Sharing fängt mit geben an - Interview im HR Performance Magazin

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HRP: Wie haben Sie Continental „digital“ zum Laufen ge-bracht?Harald Schirmer: In der Kindheit ist es wichtig, an Märchen zuglauben. In so einer „einfachen“ Welt kommt irgendwann derHeld, rettet die Prinzessin (wahlweise die Firma oder den Pla-neten) und alles ist wieder gut.

Wenn wir in die Welt jenseits der Märchen und des Postfakti-schen blicken, müssen wir uns ja eingestehen, dass diese Hel-den auch wirklich nur in Märchen und Mythen gehören undauch nur dort Sinn machen.

Ich bin also vielleicht eher jemand, der neue Wege geht, der dieWeisheiten der Märchen ernst nimmt. Auch in unserer heuti-gen, komplexen Welt braucht es Menschen, die im übertrage-nen Sinn Drachen besiegen. Es braucht Menschen, die sichereKomfort-Zonen verlassen, anpacken, Risiken eingehen, expe-rimentieren und dabei einer Vision folgen. Echte und nachhal-tige Veränderung bedarf aber des gemeinsamen Handelns,nicht der Einzelkämpfer.

Continental hat aktuell 220.000 Mitarbeiter in über 50 Ländernmit verschiedensten Kulturen, in unterschiedlichen Lebenspha-sen und natürlich auch mit unterschiedlichen „Zielen“. Ich su-che und gehe neue Wege und versuche, mit den Erlebnissenund Erfolgen andere zum Mitmachen zu begeistern. Mir gehtes darum, Menschen wieder neugierig zu machen und sie ins„Wollen“ zu bringen.

Aus sicherer Entfernung können sie mein „lautes Vorleben“(Transparenz) beobachten und werden vielleicht ermutigt, sichauch aufzumachen.

HRP: Was hat sich durch Ihre Arbeit im Unternehmen verän-dert?Schirmer: Die Art und Weise, „wie“ wir zusammenarbeiten,ist für mich der entscheidende Faktor. Es wird so viel über Hal-tung, Werte und Verhalten gesprochen, oft aber wenig greifbar.Ich versuche, unsere Continental-Werte (Vertrauen, Freiheit,Verbundenheit, Gewinnermentalität) in meinen Handlungenerlebbar zu machen. Das beginnt mit Hilfsbereitschaft – Sätzewie „Dafür bin ich nicht zuständig!“ sind tabu – und geht weitermit ehrlicher Augenhöhe, also großem Respekt jedem Kollegengegenüber, eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

In meinen seit 2012 ausschließlich in Enterprise Social Medialaufenden Projekten sind meist über 500 Kollegen beteiligt, dassorgt für hohe Effizienz und skalierbare Wirkung. Dabei laufenKommunikation, Abstimmung, Rückfragen und Engagementüber Blogs, Diskussionen in den Foren und die übliche Doku-mentation auf kollaborativen Wikiseiten. Jeder hat vollenSchreib(!)-Zugriff auf alles. Erst waren dafür die GUIDEs dieMultiplikatoren – inzwischen kann man diesen neuen Arbeitsstilimmer öfter erleben.

Hier ein konkretes Beispiel, mit dem Hinweis, dass es immerKollegen oder Führungskräfte gab, die daran großen Anteil hat-ten, sei es durch ihren Vertrauensvorschuss, passionierte Be-teiligung oder auch Frechmut.

Personalkonferenzen 2012 waren geschlossene Veranstaltun-gen mit PowerPoint-Vorträgen im 30-Minuten-Takt und gerin-ger Beteiligung. 2015 wurde ich angefragt, „einen disruptivenVorschlag“ zu machen: PowerPoint wurde „verboten“, derRaum war zu Beginn leer und die Veranstaltung wurde live do-kumentiert. Die HR-Kollegen aus allen Ländern erlebten inten-sive, selbst entwickelte Workshops, die sie als Jeopardy, Musik -reisen, Rollen-Spiele etc. gemeinsam durchführten. Die selbstgebauten Hocker wurden für Präsentationen in Choreografiengenutzt, um Herausforderungen erlebbar zu machen. Der Ener-giepegel, die Freude, aber auch die Ergebnisse waren beein-druckend. 2016 hinderte uns nur die verfügbare Internet-Band-breite am Video-Live-Streaming der gesamten Veranstaltung –zeitverzögert waren die Aufzeichnungen dann online. Es gabunter anderem Fishbowl-Diskussionen mit unserem Personal-vorstand Frau Dr. Reinhart, an dem sich Kollegen aus aller Welt(über unser Enterprise Social Network (ESN)) beteiligen konn-ten. Mehr als 6.000 Kollegen (weit mehr, als in der Personal-funktion arbeiten) verfolgten bereits den ersten Tag virtuellüber Live-Blogging, Fotos und Audio-Statements.

„Sharing fängt mit Geben an“Interview mit Harald Schirmer, digitaler (HR-)Vordenker

https://twitter.com/haraldschirmer

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Neben diesen großen Events sind es aber vor allem die kleinenVeränderungen, die Art, wie virtuelle Meetings ablaufen, wiesich Kollegen gegenseitig helfen, wie offen über Themen dis-kutiert wird, wie funktionsübergreifend zusammengearbeitetwird, die den Unterschied ausmachen. Durch die jetzt allgemeinsichtbare Wertschätzung (Likes und Kommentare im ESN) sindKollegen auch immer öfter stolz auf ihre Leistung.

HRP: Schon einen Monat vor Trump haben Sie Twitter ge-nutzt. Was ist die Power von Twitter?Schirmer: Verblüffend, dass Twitter immer dann zitiert wird,wenn etwas hochaktuell ist, oder? Auch wenn Trump sicherkein positives Beispiel für die Twitter-Nutzung darstellt, lässtsich schnell der größte Mehrwert ablesen: Twitter ist dieschnellste/aktuellste Informationsplattform der Welt. Erst kürz-lich wurde Twitter von mehreren Tausend Lernexperten alsbes te „Lernplattform“ gewählt.

Ich selbst nutze Twitter auf unterschiedlichste Weise, z.B. umauf Konferenzen Zitate oder meine Gedanken festzuhalten – oftauch, um mich gleich mit anderen auszutauschen bzw. die Re-levanz zu testen. Twitter ist für mich das dynamische Inhalts-verzeichnis des für mich interessanten Weltgeschehens. Durchdie Wahl der Menschen, denen ich folge, bestimme ich die fürmich spannenden Themen. Dabei hilft mir mein Netzwerk,wichtige Nachrichten und Links mit minimalem Aufwand zubekommen. Es muss jedoch klar sein, dass man in diesenschnellen Medien selbst lernen muss, was sonst Journalisten(zumindest der hochwertigen Presse) für uns erledigen (Quel-len authentifizieren, Fakten prüfen, Plausibilität und Zusam -menhänge erkennen …).

„Sharing“ fängt mit Geben an. Ich teile mein Wissen, meine Er-fahrungen, Fragen und Gedanken – damit baue ich mir eine di-gitale Reputation auf. Twitter ist ein Multifunktionswerkzeug –es liegt an uns, was wir daraus machen.

HRP: Mit dem Hashtag #MutAnfall haben Sie viel Aufmerk-samkeit, u.a. auf den Social-Media-Kanälen, erreicht. Wassteckt hinter dem Hashtag und wie kamen Sie zu dem Thema?Schirmer: Es braucht Mut, Veränderung anzugehen oder um-zusetzen. In der Veränderungsarbeit gibt es viele Hürden,Gegenwind, Zweifel und Regeln, die es zu überwinden oder zu

verändern gilt. So ein kleiner, großer oder auch täglicher Mut-Anfall kann da schon sehr helfen, sich zu trauen. Gegen denStrom zu schwimmen, ist ein Risiko und braucht Energie. Vonunseren GUIDEs habe ich die Energie des Satzes „Ich bin nichtallein“ erlebt.

Diese zwei Komponenten sehe ich als erfolgskritisch – den Mut,etwas Unbekanntes auszuprobieren, und den Mut, es gegenWiderstände durchzuhalten.

In einem globalen Netzwerk oder auch extern gibt es immer je-manden, der gerade Mut braucht, vor einer Entscheidung steht,zweifelt oder auf ein „Zeichen“ hofft. Mit dem Hashtag #Mut-Anfall versuche ich, andere (und mich selbst auch,) aus derKomfortzone zu holen. Schon probiert?

HRP: Wer ist ein „Digital Leader“ und was zeichnet ihn aus?Schirmer: Dazu sollten wir zuerst klären, was mit „Digital“ ge-meint ist. Eigentlich gibt es natürlich keinen „Digital Leader“ –noch sind die meisten Führungskräfte Menschen, aber sie lebenim digitalen Zeitalter. Ich halte es für wichtig, die aktuelle Dis-kussion zu entmystifizieren und konkret zu benennen, welchenotwendigen Fähigkeiten oder Verhaltensweisen wirklich neusind. Oft hört oder liest man hier von Tugenden, die als brand-neu verkauft werden, welche aber eigentlich selbstverständlichsein sollten. Ich sehe dabei die Kommunikation und Zu-sammenarbeit in modernen Organisationsformen als maßgeb-lich an. Wer in virtuellen Teams oder mit Netzwerken arbeitenmöchte, muss sicher mit modernen Kommunikationswerkzeu-gen umgehen können – und kaum jemand kann heute noch be-haupten, jedes Gespräch persönlich zu führen.

Als Digital Leader bezeichne ich Menschen (nicht nur Führungs-kräfte), die:

• nachhaltig virtuelle Teams und Netzwerke aufbauen, pfle-gen, befähigen und führen können

• Vorbild für digitale Kommunikation und Zusammenarbeitsind

• genug Follower haben, um wirksam sein zu können• mit Mut zur Transparenz durch Veränderungsprozesse führen• sich trauen, offene, zielgruppenrelevante Fragen zu stellen • eine digitale Reputation (im ESN und Internet z.B. LinkedIn/

XING …) haben

Ein Digital Leader ist in meinen Augen eine Person, die es mitdigitalen Hilfsmitteln schafft, Individuen zu einem erfolgreichenTeam oder Netzwerk zu einen.

HRP: Welche Aufgaben sollte ein Chief Digital Officer habenund welche Erwartungen können Mitarbeiter und Chefs an ihnhaben?Schirmer: Vor Kurzem habe ich auf LinkedIn einen Artikel ge-schrieben, in dem ich recht kritisch die diversen Erwartungs-haltungen an diese Erlöser-Rolle beleuchtet habe. Über 13.000Leser – davon 15 Prozent mit Vorstandstitel – zeigten eine Re-levanz und knapp 60 bestätigende Kommentare eine große Zu-stimmung auf.

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Wenn es also um die Stellenbeschreibungen und Erwartungenan diese relativ neue Funktion geht, werden die Vorstellungenrasch sehr unrealistisch (Disruptor, Change Manager, neue Bu-siness-Modelle, Smart Factory, Big Data, Cloud, digitale Pro-zesse, Automatisierung, Social Media, Kulturentwicklung, Coach, Marketing, neue Vertriebskanäle, Vorbild …). Eigentlichist klar, dass kein Mensch all diese Erwartungen erfüllen kann.

Legen wir den Fokus weniger auf fachliche Qualifikation bzw.technische Expertise, dafür aber auf Persönlichkeit, Haltungund digitalen Reifegrad, wird es vielleicht realistischer.

Was es meines Erachtens braucht, um dieses breite Aufgaben-feld gut zu vertreten, sind Menschen, die diese komplexe Auf-gabe, die alle Bereiche der neuen Arbeitswelt durchzieht, über-blicken können. Sie müssen hohe Beweglichkeit mitbringen,rasch agieren können, aber persistent sein, den Mut haben,neue Wege zu gehen, auch wenn hier und da mal eine Sackgas-se dabei ist – Stichwort „Resilienz“. Wichtig ist es, das Vertrauender Mitarbeiter aber auch der anderen Vorstände zu gewinnen,um diese Aufgabe zur gemeinsamen Sache zu machen. #WIR-gewinnt

Kurz gesagt, sehe ich den Schwerpunkt bei Organisations- undKulturentwicklung, aber auf Basis der unter Digital Leadershipgenannten Punkte.

HRP: Wie gelingt Ihnen und anderen virtuelles Arbeiten? Haben Sie (Erfolgs-)Beispiele?Schirmer: Ich treffe mich gern mit Menschen, nur klappt dasmit dem Beamen noch nicht so gut. Also kann ich nicht anders,als virtuell zu arbeiten. Die Kollegen, mit denen ich an meinenProjekten arbeite, sind meist über den Globus verteilt und ar-beiten in verschiedenen Zeitzonen. Den Großteil derer, mit de-nen ich teils täglich kommuniziere, werde ich wohl (leider) niepersönlich treffen. Selbst wer bei mir als dualer Student oder

Bachelor/Masterand arbeitet, trifft mich in den üblichen drei bissechs Monaten fast nie persönlich – dafür gibt es eine enge Zusammenarbeit über digitale Kanäle. Mein Homeoffice ist600 km von unserer Firmenzentrale entfernt.

Solange man dokumentenzentriert arbeitet, ist virtuelle Kolla-boration schlicht ineffizient. Meine gesamte Dokumentation,Diskussionen, Protokolle oder Workshop-Ergebnisse sind on -line und für jeden jederzeit verfügbar. Fragen beantworte ich inder Regel nur einmal – online. Jedes Projekt hat in einer Com-munity im ESN ein festes Zuhause – über die Jahre ist so einNetzwerk von lebendigen Wissenszentren entstanden. Darinfinden sich auch die Ansprechpartner und stetig wachsendeGlossare, um die Begrifflichkeiten, Abkürzungen und Abhän-gigkeiten zu beschreiben. Damit betreibe ich keine zusätzlicheDokumentation, sondern mache unsere Arbeitsprozesse trans-parent. So fällt es anderen sehr leicht, uns zu folgen, sie wissen,wo wir gerade stehen, wann relevante Meilensteine passierenund wie man sich beteiligen kann. Intervention und Zusam -menarbeit sind jederzeit ausdrücklich erwünscht.

Likes und Kommentare sorgen dafür, dass sich Inhalte sehrschnell verbreiten – das führt zu besseren Entscheidungsgrund-lagen und der Reichtum unserer Diversität wird nutzbar.

Für die synchrone Zusammenarbeit löst Videotelefonie immermehr Telefongespräche ab. Es ist einfach persönlicher – nichtals Pflicht, sondern als Angebot.

HRP: Ein Projekt, an dem Sie mitwirken, ist „Working OutLoud“. Was verbirgt sich dahinter und wo ist das Projekt be-reits überall im Einsatz?Schirmer: In der Organisationsentwicklung haben wir dreiEbenen, auf denen wir wirksam werden können und sollten:die persönliche, die soziale und die strukturelle Ebene.

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Working Out Loud (WOL) ist ein Verhaltensbildungskonzeptvon John Stepper, basierend auf der Lehre von Dale Carnegie.In einfachen Schritten lernt man dabei – in geschützten Klein-gruppen –, wie man neue Möglichkeiten in der digitalen Weltentfalten kann. Die Teilnehmer setzen sich ein persönliches Ziel,suchen dafür wertvolle Kontakte, bauen Beziehungen und einNetzwerk auf. Dabei erleben sie, wie erfolgreiche virtuelle (undpersönliche) Zusammenarbeit mit Wertschätzung und Perspek-tivenwechsel funktioniert.

Über 500 Kollegen aus 23 Ländern sind bereits dabei – die Rück-meldungen sind durchweg positiv bis begeistert. Besondersder Sinn und Wert von Netzwerken (als Aktion und als Organi-sationsform) wird schnell klar und über die 12-wöchigen Übun-gen/Wiederholungen verändert sich das Verhalten nachhaltig.WOL gibt es als Buch oder online unter www.working -outloud.com

HRP: Ein weiteres Ihrer Projekte ist die „Flexibility Engage-ment Campaign“, bei der Sie mit über 100.000 Mitarbeiternüber Flexibilisierung diskutieren. Wie verlaufen solche Diskus-sionen?Schirmer: Continental will besonders attraktiv für seine Mitar-beiter und Bewerber sein. Eine moderne Arbeitsumgebungwird dabei von vielen als besonders wichtig bewertet. MobilesArbeiten, flexible Arbeitszeitmodelle und Sabbatical werdendeshalb gerade weltweit eingeführt.

Parallel zur Klärung der dafür notwendigen Rahmenbedingun-gen wollten wir mit allen Mitarbeitern über deren Bedürfnisseund konkreten Erwartungen diskutieren. In einem 16-wöchigenBeteiligungskonzept wurden die geplanten Veränderungen inunserem ESN „ConNext“ begleitet. Per Vorstandsmeldungwurden alle Mitarbeiter eingeladen, sich zu beteiligen. Anfangswar man sehr skeptisch, ob ein solch „sensibles und jeden be-treffendes“ Thema auf diese offene Weise handhabbar seinkönne. Der Aufbau war ähnlich einem MOOC, mit einem ein-leitenden Videointerview pro Thema, das mit Fragen an die Be-legschaft endete. Diese wurden dann global diskutiert und amEnde durch ein Audio-Feedback aus dem Projektteam reflek-tiert. Die zentrale Community war mit über 670.000 Aktionen(Beiträgen, Kommentaren, Likes und Besuchen) ein wunderba-res Beispiel unserer „Great People Culture“. Die Beiträge warendurchwegs konstruktiv, wertschätzend und schafften es in ex-trem kurzer Zeit, ein sehr klares Bild zu erzeugen. Für mich warein Highlight die durch die Mitarbeiter selbst initiierte Ideen-sammlung, um auch unseren Produktionsmitarbeitern mehrFlexibilität zu geben. Die Funktionen in Social Media halfenenorm bei der Konsolidierung und Relevanzerkennung.

HRP: Wie gelingt es Ihnen, bei so vielen Projekten und Akti-vitäten den Überblick zu behalten?Schirmer: Loslassen lernen! Viele sehen ihre Mailbox und kön-nen sich nicht vorstellen, wie man darüber hinaus noch weitereKommunikations- oder gar Beteiligungskanäle sinnvoll nutzenkann. Wer mit mir zusammenarbeitet, weiß, dass auf Fragenper E-Mail meist nur Links auf schon bestehende Antworten inunserem ESN zurückkommen. Persönliche oder diskrete Fra-

gen werden nach wie vor direkt beantwortet. Dadurch wurdemeine Mailbox zur schlanken Aufgabenliste. Natürlich konnteich noch nicht alle für diese Arbeitsweise gewinnen – aber wiebei Momo: Besenstrich für Besenstrich …

Es ist unmöglich, alles zu lesen – weder in einer üblichen Mail-box, schon gar nicht in Social Media –, auch nicht intern. DerLeitsatz „Wirklich Wichtiges findet zu Dir“ funktioniert bei mirseit ca. zehn Jahren in verschiedenen Positionen sehr gut (nachdiesem Motto gehen übrigens auch viele Vorstände vor, die ichkenne).

Eine zweite Perspektive ist der Wunsch vieler nach Einfachheitund Struktur. Ein Unternehmen dieser Größe ist komplex, unserLeben ist komplex und eine Vielzahl von Projekten läuft gleich-zeitig, oft mit dem Anspruch, diese disruptiv anders zu betrei-ben. Wenn wir aber lernen, Komplexität zuzulassen, nicht refle-xartig vereinfachen zu wollen, mit ihr in einer gewissen Demut,aber ohne Furcht zu „spielen“, kann das sogar Spaß machen.So vielschichtig meine Aktivitäten auch wirken mögen, sie zah-len alle auf ein gemeinsames Ziel ein oder sind Bestandteilemeiner „Mission“. Change, Leader ship, Social Media, neuesLernen, Future Work – das hängt doch alles zusammen.

HRP: Welches Projekt beschäftigt Sie momentan am meis-ten?Schirmer: Im Herbst habe ich mit einem Kollegen aus der ITzusammen die Projektleitung für unsere Office-365-Migrationübernommen. Meine Aufgabe dabei ist die Vertretung der Bu-siness-Interessen und für einen möglichst reibungslosen Ab-lauf zu sorgen (manche nennen das Change). Der Hauptfokusliegt aber auf unserem „New Work Style“, also eine neue, digi-tale(re) Arbeitsweise einzuführen.

Dieses Projekt fügt sich hervorragend in unsere Gesamtstrate-gie „Gestalten neuer Arbeitswelten“ ein. Wie oben bei WOLbeschrieben, ist das die strukturelle Ebene, auf der wir durch

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neue und effizientere Werkzeuge unsere Mitarbeiter unterstüt-zen.

Besonders spannend ist die Herausforderung „Trainings“, daein rein herkömmlicher Weg kaum sinnvoll erscheint (zehnTools mal durchschnittlich eine Stunde Schulung mal ca.140.000 Mitarbeiter = 1,4 Millionen Stunden Training). Wir wer-den also verschiedene, skalierbare Formate testen, um am En-de nicht nur Software auszutauschen, sondern den eigentlichenMehrwert der neuen Werkzeuge nutzbar zu machen. Stichwort„Social Learning“ oder, wie schon erwähnt, zu versuchen, dieKollegen ins „Wollen“ zu bringen.

HRP: Welche Rolle spielen Digitalisierung und Vernetzung fürSie außerhalb der Arbeit?Schirmer: Das hat viele Facetten. Ich bin überzeugt, dass wirdie uns heute gestellten Aufgaben nicht alleine lösen können.Da ich auch privat recht engagiert bin (Elektromobilität, Photo-voltaik, Nachhaltigkeit, Bildung, Fotografie …), ist das Internetein stetiger Begleiter. Auf den Plattformen wie LinkedIn, XING,Facebook, Twitter und Co kann man sich heute problemlos mitWissenschaftlern, Politikern, Experten und anderen wertvollenInspiratoren vernetzen. Mit meinen Netzwerken kann ich dannüber diese Themen sprechen sowie Experimente, Formate, Me-thoden, Erfolge und Misserfolge austauschen. Wir lernen von-einander, fordern und unterstützen uns gegenseitig und habenSpaß. Auch sind viele der virtuellen Kontakte inzwischen Freun-de geworden, gleich ob wir uns physikalisch oder ausschließlichdigital begegnen. Das ist auch ein unglaublicher Energiegewinn.Wann hatten Sie Ihren letzten digitalen Video-„Stammtisch“?

Außerdem schadet die dadurch aufgebaute Reputation auchim beruflichen Umfeld absolut nicht.

HRP: Wie oft bereisen Sie andere Länder? Haben Sie Lieblings-ziele?Schirmer: Das ist sehr unterschiedlich, da geht es für Conti-nental schon mal in zwei Wochen in mehreren Stationen umdie ganze Welt, dann ist wieder eher innerhalb DeutschlandsReisen angesagt. Singapur ist einer der Orte, der mich sehrnachhaltig beeindruckt hat. Prinzipiell interessiere ich mich fürviele Orte. Ich bin neugierig. Mich fasziniert die Begegnung mitdem Unbekannten/Fremden. Im privaten Umfeld gibt es einige„regelmäßige“ Ziele wie die Biennale in Venedig, sonst sindwir eher „bunt“ im 2.000-km-Radius unterwegs.

HRP: Fotografieren ist eines Ihrer großen Hobbys. Was reiztSie besonders daran?Schirmer: Ich finde es spannend, verschiedene Standpunkteeinzunehmen, mit unterschiedlichen Objektiven entweder eineganze Szene im Weitwinkel festzuhalten oder mit einem Teleden Fokus auf ein kleines Detail zu richten. Auch das Spiel mitSchärfe und Unschärfe oder verschiedenen Belichtungszeitenist faszinierend. Es gibt für mich viele Parallelen zu meiner Ar-beits- oder Lebensweise. Ich liebe es, zwischen strategisch(Weitwinkel) und operativ (Macro) zu oszillieren. In Projektenverschiedene Einstellungen zu testen, um den besten Augen-blick festzuhalten. Wenn ich dann privat mit Freunden (über die

Fotos) oder im Business mit Kollegen (über die Ergebnisse)spreche, entstehen neue Verständigungsebenen. Und Perspek-tiven werden sichtbar und kommunizierbar.

Vor längerer Zeit habe ich eine Fotogruppe gegründet, die bisheute regelmäßig unterwegs ist. Das Voneinander-Lernen, Aus-tauschen und gemeinsame Explorieren finde ich sehr wertvoll.

HRP: Das Jahr 2017 hat gerade begonnen. Was ist Ihr guter(HR-)Vorsatz fürs neue Jahr?Schirmer: Brauchen wir einen Jahreswechsel für einen Mut-Anfall? Mein Handeln folgt der Vision, dem festen Glauben dar-an, dass jeder unsere Welt ein kleines bisschen besser machenkann. Das ist kein Projekt, das am 1. Januar beginnt. Ich möchtemeinen Beitrag dazu leisten, dass Wertschätzung, Transparenzund Respekt in meinem Umfeld gelebt werden. Die Transfor-mation „Continental HR“ hat in den letzten Jahren große Fort-schritte gemacht. Wir werden in vielen Bereichen als Treiber fürden digitalen Wandel gesehen – diese Wirkung möchte ich ger-ne weiter verstärken.

HRP: Vielen Dank für das offene und inspirierende Interview.

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Interessante Links:

Deutsch: • Aspekte der Digitalen Transformation am Beipiel des

CDO: https://www.linkedin.com/today/post/article/der-cdo-wirds-schon-richten-harald-schirmer

• Enabling the transformation:http://de.slideshare.net/haraldschirmer/enabling-an-organization-for-the-digital-age-change-social-culture

• Video (55 Min.): Digital @ HR: https://www.youtube.com/watch?v=g0C2lAVbYto&t=2142s

• Story des GUIDE Netzwerks – Podcast: http://www.harald-schirmer.de/2015/06/14/die-story-des-guide-netzwerkes

• Digitale Transformation – Podcast: http://www.harald-schirmer.de/2016/01/27/podcast-interview-bei-neuwaerts-fm

Englisch: • GUIDE KickOff Video 2012: https://www.youtube.com/

watch?v=Pm-np_XNqMc&t=64s • GUIDE Concept: http://www.harald-

schirmer.de/2014/03/11/social-media-adoption-the-guide-concept

• What makes a leader a digital leader: http://www.harald-schirmer.de/2016/12/06/what-makes-a-leader-a-digital-leader

• Digital Leadership – really?: https://www.linkedin.com/pulse/leadership-digital-age-really-harald-schirmer

• GUIDEs – how I found the most passionate ones:http://www.harald-schirmer.de/2016/12/06/guides-how-i-found-the-most-passionate-change-agents