menschenunseres Jahrhunderts (2 Milliar-den haben von Jesus noch nieetwas gehört!) die frohe Bot-schaft von Jesus Christus inWort und Tat weiterzusagen.Die Kongreßsprachen waren:

Englisch, Französisch, Deutsch, Spa-nisch, Japanisch, Indonesisch, Chi-nesisch. Durch einen Kopfhörerkonnte jeder Teilnehmer eine dersechs Sprachen, die simultan über-setzt wurden, wählen.

Der Tagesablauf erfolgte auf dreiEbenen. Zum ersten sind die Ple-narsitzungen mit Bibelarbeiten undHauptreferaten zu erwähnen. DieReferate wurden bereits einige Mo-nate im voraus gedruckt und allenTeilnehmern zur Stellungnahme zu-geleitet. Sodann beschränkten sichdie Referenten beim Kongreß imwesentlichsten darauf, auf diewichtigsten schriftlich formuliertenFragen der Teilnehmer einzugehen.Die einzelnen Referenten bekamenbis zu 2000 Antworten in Formkritischer Fragen und Ergänzungen.In diesen Referaten wurden grund-sätzliche missionstheologische undmissionsstrategische Probleme be-handelt.

Vertieft wurden diese Plenarsit-zungen auf der zweiten Ebenedurch 32 verschiedene Arbeitsgrup-pen für Spezialthemen der Evange-lisation. Sie wurden von den Teil-nehmern aus den 150 Nationennach deren Interessenschwerpunktbesucht. Diese Gruppen botenneben den Sachinformationen diebeste Gelegenheit — außer denMahlzeiten — zum gegenseitigenKennenlernen und intensiven Er-fahrungsaustausch über die konfes-sionellen und nationalen Grenzenhinweg. Hier artikulierten und pro-filierten sich besonders die: vielenjungen Teilnehmer aus der III. Welt.Die Impulse, die gerade sie unsin den traditionell christlichen Län-dern gaben, erwiesen sich je längerje mehr als äußerst fruchtbar undnotwendig.

Auf der dritten Ebene gab esArbeitsgruppen für nationale Stra-tegie, die jeweils von den Kon-greßteilnehmern aus den verschie-denen Staaten besucht wurden.

Die deutsche „Strategiegruppe"erörterte in mehreren lebhaftenAussprachen die Möglichkeit einerKooperation der Evangelikaien ausLandeskirchen, Freikirchen und Ge-meinschaften bei zukünftigen evan-gelistischen bundesweiten Einsät-zen. Die Gründung einer Aktions-gemeinschaft wurde vorerst zu-rückgestellt, weil man sich aufder Grundlage der EvangelischenAllianz, zusammen mit der „Frank-furter Erklärung" nicht einigenkonnte. Als gemeinsame Basiskonnte dann aber doch noch die„Lausanner Verpflichtung" verab-schiedet werden, auf deren Grund-lage man nun bei besonderenEinsätzen evangelistischer Art, derSchulung von Mitarbeitern sowieder gegenseitigen Information zu-sammenarbeiten will.

Die Lausanner Verpflichtung

Die deutsche Strategiegruppe hatin Zusammenarbeit mit der schwei-zerischen und österreichischenGruppe Verbesserungsvorschlägein den Formulierungen eingereicht,

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die alle berücksichtigt wurden. In14 Punkten wird in der „Lausan-ner Verpflichtung" unter anderemder Glaube an die Autorität derHeiligen Schrift und an die Heils-tatsachen, die in ihr bezeugt sind,sowie Aussagen zum Wesen heu-tiger Evangelisation, einschließlicheines Bekenntnisses zur Notwen-digkeit evangelikaler Zusammen-arbeit und die soziale Verantwor-tung des Christen bekräftigt.

Am Sonntag, den 21. Juli 1974,fand im Lausanner Stadion die ein-zige öffentliche Veranstaltung des„Internationalen Kongresses fürEvängelisation" statt. Billy Graham,Ehrenvorsitzender des Kongresses,sprach vor 46 000 Menschen, wobei

etwa 500 bis 600 seiner Aufforde-rung nachkamen und auf dieAschenbahn vortraten, um zu do-kumentieren, daß sie in Zukunftbewußt als Christen leben wollen.

Jeden Tag erschien eine Kon-greßzeitung in vier Sprachen zurtäglichen Information, die in dereigens dafür eingerichteten Druk-kerei hergestellt wurde.

Bevor der Weltkongreß zu Endeging, schlugen die einzelen Konti-nente eine mehrfache Anzahl vonKandidaten vor, aus der nachhervom Komitee des Weltkongresses30 Teilnehmer ausgewählt werdenund die dann die Nachfolgeorga-nisation bilden. Dieses interna-tionale Gremium sorgt dafür, daß

Terminhinweis:EAK Schleswig-Holstein

EAK - Begegnungsveranstaltungin Lübeck

Zu einer Begegnung mit allen,die in der Evangelischen Kircheehren- und hauptamtlich Verant-wortung tragen, lädt der Evange-lische Arbeitskreis der CDU Schles-wig-Holstein für den 13. Septem-ber 1974 nach Lübeck (Hotel Lysia,Beim Holstentor) ein. Das Treffensteht unter dem Thema „Wirtschaftzwischen Realität und Ideologie".

Das Programm sieht für denVormittag (Beginn 10.00 Uhr) nacheinem geistlichen Wort von PastorUlrich Böhme, Lübeck, und derBegrüßung durch den Vorsitzendendes EAK, Justizminister Dr. HenningSchwarz, zunächst ein Referat vonMinister Dr. Jürgen Westphal zumThema „Freiheit und Grenzen derSozialen Marktwirtschaft — Ge-rechte Güterverteilung zwischenEgoismus und ideologischem Vor-urteil" vor. Daran anschließend

wird sich der Beauftragte der Evan-gelischen Kirchen beim Landtagund bei der Landesregierung vonNordrhein-Westfalen in Düsseldorf,Generaldekan a. D. Albrecht v.Mutius, mit der Frage „Gibt eseine christliche Wirtschaftsethik? —Motive wirtschaftlichen Handelnsin der Verantwortung für den Näch-sten" auseinandersetzen. Die Aus-sprache über beide Referate stehtunter der Leitung von Dr. Schwarz.Nach einer Mittagspause soll sicheine Forumsdiskussion unter demMotto „Die Teilnehmer fragenCDU-Politiker" anschließen. Dabeibesteht die Gelegenheit, sowohldas Tagungsthema wie auch aktu-elle bundes- und landespolitischeFragen mit bekannten CDU- undEAK-Politikern zu besprechen(Ende spätestens 16.30 Uhr).

Sollten Sie sich nicht mehr recht-zeitig beim CDU-Landesverband,23 Kiel 1, Kastanienstraße 27, an-melden können, so ist eine Teil-nahme auch ohne förmliche Anmel-dung möglich.

der Kongreß für Weltevangelisationkein isoliertes Ereignis bleibt, son-dern als weiterführender Prozeß inaller Welt mit entsprechender Nach-arbeit (Studienhefte, Kassetten-aufnahmen, Kongreßsammeiband,Informationsnetz) zu verstehen ist.

Zum Schluß machte Billy Grahamallen Teilnehmern klar, daß dasKonferenzthema „Alle Welt sollsein Wort hören" nur dann welt-weit zur Realität wird, wenn genü-gend Einzelpersonen als Mutiplika-toren bereit sind, die biblischeWahrheit, daß Jesus Christus dieeinzige und letzte Hoffnung ist, mitÜberzeugung und Liebe weiterzu-geben.

Erfreuliches Ergebnis

Mehr evangelische Mitglieder inder CDU

Der Anteil der evangelischenMitglieder in der CDU steigt nachAngaben der Partei stetig an.Wie der CDU-Bundesgeschäftsfüh-rer Diplom-Volkswirt Karl HeinzBüke am Donnerstag, 1. August,in Bonn mitteilte, beträgt der evan-gelische Anteil der Neumitglieder40 Prozent. In der Gesamtparteiwaren bisher 30 Prozent Mitgliederevangelisch. Diese Zuwachsrate istvom Evangelischen Arbeitskreis derCDU/CSU (EAK) begrüßt worden.Die Bundesgeschäftsstelle des EAKerklärte, daß sich in der Zunahmedes evangelischen Anteils nichtzuletzt das Ergebnis der Arbeit desEAK auf Bundes- und Landesebeneniederschlage. Gerade in den letz-ten Monaten hätten die Veranstal-tungen des EAK einen besondersstarken Zulauf gehabt. Insbeson-dere habe es sich dabei um vieleenttäuschte ehemalige SPD-Wählergehandelt, die nicht nur Pragma-tismus wünschten, sondern auchnach den geistigen Grundlagender Politik und nach den Gestal-tungsmöglichkeiten für die Zukunftfragten.

Unsere Autoren Kai-Uwe von Hassel, MdB53 BonnBundeshaus

Dr. Hermann BoventerAkademiedirektor506 BensbergThomas-Morus-Akademie

Prof. Dr. Karl Carstens, MdB53 BonnBundeshaus

Wilhelm Hahn7031 Nufringen (Wttbg.)Hauptstraße 63

Evangelische Verantwortung — Meinungen und Informationen aus dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU. Herausgeber: Dr. GerhardSchröder, MdB; Dr. Werner Dollinger, MdB; Kultusminister Prof. D. Wilhelm Hahn, MdL; Ministerpräsident Dr. Gerhard Stoltenberg, MdL;Dr. Walter Strauß. Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Peter Egen, 53 Bonn, Oberer L'mdweg 2, Ruf (02221) 544306. Verlag: Union-Betriebs-GmbH, 53 Bonn, Argelanderstraße 173. Abonnementspreis vierteljährlich 4 DM. Einzelpreis 1,50 DM. Konto: EAK — Postscheckkonto Köln1121 00-500. Druck: Oskar Leiner, Buchdruck Offsetdruck, 4 Düsseldorf, Erkrather Str. 206. Abdruck kostenlos gestattet — Belegexemplar erbeten.